Romantische Bibliothek - Folge 50 - Katja von Seeberg - E-Book

Romantische Bibliothek - Folge 50 E-Book

Katja von Seeberg

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Beschreibung

Harder Stenndorf weiß nicht, wie ihm geschieht. Zwei Wochen vor seiner geplanten Hochzeit mit Maren, Tochter eines wohlhabenden Schiffsmaklers, erhält er einen anonymen Brief. Seine vermisste und für tot erklärte Ehefrau, die im Krieg ums Leben gekommen sein soll, lebt - die geplante Hochzeit scheint damit unmöglich.

Harder traut seinen Augen kaum, als die Totgeglaubte tatsächlich kurze Zeit später vor der Tür seiner prachtvollen Villa steht. Er hat Mühe, sein Entsetzen über ihr verändertes Äußeres zu verbergen. Sie ist nur noch ein Schatten ihrer selbst, eine alte Frau mit zerschlissenen Kleidern und verfilztem Haar.

Harder ist hin- und hergerissen. Nun steht er zwischen zwei Frauen ...

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Seitenzahl: 171

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Inhalt

Cover

Impressum

Nur eine Frau aus seinen Kreisen

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: shutterstock/Artmim

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-4415-8

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Nur eine Frau aus seinen Kreisen

Schicksalsroman um Adelsstolz und wahre Liebe

Von Katja von Seeberg

Harder Stenndorf weiß nicht, wie ihm geschieht. Zwei Wochen vor seiner geplanten Hochzeit mit Maren, Tochter eines wohlhabenden Schiffsmaklers, erhält er einen anonymen Brief. Seine vermisste und für tot erklärte Ehefrau, die im Krieg ums Leben gekommen sein soll, lebt – die geplante Hochzeit scheint damit unmöglich.

Harder traut seinen Augen kaum, als die Totgeglaubte tatsächlich kurze Zeit später vor der Tür seiner prachtvollen Villa steht. Er hat Mühe, sein Entsetzen über ihr verändertes Äußeres zu verbergen. Sie ist nur noch ein Schatten ihrer selbst, eine alte Frau mit zerschlissenen Kleidern und verfilztem Haar.

Harder ist hin- und hergerissen. Nun steht er zwischen zwei Frauen …

„Es wird Zeit“, mahnte Frau Irmgard ihre Tochter. „Vater wird schon auf dich warten.“

Die junge Dame warf einen kurzen Blick auf die Armbanduhr und nickte fröhlich.

„Ich möchte wetten, ich muss ihn wieder mit Gewalt ins Auto ziehen.“ Sie wirkte aber nicht so, als nähme sie diese Aussicht sonderlich tragisch. „Es ist ein Jammer, dass wir nur einen Wagen haben.“

„Es ist ein Glück, dass wir überhaupt ein Auto besitzen“, verbesserte Frau Irmgard ihre Tochter. „Wenn ich daran denke, was für Schwierigkeiten Vater hatte, den Wagen zu besorgen …“

„Dann hätte er ebenso gut gleich zwei besorgen können“, fiel Maren ihr übermütig ins Wort. „Setz schon die Kartoffeln auf. Wenn es sein muss, schleppe ich Vater gefesselt zurück. Es ist ja ein Elend, Tag für Tag kaltes Essen auf den Tisch gesetzt zu bekommen.“

„Andere haben …“

„Ich weiß, die wären froh, wenn sie überhaupt kalte Kartoffeln hätten, aber wir sind ja auch nicht andere, wir sind die Brennekes.“

Maren erregte in ihrem hellen, duftigen Sommerkleid Aufsehen. Im Sommer des Jahres 1946 trug man Lumpen, vielfach geflickte Kleider.

Die Tochter des Schiffsmaklers Brenneke bildete eine erfreuliche Ausnahme. Ihre Augen blitzten in heller Lebensfreude, ihre Wangen waren glatt und gerötet, ihr Mund stets bereit, um zu lächeln.

Dabei war sie keineswegs oberflächlich, sondern sah nur nicht ein, dass man über Dinge verzweifeln sollte, die man doch nicht ändern konnte. Sie war bereit, das Leben zu nehmen wie es kam – für sie allerdings kein Kunststück; denn das Leben meinte es ganz besonders gut mit ihr.

Der Außenhandel Bremens war noch verhältnismäßig schwach, aber immerhin hatte ihr Vater eine seiner früheren Verbindungen wiederaufnehmen können; der Anfang war jedenfalls gemacht.

Und er besorgte genügend zu essen, sie konnten Lebensmittel gegen Kleider und Kohlen vertauschen, ihre Wohnung war geräumig und mit schönen Möbeln eingerichtet … Und Maren war tatsächlich wieder soweit, das Fehlen eines zweiten Wagens zu beklagen.

Sie saß am Steuer des blitzblank polierten Autos und fuhr in ihrem gewöhnlich schnellen Tempo zum Europahafen. Der Vater hielt sich fast den ganzen Tag hier auf, um die Aufräumungsarbeiten zu beaufsichtigen.

Er stand jetzt breitbeinig am Rande der Kaimauer und starrte unter finster gerunzelten Brauen auf den Trümmerhaufen, der früher einmal ein Schuppen gewesen war. Eine Baufirma räumte den Schutt beiseite, aber es fehlte an notwendigen Maschinen, und die Menschen waren hungrig und verdrossen. Sie ließen sich Zeit.

„Komm, Paps, Mutter hat die Kartoffeln aufgestellt.“ Maren knuffte ihren Vater burschikos in die Seite. „Früher sagte man, das Auge des Herrn macht die Kühe fett, aber hier ist dein strenger Blick verschwendet.“

Auch sie runzelte allerdings die Stirn, als sie einen Mann sah, der eine Karre mit Schutt in aufreizender Langsamkeit über einen freigeschaufelten Platz fuhr.

Er war abgerissener als die meisten anderen, außerdem auch unrasiert und bestimmt seit zwei Monaten nicht mehr beim Friseur gewesen. Ein finsterer Typ, fand Maren.

„Der Kerl regt mich auf“, schnob ihr Vater und presste in seinen Hosentaschen die Hände zu Fäusten zusammen. „Er tut so, als schliefe er bei der Arbeit. Aber freitags, wenn es die Lohntüte gibt, dann wird er wach. Ich möchte nur einmal wissen, was diese Menschen sich so denken.“

„Ich werde ihn fragen.“

Marens Augen blitzten, als sie ein paar Schritte hinter dem Mann herlief, ihn überholte und sich ihm dann in den Weg stellte.

Aus der Nähe betrachtet, wirkte der Kerl übrigens nicht ganz so abscheulich wie aus der Ferne. Zwar sah er aus, als habe er sich nicht gewaschen, aber der Blick seiner Augen war sanft und geduldig.

Irgendwie wirkte er halbtot, völlig gleichgültig gegen alles, was um ihn herum vor sich ging. Er setzte die Karre ab, schaute an Maren vorbei und wartete wohl, dass sie ihm aus dem Weg ging.

„Schlafen Sie eigentlich?“, fuhr das Mädchen ihn an. „Sie bewegen sich hier wie …“

Der passende Vergleich fehlte ihr, und irgendetwas hinderte sie, ihn vorsätzlich zu kränken.

Der Blick des Mannes kam von irgendwoher zu ihr zurück. Er lag voll und absolut gleichgültig auf ihrem hübschen Gesicht.

„Mein Vater hat Sie beobachtet, Ihr Arbeiten regt ihn auf … und mich auch. Reißen Sie sich doch zusammen, Mann. Sie sind schließlich gesund, und für Ihren Lohn müssen Sie auch etwas tun.“

Der Arbeiter bückte sich, nahm die Griffe der Karre in die Hand und steuerte sie auf Maren zu. Mit einer Kopfbewegung – übrigens genauso müde und gleichgültig wie sein Blick – forderte er sie auf, den Weg freizugeben.

Die junge Dame blieb stehen.

„Sagen Sie einmal, ist es Ihnen vollkommen gleichgültig, was ich Ihnen vorhalte?“

Sie hatte Temperament und brauste leicht auf, außerdem lachte sie gern und war berühmt für ihre schlagfertigen Antworten.

„Ja“, erwiderte der Mann.

„Was? Sie meinen … Sie haben gar nicht die Absicht, sich hier bei uns zusammenzureißen. Ich werde Vater sagen, dass er Sie rausschmeißen soll.“

Der Mann zuckte mit den Schultern.

„Was ist nur mit Ihnen los. … Hier, rauchen Sie?“

Maren bot ihm Zigaretten an, echte amerikanische, und die Gier, mit der der Mann danach griff, war eigentlich das erste Zeichen, dass er doch nicht ganz so stumpf war, wie er wirkte.

Er gab Maren Feuer und inhalierte dann die ersten Züge tief, bevor er sie durch Mund und Nasenlöcher wieder ausstieß.

„Sie müssten sich auch einmal rasieren und zum Friseur gehen. Und waschen.“

Maren dachte nicht daran, ein Blatt vor den Mund zu nehmen.

Der Fremde stieß einen knurrenden Laut aus.

„Oder gefällt es Ihnen etwa, so herumzulaufen? Sie sollten sich schämen!“

Der Mann setzte sich auf die Karre, rauchte in tiefen Zügen und starrte Maren an, als habe er Anlass, sie so eingehend zu mustern.

„Sie haben noch nicht gehört, dass irgendwann mal ein kleiner Krieg verloren gegangen ist?“, fragte er. „Und ein paar Häuser dazu. Und die Wohnungen … Sogar Menschen sollen dabei umgekommen sein, stellen Sie sich nur einmal vor.“

„Die Geschichte ist vorbei, wir müssen neu anfangen. Wenn man so träge ist wie Sie, bleiben wir ewig im Dreck stecken.“

„Neu anfangen … können Sie mir einmal sagen wofür? Ich soll arbeiten? Ich denke nicht daran, mehr zu tun, als unbedingt nötig ist. Ich habe keine Lust mehr. Ich bin fertig, wenn Sie es genau wissen wollen.“

Er drückte den Zigarettenrest sorgfältig aus und steckte ihn in die Hosentasche.

„Wo wohnen Sie eigentlich?“

Maren wusste selbst nicht, weshalb sie sich noch immer mit diesem Menschen unterhielt.

„Ich habe eine wunderbare Villa“, erklärte der Mann. „Ganz für mich allein. An Sommerabenden schlafe ich sogar draußen. Wenn es regnet, gehe ich in den Bahnhof, in den Wartesaal. Er hat wenigstens noch ein Dach … meine Villa nicht. Pech, nicht wahr? Ihre Villa hat sicherlich nicht nur ein Dach, sondern in jedem Zimmer auch noch eine Decke.“

„Wollen Sie damit sagen, dass Sie obdachlos sind?“

Maren trat unwillkürlich einen Schritt zurück.

„Obdachlos, ein feines Wort …, jeder muss heutzutage eine Wohnung nachweisen, sonst bekommt er keine Lebensmittelmarken. Und ich habe eine feine Adresse. Ich wohne in Schwachhausen, die Villa hat bestimmt einmal einem Millionär gehört, jetzt gehört sie mir.“

„Was sind Sie von Beruf?“

„Früher einmal war ich Ingenieur, jetzt bin ich ungelernter Arbeiter. Ein fauler Arbeiter übrigens.“

„Sie sind – verbittert …“

„Tatsächlich?“ Der Mann zwinkerte ironisch. „Sie verfügen über eine bewundernswerte Beobachtungsgabe, gnädiges Fräulein. Im Übrigen winkt Ihr Herr Vater, wahrscheinlich hat er Angst um sein Mittagessen.“

„Ich kann Sie verstehen …“, murmelte Maren Brenneke gedankenverloren.

„Wie schön“, erwiderte der Mann. „Sie glauben gar nicht, wie glücklich es mich macht. Es war schon immer mein Wunsch, von Mädchen Ihrer Art verstanden zu werden.“

„Ich werde mit Vater über Sie sprechen. Vielleicht ergibt sich die Möglichkeit, Sie anderweitig einzusetzen.“

„Sicherlich, man soll Menschenmaterial nicht vergeuden.“ Ingenieur Stenndorf machte eine ironische Verbeugung. „Material ist kostbar. Aber, im Vertrauen gesagt, Sie dürfen es nicht weitererzählen. Menschen sind ganz furchtbar billig.“

„Sie haben … Ihre Familie verloren?“

„Entschuldigen Sie mich.“

Harder Stenndorf reckte seine hagere Gestalt, nickte ihr zu und schlenderte davon. Offensichtlich hatte er keine Lust mehr, länger mit ihr zu sprechen.

Harder Stenndorf hatte die Nase voll. Er wollte seine Ruhe haben, und am liebsten wollte er sterben. Wahrscheinlich würde sich sein Wunsch bald erfüllen; denn im Winter brauchte er ein Dach über dem Kopf. Er gab sich keine Mühe, eine Unterkunft zu suchen. Irgendwann würde er in seiner schönen Villa erfrieren.

„Was hattest du nur so lange mit dem Kerl zu reden?“, fragte Brenneke ungeduldig. „Es wird Zeit, dass wir nach Hause kommen, du kennst doch Mutter.“

Maren blieb ihm die Antwort schuldig. Sie setzte sich ans Steuer, wendete den Wagen und fuhr dann schnell über die Gleise zum Zollportal. Die Beamten machten sich nicht die Mühe, sie zu untersuchen und winkten ihr zu, weiterzufahren.

***

„Du siehst so nachdenklich aus“, stellte Frau Irmgard nach dem Essen erstaunt fest. „Was für Probleme wälzt du denn in deinem hübschen Köpfchen herum?“

„Ob ihr roter Pullover zu dem karierten Rock passen wird“, stichelte Vater Wilhelm.

Er hatte Erfahrung mit seinen Frauen; denn auch seine Irmgard war nicht frei von weiblicher Eitelkeit. Sie konnte sich übrigens auch noch überall sehen lassen.

„Es ist nichts“, wehrte Maren ihre Frage unmutig ab.

Es wäre lächerlich gewesen, von dem fremden Arbeiter zu sprechen, der es nicht einmal für nötig hielt, sich morgens zu rasieren. Natürlich, wenn er in einem ausgebombten Hause wohnte und nicht einmal ein Dach über dem Kopf hatte, war es auch sicherlich nicht so einfach, adrett und sauber auszusehen.

Was mochte mit seiner Familie geschehen sein?

„Ich fahre dich wieder zum Hafen, Vater.“

Der alte Herr zwinkerte.

„Wofür brauchst du denn den Wagen heute Nachmittag?“, fragte er verschmitzt. „Hast du eine ganz furchtbar wichtige Verabredung mit einer Schulfreundin? Oder musst du unbedingt zum Friseur?“

Maren errötete. Etwas an den Sticheleien des Vaters war nicht aus der Luft gegriffen; denn es stimmte leider, dass sie bisher ein wenig leichtsinnig in den Tag hineingelebt hatte, blind für das Elend und die Not, die um sie herum herrschten.

In der Villa der Eltern lebte sie wie in einer Oase, und erst dieses Gespräch mit dem Fremden hatte ihr klargemacht, dass sie sich irgendwie falsch benahm. Sie brannte darauf, ihn heute wiederzusehen und mehr von ihm zu erfahren.

„Ich möchte mir den Hafen einmal in Ruhe ansehen“, begründete sie ihren Wunsch.

Der Vater glaubte ihr allerdings nicht.

***

Harder Stenndorf schaute nur flüchtig zu ihr hinüber, als sie eine halbe Stunde später den Wagen neben der Kaimauer parkte. Er lächelte nicht anerkennend, wie Maren es heimlich gehofft hatte, sondern streifte sie mit einem gleichgültigen Blick. Sein Arbeitstempo war gleichmäßig langsam.

„Zigarette?“, fragte Maren und bot ihm die Packung.

Harder starrte auf ihre Hand und schüttelte dann den Kopf.

„Danke“, lehnte er höflich und doch sehr bestimmt ab. „Während der Arbeitszeit darf ich nicht rauchen, Ihr Herr Vater würde es mir nie verzeihen. Es wundert mich, dass Sie den Versuch machen, mich zum Faulenzen zu bewegen.“

„Ich möchte mehr von Ihnen wissen. Sie sagten, Sie seien … sozusagen obdachlos?“

„Sozusagen“, bestätigte Harder spöttisch.

Er konnte sie nicht ernst nehmen, sie sah viel zu hübsch und gepflegt aus, um in seine Welt hineinzupassen. Seine ehemalige Uniform, das einzige Kleidungsstück, das er besaß, hing schmutzig und zerknittert um seine ausgemergelte Gestalt. Er dachte nicht daran, die Neugierde dieses Mädchens zu befriedigen.

„Sie sind sehr stolz“, stellte Maren hartnäckig fest.

„Stolz!“ Der Mann stieß ein bitteres Lachen aus. „Davon ist mir nichts geblieben, gnädiges Fräulein. Wir haben keinen Grund mehr, auf irgendetwas stolz zu sein.“

„Weshalb haben Sie denn die Zigarette abgelehnt, Sie rauchen doch gern. Ist es, weil ich Sie Ihnen anbiete?“

Sie wirkte sehr jung, wie sie vor ihm stand, wie eine Sonne in einer grauen trostlosen Welt. Harder tat es leid, dass er ihr schroff begegnet war, schließlich war es weder ihre Schuld noch ihr Verdienst, dass es ihr besser ging als vielen anderen.

„Ich fürchte, ich habe mich sehr töricht benommen“, stellte er mit einer Offenheit fest, die entwaffnend wirkte.

„Ich wage nicht, Ihnen zu widersprechen.“ Maren lachte befreit. Sie spürte, dass es ihr irgendwie gelungen war, das Eis zu brechen. „Und jetzt rauchen wir eine Friedenszigarette miteinander. Und was mein Vater dazu sagt, nehme ich auf meine Kappe.“

„Sie scheinen sehr tapfer zu sein“, spottete Harder. „Aber immerhin, solch einer reizenden Einladung kann ich nicht wiederstehen. Es tut mir leid, Ihnen keinen Sessel anbieten zu können. Wenn Sie sitzen wollen, müssen Sie es auf irgendeinem dieser Trümmerhaufen tun. Warten Sie, ich lege Ihnen meine Jacke unter.“

Skeptisch schaute er auf ihr duftiges, helles Sommerkleid. Sein Blick begann bei ihren kleinen Füßen, wanderte die Beine entlang über ihre Gestalt und blieb schließlich ernst auf ihrem Gesicht hängen.

„Sie sind sehr schön“, gestand er, und es war kein Kompliment, sondern klang so, als sei er selbst überrascht.

Maren spürte, wie ihr Herz einen langen Schlag tat und plötzlich raste.

„Geben Sie mir Feuer“, bat sie verwirrt, aber während Harder ein Streichholz anriss, spürte sie seinen Blick noch immer auf ihrem Gesicht.

„Was starren Sie mich so an?“, fragte sie beklommen.

„Entschuldigen Sie bitte, ich benehme mich unmöglich.“ Der Mann stieß ein raues, freudloses Lachen aus. „Wir haben alle verlernt, einer Dame richtig zu begegnen. Verzeihen Sie mir.“

Maren nickte lächelnd. Sie setzte sich vorsichtig auf seine Jacke, die er mit dem Futter nach außen behutsam auf einen Mauerrest gelegt hatte. Er trug nur noch ein vielfach durchlöchertes, anscheinend uraltes Hemd. Seine Rippen zeichneten sich unter dem dünnen Stoff deutlich ab.

„Was werden Sie machen, wenn es kälter wird?“, fragte Maren. „Sie müssen doch irgendwie ein Dach über den Kopf bekommen. Es gibt doch da Organisationen, die sich um alles kümmern.“

„Ich kümmere mich nicht um die Organisationen“, schnitt der seltsame Mann ihr das Wort ab. „Es liegt mir nicht, vor diesen kleinen Angestellten auf den Knien zu rutschen und um Verständnis zu winseln. Wer ihnen nicht die Stiefel leckt, bekommt einen Tritt.“

Maren holte tief Luft, man sah ihr an, dass sie im Begriff war, etwas Unerwartetes vorzubringen. Ihre Augen waren vor Erregung ganz dunkel.

„Bei uns zu Hause … könnte ich Ihnen einen Anzug meines Bruders geben. Wolfgang ist noch nicht aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt, er hat ungefähr Ihre Figur, und Sie könnten bei uns auch baden.“

„Ihr Herr Vater würde mich gar nicht erst eintreten lassen“, stellte Harder gelassen fest. Es war keine Anklage, kein Vorwurf, es war einfach das Konstatieren einer nackten Tatsache. „Aber ich danke Ihnen jedenfalls für Ihre gute Absicht, gnädiges Fräulein.“

Maren beugte sich eifrig vor.

„Sie kennen Paps nicht, meinen Vater, meine ich, sonst würden Sie wissen, dass er bestimmt nichts dagegen hätte …“

„Ich fürchte, ich kenne ihn besser als Sie. Für ihn bin ich ein fauler Arbeiter, eine Ziffer in seiner Buchführung. Kein Mensch …“

„Ich habe den Wagen da. Wollen Sie? In einer Stunde haben Sie sowieso Feierabend, und ob Sie jetzt schon mitkommen …“

„Nein.“ Harder stand auf. „Ich muss weiterarbeiten. Und … ich danke Ihnen.“

Maren wusste, dass er nicht die Zigarette meinte, die sie ihm gegeben hatte. Jeder Mensch in dieser verwirrten Zeit brauchte Anteilnahme und vor allem auch einen Menschen, mit dem er sprechen konnte. Dieser Stenndorf hatte zu viel in sich verschlossen, und je länger er schwieg, desto schwerer würde es für ihn sein, das Leben zu ertragen.

Maren bot ihm zaghaft die Rechte. Sie versuchte nicht, ihn noch einmal zu überreden, weil sie genau wusste, es würde keinen Zweck haben. Dieser Mann war unbändig stolz und seine fleckige, zerrissene Uniform änderte nichts daran. Maren hatte an diesem Nachmittag viel dazugelernt, eine Lektion in praktischer Lebenskunde, die ihr die Eltern schuldig geblieben waren.

Im Lohnbüro des Vaters ließ sie sich die Adresse geben, die der Arbeiter Stenndorf dort genannt hatte. Es war tatsächlich eine Nummer in der Schwachhauser Heerstraße. Jetzt wohnten hauptsächlich Besatzungsoffiziere dort in den unversehrten herrschaftlichen Häusern.

***

Die Straßenlaternen brannten trübe, als Maren ohne Wissen der Eltern die Villa verließ. Der feine Nieselregen wob einen Schleier um die wenigen Lampen, und ihre Absätze klapperten rhythmisch auf dem Pflaster.

Vor ihr lag ein Weg von etwa einer halben Stunde. Es war ein langer Weg, weil die Umgebung so unheimlich wirkte. Sie traf keinen Menschen, kein Auto, es war, als sei die Welt ausgestorben.

Dann stand sie vor der Nummer des Hauses, in dem er wohnte. Früher einmal musste es eine Prachtvilla gewesen sein, gehörte vielleicht einem Baumwollimporteur oder Tabakhändler – übrig geblieben war nur noch die Fassade.

Man sah, dass sie einmal weiß gewesen war. Die nächste Straßenlaterne befand sich fast hundert Meter weit entfernt, und der Gebäuderest lag in unheimlicher Finsternis.

Die Gartentür quietschte hell und durchdringend, als Maren sie aufstieß. Der Weg war mit Gras überwachsen, nur wenige Steinplatten waren erhalten geblieben.

Kein Laut ringsumher. Die Büsche blühten, Düfte umgaben Maren.

Der Regen war etwas stärker geworden, klang wie gedämpftes Trommeln auf den Blättern der Bäume, die vor dem großen Haus standen. Ein unheimliches Gefühl beschlich sie.

Zögernd blieb sie stehen. Es war Unsinn, was sie vorhatte, Wahnsinn war es. Sie wollte einen Arbeiter ihres Vaters besuchen, irgendeinen aus dem Heer der Namenlosen, der sie gar nichts anging.

Mit energischer Bewegung zog sie den Gürtel ihres flotten Regenmantels enger und ging, den Oberkörper gegen den Regen geneigt, entschlossen weiter.

Hinter der Fassade war ein großer Trümmerberg, zum Teil von schön blühendem Unkraut überwachsen. Am Tage wirkten diese Stätten geradezu romantisch. Aber nachts war alles anders.

„He!“

Maren erschrak vor dem Klang ihrer eigenen Stimme. Sie hatte schreien wollen, aber nicht mehr als ein lautes Flüstern kam aus ihrer Kehle. Sie hatte Angst.

„Herr Stenndorf!“

Sie sah nirgendwo einen Lichtschimmer, und als sie weiterging, bröckelte ein Stein unter ihrem Fuß und polterte irgendwo in die Tiefe.

„Wer ist da?“

Seine Stimme! Maren holte tief Luft, während ein befreites Lächeln über ihr ängstliches Gesicht glitt.

„Ich bin es nur!“, rief sie in die Dunkelheit. „Maren Brenneke.“

„Was für eine Ehre!“, spottete der Mann. Er stand plötzlich neben ihr, fast buchstäblich wie aus dem Boden herausgewachsen. „Sie sind eine leichtsinnige junge Dame.“ Er hielt sie fest, und obwohl Maren sonst Berührungen verabscheute, empfand sie den starken Druck seiner Hand als beruhigend. „Noch einen Schritt weiter, und Sie wären in den Keller gestürzt.“

Er ließ eine Taschenlampe aufflammen, und durch den Schleier der Regentropfen sah Maren schaudernd in die Tiefe. Sie stand tatsächlich auf einem Schuttberg, der unmittelbar vor einem Keller lag.

Er knipste die Taschenlampe wieder aus – Batterien waren kostbar – und zog sie ein paar Schritte zurück.

„Wollen Sie meinen Salon sehen?“, fragte er. „Bitte sehr, Eintritt jederzeit. Wie auf dem Jahrmarkt, die Vorstellung fängt sofort an. Erwarten gnädiges Fräulein Zauberkunststücke von mir?“

„Weshalb sind Sie so bitter? Ich habe Ihnen doch nichts getan, Herr Stenndorf. Ich … hielt es zu Hause nicht mehr aus. Ich musste sehen, wie Sie hier wohnen.“

Der Mann trug einen alten Militärmantel, hatte den Kragen hochgeschlagen und die linke Hand in die Tasche gesteckt. Sein rechter Arm lag um Marens Schulter.

„Bitte.“ Er ließ seine Taschenlampe aufflammen. „Feine Leute führen ihre Besucher nicht ins Schlafzimmer. Ich fürchte, ich gehöre nicht zu den feinen Leuten.“

Der Lichtkegel der Lampe wanderte über eine zerbröckelnde Wand und blieb dann auf einer Matratze hängen.

„Hier schlafen Sie?“

Neben dem mehr als primitiven Lager stand eine große Pfütze. Die Regentropfen schlugen Blasen im Wasser, und Maren konnte sich nicht denken, dass irgendein Mann es fertigbrachte, hier sozusagen unter freiem Himmel richtig zu schlafen.