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Toskana, 1980er Jahre: Tennislehrer Pietro liebt das süße Leben Italiens. Doch als er unerwartet die Olivenplantage seiner Mutter erbt, sieht er sich mit einer existenziellen Krise konfrontiert. Anstatt sich weiterhin dem lockeren Lebensstil und unverbindlichen Affären hinzugeben, muss er nun das überschuldete Familienanwesen retten und sich der Frage stellen, ob er bereit ist, bis zum Äußersten dafür zu kämpfen – und was er dafür opfern muss. Disziplin und hartes Training prägen den Alltag der ehrgeizigen Profispielerin Aurora. In ihrer Freizeit hingegen genießt sie unbeschwerte Liebschaften. Um negative Schlagzeilen auf ihrem Weg an die Spitze der Tennis-Weltrangliste zu vermeiden, unterbreitet sie dem attraktiven Pietro ein verlockendes Angebot: Während ihrer Tour soll er ihr als Sparringpartner in gleich mehrfacher Hinsicht zu Diensten sein. Bald darauf ist der ahnungslose Gigolo Teil eines perfiden Plans, der ihn alles kosten könnte – nicht zuletzt seine Freiheit. Eine packende Geschichte über Täuschung, Hoffnung und die Suche nach dem eigenen Weg.
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Seitenzahl: 305
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Impressum
Text: © Ralf Prost
Cover: © Hera N. Hunter
Lektorat: Evelyn Knapp
Korrektorat: Christine Asmussen
Satz: Sören Macholdt
Verlag:
Neopubli GmbH
Köpenicker Straße 154a,
10997 Berlin
Druck:
epubli ist ein Service der neopubli GmbH
Berlin
Ralf Prost
Rote Asche, falsches Spiel
Talamone, August 1984
1
Ein harter, mit Spin geschlagener Ball jagte den nächsten. Pietro und Alfredo droschen sich gegenseitig die gelben Filzkugeln um die Ohren. Sie spielten wie im Rausch. Ihre Schläger wirbelten in fast tänzerischen Bewegungen durch die Luft, Schweißperlen rannen ihnen über die Stirn und glitzerten im Flutlicht. Jeder Schlag wurde mit einer Intensität ausgeführt, die das Publikum den Atem anhalten ließ, als wären sie Zeugen eines Duells zwischen Titanen. Die Welt um sie herum verblasste.
Die untergehende Sonne schuf ein betörendes Abendrot über dem Meereshorizont, der sich in seiner scheinbaren Unendlichkeit vor dem Plateau der Tennisanlage von Talamone ausbreitete. Das Flutlicht zauberte, gepaart mit dem abnehmenden Licht der italienischen Sonne, eine mystische Atmosphäre auf den mit Testosteron geschwängerten Platz. Alle Urlauber und Clubmitglieder, die auf den Zuschauerbänken das Spiel verfolgten, zogen sie in den Bann. Sie verstanden es, eine Show auf dem Platz zu zelebrieren, bei der die beiden Spieler eine animalisch männliche Aura umgab.
Dagegen verblasste das Duell von Aurora Ferrari gegen ihre Trainingspartnerin Sofia Rossi auf dem Centercourt. Dabei war Aurora ein Star.
Zwischen den Ballwechseln taxierte Pietro Signora Ferrari, ihres Zeichens italienische Vizemeisterin, im Augenwinkel. Ihr blondierter Pferdeschwanz war ihr Markenzeichen. Er ragte bis hinunter zu ihrem, in weiße Leggings gehüllten, wohlgeformten Hintern. Der durchtrainierte Körper und ihre grazilen Bewegungen befeuerten seine Sinne. Ihre Gesichtszüge wirkten zart und verrucht zugleich.
Pietro zwang sich, nicht zu auffällig zu ihr hinüberzuschauen. Er vermied bewusst den Blickkontakt. Pietro, ein italienischer Frauenschwarm, war geübt im erotischen Spiel der Geschlechter. Vermeintliches Desinteresse, insbesondere an einer Schönheit wie Aurora, gehörte zu seinen bewährten Eroberungsstrategien. Er war sich sicher, dass auch sie ihn beobachtete und sich über seine Ignoranz wunderte, und ging davon aus, dass sie es gewohnt war, im Mittelpunkt zu stehen.
Wenige Minuten nachdem die beiden attraktiven Frauen ihr Training beendet hatten, verließen Pietro und sein Freund ebenfalls den Platz und suchten die Umkleidekabine auf.
Alfredo flachste, während er sich unter der Dusche einseifte: »Die Ferrari würdest du nicht von der Bettkante stoßen. Dazu kenne ich dich zu lange, mir machst du nichts vor.«
Pietro grinste und lehnte sich mit dem Rücken gegen die kühlen Fliesen. »Okay, ertappt. Aber jetzt tu nicht so, als wärst du nicht auch beeindruckt. In echt ist sie noch faszinierender als im Fernsehen.«
Alfredo nickte anerkennend. »Stimmt. Ihre Präsenz ist der Wahnsinn. Dass so eine Granate ausgerechnet hier in unserem Club trainiert, ist eine Ehre.«
Pietro grinste amüsiert. »Die Frage ist nur: Kannst du die Finger stillhalten?«
Alfredo lachte. »Ich? Bei ihr sowieso. Die andere finde ich fast noch süßer. Außerdem bist du doch der Jäger von uns beiden.«
Pietro ließ sich Zeit mit der Antwort, dann zuckte er mit den Schultern. »Wer sagt denn, dass ich das muss?«
Alfredo schüttelte grinsend den Kopf. »Du bist echt unmöglich.«
Eine Stunde später veranstaltete der ortsansässige Verein, Circolo del Tennis Talamone, Signora Ferrari zu Ehren einen Sektempfang. Dafür war die Terrasse, die sich hinter einer Reihe Oleanderbüsche befand, festlich geschmückt worden. Die Stehtische waren mit weinroten Hussen überzogen. Ein üppiges Buffet mit Salaten, Wurst, Käse und Meeresfrüchten stand bereit. Neben dem kompletten Vorstand war auch Pietro als Trainer vom Präsidenten Signore Barone eingeladen worden. Die Vereinsvertreter hatten sich rund um die Stehtische versammelt. Gekleidet in einem weißen Hemd und verwaschener Jeans, lehnte Pietro lässig an einem Pfeiler, als Aurora, eingerahmt von ihrem Trainer und ihrem Manager, die Terrasse betrat. Ihr zartblaues Cocktailkleid unterstrich ihren braunen Teint und setzte ihre langen Beine in Szene. Alle Augen richteten sich auf die Schönheit. Pietro hob eine Hand und grüßte sie, als kannten sie sich schon ewig. Aurora nickte distanziert. Sie legte ihren Kopf schräg und schaute ihn mit leicht erhobenem Kinn an, bevor sie sich von ihm abwandte, um dem Präsidenten die Hand zu reichen, der mit ausgestrecktem Arm heraneilte.
Signore Barone wischte sich mit einem Seidentuch die Schweißperlen von seiner Stirn, erhob ein halb mit Champagner gefülltes Glas und räusperte sich.
»Salve. Sehr geehrte Signora Ferrari, ich begrüße Sie und Ihr Team ganz herzlich. Dem Circolo del Tennis Talamone ist es eine besondere Freude, dass Sie uns für zwei Wochen die Ehre Ihrer Anwesenheit erweisen«, säuselte der Präsident und legte eine Pause für den einsetzenden Applaus ein. Übereifrig wippte er in seinen Lackschuhen auf die Zehenspitzen. »Wir werden als Traditionsverein alles daransetzen, dass Sie sich bei uns wohlfühlen, und wünschen Ihnen ein erfolgreiches Turnier in Rom. Der Trainer unseres Ehrengastes, Signore Salvatore, hat mir verraten, dass Signora Ferrari bereits beim Erreichen des Achtelfinales in der Weltrangliste unter den Top 50 geführt werden wird. Wir haben also eine absolute Spitzenspielerin zu Gast.« Wieder wurde applaudiert. Der Präsident schmunzelte selbstgefällig. »Es ist uns eine Ehre, Sie mit Ihren Leibgerichten zu verwöhnen. Wie von Ihrem Trainer Salvatore gewünscht, steht Ihnen unser Spitzenspieler und Tennistrainer Pietro Fiore als Trainingspartner zur Verfügung«, führte Signore Barone aus und deutete in Richtung seines Schützlings. »Wir freuen uns auf die gemeinsame Zeit und erheben nun das Glas auf Signora Ferrari. Salute. Das Buffet ist eröffnet.«
»Mille Grazie«, bedankte sich Aurora knapp. Sie lächelte schmallippig in die Runde und nippte an ihrem Glas. Der edle Schaumwein kribbelte an ihrem Gaumen. Als Tochter des Bürgermeisters der Wirtschaftsmetropole Mailand war sie Luxus gewöhnt. Seit ihrem fünften Lebensjahr war ihr wohlhabender Vater der finanzielle Förderer ihre Tenniskarriere. Die investierte Summe betrug inzwischen ein kleines Vermögen. Nach dem Abschluss ihres Studiums der Betriebswirtschaftslehre vor zwei Jahren hatte Aurora erstmals begonnen, auf der Profitour mitzuspielen.
War sie ein Star? Ihr Team, bestehend aus immerhin vier Angestellten, ließ es vermuten. Die Ausgaben waren aber, gemessen an ihren bisherigen Erfolgen und Einnahmen, zu hoch.
Aurora dachte mit Grauen an die letzte Silvesternacht. Das neue Jahr war keine Stunde alt gewesen, als ihr übermächtiger Erzeuger ihr gedroht hatte:
»Ich gewähre dir noch ein letztes Mal die hundertvierzig Millionen Lire als Jahresbudget für dich und deine Crew. Aber ich warne dich«, seine zusammengekniffenen Augen erinnerten sie an ein gemästetes Schwein, »solltest du am Ende des Jahres nicht unter den TOP 30 stehen, werde ich dir diesen Luxus streichen.« Mit seinem massigen Körper baute er sich breitbeinig vor ihr auf, genehmigte sich einen Schluck Whisky und fuchtelte mit dem Zeigefinger der freien Hand vor ihrer Nase herum.
Aurora drehte sich angewidert von ihm weg.
»Mittelmaß ist mir zu wenig. Entweder du lieferst oder du kannst selbst schauen, wie du mit deinen mickrigen Werbeeinnahmen und Preisgeldern über die Runden kommst. Mir wurde auch nichts geschenkt. Inzwischen bist du sechsundzwanzig, da wird es langsam Zeit zu liefern. Haben wir uns verstanden?« Signore Ferrari redete sich in Rage.
»Ja, Papa.«
Sie hasste sich dafür, sich bei ihm immer so klein zu fühlen.
»Und noch etwas«, setzte ihr Vater nach. Dabei japste er nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. »Die Paparazzi haben sich schon regelrecht auf dich eingeschossen«. Die wässrigen Augen seiner Tochter ignorierte er. »Suche dir verdammt nochmal einen seriösen Partner mit Niveau und mache nicht ständig mit anderen Typen rum. Ich dulde das nicht mehr.« Er schnappte wieder nach Luft. »Ich werde bei der nächsten Bürgermeisterwahl wieder kandidieren, da kann ich keine Skandale gebrauchen.«
Bei dem Gedanken an die Standpauke ihres Vaters köchelte die Wut der Silvesternacht erneut in Aurora hoch. Sie war wild entschlossen, es sich und ihrem Vater zu beweisen. Mit ihrem Liebesleben hatte er einen wunden Punkt angesprochen. Sie war von einer Beziehung in die nächste gestolpert. Die vielen Enttäuschungen hatten sie abgestumpft. Aurora hatte sich fest vorgenommen, keine Gefühle mehr zu investieren und Sex nicht mit Liebe zu verwechseln. Am besten suchte sie sich einen oberflächlichen Lover, der ihre Einstellung teilte. Ihr Streben galt dem Erfolg. Im Kampf um den Tennisolymp gab es für Gefühlsduseleien keinen Platz.
Sie leerte ihr Glas und wandte sich an ihren Trainer Enrico Salvatore.
»Ich habe echt keinen Bock auf diese Selbstbeweihräucherung hier. Lauter alte Vereinsheinis, die sich in meinem Ruhm sonnen wollen. Das bringt mir nichts. Ich möchte Rom gewinnen und nicht meine Zeit verplempern. Wie sieht der Trainingsplan für morgen aus?«
»Um acht Physio, danach dachte ich an ein Training mit Signore Pietro Fiore. Abends plane ich ein zweistündiges Balleimertraining für dich. Ich habe spezielle Rückhandübungen vorbereitet, mit denen ich dein Umschaltspiel vom Slice zum Offensivball verbessern möchte.«
»Ich gehe davon aus, dass du den Termin bereits abgeklärt hast.«
»Noch nicht, ich dachte, das klären wir jetzt. Frag ihn doch am besten selbst. Er steht da drüben am Buffet.«
»Na, toll. Das ist die Höhe. Wofür bezahle ich dich eigentlich, wenn ich mich um alles selbst kümmern soll?«, blaffte Aurora ihren Trainer an und wandte sich ab, ohne eine Antwort abzuwarten. Kopfschüttelnd lief sie zu Pietro hinüber, der damit beschäftigt war, sich einen Berg Kaviarhäppchen auf seinen Teller zu laden. Sein akribischer Turmbau amüsierte sie.
»Ciao. Du hast einen gesegneten Appetit«, mutmaßte Aurora und tippte ihn dabei zwischen seinen breiten Schulterblättern an. Ihr Ärger schien wie weggeblasen.
Pietro drehte sich zu ihr um. »Ciao«, grüßte er und hielt ihrem kecken durchdringenden Blick stand.
»Solche Häppchen gibt es schließlich nicht alle Tage«, stellte er fest, offensichtlich von seiner eigenen Gier belustigt.
»Na dann guten Appetit, aber übernimm dich nicht. Du sollst mir morgen als Trainingspartner dienen. Hast du das verstanden?«
»Dienen? Ich diene niemandem!«
»Ist da etwa jemand empfindlich? Du musst schon damit klarkommen, dass ich in den nächsten Tagen deine Chefin bin. Wir bezahlen dreißigtausend Lire pro Stunde. Das ist üppig für einen Spieler der Serie B.«
»Mmh. Willst du mich in meiner Ehre verletzen? Ich könnte mich locker auch in der Serie A behaupten.« Seine braunen Augen glänzten im Flutlicht. »Was hältst du von einer kleinen Wette?«
»Wie soll das aussehen?«
»Wir machen morgen ein Zweisatz-Match. Wenn du mehr als zwei Spiele gewinnst, mache ich den Trainingspartner diese Woche für lau. Wenn du verlierst, verlange ich sechzigtausend die Stunde.«
Aurora rieb sich über ihre gekräuselte Stirn.
»Deal. Für einen Provinzler aus der dritten Liga bist du verdammt arrogant«, sagte sie mit einem Lächeln auf den Lippen.
Pietro hob achselzuckend seine Arme in die Luft und setzte dabei einen Das-ist-halt-so-Blick auf. »Ich weiß eben, was ich draufhabe.«
»Schön für dich. Leider wird es zu wenig für mich sein«, konterte Aurora kämpferisch.
Die beiden besiegelten ihre Vereinbarung mit einem Handschlag und verabredeten sich für den nächsten Tag um zehn Uhr zu ihrem Duell.
Nach ihrer Unterhaltung mit Pietro kam Auroras Manager Taddeo Conti mit ausladenden Schritten auf sie zu, der die beiden beobachtet hatte. Aurora schwante, dass dem Freund ihres Vaters wieder einmal etwas nicht passte. Er hatte seine Stirn gekräuselt, zwischen den buschigen Augenbrauen zeichnete sich eine senkrechte Falte ab. »Aurora, ich sehe es dir an der Nasenspitze an, der Schönling gefällt dir. Wehe, du machst vor dem wichtigen Turnier in Rom schon wieder mit einem Typen rum. Ich habe deinem Vater versprochen, auf dich aufzupassen. Du sollst dich endlich auf deine Karriere konzentrieren.«
»Wie bitte? Was fällt euch eigentlich ein? Ich bin alt genug, um auf mich selbst aufzupassen, und ich rede, mit wem ich will. Und damit du es gleich weißt, morgen treffe ich mich mit Pietro zu einem Tennismatch.«
»Der Typ gefällt mir nicht. Das ist ein Hallodri, das habe ich im Urin. Ich werde ihn genau unter die Lupe nehmen. Eine Ferrari kann sich nicht mit jedem dahergelaufenen Provinzler abgeben.«
»Mach, was du willst. Du kannst ganz beruhigt sein. Ich habe von Beziehungen die Nase voll. Capito?«
»Das hast du schon öfters gesagt. Ich werde auf alle Fälle wachsam sein. Gute Nacht.«
Während die Profispielerin eine Stunde später in ihrem Hotelzimmer einschlummerte, wartete auf Pietro eine lange Nacht.
Pietro machte es sich auf der Lounge bequem und genehmigte sich zwei Gläser Champagner. Er hatte sich an diesem Abend mit der betuchten Rechtsanwältin, Ute von Hohenstein, für eine letzte Liebesnacht in ihrer Hotel-Suite verabredet, bevor ihre Rückreise nach Hamburg anstand.
Leicht besäuselt, klopfte er an ihre Zimmertür.
»Herein. Die Tür ist offen«, rief sein Urlaubsflirt mit rauchiger Stimme. Ute lag in bestickter Spitzenunterwäsche auf dem riesigen Doppelbett und räkelte sich. Ihre Brüste waren in ein neckisches transparentes BH-Oberteil gehüllt. Seitliche Bändchen ihres knapp geschnittenen Slips zierten ihr weites Becken. Der schwache Kerzenschein kaschierte die kleinen Dellen ihrer üppigen Schenkel. Ute kam ohne Umschweife zur Sache. Nach der ersten Runde liebkoste sie ihn mit ihren Lippen und ritt ihn bis tief in die Nacht. Zwischendurch tranken sie Gin.
Während er in den frühen Morgenstunden neben der friedlich schlummernden Ute wach lag, hinterfragte Pietro seinen Lebenswandel. Dieser passte nicht im Geringsten zu seinem einstigen Traum, als Profisportler Karriere zu machen. Hier im beschaulichen Ort in der Toskana war er der König auf der roten Asche, aber in der italienischen Tennisrangliste stand er lediglich auf Platz einhundertfünfunddreißig. Damit war monetär kein Blumentopf zu gewinnen. Seine größten Erfolge zeichneten sich in den unzähligen Bettgeschichten mit Frauen wie Ute aus. Nicht dass er sich darüber beschweren wollte – er genoss diese leidenschaftlichen Nächte mit jeder einzelnen von ihnen. Doch ob diese fleischlichen Errungenschaften ihn voll und ganz befriedigen konnten? Er wagte es allmählich zu bezweifeln.
Gegen viertel vor zehn am Morgen schleppte sich Pietro zur Tennisanlage. Sein Schädel brummte gewaltig.
Aurora schlug sich bereits mit ihrem Trainer Enrico Salvatore ein. In den frühen Morgenstunden war sie bereits von ihrer Physiotherapeutin und Trainingspartnerin Sofia massiert worden.
»Da hat wohl jemand die Nacht zum Tag gemacht«, frotzelte sie zur Begrüßung. Pietros derangierter Zustand war unverkennbar.
Pietro winkte ab.
Aurora schnaubte abfällig. »Dann zeig mal, was du kannst.«
Sie gewährte ihm lediglich eine kurze Einspielzeit, in der sie den Ball halbherzig über das Netz lümmelte, um ihm kein Gefühl für seinen Schlag entwickeln zu lassen. Auch beim darauffolgenden Aufschlagtraining taktierte sie gerissen, indem sie alle Bälle nur soft mitten ins T-Feld schlug.
Gleich beim ersten Spiel überraschte sie Pietro mit einem exakt an die Linie gespielten Kickaufschlag auf seine Rückhand. Sein Return landete im Netz. Von der linken Seite kommend, nutzte Aurora ihren Vorteil als Linkshänderin und servierte weit nach außen. Sein Rückschlag kam zwar ins Feld, konnte aber von ihr sofort zu einem Winner genutzt werden. Es dauerte keine zwei Minuten, bis Pietro das erste Spiel mit nur einem gewonnenen Schlagabtausch abgegeben hatte.
Der Fehlstart rüttelte ihn wach. Er servierte mit hoher Geschwindigkeit. Erst den dritten Aufschlag returnierte die Profispielerin erfolgreich. Ihr Match nahm Fahrt auf. Pietro setzte auf Härte, Aurora auf Präzision. Mit einem ansatzlos geschlagenen Stopp gelang ihr die Aufholjagd zum Einstand im zweiten Spiel. Mit einem Netzroller glückte Pietro sein erster Spielgewinn zum 1:1.
Pietro agierte locker und führte schnell mit 4:1. Vor dem Seitenwechsel zum sechsten Spiel gönnten sie sich eine erste Pause. Sie setzten sich nebeneinander auf eine der beiden Holzbänke, die für die Spielpausen seitlich in der Nähe des Netzes auf dem Platz standen. Pietros weißes Shirt klebte triefend nass an seinem durchtrainierten Oberkörper. Sein Schweiß vermischte sich mit seinem herbem Herrenparfüm, mit dem er sich, weil er am Morgen keine Zeit zum Duschen gehabt hatte, großzügig eingenebelt hatte.
»Du spielst besser, als ich dachte. Deine Schläge sind einfach zu hart, da habe ich keine Chance«, wiegte ihn Aurora in Sicherheit. Ihre leuchtend grünen Augen spielten mit ihm. Sie erinnerten ihn an die Grotta Verde. Er liebte es, in sie einzutauchen.
Pietro grinste. Seine Kopfschmerzen hatten nachgelassen. Gönnerhaft lobte er ebenfalls ihr Spiel. In Anbetracht des Spielstandes wirkte das provokant. Sein darauffolgendes Aufschlagspiel zum 5:1 gewann er zu Null. Aurora servierte. Sie versuchte, mit langen Slice-Bällen auf seine Rückhand sein Angriffsspiel zu unterbinden. Die neue Taktik war erfolgreich und die Profispielerin gewann mit einem ansatzlos geschlagenen Stopp, der direkt hinter dem Netz liegen blieb, das Spiel.
Aurora ballte die linke Hand zur Faust und schrie ein »YES!« in den strahlend blauen Himmel. Leichtfüßig wie ein Reh hüpfte sie nach vorne, beugte sich über das Netz und schob mit dem Schläger den vor ihren Füßen liegenden Ball in seine Richtung.
»Da war wohl einer zu langsam. Jetzt wird’s eng für dich«, rief sie ihm entgegen, hielt die Nasenspitze hoch und fuhr sich dabei langsam durchs Haar.
»Kein Problem!« Er gab sich gelassen, innerlich brodelte er. »Ab jetzt mache ich erst richtig ernst.« Pietro versuchte, sich keine Schwäche anmerken zu lassen.
Der erste Satz endete 6:2 für ihn. Im zweiten reichte Aurora ein Spiel, um den Deal zu gewinnen.
Sie fighteten, als ginge es um ihr Leben. Im vierten Spiel nutzte Aurora ihre Aufschlagstärke und gewann ihr drittes und entscheidendes Spiel.
»Strike!« Sie ballte erneut eine Faust und richtete diese mit erhobenem Arm in seine Richtung. »Das war´s mit dem großen Star von Talamone«, kommentierte sie ihren Triumph.
Die restlichen Spiele gab Aurora mehr oder weniger kampflos ab. Pietro kochte innerlich vor Wut. Das 6:2 und 6:1 bedeutete, dass er die Wette verloren hatte. Er hatte den Mund zu voll genommen und musste als Trainingspartner dienen, ohne auch nur eine einzige Lire dafür bezahlt zu bekommen.
»Glückwunsch zum Sieg.« Die empfundene Demütigung konnte man unschwer an seinem gequälten Lächeln ablesen.
»Du bist ein fairer Sportsmann.« Sie besiegelten das Ergebnis per Handschlag, bevor Pietro davonschlich, um seine Wunden zu lecken.
2
In den folgenden Tagen forderte Aurora vormittags und nachmittags jeweils eine zweistündige Übungseinheit. Besonders mit dem morgendlichen Training um halb zehn tat sich Pietro schwer. Um diese Zeit schlief er normalerweise noch seinen Rausch vom Vorabend aus. Die Profispielerin sowie ihr Trainer kannten keine Gnade. Sie erwarteten absolute Pünktlichkeit. Signore Salvatore bereitete jedes Training minuziös vor. Er hatte mit seinen sechzig Jahren viel Erfahrung und erkannte jeden noch so kleinen Fehler seines Schützlings. Pausen gewährte er Aurora und Pietro keine. Jeden Spielzug ließ der Schleifer wiederholen, bis die Bewegungsabläufe mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerkes funktionierten. Pietro war beeindruckt von der Professionalität der beiden, dennoch sehnte er immer öfter das Ende der gemeinsamen Trainingszeit herbei. So viel Verbissenheit passte nicht in seine Welt der italienischen Dolce Vita.
Auf dem Nebenplatz trafen sich Alfredo und Sofia häufig zeitgleich zu einer gemeinsamen Trainingseinheit. Sie gingen die Sache wesentlich entspannter an, sie lachten und kicherten dabei, sodass Pietro fast ein wenig neidisch war.
Aurora und er sprachen vor, während und auch nach dem Training kaum ein Wort miteinander. Umso überraschter war er, als sie ihn an diesem Tag auf dem Platz ansprach.
»Für heute haben wir genug trainiert. Was hast du am Samstagabend vor?«
Pietro hob seine Augenbrauen. »Auf alle Fälle nicht, mich von dir über den Platz jagen zu lassen.«
Ein leichtes Lächeln huschte über Auroras Lippen.
»Keine Sorge. Ich kann auch nett sein. Ich lade dich als Dankeschön für deinen kostenlosen Einsatz als Trainingspartner zum Essen ein.«
»Das hört sich gut an.« Pietro nahm die Einladung dankend an.
Aurora fieberte den Italian Open in Rom entgegen. Das größte Turnier ihrer Heimat sollte ihr als große Bühne dienen. Für die in einer Woche beginnende erste Runde war Aurora eine Qualifikantin zugelost worden. Eine lösbare Aufgabe, von der Weltranglistenplatzierung her betrachtet, zumal ihre Gegnerin mit der Rückhand fast ausschließlich Unterschnitt spielte. Damit war diese berechenbar und kam ihrem Spiel mit viel Spin entgegen.
Im Laufe der Woche war Aurora mit Pietros harten Schlägen immer besser zurechtgekommen. Das Training mit ihm befeuerte ihren Ehrgeiz und half ihr, an ihren Erfolg zu glauben. Sofia war ein nettes Mädchen, aber Aurora haderte mit ihrer Spielstärke. Ihre Freundin war eine exzellente Doppelspielpartnerin, aber im Einzel gewann sie nur selten einen Satz gegen sie. Aurora hatte beschlossen, Sofia als Trainingspartnerin zu kündigen und sie nur noch als Physiotherapeutin zu beschäftigen, obwohl sie einen Zweijahresvertrag abgeschlossen hatten. Der Durchbruch war Pflicht, da galt es an sich selbst und nicht zu sehr an andere zu denken. Das Training mit Sofia brachte sie nicht mehr weiter. Sie hatte ausgedient. Seit der einschneidenden Silvesternacht mit ihrem Vater hatte Aurora sich mit keinen Männern mehr eingelassen. Dabei liebte sie Sex. Nach dem Sport war sie oft allein und sehnte sich nach erotischer Zweisamkeit. Dennoch stimmte sie ihrem Vater insgeheim zu: Die häufigen Partnerwechsel der vergangenen Jahre, teils öffentlich verfolgt, waren nicht förderlich für seine und ihre Karriere. Presseartikel, die teilweise unter die Gürtellinie trafen, machten ihr sehr zu schaffen. Die Gefühlsduseleien mit ihren Verflossenen hatten vom Ziel, die Weltspitze zu erklimmen, abgelenkt. Wie eine Gestörte hatte Aurora seit dem Jahreswechsel mit Sofia trainiert und ein Turnier nach dem anderen gespielt. Was hatte es ihr gebracht? Gerade einmal fünf Plätze war sie in der Profirangliste nach oben geklettert. Bis zum eingeforderten Platz unter den Top 30 war es noch ein langer Weg.
In ihr war ein infamer Plan gereift. Bei diesem spielte Pietro eine zentrale Rolle. Sie hatte ihn genau beobachtet beziehungsweise beobachten lassen. Er war ein Schönling und Partylöwe, der sich seiner Wirkung auf das weibliche Geschlecht bewusst war. Bis jetzt hatte sie ihm die kalte Schulter gezeigt, aber das sollte sich heute Abend ändern. Sie stand schon immer auf Bad Boys wie Pietro. Er sollte ihr in vielfacher Hinsicht helfen. In schwachen Momenten schämte sie sich für ihre Durchtriebenheit, aber in der letzten Nacht hatte sie alles ganz klar analysiert. Schon von Kindesbeinen an war das Streben nach sportlichem Erfolg die Triebfeder ihres Lebens, Siege die Quelle ihres Glücks. Auf dem Weg zur Weltspitze war kein Platz für moralische Skrupel.
Aurora betrachtete sich im Spiegel ihres Hotelzimmers und lächelte diabolisch. Ihr gefiel, was sie sah. Das eng geschnittene rote Kleid passte perfekt. Es betonte ihre weiblichen Reize. Ihr Herz schlug bis zum Hals, angeheizt von der Vorfreude auf das Rendezvous. Das lange blonde Haar glänzte mit dem Schimmer ihres Lipgloss‘ um die Wette. Aurora hatte Pietro in das edelste Lokal der toskanischen Gemeinde Talamone eingeladen.
Ihr Date-Partner wartete bereits vor dem Eingang. Mit dem Hüftschwung eines Profimodels aus Mailand gelang es ihr, die mit Kopfsteinen gepflasterte Gasse in High Heels elegant zu überqueren. Pietro begrüßte sie mit einem anerkennenden »Ciao, Bella«. So hatte er sie noch nie genannt. Ihr Auftritt erzielte offensichtlich die gewünschte Wirkung.
Sie hatte bei der Reservierung mit ein paar Scheinchen dafür gesorgt, dass sie an einem der vier beliebten Zweiertische Platz nehmen durften. Die vordere Reihe der Freiterrasse gab den direkten Blick auf das Meer frei. Am Horizont kreuzte eine Segelyacht im Lichtkegel der untergehenden Sonne. Aus einem Lautsprecher ertönte eine Ballade von Simon und Garfunkel, abgespielt von einer knisternden Vinyl-Schallplatte.
Pietro kratzte sich an den pechschwarzen Bartstoppeln seines markanten Kinns. Die Finger seiner anderen Hand bewegten sich auf der Tischdecke im Takt der Hintergrundmusik, während Aurora sich intensiv der Speisekarte widmete. Sein Blick landete auf ihrem Dekolleté. Aurora schmunzelte. Sie hatte absichtlich nicht mit ihren Reizen gegeizt. Nachdem sie ihre Essenswahl getroffen hatte, gab sie ihm unvermittelt einem kleinen Klapps auf seinen Handrücken.
»Na, du scheinst vertieft. Können wir uns trotzdem unterhalten?«, fragte Aurora amüsiert.
»Was? Ja.«
Sie meinte, trotz seines dunklen Teints ein leichtes Erröten zu erkennen.
»Hat dir das Training gefallen?«
»Ja schon. Enrico kann echt anstrengend sein, aber das Training ist effektiv. Ich habe mich inzwischen an seinen Drill gewöhnt.«
»Das ist gut, da ich noch einiges mit dir vorhabe.« Ihre Ankündigung unterstrich sie mit einem lasziven Augenaufschlag.
Pietro grinste verwegen.
»Das klingt heiß. Was denn?« Neugierig geworden, lehnte sich Pietro vor.
Aurora straffte ihre Schultern und hob ihr spitzes Näschen. »Ich würde dich gerne für diese Saison als meinen Trainingspartner verpflichten«, antwortete sie in einem geschäftsmäßigen Tonfall.
Ein Lächeln umspielte seine Lippen. »Alles eine Frage des Preises«, witzelte er.
»Ich meine es ernst. Ich werde dein Gehalt von meinen Erfolgen abhängig machen. Zwei Prozent vom Preisgeld sollten genügen. Zusätzlich ist in den Turnier- und Vorbereitungsphasen Kost und Logis für dich frei – wie bei meinen anderen Angestellten«, eröffnete sie ihm trocken ihre Vorstellungen.
»Das ist ja wohl ein Joke. Und was mache ich, wenn die feine Lady verliert? Dafür kann ich doch nichts.«
»Ich habe nicht vor zu verlieren. Aber für den Fall der Fälle, könntest du sehr wohl was dafür. Dann hättest du als Motivator versagt. Das musst du doch verstehen.«
»Na super, und wie wünscht meine potenzielle Arbeitgeberin motiviert zu werden?«
»Das hängt von der Situation ab. Aber eines ist sicher, du musst alles geben. Im Profibereich entscheiden Nuancen über Sieg oder Niederlage. Ich erwarte absolute Professionalität. Capito?« Sie versuchte, ihre Forderung mit einem Lächeln abzumildern. Es war an der Zeit, sich zu öffnen. Eine erste gemeinsame Nacht sollte nur den Anfang machen. »Für heute Abend wäre ich schon damit zufrieden, wenn du einfach nur nett und charmant zu mir bist. Capito?«, ergänzte Aurora mit einem Augenzwinkern.
»Du mit deinem Capito. Ich bin doch nicht blöd. Aber das mit heute Abend geht klar. Bei einer Schönheit wie dir fällt es mir nicht sonderlich schwer, nett zu sein«, säuselte er amüsiert.
»Oberflächlich bist du gar nicht, oder?«
Pietro lächelte etwas schräg. »Ich bin nicht so primitiv, wie du mich vielleicht einschätzt. Immerhin bin ich hier im Ort der einzige meines Jahrgangs, der in Orbetello das Abitur gemacht hat.«
»Aha. Soll mich das jetzt etwa beeindrucken? So schön Talamone auch ist, es ist ein Kaff.« Sie atmete tief ein. »Und was hast du studiert?«
»Gar nichts«, gestand Pietro, »aber als Tochter des Mailänder Bürgermeisters war das bei dir wahrscheinlich ein Muss. Ich treffe meine Entscheidungen selbst.«
Ihre Augen trafen sich zu einem kurzen, intimen Moment. Sein Blick drang tief in ihre Seele. Pietro hatte durch die Anspielung auf ihren mächtigen Vater einen wunden Punkt getroffen.
»Sorry, ich sollte nicht so garstig sein. Was würde dich denn interessieren?«, lenkte Aurora ein.
»Am meisten Tennis. Eigentlich wollte ich auch Tennisprofi werden.« Er rieb sich die Stirn. »In der Schule war ich nur in Sport gut. Wenn überhaupt hat mich noch Geschichte und Design interessiert, aber was will man damit schon anfangen?«, ergänzte er nachdenklich. »Na ja, und was meine andere Leidenschaft angeht … Ach, vergiss es, das ist blöd. Daran habe ich selbst schon lange nicht mehr gedacht.«
Aurora nickte anteilnahmslos.
Sie hatte Pietro nicht nur von ihrem Manager, sondern auch von ihrer Fitnesstrainerin observieren lassen, so konnte sie sich ein vollumfängliches Bild von ihm verschaffen. Giulia hatte Auroras Bauchgefühl bestätigt: Er zog die Frauen an wie das Licht die Motten. Pietro hatte die letzten Abende im örtlichen Club verbracht und diesen zweimal turtelnd mit je einer anderen Tussi verlassen.
»Er fickt und kifft sich durchs Leben. Auf so einen Typen könnte ich verzichten«, hatte Giulia abschließend in ihrer Berichterstattung geurteilt.
Pietros Lebenswandel störte Aurora nicht. Im Gegenteil. Ihr Bad Boy passte zu der Rolle, die sie für ihn vorgesehen hatte.
Zum Aperitif genehmigten sich Aurora und Pietro einen Champagner. Seine Blicke weckten ihr Interesse. Ihre Augen flirteten miteinander. Spätestens jetzt war sich Aurora sicher: Sie würde den Sex mit ihm genießen. Ihre Vorfreude stieg. Auch wenn ihr Gespräch einem aggressiven Schlagabtausch auf dem Platz glich, der erotische Vibe zwischen ihnen war unverkennbar. Ihre vernachlässigten Hormone jubilierten bereits. Sie würde ihn, wie es sich für eine Lady geziemte, noch ein wenig zappeln lassen und seinem männlichen Ego das Gefühl gönnen, sie verführt zu haben. Er hing bereits am Haken. Sie plante, ihn als Liebhaber und im Interesse ihrer sportlichen Ziele an sich zu binden.
Ihr Gespräch war ins Stocken geraten. Pietro winkte den Kellner herbei und verhinderte damit ein unangenehmes Schweigen. Als Hauptgang bestellte Aurora einen Salat mit Meeresfrüchten. Pietro wählte Pasta mit Venusmuscheln und orderte eine Karaffe Vino Grigio aus Venezien. Der Lokalmatador gab sich galant und schenkte Aurora Wein ein. Normalerweise trank sie kaum Alkohol, aber heute war ihr danach. Pietro verstand sich darauf, die Muscheln stilvollendet mit Gabel und Löffel zu essen. Seine genussvolle Art zu speisen, besaß einen Hauch von Erotik. Während sie in ihrem Salat stocherte, lenkte Pietro das Gespräch auf die Geschichte seiner Heimatgemeinde.
Er schilderte ihr ausgehend von Telamon, dem Sohn des Aiakos‘, der unter dem Felsvorsprung des Ortes begraben sein sollte, die Entstehung von Talamone. Die Geschichte seiner Heimat sprudelte regelrecht aus ihm heraus. Aurora betrachtete seinen Kussmund und spielte dabei verführerisch mit ihren langen blonden Haaren. Nachdem er mit seinen Ausführungen immerhin schon in der Zeit von Barbarossa im Jahr 1544 angekommen war, stoppte Aurora seinen Redeschwall.
»Pietro, sei mir nicht böse. Du kennst dich gut aus, aber Vorträge bekomme ich von meinem Vater genug. Das ist nicht so mein Ding. Lass uns lieber noch etwas trinken und den Abend genießen. Capito?« Aurora musste über sich selbst kichern.
Pietro bestellte schmunzelnd eine weitere Karaffe Vino Grigio. Die Sonne war längst hinter dem Horizont des spiegelglatten Meeres versunken. Inzwischen erhellte der an der Hafeneinfahrt thronende Leuchtturm den Abendhimmel. Weinselig ließen sie gemeinsam ihre Blicke über die See schweifen und schwärmten in gefundener Harmonie über das fast kitschig schöne Ambiente. Die flackernde Kerze auf ihrem Tisch ließ Auroras Haar rötlich schimmern. Ihre Augen trafen sich im sanften Schein des Lichts, um mit einem sinnlichen gemeinsamen Spiel in die Welt der Lust zu entfliehen.
Eine wohlige Wärme durchströmte Auroras Körper. Sie kam ihm unwillkürlich entgegen, als er sich zu ihr hinüberlehnte, um sie zu küssen. Es gab kein Zurück. Seine Lippen fühlten sich weich und warm an. Das einfühlsame Spiel seiner zärtlichen Zunge elektrisierte ihren Körper.
Pietro hatte schon mit vielen Frauen geschlafen.
Die Nacht mit Aurora hatte ihren besonderen Reiz. Sie beglückte ihn in ihrer Lust mit einer spannenden Mischung aus Hingabe und Dominanz. Ihr weiblicher Körper war trotz ihres harten Trainings weich und anschmiegsam. Ihre makellose Haut entfaltete in Erregung einen sinnlichen moschusartigen Duft, der ihn wie eine Droge bis tief in die Nacht berauschte.
Obwohl sie erst gegen vier Uhr eingeschlummert waren, rüttelte Aurora ihn wach, als die ersten Sonnenstrahlen durch den Spalt der schweren Vorhänge drangen.
»Was ist? Lass mich«, grummelte er schlaftrunken.
Aurora saß splitternackt neben ihm. Kerzengerade aufgerichtet, lehnte sie sich an die Rückfront des Kingsize Bettes.
»Ich muss mit dir reden.«
»Später, ich bin noch wie tot.« Pietro gähnte und drehte sich demonstrativ von ihr weg.
Aurora kannte kein Erbarmen und kniff ihm in den Po. »Nix da, ich habe heute ein volles Programm.«
»Du kennst echt keine Gnade«, jammerte er.
»Jetzt stell dich nicht so an und hör mir bitte genau zu. Es ist verdammt noch mal wichtig.« Ihr barscher Tonfall rüttelte ihn auf. »Meine Ziele im Sport sind nicht kompatibel mit einer Beziehung, schon gar nicht mit einem Gigolo wie dir. Aber keine Sorge. Du fickst gut. Das können wir gerne weiterlaufen lassen.«
Perplex drehte sich Pietro zu ihr um. Ihr nackter Körper gefiel ihm weitaus besser als ihre herrisch klingenden Worte.
»Na also. Gut. Du wirst mein offizieller Trainingspartner – und unsere Dates bleiben geheim. Als mein Liebhaber sorgst du vor wichtigen Spielen für meine Entspannung. Die Öffentlichkeit geht das nichts an. Lediglich meinen Manager und meinen Trainer werde ich über deine Zusatzrolle informieren. Ich erwarte absolute Diskretion. Capito? Das ist mir extrem wichtig.«
Pietro richtete sich ebenfalls auf und streckte sich. »Unfassbar. Ich soll also dein heimlicher Deckhengst sein.«
»Nein. Liebhaber passt besser. Ich möchte schließlich nicht schwanger werden, sondern nur meinen Spaß. Das kommt Männern wie dir doch entgegen.«
Pietro schüttelte ungläubig den Kopf und kratzte sich an seiner behaarten Brust.
»Du spinnst. Bist du tatsächlich so abgebrüht?«
»Was heißt hier abgebrüht? Kerle wie du sind doch kein Jota anders, spiele mir jetzt nicht das Sensibelchen.«
»Woher willst du wissen, wie ich ticke? Ich werde mir das Ganze überlegen. Du musst schon zugeben, dass das alles sehr skurril klingt. Und überhaupt … Ich bin hier verwurzelt, meine Mutter benötigt meine Hilfe auf der Olivenplantage. Ich habe ohnehin schon ein schlechtes Gewissen, weil ich sie zu wenig unterstütze und nur mein eigenes Ding mache.«
»Dein Problem, wenn du hier versauern willst. Manche Chancen bekommt man nur einmal im Leben.« Sie rückte näher und lehnte sich an seine Schulter. »Ich biete dir eine langfristige Zusammenarbeit und erhöhe dein Honorar auf drei Prozent.«
»Wow. Immerhin ein Prozent sind dir also meine Extradienste wert.«
»Das kannst du sehen, wie du willst.« Aurora grinste und schwang sich auf seinen Schoß. Sie ließ ihre Hüften leicht kreisen.
»Hör auf, wie soll ich mich da konzentrieren?«
»Nächste Woche beginnt das Turnier in Rom. Bis spätestens Mittwoch erwarte ich eine Entscheidung von dir.«
Sie streichelte ihn sanft über seine rechte Wange. »Ich bettle nicht, aber ich würde mich freuen, wenn du zusagst«, säuselte sie, ihren Mund wenige Zentimeter von seinen zusammengepressten Lippen entfernt.
Er wandte sich halbherzig von ihr ab. Als Aurora eine Hand in seinen Nacken legte, zog er sie an sich. Ihre samtweiche Haut erregte ihn. Seine Lippen legten sich auf ihre. Seine Begierde war erneut entfacht.
Eine Stunde nach dem morgendlichen Liebesspiel lag Aurora auf der Massagebank und genoss Sofias geübten Hände. Ihre Stirn ruhte auf dem weichen Polster, das oberhalb der Öffnung für das Gesicht angebracht war.
»Du bist heute so schweigsam. Was ist los mit dir?«, fragte Sofia, nachdem sie ihrer Freundin bereits eine halbe Stunde sowohl den Rücken als auch die Beine massiert hatte. Normalerweise war beim Wellnessprogramm Smalltalk angesagt.
»Ich muss mit dir reden und weiß nicht, wie ich dir die Sache erklären soll.«
Sofia gab ihrer Arbeitgeberin und Freundin einen sanften Klapps auf den mit einem dünnen Tuch bedeckten Po. »Jetzt sag schon! Du bist doch sonst nicht so schüchtern.«
Nach kurzem Zögern rückte Aurora mit der Sprache heraus: »Es geht um dein Engagement als meine Trainingspartnerin. Ich möchte es beenden.«
»Was?« Sofia war fassungslos. »Das teilst du mir einfach so mit und schaust mir dabei nicht einmal in die Augen.«
»Du musst das verstehen. Ich möchte die Weltspitze erklimmen, da darf ich keine Kompromisse eingehen. Capito?«
»Kompromisse? Noch vor Kurzem hast du mich gebeten, keine Doppel- und Mixed-Turniere mehr zu spielen. Ich sollte mich ganz auf deinen Erfolg konzentrieren. Was sollte da dein Geschwätz, dass wir ein Team sind und du mit mir den Erfolg teilen möchtest? Du bist echt das Letzte.«
»Jetzt werde nicht beleidigend. Alles hat seine Zeit. Ich habe nachgedacht. In meiner aktuellen Situation brauche ich neue Impulse. Die bekomme ich von Pietro, er wird dich ablösen. Mit dir trete ich zu sehr auf der Stelle.«
Sofia schnaubte. Aufgebracht zerrte sie am rechten Arm ihrer Freundin. »Dreh dich um. Ich möchte, dass du mir in die Augen schaust.«
Widerwillig drehte sich Aurora auf den Rücken.
Sofia sah die Spuren der Nacht sofort. Ihre dunkelbraunen Augen fixierten eine Stelle an Auroras Hals. Dort befand sich ein riesiger Knutschfleck.
»Jetzt ist mir alles klar. Du bist so eine Bitch. Du bumst mit ihm.«
»Und wenn schon. Sei froh, dass ich dich als Physio weiterbeschäftige!«
»Du bist so eine hochnäsige Schlampe.«
Sofia eilte aus dem Raum und knallte die Tür hinter sich zu.
Aurora schluckte. Sie hörte die Stimme ihres Vaters: »Für den Erfolg musst du manchmal ein Schwein sein.« Eine Träne kullerte über ihre Wange.
In den folgenden Tagen verhielt sich Aurora Pietro gegenüber, als ob nichts geschehen wäre. Ihr Verhalten glich dem eines Kaninchens vor der Schlange. Pietro machte keine Anstalten, erneut mit ihr im Bett zu landen, und auch Aurora tat so, als hätte sie diesbezüglich das Interesse verloren.
Erst am Donnerstagabend sprach sie ihn beim Verlassen des Platzes an. »Hast du heute Abend Bock auf mich?«
Pietro schüttelte ungläubig den Kopf.
»Okay, auch gut. Dein Problem. Manche Angebote bekommt man nur einmal im Leben«, behauptete sie kühl.
»Nein, so war das nicht gemeint. Ich war nur überrascht. Natürlich freue ich mich auf eine Nacht mit dir. Ich dachte schon …«
»Du hättest ja fragen können«, unterbrach sie ihn und zwinkerte Pietro dabei versöhnlich an.
Ein Lächeln umspielte seine Lippen. »Ich ging davon aus, du möchtest die Initiative ergreifen, schließlich legst du ja Wert darauf, die Chefin zu sein.«
»Alles klar. So machen wir das zukünftig immer. Das vereinfacht es. Ich erwarte dich um zehn Uhr in meiner Suite.« Auroras letzter Satz klang wie ein Befehl, der keine Widerrede zuließ.
Pietro salutierte wie ein Soldat. »Aye, Aye, Ma´am.«
Mit der Mimik einer strengen Vorgesetzten ging Aurora auf das militärische Rollenspiel ein und erhob ihr Kinn.