Royals of Nightfall. Dämonenfluch (Royal Shadows 1) - Julia Kuhn - E-Book

Royals of Nightfall. Dämonenfluch (Royal Shadows 1) E-Book

Julia Kühn

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Beschreibung

Die neue Fantasyserie der »Ravenhall Academy«-Bestsellerautorin Julia Kuhn! »Britische Royals, Londoner High Society und dunkle Dämonen – eine Mischung, von der ich nicht wusste, wie sehr ich sie brauche. Was für ein filmreifer Auftakt!« (SPIEGEL-Bestseller-Autorin Beril Kehribar) Kaum jemand weiß über die britische Königsfamilie so gut Bescheid wie Felicia. Als Royal Secret Girl bloggt sie täglich über die Ups und Downs im Buckingham Palace und begeistert Hunderttausende von Fans. Doch dann wird Felicia mitten in London von einem Dämon angegriffen und kommt nur knapp mit dem Leben davon. Glück im Unglück, denn ihr geheimnisvoller Retter lässt beim Kampf mit der Kreatur ein Amulett fallen, das Felicia hinter das bestgehütete Geheimnis der Stadt bringt: Die Royal Guards sind in Wahrheit Londons Dämonenjäger und ihr Beschützer niemand Geringeres als Prinz Jasper selbst. Ausgerechnet er soll sie nun im Kampf gegen das Übernatürliche ausbilden, nicht ahnend, wer Felicia wirklich ist … Forced Proximity trifft auf Secret Identity in einem atemberaubend düsteren Setting im Herzen Londons. Der Auftakt zur hoch romantischen Fantasy-Trilogie von SPIEGEL-Bestseller-Autorin Julia Kuhn. //Alle Bände der Buchreihe: - Royals of Nightfall. Dämonenfluch (Royal Shadows 1) - Royals of Midnight. Rabenfluch (Royal Shadows 2) - Royals of Darkness. Schattenfluch (Royal Shadows 3)//

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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ImpressDie Macht der Gefühle

Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.

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Julia Kuhn

Royals of Nightfall. Dämonenfluch (Royal Shadows 1)

Kaum jemand weiß über die britische Königsfamilie so gut Bescheid wie Felicia. Als Royal Secret Girl bloggt sie täglich über die Ups und Downs im Buckingham Palace und begeistert Hunderttausende von Fans. Doch dann wird Felicia mitten in London von einem Dämon angegriffen und kommt nur knapp mit dem Leben davon. Glück im Unglück, denn ihr geheimnisvoller Retter lässt beim Kampf mit der Kreatur ein Amulett fallen, das Felicia hinter das bestgehütete Geheimnis der Stadt bringt: Die Royal Guards sind in Wahrheit Londons Dämonenjäger und ihr Beschützer niemand Geringeres als Prinz Jasper selbst. Ausgerechnet er soll sie nun im Kampf gegen das Übernatürliche ausbilden, nicht ahnend, wer Felicia wirklich ist …

Forced Proximity trifft auf Secret Identity in einem atemberaubend düsteren Setting im Herzen Londons. Der Auftakt zur hoch romantischen Fantasy-Trilogie von SPIEGEL-Bestseller-Autorin Julia Kuhn.

Wohin soll es gehen?

Schreibplaylist von Royal Secret Girl

Buch lesen

Liste der Dämonenarten

Danksagung

Vita

© Selina Marie Photography

Julia Kuhn wurde 1996 im Süden Baden-Württembergs geboren und lebt mit ihrem Mann auch heute noch dort. Wenn sie nicht gerade an neuen Büchern schreibt, reist Julia gerne nach London, schwelgt in Buchwelten und teilt ihren Alltag als Autorin auf ihrem bekannten Instagram- und TikTok-Account. Ihre bisher erschienenen Fantasyromane hielten sich wochenlang auf der SPIEGEL- und TikTok-Bestsellerliste und begeistern Zehntausende von Leser*innen.

Für meine Herzensstadt London

Schreibplaylist von Royal Secret Girl

Kings & Queens – Ava Max

Red Kingdom – Tech N9ne

Bussin – Bemax

Heroes (we could be) – Alesso, Tove Lo

Glade You Came – VIZE

In The End – Black Veil Brides

Teenagers – My Chemical Romance

The Phoenix – Fall Out Boy

Centuries – Fall Out Boy

Time Won’t Wait – Sum41

London – Italo Brothers

All This Love – Robin Schulz, Harloe

Let It Be Me – David Guetta, Ava Max

Stay Young – Mike Perry, Tessa

Million Places – R3HAB, W&W

Heart Attack – Demi Lovato

Prinzessin Leonora feiert ihren Geburtstag! Und wie jedes Jahr findet eine prunkvolle Feier in einer geheimen Location statt. Seid ihr auch so gespannt, was die Princess of Hearts für ein Kleid tragen wird? Immerhin beeinflusst sie die aktuelle Modewelt und ziert die Cover etlicher Magazine.

– GEPOSTET VOR ZWEI STUNDEN VON ROYAL SECRET GIRL –

Die Welt der Reichen und Schönen. Ein Ort, an dem Helligkeit auf Dunkelheit trifft. Wo Freundschaft und Feindschaft Hand in Hand gehen. Und ich war mittendrin.

Andächtig ließ ich meinen Blick zwischen die hohen Marmorsäulen wandern. Goldgerahmte Gemälde vergangener Berühmtheiten glänzten mit den Kronleuchtern an der stuckverzierten Decke um die Wette. Alles in diesem Saal erweckte den Anschein von nahezu vollendeter Eleganz. Genau wie die Adeligen, deren Gesprächsthemen sich um Pferderennen und die neueste Mode drehten. Und zwischendrin Prominenz aus Film und Fernsehen, die in der Pracht und dem Luxus des Adels schwelgen wollte.

Doch bei all dieser scheinbaren Perfektion wusste ich von den Schattenseiten dieser Welt. Wusste von all den Geheimnissen, Intrigen und Verschwörungen. Wusste, dass viele royale Freundschaften auf Missgunst, Neid und Vorurteilen basierten. Und allem voran, dass ich unentdeckt bleiben musste. An diesem Abend, an diesem Ort, in diesem Saal.

Meine Maske aus schwarzen Federn verbarg, wer ich war und dass ich nicht hierhergehörte. Und dennoch trug ich ein Kleid, das den Anschein erweckte, ich würde dazugehören.

Langsam löste ich meinen Blick von den Gemälden an der Wand und konzentrierte mich auf den Grund meines Hierseins. Die Geburtstagsfeier von Prinzessin Leonora. Auch wenn ich im Gegensatz zu all den anderen Anwesenden nicht offiziell eingeladen war, freute ich mich für die Princess of Hearts – wie sie liebevoll vom britischen Volk genannt wurde.

»Denk daran, bis Mitternacht musst du verschwunden sein …«, hörte ich eine mir bekannte Stimme hinter mir sagen.

»Dann fallen die Masken, ich weiß«, flüsterte ich zurück und lächelte meine beste Freundin an.

Sie balancierte ein übervolles Tablett mit Champagnergläsern an mir vorbei. »Und denk an unsere Abmachung: keine Fotos, keine Notizen! Nichts, was dich als Journalistin enttarnen könnte«, raunte sie mir zu.

»Sie werden es nicht erfahren. Außerdem bin ich anonyme Journalistin«, antwortete ich fast tonlos und zupfte den Saum meines Kleides am Dekolleté zurecht. »Am meisten würdest du vermutlich deinen Grandpa verärgern.«

Nun schlich sich doch ein Funkeln in Freyas braune Augen. Ich wusste genau, was es bedeutete. Ihr gefiel die Vorstellung, ihren Grandpa mit solch einem Skandal herauszufordern. Schließlich sah er es nicht gerne, dass sie neben ihrem Studium kellnerte und in einer Bar aushalf. Für ihn gehörte sie zu den Adeligen. Genau wie er.

»Bring mich nicht auf Ideen, Felicia«, tadelte sie über die Schulter hinweg, ehe sie sich schnellen Schrittes von mir wegbewegte.

Ein Schmunzeln unterdrückend, nahm ich die Gäste genauer in Augenschein. Ich brauchte dringend Inspiration für meinen Blog. Deswegen war ich hier. Die Leserschaft des Royal Secret Girl wartete auf neue Geschichten über die Royals und sollte nicht enttäuscht werden. Fünf Jahre war es her, dass der erste Beitrag online gegangen war. Und mittlerweile folgten mir Menschen auf der ganzen Welt und schickten mir laufend Insiderinformationen zu der königlichen Familie. Ob sie der Wahrheit entsprachen oder nicht, war ihnen – im Gegensatz zu mir – völlig gleichgültig. Ich hätte es früher nie für möglich gehalten, aber mein Blog gehörte seit einem Jahr zu den bekanntesten Quellen über die königliche Familie in Großbritannien.

In meiner Ausbildung, die ich vor zwei Jahren bei einer Lifestyle-Zeitschrift abgeschlossen hatte, war mir oftmals nahegelegt worden, jeglichen Klatsch und Tratsch auszuschlachten. Zwar wusste ich, dass dies nicht auf alle Sparten im Journalismus zutraf, aber diese Zeitschrift hatte von den Schlagzeilen zu den Royals gelebt.

Glücklicherweise lag diese Zeit hinter mir und ich konnte mich ganz auf meinen Job als Royal Secret Girl konzentrieren. Hier hatte ich von Anfang an über die Welt der königlichen ­Familie schreiben können, ohne Negativität oder Falschinformationen Programm werden zu lassen. Und darauf war ich mehr als stolz.

Ich schlängelte mich an den Menschen vorbei, die in die schönsten und teuersten Kleider gehüllt waren. Und dann sah ich sie. Prinzessin Leonora. Und wie immer verschlug es mir bei ihrem Anblick den Atem. Sie saß an einem der prachtvoll dekorierten Tische und unterhielt sich angeregt mit ihren Freundinnen. Ihr kurzes schwarzes Kleid schmiegte sich perfekt an ihren Körper und wurde bloß von der Kette aus roten Kristallherzen um ihren Hals übertroffen. Die eingeflochtenen Diamanten in dem langen hellbraunen Haar, das ihr elegant über den Rücken floss, rundeten ihr Outfit ab. Sie war wirklich nicht nur die Prinzessin der Herzen, sondern auch die der Modewelt. Kaum jemand schaffte es, so viele Trends zu setzen, wie sie es tat. Eine Stilikone, die all den Adeligen mit ihren Hüten und knielangen akkuraten Röcken die Show stahl.

Vermutlich war das auch der Grund, weshalb ich am liebsten über sie schrieb. Weil sie tagtäglich neue Gründe lieferte, die Leser und Leserinnen zu fesseln. Wobei das eigentlich auch für ihren Bruder Jasper galt, Bad-Boy-Prinz durch und durch. Er hatte sich erst vor wenigen Minuten zu seiner jüngeren Schwester gesellt und damit all die Blicke ihrer Freundinnen auf sich gezogen, was ich ihnen nicht verdenken konnte. Seine silberne Maske verdeckte zwar die Partie um seine grünen Augen, schmälerte jedoch keineswegs deren eindringliches, hervorstechendes Schimmern. Gerade schenkte er einer der Frauen sein umwerfendes Lächeln, das etliche Magazincover schmückte. Eindrucksvoll und selbstbewusst. Alles an ihm strahlte eine Autorität aus, die meine Knie unwillkürlich weich werden ließ. Ob ich wollte oder nicht.

Ich konnte meinen Blick selbst dann nicht von ihm lösen, als er wieder aufstand, sich durch sein leicht zerzaustes braunes Haar strich und sein weißes Hemd richtete, das in einer verboten tief sitzenden Anzughose steckte. Ich schluckte schwer, als Prinz Jasper den Frauen noch einmal zulächelte und dann durch den Saal schlenderte.

Gebannt beobachtete ich, wie er einige Gäste begrüßte und sich dann mit dem Sänger von Maze Guys unterhielt. Die Rockband beherrschte aktuell die Charts und wurde von den royalen Geschwistern für ihre Lyrics gefeiert. Prinz Jasper und seine Schwester hatten die Band vor Kurzem auf ihrer Tour durch die USA besucht und für etliche Schlagzeilen gesorgt. Unwillkürlich wanderten meine Gedanken zu einem Bild, das vor einiger Zeit in den sozialen Medien aufgetaucht war. Es hatte gezeigt, wie Prinz Jasper zusammen mit Maze Guys die letzten Minuten vor ihrem Auftritt mit einem Song einläutete. Die Fans waren begeistert gewesen.

Royal meets Rockstar!

Prinz Jasper rockt!

Wir wollen mehr königliche Rockstar-Storys!

Das waren nur ein paar der digitalen Reaktionen auf diesen Abend gewesen. Vielleicht würde sich das ja heute Abend wiederholen … Schließlich würden Maze Guys mit ihrem neuesten Song bei der wohl angesagtesten Feier Großbritanniens auftreten. Ganz, wie es sich für den Geburtstag einer Prinzessin gehörte.

Für einen Augenblick überschlugen sich meine Gedanken. Wenn ich erneut Bilder von Prinz Jasper und der Band bekommen könnte, hätte sich dieser Abend für mich gelohnt. Aber dafür musste ich Prinz Jasper unauffällig folgen. Einen Moment lang zögerte ich, gab mir dann jedoch einen Ruck. Ich raffte mein rosafarbenes Kleid aus feiner Seide, das mir überraschenderweise von einem Sponsor zugesandt worden war, und bewegte mich zügigen Schrittes durch die feiernde Menge.

»Hey, pass doch auf!«, rief eine Frau mit extravaganter dunkelroter Maske, als ich an ihr vorbeilief und dabei fast das Champagnerglas in ihrer Hand zu Boden gefegt hätte.

»’tschuldigung«, nuschelte ich in ihre Richtung und seufzte innerlich über meine Ungeschicklichkeit, die meistens in den unpassendsten Momenten auftauchte. Doch diesen Gedanken verwarf ich im selben Augenblick wieder, als ich Prinz Jasper entdeckte, der die Tür neben der Bühne aufzog und hinter ihr verschwand.

Verflucht. Ich hatte keine Ahnung, wo die Tür hinführte. Ohne weiter darüber nachzudenken, ließ ich meinen Blick über die feiernde Menge schweifen, um sicherzugehen, dass mich niemand beobachtete. Zu meiner großen Erleichterung warteten alle gespannt auf die Band und schienen bloß Augen für die Bühne zu haben, auf der nun ein Moderator aufgetaucht war. Ich atmete tief ein und aus und lief zielsicher auf die Tür zu. Nur noch wenige Schritte, dann hatte ich es geschafft. Wie automatisch streckte ich meine Hand aus, um nach dem Türgriff zu greifen … als plötzlich ein Mann vor mir auftauchte und mir den Weg versperrte. Verdammt.

Zähneknirschend musterte ich ihn. Im Gegensatz zu den anderen Gästen trug er keine Maske und alles an ihm schrie nach Bodyguard.

»Das ist der Backstagebereich der Band. Sie können hier nicht rein«, sagte er und verschränkte die Arme vor der Brust.

Fieberhaft suchte ich nach einer Ausrede. Und wie so oft, wenn ich nervös war, zwirbelte ich dabei automatisch eine meiner Haarsträhnen zwischen den Fingern. Ich senkte den Blick, wobei mir das leichte Lila meiner Haarsträhne ins Auge fiel. Natürlich! Das war die Lösung! Endlich machte sich die Haarfärbe-Aktion mit meinem Bruder Sam vor einigen Tagen bezahlt. Ich hatte kurz zuvor eine Dramaserie gesehen und mich von meinem Bruder zu den gleichen lila Haarsträhnen, wie sie die Hauptdarstellerin in der Serie trug, überreden lassen. Mittlerweile war die Farbe zum Großteil wieder rausgewaschen, aber für ein kleines Täuschungsmanöver sollte es reichen.

»Ich bin die Freundin von Braxton, und wie Sie vielleicht wissen, ebenfalls eine gute Freundin der Prinzessin. Würden Sie mich also bitte durchlassen, damit ich meinem Freund vor seinem Auftritt viel Glück wünschen kann? Ich nehme mal an, Sie kennen unser Ritual. Und Sie wollen doch nicht, dass Braxton bei seinem Gitarrensolo ein Fehler unterläuft?« Übertrieben klimperte ich mit meinen Wimpern, auch wenn der mürrische Bodyguard diese Geste wegen meiner Maske vermutlich nicht sehen konnte.

Für ein, zwei Sekunden musterte er mich prüfend, dann nickte er grimmig und machte mir den Weg frei.

Erleichtert eilte ich an ihm vorbei, bevor er es sich noch einmal anders überlegte. Während die Tür hinter mir ins Schloss fiel, orientierte ich mich und hielt Ausschau nach dem Prinzen. Ich befand mich in einem Gang, von dem etliche Türen abgingen. Nur durch welche war er verschwunden? Na großartig. Bevor ich jedoch entscheiden konnte, was ich nun tun sollte, kamen zwei der Bandmitglieder um die Ecke geschlendert. Und zwar ausgerechnet Braxton, der Gitarrist, und Dylan, der Schlagzeuger der Band. Shit. Es fehlte nur noch, dass sie mich fragten, was ich hier tat, und mich baten, meine Maske abzunehmen. Ich musste mich verstecken, und zwar schnell. Zügig lehnte ich mich unauffällig an die gegenüberliegende Tür, öffnete sie und stahl mich hindurch.

Doch als mir die Kälte der Herbstnacht entgegenschlug, wusste ich, dass ich definitiv die falsche Tür gewählt hatte. Mir entwich ein verärgerter Seufzer. Ich hatte den Hinterausgang erwischt. Wie viel Pech konnte man eigentlich haben? Schnell wirbelte ich herum und wollte die zufallende Tür aufhalten, aber es war bereits zu spät.

Schnaubend verdrehte ich die Augen. Dieser Plan war offensichtlich nach hinten losgegangen. Und ohne Einladung war es unmöglich, wieder reinzukommen. Frustration machte sich in mir breit. Ich hatte nicht annähernd das aus dem Abend herausgeholt, was meine Leserschaft von mir erwartete. Ich seufzte auf und stemmte die Hände in die Hüften. Zumindest etwas Positives hatte es: Ich würde vermutlich noch vor allen anderen Klatschmagazinen berichten können, was Prinzessin Leonora heute Abend getragen hatte.

Mit aufeinandergepressten Lippen nahm ich meine Maske ab und blickte mich um. Ich war in einer Seitengasse gelandet, in der Nähe der Paddington-Station. Und da das Hotel, in dem dieses Jahr die Geburtstagsparty der Prinzessin stattfand, nicht weit von unserer Wohnung entfernt war, entschloss ich mich kurzerhand, die paar Hundert Meter zu Fuß zu bewältigen. Ich strich mir die Haarsträhnen zurück, die mir dank meines ausgewachsenen Ponys immer ins Gesicht fielen, und setzte mich in Bewegung. Doch kaum war ich ein paar Meter gegangen, überdachte ich meine Entscheidung.

Die Kälte nahm mit jedem Schritt zu und eine Gänsehaut breitete sich auf meinen Armen aus. Bibbernd verschränkte ich sie und beschleunigte meine Schritte. Aber die Kälte schien weiter zuzunehmen … es wirkte beinahe so, als würde sie sich in meinem Inneren ausbreiten. Durch meine Adern fließen und meine Gefäße erstarren lassen. Merkwürdig. Sonst hatte ich nie so ein Problem mit Kälte …

Und noch während ich darüber nachdachte, hallte ein Grölen durch die Gasse. Sofort schoss mein Puls in die Höhe. Vielleicht ein feierwütiger Gast, der sich verirrt hatte? Woher sonst sollten diese Geräusche stammen? Obwohl ich weiter versuchte, mir einzureden, dass die Dunkelheit der Nacht keine Bedrohung für mich bereithielt, breitete sich in mir ein Gefühl von Unbehagen aus.

Unwillkürlich beschleunigte ich meine Schritte, wurde schneller und schneller. Zu allem Überfluss begannen die Straßenlaternen über meinem Kopf zu flackern, als würden sie mit meinen klappernden Absätzen um die Wette tanzen. Jede einzelne.

Alles in mir schrie danach, dass ich schleunigst von hier verschwinden sollte. Und das wollte ich, definitiv. Konnte aber nicht. Als würde eine unsichtbare Kraft mich dazu auffordern, stehen zu bleiben, wurde ich langsamer. Ich kämpfte dagegen an. Es half nicht. Was auch immer mich aufhielt, es war stärker. Und gleichzeitig war da noch diese Kälte in mir, die mit jeder Sekunde zunahm. Nur mit Mühe zwang ich mich dazu, meine Augen offen zu halten, so sehr nahm der Schmerz der Kälte mich ein.

Und da sah ich sie.

Im Schatten der Laternen bewegte sich eine Gestalt. Lauernd. Abwartend. Mit gespenstisch ruhigen Bewegungen schritt sie in mein Sichtfeld und raubte mir die Luft zum Atmen.

Was ist das?

Das … konnte kein Mensch sein. Auch wenn die Gestalt menschliche Züge aufwies. Doch diese Augen … etwas stimmte nicht mit ihnen. Boshaft glänzend wie schwarzer Obsidian.

Meine Lippen formten das Wort »Hilfe«, doch kein Ton kam heraus. Ich war gefangen in unsichtbaren Schlingen, die sich immer enger um meinen Körper legten. Mir die Luft zum Atmen nahmen.

»Wen haben wir denn da?«, dröhnte eine Furcht einflößende Stimme durch meinen Kopf.

Kam sie von der Gestalt, die sich mir näherte? War das überhaupt möglich? Vielleicht bildete ich mir das auch nur ein. Aber ihre Worte, diese Stimme … sie war viel zu präsent gewesen. Viel zu echt. Viel zu bedrohlich …

Ich zwang mich, die Gestalt genauer anzuschauen. Nach Antworten zu suchen … aber ich konnte nicht viel erkennen. Was vermutlich an den beinahe schwarzen Nebelschwaden lag, die diese Kreatur nun umgaben. Sie schlängelten sich wie eine Schlange um sie, verhüllten ihren Körper. Ein ersticktes Keuchen entfuhr meiner Kehle, gleichzeitig war ich wie gelähmt.

»Wehr dich nicht. Gleich ist es vorüber und deine unschuldige Seele gehört miiiir. Die Fürstin wird sich freuen.«

Kaum vereinnahmten die Worte der Gestalt erneut meine Gedanken, ging alles ganz schnell. Das Wesen stürzte sich auf mich. Seine Klauen streckten sich nach mir aus und in den schwarzen Augen schien ein unendlicher Abgrund zu lauern. Bereit, mich zu verschlingen. Panik überkam mich und ein stummer Schrei entrang sich meiner trockenen Kehle. Ich war schutzlos. Gefangen in den Fängen einer Macht, die ich mir nicht einmal erklären konnte. Mit weit aufgerissenen Augen versuchte ich mich von den Fesseln der Kälte loszureißen. Mit jeder Faser meines Körpers kämpfte ich dagegen an.

Ich musste kämpfen.

Kämpfen …

Und dann endlich lösten sich die unsichtbaren Fesseln. Stück für Stück befreite ich mich. Das Adrenalin schoss durch meine Adern und ich richtete mich auf.

Kampfbereit.

So, wie ich es jahrelang trainiert hatte.

Vielleicht würde ich es nicht überleben. Aber ich würde nicht aufgeben, ohne es versucht zu haben.

Im selben Moment holte die Gestalt erneut aus und hieb mit ihren Klauen nach mir.

Ich duckte mich unter ihnen hindurch und verpasste dem Wesen einen Tritt gegen das Knie – oder zumindest das, was bei einem Menschen ein Knie war.

Ein entsetzlicher Laut drang aus der Kehle der Kreatur und sie wandte sich mit einem Knurren zu mir um. Ich machte einen Schritt rückwärts, übersah dabei jedoch einen Stapel alter Zeitungen, der auf dem Boden lag, geriet ins Wanken und ging zu Boden. Das Wesen beugte sich über mich und ich blickte in diese unendlich schwarzen Augen, in denen ich bereits mein Ende sah … als es plötzlich von mir abließ und sich umdrehte.

Bevor ich wusste, was geschah, verpasste jemand der Kreatur einen Hieb in die Magengrube und schleuderte sie zwischen einige Müllcontainer, die am Rande der Straße standen. Mein Retter – dieses Mal schien es sich um einen Menschen zu handeln – hob seine Armbrust, legte einen Pfeil ein und richtete sie auf die Gestalt. In Sekundenschnelle raste der Pfeil in die Richtung der Müllcontainer und durchbohrte die Brust der Kreatur. Ein schriller Schrei hallte durch die Nacht. Diesem folgte ein grelles Licht, das die Dunkelheit erhellte und sich mit schwarzen Fetzen mischte, die sich zu kleinen Flammen wandelten und anschließend zu Boden rieselten.

Fassungslos starrte ich auf die Stelle und versuchte zu realisieren, was eben geschehen war. Doch mein Verstand kam nicht weit. Das war jetzt nicht wirklich geschehen, oder? Vielleicht halluzinierte ich. Bildete mir das ein und das alles war ein furchtbarer Albtraum gewesen …

In dem Moment fiel mir wieder mein vermeintlicher Retter ein und ich wandte mich um. Und tatsächlich. Er stand nur wenige Meter von mir entfernt. Wegen der Kapuze seines Hoodies, die tief ins Gesicht gezogen war, konnte ich nicht viel erkennen. Nur dunkle Augen, die mich für eine Sekunde aufmerksam musterten. Kurz schien es, als würde er etwas sagen wollen, dann entschied er sich jedoch dagegen und verschwand ohne ein Wort zwischen den Häuserecken der alten viktorianischen Gebäude Londons.

Verwirrt setzte ich einen Schritt vor den anderen, wollte ihm folgen, kam jedoch nicht weit. Denn anscheinend hatte er etwas verloren. In dem Licht der Laternen flackerte das Gold eines Amuletts auf, das auf dem Boden lag. Ich bückte mich und hob es auf. Wie automatisch umklammerten meine Finger das warme Metall.

Ob Ash, die Tochter des Earls von Cornwall, auf Prinzessin Leonoras Geburtstag anwesend sein wird, nachdem sie wochenlang in den Schlagzeilen war? Wir können gespannt sein. Allerdings wurde der Prinz seit den Aufnahmen mit ihr nicht mehr in Ashs Nähe gesichtet. Gerüchten zufolge hat sie Paparazzi angeheuert, die die beiden abgelichtet haben.

– GEPOSTET VOR ZWÖLF STUNDEN VON ROYAL SECRET GIRL –

Jasper

Reich, schön, hochnäsig. Adelige, Prominente und Politiker. An diesem Abend waren sie alle hier. In diesem Saal, der vor Eleganz nur so strotzte. Eingeladen, um den Geburtstag meiner Schwester Leonora zu feiern. Sie umgarnten sie, schenkten ihr teure Geschenke und bettelten um Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit, die wir durch unseren Titel Tag für Tag bekamen. Ob wir wollten oder nicht. Wir waren Teil der britischen Königsfamilie. Eine Tatsache, die vor einundzwanzig Jahren mein Schicksal besiegelt hatte. Und dem zu trotzen ich jeden Tag versuchte. Mit Partys, Frauen und der Dämonenjagd. Ich wollte vergessen, was sie von mir verlangten. Die Verantwortung, die sie auf mich übertragen hatten. Aber ich konnte es nicht. Nicht, solange ich keine Antworten auf die meistgestellte Frage des Landes hatte:

Was war geschehen?

»Verdammt, ich habe dir gesagt, du wirst auffliegen.« Mein Bodyguard Logan trat neben mich, während ich durch den Saal schritt. Alle Blicke der Gäste waren auf uns gerichtet, selbst wenn sie sich bemühten, nicht auffällig zu sein und ihre Neugierde zu verbergen.

»Was hätte ich deiner Meinung nach tun sollen? Sie ins Messer laufen lassen?«, erwiderte ich und krempelte die Ärmel meines Hemdes hoch. Die Meldung, dass ein Dämon sich in der Nähe der Location aufhielt, hatte mich erreicht, als ich mich im Backstagebereich mit dem Sänger des heutigen Gigs unterhalten hatte. Ohne zu zögern, hatte ich den Raum verlassen und mich bereit gemacht. Das Hemd und die dunkelblaue Anzughose gegen eine schwarze Jeans, einen Hoodie und eine Lederjacke ausgetauscht. Hatte zur Armbrust gegriffen und war nach draußen geeilt. Nur um zu sehen, wie dieser verdammte Dämon …

»Er bittet um ein Gespräch. Sofort«, unterbrach Logan meine Gedanken. Ohne seinem Fingerzeig zu folgen, wusste ich, wen er mit er meinte. Den Sicherheitschef des Palastes.

»Kann er nicht bis morgen warten?« Eine Frau stellte sich uns in den Weg. Sie verzog ihre roten Lippen zu einem Lächeln und nahm die schwarze Maske aus Seide ab.

Eine Adelige.

Tochter eines Earls.

Drei Ländereien.

Wohnsitz in einem Schloss an der Küste Cornwalls.

Vier Badezimmer.

Fünf Schlafzimmer.

Woher ich das wusste?

Weil ich sie dort diesen Sommer besucht hatte.

In jedem Schlafzimmer.

Ash schaute mich unter schweren Lidern an und biss sich verführerisch auf die Unterlippe, ehe sie einen Schritt auf mich zu machte und ihre lackierten Fingernägel in meinen Oberarm grub.

Das Lächeln, das sie mir schenkte, war genauso falsch wie sie.

Sie wollte nur meinen Titel. Nicht mich.

Bloß den Prinzen, der ich war. Wie fast alle, die um uns herumstanden. Es waren die Blicke, die sie verrieten. Eifrig und fordernd.

Ich legte meine Finger an ihr Kinn und zwang sie, mich anzuschauen. Dabei kam ich ihren Lippen gefährlich nahe, spürte ihren Atem auf meiner Haut, roch ihr Parfüm.

»Wie geht es dir mit all der Aufmerksamkeit, Ash? Hast du, was du wolltest?«, raunte ich.

Drei.

Zwei.

Eins.

Klick.

Ihre Fassade fiel.

Ich entfernte mich wieder von ihr, während sich meine Mundwinkel hoben, um diese falsche Show weiter aufrechtzuerhalten.

Vielleicht hätte ich erwähnen sollen, dass sie Paparazzi zu ihrem Haus bestellt hatte, die mich auf ihrem Balkon abgelichtet hatten. Oben ohne. Fast nackt. Sie in meinen Armen. Ein abgekartetes Spiel für die Öffentlichkeit. Weil Aufmerksamkeit süchtig machen konnte.

Ash ließ ihren Arm sinken und Röte stieg ihr in die Wangen.

»Es tut mir leid«, zischte sie.

Tat es nicht.

Das wusste ich. Viel zu selbstsicher war ihr Lächeln gewesen, als sie die Paparazzi entdeckt hatte. Niemand hatte so ein Strahlen im Gesicht, wenn die Kameras einen in privaten, unpassenden Momenten ablichteten.

Niemand.

»Entschuldige mich, der Sicherheitschef wartet.« Ich ging an ihr vorbei, direkt auf Mr Boswarth zu.

Mittlerweile hatte die Band wieder angefangen zu spielen, weshalb sich die Gäste der Bühne zuwandten.

In der Zwischenzeit hatte uns auch Mr Boswarth bemerkt und bedeutete uns, ihm nach draußen zu folgen.

Als uns wenig später die Dunkelheit und Stille der Nacht begrüßte, atmete ich tief durch. Ich hätte vorhin gar nicht erst zurückkommen sollen. Hätte mich auf mein Motorrad schwingen und verschwinden können. Die Skyline von London durch das Visier meines Helmes genießen sollen.

Also … weshalb tat ich es nicht? Ich war der Prinz. Selbst der Sicherheitschef wusste, dass er keine Macht über mich hatte.

»Mr Boswarth, ich weiß, was Sie mir sagen wollen. Aber das können Sie sich sparen.«

»Eure Königliche Hoheit!« In seiner Stimme schwang unterdrückte Wut mit.

Er hatte es nicht einfach mit uns. Meiner Schwester und mir. Seit dem Vorfall vor zwei Jahren forderten wir die Gefahr heraus. Weil wir leben wollten. Unserem Alltag trotzen. Zumindest, wenn die Dunkelheit anbrach. Tagsüber waren wir Mitglieder der Königsfamilie. Gingen unseren Pflichten nach. Doch nachts …

»Ich fahre mit dem Motorrad zurück in den Palast. Von Paddington aus ist es schließlich nicht weit.« Ich schritt zu meiner Maschine, die auf dem privaten Parkplatz der Hotel-Location parkte, griff nach meinem Helm und schwang mich darauf.

Logan schüttelte nur den Kopf, ehe er sich zu dem Bentley des Königshauses begab. Seit fast zwei Jahren war er bereits mein Schatten. Immer. Und überall.

»Richten Sie meiner Schwester und Niall aus, dass ich bereits im Palast bin«, sagte ich zu Mr Boswarth, ehe ich meinen Helm überstreifte. Ich umgriff den Lenker und startete den Motor.

Ohne zurückzuschauen, fuhr ich los und reihte mich in den nächtlichen Londoner Stadtverkehr ein. Dann beschleunigte ich und raste an hohen Gebäuden entlang, in denen noch Licht brannte. Entschlossen legte ich mich in die Kurven.

Haarscharf.

Gefährlich.

So, wie ich es genoss.

Der kühle Wind des Herbsts peitschte mir entgegen, ließ mich durchatmen. Hier auf dem Motorrad fühlte ich mich frei. So frei, wie ich als Prinz sein konnte.

Wenig später erreichte ich den Buckingham Palace. Hell strahlend und majestätisch präsentierte er sich der Dunkelheit. Und als die Kameras mich erkannten, öffnete sich das schwarz-goldene Tor und ließ mich passieren. Ich fuhr vorbei an zwei Wachen der Royal Guard, bis ich den Innenhof erreichte. Dort legte ich eine Vollbremsung hin, die Staub aufwirbelte, und stieg ab. Meinen Helm ließ ich in der Annahme, dass einer der Bediensteten sich um das Motorrad kümmern würde, auf dem Ledersitz zurück.

Während Logan den Bentley einparkte, schritt ich bereits die Stufen zum Tor des Palastes hinauf.

Verflucht, war das ein Abend gewesen. Dabei hätte das an den meisten anderen Tagen nicht mal als Aufwärmung gegolten. Bekanntermaßen ließ ich die Nacht zum Tag werden. Womit ich das perfekte Material für die Frühstückslektüre des Volkes bot.

»Eure Königliche Hoheit«, begrüßte mich mein Butler Mr Fox, als die Tür zum Palast aufging. Er verneigte sich und hielt sich dann im Hintergrund, während ich durch die majestätische Empfangshalle schritt. Es war still im Palast. Wenn keine Staatsbesuche, Empfänge oder Feiern stattfanden, genoss ich es beinahe, hier zu leben. Vor allem zu Zeiten, in denen meine Eltern in Windsor Castle residierten und Leonora und ich allein im Palast waren. Ohne die ständige Zurechtweisung des Königs und der Königin.

»Schon so früh zurück? Das kennt man gar nicht von dir.« Mein Cousin schnalzte missbilligend mit der Zunge, als er mir auf dem Weg ins obere Stockwerk entgegenkam.

Wie sehr ich es verabscheute, dass er hier lebte. Aber da er eine interne Ausbildung bei der Royal Guard of Nightfall absolvieren sollte, war er zu uns in den Palast gezogen – und sorgte inzwischen nur für Unruhe.

»Neidisch, weil du nicht auf dem Geburtstag gewesen bist?« Herausfordernd hob ich eine Augenbraue.

»Ich habe gearbeitet. Heute Abend war ziemlich was los in den Londoner Gossen, findest du nicht? Wenn doch bloß deine Schwester ahnen würde, weshalb du verschwunden bist …«

Sein spöttisches Grinsen verriet, dass er es wusste. Er wusste, wo ich gewesen war, als ich die Location verlassen hatte. Es war schließlich sein Job. Und Silver wusste auch, was es für meine Schwester bedeuten würde, wenn sie herausfand, was ich getan hatte. Und jede Nacht aufs Neue tat …

»Was interessiert dich das? Ist mein Leben so spannend für dich?«, höhnte ich.

»Wir wissen beide, wer sie ist und weshalb sie angegriffen wurde.«

»Entschuldige mich. Ich habe keine Lust auf eine Märchenstunde von dir.«

Ich ließ ihn stehen, beschleunigte meine Schritte und nahm die letzten Stufen zum oberen Stockwerk. Mein Butler musste in der Zwischenzeit vorausgeeilt sein, denn in meinen Räumlichkeiten brannte Licht. Kaum dass ich in den Raum trat, kam er auf mich zu und hielt mir ein Tablett mit einem Glas Whisky entgegen. Dankbar ergriff ich es.

»Ruhen Sie gut, Eure Königliche Hoheit, und vergessen Sie nicht Ihren Termin mit dem Premierminister morgen früh um neun.« Mr Fox schloss die Tür hinter sich und ließ mich allein.

Ich trat an das bodentiefe Fenster und sah auf den königlichen Garten hinunter, über den sich Nebel gelegt hatte.

Zum ersten Mal seit dem Angriff gestattete ich mir, wieder an sie zu denken. An ihre blauen Augen, die nicht verstanden hatten, was geschah. Aber die dennoch so viel Stärke aufwiesen. Bereit, kampflustig, entschlossen. Sie hätte weitergekämpft. Um ihr Leben. Trotz wallenden Kleids und viel zu hoher Schuhe. Da war ich mir sicher.

Ich wusste, wer sie war. Es war kein Geheimnis, zumindest nicht innerhalb der Organisation der Royal Guard of Nightfall. Umso mehr fragte ich mich, weshalb sie auf der Party gewesen war. Sie war kein Teil der elitären Kreise, in denen ich mich bewegte. Was wahrscheinlich auch der Grund war, warum sie mir bereits auf der Feier aufgefallen war. Sie hatte zu den wenigen Menschen in dem Saal gehört, die ein wahres Lächeln besaßen. Das trotz der Maske, die alle an diesem Abend getragen hatten, echt gewirkt hatte. Unvergleichlich. So eindrucksvoll, dass ich nun hier stand und an sie dachte.

Mit einem tiefen Atemzug fuhr ich mir durchs Haar und kippte den Whisky in einem Zug hinunter.

Dann ging ich zu meinem Kleiderschrank und knöpfte mein Hemd auf. Morgen wartete ein langer Vormittag auf mich. Mit Terminen, die nun mal dazugehörten, wenn man der Prinz der britischen Königsfamilie war. Und die ich mehr als alles andere verabscheute. Zumindest würde mich Niall begleiten. Er war nicht nur mein persönlicher Berater, sondern seit meinen Kindheitstagen auch einer meiner besten Freunde. Seufzend zog ich mein Oberteil aus und griff an meinen Hals, um das Amulett abzunehmen, das ich seit einiger Zeit trug und das mir half, meine Aufträge zu erfüllen.

Aber es war nicht dort, wo es sein sollte. Kurz überlegte ich, wie ich es verloren haben könnte. Meine Gedanken wanderten wieder zu dem Kampf … Shit. Es musste dort geschehen sein.

Enges schwarzes Kleid, Statement-Schmuck und der Look eines Rockstars. So präsentierte sich Prinzessin Leonora vergangenen Abend auf ihrem Geburtstag – und passte damit hervorragend zu der Rockband, die Ehrengast war.

– GEPOSTET VOR DREIZEHN STUNDEN VON ROYAL SECRET GIRL –

Die Kälte steckte mir noch immer in den Knochen. Und das nach einem langen heißen Bad und einer Nacht eingekuschelt in meiner Heizdecke. Dennoch fühlte es sich an, als wäre da nach wie vor eine unsichtbare Eisschicht auf meiner Haut. Bibbernd schob ich die Decke von meinem Gesicht und wurde von Sonnenstrahlen begrüßt, die durch das hohe Sprossenfenster meines Zimmers fielen. Ich richtete mich etwas auf und ließ meinen Blick zu dem uralten Wecker auf meinem Nachttisch wandern, den mir mein Grandpa vor vielen Jahren geschenkt hatte. Ungläubig verharrte ich. Es war bereits nach ein Uhr mittags. Was zum …?

Doch bevor ich mir weiter darüber Gedanken machen konnte, dass ich tatsächlich zwölf Stunden geschlafen hatte, tönten die Stimmen von Freya und meinem Bruder Sam durch unsere Wohnung. Offensichtlich diskutierten sie lauthals darüber, wer die letzte Milch aus dem Kühlschrank genommen hatte. Ich verkniff mir ein Schmunzeln. Ein typischer Samstag in unserer WG. Zumindest, wenn ich den Vorfall des gestrigen Abends außen vor ließ.

Seufzend ließ ich mich zurück in die Kissen fallen und kämpfte gegen die Bilder an, die prompt wieder vor meinem inneren Auge auftauchten. Die Gasse, die Schatten, dieses … Etwas mit den langen, skelettartigen Fingern, die sich nach mir ausgestreckt hatten. Am liebsten würde ich einfach glauben, dass das alles nur ein Albtraum gewesen war. Aber die seltsame Kälte, die ich noch immer spürte, war absolut nicht normal. So oder so, das war definitiv ein Zeichen, dass ich endlich mal wieder zum Training gehen sollte. Den Kampfsport hatten Freya, Sam und ich die letzten Monate schmählich vernachlässigt.

Wie automatisch sah ich zu dem hölzernen Schreibtisch unterhalb des Fensters, auf dem das goldene Amulett lag. Ich zögerte einen Moment, dann jedoch schlug ich die Decke beiseite, schnappte mir ein weites Sweatshirt und zog es über, ehe ich auf das seltsame Fundstück zulief.

Ich ließ mich auf den Stuhl sinken und griff nachdenklich danach. Das Metall des Amuletts fühlte sich noch immer warm an und schien auch sanft zu vibrieren. Vorsichtig zeichnete ich mit dem Finger das leicht hervorstehende Symbol des Anhängers nach. Eine Krone, umschlungen von Efeuranken und besetzt mit Diamanten. »A tenebris nos defendas« war darunter in altertümlicher Schreibschrift in das Gold geprägt worden. Das Symbol kam mir bekannt vor, aber ich konnte mich nicht daran erinnern, wo ich es schon einmal gesehen hatte …

Ich legte das Amulett beiseite, griff nach meinem Laptop und ließ mir die wenigen Worte übersetzen. Beschütze uns vor der Dunkelheit. Ich löschte die Eingabe wieder und suchte nach »Symbol mit Efeuranken, Diamanten und Krone«. Sofort erschienen Tausende von Ergebnissen. Vor allem Websites von Shops, die Kronen mit Efeuranken anboten. Ich scrollte weiter nach unten und durchforstete eine Seite nach der anderen. Hier und da gab es ein paar interessante Textpassagen, die meine Neugierde weckten. Sie erzählten von Märchen und Legenden, wurden aber nicht wirklich konkret. Ich wollte schon aufgeben, entschloss mich dann jedoch dazu, noch eine Bildrecherche zu starten.

Gebannt starrte ich auf den Bildschirm, ging unzählige Illustrationen, Fotos und Grafiken durch, doch bei den meisten Ergebnissen handelte es sich um Zeichnungen verschiedener Künstler und Künstlerinnen, die leider nichts mit dem Symbol gemein hatten.

Frustriert seufzte ich auf und wollte schon die nächste Seite aufrufen, als ich an dem letzten Bild hängen blieb. Darauf waren mehrere Männer abgebildet, die im Tower of London mit Krügen anstießen. Um ihren Hals hing ein Amulett, das von Weitem so aussah wie das, das neben mir lag. Schnell öffnete ich die dazugehörige Website und überflog den Text. Offensichtlich handelte es sich bei dem Symbol des Amuletts um eine Art Wappen der königlichen Familie, das vor allem im Mittelalter verbreitet gewesen war.

Unwillkürlich fragte ich mich, warum es mir bisher nicht groß aufgefallen war. Schließlich hatte ich für meinen Job gefühlt jedes Buch über die königliche Familie gelesen. Vielleicht würde mir ein Besuch in der Bibliothek helfen. In der National Art Library war nämlich eine der größten Sammlungen über die Geschichte der Königsfamilie zu finden.

Ich schloss die Website und öffnete meinen Blog, um mich einem neuen Beitrag über Prinz Jasper und seine Verbindung zu dem Sänger der Band Maze Guys zu widmen. Ein bisschen Ablenkung konnte jetzt definitiv nicht schaden. Doch ich kam nicht einmal bis zum dritten Wort, denn schon flog die Zimmertür auf. Freya kam wie ein Wirbelwind hereingestürmt, dicht gefolgt von Sam.

»Felicia, kannst du deinem Bruder bitte sagen, dass er nicht schon wieder über den nächsten Kinofilm entscheiden darf? Ansonsten wird es zum dritten Mal in Folge der neue Marvel.« Wild riss sie die Arme in die Luft und deutete dann anklagend auf Sam.

Mein Bruder rückte die Brille auf seiner Nasenspitze zurecht und blickte mit einem Achselzucken zwischen uns beiden hin und her. »Einen Marvel-Film muss man mindestens dreimal im Kino gesehen haben, um sich alles bis ins kleinste Detail einprägen zu können. Das findet übrigens auch Kaito. Also wären es schon zwei Stimmen gegen eine.«

Unwillkürlich musste ich grinsen. Sam und sein fester Freund waren große Marvel-Fans und sammelten neben sämtlichen Filmausgaben auch allen möglichen Merch. Mich hatten sie bereits vor Jahren mit ihrer Leidenschaft angesteckt, Freya hingegen war bis heute eher kein großer Fan. Na ja, zumindest noch nicht. Denn Sam lieferte ihr mindestens einmal täglich ein neues Argument, weshalb die Filme großartig waren.

»Ihr werdet euch schon einig, ich will heute noch in die Bibliothek«, erklärte ich und verkniff mir ein Grinsen bei dem Gedanken daran, wie die drei noch Stunden weiterdiskutieren würden, bis sie beim Kino ankamen.

Freya musterte mich fragend. »Ich dachte, heute ist Kinotag. Sonst kannst du es doch auch kaum erwarten, dein Popcorn mit Käsedip zu bekommen.«

Wie automatisch begann mein Magen bei ihren Worten zu grummeln, aber das war in diesem Moment meine kleinste Sorge. Viel mehr beschäftigte mich die Frage, ob ich den beiden von dem Vorfall erzählen sollte. Doch was sollte ich ihnen sagen? Dass ich von einer Kreatur mit skelettartigen Fingern angegriffen worden war? Ich war mir ja nicht einmal sicher, was da vergangene Nacht genau geschehen war. Also entschied ich mich kurzerhand dafür, erst einmal mehr rauszufinden, bevor ich die beiden einweihte. Aber zumindest von dem Amulett konnte ich erzählen.

»Ich habe mich gestern aus Versehen ausgesperrt, nachdem ich mich im Backstagebereich vor Mitgliedern der Band versteckt habe … und nun ja, auf dem Weg nach Hause habe ich dieses Amulett gefunden.« Ich griff nach dem goldenen Schmuckstück auf meinem Schreibtisch und streckte es demonstrativ in ihre Richtung.

Freya trat auf mich zu und nahm mir das Amulett ab. »Sieht teuer aus.«

»Ja, finde ich auch«, erwiderte ich und verfolgte, wie meine beste Freundin das Schmuckstück etwas mehr ins Licht hielt.

»Ich glaube, das Symbol habe ich mal im Pub gesehen. Mr Owen, du weißt schon, dieser merkwürdige Mann, von dem ich dir erzählt habe, trägt ein abgegriffenes Armband mit so einem Symbol. Wir hatten mal eine sehr ausführliche und frustrierende Diskussion über modischen Schmuck und dabei … Na ja, bevor ich jetzt abschweife: Ich kann mich gut an das Armband erinnern.«

Sofort hatte sie meine Aufmerksamkeit. Freya half neben ihrem Studium nicht nur auf größeren Veranstaltungen aus, sondern arbeitete auch in einem urigen Pub, in dem so manch seltsamer Mensch ein und aus ging. »Vielleicht schaue ich dort mal vorbei. Ich würde gerne wissen, wem das Amulett gehört«, murmelte ich.

»Mary kann dir bestimmt weiterhelfen. Meine Chefin kennt Mr Owen ganz gut«, ermutigte Freya mich und Sam stimmte mit einem Nicken zu.

»Also, da Feli auf Schatzsuche geht und ihre Stimme nicht zählt, sind Kaito und ich in der Überzahl. Es wird der neue Maaaarvel«, rief er und strahlte uns an.

»Da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.« Freya verschränkte die Arme.

»Doch, du bist klar überstimmt«, sagte mein Bruder zufrieden, wirbelte dann herum und verschwand aus meinem Zimmer. Vermutlich um Kaito Bescheid zu geben, dass sie gewonnen hatten.

»Iss für mich Popcorn mit Käse mit, ja?«, sagte ich in Freyas Richtung, während ich aufstand.

»Auf gar keinen Fall«, erwiderte Freya lachend. »Du bist die Einzige, die diese schräge Kombi feiert, und dabei bleibt es auch.«

Es war später Nachmittag, als ich schließlich aufbrach. Es hatte eine heiße Dusche sowie eine halbe Kanne Tee gebraucht, bis mir nicht mehr durchgehend kalt war. Jetzt ließen mich nur noch die Außentemperaturen etwas frösteln, als ich zu Fuß an all den Reihenhäusern vorbeilief, die mit ihrem viktorianischen Stil und den Stuckverzierungen das Bild der Londoner Architektur prägten. Und obwohl von der Sonne mittlerweile jede Spur fehlte, strahlten die Farben der bunten Fassaden um die Wette. Ein kleines Lächeln zupfte an meinen Mundwinkeln. Paddington war inzwischen seit zwei Jahren mein Zuhause und ich liebte dieses grüne Viertel mit all seinen kleinen Läden, Restaurants, Pubs und dem nahe gelegenen Hyde Park.

Umso mehr hoffte ich, dass das, was auch immer ich in der Gasse gesehen hatte, nicht erneut auftauchen würde. Die Bilder ließen mich auch so nicht mehr los und würden mich wahrscheinlich erst recht heimsuchen, wenn die Sonne wieder dem Mond wich und die Dunkelheit sich wie ein Schatten über London legte …

Schnell schüttelte ich die düsteren Gedanken ab und konzentrierte mich auf das näher kommende Gebäude, dessen Fassade einem typischen englischen Pub glich. Über der uralten Holztür stand in goldenen Lettern »Nighthall« und daneben gewährten einem die großen, bodentiefen Fenster einen Blick ins Innere.

Bevor ich es mir noch einmal anders überlegen konnte, überbrückte ich die letzten Meter, griff nach dem abgenutzten Türknauf und betrat den urigen Pub. Sogleich wurde ich von lautem Stimmengewirr und dem Geruch nach frisch gebackenen Scones begrüßt. Auch wenn das Lokal abends seinem Namen alle Ehre machte, so war es bis zum späten Nachmittag eher ein Café als ein Pub. Was vor allem an Mary lag, die vor über einem Jahr ihre Leidenschaft fürs Backen entdeckt hatte und nun jeden Tag neue Variationen der ursprünglichen Scones-Rezeptur kreierte.

Zielsicher ging ich auf den Tresen zu und ließ mich auf einem der Barhocker nieder. Wie immer, wenn ich hier war, glitt mein Blick zuerst zum weiß lackierten Holz des Tresens, auf dem sich seit Jahrzehnten Gäste mit ihren Weisheiten verewigten. Freya hatte die Theorie, dass die erste Weisheit, die man beim Hinsetzen sah, den Tag beschrieb. Nun ja. Es gab gute und weniger gute Weisheiten. Und weil es zu meinem Tag passte, lautete die heutige: Die Dunkelheit ist nicht dein Feind, dein Feind ist nur die Stille, die du dir in der Düsternis einbildest.

Schaudernd lehnte ich mich zurück. Ich wollte gar nicht so genau wissen, was dieser Satz meinte.

Zum Glück blieb meine Anwesenheit nicht lange unbemerkt und Mary kam mit frisch gebackenen Scones und einer heißen Schokolade zu mir geeilt. Wie so oft klirrten die etlichen Ketten um ihren Hals bei jedem Schritt und sie versuchte sich ihren viel zu lang gewordenen Pony aus der Stirn zu pusten.

»Du siehst so aus, als könntest du etwas Zucker gut vertragen«, stellte sie fest und schob die süßen Köstlichkeiten über den Tresen zu mir.

Ich seufzte und umschloss den dampfenden Becher mit meinen Fingern. Die Wärme war eine Wohltat für meine noch immer kalten Hände.

»Ehrlich gesagt bin ich hier, weil ich eine Frage habe«, gab ich nach einem großen Schluck heißer Schokolade zu. Mary musterte mich aufmerksam, während ich in meine Jackentasche griff und das Amulett herausholte, um es ihr zu zeigen. »Kannst du mir mehr über dieses Schmuckstück verraten oder mir sagen, wem es gehört?«, fragte ich hoffnungsvoll.

Mary nahm es und betrachtete das Symbol. Gefühlt verstrichen Minuten, bis sie wieder aufblickte. »Wo hast du es gefunden?«

»Ganz in der Nähe«, erwiderte ich vage.

»Mir kommt das Symbol in der Tat bekannt vor. Ein Gast von mir trägt es an seinem ledernen Armband. Vor langer Zeit habe ich ihn darauf angesprochen und er erzählte mir etwas von uralter Magie«, erwiderte sie so leise, dass uns niemand der anderen Gäste hören konnte.

»M-Magie?« Stirnrunzelnd betrachtete ich die ältere Frau mit den langen silbernen Haaren. Ich wusste, dass Mary ein Faible für Übersinnliches hatte und sich in ihrer Freizeit mit Okkultismus beschäftigte. Aber Magie, echte Magie? Eigentlich glaubte ich nicht an so was.

»Ja, Liebes. Ich kann dir allerdings nicht genau sagen, woher das Symbol stammt. Ich weiß nur, dass es einen Baum im Süden des Hyde Park gibt, der mit Efeuranken überzogen ist und letztes Jahr dem Tower of London gewidmet wurde. In seine Rinde wurde auch dieses Symbol eingeritzt.« Sie reichte mir das Amulett und deutete dann auf das Gebäck. »Bevor du wieder aufbrichst, iss etwas. Heute habe ich eine Kreation mit einem Vanille-Zimt-Gewürz gewagt.«

»Ich wollte noch in der Bibliothek recherchieren«, sagte ich seufzend, während ich das Schmuckstück sicher in meiner Jackentasche verstaute und nach dem noch warmen Scone griff. »Aber könntest du eventuell den Gast noch einmal nach dem Symbol fragen?«

»Das würde ich gerne. Aber er war schon lange nicht mehr hier.« Sie lächelte mich bedauernd an.

Nachdenklich kaute ich auf dem weichen Gebäckstück herum und entschied mich dann, mich erst in der Bibliothek und anschließend im Hyde Park umzuschauen. Selbst wenn meine Hoffnung langsam schwand. Doch solange ich eine Aufgabe hatte, würde mein Gedankenkarussell stillstehen. Zumindest bis die Nacht hereinbrach.

Ich schluckte den letzten Bissen herunter und winkte Mary zum Abschied, die mittlerweile zwei Mädchen mit Laptops vor der Nase bediente. »Zimt-Vanille-Geschmack finde ich lecker! Auch wenn es eher in die Weihnachtszeit passt«, rief ich ihr zu, bevor ich aufstand und mir einen Weg nach draußen bahnte.

Kaum trat ich über die Schwelle, machte sich die kühle Luft des Herbstes bemerkbar. Eine Gewitterwolke hatte sich über mir ausgebreitet. Typisch englisches Wetter, wie meine Mum sagen würde.

Ich zog meine Jacke fester um mich und überlegte, ob ich die Bibliothek erreichen würde, ehe es zu gewittern begann. Kurz warf ich einen Blick auf eine Uhr, die im Schaufenster eines Geschäfts hing. Bis zur National Art Library würde ich eine halbe Stunde zu Fuß unterwegs sein. Aber wenn ich mir die Wolken so ansah, würde es keine paar Minuten mehr dauern, bis sie ihre Pforten öffneten. Ich würde meine Suche wohl auf morgen verschieben müssen.

Als würde das Wetter meinen Entschluss untermauern wollen, erhellte ein Blitz die Umgebung, gefolgt von einem ohrenbetäubenden Donnergrollen. Sekunden später trafen mich die ersten Regentropfen. Fluchend beschleunigte ich meine Schritte und eilte über die Hauptstraße, bis ich eine Seitenstraße erreichte, von der aus es nicht mehr weit bis zu unserer Wohnung war.

Leider schien das Pech mich heute unerbittlich zu verfolgen, denn kaum war ich in der Gasse, realisierte ich, dass es sich um die gleiche wie gestern Nacht handelte. Am anderen Ende befand sich der Hintereingang zu der Location.

Sofort beschleunigte sich mein Atem und ein beklemmendes Gefühl legte sich auf meine Brust. Ganz so, als würde ich wieder das Wesen spüren, das sich mir gestern in den Weg gestellt hatte.

Ich versuchte es zu ignorieren und ging weiter. Nur eine Biegung, die ich hinter mir lassen musste, und ich hatte es geschafft. Wieder erklang über mir ein Donnergrollen und der stärker werdende Regen erinnerte mich daran, dass ich mich beeilen musste, wenn ich einigermaßen trocken nach Hause kommen wollte. Ich holte tief Luft und begann bereits zu rennen, als ich plötzlich ein lautes Fluchen vernahm. Abrupt hielt ich inne und linste um die Biegung. Als ich sah, wer dort stand und auf den Boden starrte, beschleunigte sich mein Puls.

Er war es.

Der Fremde, der mich gerettet hatte.

Er trug dieselbe Kleidung wie gestern. Dieselbe Lederjacke, denselben Hoodie und auch die Waffenhalterungen am Oberschenkel seiner schwarzen Jeans hatte er an.

Fieberhaft überlegte ich, was ich tun sollte. Zu ihm gehen? Ihn fragen, ob ihm das Amulett gehörte? Wie automatisch kramte ich es aus meiner Jackentasche und schaute wieder zu ihm.

Aber er war verschwunden.

Ich lief auf die Stelle zu, wo er kurz zuvor noch gestanden hatte, und blickte mich um.

Wo war er hin?

Und was hatte er hier getan?

Es hatte beinahe so gewirkt, als hätte er etwas gesucht …

Vielleicht das Amulett? Vermutlich.

Frustriert ließ ich genau dieses wieder in meine Jackentasche gleiten und machte mich daran, die Seitenstraße zu verlassen.

Am heutigen Morgen wurde Prinzessin Leonora mit dem Sänger von Maze Guys im London Eye gesichtet. Der heiße Auftritt, den sie eng umschlungen in der verglasten Gondel hingelegt haben, war für viele Touristen vermutlich spannender gewesen als die Dächer Londons. Ob unsere Princess of Hearts und der Rockstar eine neue Lovestory für uns bereithalten? Wir werden sehen.

– GEPOSTET VOR EINER STUNDE VON ROYAL SECRET GIRL –

Ehrfürchtig ließ ich meinen Blick über das Innere der prachtvollen National Art Library schweifen. Bücher um Bücher stapelten sich in meterhohen Regalen und wurden von uralten Kronleuchtern erhellt, die dem Lesesaal eine einzigartige Atmosphäre verliehen. Noch beeindruckender war für mich allerdings das gesammelte Wissen, das sich hier verbarg.

Und genau deswegen bist du heute hier, ermahnte ich mich und schüttelte meine aufkommende Müdigkeit ab. Ich hatte die ganze Nacht damit verbracht, mehr über Wesen herauszufinden, die einen aus dem Nichts in der Dunkelheit überfallen. Natürlich hatte es unzählige Artikel und Einträge über verschiedene Mythologien gegeben. Doch ich hatte nichts entdecken können, was genau das Wesen beschrieb, das mich angegriffen hatte. Irgendwann war ich so überfordert von all den Legenden, Märchen und Verschwörungstheorien gewesen, dass ich den Laptop zugeklappt hatte. Hoffentlich würde ich hier in der Bibliothek Antworten finden, die wissenschaftlich belegt waren und entsprechend glaubwürdig.

Entschlossen steuerte ich auf einen der hinteren Arbeitsplätze zu. Hier hatte ich mit Freya schon etliche Stunden verbracht und dank ihres Bibliotheksausweises konnte ich auch heute uneingeschränkt auf alle Ressourcen der Bibliothek zugreifen. Wäre Freya nicht zum Mittagessen mit ihrem Großvater verabredet gewesen, hätte sie mich heute auch begleitet, wie sie mir versichert hatte.

Leider lebte der Grandpa meiner besten Freundin an der Südküste Englands, und wenn sie ihn besuchte, dann handelte es sich dabei um einen Ganztagesausflug. Als Earl gehörte er zum alten Adel und bestand darauf, auf seinem ländlichen Anwesen zu wohnen, auch wenn er dadurch Freya nicht so oft zu Gesicht bekam. Dabei hatte er seine Enkelin sogar aufgezogen, nachdem ihre Eltern kurz nach ihrer Geburt bei einem Autounfall verunglückt waren. Nach einigen Jahren hatte er sie auf eine Privatschule in London geschickt. Gewohnt hatte sie während der Zeit bei ihrer Tante, die eine gute Freundin meiner Mum gewesen war. Und so hatten wir uns kennengelernt.

Eigentlich hätte ich sie heute gerne dabeigehabt, obwohl sie sich im Gegensatz zu mir nicht so sehr für Geschichte und Mythologie interessierte. Ihre Faszination galt eher der Kunst. Aber ich brannte darauf, endlich Antworten zu finden.

Eilig legte ich meine Tasche und die Jacke auf dem Lesetisch ab und widmete mich dann den vielversprechendsten Regalen.

»Die Geschichte des Königs Georg«, las ich leise vor, »Der Buckingham Palace und seine Feste«, »Stammbaum der Königsfamilie von 1700 bis 1800 …« Ein Titel nach dem anderen erweckte meine Neugier. Ich blätterte Hunderte von Seiten durch, las hier und da Passagen und betrachtete Zeichnungen. Nachdem ich in einer Biografie über einen Ravenmaster des Tower of London versunken war, wanderten meine Fingerspitzen über weitere lederne Einbände und hielten bei einem inne.

Royal Guard – The History war in das schwarze Leder geprägt. Ich erkannte sofort, dass es sich um eine Erstausgabe handelte. Die gleiche Erstausgabe, aus der mir meine Mum immer vorgelesen hatte, als ich sie zu ihrer Arbeit hatte begleiten dürfen. Als Royal Guard hatte sie sie aus der geheimen Bibliothek des Towers ausleihen können. Genau wie etliche andere Werke über die Königsfamilie, mit denen sie meine Begeisterung für die Royals entfacht hatte.

Ein Lächeln stahl sich auf meine Lippen. Seit ihrem Tod tat ich mich schwer damit, ohne Trauer an die Vergangenheit zu denken. Und wenn ich es doch einmal schaffte, war der Moment umso kostbarer für mich.

Wie automatisch griff ich nach dem Buch und blätterte durch die empfindlichen Seiten, überflog jedes Kapitel. Hatte Mums Stimme im Ohr, die mir vorlas. Als ich auf den letzten Seiten ankam, wurde ich langsamer und hielt inne. Kapitel zweiunddreißig. Eigentlich war das immer das letzte gewesen. Aber als ich die zehn Seiten über den ersten Raben im Tower durchgeblättert hatte, war da noch ein Kapitel.

Kapitel dreiunddreißig.

Darunter war ein Symbol abgebildet.

Ich ließ meine Finger über die ausgeblichene Farbe wandern, konnte nicht glauben, was ich sah.

Eine Krone, umschlungen von Efeuranken und mit Diamanten ringsum.

Darunter der lateinische Spruch »A tenebris nos defendas«.

Ich ging zurück zum Tisch, holte das Amulett aus meiner Jackentasche und legte es neben die Zeichnung.

Kein Zweifel, es war ein und dasselbe Symbol.

Schnell ließ ich das Schmuckstück wieder in meiner Tasche verschwinden und blätterte die restlichen Seiten durch. Da war nichts. Kein einziges Wort. Das Kapitel dreiunddreißig bestand nur aus dem Symbol. Merkwürdig.

»Wir schließen in fünf Minuten!«, drang die Stimme der Bibliothekarin durch den Saal.

Frust machte sich in mir breit. Da die Bibliothek nur wenige Stunden am Tag geöffnet hatte und ich mich zu lange mit einem neuen Artikel für meinen Blog aufgehalten hatte, musste ich meine Recherche wohl morgen fortsetzen. Zumindest blieb mir der Ausflug in den Hyde Park. Seufzend schob ich den Wälzer über die Royal Guard wieder zwischen die anderen Bücher und verließ die Bibliothek. Ich schlug den Weg zum Hyde Park ein und checkte währenddessen auf meinem Handy die neuen Kommentare unter dem letzten Beitrag auf meinem Blog.

@royalsecretgirl, was hältst du von den Gerüchten, dass der Sänger von Maze Guys nur aus PR-Gründen mit der Prinzessin zusammen ist?

Gesendet von @_lovecrown_

Prinz Jasper hat den Geburtstag mit seinem Motorrad frühzeitig verlassen und wurde auf der Fahrt zum Palast gesichtet. Ein Prinz, der Motorrad fährt … einfach heiß, unsere Royal Hotness!

Gesendet von @charlie_manchester08

Der gebrochene Rockstar und die taffe Prinzessin. Mein neues Roman Empire, hach.

Gesendet von @princegirl

Angeblich hat Prinz Jasper vorgestern Abend mal wieder eine richtige Show geliefert, als er seiner Sommerromanze Ash vorgeworfen hat, dass sie Paparazzi angeheuert hat, um mit ihm in den Schlagzeilen zu landen. Was sagst du dazu, @royalsecretgirl?

Gesendet von @darkhighsociety

Unter dem letzten Kommentar hatte die Userin noch ein GIF eingefügt, das zeigte, wie besagte Ash die Fingernägel in Prinz Jaspers Oberarm krallte, während er sie kühl musterte.

Schmunzelnd schloss ich die Seite und schob mein Handy wieder in meine Jackentasche. Das, was Ash MacGregor vor ein paar Wochen mit Prinz Jasper abgezogen hatte, war durch die Medien gegangen. Nur wenige Journalisten hatten durchschaut, dass es sich dabei tatsächlich um einen verzweifelten Versuch handelte, Aufmerksamkeit zu erregen. Dabei waren die Anzeichen bereits auf den veröffentlichten Bildern zu sehen. Der verärgerte Blick von Prinz Jasper oder die Tatsache, dass Ash versucht hatte, ihn zu küssen, und er den Kopf weggedreht hatte. Aber auch wenn das Thema für ein, zwei Tage die Medien dominiert hatte, hatte der Prinz mittlerweile für neue Skandale gesorgt.

Seufzend blieb ich vor einem der Eingänge zum Hyde Park stehen und starrte zum Himmel. Wie viel Zeit mir wohl noch blieb, bis es wieder zu regnen begann? Ich zog meine blaue Regenjacke enger um mich und lief den Pfad entlang, der mich direkt ins Herz des Parks führen würde. Normalerweise besuchte ich diesen grünen Fleck Londons nur mit Laptop, wenn ich Inspiration für meinen Blog brauchte, aber heute hatte ich eine Mission.

Wie automatisch stahl sich ein Lächeln auf meine Lippen, als mein Blick über die herbstliche Kulisse schweifte. Ein Meer aus bunten Blättern verteilte sich zwischen den Bäumen, die noch immer vereinzelt ihre prächtigen Gewänder der dritten Jahreszeit trugen. Auf ihren Ästen und dem Boden huschten Eichhörnchen hin und her, während der laue Wind durch die Bäume pfiff.