Runde 40 Wochen - Anna Blix - E-Book

Runde 40 Wochen E-Book

Anna Blix

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Beschreibung

40 Wochen dauert es, bis ein menschliches Baby im Bauch der Mutter heranwächst. Anna Blix schaut sich diese Zeitspanne der menschlichen Schwangerschaft an und stellt parallel dazu in jeder dieser Wochen andere Lebewesen vor, die gerade ihre Nachkommen zur Welt bringen. So hat das Bakterium E. coli sich innerhalb von 20 Minuten verdoppelt. Das Graue Riesenkänguru ist nur fünf Wochen schwanger, dann kommt das Baby in der Größe einer Bohne auf die Welt. Warum aber tragen wir als Menschen unsere Babys so lange in unserem Körper? Und gibt es einen Grund dafür, dass Schwangere sich übergeben müssen und ihnen übel wird? Gibt es vielleicht bessere Möglichkeiten zur Reproduktion? Dieses Buch bietet evolutionären Trost für all die Schwierigkeiten einer menschlichen Schwangerschaft und zugleich eine Erklärung, wie wir bis hierher gekommen sind: als klügste Spezies mit der vielleicht ermüdendsten, aber nicht der schlechtesten Weise, uns zu reproduzieren.

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Ebook Edition

Inhalt

Cover

Woche 41

Woche 1

Woche 2

Woche 3

Woche 4

Woche 5

Woche 6

Woche 7

Woche 8

Woche 9

Woche 10

Woche 11

Woche 12

Woche 13

Woche 14

Woche 15

Woche 16

Woche 17

Woche 18

Woche 19

Woche 20

Woche 21

Woche 22

Woche 23

Woche 24

Woche 25

Woche 26

Woche 27

Woche 28

Woche 29

Woche 30

Woche 31

Woche 32

Woche 33

Woche 34

Woche 35

Woche 36

Woche 37

Woche 38

Woche 39

Woche 40

Woche 0

Evolutionärer Zeitstrahl

Glossar

Nachwort

Danksagung

Literatur

Anmerkungen

Orientierungsmarken

Cover

Inhaltsverzeichnis

Anna Blix

Runde 40 Wochen

Die menschliche Schwangerschaft und 81 andere Möglichkeiten, ein Baby zu bekommen

Aus dem Norwegischen von Günther Frauenlob

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel 40 uker, en menneskegraviditet og 81 andre måter å få barn på von Anna Blix, © CAPPELEN DAMM AS 2023

Diese Übersetzung wurde gefördert durch NORLA, norwegische Literatur im Ausland.

Mehr über unsere Autoren und Bücher:

www.westendverlag.de

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN: 978-3-98791-038-8

© Westend Verlag GmbH, Neu-Isenburg 2024

Illustrationen, Umschlag und Innenteil: © Frøydis Sollid Simonsen

Autorenfoto: © NORLA, Adrian Nielsen

Umschlaggestaltung: Buchgut Berlin

Satz: Publikations Atelier, Weiterstadt

Woche 41

»Strecken Sie mal den Arm nach unten, dann spüren Sie sein Köpfchen. Er hat schon richtig viele Haare!«

Meine Muskeln spannen sich an, im ganzen Körper. Ich habe so lange auf diesen einen Moment hingearbeitet. Die extreme Arbeit, die meine Muskeln in den letzten Stunden geleistet haben, und der monatelange, zähe Aufbau des kleinen Körpers tief in mir drin kulminieren in diesem einen Augenblick, während draußen die Sonne aufgeht. Bis gestern Abend war ich noch ein rational denkender Mensch mit klaren Meinungen dazu, wie diese Geburt vonstattengehen soll. Jetzt bin ich bloß ein Tier, das seinen Instinkten folgt.

Was mich als Menschen ausmacht, verschwand mit den immer stärker werdenden Kontraktionen. Mit den Wehen, die sich aus dem leichten Kribbeln in meiner Wirbelsäule entwickelt haben und wie Wellen durch meinen Körper gehen. Ich habe die Hebamme aus dem Krankenhausbad gescheucht, in dem ich über einen Stuhl gebeugt in der Dusche stehe, während das warme Wasser meine Schmerzen lindert. Allergnädigst habe ich meinem Partner erlaubt, mir hin und wieder ein Glas Wasser zu reichen, ich will aber weder reden noch eine Umarmung. Mein Körper gebiert ein Baby, und mein Hirn ist nur noch Passagier.

Vor ein paar Stunden ist mir klar geworden, dass es heute Nacht geschehen wird. Die ersten Wehen, die Trainingskontraktionen der Gebärmutter, wurden plötzlich intensiver, während ich auf dem Sofa lag und eine Fernsehserie schaute. Mit einem Kissen zwischen den Knien, einer Tasse Tee auf dem Couchtisch und dem Buch, das ich ursprünglich lesen wollte, neben mir auf dem Boden. Wieder einmal war es mir nicht gelungen, mich auf den Text zu konzentrieren. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, mein Becken an diesem Abend möglichst wenig zu bewegen und auszuruhen, um auch noch den nächsten Tag zu schaffen. Ich wollte auf die Bewegungen des Fötus achten und mir in Gedanken ausmalen, wann es wohl so weit sein würde.

Die Kontraktionen wurden stärker und kamen immer regelmäßiger, und in den Wehen konnte ich schließlich kaum noch reden. Wir bestellten ein Taxi, dachten, dass es klug sei, zum Krankenhaus zu fahren, bevor später alle aus der Stadt nach Hause wollen und kein Wagen mehr zu kriegen ist. Schließlich war Freitag. Im Taxi hat mein Hirn dann die Kontrolle über meinen Körper aufgegeben, es schaffte es ganz einfach nicht mehr, mein Verhalten im Rahmen der normalen, gesellschaftlichen Normen zu halten. Ich stöhnte durch zusammengebissene Zähne und schrie mich durch die nächste Wehe. Ich klammerte mich an den Griff über dem Fenster der Rückbank, während der Fahrer, sicher aus Angst, ich würde noch im Auto gebären, schneller und schneller fuhr. Auf dem Bürgersteig vor dem Krankenhaus kam die nächste Wehe, sodass ich mich zusammenkauern musste, bevor ich hineingehen konnte. Mein Partner stützte mich mit einer Hand, in der anderen hielt er die Tasche mit all unseren Sachen. Im Aufzug atmete ich mich durch die Etagen, ich wollte nur noch in den Kreißsaal, wollte wissen, ob er so aussah wie bei der letzten Geburt, mich mit den Umgebungen vertraut machen, am Bettzeug riechen und irgendwie ergründen, ob ich mich dort sicher fühlen kann. Mein Hirn meldet sich wieder, als ich auf die Hebamme treffe. Ich hatte Torild vorher schon einmal gesehen und wusste, dass sie in dieser Nacht Dienst hatte. Sie gibt mir Sicherheit, ich vertraue ihr. Als ich mich dann ausziehe, meldet mein Hirn sich wieder ab. Ich kann Torilds Fragen, wie ich mir die Nacht vorstelle, nicht beantworten. Ich will einfach nur unter die Dusche, das heiße, schmerzlindernde Wasser über den Rücken rinnen spüren wie ein warmes Urmeer.

Als die Schmerzen so stark werden, dass ich kurz davor bin aufzugeben, und sich auch das warme Wasser nur noch wie ein Pflaster auf einem offenen Bruch anfühlt, taumele ich zum Bett, damit die Hebamme beurteilen kann, wie weit der Gebärprozess bereits fortgeschritten ist.

»Licht aus!«, ist das Einzige, was ich sagen kann.

Wie ein Tier drängt es mich, im Dunkeln zu gebären, in Sicherheit, geschützt vor den Raubtieren der Savanne. Sie schiebt ihre Finger in mich und mein Hirn muss meinem Körper erklären, dass sie eine Freundin ist und mir helfen will und dies kein Angriff ist.

»Acht Zentimeter«, höre ich sie sagen, während ich sie mit meinem Knurren zu verjagen versuche.

Sie zieht sich zurück und lässt meinen Körper arbeiten, bleibt aber in der Nähe. Mir gibt das Sicherheit. Ich spüre den Schweiß über meine Brust rinnen, das rhythmische Zusammenziehen meiner Muskeln. Die Gebärmutter schiebt das Baby mit jeder Wehe weiter nach unten. Ich spüre das Köpfchen im Geburtskanal, wie das Baby erst etwas nach unten gleitet und dann mit jeder Presswehe wieder etwas zurück. Zwei Schritte vor und einen zurück, trotzdem kommt es immer weiter nach unten. Mein Körper schafft das, sagt mein Hirn mir mit Nachdruck, die Gebärmutter wird schon tun, was sie muss.

»Jetzt müssen Sie hecheln wie ein Hund! Nicht pressen!« Das Köpfchen ist draußen und das Baby gibt ein leises Jammern von sich, der einzige Laut, der in diesem körperlichen Übergang zwischen Nabelschnur und Luft und mit zusammengefalteten Lungen möglich ist. Das seltsame Geräusch bringt uns alle zum Lachen, und ich sehe mich irgendwie wie von außen. Das Tier hat sich zurückgezogen, ich kann wieder denken und reden, bin fast fertig, mein Körper weiß, dass das Schlimmste vorüber ist.

Ich betaste vorsichtig die feuchten Haare.

»Schieben Sie mal die Hände hierhin, dann können Sie es gleich halten. Mit der nächsten Wehe ist es draußen.«

Die Stimme der Hebamme ist ruhig. Mein Partner hält meine Hand. Mein Körper spannt sich an, ich strecke mich. Dann ist er da und liegt auf meinem Bauch. Ein kleiner Junge. Er atmet zum ersten Mal, und die harte, kalte Luft, die er noch nie zuvor gespürt hat – weder innerlich noch äußerlich – bleibt nicht ohne Wirkung. Seine Haut trocknet zum ersten Mal im Leben, als wir das Fruchtwasser wegwischen, das ihn so lange umgeben und ihm Sicherheit gegeben hat. Die Nabelschnur pumpt aus der Gebärmutter noch immer Blut in ihn, wie eine Rettungsleine. Gleich wird sie durchtrennt werden, womit unsere neunmonatige Symbiose in eine neue Phase übergeht.

Er liegt auf meinem Bauch, er ist dreieinhalb Minuten alt und 3,5 Milliarden Jahre, ist Ursuppe und ein vollkommen neues Leben, das es nie zuvor gegeben hat. Er kann nichts, ist das hilfloseste Neugeborene aller Arten. Er erkennt meine Stimme, den Geruch der Milch und schafft es irgendwie, vom Bauch zu meinen Brüsten zu robben.

Er hebt das enorme Köpfchen, viel zu groß für den kleinen Körper, und starrt mich an, um meine Gesichtszüge zu erkennen. Dann öffnet er seinen Mund und legt seine Lippen an meine Brust, um trotz Vakuum und Unterdruck an meine Milch zu kommen. Er war neun Monate in mir, ab heute bin ich endlich davon befreit, ihm eine Wohnung zu stellen, doch die Kraft, mit der er an mir saugt, zeigt mir mehr als deutlich, dass die Sache noch nicht zu Ende ist. Mein Körper hat noch immer seinen Bedürfnissen zu folgen.

Trotzdem bin ich zumindest befreit davon, einen kleinen Organismus wie einen Parasiten in mir zu tragen, frei von den Nebenwirkungen, die mir dies bereitet hat.1

Ich habe mich monatelang erbrochen, und mir war so übel, dass mir zeitweise vier verschiedene rezeptpflichtige übelkeitsstillende Medikamente verschrieben wurden. Meine inneren Organe sind neu arrangiert worden, Darm und Blase wurden aus Platzgründen einfach zusammengedrückt. Meine Haut hat sich so weit wie nur möglich gedehnt, und die Schwangerschaftshormone haben zu Verstopfung und vermehrtem Schlafbedarf geführt. Monatelang konnte ich mir die Schuhe nicht mehr binden, ich musste Stützstrümpfe tragen und habe beständig säureregulierende Tabletten gegen das Sodbrennen genommen. Damit ich meinen Nachkommen auch aus mir herausbringen kann, hat mein Skelett sich mehr und mehr gedehnt, sodass ich schließlich bei jedem Schritt Schmerzen im Becken hatte. Mein Körper hat damit die Bürden auf sich genommen, die üblich sind, wenn meine Art sich reproduzieren will.

Wie es wohl wäre, wenn ich einfach ein Ei legen könnte, das mein Partner dann bis zum Schlupf ausbrütet? Oder wenn mein Baby so klein wäre, dass ich die Geburt kaum spüre und ich es danach in einem Beutel mit mir herumtragen würde, bis es groß genug für das Leben ist? Andererseits bleibt mir das Leiden der Tüpfelhyänen erspart, die durch eine längliche Klitoris in Form eines Penis gebären müssen, die so eng ist, dass 60 Prozent der Welpen einer Erstgebärenden sterben. Ich bin auch nicht im Skelett schwanger, wie das bei den Skorpionen der Fall ist, die schließlich, wenn sich der Nachwuchs unter den Platten tummelt, wie aufgeblasene Ballons herumlaufen. Ich muss nicht mucksmäuschenstill auf einem Nest sitzen, bis die Jungen schlüpfen, wie die Eiderente. Und ich hungere mich auch nicht wie ein Tintenfisch zu Tode, während ich auf meine Eier aufpasse, oder lasse mich wie manche Spinnen von meinen Kindern bei lebendigem Leibe auffressen.

Jetzt, da mein kleiner Sohn auf meinem Bauch liegt und sich aus eigener Kraft irgendwie zu meinen Brüsten schiebt, um den ersten Schluck Milch zu trinken, fühlt sich das alles richtig an. Mein Körper ist high von all den Hormonen, die beim Beginn der Geburt freigesetzt wurden. Sie haben meine Schmerzen gelindert und sorgen auch dafür, dass ich das kleine, schrumpelige Wesen, das aus mir herauskam, wirklich liebe. Das Gefühl, ein gesundes Baby geboren zu haben, erfüllt mich mit einem solchen Glück, dass die neun langen Monate damit in Vergessenheit geraten. Dabei habe ich mir während dieser Zeit immer wieder gewünscht, zu einer anderen Art mit einer anderen Reproduktionsmethode zu gehören, und nicht zulassen zu müssen, dass sich ein befruchtetes Ei in meinem Körpergewebe festsetzt, der Fötus meinen Blutkreislauf steuert und meinen Körper übernimmt.

Es gibt so viele Organismen, die genau zur gleichen Zeit auf die Welt kamen wie mein Kind, so viele Eltern, die sich aufgeteilt und unbefruchtete Eier ins Wasser gegeben haben, auf dass die Spermien diese selbst finden. Andere haben einen Kopf aus der Schale eines Eis ragen sehen, ihre Babys in der Rückenhaut oder im Beutel hüpfen gefühlt oder durch den engen Geburtskanal gepresst. All diese Arten befinden sich am äußersten Rand des Baumes des Lebens, jede auf ihrem eigenen Zweig. Ihnen gemein ist aber, dass sie Teil desselben Baumes sind und sich aus derselben, lebendigen Ursuppe, den ersten lebenden Zellen entwickelt haben. Wir alle haben lange genug gelebt, um Nachkommen in die Welt zu setzen, seien diese nun Menschen, Amöben, Seeanemonen, Hyänen, Eiderenten oder Kängurus. Im Laufe der Entwicklung haben sich die Organismen vor uns verändert, jeder in seine Richtung, und nun stehen wir hier mit einer Unzahl unterschiedlicher Reproduktionslösungen. Und von einigen dieser fantastischen Möglichkeiten, Kinder zu bekommen, wird in diesem Buch die Rede sein.

Woche 1

Die Nachricht auf meinem Handy war unmissverständlich, und demnach weiß ich, was ansteht. Eine App hat mich freundlich daran erinnert, dass ein 40 bis 50 Millionen Jahre alter Vorgang1 sich nun auch wieder in meinem Körper wiederholen wird. Ich wische die Warnung beiseite, will jetzt nicht an meine Regel denken und wache folglich mit Blut auf dem Laken auf. Ich will kein Blut, sagt es mir doch nur, dass es auch in diesem Monat nicht geklappt hat. Ich will ein Baby, aber das bedingt ganz andere Körpersäfte, nämlich Schleim, Spermien, dicke Gebärmutterwände, hormonelle Veränderungen und einen zunehmend dickeren Bauch. Ohne Planung, Geschlechtsverkehr und Warten geht es nicht.

Andere Arten haben es da sehr viel leichter. Die Seenelke (Metridium senile) sieht wie eine Pflanze aus, ist aber eher mit uns verwandt. Sie wächst an den Balken von Kaimauern und Anlegern und ist gut zu sehen, wenn man sich an einem warmen Sommertag auf den Bauch auf die Bretter legt und nach unten ins Wasser schaut.2 Sie besteht aus einem langen, runden Körper mit vielen Tentakeln an der Spitze und erinnert tatsächlich an eine weiße Nelke mit einem orangebraunen Stiel. Diese Koralle ist entlang der norwegischen Küste weit verbreitet. Sie produziert kleine, genetisch identische Nachkommen als Auswuchs am eigenen Körper, die ihrerseits ihre Tentakeln ins Wasser halten, um Nahrung zu fangen. Sie wachsen aus einer Art Knospe am Körper heran und lösen sich, um ein eigenes Leben zu führen, wenn Körper, Tentakeln und der darin liegende Mund groß genug sind.3

Spürt die Seenelke es, wenn ein kleiner Körper aus dem ihren herauswächst? Hat sie selbst entschieden, dass es jetzt an der Zeit für einen Nachkommen ist? Wird sie müde, ist das Heranwachsen dieses Nachkommen mit Schmerzen verbunden?

Die eigenen Nachkommen im Inneren des Körpers in einem so spezialisierten Organ wie der Gebärmutter heranwachsen zu lassen, ist nicht die einzige Art der Reproduktion. Manche Eltern erschaffen ihre Nachkommen mit dem Mund und lagern sie dort, andere zwischen den Beinen oder in einem großen Hohlraum im Körper, der auch genutzt werden kann, um Nahrung zu verdauen. Wieder andere haben kleine Hohlräume auf dem Rücken, oder sie legen befruchtete Eier in ein Nest, in dem sie sie dann bebrüten. Aber auch diese Fürsorge ist nicht zwingend nötig, es gibt ebenso Arten, die ihre Eier oder Spermien einfach ins Wasser gleiten lassen und den Rest dem Zufall überlassen. Meine Vorgehensweise – mit Gebärmutter, Mutterkuchen und monatelangem Stillen – ist, wie wir sehen werden, eine recht neue Erfindung.4 Wir dürfen aber nicht vergessen, dass sich alle Lebewesen seit ihrer Entstehung auf der Erde vor 3,5 Milliarden Jahren reproduzieren.

Es gibt eine unendlich große Variation davon, wie die verschiedenen Arten ihre Gene weitergeben und Generation auf Generation folgen lassen. Noch bevor ich überhaupt mit meiner Reproduktion angefangen habe, ist das einzellige Bakterium Escherichia coli bereits fertig. E. coli findet sich normalerweise in unserem Darm. Varianten dieses Bakteriums können aber auch Giftstoffe produzieren, die uns sehr krank machen, wenn wir sie aufnehmen. Hat das E.-coli-Bakterium gute Lebensbedingungen mit reichlich Nahrungszufuhr gefunden, wie es im Darm des Menschen der Fall ist, macht es sich bereit, sich selbst zu kopieren. Die Bakterien vermehren sich binär, zuerst kopieren sie ihre eigene DNA. Wenn zwei vollständige Kopien des Erbmaterials vorliegen, verschieben sich die Stränge in die unterschiedlichen Seiten der Zelle. Das stabförmige Bakterium wächst in der Folge in die Länge, bis sich irgendwann in der Mitte eine Zellwand ausbildet. Die zwei Teile trennen sich, und im Laufe von zwanzig Minuten verdoppelt die Zelle sich. Ich brauche 40 Wochen. Natürlich ist es etwas komplizierter, einen Menschen als ein E.-coli-Bakterium zu produzieren. Aber wenn ich schließlich gebäre, kann das E.-coli-Bakterium theoretisch die Stammmutter von mehr Bakterien sein, als es Atome im Universum gibt, vorausgesetzt es hat unbegrenzt Nahrung und Lebensraum.5 Die Frage ist erlaubt, wer da die erfolgreichere Strategie hat.

Ich teile mich heute nicht, ich blute ins Laken. Der Fleck ist das Produkt des aktiven Schleimhautaufbaus meiner Gebärmutter im Laufe der vergangenen drei Wochen. Ein reifes Ei ist von den Eierstöcken durch den Eileiter in die Gebärmutter gewandert und hat versucht, sich dort festzusetzen. Es kam aber entweder nicht in Kontakt mit einer Samenzelle, mit der es verschmelzen konnte und durch die es die Chromosomenzusammensetzung bekommen würde, dank der es sich festsetzen könnte, oder das befruchtete Ei und meine Gebärmutter haben nicht richtig zusammengearbeitet. Mein Blut zeigt auf jeden Fall, dass sich das Ei nicht in der Schleimhaut festgesetzt hat, die die Gebärmutter produziert hat. Am Ende des Zyklus verwirft die Gebärmutter die Arbeit der letzten Wochen. Ei und Schleimhäute werden ausgespült. Die Gebärmutter – in meinem Körper misst sie etwa acht Zentimeter – macht sich anschließend bereit, ein neues Ei aufzunehmen.

Das Blut rinnt beim Duschen an meinem Bein nach unten. Auf jeden Fall bleibt es mir so erspart, ein halbwüchsiges Baby an meiner Hüfte herumzutragen, wie es die Seenelke tun muss. Dabei hätte ich eigentlich ganz gern einen runden Bauch. Das Blut zeichnet ein verwobenes Muster auf die Fliesen am Boden, ehe es durch den Abfluss weggespült wird. Das unbefruchtete Ei und die Schleimhäute, die eine schützende Schicht um den heranwachsenden Fötus hätten legen sollen, fließen durch den Abwasserkanal in Richtung Meer. Vielleicht gibt es da ja irgendwelche Organismen, die sie noch brauchen können. Mein Körper, meine Gebärmutter, wollen sie jedenfalls nicht mehr haben.

Die Augenkorallen (Lophelia pertusa), die tief unten im Meer in einem der größten Kaltwasserkorallenriffe nahe der Inselgruppe Røst südlich der Lofoten leben, haben für die Vermehrung keine Gebärmutter. Sie geben ihre Eier einfach ins Wasser. Die Weibchen drücken sie heraus wie ein Vulkan die Lava, und wäre man zu diesem Zeitpunkt unten am Riff, würde man sehen, wie die Eierwolken sich im Wasser verbreiten. Die Männchen geben Spermien ins Wasser, die sich mit den Eiern mischen.6 Wie gelingt ihnen die Koordination, dass Eier und Spermien gleichzeitig abgesondert werden? Ist die weibliche Koralle gespannt, ob ihre Eier befruchtet werden? Fühlt sie sich aufgedunsen und wund, wenn sie ihren Körper verlassen?

Ich trockne mich ab und suche nach einer Binde. Von all den Arten auf dieser Erde haben nur wenige eine Menstruation. Die Gebärmutter soll das befruchtete Ei schützen, das sich erst zu einem Embryo, dann zu einem Fötus und schließlich zum Baby entwickelt. Ist es nicht ein enormer Verlust von Ressourcen, diese Schleimhäute Monat für Monat mit Blut aus dem Körper zu spülen? Ich suche meine Eisentabletten heraus. Wichtige Bestandteile des Blutes, das meinen Körper verlässt, müssen ersetzt werden.

Während ich meine Regel habe, bereitet sich der große Rotpunktmaulbrüter (Ctenochromis horei) darauf vor, seine Eier in ein Nest am Boden des Sees zu legen, in dem er lebt. Zwischen Steinen und Schlamm hat er einen sandigen Bereich gefunden. Der Fisch lebt im Tanganjikasee, dem riesigen, weltweit zweittiefsten See zwischen der Demokratischen Republik Kongo und Tansania. Das Männchen dieser Art kann bis 20 Zentimeter groß werden und ist sehr bunt. Sein Kopf ist gelb-schwarz gezeichnet, auf den Seiten hat er rote Punkte auf silbergrauem, manchmal hellblau schimmerndem Grund. Das Weibchen, das nicht ganz so groß wie das Männchen wird, ist weniger farbenfroh, trotzdem aber noch so attraktiv, dass experimentierfreudige Aquaristen es gerne in großen Becken halten. Hier, in der Freiheit des großen Sees, hat das Männchen Steinchen und Sand vorsichtig beiseite geräumt und für das Nest eine Grube ausgehoben, die von grünen Pflanzen umgeben ist, die sich in dem blaugrünen Wasser langsam hin und her bewegen. Das Nest wird nur für den Paarungsakt in Gebrauch sein. Die Eier werden in das Nest gelegt, wandern dann aber dorthin, wo sie schließlich ausgebrütet werden. Das Männchen beginnt vor dem Weibchen herumzutanzen, wobei seine Farben immer klarer werden.7 Dieses tanzt mit ihm und legt dabei einige Eier in das Nest, während das Männchen seine Spermien darüber spritzt. Das Weibchen will aber nichts dem Zufall überlassen und saugt Eier und Spermien in ihren Mund, wo sie besser vor den Strömungen geschützt sind und somit effektiver befruchtet werden können. Das Weibchen wird die Eier die gesamte nächste Woche im Mund behalten, bis die kleinen Fischchen schlüpfen. Nur wenige Fischarten werden innerlich befruchtet und sind lebendgebärend. Die Rotpunktmaulbrüter kompensieren dies, indem sie ihren Mund als Gebärmutter nutzen. Maulbrüter nutzen ihre Münder auch, um sicherzugehen, dass die Eier in dem dicht bevölkerten See nicht von anderen Arten gefressen werden.

Es lauert nämlich immer jemand in der Nähe, der sich für die Gelege interessiert. Besonders auffällig ist dabei eine andere Fischart, nämlich der Vielpunkt-Kuckuckswels (Synodontis multipunctatus), der seine Eier ebenfalls in das Nest legen will.8

Die weißlich gelben Fische mit den schwarzen Flecken sind kleiner als die Buntbarsche. Sie haben lange Barteln am Kopf und sind mir ihrer flachen Unterseite gut an das Leben am Boden angepasst, wo sie ihre Nahrung zwischen Steinen und Sandkörnern finden. Zum einen fressen sie gerne die Eier der Barsche, zum anderen sind sie auf der Suche nach einem Platz für ihre eigenen Eier.

Die Kuckuckswelse machen es wie die Maulbrüter: Sie legen ihre Eier und spritzen die Spermien in das Nest, das die Maulbrüter zuvor ausgehoben haben. Manchmal fressen sie dabei sogar einige der Eier, die die Buntbarsche gelegt haben. Die Barsche geraten bei diesen Attacken sichtlich unter Stress. Sie versuchen, die Welse zu verjagen, während das Weibchen gleichzeitig hastig alle Eier in den Mund zu bekommen versucht. In diesem Moment ahnt man bereits, warum von Kuckuckswelsen die Rede ist. Die Buntbarsche nehmen nämlich auch Eier der Welse auf, ohne dies zu bemerken. Damit brütet das Weibchen nicht mehr nur seine eigenen Eier aus. Während das Buntbarschweibchen sich versteckt, um die Eier im Mund auszubrüten, schwimmen die Vielpunkt-Kuckuckswelse weiter. Immer auf der Jagd nach Nahrung und weiteren Möglichkeiten zu parasitieren.

Wie die Rotpunktmaulbrüter ihren Mund sowohl als Brutkammer als auch für die Nahrungsaufnahme nutzen, hat auch meine Gebärmutter nicht nur die Funktion, den Embryo zu schützen. Zuallererst schützt sie nämlich mich. Vor den Zeiten freier Abtreibung, Elternzeit und Kindergärten hat der Körper nämlich einen Abwehrmechanismus gegen Nachwuchs entwickelt, für den der Körper nicht die Kapazität hat. Während ein Vogel sein Nest und die Eier verlässt, wenn er das Gefühl hat, dass seine Jungen nicht überleben können, übernimmt dies bei uns die Schleimhaut der Gebärmutter. Es ist nämlich deutlich ressourcenschonender, eine Mauer aus Schleimhäuten aufzubauen und schließlich wieder einzureißen, als neun Monate ein Kind in sich heranwachsen zu lassen.

Während die Mauer in sich zusammenfällt, essen wir unser Frühstück. Vor etwas mehr als drei Jahren habe ich mein erstes Kind zur Welt gebracht. Das Resultat dieses alles verändernden Geschehnisses kleckert Milch auf den Tisch und beteuert dabei lautstark, dass sie die Milch selbst einschütten kann. Der Papa wischt den Tisch ab, und der Hund kümmert sich um die Tropfen, die auf den Boden fallen. Die reproduktive Arbeit geht auch nach der Geburt noch viele Jahre weiter. Diese Morgen sind zur Routine geworden. In der Regel werde ich noch vor dem Wecker von einem strubbeligen Kinderkopf geweckt, und während die Stadt um uns herum langsam erwacht, spiele ich mit meiner Dreijährigen und versuche, sie möglichst ohne Streit zu überzeugen, dass es Sinn macht, warme Kleider anzuziehen, wenn man den ganzen Tag im Kindergarten sein wird. Der Hund muss kurz raus, ich trinke meinen Kaffee, lese vielleicht etwas Zeitung, frühstücke, wische den Tisch ab, wehre Wutausbrüche ab, gerate in Stress, weil wir schon wieder zu spät kommen, und verlasse schließlich eine chaotische Küche, wobei ich spüre, wie sich die Muskeln meiner Gebärmutter zusammenziehen, um das Blut auszustoßen.

Die Menstruation ist nicht sonderlich praktisch. Sie ist nicht entstanden, weil sie uns Vorteile bringt, etwa wie der zur Seite gewanderte Daumen, durch den wir greifen können. Es gibt unterschiedliche Hypothesen, warum einige Lebewesen eine Regel haben. Eine davon lautet, dass die Regel eine Nebenwirkung davon ist, dass die Gebärmutter sich auf das nächste Ei vorbereiten kann, wie eine Art Bollwerk.9 Es ist nämlich nicht nur pures Glück und Symbiose, wenn ein befruchtetes Ei sich in der Gebärmutter festsetzen und zu einem Baby heranwachsen will. Im Laufe der Geschichte haben Arbeit, Hunger, Epidemien und bereits existierende Kinder allen, die eine Gebärmutter haben, stark zugesetzt. Der Körper hat in solchen Fällen häufig nicht die Energie für ein heranwachsendes Baby. Der Embryo will wachsen, will so stark werden, wie nur möglich. Es ist aber nicht sicher, ob der Körper dem befruchteten Ei dies auch geben kann. Diese Hypothese wird deshalb auch als mütterlich-fetaler Konflikt bezeichnet.

Eine andere Hypothese, warum es die Menstruation gibt und die Gebärmutter sich auf das kommende Ei vorbereitet, ist, dass der Körper auf diese Art überprüfen kann, ob das befruchtete Ei lebensfähig ist. Sind die Zellteilungen in Ei und Samenzellen korrekt vor sich gegangen? Sind die beiden richtig miteinander verschmolzen, sodass der kleine Klumpen, in dem die Zellen sich nun mit rasanter Geschwindigkeit teilen, um einen neuen Menschen zu bilden, tatsächlich in neun Monaten in der Lage ist, auch außerhalb der sicheren Wände der Gebärmutter zu leben? Wenn das befruchtete Ei stark genug ist, um sich in die Schleimhaut zu graben, ist es vielleicht auch stark genug, um zu einem lebensfähigen Menschen zu werden. Zu Beginn der Entwicklung kann sehr viel schiefgehen. Etwa ein Fünftel aller bekannten Schwangerschaften endet mit einer Fehlgeburt, der Prozentsatz der befruchteten Eier, die nicht zu lebensfähigen Embryos werden, liegt aber bei fast fünfzig Prozent10 – weil viele gar nicht wissen, dass das Ei befruchtet war, und folglich auch nicht bemerken, dass die anscheinend normale Menstruation technisch betrachtet eine Fehlgeburt war. Es ist durchaus möglich, dass die Schleimhäute den Körper davor bewahren, nicht zu viel Energie für die Entwicklung eines Embryos aufzuwenden, der in keiner Weise lebensfähig ist. Da ist es schon besser, das Kind sprichwörtlich mit dem Bade auszuschütten.

Ich frage meine Gebärmutter nicht, warum das Ei dieses Monats es nicht wert ist, bewahrt zu werden. Ich kann das Für und Wider nicht abschätzen – entweder ich werde schwanger, oder ich bekomme meine Tage. Es ist die Evolution, die mich, ein paar andere Affen, einige Fledermäuse und die kleinen Rüsselspringer mit den langen Schnauzen zu blutenden Wesen gemacht hat.11 Aber warum findet sich die Menstruation nicht bei allen Säugetieren? Schließlich hat diese Eigenschaft sich ja an mehreren Abzweigungen des Lebensbaums entwickelt und bringt den entsprechenden Arten vermutlich Vorteile. Die Embryos von Menschen und vermutlich auch den anderen Arten mit Menstruationszyklen sind extrem invadierend. Sie graben sich in die Schleimhäute, statt vorsichtig anzuklopfen, verlangen Kontrolle über unsere Körper und freien Zugang zu Nahrung. So ist es nicht bei allen.

Auf dem Weg durch die Tür halte ich meine Dreijährige an der Hand. Ich habe meinen Rucksack auf dem Rücken, sie den ihren. Hüpfend machen wir uns auf den Weg zum Kindergarten. Wir laufen leichtfüßig über den Boden unseres Lebensraumes, der sich von der Haustür bis zum Kindergarten erstreckt, von dem Laden, in dem wir einkaufen, bis zu meiner Arbeitsstelle im Stadtzentrum. Die Seenelke hat sich an einem Stein im Meer festgesaugt. Sie muss sich nicht bewegen, weshalb es kein Problem ist, wenn seitlich an ihrem Körper ein Baby heranwächst.

Nach nur zwei Tagen schlüpfen die Vielpunktkuckuckswelse im Maul der Buntbarsche. Die Eier der Barsche, die sich am selben Ort befinden, brauchen etwas länger. Ein fataler Fehlgriff, denn die Welse nutzen die Zeit, die ihnen bleibt, höchst effektiv. Wie alle Embryos haben sie mit dem Ei einen Nahrungsvorrat bekommen, den Dottersack, den wir als das Gelbe vom Hühnerei kennen, das wir zum Frühstück essen. In den ersten Tagen nach dem Schlupf ernähren die meisten Fische sich von diesem Dottersack, bis sie groß genug sind, um selbst zu fressen. So auch die Vielpunktkuckuckswelse. Wenn die Jungen der Buntbarsche fünf Tage später endlich schlüpfen, sind die Welse bereit für neue Nahrung und beginnen die Barschlarven zu fressen, die das Muttertier in ihrem Maul in Sicherheit wiegt. Ein Blutbad. Zu guter Letzt sind nur noch die jungen Vielpunktwelse da. Die Barsche sind getäuscht worden von einem Kuckuck, der seine Junge in fremde Nester legt.12

Weit entfernt von dem warmen, afrikanischen See haben die Kaiserpinguine (Aptenodytes forsteri) endlich ihr Brutgebiet tief im antarktischen Eis erreicht. Diese größte, noch lebende Pinguinart wird mit 1,10 Meter etwa so groß wie ein menschlicher Vierjähriger, sie ist dabei aber deutlich schwerer und erreicht 35 bis 40 Kilogramm. Kaiserpinguine sind die einzige Pinguinart, die ihre Eier legen, wenn in der Antarktis Winter herrscht. Um ein sicheres Brutgebiet zu erreichen, an dem das Eis kompakt ist, bis die Jungen bereit sind, zum Meer zu gehen, sind sie lange unterwegs, wandern teilweise bis zu 200 Kilometer. Wie viele andere Vögel wechseln sie im Laufe eines Jahres ihren Lebensraum, nur dass sie nicht fliegen und eigentlich auch nicht laufen können. Sie watscheln den ganzen Weg im Gänsemarsch auf kurzen Beinen hintereinanderher, bis sie endlich am Ziel sind.

Erst dort finden die Paare der schwarz-weißen Vögel mit den großen gelben Flecken am Hals zusammen. Sie tanzen miteinander, kopieren die Bewegungen ihres Partners und lernen einander kennen. In der langen Brutphase ist es essenziell, dass sie sich gut kennen, damit das Weibchen zurück zu dem Männchen finden kann, das die Verantwortung trägt, das Ei auszubrüten. Dann legt das Weibchen ihr Ei, und bei der herrschenden Kälte kann dabei viel schiefgehen. Es muss sofort auf die Füße und ins Gefieder, damit es nicht auskühlt. Das Weibchen ist erschöpft nach der Produktion des Eis, in dem sich alles befindet, was das Küken braucht. Deshalb ist jetzt das Männchen an der Reihe. Das Ei wird vorsichtig auf seine Füße bugsiert, wobei es den Boden nicht berühren darf. Dann drückte er es dicht am Körper in sein Gefieder, zwischen seinen Beinen findet sich dafür ein federloser Hautfleck, der das Ei perfekt umschließt. Das Weibchen hat den ersten Teil der Arbeit damit erledigt und watschelt zurück zum Meer.13 Das Männchen bleibt den gesamten Winter hindurch still stehen und passt auf das Ei auf. Es wirkt komplett verrückt, seine Eier in der kältesten Jahreszeit zu legen, und das Risiko, dass den Vögeln das Ei in einem unbedachten Moment von den Füßen rutscht, ist tatsächlich sehr groß. Das Küken würde in diesem Fall sofort sterben, denn die Kälte ist brutal. Gleichzeitig ist der Winter aber die Zeit, in der es keine Raubvögel gibt, da diese in den wärmeren Norden gezogen sind. Und wenn die Jungen schlüpfen und schließlich bereit sind, an den Eisrand zu ziehen, ist der Frühling und mit ihm der Nahrungsüberfluss gekommen. Es ist hart, aber es funktioniert: In zwei Monaten werden Küken schlüpfen.14

Ich winke meiner Dreijährigen, die bereits im Sandkasten spielt, zum Abschied zu, laufe nach Hause und nehme mein Fahrrad. Dann fahre ich nach unten ins Stadtzentrum und stelle das Rad vor meiner Arbeitsstelle ab. Die Sommerferien sind gerade vorbei, die Morgen noch warm, sodass ich noch keine Jacke brauche. Ich schicke meinem Partner eine Nachricht, während ich auf den Aufzug warte, und versichere ihm, dass die Kleine wohlbehalten abgeliefert ist. Er holt sie später ab. Wir teilen uns die Arbeit, informieren uns fortlaufend und sind in Gedanken immer bei unserem Kind. Fragt auch die Pinguinmutter sich, wie es ihrem Ei geht? Würde sie lieber bleiben und aufpassen? Was treibt sie an? Warum verschwindet sie so lange und kommt dann doch zurück?

Woche 2

Es kommt kein Blut mehr, die Gebärmutter hat die Absonderung von Schleim und Blut abgeschlossen. Äußerlich bin ich unverändert, innerlich haben Gebärmutter, Eierstöcke und die Hypophyse im Gehirn aber begonnen, Hormone in meinen Körper zu pumpen. Wie Konfetti, das auf eine Bühne regnet, dringen sie in meine Blutbahn. Mein Körper tut alles, was in seiner Macht steht, um den Boden für ein neues Leben zu bereiten. In wenigen Tagen wird sich nämlich wieder ein Ei lösen und auf die Reise in Richtung Spermien, Gebärmutter, neues Leben begeben.

Ich koche das Mittagessen, und wir versuchen uns an einem Gespräch über die Nachrichten, einem Erwachsenengespräch, wie wir es früher häufig geführt haben, aber durch die Fragen unserer Dreijährigen werden wir wie so oft abgelenkt und schließlich geht es nur noch darum, dass einer von uns ihr aus dem Buch vorlesen soll, das sie auf dem Boden sitzend in den Händen hält. Als das Essen endlich fertig ist, will sie uns unbedingt von ihren Dinosauriern erzählen, davon, dass Velociraptoren scharfe Klauen haben und sie sich im Kindergarten darüber gestritten haben, wer mit der Triceratops-Figur spielen durfte. Was in den Nachrichten war, spielt plötzlich keine Rolle mehr, stattdessen müssen wir erzählen, was unsere Lieblingsdinosaurier sind, und dann zuhören, bis sie die lange Liste ihrer Lieblingstiere aufgesagt hat.

Gleichzeitig ist irgendwo in Nordamerika ein Nordopossum (Didelphis virginiana) am Ende seiner Schwangerschaft angekommen. Die etwa katzengroße Beutelratte mit dem weißen Gesicht und dem langen, nackten Schwanz ist in weiten Teilen der USA verbreitet. Die Tiere klettern in Bäumen und auf Hausdächern, schmeißen auf der Suche nach Nahrung Mülleimer um und sind ein wirklich süßer Anblick, wenn sie eine ganze Schar halbwüchsiger Jungen auf dem Rücken herumtragen. Dieser Eindruck ändert sich allerdings, wenn das Weibchen einen mit offenem Maul anfaucht und dabei seine spitzen Zähne zeigt.

Vor nur zwölf Tagen hat sich das Nordopossumweibchen von einem Männchen mit dessen Klicklauten verführen lassen. Die Tiere haben sich gepaart und das Männchen hat seinen zweigeteilten Penis in die Körperöffnung gesteckt, die die Opossumweibchen sowohl zum Urinieren als auch für die Fortpflanzung nutzen. Die beiden Penisteile haben jeweils ihren Weg in die beiden Scheiden gefunden und die Spermien sind in die zwei getrennten Gebärmuttern vorgedrungen, die beide einen eigenen Eileiter haben. Danach sind die beiden Beutelratten wieder getrennte Wege gegangen, und das Weibchen hat sein Leben allein fortgesetzt. Den Rest der Reproduktionsarbeit muss es allein erledigen. Das trächtige Tier befeuchtet seinen Pelz mit Speichel und bereitet so einen Weg über den Bauch in den Beutel, damit die Jungen nach der Geburt den Weg zu den Zitzen finden.

Die winzigen, haarlosen und fast durchsichtigen Rattenbabys sind nicht größer als ein Reiskorn, haben aber doch die wichtigste Reise ihres Lebens vor sich. Sie werden rasch durch einen provisorischen Geburtskanal geboren, der sich als eine dritte Passage zwischen den beiden Scheiden ausbildet. Der Kanal ist nicht eng, und es besteht keine Gefahr, dass sie sich mit den Schultern festsetzen. Ganz ohne die Hilfe der Mutter krabbeln die kleinen Reiskorn-Jungen zu der runden Öffnung des Beutels. Sie schwimmen dabei mit den Vorderbeinen, an denen sich eigens für diesen Zweck Krallen ausgebildet haben, durch den Pelz. Nach zwei bis vier Minuten sind sie dort, müssen sich aber beeilen, in dem Beutel befinden sich nämlich nur dreizehn Zitzen, und die neugeborenen Beutelratten heften sich an diese, sobald sie im Beutel sind. Im Schnitt werden sechzehn Junge geboren. Wer zu spät kommt und keine freie Zitze mehr findet, fällt schließlich aus dem Beutel und stirbt.1 Für sie gibt es keine Säuglingsstation, ihre Reise ist zu Ende.

Bei dem winzigen, vor Australien vorkommenden Seestern Cryptasterina hystera geht es noch schneller. Der Seestern muss keine Eier mehr in sich tragen und auch keine Jungen im Beutel aufziehen. Dieser Seestern ist ein zweigeschlechtliches Wesen, ein Herm­aphrodit. Im Gegensatz zu den meisten anderen Seesternarten entlässt er Eier und Spermien aber nicht einfach ins Wasser. Die Spermien gelangen durch die Reproduktionsöffnung, den Gonoporus, in den Körper und befruchten die Eier dort. In der Ovotestis, einer Zwitterdrüse, die die Funktion von Eierstöcken und Hoden vereint, wachsen und teilen sich die Eier. Sie werden zu Larven und schwimmen herum, bevor sie nach etwa zwei Wochen als kleine Seesterne geboren werden.2 Die Art Cryptasterina hystera ist evolutionär betrachtet mit vermutlich 6 000 Jahren eine noch sehr junge Art und damit ein Beispiel dafür, dass die Entwicklung der Jungen im Körper im Laufe der Evolution häufiger aufgetreten ist und auch noch weiterhin auftreten wird.3 Nicht nur wir Säugetiere tun das.

Unsere Kleine isst endlich ein Brokkoliröschen und ein paar Nudeln, wobei sie aber weiterhin über ihre Saurier redet. Ihr Gebrabbel ist bei den Gesprächen, die wir zu führen versuchen, eine nie endende Tonspur. Manchmal im Hintergrund, dann aber auch wieder so laut, dass wir nichts anderes hören. Sie erzählt, dass die Triceratops-Figur aus dem Kindergarten eine Mama ist, weil sie die größte ist. Alle anderen Tiere sind ihre Kinder, egal ob Löwe, Schaf oder Velociraptor. Dann schiebt sie den Stuhl nach hinten, rennt ins Wohnzimmer, ruft, dass wir kommen sollen, und verlangt Aufmerksamkeit und Fürsorge. Sie spielt in unserer kleinen Familie die Hauptrolle, seit sie auf der Welt ist. Wieder ruft sie. Sie will die Eisenbahn aufbauen.

Hat die Nordopossummama verschmitzt gelächelt, als sie die Klicklaute hörte? Hatte sie Schmetterlinge im Bauch, als sie das Männchen sah?

Hatte sie Lust, sich zu paaren, oder war es nur ein Urinstinkt, der sie dazu verleitete, den Schwanz zur Seite zu schlagen, um die Paarung überhaupt erst möglich zu machen?

Wir Menschen wissen, dass Sex sich gut anfühlen kann. Im Gegensatz zu vielen anderen Tieren haben wir auch dann Sex, wenn wir nicht schwanger werden können. Wir sind damit nicht die Einzigen. Die Bonobos (Pan paniscus) nutzen Sex zur Konfliktlösung und zur Stärkung des sozialen Zusammenhalts innerhalb der Gruppe.4 Sie würden das sicher nicht tun, wenn er ihnen nicht guttun würde.

Delfinweibchen (Delphinidae) streichen sich gegenseitig über die Klitoris, und sie haben auch dann Sex, wenn sie nicht fruchtbar sind.5 Unsere Gene werden sich verbreiten, dafür sorgt der Sexualtrieb – trotzdem kommt es bei überraschend vielen von uns nicht nur dann zum Sex, wenn daraus auch etwas entstehen kann.

Das Nordopossumweibchen hat sich freiwillig gepaart, es war in der Brunft, und es hat das Männchen zum Paarungsakt eingeladen. Wäre es nicht bereit gewesen, hätte es nicht auf die Klicklaute reagiert, sondern wäre weggelaufen.