Sacres: Die gelöschten Erinnerungen - Geraldine Reichard - E-Book
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Sacres: Die gelöschten Erinnerungen E-Book

Geraldine Reichard

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Beschreibung

In einer dystopischen Zukunft werden am Tag der Veränderung Berufe zugeteilt und das Ausbildungswissen direkt in die Köpfe der Jugendlichen programmiert. Bei dem Prozess verlieren sie jegliche Erinnerungen an ihre früheren Leben. Die 17-jährige Emilie kann ihren großen Tag kaum erwarten, soll sogar von dem jungen, prominenten Gedankenleser Chad verändert werden, aber irgendetwas scheint nicht zu stimmen… Sie halluziniert im Behandlungszimmer, entpuppt sich selbst in letzter Sekunde als Gedankenleserin und entgeht damit einem schrecklichen Schicksal, was ihrem Bruder ereilt. Nachdem Chad ihr die wahre Bedeutung der Veränderung eröffnet hat, muss sie sich mit diesem fürchterlichen Wissen auf einer geheimen, militärischen Schule voller Gedankenleser durchschlagen. Zudem stellen sich ihre zweifelnden Gedanken bald als Gefahr für ihr Leben heraus… Nur der elitäre Chad beschützt sie, aber er hat große Erinnerungslücken und ein fürchterliches Geheimnis...

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Inhaltsverzeichnis

1.Kapitel

2.Kapitel

3.Kapitel

4.Kapitel

2.Teil

5.Kapitel

6.Kapitel

7. Kapitel

8.Kapitel

9.Kapitel

10.Kapitel

11.Kapitel

13.Kapitel

14.Kapitel

15.Kapitel

16.Kapitel

17.Kapitel

18. Kapitel

Impressum

Geraldine Reichard

Sacres

Die gelöschten Erinnerungen

Band 1 der Serie

Die gelöschten Erinnerungen – Band 1

Die zerstörten Erinnerungen – Band 2

Die befreiten Erinnerungen – Band 3

Die verlorenen Erinnerungen – Band 4

ISBN: 978-3-96994-673-2

1.Kapitel

Wenn meine Vergangenheit ausgelöscht wird, ist das nicht eine Form von Sterben?

In weniger als einer Stunde wird nichts mehr so sein wie vorher. Ich werde nicht mehr denken, wie ich jetzt denke und nichts mehr wissen, was ich jetzt weiß.

Die Schwebebahn fährt ohne Umwege zum Gedankencenter. Meine Mutter sitzt neben mir und hält meine Hand.

„Alles klar bei dir, Emilie? Du siehst nachdenklich aus.“

„Ich frage mich nur die ganze Zeit, wonach sie entscheiden, was ich werde. Ob ich es nicht doch irgendwie beeinflussen kann.“

Meine Mutter schüttelt den Kopf. „Das ist kein Test. Man kann nichts falsch machen.“

Es heißt, die Gedankenkünstler müssten einen nur ansehen, um zu wissen, welche Möglichkeiten man hat. In gewisser Weise ist das ein Test. Man weiß nur nicht, was geprüft wird.

Mama seufzt. „Ach Schätzchen. Mach dich nicht verrückt. Es wird schon gut werden. Danach wirst du glücklicher sein, klüger und viel leistungsfähiger.“

„Macht es dich nicht traurig, dass ich dich nicht mal vermissen werde?“

„Sehr sogar. Das wirst du mir voraushaben“, sagt sie und streicht mir eine Strähne aus dem Nacken. Aus dem Fenster sehe ich die silbernen Gebäuderiesen Berlins in gleißendem Sonnenschein baden. In den obersten Etagen der gigantischen Gebäude befinden sich ausschließlich Büros und schier unbezahlbare Luxuswohnungen, die man nur über die Schwebebahn oder Hovercars erreichen kann. Auf den Dachterrassen liegen Gärten, Swimming-Pools oder Sportanlagen. Wer hier wohnt, hat in der Regel genug Geld, um seine Kinder mit den hochwertigsten Gedankeninjektionen vollzupumpen, damit sie die besten Jobs und Studienplätze bekommen, während Jungen und Mädchen aus der unteren Ebene wie ich nur ein einziges Mal falsche Erinnerungen bekommen. Aber dieser Eingriff hat es in sich – ein Gedankenleser löscht alle Erinnerungen an das alte Leben restlos aus und ersetzt sie durch Künstliche, die nebenbei unseren Beruf festlegen. Wir werden zu völlig anderen Menschen gemacht. Daher der Name des Events - Veränderung.

Es ist also einfach. Weil unsere Erinnerungen, warum auch immer, nicht vielversprechend genug sind, sollen andere in unsere Haut schlüpfen. Da weiß man wenigstens, was man hat. Nebenbei hat die Prozedur den Vorteil, dass plangenau genau die Ämter bekleidet werden können, die gerade gebraucht werden.

Nichtsdestotrotz sehe die obere Ebene zum ersten Mal aus diesem Blickwinkel. Ich wollte den Anblick der glitzernden Nachmittagssonne über Dachterrassen und Poolflächen in mich aufsaugen solange ich noch kann, aber jetzt spüre ich nur Angst, Durst, und die Sitzlehne, gegen die mein Bruder Robert aus Langeweile boxt?

„Hey Emilie. Jonas sagt, dass sie es einem bis zum letzten Moment nicht verraten, was man wird.

Das dürfen sie nicht. Außerdem wird es wehtun. Sehr sogar.“

„Das ist doch Blödsinn, Rob und das weißt du auch“, rufe ich zurück. Alles, was Rob will, dass

Mama sich mies fühlt, weil das Geld gefehlt hat, um uns die Veränderung zu ersparen.

Ich zucke vor Schreck zusammen, als die Bahn plötzlich langsamer wird, aber es ist nur eine Zwischenstation. Ich sehe meine Freundinnen schon von weitem. Bonnie hat vom Heulen verquollene Augen, trägt einen Verband um den Arm und weicht meinen Blicken aus, während

Vanessa mir aufgedreht und grinsend um den Hals fällt. Dann setzen sich die beiden mir und meiner Mutter gegenüber.

„Na, Emmi, was hast du zur Veränderung bekommen?“

„Ach das Kleid“, sage ich.

„Oh schön“, sagt Vanessa, dabei ist es alles andere als hübsch. Mama musste es sogar mit einer Sicherheitsnadel feststecken, damit es nicht rutscht. Ist unter normalen Umständen auch saublöd, Kleidung zu schenken, aber am Tag der Veränderung ist alles, was man nicht am Körper trägt, nutzlos. Selbst Bücher muss man am Sicherheitscheck abgeben.

„Also ich habe nichts bekommen. Ich wollte nichts. Ist ja auch sinnlos mit den Geschenken. Überhaupt ist alles sinnlos“, sagt Bonnie und schnäuzt sich die Nase. Vanessa seufzt.

„Es ist wegen ihrem Freund. Sie haben sich gestern nach der Veränderungsfeier beide den Namen des anderen in den Arm geritzt – damit sie sich nicht vergessen. Als wenn das funktionieren würde. Sie werden die Wunde schon irgendwie zunähen oder abdecken und überhaupt – was bringt eine komische Narbe, wenn sie einen an nichts erinnert?“

„Wir werden uns schon erinnern. Wahre Liebe überwindet nämlich alle Grenzen, aber davon kannst du nichts wissen“, sagt Bonnie, „du hattest ja noch nie einen Freund.“

„Na und? Das erste Leben zählt nicht. Außerdem habe ich habe Traum-Noten und einen tollen Charakter. Wenn eine von uns eine Topstelle bekommt, bin das wohl ich. Die Gedankenkünstler

können einem das ansehen.“

„Dir werden sie vor allem deine Arroganz ansehen“, sage ich.

Daraufhin lacht Vanessa laut auf. „Wusstet ihr. Es heißt, dass Gardisten in den Gedankencentern

aushelfen. Wenn wir Glück haben, löscht einer von denen unsere Erinnerungen.“

Gardisten sind prominente Gedankenkünstler, die in der Bevölkerung wie Superstars verehrt werden. Sie gelten als Vorbilder, dabei haben wir keine Chance dahin zu kommen, wo sie sind. Die

Fähigkeit Gedanken zu lesen ist erblich und bricht wenn dann zwischen zwölf und vierzehn aus – mit sechzehn bin ich endgültig drüber.

„Oh man. Wenn einer von denen mich berührt, wäre mir alles andere egal. Also Emmi. Wenn du dir einen von denen für deine Veränderung aussuchen könntest. Wen würdest du dann nehmen?“ Sie deutet auf den Aufdruck auf dem Garden-Fan-Shirt, das sie trägt. Die fünf Gardisten posieren in ihren Uniformen, elitär und grazil. Einige haben Waffen in der Hand, damit sie besonders bedrohlich und begehrenswert aussehen. Ich habe keinen einzigen Namen im Kopf. Also sage ich einfach: „Ich

glaube die Frau. Die ist immerhin kein arroganter Macho. Aber eigentlich ist mir das ziemlich egal.“

Am liebsten würde ich überhaupt niemanden an meine Gedanken lassen.

„Außerdem stehen die Chancen, dass ausgerechnet eine von uns von einem Gardisten verändert wird eins zu tausend“, sagt Bonnie und verschränkt die Arme vor der Brust.

„Ihr seid solche Spielverderber“, sagt Vanessa.

„Entschuldigung, aber ich kapiere einfach nicht, wie ihr jetzt noch über die Garde reden könnt.

Habt ihr denn gar keine Angst?“, fragt Bonnie, flüstert aber dabei. Die Veränderung ist ein Geschenk und wer von Angst spricht, gilt als schwach und undankbar.

„Na, ja. Wir sterben praktisch und stehen als optimierte Menschen wieder auf? Wer hätte da keine Angst?“, sage ich.

Vanessa schüttelt den Kopf, beugt sich vor und nimmt meine Hände. „Emmi. So darfst du das nicht sehen. In einer Stunde hast du es geschafft. Dann wird alles besser sein.“

„Sie hat recht“, sagt meine Mutter und streichelt meine Schulter. „Man darf nicht zu viel darüber nachgrübeln. Dabei wird man ja irre.“

In diesem Moment fährt die Bahn quietschend in einen überdachten Bahnhof ein. Auf dem Stationsschild steht „HD-Gedankencenter“. Vanessa und Bonnie gehen zurück zu ihren Eltern, damit sie sich im Kreis der Familie verabschieden können, während ich bei Mama und Rob bleibe.

„Aber wir sehen uns sicher im Wartezimmer“, ruft Vanessa mir nach.

„Bestimmt“, sage ich, obwohl es alles andere als klar ist, dass wir uns in den Menschenmassen wiederfinden werden. Weil der Andrang so groß ist, sind heute etliche Warte- und Löschzimmer für uns reserviert und es ist keinesfalls garantiert, dass man bis zum Schluss mit seinen Freunden zusammenbleibt. Personal checkt die Toiletten, winkt uns nach draußen und versetzt jedem einen groben Stoß, der sich nicht schnell genug auf die Ausgänge zubewegt. Als ich an einem Kontrolleur vorbeigehe, durchzuckt es mich eiskalt. Die Augen des Beamten wirken ausgetrocknet, seine Lieder zucken nicht, die Haut ist blass. Überhaupt rührt er keinen Muskel, der für seine Aufgabe nicht unbedingt nötig ist. Ein Prod. Prods sind ehemalige Straftäter, denen alle Erinnerungen durch ein Arbeitsprogramm ersetzt wurden. Sie arbeiten effizient und billig wie Roboter. Es ist umstritten, ob sie überhaupt bei Bewusstsein sind. Man sagt, dass es Unglück bringt, einem Prod direkt in die Augen zu sehen, also wende ich mich hastig ab.

Auf der Dachterrasse vor dem Gedankencenter ist es rappelvoll. An der Eingangstür hält uns ein Wachmann auf. An seinem Stirnband erkenne ich seinen Rang und zucke zusammen. Kann er wirklich alles mithören, was ich denke? Ein Gefühl von Schwäche und Hilflosigkeit zieht durch meinen Körper.

„Ihr müsst euch hier verabschieden“, sagt die Wache. Niemand hat Einwände. Gedankenleser genießen großen Respekt und das nicht ohne Grund. Ein einziger rebellischer Gedanke könnte uns in Schwierigkeiten bringen.

Zuerst umarme ich Rob. „Mach´s gut“, sagt er. „In deinem neuen Leben können dich andere nerven.“

„Du hast das Zeug zum Piloten“, sage ich. „Um das zu erkennen, braucht man keine Gedanken lesen zu können.“ Das ist nämlich Robs Traum. Pilot werden. Ich komme mir heuchlerisch vor, ihm solche Versprechungen zu machen, aber letztendlich bleibt uns nicht als dem blinden Vertrauen darauf, dass die Gedankenleser richtig entscheiden? Dann werde ich kontrolliert. Ich trete vor, streiche mir die Haare aus dem Gesicht und lasse den Gedankenkünstler meine Stirn berühren. Erst spüre ich nur den Druck, aber dann scheinen tausend Nadeln in meine Kopfhaut zu stechen. Lichtblitze zucken auf. Als sich der Rummel um den Eingangsbereich wieder materialisiert, taumele gegen den Körper meiner Mutter und klammere mich instinktiv an ihr fest.

„Es geht mir nicht gut. Nimm mich wieder mit nach Hause, bitte!“

Ich schnappe nach ihrer Hand, aber meine Mutter drückt mich stattdessen an sich, sodass ich kaum noch Luft bekomme.

„Sag so etwas nie wieder“, flüstert sie mir ins Ohr. Dann drückt sie mich mit Hilfe der Wache in den Strom. Tolle Verabschiedung. Tja, was soll´s? So lange wird die Szene eh nicht mehr in meinem Kopf sein. Trotzdem muss ich mir auf die Zunge beißen, um nicht loszuheulen.

Die Eingangshalle ist brechend voll. Staubiges Tageslicht wirft gelbe Flecken auf den Marmorboden, den das Logo des Human Designs ziert. Die Buchstaben H und D sind so miteinander verschlungen, dass sich zwei abgeschlossene Flächen ergeben, in der sich jeweils ein Auge befindet.

Elektronische Werbetafeln hängen an den Wänden. Im Sommer stehen Urlaubserlebnisse gut im Kurs, weil sie billiger sind als echte Urlaube und die meisten Naturparadiese heutzutage sowieso zugebaut oder vernichtet sind. Auf einem Plakat sind gutaussehende, strahlende Schüler verschiedener Nationalitäten abgebildet, die um einen weißen Tisch sitzen und angeregt gestikulieren. Darunter der Spruch, „Büffeln war Gestern – spielend durchs Studium.“ Tja, nicht für mich. Ich werde nie studieren. Niemand finanziert mir die nötigen Wissensinjektionen, die kein Auswendiglernen kompensieren kann.

„Hier entlang“, sagt der Gedankenkünstler, der mich kontrolliert hat. Ich werde in einen Glasaufzug geschleust, der so voller Jugendlicher ist, dass ich nur noch stechende Parfum- und Schweißdünste einatme. Wenig später sitze ich schon in einem Warteraum. Anders als ich haben es viele in den gleichen Warteraum geschafft wie ein Freund oder eine Freundin und wirken nicht besonders nervös. Nur ein Junge hat vom Heulen gerötete Augen und drückt die Hände in den Schoß, während seine Sitznachbarn Witze reißen oder ihn bewusst ignorieren. Auf einem Flatscreen läuft eine bekannte Fernsehshow, bei der prominente Gedankenkünstler den Kandidaten peinliche Erlebnisse entziehen. Alle zwanzig Minuten wird das Programm für wenige Sekunden unterbrochen, um Name und Lichtbild von demjenigen anzuzeigen, der als nächstes dran ist. Anna Bering, Justus Carrera. Ich habe noch Zeit, aber wenig später beugt sich plötzlich eine junge Frau in weißem Kittel

über mich. „Du bist nicht sehr aufmerksam, was?“

Sie nimmt meine Hand und zerrt mich aufrecht. Erst als ich stehe, merke ich wie schwach und zittrig sich meine Beine anfühlen. Der Raum schwankt wie aufgewühltes Wasser.

„Geht es dir gut? Du wirkst so ... überrascht“, sagt die Frau.

„Ich dachte nur, es dauert länger“, sage ich. Mein Hals ist auf einmal ganz trocken.

„Tja, tut es wohl in deinem Fall nicht, aber früh drankommen hat auch seine Vorteile. In einer

halben Stunde wirst du schon wieder draußen sein.“

Das Löschzimmer ist hübsch eingerichtet. Es läuft ganz leise entspannende Musik. An der Wand hängen Bilder von imposanten Wasserfällen, Berggipfeln und Schluchten. Fenster gibt es dafür

nicht. Löschzimmer sind wie kleine, abgeschlossene Welten. Ich soll mich wohl fühlen, aber äußere Einflüsse dürfen meinen Geist nicht antasten, während der Gedankenkünstler mich verändert. Das könnte das Ergebnis verfälschen.

„Du kannst schon mal auf der Liege Platz nehmen“, sagt die Frau, die mir die Tür geöffnet hat, „der Gedankenkünstler kommt gleich. Und binde deine Haare nach hinten.“

Der Gedankenleser wird meine Stirn berühren. Es wird kratzen und jucken, wenn Strähnen dazwischenkommen, aber das ist meine geringste Sorge. Trotzdem – es wirkt bestimmt beleidigend, wenn ich meine Haare nicht nach hinten binde. Also tue ich es, setze mich vorsichtig auf die Liege und beiße mir auf die Zunge. Plötzlich merke ich, wie ich am ganzen Körper zittere. Ich fröstele. Das muss von der Aufregung kommen, rede ich mir ein und atme kontrolliert ein und aus. Wenig später schwingt die Tür von innen auf. Der Gedankenleser hat blondes Haar, trägt ein Stirnband und eine Uniform. Es ist aber nicht die des Gedankencenters, sondern eine Militärische mit einem Waffengürtel, dessen Anblick mir das Blut in den Adern gefrieren lässt. Ich schätze ihn auf höchstens zwanzig. Seine Augen sind blau wie Eiswasser. Man muss ihm lassen, dass er verdammt gut aussieht, aber kaum hat er mich gesehen, verfinstert sich seine Miene. „Nicht zu fassen. Von allen Mädels, die da draußen warten, erwische ich ausgerechnet diejenige, die nicht mal weiß, wer ich bin.“

Ich bin zu perplex, um etwa zu sagen. Hätte ich denn wissen sollen, wer er ist? Er steuert auf mich zu. In einer Hand hält er eine elektronische Liste, in der anderen eine Erinnerungskapsel, die er spielerisch hochwirft und wieder auffängt wie einen Tennisball. Soll darin meine Zukunft stecken? Ich halte es für unwahrscheinlich. Wie soll er schon vor meiner Begutachtung wissen, wofür ich mich eigne?

„Na komm. Klingelt da wirklich nichts bei dir?“, fragt er und zwinkert mir zu, während er seine Jacke auszieht und an einen Kleiderhaken neben der Tür hängt. Ich sehe ihn fragend an. Auf einmal erkenne ich ihn – er ist einer der Gestalten von Vanessas T-Shirt. Weil mir sein Name nicht einfällt, sage ich einfach: „Du bist Gardist?!“

„Ich heiße Chad zu deiner Information“, sagt er und stöhnt auf, „hätte nicht gedacht, dass ich das noch mal jemandem erklären muss.“

Was für ein aufgeblasener Angeber und den soll ich an mein Innerstes lassen?

„Hey, das habe ich gehört“, sagt Chad, während er sich einen gepolsterten Hocker heranzieht, sich breitbeinig darauf setzt und ihn näher zu meiner Liege heranfährt.

„Das tut mir aber Leid“, sage ich und vergesse über meine Wut beinahe die Angst vor der Veränderung.

„Also, dann. Bringen wir es hinter uns“, sagt Chad und krempelt seine Ärmel hoch. „Lehn dich zurück, atme regelmäßig und denk an was Schönes.“

„Warte mal“, sage ich panisch, „ich dachte, du erklärst mir erst mal etwas dazu. Was du machst und so?“

„Ich lösche deine Erinnerungen und dann bekommst du Neue“, sagt er und grinst verschmitzt, „aber das wusstest du doch, oder?“

Ich hasse ihn.

„Oder willst du sonst noch etwas von mir? Eine Bonuserinnerung – Hoverboard-Fliegen, Shisha-Rauchen, Bergsteigen? Ein letzter Kuss...“

„Letzter?“

„Letzter in deinem ersten Leben meine ich“, sagt Chad, aber ich habe kein Bedürfnis nach Zärtlichkeiten von einem Wildfremden. Mich interessiert nur eine Sache. „Wie fühlt sich das an? Das Vergessen?“

Chad seufzt. Scheinbar kann er das Gefühl nicht in Worte fassen oder will mir die Frage nicht beantworten. Aber dann sagt er: „Es dauert etwa eine halbe Stunde. Am Anfang wird es verdammt wehtun, aber dann schalte ich so schnell es geht dein Schmerzempfinden aus. Du wirst Vergangenes in sekundenschnelle nochmal durchleben. Wir werden drei Pausen machen. In der ersten wirst mich vielleicht fragen, wo du bist und was du hier machst, aber ich werde es dir nicht begreiflich machen

können. Vielleicht wirst du mich auch für deinen Bruder oder einen Freund halten. Ich hab schon alles erlebt.“

Chad redet weiter, aber meine Aufmerksamkeit richtet sich auf die lauten Stimmen, die aus dem Warteraum kommen müssen. Sie werden immer lauter, aber Chad redet unaufhörlich weiter ohne sich daran zu stören. „In der zweiten Pause wirst du nicht mehr wissen, wie die Gegenstände heißen, die sich in diesem Raum befinden, weil dein Faktengedächtnis so gut wie leergefegt ist. Du wirst nicht mehr wissen, wie du heißt oder wer deine Eltern sind und wenn du versuchst mit mir zu reden, wird nur Kauderwelsch dabei rauskommen...“

„Es ist so laut“, sage ich dazwischen. „Kannst du die Tür nicht zumachen?“

„Was ist? Willst du es jetzt wissen oder nicht?“, sagt Chad.

Währenddessen dringen die Stimmen aus dem Warteraum in meinem Kopf. Sie sind jetzt nicht einfach nur laut und überlagern sich gegenseitig, sondern kreischen so schrill, dass sie mir wehtun.

Ich springe auf, presse mir die Hände auf die Ohren und renne kreischend aus dem Raum. Nicht hauptsächlich, um vor meinem Schicksal wegzulaufen, sondern um es außer Hörweite der schrillen, schmerzenden Stimmen zu schaffen. Ich sprinte über einen leeren Gang. Aus dem Augenwinkel erkenne ich, wie Chad seine Pistole zieht und mir nachrennt, aber diese Bedrohung macht überhaupt keinen Eindruck auf mich. Die Stimmen sind so furchtbar, dass ich nur auf den erlösenden Kopfschuss warte. Aber stattdessen hört meine Beinmuskulatur plötzlich auf zu arbeiten. Ich fliege nach vorne, knalle bauchwärts auf den Boden und schmecke Blut. Chad krallt sich meine Hände, die

ich noch verbissen auf die Ohrmuscheln drücke.

„Das bringt doch nichts. Es ist in deinem Kopf“, sagt er. Ich befehle meinen Beinen aufzustehen oder wenigstens nach Chad auszutreten, aber es ist hoffnungslos. Sie sind gelähmt. Ich schreie:„Was machst du mit mir?!“

Anstatt darauf zu antworten, gräbt Chad nur einen Arm unter meine Kniekehlen, schiebt den anderen unter meinen Rücken und trägt mich fort, während ich schreie und versuche Chad in den Hals zu beißen, denn meine Gesichtsmuskulatur hat er nicht übernommen. Er schleppt mich in den Keller. Hier gibt es mehrere Zellblöcke. Sie wollen mich also einsperren und andere vorziehen, bis ich mich beruhigt habe. Die Türen sind stark gesichert und sehr dick.

Wozu das Ganze? Schon eine gewöhnliche verschlossene Tür würde mir die Flucht unmöglich machen. Immerhin klärt die kühle Luft meinen Kopf. Überhaupt sind alle Beschwerden auf einmal verschwunden, aber das zählt nicht mehr. Wenn überhaupt zählt, was ich je getan oder gelassen habe.

Ich lande in einem drei mal drei Meter Raum. Es ist gerade genug Platz für ein Feldbett und einen weißen Wandschrank. Erst als mir die dünne Blutstrieme an Chads Hals auffällt, begreife ich, was ich angestellt habe. Ich bin ausgerastet, aus dem Löschzimmer gerannt und habe einen Gedankenleser angegriffen. „Es tut mir Leid. Da waren diese Stimmen...ach egal...du musst mich für verrückt halten.“

„Du bist nicht verrückt.“ Er sieht mich ernst an. „Was du gehört hast, waren Gedanken.“

„Ja, wahrscheinlich deine“, sage ich vorwurfsvoll und drücke mein Gesicht in das Kissen.

„Vielen Dank auch. Hat wehgetan.“

„Schwachsinn. Ich hatte nichts damit zu tun und überhaupt würden sich meine Gedanken viel angenehmer anfühlen. Spaß beiseite. Emilie. Du bist eine von uns. Du kannst Gedanken lesen.“

„Nein“, sage ich und schüttele ungläubig den Kopf, „das kannst nicht sein. Ich bin zu alt. Das Thema ist schon längst gegessen.“

„Ja, ich bin auch überrascht, aber du kannst mir glauben. Ich weiß, wie sich die Symptome anfühlen. Auch dass es hinter dicken Wänden besser wird. Alles spricht dafür.“

„Ach ja? Und warum höre ich dann nichts von deinen angenehmen Gedanken?“

Jetzt lächelt er. „Könntest du. Wenn ich mich nicht vor abschirmen würde, aber dann könnte ich auch gleich nackt vor dir rumlaufen.“

„Und mit warum liest du dauernd meine Gedanken, wenn du das so intim findest?“

„Tja, nicht mein Problem, wenn deine penetranten Gedanken praktisch in einer Wolke um dich schweben. Wie auch immer. Hast du es jetzt endlich begriffen?“

Ich zucke mit den Schultern. Ich war mit fünfzehn noch bitter enttäuscht, dass ich keine Anfälle bekam, hatte mich dann aber schnell damit abgefunden. Jetzt mit sechzehn liege ich auf einem Feldbett im Keller eines Gedankencenters, habe außer einem aufgeblasenem Gardisten niemanden mehr und fühle mich elendig. Chad kommt an das Bett und hockt sich zu mir runter. „Jetzt freu dich verdammt noch mal endlich. Das hier“, sagt er und hält mir die Kapsel lächelnd vor die Nase,

„hättest du sowieso nicht gewollt.“

„Wieso? Was ist denn das?“

„Ach...also. Na gut. Würdest es sowieso früher oder später erfahren“, sagt Chad und räuspert sich. „Sicher weißt du, dass Wissensinjektionen im Allgemeinen teuer sind. Das hat seinen Grund.

Das Gehirn arbeitet assoziativ. Es ist schwierig neues Wissen zu injizieren und mit bestehenden Erinnerungen zu verflechten, sodass man es später tatsächlich abrufen kann.“

„Ja das weiß ich.“

„Dagegen ist es unkompliziert die ganze Festplatte ohne Rücksicht auf Verluste leerzufegen und mit etwas...na, ja...Simplerem zu überschreiben.“

Ich schaue ihn entgeistert an. Auf einmal dämmert es mir. „Du meinst, ihr macht uns zu Prods?“

Daraufhin nickt Chad nur.

„Aber die Geschenke, die hübsche Kleidung, das Gerede von Ehre und großer Tag...das ist alles nur ... gelogen?“

Chad schüttelt den Kopf. „Im Grunde genommen lügen wir nicht. Wir sagen euch nur nicht die ganze Wahrheit.“

Mir wird übel. Dass mir dieses Schicksal als Begabte erspart bleibt, macht es nicht viel besser. Chad hätte mich um ein Haar zu einem Prod gemacht und was ist mit Vanessa, die auf ihre erste

Beziehung wartet, was ist mit Bonnie und ihrem Freund? Und Rob. Rob, dem ich mein Versprechen gegeben habe. „Und mein Bruder? Habt ihr ihn schon rausgeholt. Wenn ich begabt bin, ist er es doch bestimmt auch.“

„Unwahrscheinlich. Seine Chancen standen eins zu zehntausend. Unabhängig von deinen.“

„Bitte. Ihr müsst ihn wenigstens prüfen.“

Ich flehe, protestiere schreie und boxe gegen Chads Brust, aber der fängt meine Hand ab und jagt mir einen bohrenden Schmerz durch den Kopf. Ich beiße die Zähne zusammen und schreie ihn an: „Aber das ist unfair?“

„Sagt das Mädchen, das gerade im Lotto gewonnen hat.“

Ich reiße mich los und renne zur Tür. Ohne Rob werde ich nicht kooperieren.

„Ok. Du hast es so gewollt.“ Ich spüre gerade noch einen Druck gegen die Magengrube und eine eiskalte Hand auf der Stirn. Ein Schmerz zuckt durch meinen Kopf und die Tür vor meinen Augen verschwimmt, bis ich nur noch wabernde Schwärze sehe. Es fühlt sich an wie unter Wasser gedrückt zu werden. Mir wird übel. Ich spüre noch wie meine Beine unter mir wegknicken und mein Rücken gegen etwas Weiches sackt. Dann verliere ich das Bewusstsein.

2.Kapitel

Grelles Licht flutet in meine Augen, als ich aufwache. Ich liege unter einer dünnen Decke und trage immer noch das rote zu große Kleid, das Mama mir zur Veränderung geschenkt hat. Es dauert ein paar Minuten, bis ich begreife, wo ich bin und was passiert ist. Chad muss irgendetwas gemacht, damit ich einschlafe. Ich hasse ihn dafür.

„Danke, dir auch guten Morgen“, höre ich eine dumpfe Stimme aus dem Badezimmer.

„Kannst du das nicht mal abstellen?“, brülle ich gehässig zurück.

„Ist nicht meine Schuld, dass du dich nicht abschirmen kannst.“

Als Chad aus der Dusche kommt, sitze ich immer noch im Bett. Er hat sich nicht die Mühe gemacht, etwas überzuziehen. Nur ein weißes Handtuch ist um die Hüfte gebunden. Na toll. Er will wohl herausfinden wie ich auf sein Sixpack reagiere, aber daraus wird nichts. Die Brandnarbe auf seiner Stirn zieht all meine Aufmerksamkeit auf sich. Sie stellt das Logo des Systems dar – Ein S in einem Kreis, der durch eine geschwungene Linie in zwei Segmente geteilt wird. Es sind zahlreiche Gerüchte im Umlauf, was sich unter den Stirnbändern der Gardisten verbirgt, an dem wichtigsten Zugangspunkt zu ihren Erinnerungen. Das Brandzeichen war die bekannteste Theorie. Trotzdem schockiert mich der Anblick von zerklüfteter Haut jetzt. Das muss wehgetan haben. Chad hält mir einen Stapel frischer Kleidung entgegen.

„Zieh das an. Wie ich Taylor kenne, will er dich sicher noch vor dem Frühstück ansehen“

„Wer ist Taylor?“

„Dein zukünftiger Ausbilder.“

Angst kriecht in mir hoch, aber ich fasse mich und schleppe den Kleiderstapel in ein winziges Badezimmer. Damit die Klamotten nicht nass werden, lege ich sie in das Waschbecken, steige unter die beengte Dusche und betätige den Regler. Obwohl ich mit meinen Gedanken nicht allein bin, fühle mich durch verschlossene Tür und Duschvorhang abgeschottet genug, um einen Plan zu schmieden. Die Gedankenleser haben mir meinen Bruder genommen. Ich will mich ihnen nicht anschließen, aber was bleibt mir anderes übrig? Solange ich mich nicht abschirmen kann, bin ich hilflos, und selbst wenn. Chad braucht mich nicht mal zu berühren, um sich Kontrolle über meinen Körper zu verschaffen, und würde jeden Fluchtplan erkennen, bevor ich ihn in die Tat umsetzen kann. Es ist hoffnungslos.

Ich schalte die Dusche ab und ziehe mich an. Meine Garnitur besteht lediglich aus Unterwäsche, festen Schuhen und einem weißen Overall, auf dem in Brusthöhe das Logo des Systems prangt. Ich sehe aus wie in einem modernen Marken-Trainingsanzug. Gar nicht mal schlecht. Als ich zurückkomme, sitzt Chad abreise bereit auf der Kante meines Feldbettes. Von Taylor ist weit und breit keine Spur.

„Setz dich.“

Seine guten Manieren hat er scheinbar abgelegt, denn seine Lippen bewegen sich kein Stück.

„Ich zeige dir, wie man sich abschirmt.“

„Muss ich das lernen...jetzt?“

Chad nickt. „Wir haben nicht viel Zeit, aber ja. Besser jetzt. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie viele sonst nur so zum Spaß in deinen Kopf schauen.“

„Wenn du damit aufhören würdest, wäre es einer weniger“, sage ich und verdrehe die Augen. Chad will gerade zu einer Erklärung ansetzen, als die Zellentür aufschwingt. Ich zucke zusammen. Ein uniformierter, durchtrainierter Mann mittleren Alters mit breiten Schultern, blondem Haar und markantem Kinn tritt ein und mustert mich wie ein Schlachtvieh. Als er damit fertig ist, bietet er mir mir seine Hand an. Ich nehme sie zögernd entgegen. Seit Chad mich durch eine einzige Berührung betäubt hat, traue ich keinen fremden Händen mehr.

„Hallo, ich bin Jonathan Taylor. Wie geht es dir Emilie?“

„Gut“, sage ich, dabei weiß Taylor sicher, dass diese Antwort gelogen ist.

„Weißt du, warum wir hier sind?“

„Um mich abzuholen?“, frage ich mit zittriger Stimme.

„So könnte man es ausdrücken. Du hast großes Glück.“

Ich weiß nicht, wie ich reagieren soll, also sage ich einfach: „Danke.“

„Wir werden in zehn Minuten abreisen. Also um sicherzustellen, dass du keine verunreinigenden

Gedanken ... zu den anderen trägst, muss ich dich kurz untersuchen. Darf ich?“

Mein Herz macht einen Satz. Aus diversen Erzählungen weiß ich, dass es wehtun wird. Chad schüttelt den Kopf und hält schützend einen Arm vor mich. „Das ist nicht nötig, Sir. Ich war die ganze Nacht bei ihr und hab nichts Bedenkliches vernommen.“

„Mag sein, aber es ist ein Befehl. Wir müssen sichergehen.“

„Was heißt, meine Gedanken sind verunreinigt?“

„Könnten verunreinigt sein“, korrigiert Taylor.

„Wie, aber wann soll das passiert sein?“

„Es ist so“, sagt Taylor und beugt sich zu mir herab, „in der Regel ist eindeutig festgelegt, welche Kinder eine Begabung entwickeln und welche nicht. Bei dir war eher nicht damit zu rechnen.

Potenziellen Kandidaten werden sorgfältig vorbereitet. Wir wissen sehr detailliert, wer sie sind und...“

„Halten Sie mich für eine Rebellin?“, frage ich erschrocken, „weil ich bin auf jeden Fall keine.“

Taylor sieht mich an als hätte ich gerade etwas Unverzeihliches gesagt. Dann schüttelt er den

Kopf. „Ich weiß nicht, was man dir beigebracht hat, aber Rebellen gibt es nicht. Spielt auch keine Rolle, wofür ich dich halte. Es ist Vorschrift. Also. Leg dich auf den Rücken, sieh mich an und versuch an gar nichts zu denken. Am besten zählst du von zwanzig runter. Das hilft.“

„Tut es weh?“

Darauf antwortet Taylor nicht. Ein eindeutigeres „ja“ könnte ich mir kaum vorstellen.

„Es fühlt mich an wie Träumen nur schneller“, sagt Chad, „nicht unangenehmer als das gestern.“

Das beruhigt mich nicht. Stattdessen ruft mir die Bemerkung ins Gedächtnis wie grob Chad mit mir umgegangen ist. Ich lege mich hin. Taylor beugt sich über mich und pult seine rechte Hand aus dem Handschuh. Chad positioniert meine Füße parallel zueinander. Ich atme durch den Mund.

„Zählen“, erinnert mich Chad.

Na schön. Ich schließe die Augen und zähle:„Zwanzig, neunzehn, achtzehn...“ Es tut überraschend gut, sich auf etwas zu konzentrieren. „Fünfzehn, vierzehn.“ Dann geht alles sehr schnell. Ich spüre unsanften Druck gegen meine Stirn. Zuerst verabschiedet sich mein Bewusstsein von Zeit und Ort. Dann explodiert ein sengender Schmerz in meinem Kopf. Erinnerungen flackern auf. Rob, wie er durch die Glastür geschubst wird, das Gesicht meiner Mutter, Vanessa und ihr T-Shirt, aber auch längst vergangene Bilder wie das des Schulgebäudes oder von dem grünen Waldsee. Als es vorbei ist, kribbelt meine Stirn wie unter Strom gesetzt, aber als ich sie anfasse, fühlt sie sich nur heiß und verschwitzt an. Chad hilft mir auf.

„Das ist gleich vorbei“, sagt er. Trotz meines Zustandes gönnt mir niemand eine Pause. Wir brechen sofort auf.

„Ich habe Durst“, sage ich auf dem Weg nach draußen. Kein Wunder. Seit gestern Abend habe ich weder gegessen, noch getrunken. Mein Hals ist trocken wie Schmirgelpapier.

„Du bekommst etwas zu trinken, wenn du im Transporter bist“, verspricht mir Taylor. Wir durchqueren den Gang mit den Zellen und verlassen das Gebäude klammheimlich durch eine Hintertür, die direkt auf einen Parkplatz führt. Über eine schmale Treppe steigen wir in ein ist ein fensterloses Hoverplane. Klimatisierte Luft weht in mein Gesicht.

„Platz siebenunddreißig.“ Ich wende mich in die Richtung, aus der die Stimme kam, und starre in die trüben, toten Augen eines Prods.

„Wir müssen die Treppe hoch. Siebenunddreißig ist oben“, sagt Taylor. Er lässt mir den Vortritt und versperrt mir auf diese Weise den Weg nach draußen. Oben angekommen, halte ich Inne. Vor meinen Augen erstreckt sich ein schmaler Gang. Rechts und links davon befinden sich Sitzreihen wie im Flugzeug. Bemannte Sitze sind zurückgefahren. Die Passagiere haben Gurte an Händen, Füßen und um die Bäuche und Metallbügel über den Köpfen.

---ENDE DER LESEPROBE---