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Sharon ist eine 30-jährige, mitten im Leben stehende Domina, die in Hamburg ihre sadistischen Dienste anbietet. Im Studio lernt sie Dave kennen, der Stammgast bei ihr wird. Durch gemeinsame Gespräche erfährt er, dass Sharon auch die submissive Seite spielt. Eine Information, die ihn reizt und zu einer Wette animiert, deren Einsatz ein Rollentausch und der Verzicht auf die Nutzung eines Safewords ist. Trotz Bedenken lässt Sharon sich auf das Spiel ein und verliert prompt, woraufhin Dave sie ohne Sicherheitsnetz in seine Welt des Sadomasochismus zieht. Anfänglich ist Sharon begeistert und begibt sich immer tiefer in die emotionale Abhängigkeit. Sie bemerkt nicht, wie aus einer verliebten Schwärmerei eine gefährliche Hörigkeit wird. Doch was passiert, wenn man feststellt, dass es für das Leben selbst auch kein Safeword gibt?
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Seitenzahl: 301
Nala Martin
Für Wido G. und Lars E.
1.
Dave saß in seinem Hotelzimmer und versuchte, sich auf eine Mappe zu konzentrieren, die er bis zum nächsten Tag durcharbeiten wollte. Doch seine Gedanken zogen ihn immer wieder und wieder fort, weg zu ihr, zu seiner, ja was war sie eigentlich?
Domina? Bizarre Freundin? Prostituierte?
Er klappte sein Laptop auf und stellte eine Verbindung zum Internet her. Der Browser öffnete sich und er suchte in seinen Favoriten nach ihrer Website. Immer wieder hatte er sie geöffnet.
Sie war ihm damals empfohlen worden, als er nach Hamburg kam, um hier zu arbeiten. Er hatte im Internet nach einer Domina gesucht und war dabei auf einige Foren gestoßen, in denen ihr Name immer wieder positiv erwähnt wurde. Dort hatte er auch den Link zu ihrer Website gefunden.
Natürlich hatte er sich ihre Bilder angesehen. Und sie war ihm sofort in die Augen gestochen, mit ihren feuerroten langen Haaren und den stahlblauen Augen. Und diese weiße Haut, eine vornehme Blässe, ein schöner Kontrast zu seiner eigenen, olivfarbenen Haut.
Nein, sie sah nicht aus wie die üblichen anderen Dominas. Sie lächelte auf ihren Bildern freundlich in die Kamera und die Augen blitzten keck.
Er hatte nicht widerstehen können und ihr eine E-Mail geschickt, die sie sehr höflich beantwortet hatte und in der sie Dave unverbindlich eingeladen hatte, sie zu besuchen, während ihrer Geschäftszeiten in einem bekannten Dominastudio in der Innenstadt.
Er wusste noch genau, wie sie damals ausgesehen hatte: Ihr Haar hatte sie hochgesteckt. Durch ihre Lederstiefel war sie so groß wie er. Sie trug ein Lackkorsett und betonte damit ihre weibliche Figur. Sie war weder dick noch dürr. Sie war das, was er als »Frau« bezeichnete, und faszinierte ihn auf Anhieb.
Nach einem langen Gespräch, sie redete wirklich sehr viel und ging offensiv mit dem Thema »Sadomasochismus« um, hatte er sich zum Bleiben entschieden und sie genossen eine schöne gemeinsame Stunde.
Er hätte gerne mehr Zeit gebucht, aber sie hatte erklärt, dass es besser wäre, vorerst nur eine Stunde oder gar weniger zusammen zu verbringen, falls die Chemie nicht stimmen würde. Doch ihm war von Anfang an klar gewesen: Sie würde stimmen!
Nach dem ersten Erlebnis gab sie ihm ihre Visitenkarte und umarmte ihn herzlich, als er das Studio verließ. Er drehte die Karte in der Hand, während er zu seinem Auto ging.
»Lady Sharon« war in schwungvoller Schrift darauf gedruckt. Darunter standen ihre Handynummer und die Adresse ihrer Website, die er längst auswendig kannte. Stammgäste würde sie auch im Hotel besuchen, hatte sie ihm gesagt.
Ihre Website öffnete sich schnell.
»Herzlich willkommen«, wurde er dort mit derselben schwungvollen Schrift wie auf ihren Visitenkarten begrüßt. Er las ihre Texte immer wieder, in denen sie von wichtigen Dingen wie »Sicherheit« und »Einvernehmen« schrieb.
»Frag mich nicht nach Geschlechtsverkehr«, las er und lächelte. Sie hatte ihm bereits im ersten Vorgespräch erklärt, dass es Sex bei ihr nicht zu kaufen gab, sie aber bei Lust und Laune gerne auch einen ihrer Gäste vernaschte. Und er war erstaunt gewesen, als er nackt, gefesselt und mit verbundenen Augen auf der Streckbank gelegen hatte und spürte, wie sie ihm ein Kondom überstreifte, ehe sie sich auf ihn setzte. Sie hatte kaum hörbar und sehr verhalten gestöhnt.
Er hätte sie gerne einmal dabei beobachtet, aber sie verband ihm jedes Mal die Augen, ehe sie sich holte, was sie begehrte. Er hätte sie gerne berührt, aber auch das wurde ihm verwehrt, denn sie hatte ihn zuvor gefesselt. Und er hätte ihr ebenfalls gerne geholfen, selbstlos natürlich, einen Höhepunkt zu erlangen.
Aber sie wehrte seine Bitten ab. Seine Bitten, sie berühren zu dürfen, ihr zu helfen, ihren Spaß auf die Spitze zu treiben. Und seine Bitte, sie küssen zu dürfen. Sie hatte alles abgelehnt, mit einem charmanten, aber dennoch bestimmenden Lächeln. Und er hatte es nicht gewagt, sie mit mehr Geld zu ködern, um zu bekommen, was er begehrte.
Er hatte sie irgendwann gefragt, ob sie denn dabei auch einen Höhepunkt erlangen würde.
»Selbstverständlich«, hatte sie geantwortet.
Und er hatte sofort gewusst, dass es eine Lüge war.
»Beim Gentleman werde ich schwach«, las er.
Einige Passagen kannte er bereits auswendig, so oft hatte er sie gelesen. Er wusste, dass sie es schätzte, wenn ihr der Mantel abgenommen wurde oder er ihr ein Getränk servierte. Sie hatte dann einen arroganten Zug der Selbstverständlichkeit um ihren Mund und ihre Augen schimmerten herausfordernd.
»Spiele ohne Safeword sind bei mir nicht möglich. Sicherheit und Einvernehmen sind meine Grundsätze.«
Sie schien wirklich verantwortungsvoll zu handeln, das war ihm häufiger aufgefallen. Sie war sehr gewissenhaft, egal was sie tat.
»SM ist Teil meiner sexuellen Neigung«, stand da. Auch das hatte sie im ersten Gespräch erzählt. Dass sie es nicht nur beruflich, sondern auch privat auslebte. Das hatte ihn beeindruckt, denn bisher war er davon ausgegangen, dass die Peitschenladys SM lediglich als Geschäft betrachteten.
Und irgendwann hatte sie auch erwähnt, dass sie manches Mal die Seiten wechselte. Und sie hatte erzählt, dass sie privat die härtere Gangart bevorzugte und dass sie selten passiv spielte, da sie damit Probleme hätte, loszulassen und zu vertrauen.
Er war immer wieder zu ihr gegangen. Nur wegen ihr, nur um in ihrer Nähe zu sein. SM war ihm dabei unwichtig, es war nett mit ihr, aber nicht erfüllend.
Aber die Gespräche mit ihr, die sie direkt nach den Sessions zu pflegen führten, wurden von Mal zu Mal länger. Hin und wieder brachte er eine Flasche Wein mit, die sie dann gemeinsam tranken. Er bemerkte, dass sie Alkohol nicht vertrug, bereits nach einem Glas war sie wie ein kleiner plappernder Wasserfall, aus dem alles heraussprudelte. Sie erzählte viele Dinge, die nicht zusammenpassen wollten, aber doch irgendwie zusammenpassten. Die Ambivalenz in ihr war spürbar. Er mochte dieses Kontrastprogramm.
Sie hasste Klischees. Sie hatte nie darauf bestanden, dass er vor ihr auf dem Boden kniete und ihr die Schuhspitzen küsste. Sie hatte auch nie darauf bestanden, dass er bestimmte Positionen einnahm, um eine Bestrafung entgegenzunehmen. Für sie war es ein Spiel, ein spannendes und aufregendes kleines Spiel.Und beim letzten Treffen hatte sie dann etwas erwähnt, was ihm seither nicht mehr aus dem Kopf gehen wollte. Etwas, was ihn faszinierte und reizte. Eine Herausforderung für ihn?
Sie hatte bereits zwei Gläser des Portweins getrunken, den er mitgebracht hatte. Es war schon spät gewesen, draußen war es stockdunkel und im Studio leise. Er war davon ausgegangen, dass niemand mehr da war, nur noch sie beide. Er wusste, welche Frauen Zuhälter hatten. Er spürte es. Sie hatte keinen, da war er sich sicher. Deshalb blieb er auch entspannt mit ihr sitzen. Sie hatte gelächelt und ihm von einem Spiel erzählt aus einem Studio, in dem sie früher mal gearbeitet hatte. Ein Spiel mit einem ihrer Gäste.
»Er war ein Leckerstück, so wie du«, hatte sie ihm gesagt. Dann hatte sie gelacht und sich verschwörerisch nach vorn gebeugt, sodass er ihren Ausschnitt betrachten konnte, in den er am liebsten hineingegriffen hätte. Dabei hatte sie ihn mit großen Augen angesehen. Sie erzählte, wie sie den Gast gefesselt hatte. Im Stehen, in einem Stahlrahmen. Fest und unnachgiebig. Sie erzählte, dass sie sich dann einen Barhocker geholt und sich vor ihn hingesetzt hatte. Zuvor hatte sie ihren Rock hochgezogen, sie trug keine Unterwäsche.
Sie hatte wieder gelacht, unsicher, als würde sie überlegen, ob sie die Geschichte weitererzählen sollte. Aber nach einem weiteren Schluck von ihrem Wein hatte sie genug Mut gefasst.
»Ich habe ihn richtig heiß gemacht.«
Er hatte fragen wollen wie, aber nahm sich zurück und ließ sie reden.
Sie erzählte weiter. Dass sie bei dem Gast alle Register gezogen hatte, einschließlich eines Vibrators, mit dem sie sich selbst befriedigte, direkt vor seinen Augen.
Er sei fast ausgeflippt, erzählte sie. Hatte an den Fesseln gezerrt und immer wieder gerufen, dass er sie ficken wolle.
Sie sagte, dass sie Angst gehabt hatte, die Fesseln könnten nicht halten. Dass sie genau gewusst hatte, was passieren würde, wenn er sich befreite, aber dass sie den Machtkampf genossen und ihn aufgefordert hatte, sich doch zu holen, was er begehrte.
»Du spielst gerne mit dem Feuer, oder?«, hatte Dave sie gefragt.
Sie hatte gelacht und genickt und ihr Weinglas ausgetrunken.
»Was passiert, wenn du verlierst?«
Sie hatte ihn angesehen, fast, als sei sie entrüstet über eine derartige Frage.
»Ich verliere nie!«, hatte sie selbstgefällig gesagt und das Weinglas auf dem Glastisch abgestellt.
»Gegen mich würdest du nicht gewinnen«, hatte er erklärt.
Sie hatte erst die Augenbrauen gehoben und ihn dann durch schmale, gefährliche Augen angesehen.
»Jede Wette, du hast keine Chance gegen mich. Du kannst es ja mal versuchen.«
»Was wäre denn gewesen, wenn er sich befreit hätte?«
Sie hatte mit den Schultern gezuckt und die Hände gehoben.
»Dann hätte ich die Zähne zusammengebissen und durchgehalten. Ich wusste ja, was ich riskiere. Aber da ich nie verliere, ist es auch nicht so weit gekommen.«
Dann hatte sie ihm zugezwinkert.
Und nachdem er gegangen war, hatte er noch lange über ihre Worte nachgedacht. Sie waren immer wieder durch seinen Kopf geschwirrt.
Das Licht des Laptops erhellte die Suite und seine rechte Hand lag auf der Computermaus, mit der er auf ihrer Website nach unten scrollte.
»Erzähle oder schreibe mir deine Fantasie und gemeinsam werden wir sie in ein wundervolles, reales Erlebnis verwandeln. Ich freue mich auf dich«, las er stumm.
Er griff zum Telefon.
Ich freue mich auch auf dich, dachte er, während er ihre Telefonnummer eintippte.
2.
»Unbekannter Teilnehmer« stand auf meinem Geschäftshandy. Ich ließ es ein paar Mal klingeln, ehe ich mit einem möglichst charmantem »Hallo?!« dranging.
»Ich bin’s«, meldete sich die Stimme am anderen Ende und anhand seines Akzents wusste ich, wer er war: der Namenlose Ausländer.
Ich hatte mir angewöhnt, meine Stammgäste mit Beinamen zu versehen, da sie irgendwie doch immer alle relativ gleich hießen. Und bevor ich zehn Heikos und zwanzig Wolfgangs, hundert Stefans oder auch Stephans (unbedingt mit ph) an der Strippe und im Kopf völlig durcheinanderbrachte, bekamen sie hilfreiche Zusätze. So entstanden teilweise recht belustigende Kombinationen wie Rohrstock-Kai, Natursekt-Heiko oder Falter-Wolfgang oder auch Wolleschaf-Stephan mit ph.
Natürlich gab es auch einige wenige, die ihren Namen gar nicht erwähnten, aus Angst, man könnte sie identifizieren. Das waren die Kerle, die aus der Laufkundschaft kamen; namenlose Klingler wie der Ausflipper oder der Ausweis-Jüngling, der so jung aussah, dass er bei jedem Besuch nach seinem Personalausweis gefragt wurde.
Bei manchen, jenen, die mir mit blühender Begeisterung von ihrem Beruf erzählten, rutschte der Name selbst in den Hintergrund und sie erhielten Namen wie Fachanwalt oder Mr. Busy. Letzterer zeichnete sich insbesondere dadurch aus, dass er es ständig eilig hatte, keine Zeit für nichts, und es sich zwar finanziell, nicht aber zeitlich leisten konnte, zu mir zu kommen. Wenn er dann da war, hatte seine Stunde ausnahmsweise nur 45 Minuten und ab Minute 35 verfiel er in eine derartige Nervosität, dass er sich nicht mehr entspannen konnte, um überhaupt einen Höhepunkt zu erreichen.
Andere erhielten besondere Namen, wenn sie mich an berühmte Persönlichkeiten erinnerten, wie zum Beispiel der Gummi-Mooshammer.
Der Namenlose Ausländer rief in regelmäßigen Abständen bei mir an und orderte mich üblicherweise in ein relativ schönes Hamburger Hotel.
Seit ich Haus- und Hotelbesuche für meine Stammgäste anbot, hatte ich nahezu die ganze Bandbreite an Hotels innerhalb und außerhalb Hamburgs gesehen. Sogar jene Absteigen auf dem Steindamm, in die ich hin und wieder mit einem Gast ausweichen musste, wenn der geplante Outdoor-Termin aufgrund des Wetters oder anderer Gegebenheiten zu scheitern drohte.
»Wie geht es dir?«, fragte ich. Höflichkeitshalber. Nicht interessehalber.
»Danke, gut. Und selbst?«
Auch das war reines Geplänkel. Geplänkel, das ich nutzte, um mein heiliges Büchlein hervorzuholen und unter »N« für »Namenloser Ausländer« nach seinen Eckdaten zu wühlen.
Alle meine Gäste wurden so von mir erfasst. Auf einen Blick konnte ich die Vorlieben, Tabus und körperlichen Einschränkungen sehen, konnte feststellen, wann die letzte Session gewesen war und was wir da erlebt hatten. Ja ich machte sogar Notizen über ihr Privatleben und punktete so immer wieder, vor allem in den Nachgesprächen, wenn ich nachhakte, wie es denn, bei Wechsel des Jobs, in der neuen Firma liefe, oder ob die neue Wohnung den Erwartungen entspräche. Mit manchen war ich so vertraut, dass ich mich nach deren Familien erkundigen konnte.
»Fesseln, Knebeln, Cock-Ball-Torture, leichte Schläge ohne Spuren, leichte Stromspiele, fickt gut«, las ich durch. Er hatte noch nie durch Extravaganz geglänzt, allerdings wusste ich, dass er den SM-Weg erst kürzlich eingeschlagen hatte. Er gehörte zu jenen, die klein anfingen. Und da er verheiratet war, durften keine Spuren sichtbar sein, wahrscheinlich damit sein Frauchen ihm zu Hause nicht die Hölle heiß machte.
»Sharon, ich habe darüber nachgedacht, was du das letzte Mal erzählt hast!«, sagte er. Sein Deutsch war wirklich gut geworden und man hörte nur anhand seines angenehmen Akzents, dass er eben kein Muttersprachler war.
Mir wurde siedend heiß und meine Augen flogen über die Einträge.
Verdammt! Was hatte ich denn das letzte Mal erzählt?
Ich erzählte viel, wenn der Tag lang war. Reden gehörte zu meinen großen Hobbys und natürlich auch zum Geschäft.
Das letzte Treffen lag schon eine Weile zurück, sodass ich mich nicht mehr genau daran erinnern konnte. Nur noch die Notizen zeigten mir, was ich mit ihm veranstaltet hatte: Langweiliger SM und ein netter Fick, danach hatten wir Wein getrunken.
Ja, ich gebe zu, manche Gäste sind so langweilig, dass ich direkt danach aufschreiben muss, was ich gemacht habe. Andernfalls würde ich es nämlich wieder vergessen.
Ich las den Stundensatz, den er mir immer bezahlte und der mir automatisch ein Lächeln ins Gesicht zauberte und meine Motivation anhob.
Ich versuchte, meinen Charme auszupacken.
»Soso. Und zu welchem Schluss bist du gekommen?«
Nur nicht zugeben, dass mein Elefantenhirn Lücken hatte und schwächelte. Immerhin wollte ich jedem meiner Gäste das Gefühl geben, er wäre etwas Besonderes. Das war eine meiner Eigenschaften, die mich als professionelle Domina ausmachten: Ich interessierte mich für mein Gegenüber. Gut, mal mehr, mal weniger, aber das Interesse war da!
»Ich möchte es gerne ausprobieren!«
Na super! Das half mir nun so gar nicht weiter, ich musste wissen, was er ausprobieren wollte und was genau ich offenbar recht vollmundig versprochen hatte.
»Was möchtest du denn davon gerne ausprobieren?«, fragte ich und hielt mich für besonders listig.
»Das besprechen wir dann hier«, antwortete er. »Hast du morgen Abend Zeit?«
Was für eine Frage? Für einen Gast, der mir solch einen Stundenlohn plus sattem Trinkgeld bezahlte, hatte ich nahezu immer Zeit.
»Klar. Wann denn?«
»Komm doch um 19 Uhr zu mir. Nimm dir mehr Zeit.«
Das war das Codewort.
»Mehr Zeit« bedeutete, dass ich den Abend komplett vergessen konnte. Ich wusste aber auch, dass der Verdienst mich dafür entschädigen würde.
Er gab mir noch durch, in welchem Hotel und Zimmer er diesmal wohnte, und ich verabschiedete mich freudig.
Als ich auflegte, fiel mir auf, dass er keine Wünsche, weder zu meiner Kleidung noch zu meinem Equipment, durchgegeben hatte.
Ich beschloss, das Basisequipment einzupacken, quasi die Grundausstattung einer Domina: ein paar kleine leichte Peitschen, ein paar Bondageseile, ein paar Klammern, ein paar Kondome und Latexhandschuhe.
Als meine Babysitterin, die auf meine Tochter aufpassen sollte, tags darauf Punkt 18 Uhr klingelte, verabschiedete ich mich schnell und fuhr mit meinem Auto Richtung Innenstadt.
Ich hatte mich für eine elegante schwarze Hose entschieden, dazu eine schwarze Bluse und ein enges Taillen-Korsett. Ein Push-up betonte meinen Ausschnitt, von dem ich wusste, dass er viele Männer nervös machte. Außerdem hatte ich noch Wechselkleidung mitgebracht, falls er es doch »fetischlastiger« haben wollte. Wobei speziell er niemals nach besonderer Kleidung gefragt hatte.
Einige Minuten nach 19 Uhr kam ich endlich an und zwängte mein Auto in eine freie Parklücke. Ich nahm mein Köfferchen, warf noch einen Blick in den Seitenspiegel und zog mir die Lippen nach. Dann betrat ich das Hotel und fuhr mit dem Fahrstuhl in die oberste Etage. Schließlich klopfte ich an der Tür und der Namenlose Ausländer öffnete.
Südländischer Typ: dunkles Haar, dunkle Augen und olivfarbene Haut. Durch meine High Heels überragte ich ihn minimal. Er war sportlich, etwas, das mir durchaus gefiel. Ich mochte durchtrainierte Männerkörper.
Aber er war insgesamt nicht sonderlich auffallend. Seine Zähne waren weiß, einer davon leicht schief, und wenn er lächelte, hatte er Falten im Gesicht. Letzteres störte mich nicht. Ich mochte Männer, die älter waren als ich. Gut, er war nicht älter als ich, aber er wirkte älter. Ich hatte erfahren, dass er anstatt meiner geschätzten Mitte-Ende-30 gerade mal 29 Jahre alt war und damit erschreckenderweise sogar jünger als ich. Aber solange ich jünger aussah als er, war die Welt völlig in Ordnung für mich. Mein Alter wusste er nicht und er war Gentleman genug, nicht danach zu fragen.
Sein Gesicht war interessant, kantig und wirkte manchmal hart, was wahrscheinlich durch die Bartstoppeln kam. Nein, kein Dreitagebart, sondern eher das Ergebnis von dunklem, starrem Haar. Außerdem trug er einige kleine Härchen auf seinem Kinn, die einen Bart imitieren sollten. Seine Augenbrauen waren buschig und das ein oder andere Haar beugte sich nicht der üblichen Haarwuchsrichtung.
Mir fiel auf, dass er einen kleinen Ohrring trug. Das wiederum gefiel mir überhaupt nicht.
Seine Haare waren kurz und standen gewollt struppig vom Kopf ab. Gel oder Haarwachs sorgten dafür, dass sie sich nicht in Reih und Glied legen konnten, sondern so blieben, wie sie waren.
Er hatte eine typische Charakternase, und wäre er eine Frau und mit mir befreundet, würde ich wahrscheinlich zu einer Korrektur raten. Aber er war ein Mann und seine Nase passte zu ihm.
Doch ja, kein Modelltyp, aber insgesamt ein attraktiver Mann.
Er trug eine schwarze Hose und ein weißes Hemd, bei dem er die oberen beiden Knöpfe geöffnet hatte. Die Ärmel hatte er hochgekrempelt.
Er bat mich in den Raum, der typisch nach Hotelzimmer der oberen Preiskategorie aussah. Eine kleine Suite, mit allem Drum und Dran.
Der Fernseher lief.
Ich kannte das schon, die meisten meiner Stammgäste hatten n-tv permanent, ähnlich wie ein Radio, im Hintergrund an. Was gesagt wurde, verstand ich nicht, denn er hatte den Ton leise gestellt.
Er nahm mir meinen Mantel ab und hängte ihn in seine Garderobe. Er roch nach »frisch gemacht«. Nach Aftershave, nach Parfüm, nach Duschgel, nach Mundwasser. Die meisten meiner Gäste bestanden darauf, sich vor unseren Spielen frisch zu machen und zu duschen. Und ich bestand ebenfalls darauf.
Er bat mich auf das Sofa, das mit einem Brokatstoff bezogen war, gestreift, in den Farben Grün und Gold. Ein kleiner Tisch aus Echtholz stand davor, eine Glasplatte in der Mitte eingelassen. Daneben stand ein Sessel, ebenfalls bezogen mit feinstem Brokat, und gegenüber befand sich ein Sideboard aus Holz, mit Türen und Schubladen. Darauf stand eine Vase, in der eine einzelne Blume steckte. Darüber war in die Wand ein riesiger Flachbildschirm eingelassen.
Meine Absätze klackerten leise und vornehm auf dem Parkettboden.
»Schön, dich zu sehen«, sagte er, als ich mich gesetzt hatte, und ich hatte den Eindruck, dass er es ernst meinte.
»Danke. Ich freue mich auch sehr, dich zu sehen«, erwiderte ich und nahm dankbar das Glas Mineralwasser an, welches er mir anbot.
Vor mir auf dem Tisch lagen zwei Blätter, offenbar frisch ausgedruckt, eingeschlagen in eine Klarsichthülle.
Daneben lag ein Kugelschreiber.
Etwas weiter rechts lag ein Holzbrett, darauf ein Santoku, ein japanisches Küchenmesser.
»So. Was wollen wir beide heute machen?«, fragte ich und lächelte ihn entwaffnend an, nachdem ich meinen Blick von der Klinge reißen konnte.
Das war meine Taktik und den meisten Gästen half diese Frage, über ihre Wünsche zu sprechen. Gerade Neulinge oder Anfänger waren immer ganz besonders nervös, selbst wenn sie schon einige Male bei mir gewesen waren.
»Du hast letztes Mal darüber gesprochen, dass du Switcher bist«, erklärte er.
Sämtliche Alarmglocken schrillten und ich legte mir alle möglichen Ausreden parat, warum ich ausgerechnet mit ihm die Rollen nicht tauschen wollte. Gelogen hatte ich natürlich nicht, ich war das, was man als »Switcherin« bezeichnete, und damit sexuell gesehen sowohl aktiv als auch passiv. Im Profi-Bereich bot ich dies allerdings so selten an, dass man es als »nie« bezeichnen konnte.
Früher ja, da hatte ich als aktive/passive Dame gearbeitet. Aber ich stellte schnell fest, dass sich meine passiven Präferenzen gravierend von denen meiner Kundschaft unterschieden. Und im passiven Bereich konnte ich einfach nicht so gut schauspielern und ehe ich daran kaputtgegangen wäre, hatte ich lieber die Notbremse gezogen und meine geschäftlichen Angebote verändert.
Dennoch köderte ich gerne damit, dass es hier oder da, oder auch wenn die Hölle zufriert, die Möglichkeit gäbe, mich auch mal passiv zu erleben.
»Ja«, antwortete ich vorsichtig.
Abwarten, Sharon, dachte ich.
»Ich würde gerne eine kleine Wette mit dir eingehen. Der Verlierer übernimmt in den weiteren Spielen die passive Rolle. Was hältst du davon?«
Ich atmete tief ein und musterte ihn.
»Um welche Wette handelt es sich?«, fragte ich ihn, denn Wetten machten mich generell immer sehr neugierig.
Er lächelte mich an.
»Um eine kleine Mutprobe. Kennst du das Spiel Five Finger Fillet?«
Ich nickte. Natürlich kannte ich als Messerfetischistin dieses durchaus reizvolle Spiel und hatte es in meiner aktiven Rolle schon bei einigen meiner Spielpartner ausprobiert. Dabei legte einer seine Hand mit gespreizten Fingern auf den Tisch, der andere führte das Messer und tippte mit der Spitze zwischen die Finger. Mit der Zeit wurde das Tempo erhöht und damit stieg das Risiko, dass man verletzt wurde.
»Gut«, sagte er. »Jeder von uns wird sich der Herausforderung stellen. Wer den Mut hat, länger durchzuhalten, gewinnt.«
Ich hob die Augenbrauen und versuchte abzuschätzen, wie lange ich in etwa durchhalten würde. Und ob er länger durchhalten könnte? Seine Hände waren geschmeidig und weich.
Außerdem wusste ich, dass Schmerzen nicht seine Welt waren.
»Kannst du denn Blut sehen? Nicht dass du mir hier zusammenklappst«, unkte ich und versuchte damit, meine eigene Unsicherheit zu überspielen.
»Mach dir da keine Gedanken«, antwortete er.
Dann griff er nach der Klarsichthülle und zog beide Blätter heraus. Ich erkannte, dass ein Blatt bereits ausgefüllt war. Das andere Blatt reichte er mir und ich sah, dass auf beiden Seiten sämtliche möglichen Praktiken aufgelistet waren. Allerdings stand auf einer Seite »Vorlieben« als Überschrift, auf der anderen Seite »Tabus«.
»Der Zettel des Gewinners wird nach dem Spiel zerrissen«, erklärte er.
Ich überflog die Praktiken.
»Aber eine Bedingung gäbe es da noch«, sagte er sanft und schaute mir direkt in die Augen. Sehr charmantes Kerlchen, in diesen braunen Augen könnte ich versinken.
»Welche?«
»Wenn du das hier ausfüllst und unterschreibst, dann gibt es kein Zurück mehr.«
Ich blickte ihn starr an und war baff. Absolut sprachlos. Eine Seltenheit bei mir.
»Ich meine damit, dass die Spiele ohne Safeword stattfinden. Deshalb: Füll es ordentlich aus. Ich gebe dir dafür so viel Zeit, wie du brauchst«, erklärte er mir und sein Ton wurde dominanter. Er schien sich seines Sieges offenbar sicher zu sein.
Ich kniff meine Augen zusammen und musterte ihn.
Sei dir da mal nicht zu sicher, Bürschchen, dachte ich.
Er wandte sich dem Fernseher zu und ignorierte mich. Ich überlegte, ob ich gehen sollte. Es war eine Wette – aber SM war immerhin auch ein Spiel. Und ich liebte Machtkämpfe. Und ich schätzte mich als Gewinnerin ein.
Es könnte gefährlich sein; wenn er wegzucken würde, könnte ich ihn mit dem Messer verletzen.
Aber ich war zu neugierig. Und hieß es nicht so schön, dass nicht die Neugierde der Katze das Leben kostete, sondern ihr Starrsinn? Und war es nicht eine Herausforderung? Eine Kampfansage direkt an mich gerichtet? Ich war zu stolz, um einen Rückzieher zu machen. Ich würde nicht klein beigeben, auf keinen Fall.
Also beugte ich mich über das Blatt, las es gewissenhaft durch und kreuzte hier und da einige Vorlieben an.
»Schläge mit:« Hier fügte ich »Rohrstock« und »Peitschen« ein.
»Verkehr: ja«; ich schrieb in Klammern noch »mit Gummi«. Mit ihm zu ficken hatte immer Spaß gemacht. Ich ließ mir die Option des Verkehrs bei jedem Gast offen und manche nahm ich dann eben mit, so auch ihn. Es hatte mich gereizt und er fühlte sich gut an in mir.
»Französisch: ja«; auch hier kam ein »mit Gummi« in Klammern.
»Fesselungen mit: Seilen/Manschetten/Handschellen.«
»Verbale Erniedrigung:« Ich setzte hier »gehobenes Niveau« dahinter und überlegte, ob er wusste, was das bedeutete. Ich war kein Fan von plumpen Beschimpfungen, die man an jeder Straßenecke von dahergelaufenen Jugendlichen hören konnte. Nein, ich wollte die erniedrigenden und erregenden Spitzfindigkeiten.
So füllte ich die Liste weiter aus.
Nachdem ich mit der ersten Seite fertig war, las ich sie nochmals durch und ergänzte hier und da noch Kleinigkeiten. Ich erlaubte ihm auch, mir Spuren zuzufügen, und dachte dabei an eine meiner Lieblingspraktiken: Monotones Rohrstocken; immer schön mit gleichbleibendem Tempo und eintöniger Härte drauf auf den Hintern, direkt zum Endorphinkick. Danach selbstverständlich ordentlich harter Sex.
Dann wandte ich das Blatt um und beschäftigte mich mit der Liste der Tabus. Hier kreuzte ich einige Praktiken an, wie Cutting, Nadelungen, Fisting, Stromspiele, Schlagadern abdrücken.
Auf die freien Linien schrieb ich noch, dass ich nicht lange knien könne und aufgrund meines Herzfehlers gerne mal Probleme mit meinem Kreislauf bekäme.
Wieder las ich alles gewissenhaft durch.
Dann setzte ich schwungvoll meinen Namen darunter – dieser Akt trieb meinen Puls in die Höhe.
Ob das so eine gute Idee war? Ohne Safeword? Ohne Möglichkeit des Abbruchs? Ein Safeword war quasi ein Anker, ein Strohhalm, ein Wort, welches man schnell herausbrüllen und sich sicher sein konnte, dass alles sofort beendet werden würde. Zumindest signalisierte ein Safeword, dass das Einvernehmen von einer Seite aufgehoben wurde. Jegliche Notsituation, ob körperlich oder seelisch, konnte man mit einem Safeword kurz und knapp formulieren.
›Er ist kein neuer Gast, du kennst ihn. Riskier es, es könnte geil sein. Außerdem bist du eine gute Domina und kannst auch ohne Safeword spielen!‹, rief mein inneres Teufelchen.
›Tu es nicht. Was ist, wenn er gewinnt und dann durchdreht?‹, rief sein Gegenspieler – mein inneres Engelchen.
›Er wird nicht gewinnen!‹, rief mein Teufelchen.
›Das weißt du doch gar nicht!‹, konterte mein Engelchen.
Und ehe ich mich recht versah, hatte mein Teufelchen mein Engelchen gefesselt, geknebelt und vögelte es gerade fröhlich auf meiner inneren Streckbank.
Und so hörte ich mich »Fertig!« rufen.
Der Namenlose Ausländer drehte sich um und sah mich an. Ich wedelte lächelnd mit dem Schrieb, den er sich sofort holte. Außerdem drückte er mir seinen in die Hand, den ich kurz überflog. Es stand nichts Neues darauf, nichts, was ich nicht schon vorher gewusst hatte.
Nun saß er grübelnd auf seinem Sessel und verinnerlichte, was ich geschrieben hatte. Ich saß daneben, mit einem Pulsschlag von 180, und versuchte, meine Coolness mit Mineralwasser wiederzuerlangen. Ich versuchte, so zu tun, als wäre ich völlig gelassen und hätte keine Angst, komme was wolle.
Hin und wieder öffnete er den Mund, als ob er etwas fragen wollte, schloss ihn dann aber wieder, da er die Antworten darauf offenbar selbst fand.
Betont gelassen lehnte ich mich zurück, während Adrenalin durch meine Adern strömte. Offenbar hatte mein Teufelchen meinem Engelchen den Knebel abgemacht, denn es rief immer mal wieder: ›Tu es nicht!‹, ehe es abgewürgt wurde.
Ich musste warten, denn er ließ sich Zeit.
Ich hasste es zu warten und vor allen Dingen hasste ich es, wenn ich nicht wusste, was passieren würde. Ich war nicht der Typ, der das Steuer aus der Hand gab. Selbst in der passiven Rolle war ich es gewohnt, den Ton anzugeben. Das Prinzip meiner Unterwerfung war einfach: Unterwerfung nur zu meinen Bedingungen.
Jene Männer, denen ich mich unterwarf, nannte ich liebevoll Servicetops und ich besprach vorher, was sie wie mit mir machen sollten. Im Prinzip war ich, was diesen Teil meiner Neigung betraf, wie meine eigenen Gäste. Ich legte alles fest. Wer mit mir spielen wollte, der spielte nach meinen Regeln.Und mein Gast hier würde nun lernen müssen, mit wem er sich anlegte.
Schließlich hob er den Kopf und sah mich an. Seine Augen blitzten. Jede Wette, dass auch sein Schwanz stand? Mir zumindest ging der Gedanke durch und durch, dass er bald mir gehören würde, ohne Safeword.
»Gut«, sagte er und schob beide Blätter in die Klarsichthülle zurück. Mahnend lag diese nun vor mir.
»Du bist dir sicher, dass das alles so stimmig ist?«
Ich nickte und wusste, dass dies nun meine letzte Chance war, Einwände vorzubringen.
Welcher Teufel mich da wohl gerade ritt? Ausgerechnet ich, Miss Sicherheitsfanatikerin! Bisher hatte ich alle Angebote, ohne Safeword zu spielen, ausgeschlagen. Egal, wie viel Geld mir geboten wurde.
»Sehr gut«, sagte er und setzte sich neben mich.
Er reichte mir seine Hand, um die Wette zu besiegeln. Ich griff danach, schnell, damit keiner von uns sah, dass ich zitterte. Er drückte meine Hand, einen Moment länger als notwendig.
»Rechts oder links?«, fragte er und ließ mich los.
»Nein, du fängst an!«, rief ich.
Er griff in seine Hosentasche und zog eine Münze hervor.
»Kopf oder Zahl?«, fragte er.
»Kopf.«
Er warf die Münze, fing sie auf und klatschte sie auf seinen Handrücken. Dann hob er seine Finger ab und ich konnte sehen, dass Zahl gewonnen hatte. Ich würde also die Erste sein.
»Rechts oder links?«, fragte er erneut und diesmal sehr eindringlich.
Ich überlegte kurz.
»Links«, sagte ich schließlich.
Er drapierte das Brett direkt vor mir auf dem Tisch und ich legte meine Hand darauf und spreizte die Finger ab. Er nahm seine Uhr von seinem Handgelenk und legte sie neben das Brett. Dann griff er zu dem Messer und ich schluckte.
Was machst du hier?, fragte ich mich. Mein Herz pochte.
Er blickte mich kurz an, drückte dann auf einen Knopf an seiner Uhr und begann langsam, mit der Spitze des Messers zwischen meine Finger zu tippen, immer reihum. Ich gab mir alle Mühe, meine Hand ruhig liegen zu lassen, bemerkte aber, dass es mir schwerer fiel, als ich gedacht hätte. Er erhöhte das Tempo.
Mir wurde wärmer und ich fürchtete, er könnte meine Finger verletzen. Mit einem solchen Messer konnte man problemlos ein Fingergelenk durchtrennen. Hochkonzentriert agierte er und als er sein Tempo erneut beschleunigte, brach ich ab. Ich zog meine Hand blitzschnell weg.
Er drückte wieder auf die Uhr und sah sich die Zeit an.
»Eine Minute und 20 Sekunden. Das ist ja nicht viel«, meinte er. Sein Blick war durchdringlich.
»Abwarten«, gab ich arrogant zurück und versuchte, mich zu beruhigen. Ich musste gleich eine ruhige Hand beweisen.
Er legte die Uhr wieder bereit und erklärte mir, wo ich drücken musste, um die Zeit zu messen. Dann legte er seine Hand auf das Holzbrett und lächelte.
Ich atmete tief ein, als ich das Messer in die Hand nahm.
Seine Hände waren sauber und er hatte lange, knochige Finger. Seine Nägel waren ordentlich gefeilt und ich fragte mich kurz, ob er seine Maniküre selbst erledigte. Ein kleiner weißer Halbmond zierte den Nagel am Nagelbett.
Ich spürte, dass er wartete, und ich spürte, dass ich nervös war. Er musterte mich, ich fühlte seinen Blick auf mir.
»Angst?«, fragte er mich mit einem süffisanten Lächeln.
Ich schüttelte den Kopf.
»Ich doch nicht«, bestritt ich.
Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und setzte an. Ich drückte auf den Knopf der Uhr und begann langsam, mit dem Messer zwischen seine Finger zu tippen. Ich arbeitete hochkonzentriert, aber mir fiel auf, dass seine Hand wesentlich ruhiger lag als meine.
Er beobachtete mich, während ich agierte. Ich hatte hingegen nur ängstlich auf meine Hand gestarrt.
Ich erhöhte mein Tempo und es schien ihn nicht zu beeindrucken. Also erhöhte ich erneut und kam zu dem Punkt, bei dem die meisten meiner Gäste das Spiel abbrachen.
Er schaute nun auf seine Hand und ich bemerkte, dass er Bedenken bekam.
Na komm schon, zieh sie weg und gut, dachte ich.
Doch den Gefallen tat er mir nicht.
Ich machte weiter. Seine Hand zuckte hier und da, aber er zog sie nicht weg.
Komm schon, verdammt. Gib auf!, dachte ich.
Ich beschleunigte erneut und wusste, dass ich ihn eventuell treffen würde. In diesem Tempo hatte ich wesentlich weniger Kontrolle über das Messer.
Er zuckte erneut und seufzte. Ich spürte seine Anspannung. Oder war es meine?
Und dann passierte es. Ich traf ihn am kleinen Finger. Er zog seine Hand weg und ich drückte den Knopf auf seiner Uhr. Instinktiv führte er seinen Finger zum Mund, um das Blut aufzusaugen. Es war nur ein kleiner Schnitt, nichts Gravierendes.
Ich nahm seine Uhr und starrte darauf.
»Wie war meine Zeit gleich noch mal?«, fragte ich ihn, um Zeit zu schinden.
»Eine Minute und 20 Sekunden«, antwortete er und wartete gespannt auf sein Ergebnis.
Ich seufzte, ich wagte es nicht, das Ergebnis auszusprechen.Sanft nahm er mir die Uhr aus der Hand. Dann sah er auf das Display, ehe er mir in die Augen schaute. Ein Hauch von Mitleid stand darin, doch der Großteil war Triumph.
»Ich fürchte, du hast verloren«, sagte er.
Ich nickte.
»Das fürchte ich auch«, gab ich zurück.
Ich ärgerte mich, ein derartiges Spiel mitgemacht zu haben. Ich ärgerte mich, dass ich verloren hatte. Und dass er gewonnen hatte, ärgerte mich noch mehr. Ja, ich war ein schlechter Verlierer.
Er stand auf, nahm seinen Zettel aus der Klarsichtfolie und zerriss ihn vor meinen Augen.
»Gut«, sagte er. »Dann ist es nun an der Zeit, dass du deine Wettschulden einlöst, was?«
Er setzte sich in den Brokatsessel und starrte mich an.
Die Luft war geladen und er spürte das ganz genau.
»Brauchst du etwas Ausrüstung?«, fragte ich. Ich wollte keine Schulden haben und meine verlorenen Wetten löste ich immer ein. Das war Ehrensache.
»Nein, ich hab alles da, was ich brauche.« Sein Blick ruhte prüfend auf meinem Gesicht.
»Okay, dann kann es ja losgehen.« Bei diesem Satz versagte meine Stimme.
Er lehnte sich in seinem Sessel zurück.
»Zieh dich aus.«
Oh mein Gott, das war das erste Mal, dass er mich nackt sehen würde. Klar hatten wir schon Sex miteinander gehabt, aber dabei hatte er jedes Mal eine Augenbinde getragen und war gefesselt gewesen. In der Suite jedoch herrschte Festtagsbeleuchtung vom Feinsten und er würde alles sehen können.
Hilflos blickte ich an die Decke. Das konnte ich gar nicht leiden. Selbst meine Partner mussten ewig warten, bis sie mich im Eva-Kostüm betrachten durften.
»Kannst du das Licht dimmen?«, bat ich.
Oder wie wär’s mit ’nem Inge-Meysel-Licht, also einem rosa Filter über der Lampe, der meine Haut jung und schön wirken lässt?, dachte ich.
Hand aufs Herz! Ich war eine 30-jährige Frau, die bereits eine Schwangerschaft hinter sich gebracht hatte. Ich hatte ein mieses Bindegewebe und trotz Sport wollte sich der straffe Körper nicht mehr ganz so zeigen, wie ich das mit 20 noch gewohnt gewesen war. Bei der Vergabe von Cellulite hatte ich laut und deutlich hier gerufen, mir auf demselben Weg noch ein paar Besenreiser geholt – und angezogen sah ich sowieso wesentlich besser aus als nackt, fand ich.
»Nein, kann ich nicht«, erwiderte er arrogant.
Ich verlagerte mein Gewicht von einem Bein aufs andere.
»Bitte!«, bat ich.
»Nein!«
›Geh raus. Lass ihn stehen, wenn er nicht nach deinen Regeln spielt!‹, rief mein gequältes Engelchen heiser.
›Wettschulden sind Ehrenschulden! Und sicher wird er dich danach ficken. Willst du dir einen guten Fick entgehen lassen?‹, fragte mein Teufelchen und wusste, dass es damit gewann. Verdammte Fickerei aber auch!
Ganz cool, Sharon, beruhigte ich mich und schnürte langsam mein Korsett auf. Ich hakte es auf und legte es auf die Couch.
Er ließ mich keinen Moment aus den Augen.
Ich knöpfte meine Bluse auf. Noch war alles gut. In Hose und BH sah ich immer noch super aus. Sattes D-Körbchen, das passte. Der BH war so freundlich und hob meine Brüste hoch, sodass sie problemlos der Schwerkraft trotzten, und die Größe meiner Brüste hatte ich nun mal meiner Schwangerschaft zu verdanken. Von B auf D. Das wiederum fand ich eine tolle Sache.
Schließlich öffnete ich meine Hose und zog sie hinunter. Da fiel mein Blick auf meine Pumps.
Seiner offenbar auch.
»Alles ausziehen.«
Ich schlüpfte aus meinen Schuhen, hakte meine Finger in meine Strümpfe und streifte sie gemeinsam mit meiner Hose ab. Auch diese warf ich auf die Couch, die Schuhe schob ich mit meinen Füßen zur Seite.
Unterhose und BH klebten nun noch an mir.
Ich versuchte nun, ihn mithilfe meines Dackelblicks dazu zu bringen, das Licht zu dimmen.
»Weiter. Ich warte.« Er ignorierte mein visuelles Betteln.