Sagenhaft Böse -  - E-Book

Sagenhaft Böse E-Book

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Beschreibung

Erinnern Sie sich noch an die Helden und starken Frauen der alten Sagen? Sie prägten unser Gefühl für Gut und Böse und halfen uns das Unfassbare zu verstehen. Die Gestalten aus der nebulösen Vergangenheit können auch heute noch zur Aufklärung eines Verbrechens beitragen oder vor zukünftigem Unheil warnen. Hauptsache, sie geraten nicht in Vergessenheit und wir nutzen ihr Wissen. Denn was treibt die ’Weiße Frau’ auf den Bahnübergang in Wittenberg? Während ihre Kollegin in Ostfriesland auftaucht … Lehnen Sie sich zurück und genießen Sie unsere 20 neuen Kriminalfälle, die zwar – wie gewohnt – böse sind, aber nicht immer tödlich enden.

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Sagenhaft böse

teilweise tödlich Band 5

Kurzgeschichten

Martina Schiller-Rall und Roland Blümel (Hrsg)

Erstausgabe im September 2019

Alle Rechte beim Verlag

Copyright © 2019

Fehnland-Verlag

26817 Rhauderfehn

Dr.-Leewog-Str. 27

Coverdesign: Tom Jay

Lektorat: Roland Blümel

Inhalt

Vorwort der Herausgeber

Rache für Klaus Störtebeker

Roland Blümel

Der Pakt

Ulrike Braune

Wolfsmann

Theo Brohmer

Unverhofft kommt oft

Geli Grimm

Richtig gutes Zeug

Sabine Gröne

Die Weiße Frau Zwei Punkt Null

Sabine Hennig-Vogel

Der Mönch und das Mädchen

Alva Henny

Schnee auf Spiekeroog

Helga Jahnel

Luderplatz

Eckard Klages

Frau Boll verschwindet

Michael Kracht

Wie ein Schmetterling im Spinnennetz

Svetlana Negro

Der Geist der Hebamme

Sabine Petersen

Zum Henker

Martin Schörle

Kreuzritter der Wandersleut´

Martina Schiller-Rall

Des Teufels Tisch

Gabriele Steininger

Der Vampir von Brooklyn

Rubi Stephens

Im Cockpit mit Urd

Andrea Storm-Eidam

Wer ihr aber spottet

Franjo Terhart

Der wahre Kern im Laboer Berg

Katinka Weisenheimer

Engel des Todes

Stephanie Zibell

Ankündigung

Vorwort der Herausgeber

Be­reits zum fünf­ten Mal findet sich die Auto­ren­gruppe Töd­lich zu­sammen und mordet oder raubt sich durch kurz­wei­lige Geschich­ten, dieses Mal zum Thema »Sagen­hafte Böse«. Sagen­gestal­ten, Berg­geheim­nisse, mysti­sche Wälder, Wolfs­men­schen, Vam­pire und ein Pirat tau­chen in den Geschich­ten der 20 Auto­ren und Auto­rinnen auf. Das bietet Raum und Mate­rial für fin­dige Kommis­sare, schnaps­trin­kende Patien­tinnen, agile Wan­ders­leut’ und natür­lich interes­sierte Leser.

Be­geben Sie sich in die Welt der Ver­bre­chen und über­legen: Gibt es zu jeder Geschich­te einen er­klär­baren Hinter­grund? Scheint das eine oder andere Mär­chen dahin­ter doch einen wahren Kern zu be­sitzen? Oder ist alles zu­sammen nur Fik­tion. Nach Tradi­tion sind die Geschich­ten natür­lich wieder nur teil­weise töd­lich!

Viel Freude beim Lesen wün­schen die Kom­plizen der Auto­ren­gruppe Töd­lich.

Rache für Klaus Störtebeker

Roland Blümel

Mit einem ge­ziel­ten Hieb trenn­te er den Kopf vom Körper und steck­te Rumpf und Kopf in seine große Tasche. Die Ter­rassen­tür ließ sich leicht auf­hebeln. Der Mann mit der Augen­klappe grins­te, als er die Tür auf­schob und das voll­ge­stopfte Wohn­zimmer be­trat. Im Haus stank es förm­lich nach Reich­tum. Er hatte be­obach­tet, wie sie die Woh­nung ver­lassen hatten, um irgend­wohin zu fahren. Er hoffte nur, dass sie sich und ihm Zeit lassen würden.

Laut­los stieg er die Treppe hoch, wo sich nach seiner Ver­mutung Schlaf­zimmer und Arbeits­zimmer des rei­chen Paares be­fanden. Rich­tig, da war das Schlaf­zimmer. Er konnte sein Glück kaum fassen. Die Dame des Hauses hatte an­schei­nend di­verse Schmuck­stücke aus­pro­biert, be­vor sie sich ent­schie­den hatte. Zum Weg­räumen war keine Zeit mehr ge­blie­ben. Da würde er der Dame helfen.

Im Arbeits­zimmer des Gatten hatte er be­reits nach weni­gen Sekun­den die Schub­laden auf­gebro­chen. In einer davon ent­deckte er ein Bündel Geld­schei­ne. Lä­chelnd steck­te er es auch ein. Ohne große Eile ging er hin­unter, öff­nete seine Tasche und hinter­ließ seinen Gruß: Eine Pira­ten­puppe mit ab­geschla­genem Kopf und einen klei­nen Zettel mit der Auf­schrift »Schö­nen Gruß, Rache für Klaus Störte­beker«.

»Unser Freund hat wieder zu­geschla­gen.« Kommis­sarin Corne­lia Schu­bert knall­te den Be­richt ihrem Kolle­gen Hans Weller auf den Tisch.

Der Kom­missar blick­te von seinem Bild­schirm hoch. »Unser Pirat?«

Sie nickte. »Ganz genau: der neue Klaus Störte­beker.«

»Das war jetzt seine achte Tat?«

»Seine neunte, genau ge­nommen. Der Kerl tanzt uns auf der Nase rum. Er hinter­lässt keine Spuren, nur sein ge­köpf­tes Pira­ten­püpp­chen und einen Hin­weis auf Klaus Störte­beker.«

»Und man weiß nicht, woher er diese Puppen be­kommt?! Dass er nicht lang­sam genug hat. Da ist eini­ges zu­sammen­gekom­men. Wofür braucht er so viel Geld?«

Corne­lia Schu­bert schüt­telte erst den Kopf und nickte dann. »Nein und Ja.« Sie trank einen Schluck ihrer Apfel­schor­le. »Nein, woher er diese Puppen hat, haben wir noch nicht heraus­bekom­men. Wir suchen inten­siv weiter. Aber das Geld scheint er nicht alles für sich zu be­halten. Gerade hat sich eine Hartz-4-Empfän­gerin ge­meldet, dass sie in ihrem Brief­kasten einen Um­schlag mit 1.000 Euro ge­funden hat. Und einen Gruß von K.S.«

»Klaus Störte­beker!« Er sah seine Kolle­gin er­staunt an. »Der be­klaut reiche Leute, um es an Be­dürf­tige zu ver­teilen?!«

»So sieht es aus. Und das er­gibt für mich die Fragen: Woher weiß er, wer wann zu­hause ist? Und viel wich­tiger: Woher weiß er, wer Hartz-4-Emp­fänger ist?«

»Gute Frage: Der Mann muss recht gut infor­miert sein oder gut be­obach­ten können. Wissen wir noch von mehr Leuten, denen er etwas hat zu­kommen lassen?«

»Bis­her nicht. Die meis­ten werden sich nicht melden, wenn er ihnen etwas gibt. Und sie werden hoffen, dass wir ihn nicht so schnell schnap­pen.«

»Viel­leicht klap­pern wir mal ein paar Obdach­losen­treffs ab. Mög­licher­weise war er da ja auch schon.«

»Du kannst rich­tig gute Ideen haben«, sagte sie la­chend. Weller boxte sie in die Seite.

»Ganz schön frech, junge Frau.« Sie nahmen sich ihre Jacken und mach­ten sich auf den Weg.

Wie der Pirat heraus­gefun­den hatte, gab es in der City Nord, dort wo grö­ßere Firmen ihren Sitz hatten, ver­ödete Be­reiche, in denen sich Obdach­lose nieder­gelas­sen hatten. Er fuhr gegen Abend, wenn die meis­ten Fir­men­an­ge­hö­ri­gen Feier­abend ge­macht hatten, mit seinem Wagen dort­hin. Vor Ort an­gekom­men stieg er aus, stülp­te sich seine Pira­ten­maske über, griff sich seine Tasche und blick­te sich su­chend um.

Hinter einer Art Fuß­gänger­zone, die be­reits sehr her­unter­gekom­men war, ent­deckte er einige Perso­nen, die sich zur Nacht­ruhe nieder­gelas­sen hatten. Der »Pirat« nä­herte sich der Gruppe, schwenk­te seine Tasche und rief halb­laut:

»Hallo Freun­de, ich habe hier etwas für euch.«

Einer der Männer, der an­schei­nend der An­führer der Gruppe war, zuckte zu­sammen und er­wi­derte: »Was willst du? Wir haben nichts.«

»Noch nicht, aber gleich.« Der Pirat öff­nete seine Tasche, nahm ein Bündel mit Geld­schei­nen heraus und we­delte damit.

»Einen schö­nen Gruß von Klaus Störte­beker und den rei­chen Hambur­gern.«

»Ich denke, Klaus Störte­beker ist schon lange tot.« Der Mann sah den Pira­ten ver­dutzt an.

»Ich bin der neue Störte­beker. Ich nehme es den Rei­chen und gebe es den Armen.«

Mit den Worten warf er dem Mann das Bündel zu. »Aber schön teilen und nicht alles ver­saufen, hörst du?«

Der Obdach­lose konnte das Geld nicht fangen, bückte sich danach und starr­te fas­sungs­los darauf. »Das sind be­stimmt …«

»Das sind genau 1.500 Euro. Ich wün­sche noch einen schö­nen Abend.« Er drehte sich um und ver­schwand. Die Obdach­losen blick­ten ihm stau­nend hinter­her.

»Es gibt doch noch Men­schen hier in der Stadt. Männer schaut mal. Echtes Geld.«

»Was machen wir damit?«

»Erst mal feiern«, antwor­tete ein ande­rer. »Wir gehen zur Bude und kaufen rich­tig ein«, schlug er vor, was be­geis­terte Zu­stim­mung fand.

Die Männer rap­pelten sich auf, um zum nahe­gele­genen Super­markt zu gehen, als ihnen zwei Perso­nen ent­gegen­kamen, eine Frau und ein Mann.

»Wo soll es denn hin­gehen?«, fragte der Mann.

»Ein­kaufen und feiern«, antwor­tete der An­führer der Obdach­losen.

»Was gibt es denn zu feiern?«

»Stern­taler«, er­wi­derte der Mann und die ande­ren brüll­ten vor Lachen.

»Geld vom Himmel ge­fallen?«, fragte der Mann.

»So un­gefähr.« Der Obdach­lose grins­te.

»War Klaus Störte­beker hier?«

»Bei dir auch?«

»Nein, aber wir suchen ihn. Kommis­sare Schu­bert und Weller. Meine Herren, dann be­glei­ten Sie uns zur Dienst­stelle. Wir hätten da ein paar Fragen. Conny, rufst du mal Ver­stär­kung«, bat er seine Kolle­gin, die sofort zu ihrem Tele­fon griff.

»Sch…, ich wusste gleich, dass das Ärger gibt«, raunte einer aus der Runde. »Die Feier können wir wohl kni­cken.«

»Bei uns können Sie mit Kaffee oder Tee feiern«, er­wi­derte Weller. »Und zu­min­dest haben wir es bei uns warm.«

Laut mur­rend stie­gen die Obdach­losen in die Poli­zei­wagen, nach­dem die an­gefor­derten Kolle­gen ein­getrof­fen waren. Um zu flüch­ten, waren sie zu an­getrun­ken. »Wie ge­wonnen so zer­ronnen«, stöhn­te einer, als sie los­gefah­ren waren.

Well­ner grins­te seine Kolle­gin an. Schon der dritte Treff, den sie be­sucht hatten, war ein Erfolg. Nur hatten sie hier den Pira­ten leider knapp ver­passt.

»Be­son­ders ge­sprä­chig waren die Herren ja nicht gerade«, seufz­te Weller, als sie einige Zeit später mit der Be­fra­gung der Obdach­losen durch waren.

»Was hast du er­wartet?«, fragte Kommis­sarin Schu­bert. »Für die ist er ein Wohl­täter, der ihnen Geld zu­steckt. Von daher haben sie kein Inter­esse, dass wir ihn fangen.«

»Ja, so eine Art Robin Hood oder eben Klaus Störte­beker. Unser Frei­beuter be­raubt reiche Leute und schenkt es Be­dürf­tigen. Hat Störte­beker das eigent­lich auch ge­macht? Aber ob er wollte, dass die Männer seine Kohle gleich ver­flüs­sigen?«

»Keine Ahnung. Aber da sie sich mit dem Geld gerade auf­machen woll­ten, als wir kamen, war er wohl kurz zuvor da.«

»Das ärgert mich am meis­ten.« Weller schlug mit der Faust auf den Tisch. »Wir müssen den Kerl ganz knapp ver­passt haben.«

»Ruhig, Brau­ner.« Corne­lia Schu­bert strich ihm be­ruhi­gend über den Arm. »Wir werden ihn schon noch be­kommen.«

»Hof­fent­lich. Lang­sam werden die Leute hier in der Stadt un­ruhig, gerade die in den rei­chen Stadt­vier­teln.«

»Klar, aber was sollen wir tun? Die Stadt ist zu groß, um über­all vor Ort zu sein.«

»Wir können ja auch mal Glück haben.«

»Feier­abend!«, ver­kün­dete sie.

»Dein erster geist­rei­cher Vor­schlag.« Sie pack­ten zu­sammen und hoff­ten auf einen ruhi­gen Abend.

Das war ein be­friedi­gendes Ge­fühl, die Rei­chen zu be­steh­len und das Geld an die Be­dürf­tigen weiter­zu­geben, zu­min­dest das, was er selbst nicht brauch­te. Denn er emp­fand sich selbst als jemand, der zu wenig davon hatte. Es war schon er­niedri­gend, immer wieder um Geld bet­teln zu müssen, seit er seine Lehr­stelle ver­loren hatte.

Ich hole mir nur das, was mir zu­steht, nehme es denen, die zu viel davon haben und gebe es denen, die wie ich nichts haben, sagte er zu sich selbst. Be­rauscht von seiner Selbst­losig­keit be­schloss er, heute Nacht noch ein­mal zu­zu­schla­gen. Die Elb­chaussee war dafür eine gute Adres­se. Zwar hatte er nicht wie üb­lich vor­her ein paar Tage die Be­wohner nach deren Ge­wohn­heiten aus­ge­späht. Aber bis­her hatte er immer Glück ge­habt. Er würde schau­en, in wel­chem Haus kein Licht brann­te und dort ein­stei­gen.

Drei un­be­leuch­tete Häuser lagen direkt neben­einan­der. Er be­schloss, das mitt­lere davon zu nehmen. Dabei be­stand die ge­ringste Ge­fahr, be­obach­tet zu werden. In­zwi­schen hatte er schon eine ge­wisse Rou­tine darin, Ter­rassen­türen auf­zu­bre­chen, und so ge­lang es ihm auch dieses Mal. Es kos­tete es ihn keine zwei Minu­ten und er stand im Wohn­zimmer.

Be­vor er das Haus durch­suchte, schlug er wie üb­lich seiner Pira­ten­puppe den Kopf ab und steck­te Rumpf und Kopf in seine Tasche. Dann knips­te er seine Ta­schen­lampe an und streif­te durch die Zimmer. Im Erd­ge­schoss schien nichts Kost­bares zu sein, also stieg er laut­los die Treppe in den ersten Stock hoch.

Er öff­nete eine Tür, an­schei­nend war dies das Arbeits­zimmer. Ein großer Schreib­tisch stand am Fens­ter. Er öff­nete die Schub­laden. Kein Geld! Mist, dann gab es viel­leicht irgend­wo im Haus einen Tresor oder sie hatten alles im Schlaf­zimmer. Vor­sich­tig schlich er durch den Flur und öff­nete eine wei­tere Tür. Sein Blick fiel auf das Bett und vor Schreck zuckte er zu­sammen. Da be­wegte sich etwas, es war doch jemand zu­hause.

Die Person hatte ihn be­merkt und schrie auf. Der Pirat has­tete auf die Frau zu, packte sie und hielt ihr den Mund zu.

»Leise«, zisch­te er. »Dann pas­siert Ihnen auch nichts. Wo ist das Geld?«

Die Frau sah ihn aus vor Schre­cken ge­weite­ten Augen an und zit­terte. Er zog die Hand von ihrem Mund und wieder­holte die Frage. »Wo ist das Geld?«

»Im Tresor«, stam­melte sie.

»Wo ist der und wo ist der Schlüs­sel?«

»Der ist im Wohn­zimmer hinter dem Bild und hat eine Zahlen­kombi­nation.«

»Welche?«

»Ich weiß es nicht, die kennt nur mein Mann.«

»Wo ist der?«

»Auf Dienst­reise?«

»Mist. Wo sind dein Bar­geld und Schmuck?«

»Bitte tun Sie mir nichts«, flehte sie.

»Wenn du keine Zicken machst, dann pas­siert dir nichts. Also, wo?«

»Mein Schmuck ist da im Schrank und mein Geld ist in meiner Hand­tasche, aber das ist nicht viel.«

»Aus­ziehen!«, be­fahl er und die Frau zö­gerte.

»Ich will nichts von dir, aber mit deinem Nacht­hemd kann ich dich schön an­binden, damit du keine Dumm­heiten machst.«

Die Frau zog ihr Nacht­hemd aus, der Pirat nahm zwei Kra­watten des Mannes aus dem Schrank und fes­selte sie damit. Dann ging er zum Schrank, stopf­te den Schmuck in seine Tasche und legte den Pira­ten­körper und seinen speziel­len Gruß von Klaus Störte­beker auf den Nacht­schrank.

»Ich wün­sche noch eine an­ge­nehme Nacht­ruhe«, ver­abschie­dete er sich grin­send. Im Erd­ge­schoss fand der die Hand­tasche der Frau. »52 Euro und ein paar Cent«, knurr­te er. »Das hat sich ja nicht gerade ge­lohnt.«

Laut­los schlüpf­te er aus der Ter­rassen­tür und fluch­te leise. Das wäre bei­nahe schief­gegan­gen und der Er­trag war kümmer­lich. Für seinen nächs­ten Bruch würde er sich besser vor­berei­ten müssen.

Weller saß beim Abend­essen mit seiner Frau Ute und der Toch­ter Lena. Der »Pira­ten­fall« war auch heute wieder Ge­sprächs­thema.

»Lang­sam müssen wir den Kerl schnap­pen, sonst machen wir uns lächer­lich.« Weller schüt­telte den Kopf und biss herz­haft in sein Salami­brot.

»Aber der Mann nimmt doch nur denen was weg, die so­wieso zu viel haben«, protes­tierte Lena. »Und dann gibt er es denen, die nichts haben.«

»Lena, der Mann ist ein Dieb und ob es bei denen gut auf­geho­ben ist, die es dann ver­trin­ken, wage ich zu be­zwei­feln.« Ge­nervt blick­te er seine Toch­ter an, die trot­zig die Arme vor der Brust ver­schränk­te.

»Sebas­tian findet auch, dass dieser Pirat etwas Gutes tut«, er­wi­derte sie.

»Mag ja sein, dass Ihr jungen Leute, dein Freund und du, das gut finden. Aber meine Auf­gabe ist es eben, Diebe zu schnap­pen und dafür zu sorgen, dass sie ihre ge­rechte Strafe be­kommen.«

»Doof!« Lenas Ge­sicht war ein ein­ziger Vor­wurf. Ihre Mutter ver­suchte zu ver­mit­teln.

»Kind, dein Vater hat recht. Wenn jeder das so machen würde, dann…«

Sie wurde von Wel­lers Tele­fon unter­bro­chen. Die Freude auf einen ge­ruh­samen Feier­abend platz­te in Sekun­den. Eine kurze Nach­richt, dass ihr Pira­ten­freund wieder zu­geschla­gen habe, be­endete Wel­lers Hoff­nung auf einen Schlag.

Als er ge­mein­sam mit Corne­lia Schu­bert am Tat­ort ein­traf, wurden sie be­reits von einem Strei­fen­be­amten und der Spuren­siche­rung er­wartet. Die Frau des Hauses saß in der Küche und zit­terte immer noch, als die Kommis­sare an sie heran­traten.

»Ich dachte, der bringt mich um«, be­gann sie mit be­legter Stimme, nach­dem die Kommis­sare ge­grüßt und sich vor­ge­stellt hatten. »Das war dieser Pirat, der hatte eine Augen­klappe. Oh, was war das für ein Schreck.«

»Eine Augen­klappe?«, fragte Weller. »Das heißt, Sie haben den Rest seines Ge­sich­tes ge­sehen?«

Die Frau nickte. »Ja, der hatte nur eine Klappe über dem einen Auge.«

»Können wir dann mit Ihrer Hilfe ein Phan­tom­bild er­stel­len?« Aus Wel­lers Stimme sprach Hoff­nung, dem Pira­ten auf die Schli­che zu kommen.

»Ich denke schon.« Die Frau nickte.

»Sehr gut, dann nehmen wir Sie gleich mit aufs Präsi­dium, okay?«

Wieder nickte sie.

Zwei Stun­den später war das Bild fertig. Die beiden Kommis­sare be­trach­teten es zufrie­den.

»Das ist ja fast wie ein Foto. Er­staun­lich, dass sich die Frau trotz des Schocks das Ge­sicht so genau ein­ge­prägt hat.« Weller nickte an­erken­nend, wäh­rend seine Kolle­gin vor ihrem Bild­schirm saß und im Inter­net forsch­te.

»Was ist?«, fragte er, als er sah, dass sie die Stirn run­zelte.

»Ich habe ihn«, ver­kün­dete sie.

»Echt?« Weller stand auf, blick­te auf ihren Bild­schirm und stutz­te.

»So ein Mist«, ent­fuhr es ihm.

»Tja«, er­wi­derte Schu­bert und musste un­will­kür­lich schmun­zeln. »Es gibt schon ganz schön lebens­echte Pira­ten­masken.«

»Dann haben wir also wieder nichts.«

»Viel­leicht findet die Spuren­siche­rung ja dieses Mal etwas.«

»Die Hoff­nung stirbt zu­letzt. Ich glaube, ich will jetzt nach Hause.«

»Zwei­ter Ver­such, aber für diese Nacht war es das wohl jetzt mit unse­rem Pira­ten.«

Die nächs­ten Tage blieb es ruhig, aber die Kommis­sare hatten nicht die Hoff­nung, dass der Pirat auf­gehört hatte, reiche Be­wohner zu be­steh­len. Und tat­säch­lich er­hiel­ten sie eine Woche später abends einen An­ruf. In Blanke­nese war ein Ein­bruch ge­meldet worden. Offen­bar hatte der Täter die Alarm­anlage über­sehen.

Schu­bert und Weller fuhren zu der an­gege­benen Adres­se, wo zwei Strei­fen­be­amte auf sie warte­ten.

»Hallo Kolle­gen, wie sieht´s aus?«, fragte Weller im Flüs­ter­ton.

»Es kann gut sein, dass er noch drin ist. Im ersten Stock war der Schein einer Ta­schen­lampe zu sehen, als wir ge­kommen sind. Wir haben nicht ge­sehen, dass seit­dem jemand aus dem Haus ge­kommen wäre.«

»Das klingt gut.«

»Sollen wir rein­gehen oder warten, bis er raus­kommt?«, fragte der Poli­zist.

Die beiden Kommis­sare wech­selten einen kurzen Blick.

»Wir gehen rein«, ent­schied Weller und gab seiner Kolle­gin ein Zei­chen.

»Ihr be­wacht den Aus­gang, damit er uns auf keinen Fall ent­wischt.«

Der Poli­zist hob den Daumen. Die beiden Kommis­sare schli­chen um das Haus und stan­den vor der Ter­rassen­tür, die der Täter auf­gehe­belt hatte. Lang­sam schob Weller die Tür auf. Schu­bert hielt den Atem an und folgte ihm.

Auf dem Wohn­zimmer­tisch lag eine Pira­ten­puppe mit ab­geschla­genem Kopf. Dane­ben der be­kannte Gruß von Klaus Störte­beker.

Jetzt haben wir dich, dachte Weller und zeigte auf die Hinter­lassen­schaft des Pira­ten. Schu­bert nickte. Die beiden schli­chen zur Treppe und blick­ten nach oben. Es war still im Haus, zu still. Lang­sam stieg der Kom­missar die Stufen nach oben und gab seiner Kolle­gin ein Zei­chen, dass sie unten blei­ben und auf die Keller­tür achten sollte, falls sich der Räuber dort auf­hielt.

Oben an­gekom­men lausch­te er. Nach wie vor war nichts zu hören. Sollte der Störte­beker-Ver­schnitt schon wieder fort sein? Der Kom­missar blick­te in jedes Zimmer. In einem Raum war eine Schreib­tisch­schub­lade auf­gebro­chen. Offen­sicht­lich hatte der Pirat ge­funden, wonach er ge­sucht hatte, denn die Geld­kas­sette war offen und leer.

Weller wollte sich gerade um­drehen, als er von hinten ge­stoßen wurde und auf den Schreib­tisch fiel. Er konnte gerade noch sehen, dass eine Ge­stalt aus der Tür husch­te und die Treppe her­unter­stürz­te. Müh­sam rap­pelte er sich auf und lief zur Tür, als er von unten Ge­polter hörte.

Conny, ging es ihm durch den Kopf. Hof­fent­lich ist ihr nichts pas­siert!

Er stol­perte die Treppe nach unten und sah zu seiner Er­leich­terung seine Kolle­gin, die sich über eine Person beugte, die auf dem Boden lag und vor Schmer­zen stöhn­te.

»Alles okay bei dir?«, fragte Weller.

»Klar, bei dir auch?«, er­wi­derte sie und sah ihn ernst an.

Weller nickte. »Was ist pas­siert?«

Schu­bert grins­te trium­phierend. »Eigent­lich wollte ich unse­ren Pira­ten ja köpfen, wie es Tradi­tion ist. Und danach ein Bein stel­len, wie es der Sage nach dem Herrn Störte­beker pas­siert ist.«

Sie beugte sich über den Mann, der am Boden lag.

»Aber dann habe ich es ab­gewan­delt, ihm erst ein Bein ge­stellt und, statt ihn gleich zu köpfen, ihm nur eines auf den Kopf ge­geben.«

Der Räuber hielt sich den Kopf und sah Schu­bert hass­erfüllt an. »Das tut ganz schön weh, Sie blöde Kuh.«

»Oh Be­amten­be­leidi­gung, das gibt noch eine Strafe oben­drauf. Aber nun würden wir gern mal unse­ren jungen Klaus Störte­beker in natura sehen.« Schu­bert zog ihm die Pira­ten­maske vom Kopf, wobei der Pirat vor Schmer­zen auf­schrie.

»Also ich habe mir Pira­ten furcht­erre­gender vor­ge­stellt, wobei ich natür­lich nicht weiß, wie der »echte« Klaus Störte­beker aus­sah, wenn es ihn denn ge­geben hat.« Conny Schu­bert lächel­te.

»Aber gut, dann werden wir ihn mal in den Kerker werfen, damit er dort auf seine Hin­rich­tung warten kann«, nahm Weller den Ball auf, be­vor er einen Blick auf den Mann warf. Plötz­lich stutz­te er.

»Sag mal, du bist das, Sebas­tian? Was hast du dir dabei ge­dacht?«

Corne­lia Schu­bert sah rat­los von Sebas­tian zu Weller. »Du kennst den jungen Mann?«

Weller sah den Pira­ten immer noch fas­sungs­los an. »Aller­dings, er geht bei uns ein und aus. Das ist der Freund meiner Toch­ter.«

»Ho­ly Shit«, ent­fuhr es der Kommis­sarin.

»Übri­gens, deine Obdach­losen woll­ten die Beute ver­flüs­sigen. Ich denke, deine Hilfe ging zu­min­dest bei denen in die fal­sche Rich­tung.« Weller beugte sich über den Räuber.

»Mist«, brumm­te der neue Störte­beker.

»Na dann auf­stehen, du Pirat.« Weller zog ihn hoch. »Jetzt wirst du dann wohl erst mal auf Staats­kosten vor Anker gehen. Eine Frage noch: Wusste Lena von deinen Beute­zügen?«

Sebas­tian schüt­telte den Kopf.

Der Pakt

Ulrike Braune

Vor­sich­tig drück­te Hans den Tür­hebel nach unten. Dieser knarr­te ver­räte­risch. »Pscht!«, ta­delte der junge Mann das Stück Metall. »Wir müssen doch leise sein! Oder willst du etwa, dass Lis­beth uns hört?«

»Ha!«, er­klang eine Stimme neben ihm und ließ ihn zu­sammen­zucken. »Ich habe dich schon ge­hört, als du draußen herum­gestol­pert bist«, er­klärte seine Frau und zün­dete eine Kerze an.

Er lächel­te ver­legen.

»Warst du schon wieder im Wirts­haus?« Die Wut in ihrer Stimme war un­über­hör­bar. »Wie kannst du nur immer­zu dein Geld ver­saufen? Unser Geld! Weißt du über­haupt, wie schwer es ist, mit den paar Münzen zu wirt­schaften? Und was macht mein feiner Herr Ge­mahl? Er geht ins Wirts­haus, be­trinkt sich und ver­spielt auch noch den kläg­lichen Rest!«

»Manch­mal ge­winne ich auch …«, ver­suchte sich der junge Mann zu recht­ferti­gen und fing dafür eine Ohr­feige.

»Nur, um das Er­spiel­te gleich wieder ein­zu­setzen! Ich sollte dich hinaus­werfen, wie einen räudi­gen Hund!«

»Lis­beth, mein Lieb­ling …«, be­gann er und wollte nach ihrer Hand grei­fen. Sie schlug seinen Arm bei­seite.

»Spar dir die Säuse­leien!«, zisch­te sie, wandte sich um und ging zurück ins Bett.

Hans seufz­te. Er hatte mit Vor­würfen ge­rech­net, nur nicht heute Abend und nicht so heftig. Im Grunde ver­stand er seine Frau sogar. Doch mit den Berg­män­nern zu­sammen zu sitzen, zu lachen und zu spie­len, be­deu­tete ihm viel. Auch, wenn er sich das nicht an­satz­weise leis­ten konnte.

Da er es nicht wagte, sich zu Lis­beth zu legen, streck­te er sich vor der Glut der Feuer­stelle aus und schloss die Augen. Wenigs­tens war es hier warm.

Als Hans am nächs­ten Morgen auf­stand schlief sie noch, oder sie tat so, um einem Ge­spräch zu ent­gehen. Er legte die weni­gen Münzen, die er vom Lohn noch in der Tasche trug, auf den Tisch und nahm sich dafür einen Kanten tro­ckenes Brot. Das würde ihm für den heuti­gen Tag rei­chen müssen.

Mit einem letz­ten Blick auf seine schla­fende Frau ver­ließ er die Hütte und ging zur Schicht im Berg.

Die Arbeit an der Haspel half ihm kaum, sich von den trüben Ge­danken ab­zu­lenken. Länger als sonst schien ihm die Zeit, bis der Korb ge­füllt war und er den Män­nern an der Ober­fläche das Signal geben konnte, damit sie ihn herauf­zogen. Als end­lich der Feier­abend heran­ge­rückt war und er zurück ans Tages­licht kam, lag die Aus­sicht, nach Hause zu gehen und sich er­neut vor seiner Frau recht­ferti­gen zu müssen, schwer auf ihm.

Seinem Freund Jakob, der sich ihm auf dem Heim­weg an­geschlos­sen hatte, ent­ging das nicht. »Was ist los mit dir?«, fragte er ihn. »Du siehst aus wie sieben Tage Regen­wetter.«

»Ich hatte Streit mit Lis­beth«, ge­stand Hans un­umwun­den.

Den Grund dafür brauch­te er seinem Be­glei­ter nicht zu er­klären. Er schüt­telte nur den Kopf. »Ich hatte dich ge­warnt, diesen letz­ten Ein­satz zu machen.«

»Aber ich hatte die ganze Zeit so eine Glücks­sträh­ne!«, recht­fer­tigte sich der Berg­knecht. »Hätte ich ge­wonnen, hätte ich sogar meine Schul­den ab­bezah­len können.«

»Hast du aber nicht«, er­in­nerte ihn sein Freund.

»Nein«, musste Hans zu­geben. »Es scheint, als ob das Glück einen großen Bogen um mich macht.«

Der andere klopf­te ihm freund­schaft­lich auf die Schul­ter. »Sieh nicht gleich alles schwarz. Ich bin sicher, irgend­wann kommt das Glück auch zu dir.«

Sein Be­glei­ter nickte, doch konnte nicht so recht daran glau­ben.

»Ich muss hier ab­biegen«, er­klärte er kurz darauf. »Ich soll für Lis­beth ihre Be­stel­lungen ab­holen. So knapp das Geld bei uns auch ist, dafür kann sie an­schei­nend immer etwas zu­sammen­krat­zen.«

Jakob grins­te schief. »Ja, so sind sie, die Frauen.«

Sie ver­abschie­deten sich und Hans machte sich miss­mutig auf den Weg in Rich­tung Stadt.

Seit jeher hatte ihm Lis­beth solche Boten­gänge auf­getra­gen, doch in letz­ter Zeit häufte es sich. Dabei sehnte er sich nach einem langen Arbeits­tag nur nach einer warmen Mahl­zeit und Ruhe. Aber da er seine Frau nicht weiter ver­ärgern wollte, wider­sprach er ihr in der Regel nicht und er­füllte ihre Wün­sche. Zu­min­dest war die Ware, die er holte, immer schon be­zahlt. Gott allein wusste, wie sie das machte.

Ein plötz­licher Schrei riss ihn aus seinen Ge­danken. Als Hans sich um­sah, rausch­te in dem Moment ein Schat­ten über ihn hinweg. Der Berg­knecht warf sich auf den Boden. Erst all­mäh­lich traute er sich auf­zu­sehen und er­blick­te einen großen Raben, der sich ganz in der Nähe auf dem Ast eines ab­gestor­benen Baums nieder­gelas­sen hatte. Das Tier saß selt­sam re­gungs­los, fast wie eine Statue.

Lang­sam und ohne den Vogel aus den Augen zu lassen, rap­pelte sich der junge Mann auf. Noch immer starr­te der Schwar­ze auf einen fernen Punkt und schien ihn nicht zu be­merken.

Hans ging vor­sich­tig auf das Ge­hölz zu. Vom Baum war nicht mehr viel übrig­geblie­ben: Ein hohler Stamm und zwei große Äste, die sich nach links und rechts streck­ten. Die Rinde war ab­ge­platzt und das helle Holz dar­unter glich einem aus­gebli­chenen Ske­lett.

Plötz­lich drehte der Rabe ruck­artig den Kopf und starr­te ihn an. Hans er­schrak und wich einen Schritt zurück. Der Blick der schwar­zen Augen schien ihn zu durch­drin­gen, bis ins Inners­te seiner Seele zu rei­chen.

Der Berg­knecht ging in die Knie, nicht fähig, sich von dem Vogel ab­zu­wenden. Mit einem Kräch­zen er­hob sich dieser in die Luft, nur um gleich wieder auf dem Stamm des Baums zu landen.

Hans be­merkte eine Öff­nung im Holz direkt vor ihm. Eine kleine Kerze, ein Pfen­nig­licht, brann­te darin und dane­ben be­fand sich eine Kiste, kaum größer als ein Brenn­scheit. Wer mochte das hier draußen, weit außer­halb der Stadt plat­ziert haben?

Un­sicher blick­te er zum Raben auf, der ihn noch immer an­starr­te. »Kann ich es mir mal an­sehen?«, fragte er das Tier und kam sich gleich­zeitig un­glaub­lich dumm vor. Er­war­tete er etwa, dass es ihm antwor­tete?

Er schüt­telte den Kopf und griff nach der Scha­tulle. Sie war nicht ein­mal ver­schlos­sen. Vor­sich­tig sah er sich um, doch nie­mand schien in der Nähe zu sein. Mit zittern­den Händen öff­nete er den Deckel. Der Mund blieb ihm offen, als er die Silber­münzen sah, die sich im Inne­ren be­fanden.

Un­will­kür­lich suchte er den Blick des Raben. Bil­dete er es sich nur ein oder nickte ihm der Schwar­ze zu? »Das … das ist für mich?«

Auf­geregt be­gann das Tier zu kräch­zen und mit den Flü­geln zu schla­gen.

»Natür­lich!«, däm­merte es Hans. »Du willst eine Gegen­leis­tung.«

Augen­blick­lich be­ru­higte sich der Vogel und sah ihn aber­mals durch­drin­gend an.

Er über­legte fieber­haft. Was hatte er schon zu bieten?

Hek­tisch sah er sich um, als ihm der Hohl­raum im Inne­ren des Stam­mes ins Auge fiel. »Ich zünde ein Pfen­nig­licht an«, schlug er vor. »Jeden Tag, wenn ich in den Berg fahre, zünde ich ein Licht für dich an.«

Wind kam plötz­lich auf, der das Haar des Mannes und das Ge­fieder des Raben zer­zauste. Den­noch rührte sich das Tier nicht und schien auf etwas Be­stimm­tes zu warten.

Hans konnte seinem Blick kaum noch stand­halten. Der Wind nahm ihm die Luft zum Atmen. »Ich schwö­re es!«, rief er aus lauter Ver­zweif­lung in die stär­ker wer­denden Böen hinein. »Ich schwö­re es, bei meinem Leben!«

Mit einem Schrei brei­tete der Schwar­ze seine Schwin­gen aus und er­hob sich in den Sturm. Hans klam­merte sich an die Scha­tulle und be­obach­tete den Vogel, bis er in den Wolken ver­schwun­den war.

Lang­sam flaute der Wind wieder ab. Was war hier gerade ge­sche­hen?

Das Pfen­nig­licht im hohlen Stamm hatte sich in Luft auf­gelöst. Hätte es nicht die Kiste in seinen Händen ge­geben, Hans hätte an seinen Sinnen ge­zwei­felt.

Un­sicher öff­nete er aber­mals den Deckel. Die Menge der Silber­münzen war auf den ersten Blick nicht zu er­fassen. Er war ein rei­cher Mann.

Der Ge­danke brauch­te eine Weile, um in die Tiefen seines Ver­stands vor­zu­drin­gen. Er war reich! Er würde seine Schul­den ab­bezah­len können und müsste nie wieder welche machen. Er würde ohne schlech­tes Ge­wissen ins Wirts­haus gehen können und seiner Frau end­lich ein besse­res Leben bieten.

Ein leises Lachen drang aus seiner Kehle, das schnell lauter wurde. Seine Pro­bleme waren mit einem Schlag ge­löst. Er war reich!

Noch immer sin­gend er­reich­te er die kleine Hütte. »Lis­beth!«, rief er schon von weitem. »Lis­beth, komm, das musst du dir an­sehen!«

Wider Er­warten kam seine Frau nicht aus der Tür, son­dern tauch­te hinter dem Ge­bäude auf. Sie schien außer Atem und ihr Haar war zer­zaust.

»Ist alles in Ord­nung mit dir?«, fragte Hans be­sorgt.

»Ja, natür­lich«, er­klärte sie. »Ich habe nur gerade ver­sucht, die Sträu­cher hinter dem Haus heraus­zu­reißen. Die stören mich schon seit langem …«

»Welche Sträu­cher meinst du?«, wollte ihr Mann wissen und ver­suchte, sich an ihr vorbei­zuschie­ben.

Sie stell­te sich ihm in den Weg. »Das spielt doch jetzt keine Rolle. Sag mir lieber, wo du meine Be­stel­lungen hast.«

»Ich war nicht in der Stadt«, ge­stand Hans, sprach jedoch schnell weiter, damit sie ihm nicht er­neut Vor­würfe machen konnte. »Aber ich habe etwas viel Besse­res!«

Er drück­te ihr die Scha­tulle in die Hand und be­obach­tete voller Vor­freude, wie sie den Deckel an­hob.

Lis­beth schau­te un­gläu­big zwi­schen den Münzen und ihrem Mann hin und her. »Ist das …? Aber wie …? Ich meine woher …?«, stam­melte sie.

»Das ist schwer zu er­klären: Da war dieser Rabe und der Baum, in dem ein Licht brann­te …«

»Du hast doch nie­manden um­ge­bracht?«, fiel ihm seine Frau ins Wort.

»Nein!«, wider­sprach er heftig. Wie konnte sie ihm nur so etwas zu­trauen? Den­noch hatte er Mühe, das Er­lebte in Worte zu fassen.

Ein tro­ckener Zweig knack­te in der Nähe. Hans war sich sicher, dass das Ge­räusch von hinter der Hütte kam. Er starr­te Lis­beth an. »Ist da jemand?«, fragte er halb an seine Frau, halb in den Garten ge­rich­tet.

»Sei doch keine miss­traui­sche Ma­trone!«, neckte sie ihn, be­eilte sich jedoch, ihn in Rich­tung Tür zu ziehen. »Komm, ich koche dir drin­nen eine schöne Suppe und du er­zählst mir, was pas­siert ist.«

Einen Moment lang war Hans ver­sucht, sich ihrem Griff zu ent­winden und seinen Zwei­feln nach­zu­gehen. Als er aber ihr Lä­cheln sah, das sie ihm so lange schon nicht mehr ge­schenkt hatte, be­schloss er, den Augen­blick ein­fach zu ge­nießen.

In den Wochen danach war Hans wie ver­wan­delt. Statt des üb­lichen Ge­jam­mers über zu wenig Geld und den Streit mit seiner Frau, sah man ihn nun scher­zend und la­chend im Wirts­haus sitzen. Manch­mal be­glei­tete ihn Lis­beth sogar.

Unter den Berg­leuten wurde dar­über ge­tu­schelt, was diese plötz­liche Ver­ände­rung aus­gelöst haben könnte. »Er hat einen Schatz ge­funden«, hieß es bei den einen. »Seine Frau hat reich ge­erbt«, ver­mute­ten die ande­ren. Die meis­ten gönn­ten dem Berg­knecht jedoch sein neues Glück und er­klär­ten schul­ter­zu­ckend: »Der Berg­geist meint es gut mit ihm.«

Dafür sprach auch die Tat­sache, dass Hans nun jeden Tag ein Pfen­nig­licht unter Tage an­zün­dete. Manch einer tat es ihm sogar gleich, in der Hoff­nung eben­falls be­lohnt zu werden.

Hans und Lis­beth wirt­schaf­teten vor­bild­lich mit ihrem un­ver­hoff­ten Reich­tum. Hans blieb auch weiter­hin im Berg und arbei­tete an der Haspel. Sie kauf­ten sich etwas Land, drei Kühe und klei­nere Tiere. Sie hatten sogar noch ein paar Münzen übrig, die sie sicher ver­wahr­ten, denn nun konn­ten sie von ihrem Ein­kommen be­quem leben. Wie der Berg­knecht zu dem Schatz ge­kommen war, erzähl­ten sie jedoch nie­mandem, um nicht den Neid der ande­ren zu wecken.

»Nun bist du ein ge­mach­ter Mann!«, be­merkte Jakob, als sie zum Stolln­bier, einem Berg­manns­fest, zu­sammen­saßen. Er hob seinen Bier­krug und stieß mit Hans an.

»Scheint, als ob das Glück dies­mal keinen Bogen um mich ge­macht hat«, er­wi­derte sein Freund la­chend und leerte seinen Becher.

Der andere be­obach­tete ihn genau. »Wie bist du nur zu dem vielen Geld ge­kommen?«

Hans wisch­te sich den Schaum vom Mund. »Ich habe dir doch schon ge­sagt, dass ich nicht dar­über reden will.« Er rülps­te ge­räusch­voll.

Sein Be­glei­ter ließ sich damit nicht ab­spei­sen. »Es wird er­zählt, dass es mit einem Vogel und einem Baum zu tun hätte.«

Das Lä­cheln des ande­ren er­starb. »Wer sagt so etwas?«

»Also ist es wahr?«

In diesem Moment tauch­te eine Gruppe Berg­männer bei ihnen auf. »Hans, mein Guter, komm spiel‹ mit uns!«, for­derte ihn einer auf. »Das heißt, wenn dich die lächer­lichen Summen noch reizen, die wir auf den Tisch legen.«

Glück­lich über die Mög­lich­keit, dem Ver­hör seines Freun­des zu ent­kommen, stimm­te der Berg­knecht zu. Er holte sich ein weite­res Bier und setzte sich zu den ande­ren.

Jakob er­hob sich eben­falls und ge­sellte sich zu ihnen. Wenn Hans spiel­te, gab es stets etwas zu holen.

Spät in der Nacht führte Jakob seinen völlig be­trun­kenen Freund nach Hause. Es war wieder ein­mal ein loh­nender Abend ge­wesen. So reich Hans jetzt auch sein mochte, beim Würfel­spiel fiel er wie eh und je auf die alten Tricks herein. Aber das sollte Lis­beth bei ihrem jetzi­gen Ein­kommen nicht mehr stören.

»Ich könnte wetten …«, lallte Hans, »ich bin mir sicher …« Er stopp­te und musste kurz ver­schnau­fen.

Der andere zog ihn vor­wärts. »Komm weiter, mein Guter. Bis nach Hause ist es noch ein Stück.«

Un­gelenk setzte sich der Berg­knecht in Be­wegung. Erst nach einer Weile griff er seinen Ge­danken wieder auf. »Weißt du … ich denke, da be­scheißt mich einer.«

»Wie meinst du das?«, fragte Jakob und zog seinen Freund zurück in die Mitte des Weges.

»Beim Würfel­spiel«, er­klärte Hans, »irgend­wie ver­liere ich immer.« Er musste auf­stoßen und sein Be­glei­ter ging sicher­heits­halber einen Schritt zur Seite. Doch der Be­trun­kene schüt­telte sich nur und setzte seinen Weg fort. »Wie kann es sein, dass ich nie ge­winne?«, philo­so­phierte er weiter. »Ich meine jetzt, wo das Glück auf meiner Seite ist …«

Bei­nahe wäre er über eine der Wur­zeln ge­stol­pert, die den Pfad zu seiner Hütte säum­ten. Nur Jakobs ra­sches Ein­grei­fen ver­hin­derte seinen Sturz. »Du soll­test dich lieber auf den Weg konzen­trieren.«

Doch der Ge­danke ließ Hans nicht los. »Da be­scheißt mich einer …«, wieder­holte er trot­zig.

Sein Freund lachte. »Sei doch keine miss­traui­sche Ma­trone!«

Der Berg­knecht blieb stehen wie vom Donner ge­rührt.

»Was ist denn jetzt schon wieder?«, seufz­te Jakob.

»Das hat Lis­beth auch ge­sagt … Am Tag, als ich den Schatz ge­funden habe …«