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Ein bayerischer Sturschädel im Achtsamkeitskurs? Franzi hat die Nase voll! Kurzerhand meldet sie ihren besserwisserischen Vater Sepp beim Achtsamkeitstraining an. Blöd nur, dass sie von ihrer yogabegeisterten Schwester denselben Kurs geschenkt bekommt. So hockt Franzi plötzlich im Schneidersitz neben ihrem Vater und soll entspannen. Ausgeglichenheit, Selbstliebe und innere Ruhe? Nicht, wenn Sepp während der Waldmeditation Brennholz sammelt, ihr Mann nur noch rumstichelt und die anderen Kursteilnehmer pikante Eheratschläge erteilen! Einatmen – Ausatmen – Ignorieren. Leichter gesagt als getan! Eine entspannende, humorige Komödie in der typisch lockeren Art von #1 Kindle Humor-Autorin Antonia Vitz. Pressestimmen: "Schreiben kann sie, die Frau Vitz!" (Ulla Müller, Bayern 1 Buchtipp) "Antonia Vitz lässt uns auf ihre unnachahmliche, humorvolle Art mal wieder tief reinschauen in die bayerische Seele. Der Roman verbindet Lebensweisheit mit Heiterkeit. Besser kann man sich also kaum unterhalten als mit diesem Buch." (Titelmagazin) "Beim Lesen gibt es immer wieder diesen Aha-Effekt des Wiedererkennens eigener Erlebnisse." (Der Neue Tag)
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Antonia Vitz
Sakra, mein Chakra
Sepp und der Achtsamkeitskurs
Deutsche Erstveröffentlichung 08.04.2023
Copyright © 2023 Antonia Vitz Alle Rechte vorbehalten.
ISBN: 9783757961930
Antonia Vitz Reutinger Weg 2692449 Steinberg am See
Antoniavitz.de
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung der Autorin unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Korrektorat: Donata Schäfer Umschlagmotiv und Zeichnungen: Anna Vetter und Stephanie Umlauf Umschlaggestaltung: Stephanie Umlauf,steffiumlauf.com
A N T O N I A V I T Z
ROMAN
1 Mein Gott, das Auto!
2 Hackfleischsuppe
3 Dosenravioli
4 Wutdurchfall
5 Bettis Geburtstagskaffee
6 Zehnfünfzig
7 Schlafenszeit
8 Sepps Geburtstag
9 Hajo Brax
10 Feichtis Möbel
11 Nur vorübergehend!
12 Die Axt schärfen
13 Männer haben keine Kopfschmerzen
14 Sojalasagne
15 Louseks
16 Muttertag
17 Vier neue Nachrichten
18 Bäume umarmen
19 Wurzelchakra
20 Schöne Menschen
Wolfis legendäre Sojalasagne
„Scheene Leit“
Danke, liebe Leserin, lieber Leser,
dass du dieses Buch gekauft hast
(oder es dir jemand geschenkt hat).
Ich wünsche dir viel Spaß in Katzbrück
mit Franzi, Sepp und Hajo Brax!
Ein Dankeschön auch an alle, die meinen Newsletter abonnierenoder auf einer der vielen Plattformeneine Bewertung für „Sakra, mein Chakra“ hinterlassen.
Danke Mama, Steffi, Daniel
für die mentale Unterstützung in alle Lebenslagen,
den supergenialen Song zum Buch,
die fantastischen Zeichnungen und Grafiken,
die Freundschaft.
So ein Geburtstag kommt ja jedes Jahr wieder völlig überraschend daher, zumindest für meinen Vater. Ich meine – hey, wer rechnet schon damit, dass seine Frau ein Jahr älter wird? Wieder um die gleiche Zeit, genau wie zwölf Monate zuvor? Um einer elterlichen Ehekrise entgegenzuwirken, erinnere ich Papa im Vorfeld regelmäßig daran, dass er ein Geschenk besorgen muss.
„Vermassle es nicht wieder“, warne ich ihn.
Vorsichtshalber rede ich auch mit Mama über das Thema. „Was wünschst du dir eigentlich zum Geburtstag?“
„Ah geh, Franzi, ich hab doch alles. Du brauchst mir wirklich nichts schenken.“
„Und von Papa?“
Ihr Blick verfinstert sich. Sepp und seine nicht vorhandenen Geschenke.
„Sag’s mir und ich sorge unauffällig dafür, dass er es erfährt“, meine ich grinsend und zwinkere ihr zu.
Mama kennt ihren Mann gut genug, um zu wissen, dass das ihre einzige Chance auf ein einigermaßen vernünftiges Präsent ist. „Also gut. Es gibt da diese Armbanduhr, mit der ich schon länger liebäugle.“
Na, das ist doch mal was!
„Beim Schmuck Weiler im Schaufenster“, gebe ich am nächsten Tag wie geplant weiter. „Untere Reihe, die dritte von rechts. Eine anthrazitfarbene Uhr mit hellgrauem Ziffernblatt. Das Armband ist aus Leder, sie kostet einhundertneunundzwanzig Euro. Ich bin mir sicher, dass ihr die gefallen würde.“
„Hundertneunundzwanzig?“ Mein Vater macht ein Gesicht, als wäre das ein Monatslohn. „Für was braucht die Geli überhaupt eine Uhr?“
„Sei einfach froh, dass ich einen Tipp für dich habe, und kauf sie. Sonst hast du wieder nichts Gescheites, so wie letztes Jahr.“
„Das Buch hat sie sich gewünscht!“
„Sie hat sich die Biographie von Dieter Hildebrandt gewünscht, dem Politkabarettisten, und nicht die von Dieter Bohlen.“
„Ist doch egal. Buch ist Buch.“
„Papa!“ Ich schaue meinen Vater eindringlich an. „Das nächste Mal, wenn du in Heidelkirchen bist, gehst du zum Weiler, kaufst die Uhr und lässt sie hübsch verpacken.“
Papa blickt teilnahmslos an mir vorbei Richtung Garage. „Das Auto muss ich auch mal wieder putzen.“
Einen Tag vor Mamas Geburtstag hat er die Uhr immer noch nicht.
„Die Geli ist morgen eh den ganzen Tag mit ihren Weibern beim Wellnessen“, erklärt er ohne einen für mich erkennbaren Zusammenhang. „Da braucht sie keine Uhr.“
„Ein Geschenk solltest du aber trotzdem haben, Papa. Schließlich kommt deine Frau am Abend wieder heim.“ Nach einer kurzen Pause schiebe ich hinterher: „Wenn du Glück hast.“ In meiner Neckerei ist durchaus ein dezenter Seitenhieb versteckt. An Mamas Stelle würde ich es keine vier Wochen mit meinem Vater aushalten.
„Da kutschiert sie eine Stunde durch die Gegend, um dafür bezahlen zu dürfen, dass sie den ganzen Tag im Bademantel auf einer unbequemen Plastikliege hockt und ihr irgendjemand für einen horrenden Extrapreis zwei Gurkenscheiben ins Gesicht legt. Das könnte sie daheim auch haben.“
„Du bist doch nur sauer, weil es morgen keinen Kuchen gibt, stimmt’s?“
Mama macht das einzig Richtige. Statt die Familie abzufüttern, gönnt sie sich an ihrem Geburtstag einen entspannten Verwöhntag mit ihren Freundinnen.
„Außerdem habe ich schon ein Geschenk.“
Ich starre Papa überrascht an. Damit hätte ich jetzt nicht gerechnet. Stolz schiebt er seine Hüften nach vorne und grinst schelmisch. „Hab ich gestern besorgt.“
„Verrätst du mir auch, was es ist?“ Als ich die Antwort zu hören bekomme, starre ich ihn mit weit aufgerissenen Augen entsetzt an. Meine Stimme schraubt sich eine halbe Oktave in die Höhe. „Einen Tankgutschein? Du willst deiner Frau ernsthaft einen Tankgutschein zum Geburtstag schenken?“ Ich fasse es nicht! Was denkt denn dieser Mann? In was für einer Welt lebt er?
„Fünfzig Euro!“
Ein Tankgutschein über fünfzig Euro. Welche Frau verfällt bei so einem Anblick nicht sofort in Ekstase? Ich sehe Mamas fassungsloses Gesicht bereits vor mir, wenn sie den Umschlag öffnet.
„Papa, du setzt dich jetzt sofort ins Auto, fährst nach Heidelkirchen und kaufst ...“
„Ich fahr bestimmt nicht extra wegen einer Uhr nach Heidelkirchen“, unterbricht mich mein Vater bestimmt. „Hast du die Benzinpreise gesehen? Das ist der reinste Wucher!“
„Deine Ehe steht auf dem Spiel!“ Ich bin kurz davor, ihn an den Schultern zu packen und zu schütteln.
„Geh Schmarrn, meine Ehe! Dass du auch immer so dermaßen übertreiben musst. Ich wasch jetzt erst mal das Auto. Wenn danach noch Zeit ist, dann vielleicht.“
„Heute ist Samstag, der Weiler macht um sechs zu!“ Es ist zum Haare raufen.
Mein Vater wirft einen Blick auf seine Uhr. „Das wird knapp!“
„Das weiß ich selbst!“ Ich muss die Sache anders angehen. „Du hast auch eine Armbanduhr. Aber deiner Frau vergönnst du keine.“
„Die hat schon zehn.“
„Eine. Und die ist an Silvester kaputt gegangen, als du ihr Handgelenk beim Walzertanzen gegen die Wand gedonnert hast.“
„Die kann man wieder richten.“
„Oder ihr eine neue zum Geburtstag schenken.“
Papa fuchtelt mit seiner Uhr unter meiner Nase umher. „Die hier ist vom Aldi. Keine zehn Euro! Läuft einwandfrei. Tausendmal besser als dieser Firlefanz vom Weiler!“
Ich geb’s auf. Dann steht er eben morgen ohne Geschenk da, ich habe alles versucht. Diesem Mann ist einfach nicht zu helfen!
Eine halbe Stunde später sitze ich im Auto und fahre nach Heidelkirchen. Papas Sturköpfigkeit hin oder her, es geht schließlich um meine Mama. Sie soll einen schönen Tag haben und dazu gehört auch, dass sie von ihrem Mann ein angemessenes Geschenk erhält. Am Ende wird er mir dankbar sein, wenn ich ihm nach seinem Gutscheindesaster heimlich eine kleine Schmuckschatulle in die Hand drücke. Außerdem habe ich Mama versprochen, ihren Wunsch weiterzugeben. Sie freut sich bestimmt schon auf die Uhr, so dass die Enttäuschung über den bescheuerten Tankgutschein umso größer ausfallen wird.
Blöd nur, dass Schmuck Weiler um achtzehn Uhr schließt und ich um siebzehn Uhr fünfundvierzig immer noch an einer Baustellenampel festhänge. Der Weg durch die Innenstadt ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Ein Rentner mit Rollator überquert in aller Ruhe die Straße, während ich auf heißen Kohlen sitze. Anschließend klebe ich einem Fiat am Kofferraum, der auf der Suche nach einem freien Parkplatz in Schneckentempo vor mir her kriecht. Ungeduldig trommle ich mit den Fingern auf dem Lenkrad. Zehn vor sechs! Genervt drücke ich auf die Hupe. Als er stehenbleibt, um einen weißen Golf ausparken zu lassen, bin ich kurz davor, aus dem Auto zu stürmen und ihm auf die Motorhaube zu springen. Fünf vor sechs ist es so weit: Der Fiat ist eingeparkt und ich kann endlich wieder Gas geben. Nur noch ein paar hundert Meter. Wenn ich mich direkt vor dem Weiler ins Parkverbot stelle, schaffe ich es vielleicht noch vor Ladenschluss ins Geschäft. Um Zeit zu sparen greife ich auf dem Beifahrersitz nach meiner Tasche mit dem Geldbeutel, schnalle mich ab und biege gleichzeitig links Richtung Weiler ab. Dort erwartet mich das nächste Fiasko: Ein LKW mit eingeschaltetem Warnblinker, der einen Großteil der Straße blockiert. Das darf doch jetzt nicht wahr sein! Sind denn heute nur Egoisten unterwegs? Ich schätze kurz ab, ob ich zwischen Gehweg und Laster hindurch passe. Es wird knapp, könnte aber klappen. Jetzt nur nicht zu übervorsichtig sein, die Zeit drängt! Also schere ich nach links aus und quetsche mich an dem LKW vorbei. Währenddessen muss ich mit ansehen, wie fünfzig Meter vor mir ein Weiler-Mitarbeiter die Reklametafel ins Geschäft holt.
„Nein!“, brülle ich und gebe Gas. Es folgt ein fürchterlich dumpfer Schlag, mein Auto macht einen Satz nach links, ich steige reflexartig auf die Bremse, werde nach vorne geschleudert und knalle mit der Stirn auf das Lenkrad.
Anschließend herrscht unheilvolle Stille.
„Scheiße!“, flüstere ich und presse meine Augen zusammen. „Scheiße.“ Reglos verharre ich in der nach vorne gebeugten Position, die Finger fest ins Lenkrad gekrallt. Mein Magen zieht sich zu einem schweren Klumpen zusammen. „Bitte mach, dass es nicht allzu schlimm ist, dass es nur ein paar Kratzer sind.“
Ich wünsche mir inständig, die Zeit zurückdrehen zu können. Nur ein paar Sekunden. Und alles wäre ungeschehen. Von draußen dringt eine aufgeregte Stimme zu mir durch, also reiße ich mich zusammen, richte mich auf und öffne mit zittrigen Händen die Tür. Mit wackeligen Knien steige ich aus dem Auto. Schon nach dem ersten Blick wird mir klar: Das ist ganz großer Bockmist, den ich da angestellt habe! Das linke Vorderrad ist platt, die Felge seltsam verbogen, und als ich um die Motorhaube herumgehe, kommt mir auch schon ein aufgebrachter Typ entgegen, der mich wütend anschreit. Aha. Dem gehört dann wohl der Lastwagen. Ich starre auf den kaputten Kotflügel und schlucke schwer.
Am Abend sitzt mir mein Mann Sebastian mit verkniffenem Gesicht gegenüber.
„Ich verstehe immer noch nicht, weshalb du nach Heidelkirchen fährst, um eine Uhr zu kaufen, die dein Vater nicht kaufen möchte, und dabei unser Auto schrottest.“
„Wie oft noch? Es ging nicht um Papa, sondern um Mama! Darum, dass sie einen schönen Tag hat.“
„Es geht mir vor allem um den kaputten Querlenker. Hast du eine Ahnung, was das kosten wird? Ganz zu schweigen von dem Blechschaden.“
Ich verziehe meinen Mund. „Als ob ich das mit Absicht gemacht hätte, Sebastian. Mich nervt das mindestens genauso sehr wie dich.“
„Hättest du dich nicht in die Angelegenheiten deiner Eltern eingemischt, hätten wir jetzt keine Scherereien.“
„Bitte?“ Ich springe von der Couch auf, baue mich angriffslustig vor meinem Mann auf und funkle ihn wütend an. „Ist das alles, was dich interessiert? Dein Auto?“
„Natürlich nicht“, meint er lahm und weicht meinem Blick aus. „Natürlich bin ich froh, dass dir nichts passiert ist.“
Reflexartig taste ich nach der kleinen Beule, die sich auf meiner Stirn gebildet hat. Ja sicher, sie ist nicht wirklich der Rede wert. Trotzdem könnte er ein wenig Erleichterung zeigen, dass ich gesund neben ihm sitze.
„Aber wenn du nicht nach Heidelkirchen ...“
„Nur weil du dich einen Scheiß um dein Umfeld scherst, muss ich nicht mit Scheuklappen durch die Welt laufen“, falle ich ihm aufgebracht ins Wort. „Ob du es glaubst oder nicht, Sebastian: Es gibt nun mal Menschen, denen das Wohlergehen ihrer Lieben wichtig ist.“
„Indem du die Entscheidungen deines Vaters untergräbst?“
„Indem ich ...“ Ich breche mitten im Satz ab. Es hat keinen Wert, diese Diskussion ist sinnlos. Er wird das nie verstehen. „Ich geh schlafen. Du kannst mir ja morgen wieder Vorwürfe machen. Für heute habe ich genug.“ Ohne ein weiteres Wort drehe ich mich um und lasse ihn alleine zurück. Männer!
Zum Glück ist Sebastian am nächsten Tag mit seinen Kumpels zum Radlausflug verabredet. Die gegenseitigen Vorwürfe hängen während des gemeinsamen Frühstücks schwer und schweigend im Raum. Lediglich die Anwesenheit der Kinder hält mich davon ab, das Thema noch mal aufzurollen. Sebastian geht es vermutlich ähnlich. Noch während ich den Tisch abräume, wirft er sich in seine Funktionsklamotten. Ganz so, als könne er nicht schnell genug von hier wegkommen.
„Viel Spaß“, wünsche ich ihm pflichtbewusst und atme erleichtert aus, als er endlich die Tür hinter sich schließt. Den Großteil des Tages verbringe ich am PC und versuche herauszufinden, was die Autoreparatur kosten könnte, ob die Versicherung den Schaden übernimmt und wie lange es dauert, bis wir wieder einen fahrbaren Untersatz haben werden. Von zwei Wochen Reparatur bis Totalschaden ist alles möglich. Mir wird klar, dass ich wohl oder übel auf die Einschätzung der Werkstatt warten muss und bis dahin nichts weiter tun kann, als hoffen und beten.
Als ich den Browser schließen will, ploppt eine Werbung auf. Ich kann durchaus von mir behaupten, dass ich in der Lage bin, das Feuerwerk an maßgeschneiderten Anzeigen zu ignorieren. Aber fünfundzwanzig Prozent Rabatt und keine Versandkosten? Ich klicke auf den Onlineshop für Bikinis, stelle fest, dass sie auch kurze Hosen, T-Shirts und Unterwäsche im Sortiment haben, und wühle mich durch das Angebot. Es tut gut, sich von den Ereignissen des vergangenen Tages abzulenken. Nach einer gewissenhaften Tour durch die Kollektion stehe ich schließlich an meinem Kleiderschrank, vermesse mein Lieblings-T-Shirt von Achsel zu Achsel mit dem Meterstab und vergleiche mit der Größentabelle. L müsste passen. Wobei eine Kundenbewertung schreibt Fällt kleiner aus als angegeben. Also doch XL? Ich lese weitere Kundenbewertungen, versuche mir ein Gesamtbild zu verschaffen, vermesse wieder und entscheide mich dafür, beide Größen zu bestellen. Ist schließlich kostenloser Rückversand. An der Kasse stelle ich fest, dass ich den Mindestbestellwert nicht einhalte, shoppe weiter und stehe vor der Entscheidung, Klamotten im Wert von über hundertfünfzig Euro zu bestellen oder den Vorgang abzubrechen. Normalerweise würde ich abbrechen. Normalerweise würde ich mich ärgern, dass ich auf das Lockangebot hereingefallen bin. Dass ich meine wertvolle Zeit für so einen Mist verschwendet habe. Aber nicht heute. Heute will ich mein geschundenes Ego streicheln und wenn es mit so etwas Primitivem wie Onlineshopping ist.
Klick. Kaufen.
Bezahlen mit Paypal? Ja.
Vielen Dank für Ihre Bestellung.
Mit einem Gefühl der Genugtuung lehne ich mich zurück. Man darf sich auch ab und zu mal etwas gönnen. Außerdem kann ich es jederzeit zurückschicken. So einfach ist das.
Den restlichen Nachmittag lenke ich mich mit Hausputz, Wäsche und Instagram ab. Nach dem Abendessen schreibe ich Mama eine WhatsApp-Nachricht. Sie ist zwar beim Wellnessen, aber wird ihr Handy sicherlich anstellen, sobald sie auf dem Heimweg ist.
Franzi: Hallo Geburtstagskind, sag Bescheid, wenn du wieder daheim bist!
Ihre Antwort trifft zeitgleich mit Sebastian ein, der am Abend ziemlich angeheitert die Haustür öffnet.
Mama: Bin da. Komm vorbei!
Perfektes Timing! Ich schnappe mir den Geschenkkorb mit der selbstgemachten Marmelade und dem thermogemixten Eierlikör, lege vorsichtig den Strauß weißer und gelber Rosen dazu und ziehe meine Schuhe an. „Ich gehe zu Mama. Gratulieren. Kümmerst du dich darum, dass die Kinder ins Bett kommen?“
Sebastian salutiert halbwegs zackig vor mir. „Jawohl, Frau Feldwebel.“
Ich kann es nicht ausstehen, wenn er sich über mich lustig macht! Wer organisiert denn unseren Alltag, behält Termine im Blick und weiß ganz genau, wann was erledigt werden muss? Das bin ja wohl ich. Er muss sich lediglich an das halten, was ich ihm auftrage. Der wahre Stress, nämlich an alles zu denken, nichts zu vergessen, liegt eindeutig bei mir. Da ich keinen Streit vom Zaun brechen will, schlucke ich mein Wer hat denn heute die Einkäufe für nächste Woche geplant, während der andere lustig mit seinen Kumpels unterwegs war?hinunter undgreife nach dem Haustürschlüssel.
Sebastian beobachtet mich mit glasigen Augen. Wie es aussieht, war er nach der Radtour noch auf ein paar Bierchen bei Chris, seinem Kumpel fünf Häuser weiter. „Sonst noch irgendwelche Aufträge für mich?“
„Soll das witzig sein?“, frage ich und dränge mich an ihm vorbei zur Haustür. „Meine Mutter hat heute Geburtstag und das sind genauso deine Kinder.“
„Und mein Auto.“
Mein Gott, echt jetzt? „Unser Auto!“
„Das in der Werkstatt steht, statt in der Garage.“
„So ist das nun mal mit Autos.“
„Meine Prozente bei der Autoversicherung werden hoch- gehen. Das kostet uns auf die Jahre gerechnet ein halbes Vermögen.“
Ich verdrehe die Augen. „Hat dir Chris auch gleich aus- gerechnet, um wie viel genau ich uns ärmer gemacht habe?“ Ohne mich noch mal umzudrehen verlasse ich das Haus. Idiot!
Die fünf Minuten Fußmarsch bis zu meinen Eltern reichen aus, um mich abzureagieren. Ich finde einfach alle Männer pauschal blöd und rede mir ein, dass es nur zwei Personen auf dieser Welt gibt, die mich wirklich verstehen: Mama und meine Schwester! Nein, ich zerfließe nicht in Selbstmitleid. Ich baue einen natürlichen Abstand zur Situation auf, indem ich sie aus der kraftvollwütenden Perspektive betrachte. Als ich die Klingel neben der Haustür drücke, bin ich schon fast wieder im Gleichgewicht.
„Schön, dass du noch gekommen bist!“ Mama strahlt mich an. Sie ist hübsch geschminkt und ihre Haut glänzt in diesem leicht rosa Schimmer, der von Sauna, Dampfbad und Massage erzählt. Ich ziehe meine Schuhe aus, umarme sie und gehe mit ihr ins Esszimmer, wo sie zwei Sektgläser aus dem Schrank holt und einschenkt. „Lass uns gleich mal anstoßen!“ Bestens gelaunt reicht sie mir eines.
Es dauert einen Moment, bis ich begreife, was ich sehe.
„Mama?“ Fassungslos starre ich auf ihr Handgelenk. Sie grinst und dreht ihren Arm vor meinen Augen hin und her, als ob sie ein fünftausend Euro teures Schmuckstück tragen würde.
„Schön, gell?“
„Ja, total.“ Ist mein Vater gestern doch noch nach Heidelkirchen gefahren? „Die Uhr steht dir ausgezeichnet! Hat Papa also ...“
„Nix da!“, unterbricht sie mich und winkt lässig ab. „Die hab ich mir selbst geschenkt. Vorsichtshalber. Ich kenne meinen Sepp doch.“
„Du hast sie dir selbst gekauft?“ Ich höre mich an, als wäre ich mitten im Stimmbruch.
„Freilich! Vor zwei Tagen.“
„Und wenn Papa ... oder irgendjemand anderes ... sie dir auch noch geschenkt hätte?“
„Dann hätte ich die hier nicht aus der Verpackung genommen und wieder zurückgebracht. Weißt du, Franzi, nachdem er heute Morgen lediglich mit einem Umschlag daherkam, war für mich die Sache klar. Seitdem trage ich die Uhr und jetzt sag doch mal – ist sie nicht wunderschön?“
Ich begutachte, bestaune und lobe sie angemessen. „Hast du schon in den Umschlag reingeschaut?“, will ich nebenbei wissen, um die Gesamtlage besser einschätzen zu können.
Mama schüttelt den Kopf.
„Dann lass das vorerst auch. Die Uhr steht dir wirklich gut!“
Sie grinst und spielt an ihrer Halskette, einem feingliedrigen Goldkettchen mit einem kleinen Anhänger. „Die habe ich mir auch noch mitgenommen. Als Entschädigung sozusagen, weil ich mein Geschenk selbst kaufen muss.“
Schau an, die Mama!, denke ich perplex. Ich hätte mir also gar keinen Kopf machen müssen. Etwas überrumpelt von so viel Weitsicht hebe ich mein Glas und stoße einen Tick zu fest mit ihr an, so dass ich kurzzeitig befürchte, es würde kaputt gehen. „Auf uns Frauen!“
„Auf uns Frauen“, wiederholt sie feierlich. „Dass wir die Sachen selbst in die Hand nehmen, statt nur zu hoffen.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.
Am darauffolgenden Freitag rückt meine Schwester Betti mitsamt ihrer Bagage zu einem langen Wochenende in Katzbrück an. Drei Kinder, Mann und irgendwann bestimmt auch ein Hund, wenn es nach Betti geht. Tom wehrt sich bisher noch erfolgreich gegen ein sechstes Familienmitglied.
„Wir wissen doch eh kaum, wo uns der Kopf steht. Schule, Musikunterricht, Sport! Jedes unserer Kinder hat mindestens drei Termine pro Woche. Dazu noch dein neuer Job, die Hausrenovierung. Wie stellst du dir denn das vor? Gassi gehen? Wann? Und vor allem wer?“, argumentiert er schlüssig, worauf sie meist mit leicht verklärtem Blick antwortet:
„Golden Retriever sind so wunderschöne Tiere!“
„Das hilft aber nichts. Sie brauchen Aufmerksamkeit. Und Zeit.“
„Ich hab rein zufällig eine Züchterin ganz in der Nähe kennengelernt. Da kommt demnächst Nachwuchs. Wir könnten unverbindlich vorbeischauen, wenn die Welpen da sind.“
„Sicher nicht!“
„Nur anschauen! Mehr nicht.“
„Du kannst doch Welpen nicht nur anschauen. Was meinst du, was dann los ist? Die Jungs wollen hundertprozentig einen mit nach Hause nehmen und werden uns tagelang, wenn nicht wochenlang damit in den Ohren liegen.“
Betti zuckt nur mit den Schultern, winkt ab und meint: „Ach was, das glaube ich nicht.“
Und ich glaube, dass sie die Jungs aus genau diesem Grund mit zu den Welpen nehmen wird. Armer Tom!
Zum Glück leben sie in Österreich, da besteht keine Gefahr, dass der zukünftige Hund zu mir abgeschoben werden könnte. Ich mag Tiere, nicht falsch verstehen. Aber mehrmals täglich Hundekot aufsammeln? Da lob ich mir meine Katze, die dieses Geschäft selbständig und diskret im Garten erledigt. Oder in Nachbars Garten, so genau weiß ich das gar nicht. Sicher ist: Ich habe damit nichts zu tun!
Wie jedes Jahr bildet Mamas Geburtstag lediglich den Auftakt eines familiären Feiermarathons. Die Agenda liest sich wie folgt:
Freitag:
Darauf anstoßen, dass wir alle mal wieder zusammensitzen.
Mamas Geburtstag nachfeiern.
In Bettis Geburtstag reinfeiern.
Samstag:
Bettis Achtunddreißigsten feiern.
Sonntag:
Brückentag
Montag:
Papas Geburtstag feiern.
Mama ist deswegen leicht angespannt. Sie hat das Haus voll, was bei ihr im Vorfeld stets Einkaufs- und Planungsstress auslöst. Obwohl Tochter, Schwiegersohn und Enkel keine richtigen Gäste sind, sondern eher so etwas wie selbstversorgende Familienmitglieder, müssen trotzdem die Betten frisch bezogen werden, der Kühlschrank voll und der Mann dazu gebracht werden, die Räume im Obergeschoss vorzuheizen. Ja, auch dann, wenn morgen Nachmittag eventuell die Sonne scheint. Und nein, die dicken Decken sind nicht so warm, dass man ganz auf die Heizung verzichten könnte. Doch, auch wegen drei oder vier Nächten lohnt es sich, das Obergeschoss aufzuheizen. Ganz nebenher darf Mama gleich drei Feiern hintereinander organisieren und braucht auch nach mehrmaligem Nachfragen ganz sicher keine Hilfe von mir. Weil sie sich dieses Mal wirklich nicht viel Arbeit macht, zwei trockene Kuchen bereits vor einer Woche vorgebacken und eingefroren hat und auch mit dem Essen nicht großartig rumkocht. Es gibt was Einfaches – was Mütter dieser Generation eben als was Einfaches bezeichnen. Mit großer Skepsis blicke ich der zu erwartenden Kuchen- und Essensschlacht entgegen. Aus Erfahrung weiß ich, dass am Ende immer das träge Gefühl der absoluten Übersättigung steht.
„Du hast gut reden, du isst ja Fleisch!“ Betti verdreht die Augen. Sie ist Yogi und Katzbrück ein kleines bayerisches Dorf. Man braucht nicht viel Fantasie, um sich auszumalen, was das für sie bedeutet.
Die Ernährungsgewohnheiten eines typischen bayerischen Haushaltes lassen sich mit denen eines Yogis ungefähr so gut zusammenbringen wie Fingerhakeln mit Ballett. Nämlich gar nicht. Ich habe sehr großen Respekt vor dem, was meine Schwester macht. Fünf Jahre Ausbildung, hunderte von Stunden auf der Matte. Das muss man als Dreifachmutter erst mal durchziehen. Schon rein zeitlich gesehen ist das eine Herausforderung unbeschreiblichen Ausmaßes. Ganz abgesehen von den Inhalten, die in Theorie und Praxis vermittelt und gelernt werden müssen. Vor ein paar Wochen habe ich sogar den Ansatz eines Sixpacks bei ihr festgestellt, während sie in einer unmöglichen Position die Beine von hinten um den Hals schlängelte und sich gleichzeitig mit mir über die Vorfälle im Kindergarten ihrer Zwillinge unterhielt. Ich war so überrascht, dass ich wegsehen musste! Natürlich hatte ich in den letzten Jahren auch immer mal wieder Phasen, in denen ich mir fest vornahm, dass ich ab sofort regelmäßig und mit ernsthafter Freude Sport treibe. Aber die gingen schnell wieder vorbei.
Abgesehen von der körperlichen Fitness ist sie auch mental deutlich ausgeglichener als ich. Sie war schon immer auffällig lebensbejahend, sah in allem einen Sinn und gewann jeder noch so blöden Situation etwas Positives ab. Doch seit sie sich mit Yoga beschäftigt, nimmt ihre optimistische Lebenseinstellung völlig überhand. Während bei mir schon die rote Zorneslinie vor den Augen aufblitzt, nuckelt sie noch genüsslich an ihrem Tee. Zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass ich meinen Alltag unter erschwerten Bedingungen bestreite. Papa wohnt keine fünfhundert Meter von mir, während Betti im dreihundertneunzig Kilometer entfernten Österreich sitzt und sich bei Familienbesuchen immer nur für einen begrenzten Zeitraum mit ihm auseinandersetzen muss.
„Ihr wisst, dass ich mich seit zwei Jahren vegetarisch ernähre?“ Sie sitzt im Esszimmer meiner Eltern an ihrem angestammten Platz auf der Eckbank und beäugt kritisch die Hackfleischsuppe, die Mama zur Begrüßung vorbereitet hat.
„Ah geh, ein Teller geht schon“, muntert Mama sie auf und auch Papa kann beim besten Willen nicht verstehen, aus welchem Grund ein Mensch so etwas Gutes verschmähen sollte. „Stell dich nicht so an, das gibt Kraft! Grad du, wo du so viel Sport machst, solltest das wissen.“
„Ich bin Yogi. Wir essen kein Fleisch.“
„Schmarrn!“ Mama füllt zwei volle Suppenkellen auf Bettis Teller und schiebt ihr erwartungsvoll den Löffel hin. Meine Schwester seufzt leise, greift sich das Besteck und beginnt zu essen. Natürlich. Selbst eine Hackfleischsuppe bringt sie nicht aus dem Gleichgewicht.
„Warum machst du das?“, frage ich sie später, als wir für einen kurzen Moment alleine sind. Vor uns auf dem Tisch das Abendessen: Eine typisch bayerische Brotzeitplatte mit Presssack, Speckwurst, Schinken und Käse.
Betti zuckt lächelnd mit den Schultern. „Ich sehe es als Prüfung an. Wenn ich in Katzbrück bin, muss ich lernen, die Umstände anzunehmen, wie sie sind. Es bringt eh nichts, dagegen anzukämpfen.“
Ich nicke. Es ist zum Verrücktwerden!
„Aber du bist doch Vegetarierin?“, versuche ich, ihr ein schlechtes Gewissen einzureden.
„Wenn ich das dogmatisch durchsetze, dann ist es letztendlich eine Last für alle. Mama wäre enttäuscht und mit Papa müsste ich endlose Diskussionen führen.“
„Aha.“ Ich kann nicht umhin, ihre Flexibilität zu bewundern. Die Vegetarier, die ich kenne, pochen auf ihre Essgewohnheiten und rücken keinen Millimeter davon ab. „Und die ewige Besserwisserei von Papa“, bohre ich weiter, „ist das auch nur eine Prüfung für dich?“
Meine Schwester schürzt die Lippen. „In den vier Stunden Autofahrt, die ich hierher habe, versuche ich, mich darauf einzustellen.“
„Auf Papa?“
„Auf die Welt, wie sie hier ist.“
Sehr schön! Ich lebe also in einer Welt, auf die man sich vier Stunden lang einstellen muss, um mit ihr klarzukommen.
An diesem Abend probiere ich, meine Umgebung aus Bettis Augen wahrzunehmen. Mama ist in Sektlaune, was für einen Yogi grundsätzlich ein Problem darstellen sollte. Yogis meiden Alkohol. Meine Schwester trinkt jedoch fleißig mit, sie scheint die Autofahrt gut genutzt zu haben. Ihr Mann Tom ist weder Vegetarier noch Antialkoholiker, allerdings von der anstrengenden Fahrt so erschöpft, dass er freiwillig die Jungs ins Bett bringt. Wie erwartet, kommt er von dieser Mission nicht zurück. Bleibt nur zu hoffen, dass auch der Nachwuchs eingeschlafen ist. Das ändert für Sebastian die Wohlfühlatmosphäre deutlich zum Negativen. Drei geschwätzige Frauen, die sich seit geraumer Zeit nicht mehr gesehen haben, plus Sepp.
„Ich bringe Rosalie und Xaver nach Hause. Genießt ihr den Abend“, verkündet er großzügig quer über den Tisch, lässt unsere dankenden Blicke auf sich wirken und verlässt schließlich den Raum, um es sich so schnell wie möglich auf der heimischen Couch gemütlich zu machen.
Bleibt nur noch mein Vater in der Weiberrunde.
„Wie viel wollt ihr eigentlich noch trinken? Eine einzige Sauferei ist das wieder!“ Anklagend deutet er auf unsere Gläser.
„Es ist erst halb elf. Wir feiern Mamas Geburtstag!“ Obwohl ich über vierzig bin, habe ich immer noch das Gefühl, mich vor ihm rechtfertigen zu müssen.
Ganz anders meine Schwester. Sie öffnet einfach die nächste Flasche und füllt unsere drei Sektgläser.
„Gelis Geburtstag ist doch längst vorbei!“, schimpft Papa und hält die Hand über sein Bierglas, um zu verdeutlichen, dass er genug für heute hat. Als ob irgendjemand von uns auf die irrsinnige Idee kommen würde, Sekt in sein verschmiertes Glas zu schütten. „Geht lieber ins Bett, damit ihr einigermaßen vernünftig ausschaut morgen.“
Ich ziehe eine Augenbraue nach oben und werfe Mama einen vielsagenden Blick zu. Bloß nicht darauf eingehen.
„Ihr seid schließlich nicht mehr die Jüngsten.“
Er will uns nur provozieren.
„Ist nicht mal ein Runder, den wir heute nachfeiern.“
Meine Schwester grinst Papa schulterzuckend an. „Ob ich jetzt ins Bett gehe oder erst in drei Stunden, reißt optisch auch nichts mehr raus.“
Er schnaubt kurz aus, wirft etwas von ignoranten Weibern und keinerlei Disziplin in den Raum und verschwindet ins Bad zum Zähneputzen. Auf dem anschließenden Weg ins Bett führt er ein lautstarkes Selbstgespräch zum Thema Der einzig vernünftige Mensch in diesem Haus bin ich.Als auch das vorüber ist,können wir endlich völlig befreit in Bettis Geburtstag reinfeiern, ohne dass jeder Schluck kommentiert wird.
„Vielleicht sollten wir doch langsam ans Schlafen denken“, gebe ich gegen zwei Uhr zu bedenken. „Morgen steht bei mir Feichtis Steuererklärung auf dem Plan. Und wenn wir am Nachmittag wirklich mit den Kids an den See gehen und Enten füttern wollen, muss ich am Vormittag arbeiten.“
„Echt jetzt? An meinem Geburtstag?“ Betti sieht mich überrascht an. „Das hast du ja spitzenmäßig getimed!“
Schuldbewusst zucke ich mit den Schultern und ziehe beide Mundwinkel nach unten. „Eigentlich wollte ich sie letzte Woche fertig machen, aber da war so ein Drunter und Drüber wegen Auto und Versicherung. Ich hatte einfach keinen Kopf dafür.“
„Scheiß auf das Auto!“ Meine Schwester knufft mich aufmunternd in die Seite. „Was wirklich zählt im Leben, sind Momente wie dieser. Wenn man mit Menschen zusammensitzt, die einem wichtig sind.“
„Wie es scheint, sieht euer Vater das anders.“ Nach vier Jahrzehnten Ehe zeigt Mama für die Marotten ihres Mannes erstaunlich viel Verständnis. Dass er jedoch den gewohnten Trott durchzieht, obwohl seine Tochter aus Österreich zu Besuch ist, wurmt sie merklich.
„Papa hat eben ein anderes Werteverständnis als wir“, meint Betti versöhnlich. „In seinen Augen zählt nicht der Moment, sondern die Vernunft.“
„Wenn ich euch einen Rat geben darf, Kinder!“ Mama sitzt plötzlich mit hellwachen Augen kerzengerade auf ihrem Stuhl. „Funktioniert nicht! Lebt! Hin und wieder eine Prise Unvernunft ist durchaus vernünftig.“
„Du sagst es!“ Ich klopfe mit der flachen Hand auf den Tisch. „Nach dem ganzen Stress habe ich es mir verdient, heute mit euch zu feiern! Stattdessen hocke ich hier und zerbreche mir den Kopf über die Steuererklärung von morgen. Damit ist jetzt Schluss!“
Trotz aller vernünftigen Unvernunft streicht Mama um halb vier die Segel, was Betti und mich vor die Frage stellt, ob wir vernünftigerweise auch ins Bett gehen sollten.
„Wie ist das jetzt mit Sebastian?“, lenkt sie von der zu treffenden Entscheidung ab. „Er macht doch nicht wirklich Zirkus wegen des Unfalls, oder?“
„Und wie! Jetzt dauert die Reparatur auch noch länger, weil es Probleme mit einem Ersatzteil gibt. Papa ist natürlich voll auf seiner Seite. Die beiden führen sich auf, als hätte ich uns in den Ruin gestürzt. Unfallauto! Wertminderung! Das ganze Programm.“
Betti trinkt ihr Glas leer und stellt es unsanft auf der Küchenzeile ab. „Das Auto ist kaputt, so was passiert nun mal! Ihr könnt es nicht rückgängig machen. Dass er sich darüber aufregt, ändert nichts und verbreitet lediglich schlechte Stimmung!“
„Und wie!“ Ich trinke ebenfalls aus und überlege kurz, ob wir noch eine Flasche köpfen sollen. Doch wir wissen beide, dass wir keine sechzehn mehr sind und den Kater am nächsten Tag nicht ohne weiteres wegstecken werden.
„Wir feiern morgen eh wieder, da brauchen wir es am ersten Tag nicht gleich übertreiben“, reden wir uns gegenseitig die Lage schön. Um vier Uhr morgens.
Am nächsten Tag reißt mich „Wake Up Little Susie“ von den Everly Brothers unbarmherzig aus dem Schlaf. Warum zur Hölle bin ich jemals auf die wahnsinnige Idee gekommen, meinen Wecker mit einer Spotify-Playlist zu verbinden? Als ob mich „Beat, Twist and Rock’n’Roll Oldies“ nach so einer Nacht schwungvoll in den Tag starten lassen würden! Mein Kopf pocht anklagend, als ich auf dem Nachttisch nach dem Handy taste, um es auf Snooze zu drücken. Der Mund fühlt sich an wie ausgedörrt, meine Zunge klebt mit einem seltsamen Geschmack am Gaumen. Ich habe mir beim Bettgehen also tatsächlich noch den Wecker gestellt. Da sieht man mal wieder, wie vernünftig, ja beinahe spießig ich bin.
Bis zu meinem achtzehnten Lebensjahr genoss ich die katholische Grunderziehung eines kleinen bayerischen Dorfes: Den wöchentlichen Pflicht-Kirchgang. Wer feiern kann, kann auch aufstehen!Mit diesen Worten warf mich mein Vater jeden Sonntag um acht Uhr dreißig aus dem Bett, damit ich ja pünktlich zur Messe kam.
Wie es aussieht, hat sich die Einstellung tiefer in mich eingebrannt, als mir lieb ist. Ich verkrieche mich unter der Bettdecke und frage mich, ob ich einfach weiterschlafen soll. Es wäre so einfach. So schön.
Aber der Bürotag, Feichtis Steuer, der Österreichbesuch! schlägt mein vernünftiges Ich Alarm. Nur noch fünf Minuten, widerspricht mein verkatertes Ich und bewegt sich keinen Millimeter aus dem Bett. Nach dem fünften Mal Snooze bekomme ich Druck von der anderen Bettseite.
„Steh endlich auf oder schalt den Scheißwecker aus!“ Sebastian hört sich nicht an, als ob er zu Verhandlungen bereit wäre. Mir bleibt also nichts anderes übrig, als mich aus dem Bett zu quälen. Mit einem langgezogenen Stöhnen schleppe ich mich ins Bad und starre auf mein Spiegelbild. Ich muss über Nacht um fünf Jahre gealtert sein. Mindestens! Die Haut ist fahl, tiefe Falten umrahmen meine Mundwinkel und was sind das für scheußliche Schatten unter meinen Augen? Erschöpft lasse ich mich auf den Badewannenrand nieder. Alles nur wegen Feichti und seiner beschissenen Steuererklärung! Warum habe ich damit wieder bis zum letzten Drücker gewartet?
Die Antwort ist einfach: Weil mir alles, was mit Steuer oder Finanzamt zu tun hat, abgrundtief zuwider ist.
Während ich mich durch den Wust an unsortierten Belegen wühle, leide ich wie ein Hund. Meine Augen kann ich nur mühsam offenhalten, der Kopf dröhnt und jede noch so kleine Bewegung wird mit nadelartigen Stichen in den Schläfen quittiert. Man glaubt gar nicht, wie oft man hoch- und wieder runter schauen muss, wenn man Zahlen von Kassenzetteln in eine Exceltabelle überträgt. Ab sofort, nehme ich mir felsenfest vor und tippe stoisch weiter, wird jede Rechnung direkt verbucht und pünktlich ins Bett gegangen.Ich hätte gestern einfach ab und zu ein Glas Wasser zwischendurch trinken sollen. Beinahe hätte ich den Kopf über diesen Gedanken geschüttelt, den ich nicht zum ersten Mal in meinem Leben habe. Älter werden heißt eben nicht automatisch, schlauer zu werden.
Nach schier endlos erscheinenden zwanzig Minuten lehne ich mich erschöpft in meinem Schreibtischstuhl zurück. Wenn ich in dem Tempo weitermache, werde ich am Sonntag noch dasitzen. Ob mein Magen schon bereit für eine zweite Tasse Kaffee ist? Die halbe Packung Chips, die ich auf dem Schreibtisch gefunden und mittlerweile leer gefuttert habe, hat zumindest dazu geführt, dass mir nur noch übel und nicht mehr kotzübel ist. Ich drücke eine Schmerztablette aus dem Blister und spüle sie mit Wasser hinunter. Hoffentlich wirkt sie schnell. Gerade, als ich mich zum Weitermachen zwinge und dabei so richtig schön selbst bemitleide, klingelt es an der Haustür. Zweimal kurz, einmal lang. Papa!
Mit einem tiefen Seufzer stehe ich auf und schlurfe zur Gegensprechanlage.
„Ja?“
„Ich bin’s. Bist du da?“
„Nein.“
„Ich bräuchte mal deinen Holzleim. Meiner ist eingetrocknet.“
„Den hab ich dir vor einem halben Jahr ausgeliehen und nicht mehr zurückbekommen.“
Statt einer Antwort höre ich Geraschel.
„Was willst du denn leimen?“, frage ich.
„Da ist was im Briefkasten. Hast du den heute noch gar nicht ausgeleert?“
Ich verdrehe die Augen. Im Gegensatz zu meinem Vater stehe ich nicht wie ein Schießhund am Fenster und warte auf die Postbotin. „Schau mal in der Werkstatt nach. Links oben im blauen Regal.“ Ich bin sicher, dass da kein Holzleim ist, aber das glaubt mein Vater sowieso erst, wenn er es mit eigenen Augen gesehen hat. Wieder Geraschel.
„Papa? Bist du noch da?“
„Ein Brief vom Baumarkt. Sieht offiziell aus. Hoffentlich keine Rechnung. Den Umbau hättet ihr euch wirklich sparen können, kostet nur und bringt nichts.“
Ich ziehe es vor zu schweigen, bleibe aber an der Gegensprechanlage stehen.
„Der Neukauf hat Katzenfutter im Angebot. Soll ich dir welches mitbringen, wenn ich vorbeikomme? Da sparst du zehn Cent pro Dose.“
Die erste gute Nachricht des Tages! „Gern! Bring gleich eine ganze Schachtel mit, zwölf Stück.“
„Ich weiß nicht, ob ich diese Woche noch nach Heidelkirchen komme. Wir haben gestern erst einen Großeinkauf gemacht. Wegen der Geburtstagsfeierei. Mama hat eingekauft, als ob wir vier Wochen nicht mehr aus dem Haus kommen würden.“
„Dann halt nicht. Passt schon.“
„Vielleicht fahr ich am Mittwoch mit Feichti in die Autowerkstatt, dem seine Kiste spinnt mal wieder. Dann könnte ich auf dem Heimweg einen Abstecher beim Neukauf machen.“
„Gern.“
„Wobei der Neukauf am anderen Ende der Stadt liegt.“
Langsam wird es mir zu bunt! Entweder er bietet an, das Zeug zu kaufen, oder er lässt es.
„Ich kann das Katzenfutter auch woanders holen, Papa.“
„Ist doch ein Schmarrn, wenn ich eh in Heidelkirchen bin“, widerspricht er. Ich weiß bereits, was als nächstes kommt: Benzin sparen, unnötige Kilometer aufs Auto fahren, Geld zum Fenster rauswerfen. „Du bist wie deine Mutter!“
„Zum Glück, Papa!“
„Die spinnt mal wieder rum. Nur, weil ich nicht sofort spring, wenn sie was will.“
Jetzt wird es interessant. Ich kenne meine Mama gut genug, um zu wissen, dass sie nicht grundlos rumspinnt, wie mein Vater es nennt. Neugierig drücke ich auf den Türöffner und marschiere nach unten. Dort finde ich lediglich eine offene Haustür vor.
„Papa?“
Die Post liegt vor dem Eingang auf dem Boden. Ich hebe sie auf, schließe die Tür und gehe ins Esszimmer, von wo aus ich einen perfekten Blick in den Garten habe. Wie ein Kontrolleur bei der Endabnahme steht er mit in die Hüften gestemmten Armen auf der Terrasse und inspiziert die Lage. Zuerst öffnet er den Deckel des Gasgrills und fährt mit den Fingern über den Rost. Anschließend prüft er, ob das Ventil der Gasflasche zugedreht ist. Nachdem es auch hier nichts auszusetzen gibt, bückt er sich, zieht ein paar Gräser aus den Fugen des Terrassenpflasters, wirft sie halbherzig in die Anlage und steckt seinen Finger in die Erde meines Rosmarinstämmchens. Ich schalte die Kaffeemaschine ein. Solange mein Vater um das Haus schleicht, kann ich meinen Bürokram sowieso nicht in Ruhe erledigen. Betti würde an meiner Stelle sicher auch eine kleine Zwangspause einlegen und das schöne Wetter genießen. Obwohl es erst Ende April ist, herrscht herrlicher Sonnenschein, die Vögel zwitschern und erste Hummeln schwirren um die frisch ausgetriebenen Büsche. Eine viertel Stunde an der frischen Luft und danach voller Elan wieder an die Arbeit!, bestärke ich mich und Papas Anwesenheit ist plötzlich gar nicht mehr sooo schlimm.
Natürlich werde ich innerhalb kürzester Zeit eines Besseren belehrt. Es beginnt ganz harmlos: Mit zwei Tassen Kaffee und einer halben Packung Kekse in der Hand gehe ich auf die Terrasse. Von meinem Vater ist nichts zu sehen. Aber zu hören.
„Hier müsste man mal wieder aufräumen.