Sämtliche Gedichte - Hilde Domin - E-Book
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Sämtliche Gedichte E-Book

Hilde Domin

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Beschreibung

Sämtliche Gedichte von Hilde Domin: Eine Sammlung voller widerständigem Mut und Erneuerung des Verlorenen. Hilde Domin zählt neben Rose Ausländer und Nelly Sachs zu den bedeutendsten deutschsprachigen Lyrikerinnen der Nachkriegszeit. Von den Nationalsozialisten ins Exil gezwungen, fand sie ihre wahre Heimat in der Sprache und im geschriebenen Wort. Ihre Lyrik spricht von einem unerschütterlichen Mut, sich dem Verlorenen zu stellen und es neu zu erschaffen. Dieser Band versammelt erstmals alle Gedichte Hilde Domins, präsentiert in der Chronologie ihrer Einzelausgaben. Ergänzt wird die Sammlung durch verstreut publizierte Gedichte und bisher unveröffentlichte Werke aus dem Nachlass der Dichterin. Gedichtbände wie Nur eine Rose als Stütze, Rückkehr der Schiffe, Hier und Ich will dich finden sich hier in ihrer Gesamtheit. Ein sorgfältig zusammengestellter editorischer Anhang und ein einfühlsames Nachwort von Ruth Klüger runden diese besondere Neuausgabe ab. Sämtliche Gedichte lädt dazu ein, das lyrische Vermächtnis einer der größten deutschen Dichterinnen des 20. Jahrhunderts neu zu entdecken.

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Seitenzahl: 175

Veröffentlichungsjahr: 2014

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Hilde Domin

Sämtliche Gedichte

(Fischer TaschenBibliothek)

 

 

Über dieses Buch

 

 

»Hilde Domin redet sowohl über brennende Nächte wie über Rosen. Die Exilantin, die die Gegenstände der eingerichteten Welt hinter sich gelassen hat, richtet sich ein im Bereich der Phantasie.« Ruth Klüger

 

Hilde Domin gehört zusammen mit Rose Ausländer und Nelly Sachs zu den bedeutendsten Lyrikerinnen der Nachkriegszeit. Von den Nationalsozialisten ins Exil gezwungen, fand sie ihre Heimat im Wort. Ihre Lyrik spricht vom widerständigen Mut zur Erneuerung des Verlorenen.

Erstmals werden mit diesem Band alle Gedichte Hilde Domins in der Chronologie der Einzelausgaben vorgelegt; ergänzt um verstreut publizierte und Gedichte aus dem Nachlass. Ein editorischer Anhang und ein Nachwort von Ruth Klüger komplettieren diese Neuausgabe.

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Impressum

 

 

 

Die Veröffentlichung einzelner Gedichte im Manuskript bzw. Typoskript aus dem Nachlaß von Hilde Domin erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Deutschen Literaturarchivs Marbach

© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2009

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.

ISBN 978-3-10-403401-0

 

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Inhalt

Nur eine Rose als Stütze

Aufbruch ohne Gewicht

I

II

III

Nur eine Rose als Stütze

Nur eine Rose als Stütze

Treulose Kahnfahrt

Gegenwart

Das goldene Seil

Bittersüsser Mandelbaum

Die schwersten Wege

Herbst

Haus ohne Fenster

Im Regen geschrieben

Banges Neujahr

Sämann

Auf Wolkenbürgschaft

»Vogel Klage«

Neues Land

Geborgenheit

Buchen im Frühling

Rufe nicht

Willkürliche Chronologie

Mit meinem Schatten

Es kommen keine nach uns

Unterricht

Noch gestern

Möwe zu dritt

Winterbienen

Rückkehr der Schiffe

Rückkehr der Schiffe

Herbstaugen

Landschaft bei Cadiz

Nachmittag am Guadalquivir

Losgelöst

Rückkehr

Jenseits des Bergs

Knospe

Abzählen der Regentropfenschnur

Winter

Magere Kost

Unaufhaltsam

Flucht

Linguistik

Osterwind

Indischer Falter

Warnung

Angsttraum

Lilie

Tauben im Regen

Von grün zu gold

Warte auf Nichts

Fesselballon

Fahrt durch Kastilien

Manuskripte ordnend

Kindersarkophag

Flut

Morgens und Abends

Behütet

Nur Zeugen

Letzte Mitteilung

Dienstpflichtig

Asternfeld

Traumwasser

Unterwegs

April

Mit leichtem Gepäck

Fremder

Orientierung

Bitte an einen Delphin

Zärtliche Nacht

Rückkehr der Schiffe

Lieder zur Ermutigung

I

II

III

Hier

Lyrik

Einhorn

Auf der andern Seite des Monds

Heimkehrer

Schneide das Augenlid ab

Aktuelles

1. Kapitel

2. Kapitel

›Seids gewesen, seids gewesen!‹

Salva nos

1. Kapitel

2. Kapitel

Von uns

Schöner

Köln

Exil

Nacht

Beklemmung

Kalender

Fünf Ausreiselieder

1 Hier

2 Ausreisegedicht

3 Ich flüchte mich zu dem kleinsten Ding

4 Keine Zeit für Abenteuer

5 ›Silence and exile‹

Rückwanderung

Gegen die Botmässigkeit

Anstandsregel für allerwärts

Wer es könnte

Katalog

Vertrackt

Bei der Lektüre Pablo Nerudas

Die Botschafter

Fingernagelgross

Frage

Das Gefieder der Sprache

Immer kreisen

Vögel mit Wurzeln

Nächtliche Orientierung

Das Wachsen von Träumen

Alternative

Entfernungen

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

Entfernung

Wir nehmen Abschied

Brief auf den anderen Kontinent

Marionette

Anweisung

Unterwegs

Ruf

Tunnel

Irgendwann

Es knospt

Nicht müde werden

Ars longa

Höhlenbilder

Dein Mund auf meinem

Alle meine Schiffe

Mein Geschlecht zittert

Schrift

Neue Wege

Wie ein lidloses Tier

Topographie

Galionsfigur

Vor Tag

Kreisel

Gegengewicht

Ich will dich

I

Ich will dich

Drei Arten Gedichte aufzuschreiben

Das ist es nicht

Graue Zeiten

Ecce Homo

Sisyphus

Nach dem Fernsehbericht: Napalm-Lazarett

Abschaffung des Befehlsnotstands: Perspektive

Zur Interpunktion

Vorsichtshalber

Abel steh auf

II

Wort und Ding

Monologe

Der grosse Luftzug

Angsttraum I

Senkblei

Viele

Geburtstage

Angsttraum II

Immer mit den vollen Händen

Änderungen

Filter

III

Jahrtausende

Bitte

Augenturm

Anfang

Sehnsucht

Wunsch

Lichtinsel

Das Bild zu Sais

Geh hin

Linke Kopfhälfte

Lektüre

Überfahrt

Älter werden

Mauern sortierend

Vaterländer

Der übernächste Krieg

Ausbruch von hier

Tokaidoexpress

Es gibt dich

Antwort

Gesammelte Gedichte

Aussaat

Auf der Terrasse

Mäher

Auf welch verlässlichen Stern?

Die Mauern sanken

Im Tor schon

Wie trag ichs

Jagd

Stundenbuch des Duc de Berry

Demut

Zikkurat

Spindel

Wie Erz in Stein versprengt

Mexikanisch

Tage der Heimsuchung

Ratloser Abend

Harte fremde Hände

›Pícara‹

Vogelschwingen

Das kleine rote Band

Notrufer

Fürchte dich nicht

Rücken

Zweifel

Signal

Der Frühling ein riesiger Specht

Heckenrose

Ägyptisches Grabmal

Magie

Französischer Gobelin

Tröstung

Wen es trifft

Traumstaub

Worte

Gefährlicher Löffel

Gefängnis

Versöhnung

Nichts geschieht

Zentimeter

Kindergespräch

Angler

Traum im Winter

Hausschlüssel

Spätsommer

Stierkampf

Fragment

Wege

Nur der Eigensinnige

Spiegelgedichte

1 Identität

2 Nicht angeseilt

3 Tapferkeit

Landen dürfen

Abfahrt aus Spanien

Was für ein Zeichen mache ich

Versprechen an eine Taube

Schlaflied

In der Höhle des Polyphem

Kalender

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

Bedrohung

In die Hand eines Blatts gelegt

Zwei Türen

Dein roter Baum

Rosenblätter

Mit den gleichen Augen

Gespräch mit meinen Pantoffeln

Graue Zeiten

1. Kapitel

Fernsehgedichte

1 Napalm-Lazarett

2 Brennende Stadt (Beirut)

Für Vicente Aleixandre

Der Baum blüht trotzdem

I

Mein Herze wir sind verreist

Der Baum blüht trotzdem

Wahl

Die Liebe

Ich bewahre mich nicht

Nimm den Eimer

Vorwurf

Zwischen immer und immer

Die Flügel der Lerchen

Ein blauer Tag

Talfahrt

Wolke

Fallschirm

Unsere langen Schatten

Element

Strapazierter Computer

Genesis

Rückzug

Andere Geburt

Ein goldenes Blatt

Weil verlieren so leicht ist

Harzend

In voller Fahrt

Schlimmes Bündnis

Appell

Dieser weite Flügel

II

Kalender

Einzelveröffentlichungen

Wen es trifft

Liebe

Weihnachtsbotschaft

Die verlierbaren Lebenden

Gedichte aus dem Nachlass

I

Hilfloses SOS nach deinem Geburtstag

Dem Geliebten zum 27. August 1953

II

Die hellen Schatten

Absage

Französischer Gobelin

Manchmal

An den Worten hängt Tang

Sanfte Gefahr

Krankenbericht

Mischievious mood

Morgengebet am 1. des Jahres

Flugplatz

Sterbender Freund

III

Anhang

Nachwort

Warnung

Geburtstage

Ich will dich

Editorische Notizen

Nur eine Rose als Stütze 1959

Rückkehr der Schiffe 1962

Hier 1964

Höhlenbilder 1968

Ich will dich 1970/1995

Gesammelte Gedichte 1987

Der Baum blüht trotzdem 1999

Einzelveröffentlichungen

Gedichte aus dem Nachlass

Alphabetisches Verzeichnis der Gedichttitel

Alphabetisches Verzeichnis der Gedichtanfänge

Nur eine Rose als Stütze

1959

Aufbruch ohne Gewicht

Dando voy pasos perdidos

por tierra, que todo es aire

LOPE DE VEGA

I

Ziehende Landschaft

Man muß weggehen können

und doch sein wie ein Baum:

als bliebe die Wurzel im Boden,

als zöge die Landschaft und wir ständen fest.

Man muß den Atem anhalten,

bis der Wind nachläßt

und die fremde Luft um uns zu kreisen beginnt,

bis das Spiel von Licht und Schatten,

von Grün und Blau,

die alten Muster zeigt

und wir zuhause sind,

wo es auch sei,

und niedersitzen können und uns anlehnen,

als sei es an das Grab

unserer Mutter.

Apfelbaum und Olive

Ein Trost ist, zu wissen

wo die Tassen stehn und die Teller

in dem Haus, in dem du zu Gast bist,

und einen Anteil zu haben

an der Zärtlichkeit von Katze und Hund

deines Freunds,

und die Tücke des Fahrrads zu kennen

als sei es dein eignes,

auf dem du mit der verblichenen Tasche

in das fremde Dorf fahren darfst,

und die Milch auf dem Weg zu verschütten

als habest du selbst

den Deckel der alten Kanne

vor Jahren

auf diesem Wege verloren.

Du gehst durch das Gartentor

und machst es hinter dir zu,

als stehe die Bank

für dich vor dem Haus,

und siehst die andern draußen vorbeigehn,

du,

der Wandrer

von Tag zu Tag

und von Land zu Land,

an dem das Wort

von der Flüchtigkeit

allen Hierseins

Fleisch ward.

Du, den jede Wand

aufgibt,

und den es oft nach des Zirkuskinds

fahrbarer Höhle verlangt.

Zwar, der Apfelbaum und die Olive

sind überall dein,

und in fernen Ländern

schiebt man dir einen Stuhl an den Tisch

an der Seite der Hausfrau,

und jedes gibt dir von seinem Teller

wenn die Schüssel schon leer ist,

als habe ein Kind sich verspätet,

nicht als kämest du eben vom Flugplatz.

Und die dunkeln Mangobäume

und die Kastanien

wachsen Seite bei Seite

in deinem Herzen.

Du weißt, wie die hohen Gräser

an den Rändern der Inseln rascheln

in allen südlichen Meeren,

wie staubig die Kaktuswege sind,

und du gehst durch die schaumigen Wiesen und kennst

ihren bunten Kalender.

Du spielst mit dem Wind

und bläst die hellen Kugeln

des Löwenzahns in die Luft

und siehst dem Schweben

der kleinen weißen Schirme mit zu

– so leicht, so widerstandslos vor dem Wehn

wie du selbst.

Irgendwo

dürfen sie landen.

Dann fährst du die Straße hinab

als glittest du auf einem Schlitten

an den Pappeln vorbei

in die Abendsonne.

Ein Reh tritt aus dem Wald,

und eine kleine Kirche auf einem Hügel

mit einem einsamen Kirchhof

winkt dir zu.

Du wägst ihren Gruß

wie eine Einladung,

die man eines Tages

– noch ungewiß, wann –

vielleicht gerne

annehmen möchte.

Und daran erkennst du,

daß du

hier ein wenig mehr

als an andern Stätten

zuhaus bist.

Herbstzeitlosen

Für uns, denen der Pfosten der Tür verbrannt ist,

an dem die Jahre der Kindheit

Zentimeter für Zentimeter

eingetragen waren.

Die wir keinen Baum

in unseren Garten pflanzten,

um den Stuhl

in seinen wachsenden Schatten zu stellen.

Die wir am Hügel niedersitzen,

als seien wir zu Hirten bestellt

der Wolkenschafe, die auf der blauen

Weide über den Ulmen dahinziehn.

Für uns, die stets unterwegs sind

– lebenslängliche Reise,

wie zwischen Planeten –

nach einem neuen Beginn.

Für uns

stehen die Herbstzeitlosen auf

in den braunen Wiesen des Sommers,

und der Wald füllt sich

mit Brombeeren und Hagebutten –

Damit wir in den Spiegel sehen

und es lernen

unser Gesicht zu lesen,

in dem die Ankunft

sich langsam entblößt.

Gleichgewicht

Wir gehen

jeder für sich

den schmalen Weg

über den Köpfen der Toten

– fast ohne Angst –

im Takt unsres Herzens,

als seien wir beschützt,

solange die Liebe

nicht aussetzt.

So gehen wir

zwischen Schmetterlingen und Vögeln

in staunendem Gleichgewicht

zu einem Morgen von Baumwipfeln

– grün, gold und blau –

und zu dem Erwachen

der geliebten Augen.

Rückzug

Meine Rechte (wer glaubt es ihr heut?)

war einstmals eine offene Rose

voller Schmetterlinge.

Plötzlich, fast ohne Vorbereitung,

wie einer gestoßen wird und fällt,

hat sie ihre Blätter verloren

und war blaß und nackt:

eine Menschenhand

wie alle andern.

Du erinnerst dich.

Die Schale meiner Linken,

die deine Vögel tränkte,

zerbrach.

Du weißt, wie lange die Scherben

in unserem Garten lagen.

Es ist wahr, ich konnte mich damals

in eine Wand von blühendem Wein verwandeln

für deine Bienen.

Die Jahreszeit war

kaum von Bedeutung –

vor diesem Tag,

an dem ich meine Hände

auf den Tisch legte,

und sie leer waren.

Seither bin ich bescheiden geworden,

ich gehe mit einem Netz auf den Markt,

wo gewogen und abgeschnitten wird,

und habe dir Tassen und Teller gekauft

wie eine richtige Hausfrau.

Aber wenn du weinst

und dich hilflos

im Schlafe beklagst,

dann wachsen meinem Herzen

kleine schmerzende Flügel,

und ich fühle seine Ungeduld

in meinem Hals,

daß mir der Atem vergeht.

II

Für E.

Wo steht unser Mandelbaum

Ich liege

in deinen Armen, Liebster,

wie der Mandelkern in der Mandel.

Sag mir: wo steht

unser Mandelbaum?

Ich liege in deinen Armen

wie in einem Schiff,

ohne Route noch Hafen,

aber mit Delphinen am Bug.

Unter unserem Rücken

ein Band von Betten,

unsere Betten in den vielen Ländern,

im Nirgendwo der Nacht,

wenn rings ein fremdes Zimmer versinkt.

Wohin wir kamen

– wohin wir kommen, Liebster,

alles ist anders,

alles ist gleich.

Überall wird das Heu

auf andere Weise geschichtet

zum Trocknen

unter der gleichen

Sonne.

Aufbruch ohne Gewicht

Weiße Gardinen, leuchtende Segel

an meinem Fenster

am Hudson,

im zehnten Stock des Hotels

hell in die Sonne gebläht und knatternd im Meerwind.

Versprechen, Ausfahrt

nachhause,

zum Stelldichein mit mir selbst.

Aufbruch ohne Gewicht,

wenn das Herz den Körper verbrannt hat.

Segel so möwenleicht

über das offene Blau.

Das Zimmer ist unterwegs.

Aber das Meer

ist abgesteckt wie ein Acker.

Bau mir ein Haus

Der Wind kommt.

Der Wind, der die Blumen kämmt

und die Blüten zu Schmetterlingen macht,

der Tauben steigen läßt aus altem Papier

in den Schluchten Manhattans

himmelwärts, bis in den zehnten Stock,

und die Zugvögel an den Türmen

der Wolkenkratzer zerschellt.

Der Wind kommt, der salzige Wind,

der uns übers Meer treibt

und uns an einen Strand wirft

wie Quallen,

die wieder hinausgeschwemmt werden.

Der Wind kommt.

Halte mich fest.

*

Ach, mein heller Körper aus Sand,

nach dem ewigen Bilde geformt, nur

aus Sand.

Der Wind kommt

und nimmt einen Finger mit,

das Wasser kommt

und macht Rillen auf mir.

Aber der Wind

legt das Herz frei

– den zwitschernden roten Vogel

hinter den Rippen –

und brennt mir die Herzhaut

mit seinem Salpeteratem.

Ach, mein Körper aus Sand!

Halte mich fest,

halte

meinen Körper aus Sand.

*

Laß uns landeinwärts gehn,

wo die kleinen Kräuter die Erde verankern.

Ich will einen festen Boden,

grün, aus Wurzeln geknotet

wie eine Matte.

Zersäge den Baum,

nimm Steine

und bau mir ein Haus.

Ein kleines Haus

mit einer weißen Wand

für die Abendsonne

und einem Brunnen für den Mond

zum Spiegeln,

damit er sich nicht,

wie auf dem Meere,

verliert.

Ein Haus

neben einem Apfelbaum

oder einem Ölbaum,

an dem der Wind

vorbeigeht

wie ein Jäger, dessen Jagd

uns

nicht gilt.

Wie wenig Nütze ich bin

Wie wenig nütze ich bin,

ich hebe den Finger und hinterlasse

nicht den kleinsten Strich

in der Luft.

Die Zeit verwischt mein Gesicht,

sie hat schon begonnen.

Hinter meinen Schritten im Staub

wäscht Regen die Straße blank

wie eine Hausfrau.

Ich war hier.

Ich gehe vorüber

ohne Spur.

Die Ulmen am Weg

winken mir zu wie ich komme,

grün blau goldener Gruß,

und vergessen mich,

eh ich vorbei bin.

Ich gehe vorüber –

aber ich lasse vielleicht

den kleinen Ton meiner Stimme,

mein Lachen und meine Tränen

und auch den Gruß der Bäume im Abend

auf einem Stückchen Papier.

Und im Vorbeigehn,

ganz absichtslos,

zünde ich die ein oder andere

Laterne an

in den Herzen am Wegrand.

Vorsichtige Hoffnung

Weiße Tauben

im Blau

verbrannter Fensterhöhlen,

werden die Kriege für euch geführt?

Weiße Taubenschnur

durch die leeren Fenster

über die Breitengrade hinweg.

Wie Rosensträucher auf Gräbern

achtlos nehmt ihr das Unsre.

Auf den mit Tränen gewaschenen Stein

setzt ihr das kleine Nest.

Wir bauen neue Häuser,

Tauben,

die Schnäbel der Krane ragen

über unseren Städten,

eiserne Störche, die Nester für Menschen richten.

Wir bauen Häuser

mit Wänden aus Zement und Glas

an denen euer rosa Fuß

nicht haftet.

Wir räumen die Ruinen ab

und vergessen die äußerste Stunde

im toten Auge der Uhr.

Tauben, wir bauen für euch:

ihr werdet

in den glatten Wänden nisten,

ihr werdet

durch unsere Fenster fliegen

ins Blau.

Und vielleicht sind dann ein paar Kinder da

– und das wäre sehr viel –,

die unter euch

in den Ruinen

unserer neuen Häuser,

der Häuser, die wir mit den hohen Kranen

den Tag und die Nacht durch bauen,

Verstecken spielen.

Und das wäre sehr viel.

Abschied aus Andalusien

Für Bernabé und Quinín

Der Ginster stand voll silberner Schoten,

der Lavendel war abgeblüht,

und die Bauern ritten auf kleinen Eseln

hinauf, in ihre weißen Dörfer.

Mit schweren Eutern wurden die Ziegen

in die Gehöfte geführt.

Da stand ein Stein,

ein grauer Stein,

auf einem Hügel im Feld.

»Lieber Stein«, sagte ich,

»nimm mich an,

als seist du ein kleiner niedriger Stuhl

vor einem Herdfeuer

an dem ein Topf Milch steht.

Bei dir will ich bleiben.

Ich will auspacken,

und wie ein Kind

seine Taschen umdreht

und seine Murmeln

und einen zerdrückten Maikäfer

auf dem Boden ausbreitet,

will ich das Meine um dich legen.«

Und alle meine Gegenstände,

so viele unnütze Gegenstände,

lagen auf dem Feld

und warfen lange Schatten

in der Abendsonne.

Weiter unten am Weg

glühten drei rote Mohnblumen

bei einem Ölbaum.

Ich legte meinen Kopf

auf die Schreibmaschine

und sah in den Himmel,

und die eiligen Schwalben

wie Weberschiffchen

woben mir ein Dach,

ein durchsichtiges Dach

aus Bahnen von hellblauem Nichts

über meinem Kopf.

Aber wie die Nacht kam

mit ihrem Krötenorchester

– der Feigenbaum im Tal

war längst in grünen Halmen ertrunken –

gab mir der Stein

eine kleine gelbe Margerite

als Hausschlüssel.

Damit schloß ich den Hügel auf,

den nächsten

der vielen spitzen Hügel am Meer,

und ging hinein

und hatte eine Wohnung

bei den Wurzeln

der Blumen.

Die Heiligen

Die Heiligen in den Kapellen

wollen begraben werden, ganz nackt,

in Särgen aus Kistenholz

und wo niemand sie findet:

in einem Weizenfeld

oder bei einem Apfelbaum

dem sie blühen helfen

als ein Krumen Erde.

Die reichen Gewänder, das Gold und die Perlen,

alle Geschenke der fordernden Geber,

lassen sie in den Sakristeien,

das Los, das verlieren wird, unter dem Sockel.

Sie wollen ihre Schädel und Finger einsammeln

und aus den Glaskästen nehmen

und sie von den Papierrosen ohne Herbst

und den gefaßten Steinen

zu den welken Blumenblättern bringen

und zu den Kieseln am Fluß.

Sie verstehen zu leiden,

das haben sie bewiesen.

Sie haben für einen Augenblick

ihr eigenes Schwergewicht überwunden.

Das Leid trieb sie hoch,

als ihr Herz den Körper verzehrte.

Sie stiegen wie Ballons, federleicht,

und lagen in der Schwebe auf ihrem wehen Atem

als sei er eine Pritsche.

Deshalb lächeln sie jetzt,

wenn sie an Feiertagen

auf schweren geschmückten Podesten

auf den Schultern von achtzig Gläubigen

(denen man das Brot zur Stärkung voranträgt)

in Baumhöhe durch die Straßen ziehn.

Doch sie sind müde

auf den Podesten zu stehn

und uns anzuhören.

Sie sind wund vom Willen zu helfen,

wund, Rammbock vor dem Beter zu sein,

der erschrickt

wenn das Gebet ihm gewährt wird,

weil Annehmen

so viel schwerer ist als Bitten

und weil jeder die Gabe nur sieht

die auf dem erwarteten Teller gereicht wird.

Weil jeder doch immer von Neuem

in den eigenen Schatten tritt,

der ihn schmerzt.

Sie sehen den unsichtbaren Kreis

um den Ziehbrunnen,

in dem wir uns drehn

wie in einem Gefängnis.

Jeder will den Quell

in dem eigenen Grundstück,

keiner mag in den Wald gehn.

Der Bruder wird nie

das Feuer wie Abel richten

und doch immer gekränkt sein.

Sie sehen uns wieder und wieder

aneinander vorbeigehn

die Minute versäumend.

Wir halten die Augen gesenkt.

Wir hören den Ruf,

aber wir heben sie nicht.

Erst danach.

Es macht müde zu sehn

wie wir uns umdrehn

und weinen.

Immer wieder

uns umdrehn und weinen.

Und die Bitten zu hören

um das gestern Gewährte.

Nachts wenn wir nicht schlafen können

in den Betten, in die wir uns legen.

Sie sind müde

Vikare des Unmöglichen auf Erden

zu sein, des gestern Möglichen.

Sie möchten Brennholz

in einem Herdfeuer sein

und die Milch der Kinder wärmen

wie der silberne Stamm einer Ulme.