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Sämtliche Gedichte von Hilde Domin: Eine Sammlung voller widerständigem Mut und Erneuerung des Verlorenen. Hilde Domin zählt neben Rose Ausländer und Nelly Sachs zu den bedeutendsten deutschsprachigen Lyrikerinnen der Nachkriegszeit. Von den Nationalsozialisten ins Exil gezwungen, fand sie ihre wahre Heimat in der Sprache und im geschriebenen Wort. Ihre Lyrik spricht von einem unerschütterlichen Mut, sich dem Verlorenen zu stellen und es neu zu erschaffen. Dieser Band versammelt erstmals alle Gedichte Hilde Domins, präsentiert in der Chronologie ihrer Einzelausgaben. Ergänzt wird die Sammlung durch verstreut publizierte Gedichte und bisher unveröffentlichte Werke aus dem Nachlass der Dichterin. Gedichtbände wie Nur eine Rose als Stütze, Rückkehr der Schiffe, Hier und Ich will dich finden sich hier in ihrer Gesamtheit. Ein sorgfältig zusammengestellter editorischer Anhang und ein einfühlsames Nachwort von Ruth Klüger runden diese besondere Neuausgabe ab. Sämtliche Gedichte lädt dazu ein, das lyrische Vermächtnis einer der größten deutschen Dichterinnen des 20. Jahrhunderts neu zu entdecken.
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Seitenzahl: 175
Veröffentlichungsjahr: 2014
Hilde Domin
(Fischer TaschenBibliothek)
»Hilde Domin redet sowohl über brennende Nächte wie über Rosen. Die Exilantin, die die Gegenstände der eingerichteten Welt hinter sich gelassen hat, richtet sich ein im Bereich der Phantasie.« Ruth Klüger
Hilde Domin gehört zusammen mit Rose Ausländer und Nelly Sachs zu den bedeutendsten Lyrikerinnen der Nachkriegszeit. Von den Nationalsozialisten ins Exil gezwungen, fand sie ihre Heimat im Wort. Ihre Lyrik spricht vom widerständigen Mut zur Erneuerung des Verlorenen.
Erstmals werden mit diesem Band alle Gedichte Hilde Domins in der Chronologie der Einzelausgaben vorgelegt; ergänzt um verstreut publizierte und Gedichte aus dem Nachlass. Ein editorischer Anhang und ein Nachwort von Ruth Klüger komplettieren diese Neuausgabe.
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Die Veröffentlichung einzelner Gedichte im Manuskript bzw. Typoskript aus dem Nachlaß von Hilde Domin erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Deutschen Literaturarchivs Marbach
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2009
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Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-403401-0
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Nur eine Rose als Stütze
Aufbruch ohne Gewicht
I
II
III
Nur eine Rose als Stütze
Nur eine Rose als Stütze
Treulose Kahnfahrt
Gegenwart
Das goldene Seil
Bittersüsser Mandelbaum
Die schwersten Wege
Herbst
Haus ohne Fenster
Im Regen geschrieben
Banges Neujahr
Sämann
Auf Wolkenbürgschaft
»Vogel Klage«
Neues Land
Geborgenheit
Buchen im Frühling
Rufe nicht
Willkürliche Chronologie
Mit meinem Schatten
Es kommen keine nach uns
Unterricht
Noch gestern
Möwe zu dritt
Winterbienen
Rückkehr der Schiffe
Rückkehr der Schiffe
Herbstaugen
Landschaft bei Cadiz
Nachmittag am Guadalquivir
Losgelöst
Rückkehr
Jenseits des Bergs
Knospe
Abzählen der Regentropfenschnur
Winter
Magere Kost
Unaufhaltsam
Flucht
Linguistik
Osterwind
Indischer Falter
Warnung
Angsttraum
Lilie
Tauben im Regen
Von grün zu gold
Warte auf Nichts
Fesselballon
Fahrt durch Kastilien
Manuskripte ordnend
Kindersarkophag
Flut
Morgens und Abends
Behütet
Nur Zeugen
Letzte Mitteilung
Dienstpflichtig
Asternfeld
Traumwasser
Unterwegs
April
Mit leichtem Gepäck
Fremder
Orientierung
Bitte an einen Delphin
Zärtliche Nacht
Rückkehr der Schiffe
Lieder zur Ermutigung
I
II
III
Hier
Lyrik
Einhorn
Auf der andern Seite des Monds
Heimkehrer
Schneide das Augenlid ab
Aktuelles
1. Kapitel
2. Kapitel
›Seids gewesen, seids gewesen!‹
Salva nos
1. Kapitel
2. Kapitel
Von uns
Schöner
Köln
Exil
Nacht
Beklemmung
Kalender
Fünf Ausreiselieder
1 Hier
2 Ausreisegedicht
3 Ich flüchte mich zu dem kleinsten Ding
4 Keine Zeit für Abenteuer
5 ›Silence and exile‹
Rückwanderung
Gegen die Botmässigkeit
Anstandsregel für allerwärts
Wer es könnte
Katalog
Vertrackt
Bei der Lektüre Pablo Nerudas
Die Botschafter
Fingernagelgross
Frage
Das Gefieder der Sprache
Immer kreisen
Vögel mit Wurzeln
Nächtliche Orientierung
Das Wachsen von Träumen
Alternative
Entfernungen
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
Entfernung
Wir nehmen Abschied
Brief auf den anderen Kontinent
Marionette
Anweisung
Unterwegs
Ruf
Tunnel
Irgendwann
Es knospt
Nicht müde werden
Ars longa
Höhlenbilder
Dein Mund auf meinem
Alle meine Schiffe
Mein Geschlecht zittert
Schrift
Neue Wege
Wie ein lidloses Tier
Topographie
Galionsfigur
Vor Tag
Kreisel
Gegengewicht
Ich will dich
I
Ich will dich
Drei Arten Gedichte aufzuschreiben
Das ist es nicht
Graue Zeiten
Ecce Homo
Sisyphus
Nach dem Fernsehbericht: Napalm-Lazarett
Abschaffung des Befehlsnotstands: Perspektive
Zur Interpunktion
Vorsichtshalber
Abel steh auf
II
Wort und Ding
Monologe
Der grosse Luftzug
Angsttraum I
Senkblei
Viele
Geburtstage
Angsttraum II
Immer mit den vollen Händen
Änderungen
Filter
III
Jahrtausende
Bitte
Augenturm
Anfang
Sehnsucht
Wunsch
Lichtinsel
Das Bild zu Sais
Geh hin
Linke Kopfhälfte
Lektüre
Überfahrt
Älter werden
Mauern sortierend
Vaterländer
Der übernächste Krieg
Ausbruch von hier
Tokaidoexpress
Es gibt dich
Antwort
Gesammelte Gedichte
Aussaat
Auf der Terrasse
Mäher
Auf welch verlässlichen Stern?
Die Mauern sanken
Im Tor schon
Wie trag ichs
Jagd
Stundenbuch des Duc de Berry
Demut
Zikkurat
Spindel
Wie Erz in Stein versprengt
Mexikanisch
Tage der Heimsuchung
Ratloser Abend
Harte fremde Hände
›Pícara‹
Vogelschwingen
Das kleine rote Band
Notrufer
Fürchte dich nicht
Rücken
Zweifel
Signal
Der Frühling ein riesiger Specht
Heckenrose
Ägyptisches Grabmal
Magie
Französischer Gobelin
Tröstung
Wen es trifft
Traumstaub
Worte
Gefährlicher Löffel
Gefängnis
Versöhnung
Nichts geschieht
Zentimeter
Kindergespräch
Angler
Traum im Winter
Hausschlüssel
Spätsommer
Stierkampf
Fragment
Wege
Nur der Eigensinnige
Spiegelgedichte
1 Identität
2 Nicht angeseilt
3 Tapferkeit
Landen dürfen
Abfahrt aus Spanien
Was für ein Zeichen mache ich
Versprechen an eine Taube
Schlaflied
In der Höhle des Polyphem
Kalender
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
Bedrohung
In die Hand eines Blatts gelegt
Zwei Türen
Dein roter Baum
Rosenblätter
Mit den gleichen Augen
Gespräch mit meinen Pantoffeln
Graue Zeiten
1. Kapitel
Fernsehgedichte
1 Napalm-Lazarett
2 Brennende Stadt (Beirut)
Für Vicente Aleixandre
Der Baum blüht trotzdem
I
Mein Herze wir sind verreist
Der Baum blüht trotzdem
Wahl
Die Liebe
Ich bewahre mich nicht
Nimm den Eimer
Vorwurf
Zwischen immer und immer
Die Flügel der Lerchen
Ein blauer Tag
Talfahrt
Wolke
Fallschirm
Unsere langen Schatten
Element
Strapazierter Computer
Genesis
Rückzug
Andere Geburt
Ein goldenes Blatt
Weil verlieren so leicht ist
Harzend
In voller Fahrt
Schlimmes Bündnis
Appell
Dieser weite Flügel
II
Kalender
Einzelveröffentlichungen
Wen es trifft
Liebe
Weihnachtsbotschaft
Die verlierbaren Lebenden
Gedichte aus dem Nachlass
I
Hilfloses SOS nach deinem Geburtstag
Dem Geliebten zum 27. August 1953
II
Die hellen Schatten
Absage
Französischer Gobelin
Manchmal
An den Worten hängt Tang
Sanfte Gefahr
Krankenbericht
Mischievious mood
Morgengebet am 1. des Jahres
Flugplatz
Sterbender Freund
III
Anhang
Nachwort
Warnung
Geburtstage
Ich will dich
Editorische Notizen
Nur eine Rose als Stütze 1959
Rückkehr der Schiffe 1962
Hier 1964
Höhlenbilder 1968
Ich will dich 1970/1995
Gesammelte Gedichte 1987
Der Baum blüht trotzdem 1999
Einzelveröffentlichungen
Gedichte aus dem Nachlass
Alphabetisches Verzeichnis der Gedichttitel
Alphabetisches Verzeichnis der Gedichtanfänge
1959
Dando voy pasos perdidos
por tierra, que todo es aire
LOPE DE VEGA
Man muß weggehen können
und doch sein wie ein Baum:
als bliebe die Wurzel im Boden,
als zöge die Landschaft und wir ständen fest.
Man muß den Atem anhalten,
bis der Wind nachläßt
und die fremde Luft um uns zu kreisen beginnt,
bis das Spiel von Licht und Schatten,
von Grün und Blau,
die alten Muster zeigt
und wir zuhause sind,
wo es auch sei,
und niedersitzen können und uns anlehnen,
als sei es an das Grab
unserer Mutter.
Ein Trost ist, zu wissen
wo die Tassen stehn und die Teller
in dem Haus, in dem du zu Gast bist,
und einen Anteil zu haben
an der Zärtlichkeit von Katze und Hund
deines Freunds,
und die Tücke des Fahrrads zu kennen
als sei es dein eignes,
auf dem du mit der verblichenen Tasche
in das fremde Dorf fahren darfst,
und die Milch auf dem Weg zu verschütten
als habest du selbst
den Deckel der alten Kanne
vor Jahren
auf diesem Wege verloren.
Du gehst durch das Gartentor
und machst es hinter dir zu,
als stehe die Bank
für dich vor dem Haus,
und siehst die andern draußen vorbeigehn,
du,
der Wandrer
von Tag zu Tag
und von Land zu Land,
an dem das Wort
von der Flüchtigkeit
allen Hierseins
Fleisch ward.
Du, den jede Wand
aufgibt,
und den es oft nach des Zirkuskinds
fahrbarer Höhle verlangt.
Zwar, der Apfelbaum und die Olive
sind überall dein,
und in fernen Ländern
schiebt man dir einen Stuhl an den Tisch
an der Seite der Hausfrau,
und jedes gibt dir von seinem Teller
wenn die Schüssel schon leer ist,
als habe ein Kind sich verspätet,
nicht als kämest du eben vom Flugplatz.
Und die dunkeln Mangobäume
und die Kastanien
wachsen Seite bei Seite
in deinem Herzen.
Du weißt, wie die hohen Gräser
an den Rändern der Inseln rascheln
in allen südlichen Meeren,
wie staubig die Kaktuswege sind,
und du gehst durch die schaumigen Wiesen und kennst
ihren bunten Kalender.
Du spielst mit dem Wind
und bläst die hellen Kugeln
des Löwenzahns in die Luft
und siehst dem Schweben
der kleinen weißen Schirme mit zu
– so leicht, so widerstandslos vor dem Wehn
wie du selbst.
Irgendwo
dürfen sie landen.
Dann fährst du die Straße hinab
als glittest du auf einem Schlitten
an den Pappeln vorbei
in die Abendsonne.
Ein Reh tritt aus dem Wald,
und eine kleine Kirche auf einem Hügel
mit einem einsamen Kirchhof
winkt dir zu.
Du wägst ihren Gruß
wie eine Einladung,
die man eines Tages
– noch ungewiß, wann –
vielleicht gerne
annehmen möchte.
Und daran erkennst du,
daß du
hier ein wenig mehr
als an andern Stätten
zuhaus bist.
Für uns, denen der Pfosten der Tür verbrannt ist,
an dem die Jahre der Kindheit
Zentimeter für Zentimeter
eingetragen waren.
Die wir keinen Baum
in unseren Garten pflanzten,
um den Stuhl
in seinen wachsenden Schatten zu stellen.
Die wir am Hügel niedersitzen,
als seien wir zu Hirten bestellt
der Wolkenschafe, die auf der blauen
Weide über den Ulmen dahinziehn.
Für uns, die stets unterwegs sind
– lebenslängliche Reise,
wie zwischen Planeten –
nach einem neuen Beginn.
Für uns
stehen die Herbstzeitlosen auf
in den braunen Wiesen des Sommers,
und der Wald füllt sich
mit Brombeeren und Hagebutten –
Damit wir in den Spiegel sehen
und es lernen
unser Gesicht zu lesen,
in dem die Ankunft
sich langsam entblößt.
Wir gehen
jeder für sich
den schmalen Weg
über den Köpfen der Toten
– fast ohne Angst –
im Takt unsres Herzens,
als seien wir beschützt,
solange die Liebe
nicht aussetzt.
So gehen wir
zwischen Schmetterlingen und Vögeln
in staunendem Gleichgewicht
zu einem Morgen von Baumwipfeln
– grün, gold und blau –
und zu dem Erwachen
der geliebten Augen.
Meine Rechte (wer glaubt es ihr heut?)
war einstmals eine offene Rose
voller Schmetterlinge.
Plötzlich, fast ohne Vorbereitung,
wie einer gestoßen wird und fällt,
hat sie ihre Blätter verloren
und war blaß und nackt:
eine Menschenhand
wie alle andern.
Du erinnerst dich.
Die Schale meiner Linken,
die deine Vögel tränkte,
zerbrach.
Du weißt, wie lange die Scherben
in unserem Garten lagen.
Es ist wahr, ich konnte mich damals
in eine Wand von blühendem Wein verwandeln
für deine Bienen.
Die Jahreszeit war
kaum von Bedeutung –
vor diesem Tag,
an dem ich meine Hände
auf den Tisch legte,
und sie leer waren.
Seither bin ich bescheiden geworden,
ich gehe mit einem Netz auf den Markt,
wo gewogen und abgeschnitten wird,
und habe dir Tassen und Teller gekauft
wie eine richtige Hausfrau.
Aber wenn du weinst
und dich hilflos
im Schlafe beklagst,
dann wachsen meinem Herzen
kleine schmerzende Flügel,
und ich fühle seine Ungeduld
in meinem Hals,
daß mir der Atem vergeht.
Für E.
Ich liege
in deinen Armen, Liebster,
wie der Mandelkern in der Mandel.
Sag mir: wo steht
unser Mandelbaum?
Ich liege in deinen Armen
wie in einem Schiff,
ohne Route noch Hafen,
aber mit Delphinen am Bug.
Unter unserem Rücken
ein Band von Betten,
unsere Betten in den vielen Ländern,
im Nirgendwo der Nacht,
wenn rings ein fremdes Zimmer versinkt.
Wohin wir kamen
– wohin wir kommen, Liebster,
alles ist anders,
alles ist gleich.
Überall wird das Heu
auf andere Weise geschichtet
zum Trocknen
unter der gleichen
Sonne.
Weiße Gardinen, leuchtende Segel
an meinem Fenster
am Hudson,
im zehnten Stock des Hotels
hell in die Sonne gebläht und knatternd im Meerwind.
Versprechen, Ausfahrt
nachhause,
zum Stelldichein mit mir selbst.
Aufbruch ohne Gewicht,
wenn das Herz den Körper verbrannt hat.
Segel so möwenleicht
über das offene Blau.
Das Zimmer ist unterwegs.
Aber das Meer
ist abgesteckt wie ein Acker.
Der Wind kommt.
Der Wind, der die Blumen kämmt
und die Blüten zu Schmetterlingen macht,
der Tauben steigen läßt aus altem Papier
in den Schluchten Manhattans
himmelwärts, bis in den zehnten Stock,
und die Zugvögel an den Türmen
der Wolkenkratzer zerschellt.
Der Wind kommt, der salzige Wind,
der uns übers Meer treibt
und uns an einen Strand wirft
wie Quallen,
die wieder hinausgeschwemmt werden.
Der Wind kommt.
Halte mich fest.
Ach, mein heller Körper aus Sand,
nach dem ewigen Bilde geformt, nur
aus Sand.
Der Wind kommt
und nimmt einen Finger mit,
das Wasser kommt
und macht Rillen auf mir.
Aber der Wind
legt das Herz frei
– den zwitschernden roten Vogel
hinter den Rippen –
und brennt mir die Herzhaut
mit seinem Salpeteratem.
Ach, mein Körper aus Sand!
Halte mich fest,
halte
meinen Körper aus Sand.
Laß uns landeinwärts gehn,
wo die kleinen Kräuter die Erde verankern.
Ich will einen festen Boden,
grün, aus Wurzeln geknotet
wie eine Matte.
Zersäge den Baum,
nimm Steine
und bau mir ein Haus.
Ein kleines Haus
mit einer weißen Wand
für die Abendsonne
und einem Brunnen für den Mond
zum Spiegeln,
damit er sich nicht,
wie auf dem Meere,
verliert.
Ein Haus
neben einem Apfelbaum
oder einem Ölbaum,
an dem der Wind
vorbeigeht
wie ein Jäger, dessen Jagd
uns
nicht gilt.
Wie wenig nütze ich bin,
ich hebe den Finger und hinterlasse
nicht den kleinsten Strich
in der Luft.
Die Zeit verwischt mein Gesicht,
sie hat schon begonnen.
Hinter meinen Schritten im Staub
wäscht Regen die Straße blank
wie eine Hausfrau.
Ich war hier.
Ich gehe vorüber
ohne Spur.
Die Ulmen am Weg
winken mir zu wie ich komme,
grün blau goldener Gruß,
und vergessen mich,
eh ich vorbei bin.
Ich gehe vorüber –
aber ich lasse vielleicht
den kleinen Ton meiner Stimme,
mein Lachen und meine Tränen
und auch den Gruß der Bäume im Abend
auf einem Stückchen Papier.
Und im Vorbeigehn,
ganz absichtslos,
zünde ich die ein oder andere
Laterne an
in den Herzen am Wegrand.
Weiße Tauben
im Blau
verbrannter Fensterhöhlen,
werden die Kriege für euch geführt?
Weiße Taubenschnur
durch die leeren Fenster
über die Breitengrade hinweg.
Wie Rosensträucher auf Gräbern
achtlos nehmt ihr das Unsre.
Auf den mit Tränen gewaschenen Stein
setzt ihr das kleine Nest.
Wir bauen neue Häuser,
Tauben,
die Schnäbel der Krane ragen
über unseren Städten,
eiserne Störche, die Nester für Menschen richten.
Wir bauen Häuser
mit Wänden aus Zement und Glas
an denen euer rosa Fuß
nicht haftet.
Wir räumen die Ruinen ab
und vergessen die äußerste Stunde
im toten Auge der Uhr.
Tauben, wir bauen für euch:
ihr werdet
in den glatten Wänden nisten,
ihr werdet
durch unsere Fenster fliegen
ins Blau.
Und vielleicht sind dann ein paar Kinder da
– und das wäre sehr viel –,
die unter euch
in den Ruinen
unserer neuen Häuser,
der Häuser, die wir mit den hohen Kranen
den Tag und die Nacht durch bauen,
Verstecken spielen.
Und das wäre sehr viel.
Für Bernabé und Quinín
Der Ginster stand voll silberner Schoten,
der Lavendel war abgeblüht,
und die Bauern ritten auf kleinen Eseln
hinauf, in ihre weißen Dörfer.
Mit schweren Eutern wurden die Ziegen
in die Gehöfte geführt.
Da stand ein Stein,
ein grauer Stein,
auf einem Hügel im Feld.
»Lieber Stein«, sagte ich,
»nimm mich an,
als seist du ein kleiner niedriger Stuhl
vor einem Herdfeuer
an dem ein Topf Milch steht.
Bei dir will ich bleiben.
Ich will auspacken,
und wie ein Kind
seine Taschen umdreht
und seine Murmeln
und einen zerdrückten Maikäfer
auf dem Boden ausbreitet,
will ich das Meine um dich legen.«
Und alle meine Gegenstände,
so viele unnütze Gegenstände,
lagen auf dem Feld
und warfen lange Schatten
in der Abendsonne.
Weiter unten am Weg
glühten drei rote Mohnblumen
bei einem Ölbaum.
Ich legte meinen Kopf
auf die Schreibmaschine
und sah in den Himmel,
und die eiligen Schwalben
wie Weberschiffchen
woben mir ein Dach,
ein durchsichtiges Dach
aus Bahnen von hellblauem Nichts
über meinem Kopf.
Aber wie die Nacht kam
mit ihrem Krötenorchester
– der Feigenbaum im Tal
war längst in grünen Halmen ertrunken –
gab mir der Stein
eine kleine gelbe Margerite
als Hausschlüssel.
Damit schloß ich den Hügel auf,
den nächsten
der vielen spitzen Hügel am Meer,
und ging hinein
und hatte eine Wohnung
bei den Wurzeln
der Blumen.
Die Heiligen in den Kapellen
wollen begraben werden, ganz nackt,
in Särgen aus Kistenholz
und wo niemand sie findet:
in einem Weizenfeld
oder bei einem Apfelbaum
dem sie blühen helfen
als ein Krumen Erde.
Die reichen Gewänder, das Gold und die Perlen,
alle Geschenke der fordernden Geber,
lassen sie in den Sakristeien,
das Los, das verlieren wird, unter dem Sockel.
Sie wollen ihre Schädel und Finger einsammeln
und aus den Glaskästen nehmen
und sie von den Papierrosen ohne Herbst
und den gefaßten Steinen
zu den welken Blumenblättern bringen
und zu den Kieseln am Fluß.
Sie verstehen zu leiden,
das haben sie bewiesen.
Sie haben für einen Augenblick
ihr eigenes Schwergewicht überwunden.
Das Leid trieb sie hoch,
als ihr Herz den Körper verzehrte.
Sie stiegen wie Ballons, federleicht,
und lagen in der Schwebe auf ihrem wehen Atem
als sei er eine Pritsche.
Deshalb lächeln sie jetzt,
wenn sie an Feiertagen
auf schweren geschmückten Podesten
auf den Schultern von achtzig Gläubigen
(denen man das Brot zur Stärkung voranträgt)
in Baumhöhe durch die Straßen ziehn.
Doch sie sind müde
auf den Podesten zu stehn
und uns anzuhören.
Sie sind wund vom Willen zu helfen,
wund, Rammbock vor dem Beter zu sein,
der erschrickt
wenn das Gebet ihm gewährt wird,
weil Annehmen
so viel schwerer ist als Bitten
und weil jeder die Gabe nur sieht
die auf dem erwarteten Teller gereicht wird.
Weil jeder doch immer von Neuem
in den eigenen Schatten tritt,
der ihn schmerzt.
Sie sehen den unsichtbaren Kreis
um den Ziehbrunnen,
in dem wir uns drehn
wie in einem Gefängnis.
Jeder will den Quell
in dem eigenen Grundstück,
keiner mag in den Wald gehn.
Der Bruder wird nie
das Feuer wie Abel richten
und doch immer gekränkt sein.
Sie sehen uns wieder und wieder
aneinander vorbeigehn
die Minute versäumend.
Wir halten die Augen gesenkt.
Wir hören den Ruf,
aber wir heben sie nicht.
Erst danach.
Es macht müde zu sehn
wie wir uns umdrehn
und weinen.
Immer wieder
uns umdrehn und weinen.
Und die Bitten zu hören
um das gestern Gewährte.
Nachts wenn wir nicht schlafen können
in den Betten, in die wir uns legen.
Sie sind müde
Vikare des Unmöglichen auf Erden
zu sein, des gestern Möglichen.
Sie möchten Brennholz
in einem Herdfeuer sein
und die Milch der Kinder wärmen
wie der silberne Stamm einer Ulme.
