Sarah - Should I Stay? - Isabella Stone - E-Book

Sarah - Should I Stay? E-Book

Isabella Stone

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Beschreibung

Sarah wächst in Berlin auf, lebt mit ihrem Vater zusammen. An ihre Mutter kann sie sich schon gar nicht mehr erinnern. Nach dem Tod ihres Vaters beschließt Sarah in das Heimatland ihrer Mutter zu ziehen - Amerika. Eigentlich sucht sie dort nur nach der vermeindlich letzten Verwandten, die ihr etwas bedeuten könnte. Doch Sarah findet so viel mehr.

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Sarah - Should I Stay?

Titel Seite

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Isabella Stone

Sarah

Should I Stay?

Die Geschichte rund um Sarah und ihre Freunde ist frei erfunden. Jede Ähnlichkeit zu reellen Personen ist zufällig und nicht beabsichtigt.

Unaufhörlich prasselt der Regen gegen die Scheiben des Taxis. Seit Tagen hat es nicht mehr geregnet, doch heute, ja heute muss es schütten wie aus Eimern. In langen Fäden erleichtern sich die Wolken über den Lichtern Berlins. An einem Tag, der ein Neuanfang mit sich bringt, ein Tag jeglicher Veränderungen. An einem Tag, der die Vergangenheit und die Zukunft miteinander verbindet, wie es sonst nicht passiert. Sozusagen das Tor in eine neue Zeit bildet.

Als ich aus dem Taxi steige komme ich nicht umhin mich zu fragenWas mache ich hier eigentlich? Seit wann gehöre ich zu der Sorte Mensch, die einfach macht, was ihr Bauch für gut empfindet?

Nein, es passt überhaupt nicht zu mit, einfach mit Sack und Pack in ein Taxi zu springen und mich zum Flughafen bringen zu lassen.

Der Fahrer stellt gerade meine kleine Tasche neben mir ab, natürlich in die einzige Pfütze im Umkreis von fünf Quadratmetern, wünscht mir einen guten Flug und fährt wieder davon. Ob es einguter Flugwerden soll, wird sich zeigen. Ich habe keine Angst vor dem Fliegen, sonst würde ich nicht diese Strecke auf mich nehmen. Doch frage ich mich zum wiederholten Male, ob ich heute aus den richtigen Gründen in diese Maschine steigen werde. Mein Weg führt mich vom Westen Berlins nach Seattle, Washington State, USA. Doch dort wird die Reise nicht zu Ende sein. Es geht noch weiter bis runter nach Forks. Entgegen jeder Vernunft wird es keinen Rückflug geben. Im wahrsten Sinne der Worte, gibt es für mich kein Zurück. Zumindest fühlt es sich gerade so an.

Nun stehe ich hier, in mittlerweile nur noch leichten Nieselregen, niemand beachtet mich und meine Reisetasche. Für einen Koffer haben meine Habseligkeiten, die ich vorerst mitnehmen wollte, nicht gereicht. Diese hellblaue Tasche, die ich mir vor etlichen Jahren gegönnt habe – mit dem unsinnigen Vorhaben mich im Fitness Studio anzumelden – beinhaltet nun jedenfalls mein wichtigstes Hab und Gut. Fast schon panisch überlege ich, ob meine Entscheidung richtig ist, bis ich jäh aus meinen Gedanken gerissen werde.

„Sarah!“ Als ich mich umdrehe, muss ich lächeln. Dabei haben wir uns doch erst vor zwölf Stunden – endgültig, wie ich dachte – verabschiedet. Und doch steht sie nun vor mir. Carmen, meine beste Freundin seit dem Kindergarten. „Dachtest du etwa, ich würde dich allein fliegen lassen?“

„Du willst mitkommen?“, antworte ich mit einer Gegenfrage. Als Carmen mir selbstsicher zunickt, spüre ich endlich, wie sich ein Knoten nach dem anderen in meinem Inneren löst und ich vor Erleichterung aufatmen kann.

„Ja, ich begleite dich. Allerdings kann ich nur zwei Wochen bleiben. Ich sehe es als eine Art Kurzurlaub vor dem neuen Semester.“ Vor zwei Wochen haben wir erst unsere Ausbildung als Erzieherinnen beendet und Carmen, das fleißige Ding, kann sich einfach nicht von der Schulbank verabschieden. Für sie geht es weiter in ein Studium zur Diplom-Pädagogin und ich, ja ich wandere aus.

Fest nehme ich meine, durch den Regen durchnässte Freundin in den Arm, ehe wir uns gemeinsam auf den Weg zu Check-In machen. Zwei Stunden später rollt das riesige Flugzeug auf die Startbahn. Ich blicke aus dem Fenster neben mir, Carmen wollte die Erde nicht aus der Luft sehen können. Noch nie habe ich Berlin verlassen, war immer nur hier. Nun verlasse ich nicht nur meine Stadt, sondern auch gleich ganz Deutschland. Ich bin dankbar, dass Carmen mit mir fliegt und auch, dass sich der nette ältere Herr, der eigentlich neben mir saß, dazu bereit erklärt hat, mit meiner Freundin den Platz zu tauschen.

„Besonders viel scheinst du nicht mit zu nehmen.“, reißt Carmen mich aus Gedanken an meine Zukunft.

„Ja, ich habe nur das Nötigste eingepackt. Ich wohne vorerst mietfrei, wenn ich einen Job gefunden habe, kann ich alles, was mir fehlt, kaufen gehen. Oder ich hole den Rest nach.“, erkläre ich, mit Blick wieder auf die Wolken. Noch weiß sie nicht, dass ich alles, was ich je besaß, verkauft oder verschenkt habe.

„Ganz ehrlich, Sarah, ich verstehe es einfach nicht. Warum dort? Warum jetzt? Wieso gehst du nicht erst noch ein bisschen arbeiten, schaffst dir ein kleines Polster, bevor du diese Reise in Angriff nimmst?“

„Carmen, bitte.“, flehe ich sie schon fast verzweifelt an. „Wie oft muss ich es denn erklären? Jetzt ist es richtig, aus mehreren Gründen.“

„Nenn mir einen.“ Carmen schaut mich streng von der Seite an und wartet auf eine Antwort.

„Zum Beispiel habe ich außer dir doch eigentlich niemanden mehr in Berlin. Wer wartet hier auf mich? Worauf soll ich warten? Ich will keine Zeit mehr vergeuden, ich muss jetzt das Beste aus meiner Situation machen. Und die einzige Chance, sie jemals zu finden besteht, wenn ich in die USA gehe und nach ihr suche.“

Sie – ist meine Mutter. Eine, wie ich von Fotos zu wissen glaube, bildschöne Frau. Kaum ein Makel am Körper, kleine Lachfalten an den Augen. Kurze Zeit nach meiner Geburt packte sie ihre Sachen und war auf und davon. Als ich noch klein war erzählte Paps noch oft von ihr, damit ich sie in guter Erinnerung behalte, doch je älter ich wurde, umso seltener hat er sie erwähnt. Ich habe keine Erinnerung an sie, die nicht Paps erzählt hat. Ich habe nur die Bruchstücke in meinem Kopf, die er bereit war mit mir zu teilen, an die ich mich jedoch nicht aktiv erinnern kann. Sie war gebürtige Amerikanerin, sie hatte immer vor irgendwann zurück in ihre Heimat zu gehen und ich soll ihr unheimlich ähnlichsehen. Die Bilder in dem alten Fotoalbum, welches mir noch geblieben ist, bestätigen das. Zu meinem Glück kann ich zumindest aus ihrer Herkunft Vorteile ziehen, denn Paps hat gleich nach meiner Geburt die doppelte Staatsbürgerschaft beantragt. Zumindest werde ich dadurch keine Probleme haben eine Wohnung und einen Job zu finden. Wobei die Frage nach einer Unterkunft erst einmal nicht so dringend besteht.

„Ich wollte ja nur sicher gehen, dass du auch keine Zweifel hast. Aber eines musst du mir doch noch mal erklären. Warum muss es unbedingt diese Kleinstadt sein?“, will meine beste Freundin wissen.

„Weil sie dort geboren und aufgewachsen ist. Dort kennt sie sicher noch jemand.“ Damit wende ich mich von Carmen ab, denn diese Diskussion haben wir die letzten Wochen zur Genüge geführt. Scheinbar findet Carmen es irrational von mir, in dem Geburtsort meiner Mutter mit der Suche zu beginnen.

„Weiß Kara eigentlich, dass du mich begleitest?“, nehme ich nach einer Weile wieder das Gespräch auf.

„Natürlich weiß sie es.“, entgegnet Carmen leicht genervt. Sie und Kara waren nie wirklich gute Freunde, ich war immer das Bindeglied zwischen ihnen. Kara haben wir in unserer Zeit an der Oberschule kennengelernt. Sie hat ein Austauschjahr bei uns gemacht, schnell haben wir einen guten Draht zueinander gefunden. Mittlerweile verbindet uns eine enge Freundschaft, die wir vor allem per Email und dem Handymessanger Dienst pflegen. Kara ist es, die mich bei sich, besser gesagt im Haus ihrer Mutter, aufnimmt, bis ich Fuß fassen kann. Bei unserem letzten Gespräch vor zwei Tagen, hat sie mir zugesichert, mir bei der Jobsuche behilflich zu sein.

„Ohne ihre Hilfe hätte ich meinen Urlaub gar nicht richtig planen können.“, fährt Carmen fort. „Wir haben in den letzten Wochen mehrfach miteinander gesprochen und ich denke, wir verstehen uns nun viel besser als damals in der Schule.“ Erleichtert lasse ich mich in den gar nicht so unbequemen Sitz des Flugzeugs sinken. Schrecklich wäre es gewesen, wenn Carmens Erscheinen einen Streit provoziert hätte. Mir liegt auf der Zunge, mich danach zu erkundigen, wie Carmen das Geld für den mehrstündigen Flug aufbringen konnte. Doch ich halte mich zurück, bin einfach froh, dass sie bei mir ist. Mich selbst kostet der Plan auszuwandern meine gesamten Rücklagen. Umso dankbarer bin ich, dass Kara mir, ohne zu zögern ihre Hilfe angeboten hat. Es war wirklich ein glücklicher Zufall, dass die Austauschschülerin ausgerechnet aus der Stadt stammt, in welcher meine Mutter aufgewachsen ist.

Während es über den Wolken Frankreichs, wir haben gerade den Flughafen Paris verlassen, dunkel wird, gehe ich in Gedanken noch einmal meine Reiseroute durch. Den obwohl ich in den vergangenen Wochen alles bis ins kleinste Detail geplant habe, geht es mir doch besser, wenn ich mir vor Augen führe, welche Punkte besonders wichtig sind und welche ein wenig mehr Zeit haben, um erledigt zu werden. Trotz der wirklich vorausschauenden Arbeit lässt mich ein Gefühl nicht los, ich hätte etwas vergessen, nicht berücksichtigt. Welchen Faktor habe ich außer Acht gelassen?

In Seattle werden wir von Kara abgeholt, von dort aus geht es weiter mit dem Auto runter nach Forks. Oder geht es hoch dorthin? Die Fahrt wird in etwa dreieinhalb Stunden dauern, je nach Stärke des Verkehrs. Wir landen am frühen Morgen in Seattle, werden als noch ein wenig vom Tag haben, bevor der Jetlag einsetzt und uns völlig aus der Bahn wirft. Ich habe mir viele Bilder von Forks im Internet angeschaut, bin gar nicht so abgeneigt von der Stadt. Die Anonymität der Großstadt hatte ich viele Jahre, es ist an der Zeit, auch diesen Teil zu ändern.

Immer mehr Fluggäste um mich herum löschen ihre kleinen Lampen über sich, klappen ihre kleinen Tische hoch, die Sitze im Gegenzug, soweit es möglich ist, nach hinten. Als ich zu Carmen hinüberblicke, hat auch sie die Augen bereits geschlossen, ihre Atmung geht regelmäßig, ihr Mund ist leicht geöffnet. Leise lache ich auf, als ich mich daran erinnere, dass mein Vater das ständige Atmen durch den Mund als Volkskrankheit der Großstädter bezeichnet hat.

Noch immer lächelnd über die Erinnerung, hole ich meinen super pinkenden MP3-Player aus der Handtasche zwischen meinen Füßen hervor und genieße die Musik meiner Lieblings-Boyband. Sie waren die Boyband der neunziger, klar, sie kamen erst nach New Kids on the Block, aber immerhin vor N*Sync – die Backstreet Boys. Wie oft habe ich doch mit meiner Cousine Tanja und Carmen – die es beide vehement leugnen – in meinem Zimmer getanzt, lauthals mitgesungen und immer wieder die Konzertvideos angeschaut! Eine schöne Zeit war es damals, als wir noch ein dreier Team waren, bevor meine Cousine sich von mir abgewendet hat. Natürlich wegen eines Mannes, nicht etwa, weil wir uns gestritten hätten. Denn das haben wir in all den Jahre nie getan. Doch kaum hat Tanja einen Mann kennengelernt, der ihr die Sterne vom Himmel versprochen hat, schon war ich abgeschrieben. Seufzend schließe ich meine Augen, versuche die Gedanken von meiner Cousine wieder wegzulenken. Es macht mich traurig und unweigerlich muss ich auch an Paps denken. Er hat sich gewünscht, dass ich nie nach ihr suchen würde. Doch diesen einen Wunsch kann ich ihm leider nicht erfüllen. Die Hoffnung, er möge es mir verzeihen, bleibt.

„Du wirst nicht fliegen! Das ist mein letztes Wort! Verstehe und akzeptiere endlich, dass sie uns nicht wollte!“ Die Verletzung, die hinter diesen Worten steckt, ist ihm deutlich anzusehen. Ohne Frage, er ist sauer auf mich, dass ich ihn mit diesem Thema so überfallen habe. Doch ich kann seine Worte nicht ohne Kommentar stehen lassen.

„Ach, jetzt wollte sie auf einmal UNS nicht mehr!? All die Jahre hast du mir doch erzählt, dass sie mich mitnehmen wollte, du aber den Kampf um mich gewonnen hast. Damals vor Gericht.“ Ich schreie ihm meine Worte entgegen, möcht am liebsten unsere Wohnung verlassen, doch er steht in meiner Zimmertür. Seit drei Jahren versuche ich dieser Diskussion aus dem Weg zu gehen. Drei lange Jahre führen wir immer und immer wieder das gleiche Gespräch, ich bin es einfach müde, ihm wieder und wieder meine Gründe zu erklären. „Paps, wenn du mich nicht gehen lässt, warte ich bis zu meinem Geburtstag. Und wenn es dann soweit ist, bin ich weg. Vielleicht sogar für immer.“ Ich drücke mich an ihm vorbei, er folgt mir, bleibt jedoch in der Küchentür schließlich stehen. Ich bin gerade dabei meine Schuhe anzuziehen, denn ich muss um jeden Preis hier raus. Muss einen klaren Kopf bekommen, ehe wir beide noch mehr Dinge sagen, die den anderen verletzen werden. Weit komme ich jedoch nicht, denn kaum liegt meine Hand auf der Klinke, lässt ein lautes Rumsen mich augenblicklich herumfahren. Wie in Zeitlupe sehe ich, wie mein Vater zu Boden sinkt.

Ich schrecke lautlos aus meinem Traum hoch. Warum nur verfolgt mich diese Erinnerung nach Monaten der Qual und Trauer immer noch? Ich bin ja gar nicht gleich gegangen, habe, wie versprochen, erst meine Ausbildung gemacht und fliege deshalb erst heute. Immerhin sind drei Jahre ins Land gegangen, ich bin Anfang zwanzig, langsam wird es doch nun wirklich Zeit, meine Mutter kennenzulernen.

„Ist alles in Ordnung?“ Carmen schaut mich besorgt an, streicht mir sanft über den Handrücken. Mit einem Nicken entziehe ich ihr meine Hand, schalte die Musik wieder an. Nach wenigen Takten der Musik nehme ich den Kopfhörer im linken Ohr wieder heraus und wende mich meiner Freundin zu.

„Wie lange müssen wir wohl noch in diesem Flieger sitzen?“, frage ich erschöpft. Die letzten Wochen, das lange Sitzen und der Traum zehren an meinen Kräften.

„Etwa drei Stunden noch. Du hast ziemlich fest geschlafen. Willst du etwas essen?“ Noch immer guckt Carmen ganz besorgt. Auf ihre Frage hin schüttele ich den Kopf. Nein, nach esse ist mir nun wirklich nicht. Carmen schaut mich an, hakt aber nicht weiter nach. Sie weiß ohnehin, was ich geträumt habe, denke ich. Doch sie weiß eben, dass es keinen Sinn macht, mich mit Fragen zu löchern.

Die dreizehn Stunden Flug vergehen schneller, als man meinen mag. Als wir ins Seattle aus dem riesigen Flugzeug steigen, ist es Vormittag zehn Uhr. Die Sonne steht schon hoch am Himmel und der Wetterbericht im Flieger kündigte zwanzig Grad Celsius an. Es scheint ein wirklich schöner Juni Tag im sonst so verregneten Staat zu werden. Ausgeschlafen sind wir natürlich nicht, als wir das Flugzeug verlassen, ist es doch sehr unbequem in einem solchen zu schlafen. Außer man fliegt erster Klasse, doch das liegt weit über unserem Budget.

Kara erkennt man schon von weitem. Die großgewachsene Blondine, die locker als Model arbeiten könnte, es aber vehement ablehnt auf Burger, Chips und Co zu verzichten, steht in der Ankunftshalle und hält nach uns Ausschau. Neben ihrer leuchtend blonden Mähne wirken meine naturbelassenen braunen Haare mehr als langweilig. Gegen Carmen stinken wir allerdings beide ab. Ihre wirklich sehr natürlichen lila Haare ziehen von jedem Passanten, der unseren Weg kreuzt, die Blicke an. Vor zwei Wochen waren sie noch grau, letzten Monat glänzten sie in einem schimmernden Nachtblau. Sie ist ein Paradiesvogel und wird es nicht müde, sich immer wieder neu zu erfinden. Auch ihre zahlreichen Tattoos, die meisten zeigen Rosen in Kombination mit anderen Motiven, unterstützen ihre Wirkung auf Menschen. Carmen verarbeitet mit ihrer Körperkunst wichtige Lebensabschnitte. So ziert ein riesiger Totenkopf ihren rechten Oberschenkel, mit eingearbeitet die Sterbedaten ihres Onkels und ihrer Oma. Sie will ihre Familie damit ehren. Ich bin weniger mutig, trage nur ein einziges Tattoo an meiner rechten Wade, eine Hommage an meinen Vater.

Nachdem Carmen und ich endlich unsere Koffer haben, stürmen wir auf Kara zu, verharren in einer festen Umarmung.

„Es tut mir unendlich leid, mit deinem Vater.“, flüstert sie mir zu. Ich wispere ein danke, setze ein Lächeln auf, welches sich natürlich völlig falsch anfühlt und schiebe sie ein Stück von mir.

„Gut siehst du aus.“, erkläre ich mit einer Handbewegung über ihren Körper. „Das College scheint dir wirklich gut zu bekommen. Welches Semester hast du gerade abgeschlossen?“

„Das zweite erst, aber ich habe mir nach der High School ja auch erst eine Auszeit genommen, gejobbt und überlegt, was ich eigentlich vom Leben will.“, erklärt sie mir, winkt uns währenddessen in Richtung Parkplatz. Karas unscheinbarer Toyota Corolla bietet gerade genug Platz für unsere kleinen Koffer und uns drei. Die Fahrt nach Forks ist lang, aber wir werden es wohl unbeschadet überstehen, denke ich mit einem Schmunzeln. „Wir mache noch einen kleinen Umweg zu Walmart, ich muss noch etwas besorgen. Aber ihr könnt im Auto bleiben.“ Kara startet den Wagen, nachdem Carmen auf die Rückbank und ich auf den Beifahrersitz geklettert sind. Wenige Sekunden später ist Carmen schon eingeschlafen, was ich mir tunlichst untersage. Ich muss wach bleiben, bis zum Abend, in der Hoffnung, der Jetlag wird dadurch ausbleiben.

„Wie war der Flug?“, fragt Kara leise.

„Lang, aber sonst gut.“, gebe ich mit Blick aus dem Fenster zurück. „Danke, dass du mich bei dir aufnimmst, bis ich mir etwas Eigenes leisten kann. Ich werde mich gleich Montag auf die Suche nach einem Job machen.“ Kara schüttelt schmunzelnd den Kopf.

„Keine Eile, Sarah. Meine MOMS sagt, dass du so lange bleiben kannst, wie du möchtest. Sie ist gerade mit ihrem Freund auf einer Weltreise, dass wird noch einige Zeit dauern, bis sie zurückkommen. Also bleib entspannt.“ Ich bin gerührt von der Gastfreundschaft, die mir geschenkt wird, obwohl Karas Mutter mich nicht einmal kennt. Schweigend fährt Kara weiter, bis sie auf den Parkplatz von Walmart einbiegt und einen schattigen Parkplatz ansteuert. Ich steige mit aus, möchte meine müden Beine ein wenig vertreten, Carmen lassen wir schlafen.

„Soll ich dir etwas mitbringen?“, fragt Kara, ehe sie los geht.

„Ich würde alles für einen Kaffee geben.“, gebe ich seufzend zurück.

„Sollst du haben.“ Kara lacht und geht schnellen Schrittes zum Eingang. Ich blicke mich ein wenig um. Die umliegenden Geschäfte wirken von außen sehr gepflegt, ebenso die Wohnhäuser. Die Sonne strahlt im schönsten gelb vom Himmel, die Temperatur ist sehr angenehm. Ich ziehe meine knopflose Strickjacke aus, schmeiße sie unachtsam in den Wagen.

„Du hast Publikum.“, grinst Kara, die mir einen der zwei Kaffeebecher hinhält, welche sie trägt. Erschrocken schaue ich in die Richtung, in welche sie deutet. Sie hat Recht. In einer kleinen Gruppe von offensichtlich getunten Wagen stehen mehrere Jungs beisammen. Sie blicken zu uns herüber, einer hebt zum Gruß seinen Arm. Kara imitiert, zu meinem Schock, diese Geste und winkt ihm heftig zu.

„Was machst du denn?“, entfährt es mir schockiert. „Wir sind doch keine fünfzehn mehr!“ Ich finde, dass Kara keinen fremden Männern winken sollte, auch wenn sie scheinbar im ähnlichen Alter wie wir sind. Zu Hause würde niemand auf die Idee kommen, zumindest nicht, wenn man die zwanzig hinter sich gelassen hat. Immerhin weiß man nicht, um was für Typen es sich handelt.

„Sarah, entspann dich. Ich kenne die Typen schon seit der Junior High. Der, der gerade zu uns herüberkommt, geht auf das gleiche College, wie ich. Also alles gut.“

Ich merke, wie mein Gesicht rot wird, als der schlanke dunkelhaarige Junge vor uns stehen bleibt. Das nimmt mir nichts meiner Unsicherheit. Ich kann gut mit Menschen umgehen, mit Kindern besser als mit Erwachsenen, gleichaltrige sind noch gerade so okay. Aber wenn diese Menschen, egal welchen Alters, kann ich nicht wirklich locker sein. Ich brauche ein wenig Zeit, um mich an neues zu gewöhnen.

„Hey Kara! Wo warst du gestern?“ Ohne mich zu beachten geht der junge Mann an mir vorbei und nimmt Kara kurz in den Arm. Sein rotes Muskelshirt ist verwaschen, ebenso seine blaue kurze Sporthose.

„Sorry, Will, aber ich habe gerade meine zwei Freundinnen vom Flughafen abgeholt. Da wäre eine vorangegangene Partynacht nicht hilfreich gewesen.“ Sie deutet auf mich und auch auf Carmen, die noch immer tief und fest schläft. „Das ist Sarah. Sarah, das ist Will, ein guter Freund von mir. Die Sabberfee auf meiner Rückbank ist Carmen.“ Will gibt mir die Hand und nickt mir zu, wendet sich sofort wieder Kara zu.

„Du kommst aber nachher zum BBQ, oder? Bring deine Mädels ruhig mit. Brian ist gestern nach Hause gekommen, das wollen wir ordentlich feiern. Es werden alle da sein.“ Ohne auf eine Reaktion meiner Freundin zu warten, dreht er sich um und geht. Plötzlich wendet er sich noch einmal um und grinst von einem Ohr zum anderen. „Ich zähl auf dich, Kara! Enttäusch mich nicht.“ Ich schaue ihm nach, beobachte, wie sein dunkles Haar in der Sonne glitzern. Seine recht blasse Haut steht im starken Kontrast zu seinen Haaren. Er passt ziemlich genau in Carmens Beuteschema.

„Mach dir keine Hoffnung, er hat eine Freundin am College und würde ihr nie fremd gehen. Sein Bruder hingegen ist Single. Und ist, im Gegensatz zu Will, auch nur zwei Jahre älter als du.“ Kara zwinkert mir zu, was ich erwidere.

„Na dann sag das mal Carmen. Er ist nämlich genau ihr Typ. Ich habe zurzeit kein Interesse an Männern.“

Wir steigen lachend wieder in den Wagen und legen die restlichen fünfzehn Minuten Fahrzeit zurück. Ich betrachte weiterhin die Umgebung meiner neuen Heimat.

Wir machen noch einen weiteren Stopp zum Tanken, neunzig Minuten später stehen wir vor Karas Elternhaus. Einige Häuser kamen mir aus dem Fernsehen bekannt vor, aber mich interessiert es herzlich wenig, wer wann hier seinen Durchbruch gefeiert hat. Ich bin aus ganz eigenen Gründen hier gelandet, will ein Stück meiner Geschichte finden.

Das Haus ist gar nicht mal so klein, wie ich finde. Die äußere Fassade ist schlicht weiß gestrichen, weder an der Tür noch an den Fensterläden findet man einen Farbklecks. Erdgeschoss und erster Stock werden von einem schwarzen Dach geschmückt. Es wirkt von hier draußen alles ziemlich kühl.

Kara führt mich hinein und durch das Haus. Unten befinden sich die große offene Wohnküche und eine kleine Gästetoilette. Über eine Treppe, gleich an der rechtsliegenden Wand im Wohnbereich, gelangt man in den ersten Stock. Hier befinden sich die Schlafzimmer, ein Masterbad im Elternschlafzimmer, sowie zwei jugendlich eingerichtete Zimmer, welche sich ein Badezimmer teilen. Ganz am Ende des Flurs befindet sich ein weiteres Zimmer mit kleinem Duschbad. Neben der Garage unten ist auch noch Platz für einen Wirtschaftsraum. Ich bin von der Größe des Hauses absolut überwältig. Es ist wunderschön, obwohl es sehr kühl wirkt. Alles es in hellen Farben eingerichtet, kaum etwas hängt an den Wänden. Zumindest im unteren Bereich des Hauses. Hier oben werden die Wände von zahlreichen Fotos geschmückt.

„Ich dachte, in den Zimmern meiner Brüder seid ihr gut aufgehoben.“, bricht Kara das Schweigen zwischen uns. „Ihr müsst euch zwar ein Bad teilen, aber wenn Carmen wieder abreist, hast du alles für dich allein. Meine Mom hat dir vor ihrer Abreise ein Handy gekauft, es liegt unten in der Küche. Außerdem hat sie dir ihre Autoschlüssel dazugelegt. Du wirst es spätestens brauchen, wenn ich im September wieder zum College muss.“ Kara verlässt mein Zimmer, bevor ich irgendetwas zu ihren Informationen sagen kann. Gern hätte ich mich bedankt, versichert, dass ich mir schnell einen Job und eine Wohnung suchen werde. Doch nun fällt bereits die Tür leise ins Schloss. Erschöpft von der langen Reise lasse ich alles stehen und falle auf mein vorrübergehendes Bett. Da ich nicht einschlafen möchte, weil es einerseits noch früh am Tag ist, andererseits sind wir ja auch zum BBQ eingeladen, nehme ich mein Handy zur Hand und schreibe eine Nachricht.

Bin gut angekommen. Melde mich, wenn es bei dir nicht mitten in der Nacht ist.

Nachdenklich betrachte ich meine Worte, überlege, warum ich ausgerechnet ihr eine Nachricht schicken sollte. Niemand hat sich nach dem Tod von Paps noch dafür interessiert, was ich vorhabe. Kurzentschlossen lösche ich die Nachricht an meine Cousine wieder und lege das Handy weg. Vermutlich wäre dies die letzte Nachricht gewesen, die ich von meiner deutschen Nummer aus geschrieben hätte. Ein zaghaftes Klopfen unterbricht meine Gedanken.

„Sarah? Darf ich reinkommen?“ Die Tür öffnet sich bereits und Carmen setzt sich zu mir auf das Bett. „Vielen Dank fürs wecken.“, grinst sie.

„Du hast so friedlich ausgesehen, ich habe es einfach nicht übers Herz gebracht.“, erkläre ich schulterzuckend.

„Ist schon gut. Kara ist eben was einkaufen gefahren, sie erzählte, wir wäre zu einer Grillparty eingeladen. Wir sollen uns langsam fertig machen, wenn sie zurückkommt, wollen wir gleich los.“

Schnell erzähle ich Carmen, was für ein Typ uns eingeladen hat, denn ich weiß, auch, wenn sie nicht danach fragt, möchte sie es doch wissen. Als ich mit meinem Bericht fertig bin, verschwindet Carmen im benachbarten Zimmer, um sich umzuziehen. Auch ich stehe wieder aus dem Bett auf und überlege, wann ich das letzte Mal zu einer Party eingeladen wurde. Ich habe viele Partys besucht, aber immer waren die gleichen Leute anwesend. Noch nie wurde ich von einem völligen Fremden eingeladen. Nun, wenn Kara nicht dabei gewesen wäre, wäre ich vermutlich auch nicht gefragt worden und sicherlich empfindet sie es ähnlich, hier werden sich auch immer die gleichen Leute treffen.

„Nun beeilt euch doch mal!“ Kara ruft zum gefühlten zehnten Mal nach Carmen und mich. Während wir uns für das BBQ fertig gemacht haben, war sie noch ein paar Sachen besorgen, hat sich selbst fertig gemacht und noch etwas gegessen. Das alles in nicht mal vierzig Minuten. Sorgfältig habe ich mir Kleidung herausgesucht und als Carmen dann endlich im Bad fertig war, konnte auch ich endlich duschen gehen. Ich habe die Zeit unter dem warmen Wasserstrahl der Duschbrause genossen, konnte einfach kein Ende finden, weshalb es irgendwie meine Schuld ist, dass Kara uns nun mit ihrer Ruferei nervt.

Als ich nun endlich die Treppe hinunter gehe, klopft es an die Tür.

„Komm rein, Will!“, höre ich Kara rufen. Will stellt sich meiner besten Freundin vor, die unsere erste Begegnung verschlafen hat, und fordert uns auf in seinen Wagen zu steigen.

„Du hättest uns wirklich nicht abholen müssen. Ich kenne den Weg, falls du es vergessen hast.“ Kara knufft ihn freundschaftlich in die Seite. Der Angesprochenen steigt nun ebenfalls ein, startet und biegt mit nicht wenig Schwung um die erste Straßenecke. Ich schaue auf die Straßenschilder, versuche mir den Weg einzuprägen. Wer weiß, vielleicht wird mir das irgendwann mal nützlich sein. Will fährt die 8thAVE bis zur K Street, biegt links ab und kommt vor einem schlichten weißen Haus zum Stehen. Beim Aussteigen ist bereits laute Musik aus dem Garten zu hören, auf dessen Tor Will zielstrebig zugeht. Ich erkenne das Lied als eines aus einem Paul-Walker-Film. Es passt zu Wills Auto, muss ich lächelnd feststellen. Der Silber farbene Honda erinnert stark an ein Auto aus dem ersten Teil der Filmreihe. Noch immer schmunzelnd betrete ich den Garten hinter meinen Freundinnen, durch das weiß gestrichene Tor neben der Garage. An einem langen Tisch, der problemlos auf dem Oktoberfest hätte stehen können, sitzen ein paar Mädchen und Jungen, alle in etwa in unserem Alter, vielleicht maximal zwei Jahre älter. Einige Meter entfernt stehen noch ein paar Jungs vor einem Grill. Kara stellt uns der Reihe nach allen vor, aber ich versuche mir nicht die Namen aller zu merken. In der Kürze der Zeit ist es mir schlichtweg unmöglich. Ich lasse in aller Ruhe den Blick über die Anwesenden schweifen, kann Carmen ansehen, als ich sie schließlich anblicke, dass sie wie ich erleichtert ist. Erleichtert, dass die Mädchen um uns nicht anders gekleidet sind, als wir selbst. Im Vorfeld hatte ich Panik, wir könnten zu viel anhaben.

„Zum Glück laufen hier nicht alle nackt herum.“, wispert sie mir zu, als wir uns einem Jungen gegenübersetzen, der Will zum Verwechseln ähnlichsieht. Es muss der Bruder sein, von dem Kara mir erzählt hat.

„Welche Geheimsprache benutzt ihr da?“, grinst er uns an. Mir war nicht bewusst, dass Carmen deutsch mit mir gesprochen hat, denn bisher haben wir uns mit Kara ausschließlich auf Englisch unterhalten. Unsere Freundin haut ihm leicht auf den Hinterkopf.

„Erkennst du kein Deutsch, wenn du es hörst?“, schallt sie ihn mit einem Augenzwinkern. „Sarah, Carmen, das ist Nathan, der jüngere Bruder von Will.“, stellt Kara uns noch vor, ehe sie ins Haus verschwindet, um eine Runde zu drehen, wie sie es nennt.

Carmen übernimmt sofort die Gesprächsführung, erzählt Nathan woher wir kommen, warum wir hier sind und wie lange sie bleibt. Mich lässt sie aus dem größten Teil der Berichterstattung raus. Muss schließlich nicht jeder wissen, dass ich auf der Suche nach der Frau bin, die mich als Baby im Stich gelassen hat.

Da meine Beteilung an dem Gespräch nicht übermäßig gefordert ist, schaue ich mir die anderen Gäste noch ein wenig genauer an. Ich bin wirklich erleichtert, dass die Mädels mehr tragen, als uns Hollywood immer glauben machen will. Wie ich so meinen Blick wandern lasse, fällt mir das Gartentor wieder ins Auge. Von dieser Seite ist es naturbelassen in einem dunklen Holz. Scheinbar hat da jemand die Lust am Streichen verloren. Just in diesem Augenblick schwingt das Tor auf, ein großer junger Mann betritt den Garten und begrüßt alle nach einander. Als letztes klatscht er Nathan auf die Schulter und lässt sich neben ihm nieder. Er nickt Carmen und mir zu, ohne ein Lächeln, wendet sich direkt an Nathan.

„Alles klar?“, fragt er mit dunkler Stimme.

„Ja, alles bestens. Man, Brian, wo warst du denn so lange? Will hat schon vor Stunden mit dir gerechnet. Warst du schon bei deinem Grandpa, wegen dem Vergaser?“ Brian gibt keine Antwort, greift nur an Nathan vorbei und trinkt aus dessen Becher. Scheinbar wundert sich Nathan kein bisschen über diese Reaktion, deutet auf uns und stupst seinen Sitznachbarn an. „Das sind Carmen und Sarah. Sie sind aus Deutschland. Carmen bleibt zwei Wochen.“ Dümmlich lächelt Carmen ihm zu. Offensichtlich haben sich da zwei gefunden. Brian nickt nur wieder, steht auf und geht zu Will und Kara rüber, die mittlerweile bei den Jungs am Grill stehen. Na, das war deutlich, denke ich und kann mir ein Schnauben nicht verkneifen. „Ignoriert ihn. Brian ist zu jedem so.“, erklärt Nathan, als ob das sein Verhalten entschuldigen würde.

„Ich gehe mich mal ein wenig umsehen.“, flüstere ich Carmen nach einer Weile zu und verschwinde.

Durch eine große gläserne Schiebetür betrete ich das Wohnzimmer. Es ist schlicht, aber schön. Eine schwarze Couch steht gegenüber einem riesigen Fernseher. Von meiner Position aus kann man ein Stück die Treppe hochschauen – man sieht aber lediglich eine weiße Tür – und in die Küche blicken. Diese ist modern, die Oberflächen sind alle Hochglanz. Ein großer Tisch mit Platz für acht Personen nimmt den meisten Raum ein. In der mit Wasser und Eiswürfeln gefüllten Spüle liegen einige Limo- und Wasserflaschen. Was gäbe ich jetzt für einen Sekt, doch ich habe noch nirgends etwas entdeckt, was annähernd an Alkohol erinnert. Neugierig öffne ich ein paar Schranktüren, sowie den Kühlschrank. Nichts – außer Essen und Energy Drinks. Die Filme haben mir wirklich ein völlig falsches Bild vermittelt.

„Suchst du etwas bestimmtes?“ Ich schrecke auf, drehe mich zu der tiefen, leicht kratzigen Stimme. Brian steht an den Türrahmen gelehnt und schaut mich grimmig an.

„Oh … ja … ähm, nein. Eigentlich suche ich die Toilette.“ Innerlich haue ich mir vor die Stirn. Ich mache Baby und ihrer Wassermelone wirklich Konkurrenz.

„Im Kühlschrank?“ Ein Grinsen stiehlt sich auf sein Gesicht, weshalb ich laut lachen muss. „Ich bin Brian.“

„Ja, ich weiß, wir wurden einander draußen vorgestellt.“ Brian mustert mich von den Füßen aufwärts. An meinem Dekolleté bleibt er einen Moment hängen, bis er mir endlich in die Augen schaut.

„Ganz recht, mein Gesicht ist hier oben.“ So schlagfertig kenne ich mich Fremden gegenüber gar nicht, doch Brian scheint es ohnehin nicht zu interessieren. Ich bin es auch von Zuhause gewohnt, dass die Jungs mein B-Körbchen – mit großer Tendenz zum C – mustern, nur nicht auf solch subtile Weise.

„Ja. Nat steht auf deine Freundin.“ Hallo fliegender Themenwechsel.

„So eine Sommerromanze soll der Seele bekanntlich guttun.“, gebe ich zurück.

„Wie lange bleibt ihr?“ Sein Blick entfernt sich, obwohl Brian mich noch immer direkt anschaut. Macht er sich etwa Sorgen um Nathan?

„Carmen bleibt zwei Wochen. Wie lange ich bleibe, steht noch nicht fest.“ Das ich ziemlich genau für immer hierbleiben will, muss ich ihm ja nicht sagen.

„Aha.“ Mehr sagt Brian nicht dazu. Er dreht sich nur nickend um, verharrt allerdings an der Küchentür. „Das Bad ist oben, erste Tür rechts.“ Da stehe ich nun in einer fremden Küche, ohne einen Sekt, den ich jetzt wirklich gern trinken würde, und grüble darüber nach, was Brian eigentlich durch seine Frage erfahren wollte. Kann er mich nicht leiden? Will er vielleicht sogar, dass ich schnellstmöglich wieder in einem Flieger sitze?Das ist doch lächerlich! Er kennt mich doch überhaupt nicht. Er wollte sicher nur Konversation führen.

Da ich mittlerweile tatsächlich auf die Toilette muss, mache ich mich auf den Weg nach oben. Im Inneren des Hauses ist immer noch keine Menschenseele zu entdecken, deshalb lasse ich mir beim Händewaschen mehr Zeit, als es nötig gewesen wäre. Es ist beruhigend still hier oben, anders als der laut beschallte Garten.

Der Rest des Abends verläuft ruhig, sofern das mit der lauten Musik möglich ist. Diese Party ist wirklich so ganz anders, als man es aus Filmen und Büchern kennt. Wenn ich so an die Bücher über verliebte Collegestudenten denke, wie dort die Partys immer abgegangen sind, da haben mir vom Lesen schon die Ohren geschlackert. Während ich wieder mit Carmen und Nathan zusammensitze, erwische ich mich immer wieder dabei, dass ich Brian beobachte. Nicht, dass ich ihn sonderlich interessant finde, aber wie er dort drüben an der Terrasse steht und mit zwei Mädels spricht, die ihn ganz offen anhimmeln … nein, er weckt kein bisschen mein Interesse. Er ist ein gutes Stück größer als ich, überragt um mehr als einen Kopf meine ein Meter siebzig, hat dunkelblonde Haare, welche ziemlich kurz geschnitten sind. Seine Augen strahlen in einem hellen, eisähnlichen blau. Sein ganzes Auftreten erinnert an einen Surfer Boy, nicht wie jemand, der in einem verregneten Staat wie Washington lebt. Seinen Körperbau kann man unter seinem schlichten Shirt und seiner weiten Jeans nicht erkennen, aber seine Arme zeigen, dass er eher schlank und trainiert ist. Seine Adern sind gut zu sehen, vielleicht war er vorhin noch im Fitnessstudio.Weil ich auch Ahnung davon habe, wie man aussieht, wenn man trainieren geht.

Irgendwann, als es schon dunkel und auch ziemlich kühl geworden ist, beschließen meine beiden Freundinnen und ich, dass wir uns auf den Heimweg machen sollten. Bis auf die Tankstellen Jungs – Kevin und Andi – sind wir die letzten, die noch am Tisch sitzen. Carmen fällt es schwer, sich von Nathan zu lösen, obwohl ihr die Erschöpfung deutlich anzusehen ist. Brian, der Carmen gegenübersitzt, scheint genervt zu sein. Ob von unserer bloßen Anwesenheit oder wegen irgendetwas anderem, kann ich nicht sagen. Es kümmert mich auch nicht weiter. Er hat nicht noch einmal ein Gespräch zu mir gesucht, ich habe unterdessen versucht, ihn nicht allzu offensichtlich zu beobachten.

„Hey, Nat! Nun lass endlich mal von Carmen ab. Sie und Sarah sollten langsam ins Bett, sie haben einen langen Flug hinter sich.“ Kara bewegt sich auf das Gartentor zu, um ihre Worte zu verdeutlichen, ich folge ihr grinsend.

„Verdammt! Du hast recht. Los, Jungs, wir bringen die Mädels nach Hause.“ Nathan springt auf und greift sich Carmens Hand. Ihre roten Wangen sprechen Bände, diese Berührung stört sie kein bisschen. Will erhebt sich, geht gemeinsam mit uns auf den Gehweg zu. Kevin und Andi steigen in einen blauen Wagen, der vor der Tür hinter Wills Wagen steht, und rauschen davon. Haben wir uns eigentlich verabschiedet? Ich kann mich nicht erinnern, woran vielleicht meine einsetzenden Kopfschmerzen schuld sind. Brian schüttelt hingegen den Kopf, wendet sich ab und verschwindet im Haus.

Als ich am nächsten Morgen erwache, der kleine Wecker auf dem Nachttisch zeigt gerademal sieben Uhr an einem Sonntag – verdammt! - sind unten schon Stimmen zu vernehmen. Ich ziehe mir ein paar kuschelige Socken an und gehe in meinen Schlafsachen – Shorts und Tanktop – die Treppe hinunter. In der Küche begrüße ich Kara, Will, Nathan und –nanu– Brian mit einem fröhlichenGuten Morgen alle zusammen. Ich bin überrascht, alle vier hier zu sehen, wobei Brian, trotz seines ablehnenden Verhaltens, natürlich zu Karas Freundeskreis gehört. Kara reicht mir eine gefüllte Kaffeetasse, mit welcher ich mich gegen die Küchenzeile lehne.

„Ich hätte wetten können, du würdest heute länger schlafen.“, erwidert Kara meinen Gruß lächelnd.

„Hatte ich eigentlich auch vor, aber irgendwer hat diesen wirklich guten Kaffee gekocht und sein Duft hat mich geweckt. Tja, und wenn ich einmal wach bin, kann ich leider nicht mehr schlafen.“

„So schläfst du?“, grinsend wackelt Will mit den Augenbrauen, mustert mich von Kopf bis Fuß.

„Vorsicht, junger Mann! Ich bin noch bei meiner ersten Tasse, da kenne ich noch keinen Spaß.“, gebe ich grinsend zurück.

„Ja, das kann ich bestätigen! Sie ist ein wahrer Morgenmuffel!“, mischt sich Kara wieder ein. Ich bedenke sie mit einem bösen Blick, welche sie mit einem Luftkuss beantwortet.

„Um deine Frage zu beantworten, mit aller Höflichkeit, die ich um sieben Uhr am Morgen aufbringen kann: Ja, ich schlafe immer in einem solchen Outfit, egal wie warm oder kalt es draußen sein mag. Es stört dich? Dann schau halt woanders hin.“ Will grinst mich nur an, schiebt einen Stuhl mit seinem linken Fuß vom Tisch und deutet mir, mich zu setzen. Wir haben schon gestern in einem lockeren Ton miteinander sprechen können, was ich sehr angenehm finde. Kara hat mir bereits erzählt, dass er eine Freundin am College hat, dies merkt man in seiner Art mit mir und Carmen zu sprechen. Es sind keinerlei Hintergedanken zu spüren. Ich bin generell im Umgang mit vergebenen Männern lockerer, da ich kein blödes Anmachen zu befürchten habe.

„Meinst du, Carmen kommt auch gleich runter?“, will Nathan verlegen wissen.

„Darauf würde ich nicht setzen. Sie ist allgemein eine Langschläferin und nicht so scharf auf Kaffee, wie ich zum Beispiel. Du kannst gern hoch gehen und sie versuchen zu wecken.“ Schmunzelnd beobachten wir, wie Nat sich erhebt und unsicher zur Treppe guckt. Während er noch zögert, fangen wir laut an zu lachen, selbst Brian, der noch nicht einen Ton von sich gegeben hat. Scheinbar peinlich berührt setzt Nat sich wieder zu uns an den Tisch. Kara lehnt noch immer an der Anrichte, wie ich zuvor und verschluckt sich fast an ihrem Kaffee.

„Was steht heute an?“, wende ich mich an meine Freundin, um ihre Aufmerksamkeit von Nat zu lenken.

„Keine Ahnung, soweit waren wir noch nicht. Ich habe auch gar nicht erwartet, dass du so früh aufstehen würdest. Ehrlich gesagt bin ich noch nicht mal sicher, ob wir etwas zum Frühstücken dahaben.“ Es scheint ihr sehr unangenehm zu sein, dass sie dies zugeben muss, denn sie knetet immer wieder ihre Hände.

„Mach dir keinen Kopf.“, winke ich ab. „Essen am Morgen wird am Allgemeinen überbewertet. So lange ich nachher Mittag und Abendessen bekomme, ist alles gut.“ Meine Freundin atmet erleichtert auf, auch, weil Will und Nat beginnen, mir Unmengen an Fragen über meine Heimat zu stellen. Ziemlich bald werde ich eintönig in meinen Antworten, da ich nicht zu viel über Zuhause nachdenken möchte.

„Also, jetzt strengt mal eure Zellen an. Was machen wir heute?“, setze ich nach einer Weile wieder an. Kara war unheimlich lange mit ihrem Handy beschäftigt, hat sich irgendwann auf die Arbeitsplatte neben der Spüle gesetzt. Brian, noch immer auffallend schweigsam, sitzt mittlerweile neben Brian am Tisch, beachtet uns aber nicht weiter.

„Juli fragt gerade, ob wir mit ins Kino gehen.“, erklärt Kara und hält ihr Handy in die Höhe.

„Wenn Carmen Lust hat, kommen wir mit.“, begeistert sich Nat sofort. Will schüttelt grinsend den Kopf, berichtet derweilen, dass er zu seiner Freundin fahren wird.

„Da kannst du mit deinen kurzen Shorts nicht mitkommen.“, grinst er mich an. „Mein Mädchen würde mir die Hölle heiß machen.“

„Wenn ich sie wäre, würde ich dir schon für denmeinMädchenSpruch einen Satz heiße Ohren verpassen.“, lache ich. Mein Blick wandert erwartungsvoll zu Brian, der sich auch noch nicht geäußert hat. Überhaupt war es die ganze Zeit, als wäre er gar nicht anwesend. Doch auch jetzt sagt er nichts.

„Was ist mit dir? Worauf hast du Lust? Immerhin bist du, wenn Kara keinen Scheiß erzählt hat, das erste Mal in den Staaten.“, fährt Will fort.

„Keine Ahnung. Das fünfte Rad am Wagen werde ich sein, wenn die vier ins Kino verschwinden.“, lächelnd zucke ich mit den Schultern. „Und wie du schon sagtest, ich kann schlecht in meinen Shorts mit zu deiner Süßen fahren. Also, ich denke, ich werde mich mit der Couch ein wenig besser bekannt machen und den Stellenmarkt durchsehen. Ich brauche schnellstmöglich einen Job. Es scheint so, als wäre heute die perfekte Gelegenheit geboten.“

„Du wärst nicht das fünfte Rad ...“, setzt Nat an, doch mit erhobener rechter Hand bringe ich ihn zum Schweigen.

„Nat, das ist wirklich lieb, aber unnötig. Ich meine es nicht böse, aber ich habe echt keine Lust daneben zu sitzen, während ihr euch anhimmelt oder Gott weiß was macht.“ Kara lacht los und selbst Brian kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. Mein Blick ruht erneut auf ihm, denn dieses Lächeln stellt etwas Wundervolles mit seinem Gesicht an. Es nimmt ihm die Ernsthaftigkeit, gibt ihm etwas Jugendliches. Plötzlich schaut auch er mich unverhohlen an, doch ich kann nicht deuten, wie seine Stimmung ist. Sie scheint sich sekündlich zu ändern. Zu gern würde ich ihn fragen, was seine Pläne für den heutigen Tag sind, doch wer weiß, ob Suferboy mir überhaupt antworten würde.

„Was machst du heute, Brian?“, fragt Will, der scheinbar meine Gedanken lesen kann. Anstelle einer Antwort zuckt Brian nur mit den Schultern.

„Oh bitte, lass uns an deinen tiefsinnigen Gedanken und Plänen teilhaben!“, frotzelt Kara, wofür sie den Mittelfinger kassiert. Zunächst glaube ich, es würde bei dieser nonverbalen Antwort bleiben, doch Brian überrascht mich.

„Ich haue mich wahrscheinlich hin und gucke fern. Es ist schließlich Sonntag, verdammt! Und weil ich von euch geweckt wurde, damit Nat schnellstmöglich seine Süße wiedersehen kann, werde ich wohl deine Couch nehmen, Kara. Du bist schließlich irgendwie schuld daran, dass Nat sich gestern Hals über Kopf verliebt hat. Und ich erwarte eine Portion Popcorn, wenn ihr Heim kommt.“ Brian grinst meine Freundin an. Ich muss es ihm gleichtun, denn so viele zusammenhängende Worte habe ich nicht erwartet. Doch als seine Worte zu mir durchdringen, verblasst meine Fröhlichkeit. Er will sich hier vor den Fernseher legen? Aber er hat doch gerade gehört, dass ich diese Pläne verfolge. Hilfesuchend blicke ich Kara an, doch sie lacht nur.

„Na dann habt ihr ja ähnliche Pläne. Hoffentlich reicht die Couch für Sarah und dein aufgeblasenes Ego. Als ob du mitgekommen wärst, wenn du wirklich nicht gewollt hättest!“ Alle lachen los, nur Brian – Überraschung – zuckt mit den Schultern. Mit weichen Knien stehe ich auf, bewege mich zur Küche hinaus.

„Ich werde dann mal Carmen wecken. Hier wollt sicher noch Essen gehen vorher.“ Wie soll ich ohne die Unterstützung meiner Freundinnen den Tag mit Mister Wortkarg überstehen? Es wird ein einziger Krampf sein, die Stille wird sicher unendlich unangenehm. Einen ganzen Tag mit Brian, allein, der es nicht für nötig hält, mit mir zu reden. Das wird ja interessant. Oder einfach seltsam.

Zwei Stunden später machen Nat, Carmen und Kara sich auf den Weg nach Port Angeles. Sie wollen frühstücken, oder viel mehr brunchen, dann noch shoppen, ehe sie ins Kino gehen. Natürlich war Carmen gar nicht mehr zu stoppen, als ich ihr von den Plänen der anderen erzählt hatte. Insgeheim habe ich gehofft, sie würde mir zu liebe auf dieses Quasidate mit Nathan verzichten. Doch als sie es mir wirklich angeboten hat, habe ich ihr einen schönen Tag gewünscht. Schließlich ist sie nur zwei Wochen hier, da soll sie ihren Urlaub auch genießen.

„Und du willst wirklich nicht doch mitkommen?“, fragt sie mich nun zum gefühlt hundertsten Mal.

„Carmen, es ist völlig ok für mich, dass du deinen Urlaub genießen möchtest. Ich muss mir eh einen Job suchen. Je eher ich damit anfange, desto eher habe ich einen.“ Ich verabschiede mich von allen, außer Brian, der bekanntlich hierbleibt, und schließe die Tür hinter ihnen. Seufzend lehne ich meine Stirn gegen diese, versuche mich an die Atemübungen des Yoga Kurses, welchen wir in der Ausbildung belegt hatten, zu erinnern. Doch mein Herz wird einfach nicht ruhiger.

„Willst du einen Film gucken?“, holt Brian mich aus meinen Gedanken. Noch einmal seufze ich, gehe an ihm vorbei ins Wohnzimmer und lasse mich direkt in die Ecke der Couch sinken. Mein Kinn stütze ich auf meine angezogenen Beine, blicke auf einen Faden in der Couch. Brian setzt sich ebenfalls, grinst, sieht mich dabei aber nicht an.

„Was?“

„Ich habe nichts gesagt.“, gibt er zurück. Ich merke deutlich, dass er sich ein Lachen verkneift.

„Du guckst aber so, als würdest du gern etwas sagen wollen.“ So schnell werde ich nicht lockerlassen.

„Ich beiße nicht. Du musst dich nicht in die Ecke quetschen, wie ein geschlagenes Tier. Von dort aus kannst du den Film gar nicht richtig sehen. Das Licht blendet auf dem Fernseher.“ Ich würde ihm zu gern sagen, dass ich keine Lust habe, mit ihm einen Film zu gucken. Doch leider wäre es gelogen. Er geht so unglaublich locker mit mir um, als würden wir uns schon ewig kennen. Mit seiner linken Hand klopft er neben sich auf das Polster der Couch. Ich rücke ein wenig näher, doch behalte eine gute Armlänge abstand. Mit einem Kopfschütteln rückt Brian näher, bis sich schließlich unsere Beine leicht berühren. Ihm so nah zu sein, ist mir ein wenig unangenehm, schließlich kennen wir uns ja gar nicht. Doch irgendetwas sagt mir, dass ich mich vor ihm nicht fürchten brauche, dass er ein guter Kerl ist.

Brian drückt einige Knöpfe der Fernbedienung, bis schließlich der Film startet. Schnell taucht das Gesicht von Bradley Cooper auf, der einer guten Freundin das Verschwinden ihres Verlobten beichten muss. Ich erkenne den Film, habe ihn damals im Kino gesehen. Schweigend blicken wir auf den Fernseher, bis Brian irgendwann die Decke von der rechten Armlehne nimmt und über unsere Beine legt.

„Du siehst aus, als wäre dir kalt.“, kommentiert er meinen verwirrten Blick. Recht hat er, mir wurde wirklich so langsam frisch. Bevor sich die anderen auf den Weg gemacht haben, habe ich mir noch eine dünne Jogginghose und ein leichtes Top. Geduscht habe ich auch noch, denn ich hatte das Gefühl, noch immer den Geruch vom Flugzeug an mir haften zu haben.

Ich nicke zustimmend, ziehe mir die Decke bis über die Brust. Ohne, dass ich es bewusst gemacht hätte, ziehe ich die Beine an und lehne mich an Brian. Ich höre, wie er scharf die Luft einzieht, rutsche daraufhin, erschrocken über mich selbst, von ihm weg. Doch zu meiner großen Überraschung legt er einen Arm um mich und zieht mich wieder an sich.

„Schon ok.“, flüstert er, kaum hörbar und blickt stur auf den Fernseher.

Als der Film zu Ende ist, wir habe uns beide keinen Millimeter mehr bewegt, stehe ich auf und gehe in die Küche, um uns etwas zu trinken zu holen.

„Suchst du wieder die Toilette?“ Als ich zur Tür blicke, steht da ein grinsender Brian mit verschränkten Armen. Er lehnt lässig am Türrahmen, sieht dabei heiße aus. Auf seinem linken Unterarm ist ein Tattoo zu sehen, welches mir gestern nicht aufgefallen ist. Von weitem kann ich die Schrift nicht lesen, zu verschnörkelt ist sie. „Ich enttäusche dich nur ungern, aber auch in diesem Haus findest du kein Klo in der Küche.“

„Ich habe geschaut, was wir essen könnten, Blödmann.“ Auch ich muss bei der Erinnerung an meine gestrige Ausrede lachen. „Ich habe echt Hunger.“ Mit einem Blick auf die Uhr, weiß ich auch, warum mein Magen nach etwas Festem schreit. Es ist mittlerweile schon nach zwölf Uhr und ich habe seit der einen Wurst gestern Abend nichts mehr gegessen. Ich entscheide mich, ein bisschen Rührei zu machen, mit zwei Scheiben Buttertoast. „Möchtest du auch etwas?“, frage ich Brian. Er hat sich an den Tisch gesetzt, beobachtet jede meiner Bewegungen.

„Klar.“, antwortet er mit einem Schulterzucken. Mehr nicht, ein Wort und eine Geste.

„Du bist kein Mann der vielen Worte, oder?“, frage ich schmunzelnd. Einen so wortkargen Menschen habe ich noch nie erlebt. Selbst mein Vater sprach mehr. Als Antwort bekomme ich wieder nur ein Schulterzucken.

In aller Ruhe bereite ich das Essen, stelle Brot auf den Tisch und lege Besteck bereit. Als ich die Eier auf zwei Teller verteilt habe, setze ich mich, ohne etwas zu sagen, an den Tisch und beginne zu essen. Brian tut es mir nach und so essen wir schweigend. Währenddessen überlege ich, was ich mit diesem Tag heute anfangen soll. Ich kenne Brian gar nicht, weshalb es mir irgendwie unangenehm ist, ihn den Rest des Tages am Rockzipfel zu hängen. Offenbar hat Kara keine Probleme damit, ihn in ihrem Haus allein zu lassen. Vielleicht erkunde ich dann später einfach die Gegend, meine neue Heimat.

„Wie lange hast du vor in Forks zu bleiben?“, holt Brian mich überraschend aus meinen Gedanken. Sein Teller ist leer, mit einem Blick auf meinen, stelle ich fest, dass meine Gedanken mich vom Essen abgehalten haben. Seine Frage überrascht mich, habe ich doch gestern erst mit ihm darüber gesprochen.

„Ich weiß es noch nicht sicher. Mein Aufenthalt hat einen Grund, einen guten, wie ich finde. Aber ich bin mir noch unsicher, wie es weiter gehen wird, wenn ich alles erledigt habe.“ Sein Blick ruht auf mir, ich kann förmlich sehen, wie er die Frage, was der Grund ist, zurückhält. Seine Neugierde schein die Oberhand zu gewinnen.

„Was ist das für ein Grund?“ Obwohl ich mit dieser Frage gerade noch gerechnet habe, bin ich unschlüssig, ob ich ihm wirklich von der Suche nach meiner Mutter erzählen soll. Es ist kein Geheimnis, sowohl Carmen als auch Kara können ihm diese Information geben.

„Meine Mutter ist in dieser Stadt aufgewachsen. Ich weiß nicht, wo ich sonst die Suche beginnen soll.“, erkläre ich, sehe aber immer noch ein großes Fragezeichen in seinen Augen. Dieses blau fesselt mich und ich muss mich selbst stumm zur Ordnung rufen. „Ich suche sie. Als ich noch sehr klein war hat sie meinen Paps, und somit auch mich, verlassen, ist zurück in ihre Heimat gegangen. Ich habe nie wieder etwas von ihr gehört.“

„Und wenn du sie gefunden hast? Was machst du dann?“, will er wissen. Sein Interesse wirkt nicht echt.

„Das weiß ich eben noch nicht. Ich meine, genau genommen kenne ich die Frau nicht, die mich zur Welt gebracht hat. Zu Hause wartet auch nichts mehr auf mich. Ich muss es einfach auf mich zu lassen kommen. Einen Job finden, vielleicht eine kleine Wohnung, damit ich Kara und ihrer Familie nicht allzu lange auf der Tasche liegen muss. Ein Studium würde mich auch reizen, damit ich die Möglichkeit habe, wieder in meinem Beruf zu arbeiten. Wenn sich das alles ergeben sollte, werde ich vielleicht für länger hierbleiben.“ Dieses Mal bin ich es, die mit den Schultern zuckt.

„Was die Jobsuche betrifft, kann ich dir eventuell helfen. Mein Grandpa führt eine kleine Werkstatt hier in der Stadt. Er braucht schon seit länger Zeit Hilfe bei der Büroarbeit, vielleicht wäre das etwas für dich?“ Verdattert schaue ich ihn über den Tisch hinweg an. Kann es so einfach sein?

„Ernsthaft? Das wäre super. Mit Büroarbeiten kenne ich mich gut aus, so habe ich mir in Deutschland etwas dazu verdient.“, lächle ich Brian an. Seine hell funkelnden Augen liegen noch immer auf mir. Ich glaube, er hat seinen Blick noch nicht einmal von mir gewendet.

„Schon gut.“, sagt er, erhebt sich und räumt seinen Teller ab.

Nachdem auch ich endlich aufgegessen habe, räume ich die Küche wieder auf. Gerade, als ich das abgewaschene Besteck wieder in die Schublade räume, steht Brian plötzlich ganz dicht hinter mir. Unbewusst versteife ich mich leicht, kann nicht abschätzen, was jetzt kommen wird. Ich spüre, wie er meine Haare, die zu einem Pferdeschwanz gebunden sind, kurz zwischen seinen Fingern zwirbelt, die Hände dann auf meine Taille legt. Es fühlt sich merkwürdig an. Nicht negativ merkwürdig, eher vertraut, als würden wir uns kennen.

„Willst du noch einen Film schauen?“, wispert er an meinem Ohr. Lautlos atme ich aus, kann nur nicken. Ich bin angespannt bis in die Haarspitzen, kann mir nicht erklären, warum er für diese simple Frage so dicht an mich herankommen musste.

Als ich mich zu ihm auf die Couch setze, versuche ich ein wenig Abstand zu halten. Auch wenn sich seine Berührung in der Küche und sein Arm um meine Schulter während des Films vorhin nicht schlecht oder falsch angefühlt haben, kenne ich ihn doch erst wenige Stunden. Abstand ist eindeutig der richtige Weg. Bisher ist es wirklich ein sehr merkwürdiger zweiter Tag.

„Ich dachte, jetzt gucken wir einen weniger lustigen Film.“, erklärt Brian leise, schaut mich nicht an. Gespannt warte ich, für welchen Film er sich entschieden hat. Weniger lustig passt zu so vielen Werken. Noch bevor das Bild erscheint, erklingen die ersten Takte eines Tanzliedes, wodurch natürlich sofort weiß, welcher Film gerade startet.

„Du guckst mit mirDirtyDancing?“, frage ich überrascht.

„Magst du ihn nicht?“ Verwirrt schaut Brian mir in die Augen. Offenbar hat er diese Frage als letztes vermutet.

„Machst du Witze? Ich liebe diesen Film! Ich habe ihn mindestens schon eine Million Male geschaut!“, freue ich mich und lehne mich nun doch wieder an ihn. Nicht absichtlich natürlich, einfach aus einem Impuls heraus. Nach einer Weile, Baby erfährt gerade, dass Penny schwanger ist, zieht Brian seine Schuhe aus, streckt die Beine aus, wodurch die Füße nun auf dem kleinen Fernsehtisch liegen. Mich stört so etwas nicht, es macht Filme gucken nur noch gemütlicher. Ich finde es sehr angenehm mit ihm hier zu sitzen, als wären wir bereits gute Freunde. Gestern, ach was, heute Morgen habe ich ihn noch für einen arroganten Kerl gehalten, der keine neuen Leute in seinem Umfeld haben möchte. Der kein Wort zu viel sprechen möchte, egal, wer ihm gegenübersitzt. Jetzt denke ich, dass ich wirklich gern mit Brian befreundet wäre.

Nachdem wir noch zwei Filme geschaut haben bestellt Brian uns etwas zum Abendessen bei einem Pizzaservice. Sein Handy lässt er auf dem Küchentisch liegen, verschwindet kurz im Gästebad. Ich schaue mir noch einmal die Karte des Lieferservice an, überlege, ob ich wirklich die richtige Wahl getroffen habe. Unentschlossen lege ich den Flyer zurück auf den Tisch, als das Handy zu leuchten beginnt. Unweigerlich blicke ich auf das Display. Der Name Sue leuchtet in dicken Buchstaben auf. Da es mich nichts angeht, wer Brian anruft, außerdem kenne ich ja eh niemanden von seinen Freunden, lasse ich das Telefon klingeln, gehe an den Kühlschrank, um uns etwas zu trinken heraus zu holen. Gerade, als Brian die Küche wieder betritt, beginnt das Handy auf dem Tisch erneut zu vibrieren.

„Es hat eben schon einmal geklingelt. Vielleicht solltest du ran gehen, scheint wichtig zu sein.“, erkläre ich Brian und reiche ihm eine Cola Flasche. Er nickt mir zu, schaut auf das Display, welches noch immer leuchtet. Ein genervt klingendes Seufzen entfährt ihm.

„Ja?“, faucht er ins Telefon. Ich will nicht lauschen, weiß gerade eh nicht viel mit mir anzufangen, weshalb ich Brian allein lasse und mich wieder auf das Sofa setze. Er flüstert oder spricht sehr leise, denn ich kann nicht verstehen, was gesprochen wird. Doch als Brian sich wenige Minuten später neben mich auf die Couch fallen lässt, ist er verändert. Seine Augen leuchten nicht mehr, wirken eher wütend. Ich schalte einen Nachrichtensender ein, doch ich kann den Worten des Sprechers nicht folgen. Als es an der Tür klingelt, zucke ich leicht zusammen. Brian geht und bezahlt den Pizzajungen. Noch immer schweigend essen wir, jeder in seine eigenen Gedanken vertieft. Draußen beginnt es zu dämmern. Ich mag diese Zeit besonders, sei es am Abend oder am Morgen. Diese ganz spezielle Zeit, wenn es weder Tag noch Nacht ist. Es hat etwas Magisches. Der Himmel färbt sich, zeigt all seine Farben. Einige Tiere legen sich zur Nachtruhe, andere erwachen.

„Wo bist du gerade?“, holt Brian mich aus meinen Gedanken.

„Draußen.“, antworte ich knapp, begegne daraufhin seinem fragenden Blick. „Ich dachte gerade, wie gern ich diese Jahreszeit habe. Die Dämmerung, wenn das Licht sich in seinen wunderschönen Farben bricht.“ Brian nickt, als wüsste er ganz genau, was ich meine. Er erhebt sich schweigend, geht hinüber zur Couch, wendet sich erst dort wieder mir zu.

„Möchtest du noch einen Film gucken, oder bist du müde?“, will er mit monotoner Stimme von mir wissen.

„Ich würde gern noch einen gucken, auch wenn ich müde bin.“ Lächelnd gehe ich zur Couch. Der Tag vor dem Fernseher war schön, auch wenn wir einander völlig fremd sind. „Wenn du allerdings loswillst, musst du nicht bleiben. Ich meine, du hast sicher etwas Besseres zu tun, als in den Semesterferien mit mir hier auf der Couch vorm Fernseher zu hocken.“, schiebe ich schnell hinterher, damit er sich nicht verspflichtet fühlt zu bleiben. Brian jedoch zuckt nur die Schultern, greift sich die Fernbedienung für die Onlinevideothek und lässt sich in die weichen Polster sinken.

„Lustig oder gruselig?“, bricht er zwar das Schweigen, doch seine Stimme ist noch immer monoton.

„Gruselig, bitte!“ rufe ich erfreut. Ich liebe Gruselfilme, auch wenn ich danach nur schwer schlafen kann. Ich greife nach meinem Getränk, gespannt, welchen Film er anmachen wird. Gegen meine Erwartung zieht Brian mich wieder zu sich heran, legt erneut einen Arm um mich und startet den Film.

In mitten eines Waldes beobachten wir, wie ein Reh frisst, während die Stimme einer Frau beginnt zu sprechen.

„Das ist doch kein Gruselfilm!“ Empört knuffe ich Brian in die Seite, was er nur mit einem Grinsen quittiert.

„Natürlich ist es das. Sie verliebt sich schließlich in einen Untoten und das genau vor unserer Tür! Du solltest dich wirklich gruseln.“ Wir lachen gemeinsam über seine Auslegung des Films, gucken aber trotzdem weiter. Auf Englisch ist der Film um einiges besser, auch wenn ich im Geiste die deutschen Worte im Ohr habe. Nach einer Weile werden mir die Augen dann doch schwer und ich merke, wie mein Kopf gegen Brians Schulter sinkt. Immer wieder zucke ich zurück in meine alte Position. Natürlich bleibt es Brian nicht verborgen. Leise lachend beginnt er mit dem Daumen meinen Oberarm zu streicheln, bis ich mich schließlich geschlagen gebe und vom Schlaf übermannen lasse.

Ein stetiges Brummen holt mich langsam aber sicher aus meinen Träumen zurück. Etwas orientierungslos versuche ich auszumachen, was dieses Geräusch verursacht und ob ich es stoppen kann. Mit schweren Lidern blicke ich auf, überrascht, dass ich noch immer auf der Couch in Karas Wohnzimmer liege. Mein steifer Hals schränkt mich in meiner Bemühung den Kopf zu drehen ziemlich ein, doch immerhin kann ich in der Dunkelheit erkennen, dass auch Brian sich gemütlicher hingelegt hat. Tief schläft er an meiner Seite. Dem Drang ihn zu berühren widerstehend denke ich, dass er mich besser hätte wecken sollen, damit er hätte nach Hause fahren können. Noch bevor ich ihn wecken kann, klingelt sein Telefon. Offensichtlich kommt das Brummen von der eingeschalteten Vibration. Vorsichtig stupse ich Brian an.

„Dein Handy klingelt.“, flüstere ich, höre nicht auf ihn leicht zu ruckeln. Verschlafen und mit geschlossenen Augen greift Brian nach dem Telefon und nimmt ab.

„Ja? … Nein, ich bin noch hier … scheiße nein, ich setze mich jetzt nicht ins Auto und mache mich auf den Weg, was denkst du dir denn? … Ja, ich habe schon geschlafen und genau damit mache ich jetzt weiter!“, blafft er in den Hörer und legt anschließend einfach auf. Sein Mobiltelefon scheißt er unsanft auf den Couchtisch und wendet sich mir zu, verstärkt den Griff seines linken Armes, der mich noch immer festhält.

„Hi!“, lächelt Brian mich an.

„Hallo.“, antworte ich ein wenig eingeschüchtert durch seine ruppige Art von eben. Ich versuche mich aufzurichten, doch Brian lässt mir keinen Raum mich zu bewegen. Seine Augen sind schon wieder geschlossen, der Griff um meine Taille aber kein bisschen schwächer. Ich gebe mich geschlagen, bin selbst noch immer unendlich müde, weshalb ich mich wieder an seine Brust, an welcher ich eben scheinbar auch aufgewacht bin, sinken lasse und innerhalb von Sekunden wieder einschlafe.

„Guten Morgen!“, schreit jemand genau neben meinem Ohr. Ich schlage die Augen auf, schaue in das grinsende Gesicht meiner besten Freundin.

„Warum, in Gottes Namen, schreist du mir ins Ohr?“, flüstere ich, unsicher, ob Brian von Carmens Geschrei wach geworden ist, oder ob er noch immer schläft.

„Die viel interessantere Frage ist doch, warum du mit Brian hier auf der Couch liegst.“, grinst sie schelmisch. Ihr Lachen verstummt allerdings, als sie meinem genervten Blick begegnet. „Wir haben es schon leise versucht, also euch zu wecken, aber ihr schlaft, als wärt ihr tot.“

„Dann lasst uns doch, verdammt noch eins, einfach schlafen!“, blafft Brian und ich zucke vor Schreck zusammen. Hinter Carmen kann ich Nat lachen hören.

„Na bitte, beide sind wach! Dann können wir ja endlich mal auf die Couch. Los, rutscht!“ Brian und ich setzen uns umständlich auf, ich rutsch um einiges von ihm ab. Als Nat dann noch Anstalten macht, sich mit dem Kopf auf meinem Schoss nieder zu lassen, springe ich auf und gehe in die Küche hinüber. Brian tut es mir nach, bleibt aber an der Tür zum Flur stehen, schaut mich mit einem für mich undefinierbaren Blick an. Hinter ihm, von der Couch aus, kann ich sehen, dass Nat seinen Kumpel genaustens beobachtet.

„Ich fahre mal eben nach Hause. In etwa einer Stunde hole ich dich ab, dann können wir zu meinem Grandpa fahren und ihr könnt über den Job reden.“ Ich nicke Brian zu und trinke einen Schluck des Kaffees, den Nat und Carmen bereits gekocht haben müssen. Brian rührt sich nicht vom Fleck, scheint unbedingt eine verbale Antwort zu brauchen.

„Ok, bis gleich.“, sage ich deshalb, woraufhin er selbst nur nickt und das Haus verlässt. Ohne auf den neugierigen Blick von Carmen zu reagieren, gehe ich rauf in mein Zimmer. Ich wühle in meinem Koffer, suche ein ganz bestimmtes Shirt. Es hat quer über den Bauch, von der Hüfte bis zur Brust, einen Schmetterling, ist aus einem leicht rosa farbenen Stoff, dabei aber nicht aufdringlich und hat kurze Fledermausärmel. Als ich es endlich gefunden habe verschwinde ich im Bad, dusche und rasiere meinen Körper, wasche meine Haare und versuche meine aufsteigende Nervosität wegzuspülen. Dieser Tag kann tatsächlich der Beginn von meinem neuen Leben sein, wenn der Grandpa von Brian mir wirklich den Job geben sollte. Brian. Der Typ, den ich gar nicht kenne, von dem ich dachte, er würde mich gar nicht kennenlernen wollen, hilft mir, einen Fuß in Richtung Zukunft zu gehen. Während ich meine Haare föhne höre ich gedämpft das Läuten der Türklingel. Keine zwei Minuten später geht die Badtür auf und Carmen tritt ein.

„Ich soll dir sagen, wenn du dich nicht beeilst, kommt er rauf und trägt dich ins Auto. Er gibt dir maximal noch zwei Minuten, dann holt er dich, angezogen oder nicht.“, erklärt sie mir grinsend. „Seine Worte, nicht meine.“ Ich zucke nur die Schultern, mache mit dem Föhnen meiner Haare weiter. Als sie endlich einigermaßen trocken sind, mache ich mich auf den Weg nach unten.

„Können wir los?“ Kein hallo, kein Lächeln hat er für mich übrig. Sein Auftreten passt so gar nicht zu dem Brian von gestern Abend. Ohne zu antworten lege ich mir den Riemen meiner Tasche über die Schulter und gehe zur Tür hinaus. „Scheiß Laune?“, grinst Brian mich an, als er am Auto neben mich tritt.

„Nein, eigentlich im Gegenteil, aber da du dich dazu entschieden hast, die absolute Höflichkeit in Person sein zu wollen, hast du keine Antwort meinerseits verdient.“, sage ich ein wenig zu schnippisch und steige in das soeben von ihm geöffnete Auto. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie er noch immer grinsend, aber kopfschüttelnd um das Auto herum geht und hinterm Steuer Platz nimmt.

„Entschuldige bitte, wenn ich unhöflich gewesen sein sollte, aber du musst zugeben, dass du wirklich lange gebraucht hast.“

„Das ist echt eine ganz miese Entschuldigung. Wahrscheinlich die miesteste, die ich je gehört habe.“ Obwohl ich sauer auf ihn sein will, muss ich lachen. „Was ist das eigentlich für ein Auto?“, versuche ich von meiner kleinen Zickerei von eben abzulenken.

„Ein Lancer Evolution.“

„Ach so, ja klar, jetzt wo du es sagst.“, sage ich und rolle übertrieben mit den Augen. Brian beginnt schallend zu lachen, startet den Motor und fährt los.

„Sorry, ich setze irgendwie immer voraus, dass man dieses Auto erkennt. Aber du scheinst nicht viel von Autos zu verstehen.“, zwinkert er mir zu. „Das ist ein Mitsubishi Lancer Evolution. Ich bin gerade dabei ihn umzubauen, bis er aussieht, als wäre er direkt denFast and FuriosFilmen entsprungen.“ Ich frage mich, wo er das machen will, als er weiterspricht. „Mein Vorteil ist, dass die örtliche Werkstatt meinem Grandpa gehört und ich, wann immer ich möchte, dort an meinem Wagen schrauben kann.“ Er wackelt mit den Augenbrauen. Nach kurzer Zeit, die wir schweigend verbringen, parkt er sein Auto neben einer Werkstatt. Es ist ein kleines Gebäude neben einer ebenso kleinen Tankstelle direkt an einer Hauptstraße. Als wir die Werkstatt betreten, fällt mir die Kinnlade herunter, ich komme aus dem Staunen gar nicht mehr raus. Eine so ordentliche Werkstatt habe ich noch nirgends gesehen. Alles scheint seinen Platz zu haben, nichts liegt im Weg, keine Stolperfalle ist zu sehen. Dazu ist es unglaublich sauber – für eine Autowerkstatt. Wir gehen an einer Hebebühne vorbei durch eine offenstehende Tür, betreten scheinbar das Büro. Auf dem Schreibtisch hinter einem Brusthohen Tresen stapeln sich Papiere. Hier scheint es, im Gegensatz zur Werkstatt, keine Struktur zu geben. Ein älterer Mann betritt durch eine weitere Tür das Büro, nimmt schweigend Brian in die Arme, ehe sein Blick zu mir wandert.

„Guten Tag, du musst Sarah sein. Ich bin Joe, mir gehört die Werkstatt.“, stellt er sich mir vor. Ich begrüße Brians Großvater höflich, werde zu einer kleinen Sitzgruppe gebeten, die mir bisher nicht aufgefallen ist. Sie steht neben einer dritten Tür, welche hinaus zur Straße führt. Joe fragt mich viel, unteranderem, wie es um meine Arbeitserlaubnis bestellt ist und welche Erfahrungen ich in der Büroarbeit habe.

„Sehr schön, dann ist das ja geklärt.“ Erfreut klatscht Joe in die Hände, nachdem ich ihm alle Fragen beantwortet habe. „Wann kannst du anfangen?“

„Vielen, vielen Dank, dass du mir geholfen hast!“, sage ich zu Brian, als wir wieder an seinem Auto stehen. Schon morgen werde ich Joe in seiner Werkstatt unterstützen. „Die Krankenversicherung hättest du ihm aber nicht auch noch abschwatzen müssen.“