Saramee 6: Der Dieb - Karl-Georg Müller - E-Book

Saramee 6: Der Dieb E-Book

Karl-Georg Müller

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Beschreibung

Nachdem sein alter Lehrmeister Adall ermordet wurde, muss der junge Dieb Salil auf eigenen Füßen stehen. In seiner Bewährungsprobe schliddert Salil in das Abenteuer seines Lebens mit einem hinterlistigen Halunken, einem merkwürdigen Gelehrten und einer undurchsichtigen Schönheit. Und Salil schließt eine neue, sehr ungewöhnliche Freundschaft … Protagonisten in dem Roman Einleitung (Autor: Christoph Weidler) Morgan (Nebenfigur) Die Natter (Nebenfigur) Bofacht, der Alleshändler (Hauptfigur) Der Dieb (Autor: Karl-Georg Müller) Salil (Hauptfigur) Sinja (Hauptfigur) Druz Aberthal (Hauptfigur) Fefhredschharijari (Nebenfigur) Pappan (Nebenfigur) Bofacht, der Alleshändler (Hauptfigur) Selvo Turan (Nebenfigur) Adall Drago (Nebenfigur) Marie, die brave Kaari (Nebenfigur) Samrun (Nebenfigur) Mulan (Nebenfigur) Barosch (Nebenfigur) Völker in dem Roman Mensch Gayra

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Karl-Georg Müller

Saramee 6: Der Dieb

BookRix GmbH & Co. KG80331 München

Der Dieb

 

Saramee - Stadt der Vertriebenen

 

Der Dieb

Autor: Karl-Georg Müller

Einleitung

Einleitung

Christoph Weidler

Morgan musterte den neben ihm sitzenden alten Geschichtenerzähler. »Kara, deine Geschichten sind ja alle schön und gut, aber keine von ihnen hat auch nur eine Spur mit der Natter zu tun! Überall, wo man dich trifft, spekulierst du über die Identität dieses Mörders, aber im Grunde weißt du doch gar nichts von ihm – oder?«

»Das stimmt, aber das ist auch nicht wichtig«, schmunzelte Kara. »Dass es die Natter gibt, ist bewiesen, nur weiß überhaupt jemand, wer es ist? Das weiß wohl nur die Natter selber. Ich bin mir jedenfalls sehr sicher, dass wir noch einiges von diesem Mörder hier in der Stadt zu hören bekommen. Was wirklich wichtig ist: Die Leute sind, seit dem die Natter ihr Unwesen treibt, richtig spendabel geworden. Jeder will ein neues Gerücht hören und so mancher lässt dafür auch einen Krug Wetah springen. So wie du zum Beispiel es heute Abend reichlich getan hast! deine Neugier, was die Natter betrifft, ist ja ungemein groß.«

Morgan konnte sich das Lachen nicht länger verkneifen: »Kara, du bist ein abgebrühter Halunke! So kann man es natürlich auch sehen. Aber sei vorsichtig, nicht dass die Natter eines Tages denkt, du könntest zuviel über sie wissen.«

»Keine Sorge, ich bin mir sicher, sie wird besseres zu tun haben, als einen alten harmlosen Mann umzubringen und ihn dann mit abgeschnittenen Schlangenköpfen zu verzieren«, beruhigte Kara seinen Tresennachbarn. »Aber für alte Männer ist es jetzt bald an der Zeit nachhause zu gehen und sich in die Hängematte zu legen. Was hast du noch vor in dieser schwülen Nacht – besuchst du noch eine hübsche Frau und verdrehst ihr den Kopf?«

»Ich weiß nicht, sicherlich werde ich keine dieser schamlosen Frauen besuchen, bei denen du immer dein Glück versuchst und die dich dafür reichlich zahlen lassen. Vielleicht gehe ich ein paar Schlangenköpfe sammeln«, flüsterte Morgan Kara belustigt ins Ohr.

»Mach was du nicht lassen kannst, aber pass auf, dass du nicht gebissen wirst. Obwohl, warte mal, da fällt mir doch noch eine Geschichte ein. Und wenn ich so in meinen halbvollen Krug schaue, ist auf jeden Fall genug Zeit, sie dir zu erzählen.«

Morgan verdrehte die Augen: »Du kannst es nicht lassen. Du Schlitzohr weißt ja auch genau, womit du mich ködern kannst. Also gut, erzähl schon. Wovon handelt denn die Geschichte?«

»Es geht dabei um einen nichtsnutzigen Dieb, einen seltsamen Gelehrten, den Alleshändler Bofacht und viele andere merkwürdige Dinge. Und das Ganze hat sich erst kürzlich zugetragen …«

In der Sperberhöhle

In der Sperberhöhle

Karl-Georg Müller

»Du musst einen richtig fetten Bruch machen, Salil, dann hört das mit den Pöbeleien auf!«, flüsterte der schmierige Mulan seinem Gegenüber in der düstersten Ecke der Sperberhöhle zu, der verruchtesten Kaschemme im Hafenviertel Saramees. »Und die Jungs von der Schattengilde lachen dich nicht mehr aus. Hör mir gut zu, Salil.«

Mulan rutschte dem hageren Dieb so dicht auf die Pelle, dass dem der Gestank von öligem Fisch und scharfen Gewürzen in die Nase geblasen wurde. Angewidert verzog Salil das Gesicht, aber er schluckte besser eine freche Bemerkung herunter, weil sein neuer Freund offenbar die Chance seines noch jungen Lebens im Ärmel versteckt hielt. Seit einer geraumen Weile redete er schon auf ihn ein, jetzt wiederholte er seinen Tipp in aller Kürze.

»Du kennst also diese Absteige in der Pfeifergasse, die Brave Kaari! Auf der Gegenseite steigst du ins Wohnhaus ein. Das kannst du nicht verfehlen, ich hab einen Zinken an die Hauswand geritzt. Dann die Treppen hoch, zwei Stockwerke sinds. Es wird schon keiner aus den Zimmern gucken. Da hausen nur Flüchtlinge und anderes Pack, die nichts mit den Wachen zu tun haben wollen, sonst …«

Mulan deutete mit seinen wulstigen Fingern einen Strick an, und als sei es besonders lustig, ließ er seine fleischige Zunge heraushängen und japste und keuchte, aber Salil blieb das Lachen im Hals stecken. Es gab einen Henker in Saramee, so wie in anderen Städten fern seiner Heimat, darum konnte Salil sich lebhaft vorstellen, wie das schmutzige Handwerk vollzogen wurde. Und er vermutete, dass viele alteingesessene Bewohner der Stadt mit den zahllosen Flüchtlingen aus dem Umland am liebsten genau so verfahren würden, sobald sie sich das Geringste zuschulden kommen ließen.

»Vom Fenster im obersten Flur kannst du in einige Zimmer der Braven Kaari ! rüberschauen. Ich brauch dir ja keinen Plan zu zeichnen, du kennst dich in der Ecke aus. Guck dir also das erstbeste Zimmer aus, die sind zur Nachtzeit alle bis aufs letzte Bett besetzt. Und dann rüber und kräftig zugelangt.« Mit einem Holzstocher pulte Milan zwischen den Zahnlücken und brachte die breiigen Reste eines Fisches oder eines anderen Getiers zum Vorschein. Bevor Salil bei dem ekelhaften Anblick würgen konnte, stopfte sich der feiste Kerl den dicken Klumpen zurück ins Maul und schluckte kräftig.

»Du hättest auch das Darmbrät vom Kaibuhn probieren sollen, das schmeckt lecker. Du bist doch ein schmales Tuch, ein paar Granda Fett auf den Rippen kannst du gut gebrauchen. Ach, nimm mal von meinem Teller!« Mulan schob ihm die zerstoßene Mahlzeit unter die Nase, als kredenze er dem Stadtmeister von Saramee eine der seltenen Kostbarkeiten aus Talifars Tränenden Gärten.

Im Fraß krabbelte etwas. Das war zu viel für Salil, sein Magen spielte bei dem Geruch von halbrohem Kaibuhndarm und seinem unsäglichem Inhalt keinen Deut länger mit. Bevor Schlimmes passierte, würgte er ein »Danke für den Tipp, aber ich mach mal besser voran!« heraus, polterte seinen wackligen Stuhl mit einer heftigen Bewegung gegen den Nachbartisch – was ihm ein Wütendes »Du kriegst gleich Prügel, du Hänfling!« einbrachte – und torkelte davon, eine Hand vor den Mund haltend.

Mulan schrie ihm noch ein »Das ist eine todsichere Sache!« hinterher, dann landete Salil mit einem weiten Satz in der Schimmergasse. Wenn er vorher noch einen Moment gehofft hatte, die frische Luft würde ihm helfen, überzeugte ihn sein Magen im Nu von diesem Irrtum. In hohem Bogen spie er seine letzte Mahlzeit heraus – kein traniger Kaibuhn, sondern würziges Sarangemüse mit einem gut durchgebratenen Stück Wildbret, das seine Konsistenz aber drastisch verändert hatte.

Eine von den ewig jungen Töchtern der Nacht schaute ihn mit unverhohlenem Abscheu an. Ihr verkniffenes Gesicht war bunt geschminkt wie ein Pfau bei der Brautwerbung, und sie war gewiss auf der Pirsch nach einem gut betuchten Freier für den Abend und bestenfalls noch die Nacht. »So ein Gesindel!« zischte sie im Vorbeigehen, und Salil machte etwas, was ihm sonst sehr fremd war: »Entschuldigt, ich kann nichts dafür.« Er wischte sich den Mund mit einem beinahe sauberen Tuch ab und verfluchte sich gleich, vor einer zweifelhaften Lebedame einen Kniefall gemacht zu haben. Das war nur Mulans Schuld, den er ja erst vergangene Woche kennen gelernt hatte und der ihm diese unangenehme Situation bescherte. An und für sich war Mulan aber ein angenehmer Mensch, soweit Salil die Nähe eines durchtriebenen Halunken als angenehm empfinden konnte, wenn er nur nicht alles in sich hineinstopfen würde, was weich und wabbelig und halbwegs durchgebraten war.

Doch es wurde höchste Zeit, wenn er die Angelegenheit noch heute wagen wollte. Die Sonne streckte ihre letzten warmen Fühler in die schmale Schimmergasse, deren glatt geschliffenes Pflaster aus Ombalstein wie tausend Edelsteine in grünen und roten und blauen Farbnuancen funkelte. Salil kannte die Geschichte um den kostbaren Fußweg nur zu gut. Vor vielen Jahren ließ ein wahnsinnig verliebter Kaufmann ausgerechnet eine der verruchtesten Passagen mit den von sehr weit herbei gekarrten, handtellergroßen Steinen ausschmücken, weil seine Herzensdame ihn ein ums andere Mal von dannen schickte. Obwohl sie aus keinem guten Hause stammte und eine lukrative Liaison ihre wirtschaftliche Verlegenheit beendet hätte, verspottete sie ihn wegen der vergeblichen Liebesmüh mit dem Edelsteinweg vor ihrem schäbigen Haus. Die Herzensdame blieb verstockt.

Der Kaufmann wurde noch wahnsinniger und sprang, beschwert mit einem Rucksack voll mit Ombal, ins Hafenbecken. Die kostbaren Pflastersteine aber - das wusste Salil dank eigener Versuche, denn jedes Kind aus dem Viertel hatte sich die Finger an ihnen wundgekratzt - saßen fest wie Saramees Palaststatuen auf ihren Marmorsockeln. Selbst mit der Hackspitze konnten sie nicht angehoben werden, und das Gerücht von Zauberei war damals von Mund zu Mund gewandert und hielt sich auch heute noch standhaft.

Jetzt aber trieb sich Salil selbst zur Eile an. Die Sonne würde rasch untergehen, und sobald die ersten Schatten den engen Gassen ihren dunklen Mantel überwarfen, unter dem das lichtscheue Gesindel heimlich seinen illegalen Geschäften nachgehen konnte, wollte er sich auf den kurzen Weg zur Braven Kaari ! begeben. Zuvor hatte er ein paar der üblichen Utensilien einzupacken und sich zurechtzumachen. Sein dunkelrotes Hemd aus fein gewirktem Damast war recht geschmackvoll und anmutig und verlieh seiner straffen Statur im Angesicht eines hübschen Mädchens eine gewisse Eleganz – wenn er sich nicht gerade vor seinen Füßen erbrach, aber für einen Diebeszug war es viel zu auffällig. Er würde sich so ausstaffieren, wie es ihm sein Lehrmeister Adall Drago beigebracht hatte.

Seit Adalls Tod bewohnte er alleine die beiden winzigen Zimmer in einem muffigen Hinterhof. Zur Straße versperrte ein durch die ständige Hitze verzogenes Gatter den Zugang. Die Hitze staute sich zwischen den engen Häuserschluchten. Sie presste selbst einem trainierten jungen Mann wie Salil den Schweiß heraus, so dass sein dünnes Beinkleid nass an den Beinen klebte, als er das Gatter aufstieß und in den Hof stürmte. Die Wohnung lag im Schatten, ein Umstand, der aus zweierlei Gründen für Adall und seinen jugendlichen Adepten wichtig gewesen war: es war tagsüber kühl – jedenfalls verglichen mit der brodelnden Glut in den Straßen -, und neugierige Augen hatten es nicht leicht, hinter das brüchige Gemäuer zu schauen.

Salil hatte die Wohntür mit einer der neuartigen Schließen gesichert, die nur mit einem speziell dafür gefertigten Kerbenstift geöffnet werden konnten. Sein Meister hatte sich letztens noch lustig darüber gemacht, wie sinnlos solch eine modische Apparatur doch gegen die Kunst eines Meisterdiebs sei. Jetzt lag Adall fünf Fuß unter der Erde, von Würmern und Vielfüßlern angefressen. Hätte er auf seinen Rat gehört und die Wohnstatt gesichert, vielleicht würde er noch leben. Viel zu lange hatte sich Adall hinter einem Gefühl der falschen Sicherheit verschanzt. »Ich bin der Flinke Schatten!« sagte er lapidar, sobald Salil auf verdächtige Gestalten zu sprechen kam, die sich in der Nähe ihrer Wohnung herumtrieben.

Ja, Adall Drago war der Flinke Schatten – aber das lag viele Jahre zurück, als er jung und agil war und seine Muskeln elastisch wie die Sehne seines Bogens. Längst hatten sich in das dünner werdende Haupthaar die ersten grauen Strähnen gemischt, die Sendboten des Herbstes, der für einen Dieb entweder in einen betulichen Winter überging, in dem er sich von seinen erbeuteten Vorräten bis zum Lebensabend über Wasser hielt, oder in ein nasses Grab, wenn er so weitermachte wie all die Jahre zuvor, als seine Finger noch biegsam und seine Sinne noch wach waren.

Es hatte lange gedauert, bis die Handlanger der Schattengilde, diesem verhassten, aber gut organisierten Haufen von Dieben, ihre Zuflucht entdeckt hatte, aber dann hatten sie erbarmungslos zugeschlagen. Salil hatte seinen Lehrmeister aufgeschlitzt wie ein Stück Vieh auf dem Steinboden gefunden, beide Hände abgetrennt, wie es die Sitte gebot bei Dieben, damit sie ihr Handwerk nicht mehr ausüben konnten. Die Mörder hatten seine Hände sorgfältig neben den blutleeren Leib gelegt und ebenso akribisch in großen Lettern an die Zimmerwand geschmiert »Wir kriegen dich!« Die Warnung war eindeutig auf Salil gemünzt, vielleicht die letzte Warnung für ihn, sich zu besinnen und seine nicht legitimierten Diebestouren zu unterlassen. Er pfiff darauf.