Särge für den Bachmannpreis - Peter Citti - E-Book

Särge für den Bachmannpreis E-Book

Peter Citti

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Beschreibung

Jedes Jahr wird im Rahmen der Tage der deutschsprachigen Literatur der Ingeborg-Bachmann-Preis verliehen. Doch in diesem Jahr ist alles anders. Der unbequeme, erzkonservative Literaturkritiker und selbsternannte Dichterfürst Gustav Gulasch mit einer Wirkkraft, die über Klagenfurt nicht hinausreicht, und sein Adlatus, der Lyriker und Theaterkritiker Fritz Jolesch, planen einen großen Coup. Mit ausreichend finanziellen Mitteln aus fragwürdiger Quelle soll die ihrer Meinung nach progressive Literaturszene unterwandert und im Sinne des guten Hausverstandes auf den Pfad der gutbürgerlichen Tugend umgeleitet werden. Dabei schrecken die beiden Kulturterroristen vor Drohungen, Handgreiflichkeiten, Schmiergeldern, Nötigungen und Erpressung, ja selbst vor Mord nicht zurück. Das erste Ziel ihres frevelhaften Treibens ist der Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb, der dank ihrer Umtriebe zu Fall gebracht werden soll. Ein Coup, der vorerst zu gelingen scheint, denn bereits am ersten Tag muss der Wettbewerb wegen einer Schießerei im ORF-Theater unterbrochen werden. Auch der ermittelnde Kommissar der Klagenfurter Kripo Albert Voss hat seine liebe Not, scheint er doch von Idioten umzingelt zu sein. Im letzten Moment gelingt es ihm, zwei Spitzel in die Literaturszene einzuschleusen und die Konten von Gustav Gulasch und Fritz Jolesch sperren zu lassen. So eine Frechheit lassen sich Gustav Gulasch und Fritz Jolesch natürlich nicht bieten. Wutentbrannt holen sie zum letzten Schlag gegen den Bachmann-Wettbewerb aus. Die Särge werden ins ORF-Theater geliefert.

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Seitenzahl: 271

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Peter Citti

Särge für den Bachmannpreis

Eine Polemik

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Der Bachmann-Wettbewerb, aktuelle Ausgabe:

1. Die erste Lesung

2. Drohbriefe

3. Kaimane in Klagenfurt

4. Was hatte das alles mit Italien zu tun?

5. Nur eine Empfehlung

6. Reisender in den Süden

7. Unregelmäßigkeiten

8. Das neue Parfüm

9. Eine geheime Besprechung

10. Autorinnen und Autoren

11. Die Eröffnung

12. Cobra und Co

13. Die Feinheiten der deutschen Sprache

14. Strategien

15. Wer hat Angst vor der deutschsprachigen Literatur?

16. Eine Sprache der Gewalt gegen eine Sprache der Worte

17. Diensteinteilung

18. Literaturpirat*innen auf der Titanic

19. Ertrinken verboten

20. Die verschwundenen Texte

21. Die Spielregeln

22. Happening

23. Beratungsstäbe

24. Wartungsarbeiten

25. Die Konspirativen schlagen zurück

26. Ansprechpartner*innen

27. Der Chef liebt keine Extratouren

28. Eine Villa am Wörthersee

29. Ungebetene Gäste

30. Särge für den Bachmannpreis

31. Literatur lebt!

32. Niemand wird mehr von ihnen sprechen …

Playlist Särge für den Bachmannpreis

Anmerkungen:

Impressum neobooks

Der Bachmann-Wettbewerb, aktuelle Ausgabe:

Peter Citti

Särge für den

Bachmannpreis

Eine Polemik

Impressum

Texte: © 2023 Copyright by Peter Citti

Umschlag: © 2023 Copyright by gestaltungWolf

Grafikdesign. Mag.art. Dieter Wolf,

Klagenfurt

Lektorat: onlinelektorat – Sprachdienstleistungen, Frau Claudia van der Rijst

Verantwortlich

für den Inhalt: Peter Citti Selbstverleger

Calle de Callao, 8

41010 Sevilla, España

[email protected]

Druck: neobooks – ein Service der Neopubli GmbH, Berlin

Dies ist ein Roman über den Literaturbetrieb, jede Ähnlichkeit mit lebenden und toten Personen, mit Körperschaften, Gesellschaften oder Organisationen, natürlichen oder übernatürlichen Hierarchien sind rein zufällig.

Vielen Dank an Herrn Gerhard Oberschlick, Forvm Redaktion und Verlag, Wurzingergasse 8, 1180 Wien für die freundliche Genehmigung der Nennung von „New Forum – Zeitschrift für Kunst und Kultur“ im Text.

Printed in Germany

Zu diesem Buch:

Jedes Jahr wird im Rahmen der Tage der deutschsprachigen Literatur der Ingeborg-Bachmann-Preis verliehen. Doch in diesem Jahr ist alles anders.

Der unbequeme, erzkonservative Literaturkritiker und selbsternannte Dichterfürst Gustav Gulasch mit einer Wirkkraft, die über Klagenfurt nicht hinausreicht, und sein Adlatus, der Lyriker und Theaterkritiker Fritz Jolesch, planen einen großen Coup. Mit ausreichend finanziellen Mitteln aus fragwürdiger Quelle soll die ihrer Meinung nach progressive Literaturszene unterwandert und im Sinne des guten Hausverstandes auf den Pfad der gutbürgerlichen Tugend umgeleitet werden. Dabei schrecken die beiden Kulturterroristen vor Drohungen, Handgreiflichkeiten, Schmiergeldern, Nötigungen und Erpressung, ja selbst vor Mord nicht zurück.

Das erste Ziel ihres frevelhaften Treibens ist der Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb, der dank ihrer Umtriebe zu Fall gebracht werden soll. Ein Coup, der vorerst zu gelingen scheint, denn bereits am ersten Tag muss der Wettbewerb wegen einer Schießerei im ORF-Theater unterbrochen werden.

Auch der ermittelnde Kommissar der Klagenfurter Kripo Albert Voss hat seine liebe Not, scheint er doch von Idioten umzingelt zu sein. Im letzten Moment gelingt es ihm, zwei Spitzel in die Literaturszene einzuschleusen und die Konten von Gustav Gulasch und Fritz Jolesch sperren zu lassen.

So eine Frechheit lassen sich Gustav Gulasch und Fritz Jolesch natürlich nicht bieten. Wutentbrannt holen sie zum letzten Schlag gegen den Bachmann-Wettbewerb aus. Die Särge werden ins ORF-Theater geliefert.

Zum Autor:

Peter Citti, geboren 1970 in Villach, Österreich, lebt in Sevilla, Spanien. Er ist Autor und Filmproduzent von zahlreichen Spielfilmen, Drehbüchern, Jugendbüchern und Romanen.

Zuletzt erschienen:

Virus des Grauens, ein Thriller über die Viruskrise 2020

Stille Tage in Paris, Roman über die Entstehung des Filmklassikers „Der letzte Tango in Paris“ von Bernardo Bertolucci, 2022, gemeinsam mit Monica B. Armstrong und Christine „Tini“ Trapp

Film:

Der Krampus und die wilden Weiber, Komödie, 2022

Shootings/Rodaje, Experimentalfilm zu Mode, Tanz, Musik, experimenteller Fotografie und Film

Willi Milano, verfilmte konkrete Poesie, Kurzfilme, 2022

Es gibt mehr Ding’ im Himmel und auf Erden als Eure Schulweisheit sich träumt.

Für eine bessere Übersicht wurden die Personen des Romans in ein Schema eingeteilt, analog einem Telefonverzeichnis der Organisation eines großen Kulturfestivals, und in Gruppen zusammengefasst. Dieses Schema gilt nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt des Wettbewerbs.

Die Jury:

1 Der große Wittenberger, Vorsitzender der Jury, Österreich

2 Die Manhattan, Schweiz

3 Marcel, Frankfurt/Main, Deutschland

4 Vogler, Österreich

5 Die Franza, Deutschland

6 Faber, Schweiz

7 Meisner, Österreich

Autor*innen: 4 aus Österreich. 4 aus Deutschland. 3 aus der Schweiz. Je eine/einer aus Italien, Spanien und den USA. Gesamt: 14

1 Fritz Sphinx, Österreich

2 Werner Karawanka, Österreich

3 Eva Honditsch, Österreich

4 Gustav Ebner, Österreich

5 Isabella Reklame, Deutschland

6 Bernadette Träumer, Deutschland

7 Ingeborg Malina, Deutschland

8 Hanna Simultan, Deutschland

9 Nora Himmel-Erde, Schweiz

10 Willi Tod, Schweiz

11 Emma Gerda Zeit, Schweiz

12 Gianni Argento, Italien

13 Michelle Garcia, Spanien

14 Janet West, USA

Organisator*innen des Wettbewerbs:

Die Direktorin des ORF-Landesstudios Kärnten

Der Kulturredakteur des ORF-Landesstudios

Egon Dreißig, New Forum, Leiter des Literaturmuseums

Der große Manfredi, New Forum, Professor für Germanistik an der Universität Klagenfurt

Rahmenprogramm des Wettbewerbs:

Inhaltlich: Feltrinelli, New Forum, Kulturphilanthrop in Klagenfurt

Egon Dreißig, New Forum, Leiter des Literaturmuseums

Organisatorisch: der vorlaute Bube

Bands: I Contemporanei. Fuzzman.

Fakultät für Neue Deutsche Literatur an der Universität Klagenfurt

Der große Manfredi, New Forum, Professor für Germanistik an der Universität Klagenfurt

Willi Egger, der Sekretär und vielfach preisgekrönte Autor

Die Assistentinnen Kathi und Dagmar. Der Assistent Martin.

New Forum – Zeitschrift für Kunst und Kultur

Gustav Gulasch, Chefredakteur, Autor, Deutschlehrer und Literaturkritiker

Fritz Jolesch, Chefredakteur-Stellvertreter, Lyriker, bildender Künstler, Deutschlehrer und Kulturkritiker

Peter, Dramatiker und freier Mitarbeiter

Kriminalpolizei Klagenfurt:

Der Altbulle, Kommissar

Oberinspektor Reiner

Inspektorin Angelika „Angie“ Herzog

Oberst Leitner, Chef der mobilen Einsatzeinheit

Clara Malverde, Oberinspektorin der Kriminalpolizei von Triest, auf Assistenzeinsatz während des Bachmannpreises in Klagenfurt

Verdächtige Personen:

Die Gebrüder Garcia

Der Charmeur

Der Verrückte

Die Katzenomi

Jede Ähnlichkeit mit realen Tatbeständen, lebenden oder juristischen Personen, mit Körperschaften, Gesellschaften oder Organisationen, natürlichen oder übernatürlichen Hierarchien ist rein zufällig.

Das ist ein Roman, er ist niemandem gewidmet.

1. Die erste Lesung

Der große Wittenberger sah ins Auditorium. Nach der Unterbrechung des Wettbewerbs durch den Anschlag mitten in der ersten Lesung hatte die Jury in einer schnell einberufenen Sitzung entschieden, dass der Wettbewerb neu ausgelost werden sollte.

Es war klar, dass der erste Lesende, Fritz Sphinx, nach dem Nervenzusammenbruch, den er während der dramatischen Ereignisse erlitten hatte, unmöglich weiterlesen konnte. Außerdem hatte die Jury entschieden, dass es den Lesenden des ersten Tages, Nora Himmel-Erde aus der Schweiz, Isabella Reklame aus Deutschland und Willi Tod aus der Schweiz, nicht zumutbar war, die Lesungen wieder aufzunehmen, da auch sie mit den Nerven völlig fertig waren. Die vier wurden daher automatisch auf den zweiten und dritten Lesetag gesetzt.

Der Notar war wieder ins Studio gekommen, um die Auslosung zu überwachen. Alle Anwesenden der Jury und die Autorinnen und Autoren waren mit hohen Gummistiefeln ausgestattet worden, um sich gegen einen weiteren Schlangenbiss zu schützen, auch der Notar trug Stiefel, nichts sollte jetzt dem Zufall überlassen werden, wie die Jury in einer eilig einberufenen Onlinepressekonferenz mitteilen ließ.

Der große Wittenberger sah zu der Oberinspektorin aus Italien hinüber, die ihn mit einem wahren Meisterschuss vor dem Biss der schwarzen Mamba gerettet hatte.

Die junge Dame, sie hieß Clara Malverde, saß in der letzten Reihe, auffallend jung, schön, beste Figur, und er hatte sie schon vor einem Monat bei der Beerdigung des so unselig verblichenen Dichters Willi Egger auf dem Friedhof Annabichl hier in Klagenfurt und natürlich gestern bei der Auslosung und der unvergesslichen Eröffnungsparty des Wettbewerbs gesehen.

Konnte es ein Zufall sein, dass diese italienische Kriminalpolizistin extra wegen des Bachmannpreises nach Klagenfurt gekommen war?

Gut, ihr Verlobter, ein Deutschlehrer an einem italienischen Gymnasium, nahm als Autor am Wettbewerb teil. Selten genug, dass ein Italiener an einem deutschsprachigen Literaturwettbewerb teilnahm, aber wozu brauchte dieser Personenschutz in einer spießigen Stadt wie Klagenfurt? Wussten die Carabinieri mehr von den geplanten Verbrechen, die bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur zu erwarten waren, als ihre österreichischen Kollegen?

Blickwechsel zwischen der Malverde und dem großen Wittenberger.

Irgendetwas stimmte nicht mit der italienischen Schönheit, das spürte der große Wittenberger sofort, auch wenn er noch nicht wusste, was es war, das ihn so beunruhigte. War es vielleicht dieser unglaubliche Meisterschuss aus zwanzig Meter Entfernung, der die Schlange, kaum zwanzig Zentimeter von seinem Bein entfernt, zerschmettert hatte?

Jeder andere Schütze wäre niemals das Risiko eingegangen, in einem vollbesetzten Saal so einen Schuss abzugeben, aber diese italienische Scharfschützin hatte gleich dreimal geschossen, und jeder Schuss traf das Ziel; auch kein Querschläger hatte ihn getroffen.

Jetzt saß sie wieder in der letzten Reihe und beobachtete unauffällig das Publikum, bereit, sofort zu feuern, sollte der Killer/die Killerin es wagen, wieder ein Reptil im Saal loszulassen.

Sie war auch die einzige bewaffnete Person im Saal, alle anderen Polizist*innen und Securityleute waren unbewaffnet, das hatte die Klagenfurter Polizei in einer ebenfalls eiligst einberufenen Krisensitzung entschieden; verstärkte, bewaffnete Polizei war allerdings im Garten des ORF-Landesstudios und beim Public Viewing im Lendhafen präsent, um mögliche Angreifer*innen sofort dingfest zu machen.

Der große Wittenberger sah zu seinen Jurykolleginnen und ‑kollegen hinüber, und er war sicher, dass auch sie angesichts dieser Situation von Unbehagen gepackt waren. Eine Scharfschützin im Saal, die geschossen hatte. Die Panik unmittelbar nach der Schießerei. Das Chaos. Die dilettantischen Ordnungskräfte. Die unzureichenden Notausgänge, die teilweise durch Kameras und Kabel versperrt waren, ganz nach dem typisch österreichischen Motto: „Es wird eh nichts passieren.“

Doch es war etwas passiert. Jemand hatte eine schwarze Mamba in den Saal geschmuggelt und – warum auch immer – ausgerechnet auf den Juryvorsitzenden losgelassen.

Es war ein handfester Skandal!

Zum Glück war die ganze Geschichte noch einmal gut ausgegangen. Bis auf ein paar Prellungen, die sich die Leute während der Flucht zugezogen hatten, und den Nervenzusammenbruch von Fritz Sphinx war die Sache glimpflich verlaufen.

Der Malverde entging nicht, dass die Franza zu ihr herüberstarrte, vielmehr wurde sie von der gefürchteten deutschen Literaturkritikerin scharf fixiert. Was wollte diese Dame von ihr? Sie war keine Autorin. Die Autor*innen saßen alle in der ersten Reihe, darunter auch ihr Gianni, der auf sein Los wartete. Bisher war sein Name noch nicht aufgerufen worden, das hieß, dass er nicht mehr am ersten Tag lesen würde, obwohl sie sicher war, dass er so ein Los nicht ablehnen würde. Noch heute Morgen hatte sie im Kulturteil der Kleinen Zeitung gelesen, dass die Chancen für einen Start-Ziel-Sieg bei dem Wettbewerb denkbar schlecht stünden, da die Jury die Texte des ersten Tages einfach vergessen würden.

Die Malverde sah zur Franza hinüber. War diese Literaturkritikerin wirklich eine von der banalen Sorte, die Texte einfach vergessen würde? Wie war es bei den deutschsprachigen Literaturwettbewerben? Würde sich hier die Jury vorinformieren, wer zum Wettbewerb antrat? Und würde die Jury die Texte vor dem Bewerb zu lesen bekommen, oder würde sie völlig jungfräulich in den Wettbewerb gehen und wie das Publikum die Texte hier zum ersten Mal hören?

Die Franza starrte weiter zu ihr hinüber, die Auslosung schien die Kritikerin nicht zu interessieren. Was fand die Franza so interessant an ihr? War es ihr elegantes Outfit? Clara Malverde trug ein italienisches Designerkleid, genau genommen war sie die einzige Dame im Saal, die ein Kleid trug, und was für eines! Es war aus allerfeinster Seide gewebt, weiters hing ein Blazer um ihre Schultern, unter dem sie den Holster mit der Waffe verbarg, eine Beretta M9, die zu ihrem Outfit gehörte wie für andere Damen das Halstuch oder die Handtasche. Eine Handtasche trug sie auch, in der sie die Handschellen, Reservemagazine, ein Peilgerät und das Handy verbarg. Gut, es hätte auch etwas Schokolade sein können, aber bei der Hitze im Studio wäre die ohnehin zerronnen, dafür hatte sie sich vor der neuen Auslosung noch eine Wasserflasche gekauft, die jetzt griffbereit zwischen ihren Füßen stand.

Die Franza sah noch immer zu ihr hinauf. Malverde entschloss sich, die Kritikerin in der Pause anzusprechen, ein kurzer Meinungsaustausch konnte nicht schaden, sie war ja von der italienischen Polizei.

Vogler entging der böse Blick der Franza zur italienischen Schönheit, die den großen Wittenberger am Vormittag herausgepaukt hatte, nicht. Gut, seiner Meinung nach hätte man den Juryvorsitzenden nicht gebraucht, seinen Job könnte jedes andere Jurymitglied ohne weiteres übernehmen, dann wäre man den Wichtigtuer für eine Weile los gewesen. Natürlich wünschte er dem Kollegen nichts Schlechtes, aber ein Schreckschuss vor den Bug der Eitelkeit konnte so einem wie dem Wittenberger nicht schaden. Angeber hat man im Literaturbetrieb genug.

Ob ein Schlangenbiss zwangsläufig tödlich war? Angeblich gehörten die Mambas zu den gefährlichsten Schlangen der Welt? Aber wer sollte so ein Reptil im ORF-Theater beim Bachmann-Wettbewerb aussetzen, und wozu? Warum sollte es jemand auf so einen eitlen Gecken wie den großen Wittenberger abgesehen haben, der jedem Rock nachrannte? Dass er ein alter Schürzenjäger war, das war bekannt, auch in diesem Jahr würde er von den Autorinnen belagert werden. War das vielleicht der Clou an dem Attentat, dass ein gehörnter Liebhaber oder geschasster Autor, eine geschasste Autorin der vergangenen Bewerbe Rache geschworen und heute Vormittag mit einer spektakulären Aktion seine/ihre Gelüste in die Tat umgesetzt hatte?

Wenn das so gewesen wäre, dann könnte der Halunke oder die Halunkin ohne weiteres in den nächsten drei Tagen noch einmal zuschlagen. Aber wieso war die bewaffnete italienische Kriminalbeamtin im Saal? Wussten die Italiener*innen etwas von einem geplanten Anschlag auf die Tage der deutschsprachigen Literatur? Angeblich waren Drohbriefe im Vorfeld der Veranstaltung eingegangen, aber hatte die Fakultät für Germanistik diese zweifelhafte Post der Polizei übergeben? Und was hatte die Italienerin damit zu tun? War es nicht schon seltsam genug, dass ein Italiener heuer im Wettbewerb las, noch dazu einer, der nicht aus Südtirol kam?

Was wussten die Italiener*innen wirklich, und was war Inhalt der Drohbriefe? Wollte sich ein*e Spinner*in dafür rächen, dass ihrer/seiner Meinung nach die Texte der vergangenen Wettbewerbe zu simpel waren?

Schwamm drüber, er musste sich wieder auf die Auslosung konzentrieren, es würde ohnehin der große Wittenberger die Italienerin in die Falle locken, aber auch er würde dafür sorgen, dass er an den Tagen der deutschsprachigen Literatur nicht zu kurz kam.

Der eigentliche Schwachpunkt am heurigen Wettbewerb war, dass gleich drei Nicht-Natives am Wettlesen teilnehmen würden, dachte die Manhattan. Sie hatte während des Frühstücks bereits eine scharfe Diskussion über dieses Thema mit der Franza und dem großen Wittenberger geführt.

Ein Italiener, sehr elegant, eine echte Augenweide für die Damen. Eine rassige Spanierin, eine, auf die die Männer fliegen, und eine kleine, sexy Amerikanerin, angeblich aus Kalifornien, die perfekt Deutsch sprach, eine Pretty Woman, die mühelos die Männer um die Finger wickelte. Wie konnte es sein, dass man solche Zuckerpuppen und Gigolos zu einem seriösen Literaturwettbewerb zuließ?

War es möglich, dass die Juror*innen, die den Italiener, die Spanierin und die Amerikanerin eingeladen hatten, den Begriff #MeToo nicht kannten?

Faber wechselte Blicke mit der italienischen Top-Agentin. Wer hatte diese junge Dame mit den perfekten Deutschkenntnissen nach Klagenfurt geschickt, um zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein?

Um diese Frage zu lösen, bedurfte es der Regeln des klassischen Kriminalromans. Ein weiterer Blickwechsel mit der eleganten Dame.

In diesem Moment entschloss sich Faber spontan, für die morgige Ausgabe der NZZ einen großen Artikel über den Kriminalroman zu veröffentlichen, der seit Jahren auf der Festplatte seines Notebooks archiviert war. Was sollte er sonst vom aktuellen Bachmann-Wettbewerb berichten? Bisher gab es nur Ermittlungen der Kriminalpolizei, stundenlange Unterbrechungen, außerordentliche Jurysitzungen und den kläglichen Versuch eines Neustarts nach dem Desaster gleich zu Beginn der ersten Lesung. All diese dilettantischen Versuche, einen Literaturwettbewerb mit der Reputation eines Bachmannpreises durchzuführen, würden die Kolleginnen und Kollegen von den Konkurrenzblättern in der Luft zerreißen. Die NZZ stand für Neues, für Einzigartigkeit, für seriösen Kulturjournalismus und nicht für Spekulationen. Sein Handy vibrierte. Faber riskierte einen Blick auf das Display, er hatte eine WhatsApp-Nachricht aus der Chefredaktion erhalten: „Wehe dir, du lieferst kein Interview von der Italienerin mit der Beretta M9, dann bist du geliefert!“

Was für eine Unverschämtheit, die Freiheit des Journalismus zu ignorieren! Und das noch dazu aus den eigenen Reihen.

Eine zweite WhatsApp-Nachricht traf ein.

„Die anderen Zeitungen sind voll von den sensationellen Meldungen aus Klagenfurt! Was ist mit der Schlange? Unsere Leser*innen wollen die genaue Länge des Reptils wissen.“

Faber packte die Wut. Wenn die Schweiz nicht so eine elende Emmentalerkäsenation wäre, in der es kein wirklich ernstzunehmendes Kulturfeuilleton gab – er wäre längst nach Deutschland ausgewandert. Aber es hinderten ihn die Familie und die kleinen Privilegien, die er als wichtiger Kritiker in der Eidgenossenschaft genoss.

Nein, Faber würde nie nach Deutschland und schon gar nicht in die österreichische Provinz auswandern. Faber würde immer ein Schweizer Wichtigtuer bleiben, und so gesehen konnte die italienische Meisterschützin ihm einfach kein Interview abschlagen.

Er sah zur Italienerin hinüber und beschloss spontan, seinen großen Artikel über den Kriminalroman mit einem Interview mit der italienischen Top-Agentin zu beginnen, um dann elegant über Reptilien als Mordwaffe zu den Fakten überzuleiten.

Juror Marcel war wütend. Alles, was ihm bisher im Rahmen der Tage der deutschsprachigen Literatur zugemutet wurde, war reif für einen handfesten Skandal! Es war eine schwere Beleidigung der deutschen Sprache in Wort und Schrift, die schon vor ein paar Wochen in Frankfurt am Main begonnen hatte, als er von einem Jugendlichen mit einem dickleibigen Manuskript überfallen wurde.

Wie üblich, wenn er eine*n Jungautor*in abschütteln wollte, blätterte der Starkritiker ein bisschen im etwa 300-seitigen Werk, offensichtlich einem Roman, und rief: „Zu viel! Viel zu viel!“ Das sollte eigentlich genügen, um den Wurm einzuschüchtern und zu vertreiben, der sich erfrechte, ihm dieses Elaborat anzubieten. Sollte der junge Kerl erst einmal das Gymnasium mit dem Abitur beenden!

„Wie kannst du so etwas sagen? Du hast noch nicht einmal eine Seite gelesen!“, rief der Jugendliche.

Halt! Stopp! Obacht! Erstens, wie kam der Kerl dazu, einen wie ihn zu duzen? Zweitens, wieso erfrechte ein Wurm aus dem Gymnasium sich, ihm Vorschriften zu machen?

„Komm schon, gehen wir zu McDonald’s, ich gebe dir ein kleines Menü aus“, sagte der Jugendliche.

„Hör mal, du frecher Kerl, wir sind nicht per du. Außerdem kann man mit 16 unmöglich ein fertiger Autor sein!“, donnerte Marcel. Das sollte wirklich genügen. Doch …

„Scheiß dir nicht in den Frack, du alter Sack! Ich zahl dir auch eine große Limo dazu!“, rief der Jugendliche.

Endlich sah Marcel den Jugendlichen genauer an. Es war ein Punk mit gefärbten Haaren, speckiger Lederjacke und zerrissenen Hosen. Abschaum, einfach nur Abschaum.

„Wenn du nicht sofort abhaust, rufe ich die Polizei!“, rief Marcel.

In diesem Moment fing Marcel einen kräftigen Satz Ohrfeigen.

Marcel ging zu Boden. Der Punk packte sein Manuskript und verschwand in der Dunkelheit.

Auf dem Nachhauseweg versuchte sich Marcel verzweifelt an den Namen und die Adresse auf der Titelseite des Skriptums zu erinnern, leider Fehlanzeige. Er hatte den Namen ignoriert.

Doch der Scherereien waren an diesem Abend nicht genug. In der Nähe seiner Wohnung wurde Marcel von zwei Autos gestoppt. Vier Finstermänner stiegen aus, einer von ihnen war mit der FAZ bewaffnet.

„Bist du der Redakteur der Allgemeinen?“, fragte der Sprecher der Gruppe in leidlichem Deutsch.

„Ja, aber ich bin dort Literaturkritiker“, antwortete Marcel.

„Gibt es da einen Unterschied?“

„Ja.“

Die Finstermänner wechselten Blicke.

„Wenn ihr ein Abo oder Anzeigen schalten wollt, gibt es dafür eine eigene Abteilung. Ihr braucht nur hier anzurufen“, sagte Marcel und gab dem Anführer der Gang eine Karte der FAZ.

„Haben wir. Wir kennen uns aus und schalten regelmäßig etwas in den Kleinanzeigen“, sagte der Anführer der Gang.

„Das freut mich. Sie wissen, von Anzeigen leben die Zeitungen“, sagte Marcel.

„Eben, eine Hand wäscht die andere.“

„Wie soll ich das verstehen? Außerdem, wie habt ihr mich gefunden?“, fragte Marcel.

„Durch die Anzeigenabteilung. Ein bisschen was extra, und schon geht alles“, sagte der Anführer der Gang.

„Oh mein Gott!“

„Du sollst den Namen deines Gottes nicht unnütz im Munde führen“, sagte der Anführer der Gang. „Gehst du regelmäßig in die Kirche?“

„Nein.“

„Dann wenigstens unregelmäßig?“

„Auch nicht.“

„Gehst du vielleicht in die Moschee? Dann bist du uns gleich viel sympathischer?“

„Nein, ich gehe auch nicht in die Moschee“, sagte Marcel.

„Gibt es sonst noch was?“

Betretenes Schweigen.

„Also, Allah ist großzügig und wird auch für dich ein Auge zudrücken, wenn du wenigstens einmal in deinem Leben nach Mekka pilgerst. Unsere Familie führt Reisebüros, da bekommst du selbstverständlich Rabatt“, sagte der Anführer der Gang.

„Kommt doch bitte zur Sache. Warum wollt ihr mit dem Literaturkritiker der FAZ sprechen?“, fragte Marcel genervt.

„Richtig, wir hätten uns fast verplaudert. Also, die Sache ist die: Du bist doch Kritiker beim Preis für diese Autorin?“, sagte der Anführer der Gang.

Einer der Gang hielt das Buch Malina von Ingeborg Bachmann hoch. Ein zweiter den Band Das dreißigste Jahr.

„Ja, unglaublich. Ihr kennt Malina? Und Das dreißigste Jahr? Habt ihr das gelesen?“, wollte Marcel plötzlich sehr beeindruckt wissen.

„Gelesen ist zu viel gesagt. Nur mal so durchgeblättert. Die fünf ersten und die fünf letzten Seiten genügen, um zu wissen, dass das nichts für uns ist. Aber man kann ja niemandem vorschreiben, womit er sich die Zeit stehlen lässt. Wir sind echte Fans von türkischen Serien und indischen Filmen. Magst du so etwas?“, fragte der Anführer der Gang.

„Nein. Nie gesehen. Also, was wollt ihr von mir? All das, was ich bisher gehört habe, scheint mir wenig logisch zu sein“, antwortete Marcel total genervt.

„Das sehen wir ein. Also, die Sache ist so: Unsere Cousine Salma ist ein braves Mädchen, sie ist 16 und geht hier in Frankfurt aufs Gymnasium, und sie ist ein totaler Fan von dieser Ingeborg Bachmann. Im Gegensatz zu uns hat sie die beiden Bücher, die wir mitgebracht haben, schon gelesen. Wozu sollten wir sie zweimal kaufen, wenn sie schon im Besitz der Familie sind? Also haben wir uns ins Internet geklemmt und etwas recherchiert, dass es einen Wettbewerb gibt, den Bachmannpreis, irgendwo im Süden, wo unbekannte Schriftsteller*innen vorlesen und natürlich auch für Größeres entdeckt werden können. Und siehe da, auch du bist dort in der Jury. Da haben wir uns gedacht, wir könnten Salma unterstützen und mit dir reden, ob du nicht etwas für unsere fleißige Cousine machen kannst“, erklärte der Anführer der Gang.

„Hört mal, eure Idee in Ehren, aber der Wettbewerb ist nichts für Jugendliche, sondern für fertige Autorinnen und Autoren“, sagte Marcel.

„Ich wusste gar nicht, dass es auch unfertige gibt? Wo ist da der Unterschied? Kannst du uns das erklären?“, fragte der Anführer der Gang.

„Könnt ihr das nicht auch im Internet recherchieren?“, erwiderte Marcel vorsichtig.

„Könnten wir, aber jetzt, wo wir schon mal hier sind!“

„Also gut, wie soll es weitergehen?“, fragte Marcel.

„Die Sache ist ganz einfach: Hier hast du Salmas Buch. Du liest es, und wir holen es morgen in aller Früh wieder ab, bevor du zur Arbeit gehst. Dann kannst du uns gleich sagen, ob Salma heuer am Wettbewerb teilnehmen darf oder nicht“, forderte der Anführer der Gang.

„Was, wenn nicht?“

„Wann hast du zum letzten Mal eine Faust unter der Nase gespürt?“

„Na gut, ich mache euch einen Vorschlag. Der Text ist sehr umfangreich. Das kann ich unmöglich in einer Nacht lesen.“

„Wieso nicht?“

„Hahaha, wirklich sehr witzig. Ich mache einen Vorschlag. Wir gehen in einen Kebabladen, essen etwas, und ich lese mich ein bisschen in das Manuskript ein. Bitte ruft eure Cousine an und fragt, ob ihr das recht ist und auch ob eine Zusammenfassung beiliegt. Also zumindest die Inhaltsangabe und ein Einzeiler, worum es in dem Roman geht“, schlug Marcel vor.

Die junge Autorin wurde angerufen, bestätigte, dass alles wie in der Ausschreibung des Wettbewerbs gewünscht beiliegen würde, und freute sich sehr, dass der Starkritiker der FAZ ihren Text lesen würde. Sie sandte ihm auch noch liebe Grüße.

Marcel war weniger erfreut, aber was soll’s, es war ein junges Mädchen. Er wollte schon zum Kebabladen hinübergehen, da wurde er noch einmal aufgehalten.

„Nichts da, wir gehen natürlich in ein echtes orientalisches Restaurant, das unserer Familie gehört und wo wir sicher sind, dass die Speisen frisch sind, die auf deinen Teller kommen. Wir können nicht verantworten, dass du mit einer Lebensmittelvergiftung im Krankenhaus landest und dich so rausreden kannst, dass unsere Cousine nicht zu dem Wettbewerb fahren darf. Wenn du sie auswählst, fährt sie übrigens in Begleitung, dass das gleich klar ist. Aber keine Sorge, die Hotelkosten übernehmen wir selbst. Wir wissen, dass die deutsche Kulturszene knausrig ist und dass überall Geizhälse herumhängen. Wir haben uns genau erkundigt und alles recherchiert, und die Leute in diesem verdammten Klagenfurt sind die schlimmsten Hammeljäger von allen“, sagte der Anführer der Gang.

Zwar hatte Marcel an diesem Abend bei Weitem nicht den ganzen Text gelesen, aber er musste zugeben, dass das Jugendbuch seine Qualitäten hatte und dass er ein Empfehlungsschreiben für diesen und jenen Verlag beilegen würde. Am meisten beeindruckte ihn das einwandfreie Deutsch der jungen Dame aus dem Irak.

Die Gang rief noch einmal bei ihrer Cousine an und unterbreitete ihr den Vorschlag des gefürchteten Literaturkritikers der FAZ. Das junge Mädchen war begeistert.

Endlich wurde Marcel wieder nach Hause gebracht, und ja, er musste zugeben, dass er wirklich gut gespeist hatte.

Ein paar Tage später – Marcel hatte tatsächlich ein Empfehlungsschreiben an die auf dem Text angegebene Mailadresse geschickt – traf per Post ein schönes kalligrafisches Blatt in der Redaktion der FAZ ein. In Deutsch und Arabisch hatte die junge Autorin Salma ihr Lieblingsgedicht von Ingeborg Bachmann Die gestundete Zeit in beeindruckender Handschrift angefertigt.

Sehr angenehm berührt rief der Literaturkritiker Marcel im Goethe-Gymnasium an und erkundigte sich nach der 16-jährigen Schülerin Salma, um zu erfahren, dass die junge Irakerin eine Vorzugsschülerin mit einer Eins in Deutsch war.

Marcel ließ das kalligrafische Blatt rahmen und hängte es in seinem Büro an die Wand; nach langer Zeit war er wirklich einem Talent auf der Spur, das ihm rein zufällig über den Weg gelaufen war. Vielleicht trug er aber auch selbst Mitschuld an der Ideenlosigkeit der aktuellen deutschsprachigen Literatur? Vielleicht war er einfach von vornherein zu abweisend, zu überheblich, zu eitel gegenüber den neuen Autor*innen? Vielleicht hatte er den jungen Punk aufgrund reiner Vorurteile abgelehnt, ohne auch nur eine Zeile von ihm gelesen zu haben – wie sollte er auch, da könnte ja jeder daherkommen? Und wären nicht die Cousins der jungen Irakerin gewesen, die 16-jährige Salma wäre immer noch unsichtbar geblieben.

Wohin sollte das alles führen? Marcel saß 14 jungen Literat*innen gegenüber, eine Horde von Teenagern und jungen Erwachsenen wartete im Garten des ORF-Landesstudios mit ihren Texten bewaffnet auf die Jurymitglieder. Warum wurde nicht endlich eine Altersgrenze für Literaturwettbewerbe eingeführt, dann könnte die Security die Youngsters einfach hinauswerfen.

In diesem Moment wurde bekanntgegeben, dass bedingt durch den Zeitmangel die Lesezeiten um je zwei Stunden am Vormittag und zwei Stunden am Nachmittag ausgeweitet werden sollten, was bisher einmalig in der Geschichte des Wettbewerbs war. Ein Raunen ging durch die Menge. Nur die ganz harten Literaturfreund*innen würden diesen Lesemarathon durchhalten.

Gianni, Michelle und Janet wurden für den dritten Lesetag ausgelost.

Gianni sah zu seiner Clara hinüber. Blickwechsel. Niemandem im Saal entging das große Lächeln der Oberinspektorin für ihren Verlobten, den Autor.

Aber auch die Spanierin und die Amerikanerin bekamen wohlwollende Blicke und Applaus, sogar mehr als jede*r andere im ORF-Theater.

Der Malverde entging nicht der scharfe Blick der Franza und der Manhattan zu den beiden jungen Damen hinüber, die in Klagenfurt über eine Art Hausmacht verfügten, obwohl sie noch keine einzige Zeile gelesen hatten.

Zu Michelles und Janets Fans zählten: der große Manfredi, ein Dekan für Neue Deutsche Literatur an der Universität Klagenfurt, zwei junge Kerle wahrscheinlich aus dem Mittelbau der Uni, ein gewisser Feltrinelli, angeblich ein Kulturphilanthrop, der sich überall wichtigmachte.

Weiters waren da noch die very, very special Fans: angeführt von der allseits beliebten Katzenomi, einer stadtbekannten Germanistin, und ihrem Gatten, dem Altbullen, ihres Zeichens Janets Großeltern, sowie einem eleganten Mann mit weißem Stetson, den sie den Verrückten nannten; und natürlich die Familie Garcia.

Waren diese Leute nicht alle verdächtig? Wie konnten völlig unbekannte Autorinnen einen Fanclub haben?

Malverde ging online und suchte nach dem bisherigen literarischen Werk von Michelle Calvo und Janet West.

So gut wie nichts. Michelle Calvo war bisher nur durch die Veröffentlichung von zweifelhafter Pornoliteratur – selbstverständlich negativ – aufgefallen, und Janet West war mit einem belanglosen Jugendbuch literarisch unauffällig geblieben.

Wie konnten solche letztklassigen Autorinnen für einen angesehenen Literaturwettbewerb ausgewählt werden? Gegen Michelle und Janet war ihr Gianni ein Großautor!

Das einzige Argument, das gegen eine sofortige Verhaftung sprach, war, dass der Altbulle dem Fanclub angehörte.

2. Drohbriefe

Einen Monat zuvor:

Der Dekan an der Fakultät für neue deutschsprachige Literatur der Universität Klagenfurt, den alle nur den großen Manfredi nannten, bekam den Brief von seinem Sekretär Willi Egger mit der Nachmittagspost.

„Dieser Brief gefällt mir nicht“, sagte Willi Egger, selbst Autor von vielfach ausgezeichneten Büchern, doch leider ohne Matura, und da man nicht an ihm vorbeikam, hatten die Germanisten an der Universität Klagenfurt Willi Egger einen sicheren Brotberuf verschafft.

„Wie kommst du darauf?“, fragte der große Manfredi.

„Er ist wieder von derselben Person aufgegeben worden, die, wie jede*r gute*r Germanist*in weiß, nicht mehr am Leben ist“, erklärte Willi Egger.

„Du meinst, der Brief ist wieder von ihr?“, fragte der große Manfredi.

„Ihr Name wurde zumindest als Absender missbraucht“, antwortete Willi Egger, „angeblich wohnt die Person in der Via Merulana in Rom.“

Der große Manfredi nahm das Kuvert und riss es auf.

Wieder handelte es sich um einen einfachen Computerausdruck, keine handschriftliche Unterschrift, nur der Name der Namensstifterin des Wettbewerbs zeichnete den Drohbrief. Jemand versuchte, die Organisator*innen eines der wichtigsten Literaturpreise im deutschsprachigen Raum zu erpressen. Eine Veranstaltung mit großer Reputation, die unmöglich ausfallen durfte.

Hier stellte sich für den großen Manfredi die erste Frage: Wieso sollte man sich von einem Trottel einschüchtern lassen, der aus Italien Drohbriefe im Namen einer Verstorbenen versandte?

Nein! Nein! Und noch einmal nein! Die aufrechten Germanist*innen der Universität Klagenfurt würden dem Druck einer kriminellen Hand niemals nachgeben und sei die Drohung noch so frevelhaft.

„Sollen wir die Polizei einschalten?“, fragte Willi Egger.

„Niemals!“, entgegnete der große Manfredi.

„Wieso nicht?“

„Was sagen diese idiotischen Drohbriefe wirklich aus? Nichts!“, antwortete der große Manfredi.

„Wieso nichts? Wie kommst du darauf?“, fragte Willi Egger.

„Ganz einfach. Drohbrief eins: Jemand will Geld erpressen? Nein. Nicht eine Spur einer Geldforderung. Drohbrief zwei: Jemand fordert den Austausch der Jury, weil sie angeblich bis in die Knochen korrupt ist. Völlig unrealistisch und unhaltbar. Das muss jedem/jeder Erpresser*in, der/die aus der Szene kommt, klar sein. Außerdem, was will er oder sie mit dieser Erpressung erreichen, und wem würde sie nützen? Einem/einer der teilnehmenden Autor*innen? Ebenfalls völlig unrealistisch“, antwortete der große Manfredi.

„Und was will er jetzt?“, fragte Willi Egger.

Der Dekan warf einen Blick auf den dritten Brief.

„Und?“, fragte der Sekretär.

„Er droht, dich umzubringen“, sagte der große Manfredi.

„Was? Mich? Wieso?“, fragte Willi Egger verblüfft.

„Hier steht: Feuern Sie den Sekretär des Literaturkurses binnen drei Tagen oder er wird den vierten Tag nicht überleben“, las der Dekan vor.

„Das ist doch lächerlich. Was habe ich damit zu tun? Ich mache nur den Papierkram für den Literaturkurs!“, rief der Sekretär.

Der große Manfredi hielt ihm das Schreiben hin. „Lies selbst!“

Willi Egger las den Brief, ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken. „Und was nun?“, fragte er.

Der große Manfredi zuckte die Achseln. „Was sollen wir deiner Meinung nach machen? Du stehst immer für die Anarchie und bist ein erklärter Gegner der Polizei“, antwortete der große Manfredi.

„Nur theoretisch. Bitte nur theoretisch, aber nicht, wenn es um Leben oder Tod geht!“, rief Willi Egger.

„Du meinst, wenn es um dein Leben oder deinen Tod geht“, sagte der große Manfredi.

„Das ist nicht der geeignete Zeitpunkt für schlechte Witze. Ich bestehe darauf, dass die Polizei eingeschaltet wird. Diskret natürlich! Der Wettbewerb darf auf keinen Fall in Misskredit gebracht werden!“, rief Willi Egger.

„Gut, wollen wir es versuchen. Ich schlage vor, wir schlafen noch eine Nacht darüber, und morgen sprechen wir mit den anderen Beteiligten im Organisationsteam über die ominösen Briefe, die bisher noch niemandem außer uns bekannt sind. Nach der Besprechung beratschlagen wir, was zu tun ist“, schlug der große Manfredi vor.

„Wieso nicht sofort?“, fragte Willi Egger zornig.

„Hier steht, dass wir drei Tage Zeit haben“, sagte der große Manfredi und hielt Willi Egger noch einmal den Brief hin.

„Aber ab wann? Wann wird der dritte Tag sein?“

„Ab dem Eintreffen natürlich. Gib dem Papier einen Eingangsstempel, als späteres Beweismittel“, antwortete der große Manfredi.

3. Kaimane in Klagenfurt

Willi Egger fühlte sich schlecht. Er fühlte sich wirklich sehr schlecht. Normalerweise war er einer, der keiner Konfrontation aus dem Weg ging, der jeden aufmüpfigen Jungspund wüst zurechtwies, ja, er war einer, der sich dafür gut bezahlen ließ, wenn er mit einem oder einer aus der neuen Generation über sein Werk sprechen sollte, was nicht zu viel verlangt war, da er zuvor das Skriptum lesen musste, was oft eine echte Qual, wenn nicht sogar eine Zumutung war.

Und dann die sexuelle Lust!