Sauerkraut und Starkbiertod - Jessica Müller - E-Book
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Sauerkraut und Starkbiertod E-Book

Jessica Müller

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Beschreibung

Was lange gärt, wird endlich Mord!

Das Krindelsdorfer Klosterbier soll die Welt erobern! Brauereibesitzer Brandl hat einen Riesen-Deal an Land gezogen. Doch die Verhandlungen werden von seinem Onkel Erwin Dimpflberger gestört - genauer gesagt: seiner Leiche. Denn kaum besucht Dimpflberger nach Jahrzehnten mal wieder seine Heimat Krindelsdorf, treibt er tot im Braukessel. Hauptkommissar Hirschberg und seine Kollegin Hansen begeben sich auf Mörderjagd ...

Urkomisch, spannend, bayrisch: Hirschbergs sechster Fall.

Die Krindelsdorf-Krimis von Jessica Müller in der richtigen Reihenfolge:

1. Eisenhut und Apfelstrudel

1 ½: Weihnachtsgans und Krippenmord (Kurzkrimi)

2: Leberkäs und Hackebeil

3: Edelweiß und Heckenschere

4: Enzian und Trüffeltod

5: Tannengrün und Semmelmord

eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung.

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Seitenzahl: 370

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Inhalt

Cover

Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Titel

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

Über die Autorin

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Leseprobe

Impressum

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Über dieses Buch

Was lange gärt, wird endlich Mord!

Das Krindelsdorfer Klosterbier soll die Welt erobern! Braureibesitzer Brandl hat einen Riesen-Deal an Land gezogen. Doch die Verhandlungen werden von seinem Onkel Erwin Dimpflberger gestört – genauer gesagt: seiner Leiche. Denn kaum besucht Dimpflberger nach Jahrzehnten mal wieder seine Heimat Krindelsdorf, treibt er tot im Braukessel. Hauptkommissar Hirschberg und seine Kollegin Hansen begeben sich auf Mörderjagd ...

Jessica Müller

Sauerkraut und Starkbiertod

Ein Bayern-Krimi

Für Onkel Pershy

Prolog

Erwin Dimpflberger zog den Zündschlüssel aus dem Schloss und stieg aus seinem Wagen. Es war ein klirrend kalter Abend im Februar, und er fröstelte. Ganz allmählich bahnte sich die Erinnerung einen Weg an die Oberfläche seines Bewusstseins. Die Temperaturen waren fast so eisig wie an dem Abend, an dem sein Leben völlig aus den Fugen geraten war. Obwohl jene Nacht nun eine Ewigkeit zurücklag, kam es ihm mit einem Mal so vor, als hätten sich die Geschehnisse von damals erst gestern ereignet. Der Winterwind schnitt ihm ins Gesicht, und die verstörenden Bilder, die er so lange verdrängt hatte, zogen vor seinem inneren Auge auf. Er hatte niemals zurückkommen wollen, doch das Schicksal ließ ihm keine andere Wahl.

Er verriegelte den Wagen und blickte sich um. So einiges hatte sich verändert, seit er die Krindelsdorfer Gefilde vor über drei Jahrzehnten hinter sich gelassen hatte. Und nicht alles hatte sich zum Guten gewandelt. Die mörderischen Schlagzeilen, die die bayerische Gemeinde in der jüngsten Vergangenheit gemacht hatte, waren auch zu ihm gedrungen. Sie überraschten Dimpflberger nicht besonders. So etwas wie ein Krindelsdorfer Idyll hatte es schließlich nie gegeben, denn auf diesem Grund und Boden war seit jeher viel zu viel gestritten worden. Daran änderte auch die weitverbreitete Scheinheiligkeit der Menschen hier nichts, urteilte der Heimkehrer wider Willen geringschätzig.

Er lehnte sich einen Moment lang erschöpft an seinen Wagen, als er die verhängnisvollen Stunden vor seinem überstürzten Weggang nochmals durchlebte. Der Eisregen, der hitzige Streit, eine Freundschaft, die plötzlich zu Feindschaft geworden war. Dimpflberger hatte die Suppe, die er sich eingebrockt hatte, nun einmal nicht auslöffeln wollen. Und im Gegensatz zu anderen fand er das keineswegs verwerflich. Ein kleiner Fehler sollte nicht das gesamte Leben eines Menschen bestimmen, rechtfertigte er sich vor sich selbst. Doch wie es der Zufall so wollte, konnte aus diesem Fehler nun doch noch etwas Gutes erwachsen. Und wieder einmal würde sich in Krindelsdorf sein Schicksal entscheiden. Er erschrak, als eine schwarze Katze an seinen Füßen vorbeihuschte. Sie fauchte drohend, und er zuckte zusammen. Sein Herz hämmerte gegen seinen Brustkorb. Er blickte dem Vierbeiner schwer atmend hinterher. Zwar war Dimpflberger kein abergläubischer Mensch, aber mit einem Mal überkam ihn ein dumpfes Gefühl der Vorahnung. Er würde keine Sekunde länger als nötig hier verbringen!

Er schloss die Augen, um sich zu sammeln, bevor er zum Himmel emporblickte. Der Mond war fast voll und schien sich hinter der Kirchturmspitze verstecken zu wollen, während er sich gleichzeitig verräterisch in der Krinn spiegelte.

Er warf einen prüfenden Blick auf die Uhr und stellte fest, dass er noch ein wenig Zeit hatte, bevor er in den Kampf ziehen musste, wie er das bevorstehende Wiedersehen in Gedanken nannte. Er drückte die Klinke des schmiedeeisernen Eingangstors zum Krindelsdorfer Friedhof hinunter. Mit vorsichtigen Schritten, um nicht auf einer Eisplatte auszurutschen, ging er auf das frisch aufgeschüttete Grab zu. Er hatte nicht rechtzeitig zur Beerdigung hier sein können, und man würde mit Vorwürfen ganz gewiss nicht geizen. Doch er musste sich vor nichts und niemandem rechtfertigen.

Dimpflberger wandte sich um und marschierte, einem plötzlichen Impuls folgend, auf die Kirche zu. Auf Drängen seiner Eltern hin war er als Kind Ministrant gewesen. Wie sehr er das gehasst hatte! Der Geruch nach Weihrauch schnürte ihm wieder wie damals die Kehle zu. Dimpflbergers Blick fiel auf den Betenden in der ersten Reihe. Obwohl er mit dem Rücken zu ihm saß, erkannte Dimpflberger ihn sofort.

»Servus!« Seine Begrüßung rief ein unheilvolles Echo hervor.

Der Angesprochene fuhr herum. Seine Augen weiteten sich ungläubig.

»Heilige Mutter Gottes!«, entfuhr es ihm.

»Mit mir hast bestimmt net gerechnet, oder?« Gemächlichen Schrittes näherte sich Dimpflberger der vorderen Kirchenbank.

»Du bist hier nicht willkommen!«, schallte es ihm entgegen.

»Keine Angst! I bin bald weg, und dann komm i nie wieder.«

1.

Hauptkommissar Alexander Hirschberg ging vornübergebeugt auf die Haustür zu, nachdem es geläutet hatte. Er ging langsam und hielt seinen Sohn Julian an den Händen. Der Kleine gluckste freudig und war sichtlich stolz auf sich. Am vergangenen Heiligen Abend hatte Julian zur großen Freude der Familie damit begonnen, sich an Möbelstücken hochzuziehen und ein paar tapsige Schritte zu machen. Nun stand sein erster Geburtstag kurz bevor. Von Tag zu Tag wurde er immer sicherer auf den Füßen.

»Sehr gut, Julian«, lobte Hirschberg, und dieser jauchzte. Er legte seinen Kopf nach hinten und richtete große braune Augen auf seinen Vater. »Tante Isobel, Onkel Vincent und Picasso werden sich freuen, dass du ihnen heute die Tür aufmachst.«

Die Tante seiner Frau und ihr Mann waren gestern Abend aus Zürich zurückgekommen. Ihr Adoptiv-Mops Picasso war bei dem renommierten und vor allem teuren Schweizer Hundepsychologen Dr. Moser in Behandlung, da er laut Isobel seit dem Mord an seinem früheren Frauchen Antonia von Hohenburg noch immer an einer posttraumatischen Belastungsstörung litt. Körperlich gehe es Picasso dank der strikten Diät mittlerweile wesentlich besser. Seine Psyche aber sei wie bei Menschen nun einmal nicht so einfach zu heilen, hatte Isobel den Schweizer Hundeflüsterer zitiert. Dass ausgerechnet der Mops am vergangenen Nikolaustag die Leiche von Alfons Gerstl im Krindelsdorfer Wald erschnüffelt hatte, ließ sie befürchten, er könne ein erneutes Trauma durchleben. Aus diesem Grund hatten sie und ihr Mann vor Weihnachten noch einen Notfalltermin in Zürich wahrgenommen, denn schließlich erlebe Picasso zu allem Überfluss auch noch sein erstes Weihnachtsfest ohne seine frühere Mutter.

»Oh, da ist ja unser Süßer! Und wie gut er schon laufen kann!« Dornberg klang fast ekstatisch, als er Julian sah. Er ging in die Hocke, um den Jungen in die Luft zu stemmen. Hirschberg lächelte. Sein Sohn liebte Onkel Vincent, und legte sogleich seinen Kopf auf dessen Schulter. Seine kleinen Arme umschlossen Dornbergs Nacken.

Der erfolgreiche Geschäftsmann hatte sein Vermögen in der Erwachsenenindustrie gemacht und war nun überdies stolzer Eigentümer des Gourmetrestaurants Vincobel's in München mit angegliederter erotischer Kochschule, in der die Kurse regelmäßig ausgebucht waren. Auch wenn sein Metier anderes vermuten ließ, war Dornberg ein Familienmensch durch und durch. Kochen war neben seiner Frau seine größte Leidenschaft. Er genoss es, seine Lieblingsmenschen, wie er es nannte, kulinarisch zu verwöhnen. Mit der Eröffnung des Vincobel's war für den Pornotycoon ein lang gehegter Traum in Erfüllung gegangen. Dass ausgerechnet auf dem feierlichen Eröffnungsdiner Picassos Frauchen ermordet worden war, hatte ihm zwar einen nachhaltigen Schock versetzt, jedoch tat der Mord seinem gastronomischen Erfolg keinen Abbruch. Im Gegenteil. Mittlerweile rannten ihm Gourmets aus nahezu der ganzen Welt die Türen regelrecht ein. Das Vincobel's war jeden Abend ausgebucht, und die Dornbergs überlegten sich, weitere Restaurants an den Standorten London, Nizza und Rom zu eröffnen.

»Was das Laufen angeht, scheinst du ganz nach deiner Mutter zu kommen, Darling. Dich wird eines Tages, wenn es darauf ankommt, bestimmt nichts aufhalten können! Ich bin ja so stolz auf dich!« Isobel strich Julian über die Wange, während der wie immer adrett gekleidete Mops zu ihren Füßen Anstalten machte, sich in Hirschbergs linkes Hosenbein zu verbeißen. Bis heute war es ihnen nicht gelungen, ihm diese Angewohnheit auszutreiben. Offenbar schien auch der viel gepriesene Dr. Moser nichts ändern zu können, dachte Hirschberg missmutig, während die Tante seiner Frau in schwärmerischem Tonfall fortfuhr. »Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie Susan mit gerade einmal neun Monaten ihre ersten Schritte gemacht hat. Damals habe ich erkannt, was für großes Potenzial in meiner Nichte schlummert! Dass sie eines Tages auf dem bayerischen Land enden würde, hätte ich mir im Leben nie träumen lassen. Ich hatte ja gehofft, sie würde nach den starken Frauen in unserer Familie kommen. Wenn ich daran denke, dass schon ihre Ururgroßmutter allein auf Weltreise gegangen ist, kurz nachdem sie Witwe geworden war ...« Sie vollendete den Satz nicht. »Man hat ihr sogar nachgesagt, sie hätte sich auf ihrer Australienreise in eine stürmische Affäre mit einem Aborigine gestürzt.« Ein verklärter Ausdruck schlich sich in ihre Augen. »Ich zweifle ja keine Sekunde daran, dass das der Wahrheit entspricht. Es gibt sogar Fotos von ihr und einem ausgesprochen gut aussehenden Ureinwohner. Zudem habe ich ihre Tagebücher gelesen, in dessen Einträgen sie immer wieder das romantische Desinteresse ihres Ehemanns beklagt hat. Er habe sich nur noch für die Pflanzen in seinem Gewächshaus interessiert, nachdem er den obligatorischen Stammhalter gezeugt hatte. Da sei ihr gar nichts anderes übrig geblieben, als sich – so abgedroschen es auch klingen mag – auf den Kutscher einzulassen. Die Art und Weise, wie er mit der Peitsche umgegangen ist, muss betörend auf sie gewirkt haben«, erläuterte Isobel geflissentlich. »Und fernab der Heimat im wilden australischen Land bei einem virilen Ureinwohner schwach zu werden, ist mehr als verständlich nach Jahren der ehelichen Durststrecke.«

»Lady Cecilia hatte etwas mit dem Kutscher?« Susan kam aus der Küche, wo sie den Tisch für den Brunch gedeckt hatte. »Es heißt doch, dass sie und mein Ururgroßvater eine so glückliche Ehe geführt hätten.«

»Nach außen hin haben sie das gewiss, Susan, und ich glaube auch, dass eine große Zuneigung zwischen ihnen geherrscht hat. Sie hat Baldwin in ihren Tagebüchern oft als ihren besten Freund bezeichnet. Aber ein Don Juan war er nun einmal nicht. Cecilia wünschte sich verständlicherweise mehr, als immer nur händchenhaltend fleischfressenden Pflanzen bei der Verdauung zuzusehen. Und laut ihren Aufzeichnungen habe er den Genuss von Whisky und Zigarren als die Erotik des Alters bezeichnet«, berichtete Susans Tante.

»Ich für meinen Teil kann Baldwins Verhalten überhaupt nicht nachvollziehen. Ich habe Fotos von Cecilia gesehen, und sie war eine ausgesprochen attraktive Frau. Ihr Mann hat sich glücklich schätzen können, sie an seiner Seite zu haben.« Dornberg streifte sich die Jacke von den Schultern. »Ich kann dir versichern, Liebes, dass ich deiner niemals überdrüssig sein werde.«

»Oh, Vincent, du bist wirklich das Beste, was mir jemals passiert ist«, flötete seine Angebetete, bevor sie sich wieder an ihre Nichte wandte. »Aber um nochmals auf deine Ururgroßmutter zurückkommen: Lady Cecilia Bunbury war eine bemerkenswerte Frau, Susan, und du kannst sehr stolz darauf sein, von ihr abzustammen«, schwärmte Isobel. »Unser Familienchronist, mit dem ich mich erst letztens getroffen habe, hält es übrigens sogar für möglich, dass sie – und damit natürlich auch wir – in direkter Linie von einem keltischen Druidengeschlecht abstammen. Er hat ernst zu nehmende Hinweise darauf in einigen alten Quellen gefunden. Angeblich hatten einige unserer Vorfahren hellseherische Fähigkeiten. Das würde natürlich meine spirituelle Ader erklären.« Susan und ihre Tante stammten aus einem alten englischen Adelsgeschlecht, und seit Generationen arbeiteten Historiker an einer umfangreichen Familienchronik, wie Hirschberg erst vor Kurzem erfahren hatte. Die Familiengeschichte seiner Frau reichte zurück bis ins zwölfte Jahrhundert, und immer wieder tauchten neue Quellen und alte Dokumente auf. Im fünfzehnten Jahrhundert sei gar eine ihrer Vorfahrinnen trotz ihres Standes der Hexerei bezichtigt worden. Hirschberg kannte Isobel lange genug, um das sofort zu glauben, sogar bevor die Historiker mehr über das Schicksal der Ahnin herausfinden konnten.

»Du klingst schon wie Frau Wiesner«, bemerkte Susan, und ihre Mundwinkel zuckten. Indira Wiesner war die Krindelsdorfer Geisterflüsterin und Auraleserin.

Hirschberg warf seiner Frau einen raschen Blick zu. Er konnte Susans Gedanken unschwer erraten: Zwar war es gewiss möglich, dass der Stammbaum ihrer Familie weit zurückreichte und sich auch der eine oder andere Druide unter ihren Vorfahren befand, aber Isobel schien an Indira Wiesners Metier einen Narren gefressen zu haben. Die Ehefrau des Vorsitzenden der ökologischen Partei behauptete von sich, mit den höchsten Mächten in Verbindung zu stehen und regelmäßig Nachrichten des Universums zu empfangen. Der Hauptkommissar musste sich bei aller Skepsis jedoch eingestehen, dass manche ihrer Äußerungen ihn tatsächlich nachhaltig verblüfften. Ob sie nun wirklich mehr sah und hörte als andere Menschen, konnte er nicht beurteilen, er war sich aber sicher, dass Indira Wiesner stets gut über die Vorkommnisse im Ort informiert war. Wie Susans beste Freundin, die Historikerin Rosina Baumann, kannte auch Indira Wiesner die Geschichte des Ortes wie ihre Westentasche.

»Um ehrlich zu sein, hat mich Frau Wiesner nach Herrn Gerstls Ermordung doch sehr beeindruckt«, gestand auch Dornberg. »Ich kann mit Esoterik herzlich wenig anfangen. Wie ihr wisst, zählen für mich ausschließlich belegbare Fakten, aber ihr liegt das Wohl der Menschen und des Ortes sehr am Herzen, und manches, was sie gesagt hat, hatte doch Hand und Fuß.« Er zog vielsagend die Augenbrauen nach oben. »Erst letztens meinte sie zu uns, was für großartige Persönlichkeiten ihr beide seid. Dass ihr gerade hier noch große Aufgaben zu bewältigen haben werdet. Deshalb denke ich auch, dass Susan und Alex vielleicht aus einem bestimmten Grund in Krindelsdorf sesshaft geworden sind, Liebes.« Der Geschäftsmann klang fast ehrfürchtig.

»Da mögen du und auch Frau Wiesner durchaus recht haben, Darling«, stimmte Isobel ihrem Mann zu. »Irgendjemand muss in diesem Mördernest, wo Fuchs und Hase sich zur guten Nacht erschlagen, schließlich für Ordnung sorgen. Und bisher schlägst du dich ausgezeichnet, Alex.« Sie tätschelte wohlwollend Hirschbergs Arm, bevor sie sich wieder an ihren Mann wandte. »Und dass wir beide die richtige Entscheidung getroffen haben, daran hegt Frau Wiesner ja auch keinen Zweifel. Ich finde das irgendwie beruhigend.«

»Welche Entscheidung?«, fragten Hirschberg und Susan wie aus einem Mund. Die Dornbergs hatten die Angewohnheit, sie mit Ideen und Vorschlägen regelrecht zu überrumpeln.

»Dass wir uns hier ein weiteres Nest bauen. Das wisst ihr doch«, entgegnete Isobel.

Susan und ihr Mann ließen die angehaltene Luft entweichen. Sie sahen diesem Vorhaben mit sehr gemischten Gefühlen entgegen, aber ja, sie wussten bereits davon.

»Frau Wiesner ist der festen Überzeugung, dass auch Isobel und ich hier noch etwas erledigen müssten, was wir in einem unserer früheren Leben versäumt hätten. Sie sprach von einer Reise, die wir im achten Jahrhundert angetreten hätten.« Dornberg kratzte sich stirnrunzelnd am Hinterkopf.

»Ihr glaubt doch nicht etwa wirklich, dass Frau Wiesner hellsehen kann oder dergleichen?«, fragte Susan kopfschüttelnd.

»Darling, es ist längst an der Zeit, dass du deine Engstirnigkeit über Bord wirfst und deinen Geist öffnest. Selbst François Mitterrand hat regelmäßig den Rat einer Kartenlegerin seines Vertrauens gesucht. Gerade als Staatsmann muss man in jeder Hinsicht aufgeschlossen sein«, belehrte Isobel ihre Nichte und ihren Gatten. »Auch Nicole holt sich manchmal Rat bei Frau Wiesner. Dabei spielt es für sie nicht die geringste Rolle, dass Günther und Herr Wiesner verschiedenen Parteien angehören. Sobald man in der Öffentlichkeit steht, muss man seinen Horizont kontinuierlich erweitern und für alles offenbleiben. Wir müssen wirklich noch intensiv mit ihnen arbeiten, Vincent, wenn sie eines Tages in der Geschäftswelt bestehen wollen«, seufzte sie an ihren Mann gewandt. »Aber mit Dr. Bransons Hilfe ...«

»Wir brauchen keine Hilfe von eurem Psychoanalytiker, und was die Geschäftswelt betrifft ...«, hob Hirschberg entnervt an.

»Wir sollten derart ernste Themen nicht mit leerem Magen besprechen«, fiel Dornberg ihm ins Wort und klopfte ihm beschwichtigend auf die Schulter. »Es ist Julians Essenszeit, und ihr habt doch sicher auch schon Hunger. Wir haben auf dem Weg zu euch noch frisches Laugengebäck und Croissants für den Brunch gekauft, und ich zaubere uns jetzt noch ein paar Rühreier. Falls gewünscht auch gern Spiegeleier.« Der Hobbykoch klatschte in die Hände und marschierte in die Küche.

»Wie war es eigentlich bei Dr. Moser?«, wechselte Hirschberg das Thema, während er die Gäste mit Cappuccino versorgte, und Susan Orangen in die Saftpresse gab. Der Hauptkommissar sehnte sich nach einem ruhigen Samstag, weshalb er das Gespräch aus dem Reich des Übersinnlichen und des Big Business zurück in Picassos verrückte Hundewelt lenken wollte. Der Mops steuerte sogleich auf seinen Napf zu und stieß ein vorwurfsvolles Winseln aus, da dieser noch nicht gefüllt war.

»Du bekommst gleich dein Frühstück, mein Junge«, versprach Dornberg und griff nach dem Napf.

»Dr. Moser leistet großartige Arbeit«, beantwortete Isobel Hirschbergs Frage, während sie das Laugengebäck in den Brotkorb legte. »Picassos Fortschritte sind phänomenal, und Gott sei Dank hat ihn die Sache mit dem bedauernswerten Herrn Gerstl nicht aus der Bahn geworfen! Er hat das alles gut verkraftet, aber dennoch haben wir Anfang April wieder einen Termin bei Dr. Moser. Er muss nämlich lernen, sich seinen Ängsten zu stellen, wenn er sein Trauma endgültig überwinden möchte.«

»Welchen Ängsten?«, hakte Susan trocken nach.

»Nach dem Tod seines ersten Frauchens ist es doch nur nachvollziehbar, dass er an ausgeprägten Verlustängsten leidet und sich schnell bedroht fühlt.« Die englische Lady machte eine Geste der Selbstverständlichkeit. »Aber Dr. Moser sagt, dass es effiziente Therapiemöglichkeiten gibt. Außerdem werden wir in unsere Villa hier das beste Sicherheitssystem einbauen lassen, sodass ihm und uns kein Verbrecher zu nahe kommen kann. Dabei fällt mir ein, dass bei eurem die alljährliche Wartung ansteht.«

»Tante Isobel, das ist nicht ...«, hob ihre Nichte entnervt an.

»Bedenkt man allein die Vorkommnisse hier, Darling, und die Leichen, die sich hier an jeder Ecke zu stapeln scheinen, ist ein ausgeklügeltes Alarmsystem unerlässlich.« Ihre Stimme triefte vor Vernunft.

»Apropos: Wann ist euer neues Domizil denn endgültig bezugsfertig?«, beendete Hirschberg die Diskussion über ihre häusliche Sicherheit. Die Arbeiten schritten dank Lars Baumann und Martin Schreiber gut voran. Es würde eine Erleichterung sein, wenn sie die Dornbergs nicht mehr beherbergen mussten.

»In den nächsten Wochen hoffentlich«, kam Dornberg seiner Frau zuvor. »Herr Schreiber hat uns vor ein paar Tagen angerufen. Es gibt wohl Probleme mit den Wasserleitungen. Es ist nichts Dramatisches«, beeilte er sich Hirschberg und Susan zu versichern. »Aber es ist ein wenig Extraarbeit. Ihr müsst uns also noch eine Weile Obdach gewähren.« Er zwinkerte ihnen zu.

»Selten ein Schaden, wo kein Nutzen ist, Darling«, flötete Isobel. »Ich habe mit Jean-Pierre gesprochen, und er kann ohnehin frühestens Mitte März hierherkommen.«

»Wer ist Jean-Pierre?« Susan klang argwöhnisch. Sie schien mit weiteren anstrengenden Gästen zu rechnen.

»Jean-Pierre Fournier ist unser Innenarchitekt«, klärte Isobel sie auf. »Meine Freundin Donna hat ihn letztes Jahr nach Malibu einfliegen lassen, als sie ihr Strandhaus gekauft hat. Jean-Pierre hat es in eine wahre Wohlfühloase verwandelt, und er wird auch unser Haus hier zu einem Paradies machen! Er ist ein Künstler, was luxuriöses und gemütliches Interieur angeht.«

»Dann bin ich ja mal gespannt«, meinte Susan, als sie Julian in seinen Kinderstuhl hob und sich an den Tisch setzte.

»Wer will Rührei?«, erkundigte sich Dornberg, während Hirschberg jedem ein Glas frisch gepressten Orangensaft einschenkte.

»Ich auf jeden Fall«, freute sich Susan.

»Ich auch«, schloss Hirschberg sich an. Dornberg zauberte das fluffigste Rührei, das er jemals gegessen hatte. »Und ich muss sagen, Vincent, dein Laugengebäck ist um Längen besser als das hier«, urteilte er, nachdem er in eine Laugenstange gebissen hatte.

»Das tut gut, zu hören«, strahlte Dornberg. »Ich werde die Tage sicher Zeit finden, welches zu backen, nur jetzt hätte es zu lange gedauert«, bedauerte er. »Aber dafür werde ich heute Abend etwas Schönes kochen. Und natürlich müssen wir uns noch wegen Julians Geburtstag Gedanken machen.«

Der Kleine stieß ein freudiges Jauchzen aus, als er seinen Namen hörte.

»Ja, Darling, du wirst in ein paar Tagen schon ein Jahr alt!«, rief Isobel. »Das müssen wir ganz groß feiern!«

»Was meinst du mit ›groß‹?«, wollte Susan wissen. Hirschberg konnte den Argwohn in ihrer Stimme hören.

»Wir werden selbstverständlich Rosina und Lars mit Sophia, Nicole und Günther und noch ein paar andere einladen. Und eure Eltern kommen natürlich auch.« Isobel hob sogleich die Hand. »Wir haben bereits Suiten im Bayerischen Hof für sie reserviert. Und überhaupt müsst ihr euch keine Sorgen machen! Vincent und ich kümmern uns um alles. Nicht wahr, Darling?«

»Natürlich, Liebes.« Er nahm ihre Hand und küsste sie, bevor er sich wieder an die Hirschbergs wandte. »Wir besprechen später noch die Torte und das Geburtstagsmenü. Aber ich habe wirklich schon großartige Ideen!«

»Da bin ich mir ganz sicher, aber ...« Hirschberg brach mitten im Satz ab, als es an der Haustür läutete.

»Ich geh schon.« Dornberg sprang auf und kurz darauf hörten sie seinen freudigen Ausruf. »Nicole! Das ist ja eine Überraschung! Komm doch rein. Wir brunchen gerade.«

Hirschberg und Susan wechselten einen überraschten Blick. Was führte die erfolgreiche Dessousdesignerin und Lebensgefährtin von Landrat Seitlbach am Samstagmorgen zu ihnen?

»Hallo, zusammen.« Nicole Reinhardt umarmte Isobel. Hirschberg konnte sehen, dass die sonst so gelassene Geschäftsfrau aus dem Gleichgewicht war. Zwar bot sie wie immer einen spektakulären Anblick in ihrem roten Kostüm und den dazu passenden Pumps, doch irgendetwas musste vorgefallen sein. Ein Schatten verdüsterte ihre dunklen Augen. Hirschberg fürchtete, dass ihm kein erholsames Wochenende vergönnt war.

»Ist etwas passiert, Frau Reinhardt?« Er stand auf und schüttelte ihre Hand.

»Das kann man so sagen, Herr Hauptkommissar«, seufzte Nicole und fuhr sich mit der Hand durch ihre schwarzen Locken. »Es ist eine Katastrophe.«

»Nicole, ist etwas mit Günther?« Dornberg klang alarmiert. »Ihr solltet doch jetzt eigentlich in der Klosterbrauerei sein.«

Hirschberg nickte. Er wusste, dass unter anderem Getränkehändler in den USA und Australien am Krindelsdorfer Klosterbier Interesse zeigten. An diesem Tag sollte es zu einigen gewinnträchtigen Vertragsabschlüssen kommen.

»Keine Sorge, es geht ihm gut, genauso wie unseren aus dem Ausland angereisten Gästen und dem japanischen Generalkonsul, mit dem Günther anschließend noch einen Fototermin absolvieren muss.« Die Designerin atmete tief ein und aus. »Es ist also ein denkbar schlechter Moment für ein PR-Debakel. In ungefähr einer Stunde stehen sämtliche Medienvertreter vor der Tür, deshalb ist Diskretion jetzt das A und O! Aus diesem Grund besteht Günther darauf, dass nur Sie und Ihre Kollegin sich der Sache annehmen, Herr Hauptkommissar. Mit dem LKA-Präsidenten hat er bereits telefoniert. Herr Krämer ist einverstanden, dass Sie die Ermittlungen übernehmen. Günthers Assistentin versucht, die Journalisten direkt zu den Brandls zu bestellen, wo wir ohnehin das Weißwurst-Essen geplant hatten. Offizieller Grund ist ein Wasserschaden in der Brauerei. So gewinnen wir zumindest ein bisschen Zeit und können unsere ausländischen Gäste schützen«, kalkulierte Reinhardt. »Aber spätestens morgen wird die Sache hohe Wellen schlagen, fürchte ich. Wir haben nämlich eine Leiche, und Sie werden niemals glauben, wo wir die gefunden haben.«

Bevor Hirschberg etwas erwidern konnte, klingelte es ein weiteres Mal.

»Diesmal gehe ich«, bestimmte Susan mit düsterer Miene. »Frau Hackelgruber! Was führt Sie denn zu uns?«, hörte Hirschberg sie kurz darauf sagen. Einen Moment später erschienen die beiden in der Küche.

»Grüß Gott, allerseits.« Auch die Haushälterin des Pfarrers schien gebeutelt, und Hirschberg stöhnte innerlich. »Frau Reinhardt, ist was passiert?« Ihre Neugier war unüberhörbar.

»Ja, Frau Hackelgruber«, kam Hirschberg Reinhardt zuvor. »Und wir müssen uns auch dringend auf den Weg machen. Kann ich etwas für Sie tun?«

»Sie net unbedingt, aber vielleicht Ihre Frau und die Dornbergs.« Sie blickte die drei hilfesuchend an.

»Um was geht es denn?« Isobel wirkte verwirrt.

»Um den Herrn Pfarrer. Stellen Sie sich vor: Er will einfach net aus seinem Schlafzimmer kommen.«

»Ist es wegen seines Steißbeinbruchs?«, erkundigte sich Reinhardt. Der Geistliche war im Dezember auf dem Krindelsdorfer Weihnachtsmarkt unglücklich gestürzt und hatte sich eine Fraktur des Steißbeins zugezogen. »Hat er immer noch Schmerzen?«

»A wo!«, wehrte Hackelgruber ab. »I weiß net, was er hat! Er sagt, er muss beten und sich sammeln. Rat beim Herrgott suchen.« Sie zuckte verzweifelt die Schultern. »Aber in zwei Stunden ist doch die Taufe von der Niederegger Shania, und ...«

»Dass man diesen Menschen überhaupt in die Nähe eines wehrlosen Säuglings lässt«, murmelte Isobel. »Ich frage mich, welcher Teufel die Eltern reitet!«

»Frau Hackelgruber, wie glauben Sie denn, können wir Ihnen helfen?«, meldete sich Susan zu Wort.

»Na ja, der Herr Pfarrer sagt immer, dass er bei Ihnen zwei«, sie deutete auf Susan und Hirschberg, »die Hoffnung noch net ganz aufgegeben hat.«

»Gut zu wissen«, erwiderte Hirschberg nüchtern.

»Das muss doch wahrlich beruhigend für Sie beide sein«, spöttelte Nicole Reinhardt.

»Frau Hackelgruber, ich hätte da eine Idee, wie wir den Herrn Pfarrer wieder in die Spur bringen.« Ein breites Grinsen erhellte Susans Gesicht, und sie wandte sich an Isobel und Dornberg. »Wir ziehen jetzt Julian an, und dann kommt ihr beide mit ins Pfarrhaus. Wenn wir Pfarrer Schmalzengruber sagen, dass ihr euch bei ihm einnistet, sollte er seinen Pflichten nicht nachkommen, dann kommt er bestimmt gleich wieder zur Vernunft!«

»Das hilft ganz bestimmt!« Hackelgruber war erleichtert.

»Liebes, vielleicht sollten wir es versuchen?«, schlug Dornberg vor. »Wir können die arme Frau Hackelgruber doch nicht im Regen stehen lassen.«

»Natürlich nicht. Sie ist mit ihrem Arbeitgeber weiß Gott schon genug gestraft«, stimmte Isobel ihm zu. »Mit Hochwürden werden wir schon fertig!«

»Wir machen uns dann auch auf den Weg«, bestimmte Hirschberg, und er beugte sich zu seiner Frau, um ihr einen Kuss zu geben. »Ich bin gespannt, für wen von uns beiden der Vormittag anstrengender sein wird«, wisperte er in ihr Ohr.

2.

Hirschberg parkte seinen Wagen neben Nicole Reinhardts Luxuskarosse, wie er ihren fahrbaren Untersatz in Gedanken nannte, und stieg aus. Vor der Brauerei riegelten einige Sicherheitsleute vorsorglich den Eingang ab. Seine Kollegin Hansen hatte ihm am Telefon versichert, bereits auf dem Weg zu sein, da sie von LKA-Präsident Krämer gleich nach Seitlbachs Anruf informiert worden war. Auch Dr. Meißner und die Spurensicherung seien bereits unterwegs nach Krindelsdorf.

Der Hauptkommissar folgte Nicole Reinhardt in den Eingangsbereich der Brauerei, wo sein Blick sogleich auf Korbinian Brandl und Landrat Seitlbach fiel. Die beiden Herren hätten unterschiedlicher nicht sein können. Seitlbach trug einen zweifellos maßgeschneiderten dunkelgrauen Anzug mit eisblauer Krawatte, während sich Brandl – vermutlich um Lokalkolorit zu erzeugen – in edler Lederhose, weiß-blau kariertem Hemd und dunkelbraunen Trachtenschuhen den ausländischen Gästen präsentierte. Brauereibesitzer und Landrat liefen nervös auf und ab. In einiger Entfernung entdeckte Hirschberg Brandls zukünftige Vertragspartner mit ihren Dolmetschern, den japanischen Generalkonsul und einige Sicherheitskräfte. Dem Anlass entsprechend unterhielten sie sich in gedämpftem Tonfall.

»Herr Hauptkommissar! Dem Himmel sei Dank!« Seitlbach eilte auf ihn zu. Der Landrat war eindeutig im Krisenbewältigungsmodus. Ein erschüttert dreinblickender Brandl folgte ihm auf dem Fuß. »Es ist großartig, dass Sie so schnell gekommen sind! Auf Sie ist immer Verlass! Ich möchte ausdrücklich betonen, wie sehr man Ihr Engagement an höchster Stelle zu würdigen weiß!«

»Es ist eine Katastrophe, Herr Hauptkommissar«, meldete sich Korbinian Brandl zu Wort, bevor Hirschberg etwas hätte erwidern können. Der junge Mann war bleich. In seinen grünblauen Augen stand das blanke Entsetzen. Seine rotbraunen Locken schienen ihm zu Berge zu stehen. »In meinen schlimmsten Albträumen hätte ich nicht gedacht, dass so etwas passieren könnte. Vor einem so wichtigen Termin rechnet man ja mit vielem, was schieflaufen könnte, aber das ...« Seine Stimme brach ab.

»Ausgerechnet Rachel Roseworth musste die Entdeckung machen, weil sie uns allen voran die Stufen nach oben gelaufen ist, um einen Blick in den Braukessel zu werfen. Gott sei Dank wirft diese Frau nichts so schnell um!« Seitlbach fuhr sich mit der Hand durch sein sorgfältig frisiertes grau meliertes Haar. »Sie ist die Leiterin eines ausgesprochen erfolgreichen Getränkekonzerns in den USA. Von ihr allein hängt es ab, ob unser Klosterbräu den amerikanischen Markt erobert! Das Potenzial hat es jedenfalls – trotz allem!«, bekräftigte der Landrat. »Und ich bin auch immer noch guten Mutes, dass wir den oder vielmehr die Deals noch retten können, denn für Mrs Roseworth und die anderen scheint all das ein willkommenes Abenteuer zu sein. Dennoch ist es ein Desaster. Schadensbegrenzung ist das Motto der Stunde!« Er wandte sich hilfesuchend an Reinhardt. »Schatz, könntest du vielleicht ...«

»Ich rette die Exportverträge, Günther.« Die erfolgreiche Dessousdesignerin tätschelte seinen Arm, während ein entschlossenes Lächeln ihre Lippen umspielte. »Du und Korbinian müsst euch keine Sorgen machen. Ich habe schon Schlimmeres wieder ausgebügelt, wie du weißt. Nach dem Weißwurst-Essen und der Bierverkostung bei den Brandls sind die Verträge in trockenen Tüchern«, beteuerte sie. Hirschberg zweifelte keine Sekunde daran, dass die ausländischen Geschäftsleute ihr aus der Hand fressen würden. »Ich werde mit deinen zukünftigen Geschäftspartnern jetzt zu deinen Eltern fahren, Korbinian, und für ihr leibliches Wohl sorgen. Zudem werden sie heute Abend im Vincobel's verwöhnt, und Alberto wird sie zielgerichtet in den siebten Himmel kochen.« Sie zwinkerte Hirschberg zu.

»Es ist sicher das Beste, wenn Sie die Herrschaften vom Tatort wegbringen«, stimmte der Hauptkommissar ihr zu. »Aber es kann sein, dass ich vielleicht doch mit ihnen sprechen muss, falls ...«

»Sollten Sie es für nötig erachten, sie zu befragen, werden wir das selbstverständlich arrangieren«, versicherte ihm Seitlbach. »Wir werden alles tun, um Ihre Ermittlungen zu unterstützen. Allerdings halte ich es für ausgeschlossen, dass auch nur einer von Herrn Brandls zukünftigen Vertragspartnern etwas mit der Sache zu tun hat. Denn bis auf den japanischen Generalkonsul, der natürlich in München lebt, aber gewiss nicht mordend über das bayerische Land zieht, sind alle unsere Gäste erst gestern Abend in München angekommen. Das Vier Jahreszeiten kann bestätigen, dass sie nach dem Champagnerempfang und dem Dinner mit uns ihre Suiten schon wegen des Jetlags nicht mehr verlassen haben. Sie sind heute Morgen immerhin bereits um neun Uhr abgeholt und nach Krindelsdorf gefahren worden. Es ist absolut absurd zu glauben, dass auch nur einer von ihnen etwas mit dem Tod dieses Unglücksraben zu tun hat, und ...«

»Beruhigen Sie sich, Herr Landrat«, beschwichtigte ihn Hirschberg. Seitlbachs Nasenflügel flatterten regelrecht vor Nervosität. Kleine Schweißperlen glänzten auf seiner Stirn. »Sie haben ganz sicher recht, und es wird das Beste sein, wenn ich mir erst einmal ein Bild von der Lage mache. Ich gehe davon aus, dass Sie nichts angefasst haben?«, vergewisserte der Hauptkommissar sich.

»Um Gottes willen, nein! Natürlich nicht! Wie hätten wir das auch tun sollen?« Brandl schüttelte fassungslos den Kopf. »Es wird schwer genug sein, ihn aus dem Braukessel zu bekommen.«

»Es kommt alles wieder in Ordnung, Korbinian. An Komplikationen wächst man, und diese Tragödie wird dich zu einem besseren Geschäftsmann machen. Glaub mir.« Reinhardt strahlte Zuversicht aus. Sie wäre niemals so weit gekommen, wenn sie sich von Rückschlägen jemals hätte unterkriegen lassen, dachte Hirschberg. Die Dessousdesignerin war eine Kämpferin und dabei rücksichtsvoller, als so mancher es für möglich halten würde. Er erinnerte sich, wie sie sich erst vor einigen Wochen für Gerstls Lehrling Leon Eisner eingesetzt hatte. Dank Reinhardt und Marianne Dachshofer hatte der Junge jetzt eine Zukunft fernab seiner alkoholkranken Mutter und den engstirnigen Großeltern vor sich. »Ich mache mich dann mit den Gästen auf den Weg zu deinen Eltern«, verkündete Reinhardt, als Hansen gefolgt von Dr. Meißner und der Spurensicherung durch die Tür kam. Die Kälte hatte ein gesundes Rot auf die Wangen der Viertelitalienerin gezaubert. Ihre dunklen Augen schweiften aufmerksam durch den Eingangsbereich der Brauerei. Auf ihrem Kopf saß eine rote Mütze, und sie trug eine warme Winterjacke im selben Farbton.

»Es tut mir leid, dass wir jetzt erst hier sind, Chef, aber es hat wieder angefangen zu schneien«, entschuldigte sie sich. »Herr Seitlbach, Herr Brandl.« Sie nickte den beiden zu, und auch Dr. Meißner begrüßte die Anwesenden.

»Da wir nun alle vollzählig sind, schlage ich vor, wir bringen Sie an den Tatort, sofern er sich tatsächlich als solcher entpuppt. Kommen Sie.« Der Landrat wandte sich um.

Die Ermittler folgten Seitlbach und Brandl in den hinteren Bereich der Brauerei, wo Hirschberg der Geruch von Maische in die Nase stieg. Er sah sich interessiert um. Das Gebäude war erst vor einem Jahr im Rahmen einer im Ort umstrittenen Realityshow unter Mithilfe von jugendlichen Straftätern frisch renoviert worden. Blickfang der Halle mit den hohen Fenstern war ein Wandgemälde mit bierbrauenden Mönchen, das an die jahrhundertelange Tradition des Krindelsdorfer Klosterbräus erinnerte. Die kupferfarbenen Braukessel gaben Hirschberg zudem das Gefühl, in vergangene Zeiten einzutauchen. Bei der Wiederinbetriebnahme der Brauerei war viel Wert darauf gelegt worden, die Atmosphäre des 19. Jahrhunderts zu erhalten. Damals boomte das Klosterbräu, wie man heute sagen würde. Hirschbergs Blick fiel auf eine junge Frau, die er als Lena Stammberger erkannte. Sie war eine Bierbrauerin, über die nach der Wiedereröffnung der Brauerei im Krindelsdorfer Boten berichtet worden war. Für sie sei Bierbrauen nicht nur ein Beruf, sondern eine wahre Berufung, hatte Lokalreporter Heimerl sie zitiert. Ein düsterer Ausdruck lag in ihren graublauen Augen, und sie war bleich. Einen Moment lang fürchtete Hirschberg, sie müsste sich übergeben. Ihre brünetten Locken waren zu einem Pferdeschwanz gebunden. Sie atmete tief ein und aus, als sie die Beamten kommen sah.

Der junge Mann neben Lena Stammberger schien ebenfalls völlig geschockt. Auch aus seinem Gesicht war die Farbe gewichen, und seine dunklen Augen bewegten sich nervös hin und her. Mit einer zitternden Hand fuhr er sich durch sein dichtes schwarzes Haar. Er trat von einem Fuß auf den anderen, so als müsse er austreten.

»Das sind Lena Stammberger und Michael Haltmeier«, stellte Brandl die beiden vor. »Lena stand neben Mrs Roseworth, als die den armen Kerl im Braukessel entdeckt hat.« Er hielt sich die Faust vor den Mund.

»Das ist richtig«, bestätigte Stammberger und lehnte sich an das Geländer der Treppe, die zum Braukessel hinaufführte. »Es tut mir leid, aber mir ist gerade alles andere als wohl«, entschuldigte sie sich und schluckte.

»Das ist völlig verständlich, Lena«, versicherte ihr Seitlbach. »Der Schock sitzt uns allen noch immer in den Gliedern.«

»Können wir die Leiche sehen?«, bat Hansen.

»Natürlich, Frau Kommissarin.« Haltmeier wandte sich um und bedeutete ihnen, ihm nach oben zu folgen.

»Das sieht man nicht alle Tage«, flüsterte Hirschberg, als er den mit dem Gesicht nach unten schwimmenden leblosen Körper erblickte. Er signalisierte dem Polizeifotografen, nach oben zu kommen und Fotos zu machen. Erst wenn dieser seine Arbeit beendet hatte, konnten sie die Leiche aus dem Braukessel bergen. Hirschberg und Hansen liefen die Treppe wieder nach unten.

»Haben Sie eine Ahnung, wer der Tote sein könnte?«, wandte der Hauptkommissar sich fragend an Seitlbach und die anderen. Dass ein völlig Fremder in Brandls Brauerei den Tod fand, hielt er für ausgeschlossen. Irgendeine Verbindung musste zwischen dem Toten und dem Krindelsdorfer Klosterbräu bestehen.

»Ich ...« Brandl schloss die Augen und atmete tief ein und aus.

»Herr Brandl, wenn Sie etwas wissen, müssen Sie mit uns sprechen«, forderte Hansen ihn sanft, aber eindringlich auf. »Er schwimmt zwar mit dem Gesicht nach unten, aber kommt Ihnen irgendetwas an dem Toten bekannt vor?«

»Ich bin mir nicht sicher«, begann er zögerlich. »Ich müsste tatsächlich erst sein Gesicht sehen«, bemühte sich der Brauereibesitzer, Zeit zu gewinnen.

»Also gut«, gestand Hirschberg ihm zu, und wandte sich an den Fotografen. »Brauchen Sie noch lang?«

»Bin fertig«, verkündete dieser und hechtete in seinem weißen Schutzanzug die Treppe hinunter. »Was mich betrifft, können Sie ihn da rausholen.«

Dr. Meißner gab seinen Mitarbeitern Anweisungen, und kurz darauf beobachtete Hirschberg, wie der leblose Körper aus dem Braukessel nach oben gezogen wurde. Es dauerte eine Weile, bis der Leichnam geborgen war.

»Oh mein Gott!«, rief Brandl und wandte sich voller Entsetzen ab. Seitlbach legte ihm die Hand auf die Schulter und redete beruhigend auf ihn ein.

»Korbinian, wenn du weißt, wer der arme Mensch ist, dann musst du es der Polizei sagen«, forderte der Landrat ihn auf. »Und ich verspreche dir, es kommt alles wieder in Ordnung. Nicht wahr, Herr Hauptkommissar?«

»Wir werden alles tun, um den Fall schnellstmöglich zu klären«, erwiderte Hirschberg. »Wer ist das, Herr Brandl?«

»Das ist Onkel Erwin«, seufzte er. »Ich kann das nicht fassen. Das ...« Er brach ab.

»Das ist Ihr Onkel, Herr Brandl?« Hirschberg war überrascht. Er hatte den Mann noch nie zuvor in Krindelsdorf gesehen. »Ich wusste gar nicht, dass ...«

»Es ist kompliziert. Er ist ... war der Bruder meiner Mutter«, bestätigte Brandl.

»Dein Onkel?« Der Landrat runzelte die Stirn und wandte sich an Hirschberg. »Sein Name ist Dimpflberger. Er ist vor über dreißig Jahren, da muss er so Anfang dreißig gewesen sein, aus Krindelsdorf weggegangen und hat den Kontakt zu seiner Familie mehr oder weniger vollständig abgebrochen.«

»Mein Onkel ist über Nacht verschwunden und hat sich nie wieder gemeldet. Seine Familie hat wirklich nichts mehr von ihm gehört«, stellte Brandl klar.

»Gab es Streit? Ist er deshalb weggegangen?«, wollte Hansen wissen.

»Nichts Dramatisches«, wiegelte Brandl ab. »Meine Mutter und er sind nie besonders gut miteinander ausgekommen. Das ist bei Geschwistern doch oft so. Mein Vater und der Erwin haben sich auch nie so richtig verstanden. Krindelsdorf an sich war meinem Onkel zu ›klein‹, wenn Sie verstehen.« Er markierte Anführungsstriche in der Luft. »Er wollte die Welt sehen. Nicht auf dem bayerischen Land versauern.«

»Und jetzt plötzlich ist er zurückgekommen?« Hirschberg klang ungläubig. »Aus heiterem Himmel?«

»Mein Großonkel Willi, sein Patenonkel, ist gerade gestorben. Zur Beerdigung hat er's zwar nicht rechtzeitig geschafft«, schnaubte der Neffe des Toten, »aber beim Erben wollte er nicht zu spät dran sein.«

»Verstehe. Sie haben ihn seit seiner Ankunft gesehen?«, hakte Hirschberg nach.

Brandl senkte den Kopf und wandte sich ab.

»Herr Brandl, bitte beantworten Sie die Frage«, forderte Hansen ihn auf. »Wir finden es so oder so heraus. Es wäre bedeutend besser für Sie, wenn Sie gleich offen mit uns sprechen würden.«

»Korbinian, bitte sag den Beamten, was sie wissen müssen«, bat nun auch Seitlbach ihn. »Du weißt doch, wie gewissenhaft die Frau Kommissarin und der Herr Hauptkommissar sind. Und sie werden ganz sicher keine falschen Schlussfolgerungen ziehen. Je schneller sich die Sache klärt, desto besser für uns alle.«

»Er war gestern Abend bei uns«, gab Brandl sich einen Ruck. »Es wurde etwas hitzig«, fügte er leise hinzu.

»Inwiefern hitzig?« Es wäre nicht die erste Familienzusammenführung, die aus dem Ruder lief, wusste Hirschberg.

»Wie gesagt, hat er sich ewig nicht blicken lassen. Er hat sich auch überhaupt nicht um den Onkel Willi gekümmert, aber jetzt wollte er unbedingt seinen Erbteil. Er hat meiner Mutter gesagt, dass er sich nicht einfach ausbooten lässt. Immerhin sei Onkel Willi sein Patenonkel gewesen.« Brandl klang mit einem Mal zornig. »Mein Vater ist deshalb richtig wütend geworden, was ich sehr gut verstehen konnte. Er hat den Onkel Erwin dann nach dem Essen aus dem Haus geworfen. Eigentlich hätte er bei meinen Eltern übernachten wollen, aber mein Vater hat ihn abblitzen lassen. Er wollte Onkel Erwin nicht im Haus haben, der solle sich gefälligst einen anderen Schlafplatz suchen.«

»Ist es zu Handgreiflichkeiten gekommen?«, hakte Hansen nach.

»Nein!«, widersprach Brandl vehement.

»Direkt vor seinem Tod aber wohl schon«, verkündete Meißner, als er sich über den Hinterkopf der Leiche beugte. »Bevor man den Ärmsten in den Braukessel geworfen hat, ist er niedergeschlagen worden. Ob die Kopfwunde zu seinem Tod geführt hat, kann ich aber erst nach der Obduktion sagen.«

»Wie spät war es, als ihr Vater Herrn Dimpflberger vor die Tür gesetzt hat?«, erkundigte sich Hansen und ließ Brandl nicht aus den Augen.

»Ich weiß es ehrlich gesagt nicht mehr genau.« Er zuckte bedauernd die Schultern. »Ich denke, es muss schon nach neun gewesen sein. Ich war damit beschäftigt, meine Mutter zu beruhigen.«

»Haben Sie eine Ahnung, was er in der Brauerei gesucht haben könnte?«, setzte Hirschberg die Befragung fort.

»Gar keine!«, rief der Bierbrauer. »Nicht mal annähernd! Genauso wenig kann ich mir erklären, wie er hier überhaupt reingekommen ist!« Brandl warf verzweifelt die Hände in die Luft.

»Das habe ich mich ehrlich gesagt auch schon gefragt.« Lena Stammberger räusperte sich und warf ihrem Kollegen Haltmeier einen Blick zu. »Es ist mir ein Rätsel, wie er in die Brauerei gelangen konnte. Wie siehst du das, Michael?«

»Es ist mir völlig schleierhaft.« Der junge Mann wirkte verblüfft und schüttelte den Kopf. »Ich begreife das alles überhaupt nicht. Die Einzigen, die einen Schlüssel haben, sind Korbinian, seine Eltern, die Sekretärin und wir beide. Und soweit es mich betrifft, kannte ich Herrn Dimpflberger nicht. Ich habe ihn noch nie gesehen.« Er blickte verständnislos in die Runde. »Das ist doch alles komplett verrückt!«

»Wann sind Sie denn heute Morgen hier eingetroffen?«, fuhr Hansen fort.

»Also, ich war schon gegen sieben Uhr hier, weil ich noch etwas für die Brauereibesichtigung vorbereitet habe«, erklärte Stammberger. »Und kurz darauf sind Michael und Korbinian gekommen. Das war noch vor acht.«

»Das stimmt«, bestätigte Brandl die Angaben seiner Mitarbeiterin. »Michael hat mich abgeholt, weil mein Auto in der Werkstatt ist. Er war so um halb acht bei mir, und dann sind wir gemeinsam in die Brauerei gefahren.«

»Ich würde meinen Patienten dann in die Gerichtsmedizin bringen lassen«, meldete sich Dr. Meißner zu Wort. »Ich werde sehen, ob ich den Todeszeitpunkt eingrenzen kann, aber da er in einem Braukessel gefunden wurde ...« Er ließ den Satz unvollendet.

»Ich verstehe.« Hirschberg fluchte innerlich. Die Fundumgebung der Leiche würde ihre Ermittlungen zusätzlich erschweren. »Aber zumindest wissen wir, dass er nach neun Uhr abends noch gelebt haben muss.«

»Er muss doch Gepäck haben und vielleicht einen Wagen?«, erkundigte sich Hansen plötzlich. »Herr Brandl, wissen Sie zufällig, ob ...«

»Er meinte, er sei mit einem Leihwagen gekommen«, nickte dieser. »Ein Renault Espace, glaube ich.«

»Und das hier müsste der dazu gehörige Schlüssel sein.« Der Rechtsmediziner zog ihn aus der durchweichten Jackentasche. »Sein Portemonnaie wird Sie sicher auch interessieren. Das Labor sollte es trocknen und sich dann den Inhalt vornehmen.« Er gab die Brieftasche in eine Beweismitteltüte und reichte Hirschberg die Wagenschlüssel.

»Wenn Sie Glück haben, steht der Wagen noch bei meinen Eltern auf dem Gästeparkplatz. Ob er viel Gepäck hatte, weiß ich nicht. Mein Onkel hat auf mich nicht den Eindruck gemacht, als habe er länger als nötig hierbleiben wollen.« Brandl runzelte die Stirn, und sein Blick schien sich nach innen zu kehren.

»Herr Brandl, ist Ihnen noch etwas eingefallen?« Hirschberg kannte diesen Gesichtsausdruck. Irgendetwas regte sich hinter seiner Stirn.

»Ich weiß nicht ...«, kam es zögerlich über Brandls Lippen.

»Korbinian, bitte!«, beschwor ihn Seitlbach. »Wenn du Informationen hast, dann ...«

»Er hat etwas Merkwürdiges gesagt, hat von einem Fehler gesprochen, den er jetzt zu etwas Positivem machen würde.« Der Brauereileiter klang verwundert. »Ich konnte mir keinen rechten Reim darauf machen, aber meine Mutter hat ihren Bruder ohnehin als Traumtänzer und Lebenskünstler beschrieben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es irgendwie von Bedeutung ist.«

»Vielleicht nicht«, entgegnete Hirschberg, obwohl er sich sicher war, dass die rätselhafte Äußerung sogar von großer Tragweite war. Hatte Dimpflberger am Ende die Vergangenheit eingeholt?

»Vermutlich wäre es das Beste, wenn wir seinen Mietwagen fänden und unter die Lupe nähmen«, schlug Hansen vor und warf Hirschberg einen bedeutungsvollen Blick zu. Sie würden vorerst nicht mehr aus Brandl herausbekommen.

»Dem stimme ich zu«, nickte er. »Bei der Gelegenheit können wir dann gleich die Brandls befragen.«

»Und ich mache mich dann auch auf den Weg. Spätestens morgen bekommen Sie meinen Bericht«, versprach Dr. Meißner und verabschiedete sich.

»Herr Hauptkommissar, ich kann mich doch darauf verlassen, dass Sie so diskret wie möglich vorgehen werden. Immerhin findet bei den Brandls gerade das Weißwurst-Essen statt, und meine Assistentin hat die Medien dorthin bestellt, und ...«

»Das hat wenig genützt, Herr Landrat.« Ein uniformierter Beamter kam in die Braustube. »Die Reporter haben Wind von der Sache bekommen. Ein paar warten schon vor der Tür, und es werden sicher noch mehr werden. Gerade dieser Heimerl keift sich die Seele aus dem Leib, wenn ich es so formulieren darf.« Quirin Heimerl war Lokalreporter beim Krindelsdorfer Boten und im Rahmen vergangener Ermittlungen in Hirschbergs Visier geraten. Zwar hatte er keinen Mord begangen, jedoch waren er und sein bester Freund die Verfasser anonymer Briefe pikanten Inhalts gewesen. Um den Frieden in Krindelsdorf zu wahren, hatten die Beamten aber davon abgesehen, die beiden zu enttarnen. Der Hauptkommissar war wenig erpicht darauf, dem frustrierten Provinzjournalisten Rede und Antwort zu stehen.

»Auch das noch!« Seitlbach seufzte und straffte seine Schultern, bevor er sich an Hirschberg wandte. »Wie wäre es, wenn ich Ihnen die Medien vom Hals halte, sodass Sie beide in Ruhe Ihre Arbeit machen können?«

»Das wäre uns eine große Erleichterung.« Hirschberg dankte ihm. »Und ich versichere Ihnen, wir werden mit der gebotenen Diskretion vorgehen.«

»Davon bin ich überzeugt!« Seitlbach klopfte ihm anerkennend auf die Schulter und drückte Hansens Hand. »Bringen Sie den Schuldigen nur bitte schnellstens hinter Schloss und Riegel«, beschwor er sie, bevor er sich mit entschlossenen Schritten nach draußen begab, um sich den Reportern zu stellen.

»Das wird nicht einfach, Chef«, wisperte Hansen, als sie durch den Hinterausgang der Brauerei schlüpften.