Sava und andere fantastische Erzählungen - Stephan de Groote - E-Book

Sava und andere fantastische Erzählungen E-Book

Stephan de Groote

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Beschreibung

Sava stammt aus Wolhynien, einem Land voll schwarzer, undurchdringlicher Wälder, wo nie ein Lichtstrahl den Boden erreicht. Immer wieder taucht sie in den 13 Kurzgeschichten auf und zieht mit ihren dunklen Dreadlocks, grünen Mandelaugen, schneeweißer Haut und knallroten Lippen – und nicht zu vergessen: den spitzen Eckzähnen – jeden, der ihr begegnet, in den Bann. Vor allem literarisch vorbelastete Personen haben es schwer, sich ihr zu entziehen. Und so wundert es auch nicht, dass zwischen Liebesspiel und diversen Kampfsportarten Platz bleibt für das Philosophieren über lateinamerikanische Großmeister der fantastischen Literatur. Doch auch vor niedlichen Haustieren, der kalabrischen Mafia und düsteren Dystopien, in denen KI-gesteuerte Autos die Weltherrschaft anstreben, sei gewarnt …

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Seitenzahl: 135

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Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2023 novum publishing

ISBN Printausgabe: 978-3-99131-989-4

ISBN e-book: 978-3-99131-990-0

Lektorat: Mag. Dr. Angelika Moser

Umschlagfoto: Svetlana Mandrikova | Dreamstime.com

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

www.novumverlag.com

Widmung

Für meine Schwester Christine

und meine Nichte Juliane

Dem Andenken an meinen Neffen Christian

Sava

Spät abends in der Kneipe sagte mir Eduard, schon schwer betrunken, dass er noch in dieser Nacht eine Schwelle überschreiten und in eine andere Dimension eintreten wird. Ich gab nichts auf sein besoffenes Gerede. Aber am nächsten Tag war er verschwunden. Seine Schwester, die ihn manchmal besuchte und einen Zweitschlüssel zum Blumengießen hatte, fand die Wohnung leer und sein Bett unbenutzt. Auch eine Vermisstenmeldung bei der Polizei am Tag darauf erbrachte keine Ergebnisse. Man deutete uns an, dass er vielleicht auf einer Sauftour wäre, aber länger als zwei, drei Tage haben die bei ihm nie gedauert. „Vielleicht sollten wir einmal in seiner Wohnung nach Anhaltspunkten suchen“, schlug ich seiner Schwester vor. Sie nickte.In seinem spartanisch eingerichteten Appartement fanden wir nichts, was uns Hinweise auf seinen Verbleib hätte geben können, außer ein paar Kladden in einer Schublade. Tagebücher. Ich mag es nicht, in intime Geheimnisse anderer einzudringen, auch wenn es die meines besten Freundes sind. Aber dies hier schien mir ein Notfall zu sein. Seine Schwester sah dies auch so. Also nahm ich mir den letzten Band mit, der nach den Datumsangaben die Monate vor seinem Verschwinden behandelte.

Nichts Besonderes zunächst. Alltagsbeobachtungen, humoristische Betrachtungen, für die er einen Sinn hatte, ein, zwei flüchtige Beziehungen, der eine oder andere Alkoholexzess, sein unsäglich stumpfsinniger Chef, Mosaikteilchen eines Lebens. Gerührt las ich, dass er mich an einer Stelle seinen „guten alten Kumpel“ nannte, mit dem er alles, wirklich alles teilen würde.

Die folgenden Eintragungen waren so merkwürdig, dass ich sie hier wörtlich wiedergebe.

13. Mai. Über den Flohmarkt geschlendert. Nichts gekauft, außer der kleinen Statue einer rachsüchtigen heidnischen Göttin, weil sie mich an meine Ex erinnerte. Danach ein paar aufmunternde Getränke im Biergarten zu mir genommen. An solchen milden Frühlingstagen ist das Leben eine Lust. Man möchte es den Vöglein gleichtun und nur noch zwitschern und das tat ich dann wohl auch den Rest des Tages.

14. Mai. Einen verwirrenden, aber auch berauschenden Traum gehabt. Plötzlich stand sie vor mir, bestürzend schön, sodass es mich fast umgeworfen hätte, wie die von einer pfeilschnellen Kugel getroffenen neun Bowlingkegel. Der slawische oder vielleicht eher mongolische Typ mit grünen Mandelaugen, hohen Wangenknochen und sehr dichtem, dunklem Haar in Dreadlocks, die wie die Fangarme einer Meduse um ihr Haupt wallten. Und mit sehr heller, fast weißer Gesichtshaut, die mit ihrem knallroten Lippenstift kontrastierte, was in mir den sehnlichen Wunsch entfachte, sie zu küssen. Sie hieße Sava und käme aus den schwarzen und undurchdringlichen Wäldern Wolhyniens, wo nie ein Lichtstrahl bis zum Boden durchdringt, schon unermesslich lange bevor diese Scharlatane, die Monotheisten – sie spuckte das Wort förmlich aus und entblößte dabei spitze Eckzähne – alles verhunzten und in ihren Schmutz zogen, aber ihre Herrschaft über die Welt habe nie geendet.

Im Büro stand mir dieser Traum den ganzen Tag vor den Augen. Hab wohl bei der Arbeit nichts zustande gebracht bzw. nur Scheiß gebaut, die Kollegen schauten mich komisch an. Kommt vor, solche Tage gibt es.

15. Mai. Sava ist mir wieder im Traum begegnet. Sie musterte mit Kennermiene die Buchtitel und CDs in meinem Regal. Manches gefiel ihr auch, Borges, Cortázar, Carpentier, lateinamerikanisches Zeugs. „Aber nein, wie kannst du nur Vargas Llosa lesen, wirf das sofort in den Mülleimer, sei so lieb!“Schelmisch zog sie mich am Ohr. Meine Vorliebe für Gedichte der Neuen Frankfurter Schule fand sie drollig, aus dem Gedächtnis rezitierte sie ein paar Verszeilen. Sie bat mich, eine CD von Surphuy Waqanki aufzulegen, leise natürlich, um die Nachbarn nicht zu wecken. Vor sich hinsummend sang sie den wehmütigen Refrain mit. Sie schlüpfte aus ihren hochhackigen Schuhen und setzte sich mit übereinandergeschlagenen Beinen vor das Sofa. Wir tranken aus den Bierdosen aus meinem Vorrat im Kühlschrank, mit der Hand wischte sie sich den Schaum von den Lippen. Bei geöffnetem Fenster rauchten wir eine Zigarette. „Haste nicht noch was Besseres zu rauchen?“, fragte sie mich. Natürlich hatte ich. Sie tat so, als würde sie die gewaltige Wölbung in meiner Hose übersehen, die ich ganz vergeblich zu unterdrücken versuchte. Oh weh, rumorte es in meinem Inneren, würden wir hier bis in die frühen Morgenstunden herumsitzen und gepflegt konversieren, wenn nicht einer von uns beiden die Initiative ergriff? Als hätte sie meine Gedanken gelesen, zog sie mein Schachbrett unter einem Stapel Bücher hervor, sie schlug mir eine Partie vor. Ich wirkte, aus welchen Gründen auch immer, mächtig abgelenkt, sie könne gewinnen. Aber eine Revanche bekäme ich dann angeboten. Und aller guten Dinge seien bekanntlich drei. Und dann müsste ich ja auch schon wieder zur Arbeit gehen, ‚tschuldigung, dass sie mich um meine wohlverdiente Nachtruhe gebracht habe. Oder wir könnten auch was völlig anderes machen. Sie beugte sich zu mir hinüber und küsste mich. Ihr Gesichtsausdruck, eben noch verträumt und wie in Gedanken versunken, wurde ein anderer, ein harter, wilder, entschlossener. Nachdem sie mit ihren Lippen meinen Mund, meine Wangen, meine Lider erkundet hatte, entzog sie sich mir wieder, mit einem heftigen Ruck warf sie die Dreadlocks zurück. Mit einem Ausdruck fanatischer Entschlossenheit bäumte sie sich auf, während sie zusah, wie sie ausgezogen wurde. Mit ihren muskulösen Oberschenkeln nahm sie mich in ihre Gewalt, ich zahlte es ihrem Hintern mit Quetschungen und Prellungen heim. Sie würde wohl in den nächsten Tagen ein Kissen zum Sitzen brauchen, aber eine Erbse sollte nicht darunter liegen, hehehe, Hans Christian Andersen, ich kann's halt nicht lassen, selbst in solchen Augenblicken mit meiner Belesenheit zu protzen. Dann nichts mehr auf der Welt außer dem Zucken unserer sich vereinenden, schweißüberströmten Körper. Sie umklammerte mich mit ihren Schenkeln, biss mich, grub ihre Nägel in meinen Rücken, während sie mir mehr und mehr ihren Rhythmus aufzwang. Sie verstand es, meinen Höhepunkt schier unendlich hinauszuziehen, bis ich den Allmächtigen um Erlösung anflehte, die sie mir aber noch lange nicht gewährte. „Dein Gott hilft dir hier nicht“, schrie sie keuchend. Ihr Gesicht erstrahlte in ungebändigtem furienhaften Glanz. Währenddessen war ein orkanartiger Sturm aufgekommen, der gegen das Fenster peitschte. Bei unserem gemeinsamen Höhepunkt, als ich sie mit immer kraftvolleren und ausdauernden Stößen nahm, durchschlug ein Ast das Fenster und Wassermassen ergossen sich in den Raum.

„Jetzt gehörst du mir, mir ganz allein“, sagte sie zu mir, und mit diesen Worten entschwand sie aus meinem Traum.

Am Morgen kroch ich geradezu auf allen Vieren ins Büro. Das gewohnt geisttötende Genöle des Chefs regte mich heute nicht auf. Er tat mir leid.

16. Mai. Eine seltsame Mattigkeit hat mich befallen. Hab mich für drei Tage krankschreiben lassen. Mürrisches Gemurmel vom Chef. Er kann mich mal.

17. Mai. Muss was gegen die Mückenplage tun, stechen mir ständig in den Hals, diese Biester.

18. Mai. Mit einem geschwollenen Hals aufgewacht, als hätte mich ein Wrestler in die Beinschere genommen und ausgequetscht wie eine Zitrone. Ich sehne mich nach Sava. Wann werde ich sie wiedersehen?

19. Mai. Mehrere Kilos abgenommen, muss mehr essen. Vielleicht sollte ich Sava zu einem nächtlichen Diner in einen Sterne-Schuppen ausführen, so mit 5 Gängen und allem drum und dran. Mal sehen, ob mein Kontostand das hergibt. Sie im eng anliegenden und tief ausgeschnittenen schwarzen Fummel und Mörderinnen-Absätzen, um's dort mal so richtig krachen zu lassen. Alle im Restaurant würden sich fragen, wer der Schlappsack neben ihr ist, und ob er wohl sein Jahresgehalt verpfändet hat, um … oh süßer Vogel Sehnsucht!

20. Mai. Gestern Nacht war ich in Wolhynien. In meinem Traum irrte ich durch die weiten hallenden Zimmerfluchten eines düsteren und unheilverkündenden Bergschlosses. Auf den Wänden formten unzählige flackernde Leuchter auf Konsolen bizarre Gebilde und sie tauchten die Dinge in ein fahles und gespenstisches Licht, die Duftflakons, kunstvoll eingefassten Spiegel, majestätischen Pendeluhren, mit Intarsien versehenen Tischchen und Sekretäre, Ottomanen, Wandbehänge mit Jagdszenen und Satyren in bukolischen, aber irgendwie bedrückend und alptraumhaft anmutenden Landschaften. Ich meinte, leise und entfernt absonderliche Orgeltöne zu vernehmen, aber es könnte auch eine akustische Täuschung gewesen sein. Der Wind pfiff um das Gemäuer und schien an Stärke zuzunehmen, die Nacht draußen war stockfinster, kein Stern blinkte am Firmament. Am Ende des letzten Ganges fand ich Sava in einem Spiegelkabinett ausgestreckt auf einem prachtvollen französischen Himmelbett, die Decke zurückgeschlagen, und so wie Gott oder wer auch immer sie erschaffen hatte. Oder, kam mir der Gedanke, vielleicht hatte sie ja gar niemand erschaffen, sondern sie war schon immer dagewesen. Ich zerbrach mir darüber aber nicht sonderlich den Kopf, es gab Vordringlicheres zu tun.

21. Mai. Der Arzt konnte mir auch nicht helfen. Er verschrieb mir ein paar Pillen und legte mir in bedachtsam gewählten Worten nahe, die Dienste eines guten Psychotherapeuten in Anspruch zu nehmen.

22. Mai. Anruf von meinem Chef, wo ich denn bliebe und ob er mir vielleicht auf Knien dafür zu danken habe, dass er mir gnädigst Arbeit geben dürfe. Ich sagte ihm, dass er sich meinen Job sonstwohin stecken könne und legte grußlos auf. FDP-Arsch!

23. Mai. Nachdem ich Sava, so gut wie ich es noch konnte, meine Liebesdienste erwiesen hatte, plauderten wir im Bett bei geöffnetem Fenster mit einem Joint, den wir uns teilten, und an Rotwein aus Plastikbechern nippend über unsere literarischen Vorlieben. Wir könnten, schlug sie vor, in den Pausen zwischen, du weißt schon, uns unsere Lieblingsgeschichten vorlesen, was hielte ich vonDer schönste Ertrunkene der Weltvon Gabito García Márquez oderDie Nacht, in der man ihn allein ließvon Juan Rulfo, ich stünde doch auch auf den Magischen Realismus und der Altiplano sei doch auch mein Sehnsuchtsort. BeiEine langweilige Geschichtevon Tschechow würden wir gemeinsam weinen, besonders an der Stelle, wo sie ihren Ziehvater, „Warte kurz, ich hol das Reclam-Bändchen schnell aus dem Regal und les es dir dann vor … so, da hab ich’s, wo sie also zu ihm sagt, sie siezt ihn, muss seltsam gewesen sein im alten Russland, im neuen ja auch, aber auf andere Art, wo sie also zu ihm sagt: ‚In flehendem Ton und beide Händezu ihmhingestreckt:Nikolai Stepanowitsch, teurer Freund, ich bitte Sie, ich flehe Sie an, wenn Sie meine Freundschaft und Verehrung für Sie nicht verachten, so erfüllen Sie mir eine Bitte! – Was für eine Bitte? – Nehmen Sie das Geld, das ich noch besitze, von mir an! – Aber was sind das für Einfälle! Was soll ich mit deinem Geld? – Fahren Sie irgendwohin, um eine Kur zu machen! Sie haben sie dringend nötig. Wollen Sie es annehmen? Ja? Lieber, Guter, ja? – Sie sieht mir in gespannter Erwartung ins Gesicht und wiederholt: Ja, wollen Sie es annehmen? – Nein, meine Liebe, das nehme ich nicht an, ich danke dir … fahr wieder nach Hause! – Also Sie halten mich nicht für Ihre Freundin, sagte sie niedergeschlagen. … Verzeihen Sie! … Ich verstehe Sie. Einer Frau wie mir verpflichtet zu sein, einer ehemaligen Schauspielerin, das ist … Nun, dann leben Sie wohl! … Sie geht so schnell fort, dass ich nicht einmal Zeit habe, ihr Lebewohl zu sagen.‘“Und noch mehr würden wir heulen, wo er gegen Ende zu ihr sagt, dass er nur noch wenige Monate zu leben habe, genauso wie Tschechow mit seiner Tuberkulose, als er dies schrieb. Aber sie hört und versteht die Worte nicht, so verzweifelt ist sie in diesem Moment über ihr vermeintlich verpfuschtes Leben. Hätte sie sie verstanden, wäre der Schluss der Erzählung ein ganz anderer gewesen, aber so endet sie mit den Sätzen: „Dann bist du also zu meinem Begräbnis nicht da? Aber sie sieht mich nicht an, und ihre Hand liegt so kühl in der meinen, als ob sie mir eine Fremde wäre. Ich begleite sie schweigend bis an die Tür. … Sie weiß, dass ich ihr nachschaue und wird sich an der Ecke wohl noch einmal umblicken. … Nein, sie hat sich nicht umgeblickt … ihre Schritte sind verhallt. Lebewohl, du mein Teuerstes auf der Welt!“Wir würden uns aber auch erhoben fühlen, denn niemals, niemals würde ausgerechnet sie auf meinem Begräbnis fehlen und ich umgekehrt ja ganz gewiss auch nicht auf ihrem, wenn böse Menschen einen von uns beiden pfählen und enthaupten würden, auch wenn wir die Einzigen wären, die uns dort beweinten.

Die nächste Runde danach war noch weit besser.

24. Mai. Kann mich kaum noch auf den Beinen und den Kugelschreiber halten, mit dem ich diese Notizen zu Papier bringe. Mein rapider Gewichtsverlust, meine Appetitlosigkeit (außer auf Sava), meine immer blassere Gesichtsfarbe, meine Antriebsarmut nehmen langsam bedrohliche Züge an, muss heute Nacht mit Sava darüber reden, vielleicht weiß sie Rat.

25. Mai. Ich schrecke zurück, als ich mich im Spiegel über dem Waschbecken sehe. Hab doch immer am liebsten Bücher gelesen und sonst nicht viel erlebt, wie mein guter alter Kumpel de Groote, und jetzt auf einmal das!

26. Mai. Mit dem Pfaffen geredet. Er sagte mir, dass Gottes Wege unergründlich seien, wichtig sei allein, sich ihm bedingungslos hinzugeben, frohgemut und mit ganzem Herzen. Salbader, salbader, salbader.

27. Mai. Bin mit Sava in der letzten Spätvorstellung eines Programmkinos gewesen. Gezeigt wurdeNosferatu, Synfonie des Grauensvon F. W. Murnau. „Das ist doch alles Schrott“, flüsterte mir Sava nach kaum mehr als der Hälfte des Films ins Ohr. „Warum sollten Untote spitze Nasen und Glubschaugen haben, das ist doch völlig realitätsfern. So kann man sich Wiedergänger doch nur in Städten wie Bielefeld1vorstellen. Und wenn du schwul wärest, was du ja ruhig sein könntest, ein paar meiner liebsten Familienangehörigen sind das auch, aber du bist es nun mal nicht, wie ich sicher weiß, aber selbst wenn, würdest du dich dann von einem solchen Vollhorst betatschen lassen, nee, du nicht, ganz gewiss nicht, könnte ich dich sonst so lieben?! Dann haust der Typ auch noch in der Hamburger Speicherstadt, hat er's vielleicht auf die Besucher des Miniatur-Wunderlands abgesehen (?), Krallen weg, kann ich dazu nur sagen! Wär ja auch sehr schlecht für den Hamburg-Tourismus, hat denn dieser Murnau darauf keinen Gedanken verschwendet?“ Wir begannen, uns in der hintersten Reihe zu küssen, bemüht, dabei keine Geräusche zu machen, um die wenigen anderen Zuschauer nicht zu stören, die im fahlen Licht des Vorführgerätes und dem flackernden Flimmern des Schwarz-Weiß-Films aus den frühen Zeiten des Kinos seltsam blutleer und irgendwie gespenstisch wirkten. Aber ihre Aufmerksamkeit schien jetzt nicht mehr dem Film zu gelten, sondern ganz uns zugewandt zu sein. Auf dem Heimweg in lauschiger Frühlingsnacht übermütig herumgetollt, froh, dem Albtraum entronnen zu sein. Sind noch bei einem Spätkauf vorbeigegangen, um uns für den Rest der Nacht mit einem Päckchen Zigaretten, einer Flasche Rotwein und einem Flachmann Rum einzudecken. Wodka trank Sava aus Prinzip nicht mehr,nichts mehr von diesen Blutsaugern!Der alte Orientale an der Kasse, vertieft in die Lektüre desNegronomiconvon Abdul Alhazred, erbleichte, als er Sava sah, alle Farbe schien auf einmal aus seinem Gesicht entwichen zu sein, mit zitternden Händen gab er uns das Wechselgeld zurück, einige Münzen entglitten seinen Händen und fielen scheppernd zu Boden. Zu Hause angekommen machten wir es uns im Bett gemütlich. Als wir dann später gleichzeitig den Höhepunkt erreichten, schrie Sava gellend: „Du wirst nie mein Nosferatu sein und ich nicht deine Nosferata, wir beide lieben uns aufrichtig und ehrlich und für immer!“ Ermattet schliefen wir ein.