Schachmatt - Winnetou und Old Shatterhand Anthologie - Steve Heller - E-Book

Schachmatt - Winnetou und Old Shatterhand Anthologie E-Book

Steve Heller

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Beschreibung

Nun reiten sie wieder, unsere und Karl Mays Helden. Ihre Abenteuer sind noch nicht zu Ende erzählt, wie die vorliegende Anthologie mit zehn spannenden, schaurigen und lustigen Kurzgeschichten zeigt. Erfahrt hier, wie ein englischer Lord den deutschen Westmann kennenlernt, ein streunender Hund unsere Helden fast zum Wahnsinn treibt und der Apachenhäuptling das Schachspielen lernt. Das Blutsbrüderpaar begegnet auf ihren Reisen für Frieden und Gerechtigkeit historischen Persönlichkeiten, die die Welt des viktorianischen Zeitalters in den Vereinigten Staaten und der übrigen Welt geprägt haben. »Schachmatt« ist die erste Anthologie von Steve Heller. Weitere Bände sind in Planung.

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Inhaltsverzeichnis

Marie Louise

Der Streuner

Schachmatt

Heimat oder Pflicht?

Die Tochter des Geigers

Paraskavedekatriaphobie

Winnetou und der Maler

Die Legenden der Alten

Die letzte Reise

Old Shatterhands unnützes Wissen

Danksagung

Winnetou und Old Shatterhand Anthologie

von Steve Heller

1. Auflage, 2020

© Alle Rechte vorbehalten

Schreibstark-Verlag

Saalburgstr. 30

61267 Neu-Anspach

Erzähle nicht die Wahrheit,

solange dir etwas Interessanteres einfällt.

Karl May (1842 - 1912), dt. Jugendschriftsteller

Der Westmann und der Lord

( eine Geschichte von Lord Emery Arthur William Phillip Bothwell)

Wenn ich im Londoner Traveller Club weile, werde ich oft gebeten, zu berichten, wie ich Old Shatterhand das erste Mal traf. Während wir dann in der altehrwürdigen Bibliothek sitzen, zünde ich mir eine meiner Zigarren an und erzähle dann den anderen Lords, wie es sich damals zutrug:

Es war etwa drei Wochen nach meinem 18. Geburtstag, als mein Vater Lord George Bothwell, 5. Earl of Edwinstowe verstarb. Schon bald fing ich an, mich auf dem Landschloss und den dazu gehörigen Ländereien zu langweilen. Die Verwaltung von Pächtern, Schafen und die adeligen Gesellschaften lagen mir einfach nicht. Also rief ich unseren Familiennotar herbei und überschrieb meinem jüngeren Bruder Robert das Gut mit allen Rechten und Verpflichtungen. Mit einer ordentlichen Jahresrente und einigen Rücklagen war ich durchaus finanziell abgesichert. Einen gewissen Anteil am Ertrag ließ ich in den Vertrag mit meinem Bruder einfügen. Mich lockten Abenteuer und ferne Länder. In der großen Bibliothek las ich ein Buch nach dem anderen. Ich reiste literarisch mit dem Prinzen Maximilian zu Wied entlang des Missouri, handelte mit Marco Polo bei den Chinesen, vermass mit den Gebrüdern Schlaginweit das asiatische Hochland und sammelte mit Alexander von Humboldt seltene Tiere und Pflanzen für die Wissenschaft. Alles schrie nach Abenteuer, Exotik und Freiheit. Sollte ich nach Indien auf Tigerjagd gehen? Ich sah mich schon mit den Maharadschas von Eschnapur auf Elefantenrücken durch den Dschungel reiten. Der alte Globus in der Ecke kam mir gerade recht. Ich gab der Kugel einen Schwung. Eine Zeitlang wartete ich ab und schaute den Drehungen Runde und Runde zu. Dann stieß ich die Kugel ein weiteres Mal mit dem Zeigefinger an und sah, welchen Ort ich ausgesucht hatte. Meine Wahl war auf einen Punkt in New Mexiko in den Vereinigten Staaten von Amerika gefallen. Kein näherer Ort schien an dieser Stelle zu liegen, nur ein Fluss war dort vermerkt: Rio Pecos.

Drei Monate später ritt ich wohlgemut durch eine menschenleere Halbwüste. Ich trug einen weißen Leinenanzug, den ich mir in London hatte schneidern lassen. Auf dem Kopf schützte mich ein ebenso farbiger Tropenhelm vor der immerwährend scheinenden Sonne. Mein Pferd, ein knochiger ausdauernder Brauner, hatte ich in St. Louis erstanden. An meiner Hüfte hing ein Revolvergurt, im beidseitigen Holster je ein glänzender Colt und ein Bowiemesser in der Scheide. In der Gewehrtasche am knarrenden Sattel ruhte eine Rifle, die ich bei einem bärbeißigen Büchsenmacher namens Henry erstanden hatte. Ich schätzte, dass ich etwa die Hälfte meines Reiseweges in Richtung Rio Pecos hinter mir hatte. Es war später Nachmittag und ich suchte mit den Augen nach einem kleinen Gewässer, an dem ich mein Nachtlager aufschlagen konnte, als ich eine Staubwolke wahr nahm, die schnell auf mich zukam. Umsichtig löste ich die Sicherungsschnur der Pistolen und ritt langsam weiter.

Gerade umritt ich einen großen Findling, als ich sieben Gestalten erblickte, die da heranritten. Der erste Reiter trug einen staubigen, gestreiften Anzug und einen Bowler auf dem Kopf. In Zweierreihen folgten ihm Männer in Staubmäntel, mexikanischen Ponchos, Wolljacken und Lederhemden. Alle waren bis an die Zähne bewaffnet und mit zähen Pferden versorgt. Auf den ersten Blick vermochte man zu erkennen, dass diese Leute keine Chorknaben waren. Es war zu spät, mich zu verstecken, also wartete ich gespannt, dass sie näherkamen. Die Meute stockte kurz in der Geschwindigkeit. Sie hatten mich gesehen. Dann ritten sie mit dem vorherigen Tempo weiter, um kurz vor mir zum Halt zu kommen. Einen Moment lang begutachtete mich der Anführer, dann fing er schallend an zu lachen.

»Seht Gents, da haben wir aber einen lustigen Vogel aufgegabelt.«

Die übrigen Reiter fielen in das Gelächter ein.

Der Boss wurde schlagartig ernst: »Hey Mr., aus welchem Ei habt Ihr Euch herausgepellt?«

»Sie haben wohl keine Manieren, Sir«, maßregelte ich ihn. »So redet man nicht mit einem Gentleman!« Über so viel Frechheit überwand ich meine anfängliche Besorgnis. Solch ein Gesindel hatte meinen Kampfgeist geweckt.

»Und wie redet man mit einem Gentleman?«, feixte mein Gegenüber.

»Man spricht ihn mit My Lord oder Sir an«, antwortete ich unbekümmert. »Und man stellt sich vor: mit Name, Stand und Herkunft.«

»Oh, Entschuldigung, Sir«, der Tonfall des anderen troff nur von Sarkasmus, »darf ich mich Ihnen vorstellen: John Smith, Unternehmer aus Tucson, Arizona. Und Ihr?«

»Lord Emery Arthur William Phillip Bothwell, 6. Earl of Edwinstowe aus England.«

»Und was ist mit den anderen fünf Earls passiert?«, Smith lachte erneut. Er meinte, einen vortrefflichen Witz gemacht zu haben. Seine Spießgesellen stimmten ein.

»Ich finde Ihr Benehmen unmöglich, Sir«, rief ich empört aus. Hinter meiner Stirn aber schlugen meine Gedanken Purzelbäume. Natürlich war das eine verzwickte Situation; aber, wenn ich weiterhin den einfältigen Lord gab, bestand die Möglichkeit, dass die Banditen nur mein Geld und meine Waffen nahmen - ich aber am Leben blieb. »My Lord, wir werden Ihnen mal beibringen, wie hier der gesellschaftliche Ton klingt«, mit diesen Worten zog Smith seinen Colt und richtete ihn auf mich, »absteigen!« Langsam kam ich der Aufforderung nach. Einer der Banditen sprang gekonnt von seinem Pferd und fing an, meine Sachen zu durchwühlen. Kompass, Rasierzeug, Seife und mein Ersatzhemd flogen im hohen Bogen in den Staub. Dann zog er meine Ledermappe mit den Dokumenten und den Dollars hervor. Dies kommentierte er zynisch mit: »Hier Boss, scheint ja ein Goldkehlchen zu sein.«

Smith nahm die Mappe und pfiff durch die Zähne: »Das ist aber sehr unvorsichtig, My Lord, mit so viel Bargeld durch die Prärie zu reiten. Das nehmen wir lieber sicherheitshalber an uns.«

Sein Kumpan zupfte an meinem Anzug herum. »Feines Stöffchen«, meinte er. Ich versuchte, aus seiner Reichweite zu gelangen, aber schon waren zwei weitere Banditen heran und sie zwangen mich auf den Boden. Ich versuchte, mich noch zu wehren, aber in kurzer Zeit hatten sie mir die Oberbekleidung ausgezogen. Nur die roten Longjohn1 am Leibe, die Hände und Füße stramm gefesselt und einen Knebel im Mund, ließ mich die Bande hinter dem Findling liegen. Sie fassten mein Pferd am Zügel und ritten davon. Die Nacht brach herein. Ich wartete eine Zeitlang, ob meine Peiniger wieder zurückkehren würden, dann tastete ich den Boden ab, bis ich einen scharfkantigen Steinbrocken fand. Es dauerte Stunden, die ich verbrachte, die Fesseln zu durchtrennen. Mehrfach ratschte das Gestein über meine Haut. Blut lief mir aus den Schürfwunden. So viele Schimpfwörter gab es gar nicht, mit denen ich die Banditen gerne tituliert hätte. Als ich mich endlich befreit hatte, brach die Morgendämmerung an. Ich fand mein weggeworfenes Hemd und den Kompass im Staube wieder. Nach kurzer Orientierung machte ich mich mit bloßen Füßen auf den Weg gen Süden. Schon bald waren meine Sohlen rau, rissig und voller Dornen, aber stoisch setzte ich meinen Weg fort. Mein Haupt hatte ich mit dem Kleidungsstück umwickelt, um mich vor der erbarmungslosen Sonne zu schützen. Mit den Augen suchte ich die Umgebung nach einem Rinnsal oder Tümpel ab, denn ich verspürte starken Durst.

Der Vormittag war schon weit fortgeschritten, als ich Pferdegetrappel hinter mir hörte. Ich sah mich um, konnte aber nur einen einzelnen Reiter ausmachen. ›Was soll`s‹, dachte ich mir, ›er kann mir ja nichts mehr wegnehmen.‹ Und so ging ich weiter. Kurze Zeit später war der Fremde heran und setzte sich mit seinem Pferd neben mich. Aus dem Augenwinkel besah ich mir betrachtete ich den Fremden. Er war von nicht sehr hoher und nicht sehr breiter Gestalt. Ein dunkelblonder Vollbart umrahmte sein sonnenverbranntes Gesicht. Er trug ausgefranste Leggins und ein ebenso an den Nähten ausgefranstes Jagdhemd, lange Stiefel, welche er bis über die Knie emporgezogen hatte, und einen breitkrempigen Filzhut, in dessen Schnur rundum die Ohrenspitzen des grauen Bären steckten. In dem breiten, aus einzelnen Riemen geflochtenen, Gürtel steckten zwei Revolver und ein Bowiemesser; er schien rundum mit Patronen gefüllt zu sein. An ihm hingen außer mehreren Lederbeuteln zwei Paar Schraubenhufeisen und vier fast kreisrunde, dicke Stroh- oder Schilfgeflechte, welche mit Riemen und Schnallen versehen waren. Von der linken Schulter nach der rechten Hüfte trug er ein aus mehrfachen Riemen geflochtenes Lasso und um den Hals an einer starken Seidenschnur eine mit Kolibribälgen verzierte Friedenspfeife, in deren Kopf indianische Charaktere eingegraben waren. Mit der Rechten balancierte er eine schwere Büchse auf dem Schoß und in der Linken hielt er eine brennende Zigarre, an welcher er soeben einen kräftigen Zug tat, um den Rauch mit sichtlichem Behagen von sich zu blasen. Der echte Präriejäger gibt nichts auf Glanz und Sauberkeit. Je mitgenommener er aussieht, desto mehr hat er mitgemacht. Er betrachtet einen jeden, der auf sein Äußeres etwas gibt, mit souveräner Geringschätzung. Der größte Gräuel ist ihm ein blankgeputztes Gewehr. Nach seiner festen Überzeugung hat kein Westläufer Zeit, sich mit solchem Schnickschnack zu befassen.

Nun sah an diesem jungen fremden Manne alles so sauber aus, als sei er erst gestern von St. Louis aus nach dem Westen aufgebrochen. Sein Gewehr schien vor einer Stunde aus der Hand des Büchsenmachers hervorgegangen zu sein. Seine Stiefel waren makellos eingefettet und die Sporen ohne eine Spur von Rost. Seinem Anzug war kaum eine Strapaze anzusehen, und wahrhaftig, er hatte sogar seine Hände rein gewaschen2.

Schweigend setzten wir unseren Weg wohl eine halbe Stunde fort. Der Fremde sah sich um und lugte zum Himmel:

»Ist ein heißer Tag heute.«

»Ja, sehr heiß.«

»Gestern war es auch heiß.«

»Ebenso wie der vorherige Tag.«

»Morgen könnte es aber regnen!«

»Habt Ihr einen Laubfrosch unter dem Hut, der Euch das sagt?«

Da musste der Sonntagsjäger lachen. Es war so erfrischend, dass ich einfiel. Als wir beide wieder zu Atem kamen, rief der Reiter: »Wer in so einer misslichen Lage noch Humor hat, kann wohl kein schlechter Mann sein. Haltet ein, wir wollen lagern und Ihr erzählt mir, was Euch widerfahren ist.«

Er sprang vom Pferd und sah mir offen ins Gesicht. Ich nahm die dargebotene Hand, schüttelte sie kräftig und er stellte sich vor: »Mein Name ist Charly May. Und nun berichtet mal.«

Aus der dargereichten Feldflasche nahm ich ein paar lange Schlucke Wasser. Dann schilderte ich ihm mein Erlebnis.

Als ich geendet hatte, pfiff Charly nach seinem Pferd, das sofort heranstürmte. »Ein schönes Tier habt Ihr da. Von welchem Gestüt stammt er?«, erkundigte ich mich.

»Hatatitla, das bedeutet Blitz, wurde bei den Apachen gezogen.«, war seine Antwort.

»Die Rothäute züchten solche Pferde?«, ich war ehrlich gesagt erstaunt. In den gängigen Berichten, die man in England über den Westen las, saßen die Indianer immer auf struppigen halbverhungerten Wildpferden. Er erläuterte: »Es gibt einige Stämme, die sich auf die Pferdezucht spezialisiert haben. Nehmt einmal die Nez Perce` droben in Idaho. Ihre Appaloosas3 werden sehr geschätzt, allein durch ihre Farbe, dem typischen Tigerfleckenmuster, und dem sanften Charakter.« Charly nestelte an seinem Gepäck herum, dann zog er einen Beutel hervor und reichte ihn mir: »Hier habt Ihr ein paar Mokassins. Sie sind zwar nicht für lange Wanderungen so gut geeignet wie Stiefel, aber um Eure Füße zu schützen, gehen sie allemal.«

Er schwang sich auf den Rappen und wendete auf die Strecke, aus der wir gekommen waren.

»Geht den Weg in Richtung Süden weiter. Ich hol Euch schon bald wieder ein.«

»Was habt Ihr vor?«

»Ich folge den Spuren der Outlaws4. Mal sehen wohin sie führt.«

Ein aufmunterndes Schnalzen an den Hengst und schon war er davongeeilt. Ich zog mir die Mokassins an die Füße und lief wieder los.

Nach schätzungsweise vier Stunden kehrte Charly zurück.

»Die Bande ist stetig nach Osten geritten«, erklärte er, »es bringt aber jetzt nichts, sie zu verfolgen. My Lord, Sie brauchen erst einmal etwas zum Anziehen und ein vernünftiges Pferd. Noch ein paar Stunden Fußmarsch, dann erreichen wir ein kleines Wäldchen. Dort können wir rasten. Morgen früh werden wir dann bequem Fort Sill erreichen und uns dort ausstaffieren.« Er stieg ab und wir liefen Seite an Seite weiter. Während wir so marschierten, erzählte jeder ein wenig über sich. Dabei lernte ich, dass Charly seit über einem Jahr im Westen war. Nachdem er als Hauslehrer in St. Louis gearbeitet hatte, nahmen ihn ein paar Westmänner unter ihre Fittiche, die für die Great Western Railway arbeiteten. In dem kommenden Abenteuer war er ein Freund der Apachen und der Blutsbruder des Häuptlings Winnetou geworden5. Im Westen nannte man ihn Old Shatterhand. Wir waren im selben Alter und uns von Beginn an sympathisch, sodass wir zum Abend am Lagerfeuer im besagten Wäldchen beim freundschaftlichen ›Du‹ angelangt waren.

Ich hatte eine Befestigungsanlage mit allem Drum und Dran erwartet. Nach meiner Vorstellung war mit dem Wort ›Fort‹ ein rechteckiger hoher Palisadenzaun mit vier überdachten Türmen an jeder Ecke verbunden. Welch eine Enttäuschung stellte nun Fort Sill für mich dar. Auf einem freien Feld umschlossen hüfthohe Mauern aus Adobeziegeln einige in Reihen aufgestellte Militärzelte. Ein, zwei Bretterbuden waren auch vorhanden. In der Mitte auf einem Rasenstück, das der Exerzierplatz sein mochte, erhob sich ein Mast, an dem die amerikanische Fahne wehte.

»Fort Sill ist ein kleiner Vorposten von Fort Gibson«, erklärte mir Charly, »neben einer Kompanie sind nur ein paar Verwaltungssoldaten und ein Händler hier stationiert.«

Wir traten durch das offene Eingangstor. Die wachhabenden Soldaten grüßten nur gelangweilt. Old Shatterhand war hier wohl bekannt. Nachdem der Rappe versorgt war, wendeten wir uns den Auslagen des Händlers zu: »Wie soll ich das denn bezahlen?«, fragte ich Charly verzweifelt, »die Banditen haben mich doch komplett ausgenommen.«

»Mach dir keine Gedanken«, beruhigte er mich, »du kannst es mir ja zurückgeben, wenn wir die Kerle geschnappt und dein Eigentum wiederhaben.«

»Ich bestehe aber auf einen Schuldschein«, verlangte ich.

»Wenn du meinst«, mein Freund zuckte mit den Schultern.

Ich ließ mir von dem Händler eine Auswahl an Hemden, Hosen und Stiefeln vorlegen. Der eine oder andere Ausrüstungsgegenstand folgte: ein Bowiemesser, eine Pistole, ein Lasso und vor allem ein Repetiergewehr nebst Munition. Ich seufzte ob des Zustandes der Dinge, denn die gestohlenen Sachen waren neu und hundertmal vortrefflicher gewesen, als dieser kümmerliche Haufen. Ich hatte gerade meine Auswahl getroffen, als Charly wieder neben mir stand. Ich hatte gar nicht bemerkt, wie er weggegangen war. Er zog mich vor das Zelt und zeigte auf einen struppigen Schecken. »Dein neues Pferd!«

Mir fiel vor Entsetzen die Kinnlade runter. Das konnte er doch nicht ernst meinen. Das Tier war nur halb so hoch wie der Braune, den ich vorher geritten hatte. Die Mähne dick und verfilzt, der Schweif kurz und dünn. Selbst Don Quijotes Rosinante wäre gegen dieses Exemplar als vollblütig durchgegangen. »Auf dieses Tier bekommen mich keine zehn Ochsen!«

»Jetzt hab dich mal nicht so, mein edler Lord«, war die kurze und knappe Antwort. Wir gingen um das Pferd herum und der erfahrene Westmann erklärte mir die jeweiligen Anzeichen, warum dieses Ross die beste Wahl für die Prärie wäre. Breite Brust wegen der Ausdauer, gerader Rücken, kräftige Hinterbeine und sehnige Fesseln. Die Hufe waren so hart, dass sie keine Eisen brauchten. Ein Funkeln in den Augen zeugte von Intelligenz und Temperament. Ich griff nach dem Maul des Schecken, da scheute er zurück.

»Langsam« ermahnte mich Charly. »Sprich mit ihm und lass ihn an dir schnuppern. Dann merkt er, dass du ihm nichts Böses willst. Wenn du ihm dann leicht in die Nüstern bläst, lernt er deinen Geruch kennen.« Er zwinkerte mir zu: »Ein alter Indianertrick!«

Ich tat, wie mir geheißen und schon bald fasste der Mustang Vertrauen, sodass ich sein Maul öffnen und anhand der Zähne sein Alter schätzen konnte. Er mochte circa neun Jahre alt sein, also im besten Jahrgang.

In diesem Moment trat Charly mit einem knorrigen Sattel und den übrigen Gegenständen aus der Behausung des Händlers hervor: »Drinnen liegen noch deine Kleider. Zieh dich an, dann suchen wir den Kommandanten auf, wegen einer Unterkunft! Den Wolken zufolge wird es bald mächtig anfangen zu schütten.«

Und wirklich, während meines Einkaufs waren hohe dunkle Wolkengebilde aufgezogen. Kaum hatten wir uns im Fort eingerichtet und die Pferde versorgen lassen, öffneten sich die Schleusen des Himmels und es ergossen sich sintflutartige Regenschauer hernieder.

Zwei volle Tage saßen wir in diesem Vorposten fest. Wir nutzten die Zeit, mit dem Kommandanten zu dinieren, oder fochten die eine oder andere Partie „Dame“ miteinander aus. Das Spielbrett hatten wir uns bei dem Händler ausgeliehen.

Am Morgen des dritten Tages ging am Horizont die Sonne blutrot in einem klaren Himmel auf. »Ich fürchte, die Spur der Outlaws ist durch den Regen völlig zerstört worden«, sinnierte Charly beim Frühstück, »was hältst du davon, wenn du mich zum Pueblo der Apachen begleitest?«

»Da sag ich nicht nein«, jubelte ich. Das Pueblo der Mescalero-Apachen lag in einem Seitental am Rio Pecos, wie Charly mir beschrieben hatte. Und zu diesem Fluss war ich ja unterwegs gewesen.

Wir schirrten unsere Pferde auf und verließen das Fort. Am Anfang war es noch recht eigenartig, auf dem Schecken zu sitzen. Aber bald merkte ich, dass er munter ausgreifen konnte und begierig zu rennen war. Wir gaben unseren Pferden die Zügel frei und die beiden Tiere flogen nur so über die Prärie, dass es einem schwindlig werden konnte. Natürlich war Charlys Rappe um Längen schneller, aber am Ende des rasanten Ritts wartete er geduldig auf einer Anhöhe. Unter uns lag die weite Prärie. Durch den Regen schien die Vegetation zu explodieren. Was vorher nur eine staubige Halbwüste mit braunen Grashalmen war, hatte sich in ein grünes, wogendes Meer verwandelt. Manch bunte Prärieblume nutzte das Nass, um mit den anderen Blumen um die Wette zu blühen. Am Horizont erahnte man die hohen Berge der Devils Range und einige Gabelantilopen sprangen mit ihren Kitzen durch die Landschaft. Solch ein Wunder der Natur würde ich drüben in Old England nicht finden. Staunend setzte ich meinen Weg an Charlys Seite fort.

Tagelang waren wir unterwegs. Die Sonne trocknete die Prärie wieder langsam aus und das Blütenmeer wich der trockenen Halbwüste. Old Shatterhand übernahm ganz selbstverständlich die Rolle des Schulmeisters an mir. Wie bei ihm einst Sam Hawkins und später Winnetou, unterrichte mich mein Freund in den Grundkenntnissen eines Westmanns. Dass ich reiten und schießen konnte, wusste er. Meine Treffsicherheit mit dem Gewehr hatte ich schon im Fort bewiesen, als wir die Büchse einschossen. Nun übte ich Fährtenkunde, Anschleichen und das Anbrennen eines indianischen Feuers. Ich verzweifelte an meinen Fähigkeiten, denn immer hatte Charly etwas zu verbessern oder auszusetzen. ›Das käme schon mit der Übung und kein Meister ist vom Himmel gefallen‹ waren sein Trost an mich.

Am fünften Tag sahen wir eine dunkle Linie am Horizont auftauchen. Als wir näher kamen, erkannte ich, dass es sich um eine große Gruppe von Bäumen handelte. »Dort vorne können wir unser Nachtlager aufschlagen«, erklärte Charly, »das Wäldchen ist nicht groß. Auf der gegenüberliegenden Seite ist ein kleiner Bachlauf mit einer Lichtung.«

»Zuerst heißt es aber, nachzuschauen, dass auch kein Feind in diesem lagert«, warf ich ein.

»Du lernst schnell, Emery«, lobte mich mein Freund, »wir werden den Wald umreiten. Das dauert nur drei Stunden. Dabei können wir nach verdächtigen Spuren suchen.«

»Wir sollten uns trennen«, schlug ich vor, »du rechts, ich links herum. Wir treffen uns dann drüben.«

»Gute Idee! Spuren sieht man in dem Präriegras recht gut. Wenn du etwas siehst, verhalte dich ruhig und warte auf mich«, ermahnte Charly mich.

Ein Schnalzen an unsere Pferde und wir galoppierten jeder in seine Richtung. Ich hatte etwa dreiviertel des Weges zurückgelegt, als ich ein Gebüsch umrundete. Abrupt hielt ich mein Pferd an. Vor mir stoppten, genauso überrascht wie ich, einige Reiter. Noch während ich geistesgegenwärtig meinen Colt zog, erkannte ich die Gangsterbande, die mich vormals ausgeraubt hatte. Diese hatten schnellstens ihre Schießeisen auf mich gerichtet. »Na, wen haben wir denn da?«, fragte John Smith, während er sich lässig im Sattel zurücklehnte, »ist das nicht unser hochwohlgeborener Lord?«

Die Tramps verfielen in ein gehässiges Gelächter.

»Lasst lieber Eure Pistole fallen«, fuhr Smith fort, »sieben gegen einen. Ihr habt keine Chance!«

Zögerlich kam ich der Aufforderung nach. In mir brodelte es. Mich zweimal von der gleichen Bande ausrauben zu lassen, passte mir gar nicht. Und was sollte ich wegen Charly unternehmen? Ich musste etwas tun, damit er nicht genauso unbedarft in die Hände dieser Unholde geriet. Doch mir fiel beim besten Willen nichts ein, ohne dabei zu verraten, dass ich nicht alleine war. Mir blieb nur, gute Miene zum bösen Spiel zu machen und auf das Beste zu hoffen. Old Shatterhand war ja schließlich kein Greenhorn.

»Was verschlägt die werten Herren in diese Gegend?«, fragte ich lapidar.

»Das geht Euch nichts an, Lord«, fauchte Smith. »ich bin überrascht, dass Ihr Euch befreien und auch wieder ausstaffieren konntet.«

Dann wandte er sich an seine Kumpanen: »Los, wir machen Rast. Bindet ihn an einen Baum. Später überlegen wir uns, was wir mit ihm anstellen werden!«

Die Tramps ritten in das Wäldchen. Etwa fünfzig Meter hinter dem Saum lag die von Charly benannte Lichtung. Die Outlaws taten, wie ihr Boss befohlen und ich fand mich trotz aller Gegenwehr bald aufrecht an einer Pappel gefesselt wieder. Nachdem das Nachtlager aufgeschlagen war, brieten die Bande ein paar Fleischstücke und ließen eine Flasche Whisky kreisen. Stunden vergingen und es wurde Nacht. In mir keimte Hoffnung auf, denn es gab keine Anzeichen, dass mein Freund entdeckt, geschweige gefangen wurde. Obwohl ich damit gerechnet hatte, erschrak ich kurz, als ich eine Berührung am Bein bemerkte. Ich versuchte aber sofort, mir nichts anmerken zu lassen. Ein Ruck und die Schnüre an meinen Füssen hingen schon lockerer. Charly hatte mir erzählt, wie er einst Winnetou aus den Fängen der Kiowas befreit hatte und er damals befürchtete, dass dieser sich durch eine Bewegung verraten könnte. Deshalb stand ich unbeweglich da, während meine Arme freigeschnitten wurden. Etwas Langes wurde mir in die Handflächen gedrückt und ich umschloss den Lauf eines schweren Gewehres. Das musste der Bärentöter sein. Zeitgleich hörte ich direkt hinter mir den Ruf eines Käuzchens, dann brach die Hölle los. Auf der gegenüberliegenden Seite der Lichtung wurden Schüsse abgegeben und zwei Tramps schrien unmittelbar schmerzvoll auf. Charly sprang hinter meiner Pappel hervor und schoss mit seinem Henrystutzen mehrfach hintereinander auf die Bande. Etwas langsamer hob ich die schwere Büchse hoch und versuchte mein Übriges. Da ich aber den Bärentöter mit den steifen Gliedern kaum betätigen konnte, gingen meine Schüsse fehl. Aus dem Augenwinkel sah ich überrascht einen Indianer mit gezogenen Revolvern aus den Büschen hervorbrechen, hatte aber keine Zeit, weiter darüber nachzudenken. All dies geschah in nur wenigen Augenblicken. Die Tramps waren völlig überrumpelt. Vier krümmten sich brüllend auf dem Boden. Ihnen war jeweils eine Kugel in die Schulter gefahren. Zwei knieten schlotternd mit erhobenen Händen im Gras. Nur Smith stand unentschlossen mit gezogenem Colt in der Mitte des Tumultes.

»Hier stehen Winnetou und Old Shatterhand. Lasst Eure Waffe fallen!«, rief Charly dem Banditen zu. Widerwillig tat dieser, wie ihm geheißen. »Emery, geht es dir gut?«, fragte mich mein Freund.

»Alles in Ordnung, Charly!«, äußerte ich erleichtert.

»Gut, Winnetou wird die Schurken in Schach halten, während wir sie binden«, ordnete er an.

Bald hatten wir diese Arbeit erledigt, wobei wir keine Rücksicht auf die Verwundeten nahmen. Danach hatte ich Zeit, mich bei meinen Rettern zu bedanken. Interessiert schaute ich auf Winnetou. Er war genauso, wie Charly ihn mir beschrieben hatte: Er trug einen aus Elkleder gefertigten Jagdanzug von indianischem Schnitt, an den Füßen leichte Mokassins, welche mit Stachelschweinsborsten und selten geformten Nuggets geschmückt waren. Eine Kopfbedeckung gab es bei ihm nicht. Sein reiches, dichtes, bläulich schwarzes Haar war auf dem Kopfe zu einem hohen, helmartigen Schopf geordnet und fiel von da aus wie eine Mähne oder ein dichter Schleier über den Rücken herab. Keine Adlerfeder schmückte die indianische Frisur. Er trug dieses Abzeichen der Häuptlinge nie; es war ihm ohnedies auf den ersten Blick anzusehen, dass er kein gewöhnlicher Krieger sei. Seine königliche Haltung, sein freier, ungezwungener, elastischer und doch so stolzer Gang zeichneten ihn als den edelsten von allen aus. Wer auch nur einen einzigen Blick auf ihn richtete, der sah sofort, dass er es mit einem bedeutenden Manne zu tun hatte. Um den Hals trug er die wertvolle Friedenspfeife, den Medizinbeutel und eine dreifache Kette von Krallen der Grizzlybären, welche er mit Lebensgefahr selbst erlegt hatte. Der Schnitt seines ernsten, männlich schönen Angesichtes, dessen Backenknochen kaum merklich vorstanden, war fast römisch zu nennen, und die Farbe seiner Haut war ein mattes hellbraun, mit einem leisen Bronzehauch übergossen.

»Winnetou freut sich, das Bleichgesicht Emery, den Freund seines Blutsbruders Old Shatterhand, kennenzulernen«, begrüßte mich der Apache.

»Die Freude ist ganz auf meiner Seite, Häuptling Winnetou«, entgegnete ich. Dann ergriff ich Charlys Arm und schüttelte ihn dankbar: »Ich danke dir. Ich wusste, dass du kommst, um mich zu retten. Schon wieder!«

»Ich bin froh, dass sie dich nicht gleich niedergeschossen haben«, erwiderte mein Freund.

»Und ich erst. Wieso ist Winnetou bei dir?«, fragte ich.

»Ich traf ihn kurz nachdem wir uns getrennt hatten. Mein Bruder war auf dem Weg nach Fort Sill, um Munition zu kaufen. Dabei bemerkte er eine Spur in der Prärie, die von sieben Reitern herstammte und zu diesem Wäldchen führte. Er forschte ihnen gerade nach, als er mich heranreiten sah. Mir war sofort klar, dass dies die Tramps sein mussten, die dich überfallen hatten«, erzählte Charly. »Winnetou geht die Pferde holen«, erklärte der Apache kurz und verschwand in der Dunkelheit.

»Was geschieht jetzt mit den Gangstern?«, fragte ich.

»Wir bringen sie nach Fort Sill und überlassen sie der Obrigkeit«, erhielt ich zur Antwort.

»Gute Idee, aber vorher darf ich mir mein Eigentum an mich nehmen?«

»Natürlich, das ist dein Recht«, pflichtete mir Charly zu.

Die hasserfüllten Blicke, die Smith mir zuwarf, während ich seine Satteltaschen durchsuchte, übersah ich geflissentlich. Ich fand meine Brieftasche, die mit einem Großteil der Barschaft gefüllt war. Die Reisedokumente waren zum Glück auch noch da. Danach klaubte ich den einen oder anderen Gegenstand aus dem Gepäck der übrigen Banditen. Old Shatterhand versorgte derweil notdürftig die Verwundeten. Fast unbemerkt war nun auch Winnetou zurückgekehrt und sattelte die Rappen ab: »Meine Brüder mögen nun ruhen. Der Apache wird die erste Wache übernehmen.« Dankbar nahmen wir das Angebot an.

Während ich mich in meine Decke wickelte, raunte ich Charly zu: »Er redet wirklich nicht viel, dein Blutsbruder.«

Mein Freund lachte leise: »Das ist auch nicht nötig. Winnetou und ich verstehen uns auch ohne Worte.«

Am nächsten Morgen banden wir die Tramps auf ihre Pferde und schlugen unseren Weg nach Fort Sill ein. Es wurden sechs lange Tage, an deren Ende wir froh waren, die Bande los zu sein. Als sich die Tür der Arrestzelle hinter ihnen schloss, drohte mir Smith mit fürchterlichen Schimpftiraden an, Rache zu nehmen. Ich zuckte nur gelassen mit den Schultern und trat ins Freie. Winnetou und Old Shatterhand hatten ihre Rappen längst bestiegen und sahen mich erwartungsvoll an.

»Hast du nun genug Abenteuer erlebt, Emery«, fragte mein Freund mit leichtem Spott, »oder willst du uns noch zum Pueblo begleiten?«

»Mein Bruder Emery ist bei den Apachen willkommen«, bekräftigte Winnetou.

»Ich habe immer noch nicht den Rio Pecos gesehen«, rief ich aus, »natürlich will ich euch begleiten.«

»Worauf wartest du dann noch?«, fragte Charly.

Ich stieg auf meinen struppigen Schecken, den ich mittlerweile ins Herz geschlossen hatte und folgte den Blutsbrüdern - neuen Abenteuern entgegen.

Männerunterwäsche↩

Aus „Der Sohn des Bärenjägers“ entliehen.↩

Zunächst wurde die Rasse von den weißen Siedlern als Palouse horse bezeichnet, woraus sich mit der Zeit Appaloosa entwickelte.↩

Banditen↩

Siehe GW 7 „Winnetou 1“↩

Marie Louise

(eine Geschichte von Old Shatterhand)

Ende September erreichte mich in Radebeul ein Brief Winnetous, in dem er mir vorschlug, Anfang Dezember am Nugget-Tsil zusammen zu treffen und unseren lieben Toten Intschu-Tschuna und Nscho-tchi am Jahrestag ihrer Ermordung zu gedenken. Den Winter würden wir gemeinsam im Pueblo am Rio Pecos verbringen, um im Frühjahr einige befreundete Indianerstämme zu besuchen. Voller Vorfreude buchte ich eine Schiffspassage nach New Orleans, regelte in den verbleibenden Wochen wichtige Angelegenheiten in der ‚Villa Shatterhand‘ und bei meinem Verleger in Dresden. Dann trat ich im November die Reise an. Mit etwas Glück konnte ich meine Passage auf einem der neu gebauten Dampfschiffe der Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt Actien-Gesellschaft, kurz genannt HAPAG, buchen. Im Gegensatz der alten Schoner, die bei gutem Wind bis zu 33 Tage für die transatlantische Überquerung brauchten, benötigten die modernen Schiffe circa zehn Tage.

Als ich in New Orleans ankam, musste ich feststellen, dass ein Wirbelsturm einige Tage zuvor die Küste von Louisiana heimgesucht hatte. Diese tropischen Wirbelstürme, die von Juni bis November die Ozeane unsicher bereiten, sind tückisch und erbarmungslos. An den westlichen und östlichen Meeren und Küsten des amerikanischen Kontinents werden sie Hurrikane, Stürme des westlichen Pazifik genannt und am südchinesischen Meer Taifune und in Indien kennt man sie als Zyklop. Hurrikane entstehen grundsätzlich in der Passatwindzone, im Atlantischen Ozean meist südwestlich der Kapverden, im Bereich des Karibischen Meeres, der Westindischen Inseln und des Golfes von Mexiko, aus kleineren Störungen der Passatströmung, die knapp südlich der Wüste Sahara ausgehend über den Atlantik hinweg ziehen. Im Pazifischen Ozean bilden sich die meisten Hurrikane südlich von Acapulco; sie drehen gemeinhin auf das offene Meer hinaus oder wenden nach Norden ab, wo sie über Niederkalifornien hinwegziehen und das mexikanische Festland erreichen können.

Die Schiffbarkeit zwischen New Orleans und Baton Rouge war daraufhin durch Treibgut gestört, sodass der Dampfer seine geplante Weiterfahrt nicht antreten konnte. Somit war ich gezwungen, zu Pferde den Landweg einzuschlagen. Leider war die Auswahl der verfügbaren Tiere nicht zufriedenstellend, sodass ich zähneknirschend einen Klepper erstand, der seine besten Tage schon lange hinter sich hatte. Der Preis, den der Pferdehändler angesichts meiner Notlage verlangte, war so exorbitant hoch, dass ich kurz in Erwägung zog, meinen Weg zu Fuß fortzusetzen. Aber angesichts meines Gepäcks und des doch hohen Gewichtes des Bärentöters, verwarf ich diesen Gedanken. So fand ich mich bald auf einem alten Handelsweg wieder, mein Ross bedächtig vor sich hin trottend. Jede aufmunternde Geste, Geschwindigkeit aufzunehmen, ignorierte das Tier geflissentlich.

Als ich so nach drei Tagen quälend langsamen Vorankommens am Ufer des Mississippi ankam, schien das Pech mich weiter zu verfolgen. Ich hörte ein leises ‚Klong‘ und mein Klepper fing zu lahmen an. Sofort stieg ich ab, um daraufhin festzustellen, dass eines der Hufeisen abgerissen war. Natürlich hielt ich mich an einem Uferabschnitt auf, wo weit und breit keine Ortschaft mit einem fähigen Hufschmied zu erwarten war. Seufzend nahm ich die Zügel in die Hand und marschierte langsam weiter. Es wurde bald dunkel und leichter Nebel stieg vom großen Fluss auf. Im Dämmerlicht wurde die Atmosphäre gespenstig. Von den dichten, alten Bäumen hing in langen Schleiern das Moos herab. Die Tiere der Nacht kamen aus ihrem Unterschlupf und man hörte hier und da ein Huschen und Knacken im Gehölz. In weiter Ferne erklang zu meinem Verdruss das laute Fauchen eines Berglöwen, der auf Beute aus war. Innerlich stellte ich mich schon auf eine turbulente Nacht im Freien ein, als sich zwischen den Bäumen die Umrisse eines Hauses abzeichneten. Ich hielt darauf zu und stand kurze Zeit später vor einem einsamen Anwesen. Alles war still, aber in einem Fenster sah ich Licht.

Ich band das Pferd an den Hitcher und klopfte an der farbrissigen Eichentür. Während ich wartete, besah ich mir das Haus genauer. Auf einem leicht verwitterten Schild stand der Name ›Marie Louise‹. Das Haus an sich hätte mal einen neuen Anstrich und einer Renovierung bedurft. Das Dach war etwas windschief und das eine oder andere Brett hing augenfällig am letzten verbogenen Nagel.

Just, als ich dachte, dass mich keiner gehört hätte und ich erneut anzuklopfen gedachte, öffnete sich knarrend die Tür. Eine junge Frau schaute mich fragend an. Sie hatte langes schwarzes Haar und sah ein wenig blass aus, was von ihrem weißen Kleid zusätzlich unterstrichen wurde. Ich brach an: »Guten Abend, ich suche eine Unterkunft für die Nacht.« Sie deutete mir, hereinzukommen, und schloss die Tür: »Willkommen, ich bin Marie Louise«, dabei lächelte sie geheimnisvoll.

»Dann gehört das Gasthaus also Ihnen?«

»Es ist schon lange im Besitz meiner Familie«, entgegnete Marie Louise, »ich hätte ein Gästezimmer für Sie. Ich zeige es Ihnen und während sie sich einrichten, mache ich Ihnen eine Kleinigkeit zu Essen, Mr....« »May, Charles May«, stellte ich mich mit der anglisierten Variante meines Namens vor.

»Kann ich mein Pferd in den Stall bringen? Es hat ein Hufeisen verloren.«

»Ja, wenn Sie um die Veranda nach hinten gehen, finden Sie den Stall. Einen Hufschmied finden Sie im nächsten Ort bestimmt.«

Marie Louise zeigte mir erst das Zimmer und als ich einige Zeit später aus dem Stall zurückkehrte, war in einem großen Essraum der Tisch für zwei Personen gedeckt. Marie Louise brachte soeben das Essen herein. »Es stört Sie doch nicht, wenn ich mit Ihnen esse?«, fragte sie, »sie sind der einzige Gast heute Nacht und manchmal fühlt man sich etwas einsam hier draußen.« »Ich habe nichts gegen Gesellschaft«, entgegnete ich und setzte mich an den mit Kerzenlicht beleuchteten Esstisch. Es gab einen vorzüglichen Meeresfisch in einer Kräuterkruste mit Kartoffeln und Gemüse. Dazu servierte Marie Louise einen passenden Weißwein. Während wir zusammen speisten, unterhielten wir uns. »Kommen Sie von weit her, Mr. May?«, fragte Marie Louise.

»Aus Übersee. Aber bitte, nennen Sie mich Charly. Mr. May finde ich bei dieser angenehmen Gesellschaft zu förmlich.«

Marie Louise sah mir in die Augen und hob ihr Glas: »Auf einen angenehmen Abend, Charly.« »Das Essen ist ausgesprochen vorzüglich, Marie Louise«, lobte ich. »Danke schön«, antwortete Marie Louise, »ich hoffe, das Zimmer ist Dir auch genehm.« Ich war von der schlichten rustikalen Einrichtung angenehm überrascht gewesen. So heruntergekommen, wie das Haus auch von außen ausgesehen hatte, so hell und sauber war es von innen. »Ja, es ist sehr hübsch«, sagte ich.

Wir unterhielten uns eine ganze Weile. Marie Louise berichtete, wie sie den Gasthof geerbt hatte, aber dass sich selten ein Gast hierher verirrte. Ich erzählte ein paar kleine Anekdoten von meinen Reisen und von der Familie daheim in Hohenstein-Ernstthal. Trotzdem ich die junge Frau sympathisch fand, verriet ich nicht, dass ich im Westen weit bekannt als Old Shatterhand und der Blutsbruder des obersten Häuptlings der Apachen, Winnetou, war. Ich bezeichnete mich schlicht als reisender Schriftsteller mit einem Hang zum Abenteuer. Die Kerzen brannten langsam herunter und der Raum verdunkelte sich in ein mattes Licht. Wir jungen Leute merkten es kaum, begrüßten es sogar. Ich war von meinem Gegenüber angetan. Die Figur war schlank, die Augen tief und voller Geheimnisse und ihr Lächeln empfand ich als engelsgleich. Als wir die zweite Flasche Wein geleert hatten, sah ich auf die alte Standuhr - es war weit nach Mitternacht. Bedauernd dachte ich an den langen Weg am nächsten Morgen und dass ich Marie Louise möglicherweise nie wieder sehen würde. Seufzend machte ich Anstalten aufzustehen, aber Marie Louise fasste behutsam nach meinem Handgelenk und zog mich zu sich hinab. »Geh nicht«, sagte sie. Ich entzog ihr meine Hand und nahm ihr Gesicht behutsam zwischen die Handflächen. Ich beugte mich nach vorne und küsste sie sanft auf die Lippen, die leicht nach dem Weißwein schmeckten. Mein Verstand brachte mich zur Vernunft: »Marie Louise, wir sollten das nicht tun.« Fassungslos sah sie mich an. Ich schloss für einen Moment verzweifelt die Augen, dann sagte ich mit fester Stimme: »Es wäre nicht fair, wenn ich die Situation ausnutzen würde. Du bist zu schade für eine Nacht.« Mit diesen Worten stand ich bestimmt auf und sah in ihre flehenden Augen. »Mach es mir bitte nicht so schwer, Marie Louise. Du bist eine begehrenswerte Frau, daran liegt es nun wirklich nicht, aber ich will Dir nicht wehtun. Versteh` doch.« Ich zwang mich, mich abzuwenden und ohne auf eine Antwort von ihr zu warten, floh ich regelrecht die Treppe hinauf in mein Zimmer. Angezogen warf ich mich auf das Bett und versuchte zur Ruhe zu kommen. Es dauert lange, bis ich mich soweit in den Schlaf fiel, der von Träumen von Marie Louise handelte.

Am nächsten Morgen lief ich mit gepacktem Reisegepäck nach unten. Doch alles war still. Ich rief nach Marie Louise, erhielt aber keine Antwort. Ich stellte meine Sachen in die Diele und begab mich auf die Suche nach ihr. Im Tageslicht sah das Haus genauso alt aus, wie der erste Eindruck am Abend zuvor von außen war. Ich suchte in der Küche und im Gastraum, fand aber keine Spur von der jungen Frau. Ich überlegte, ob ich in den oberen Räumen nachschauen sollte, aber mein Gefühl sagte mir, dass sie dort ebenfalls nicht war. Etwas ratlos stand ich an der verwaisten Rezeption, als mir eine Idee kam. Ich suchte ein Blatt Papier, schrieb eine Notiz für Marie Louise und legte etwas Geld daneben. Dann schulterte ich meine Satteltaschen und verließ das Haus, ohne mich umzusehen.

Nach einem ermüdenden Fußmarsch mit dem lahmenden Pferd erreichte ich den nächsten Ort. Ich dachte weiterhin immer an Marie Louise und den letzten Abend. Den Schmied fand ich schnell am Ortseingang und er fing sogleich an, mein Pferd neu zu beschlagen.

Dabei meinte er: »Sie sehen aber nicht besonders frisch aus, für einen so schönen sonnigen Tag. Sie haben die letzte Nacht wohl nicht gut geschlafen?«

»Nein, denn die Matratze in dem Gasthof da hinten war nicht sehr bequem!« Der alte Mann schaute mich fragend an: »Welchen Gasthof meinen Sie denn?« Ich deutete die Straße hinunter: »Na, den Gasthof ›Marie Louise‹, etwa drei Meilen vor der Ortschaft.«

»Sagen Sie bloß, Sie haben in dem alten zugigen Gemäuer tatsächlich genächtigt?«, bohrte der andere skeptisch nach, »können Sie sich keine anständige Unterkunft leisten?« Ich fühlte mich verpflichtet, Marie Louise zu verteidigen: »Nun, die Bewirtung war sehr entgegenkommend und das Essen war auch sehr gut! Das Gebäude mag zwar alt sein, aber mit ein bisschen mehr Glück und Initiative könnte Marie Louise wirklich was aus dem Gasthof machen.«

Der alte Mann sah aus, als würde er gleich einen Herzinfarkt bekommen, so aschfahl war sein Gesicht geworden: »Bewirtung? Sagen Sie nicht, es war eine junge Frau da - in einem weißen Kleid und langen schwarzen Haaren!« Mir wurde das Gespräch unheimlich: »Ja, sie sagte, ihr Name sei Marie Louise. Sie war sehr nett und sehr hübsch, genauso, wie Sie sie jetzt beschrieben haben!« Der alte Mann legte die Schmiedezange aus der Hand und nahm mich am Arm: »Für das, was ich Ihnen jetzt sagen muss, sollten Sie sich setzen«, und drückte mich auf einen Stuhl, der an der Wand stand. Dann wurde seine Stimme ganz heiser: »Die Frau, Marie Louise, von der Sie sprechen, die Frau, die Sie bedient hat - diese Frau ist schon seit hundert Jahren tot!« Ich spürte, wie es mir eiskalt den Rücken hinab lief. Nach einer kurzen verwirrten Minute war mir klar, was da nahezu passiert wäre: Ich hätte fast die Nacht mit einem Geist verbracht! Fassungslos schaute ich die staubige Straße hinab, in welcher Richtung der Gasthof lag und eine tiefe Traurigkeit breitete sich in mir aus.

Der Streuner

(eine Geschichte von Old Shatterhand)

Ich war seit einigen Wochen bei Winnetou im Pueblo am Rio Pecos.

---ENDE DER LESEPROBE---