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Beschreibung

Das Reich der Elfen ist ein Paradies! Unzählige Blumen blühen zu jeder Jahreszeit und mannigfaltige magische Wesen leben in ungestörter Harmonie miteinander. Doch als die bösartigen Trollschamanen gewaltige Schatten über die Gefilde schicken, brechen der Elfenkrieger Oromis und die Blütenzauberin Lumivee zu einer gefährlichen Reise bis hinter das Zwergengebirge auf, um ihr Land von der Dunkelheit zu befreien.

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Inhaltsverzeichnis

Prolog: Flammendes Schicksal

Candid Depenheuer & Matthias Kählert

Kapitel I: Ein Land voll Wunder

Franziska Henke & Maike Münder

Kapitel II: Schatten ziehen auf

Carlotta Stern & Charlotte Wiedmann

Kapitel III: Die Reichsversammlung

Laura Plantera & Maximilian Kessler

Kapitel IV: Auf dem Weg zum Trollkönig

Nicole Kaminiorcz & Dajana Ziegler

Kapitel V: Ein nächtlicher Besuch

Jonathan Hohmann & Johannes Walter

Kapitel VI: Der Angriff auf die Akademie

Paul Helmholz & Marcus Schniedermeyer

Kapitel VII: Blutige Pfade

Peter Hofmann & Thomas Zimmermann

Kapitel VIII: Im Palast des Trollkönigs

Julia Janas & Ayelen Behrens

Kapitel IX: Neue Gefahr

Victoria Neumann & Orthey Stoll

Kapitel X: Schlacht um den Hydrogonbaum

Maximilian Kandt & Maximilian Koch

Kapitel XI: Der Triumph des Bösen

Karolin Kibele & Lena Stolte

Kapitel XII: Leichte Beute

Lukas Mai & Christoph Gallo

Kapitel XIII: Der letzte Hoffnungsstrahl

Christina Gerber & Jaqueline Piekorcz

Kapitel XIV: Lumivees tödliche Wunde

Noemi Rittmeyer & Tamara Katzmann

Kapitel XV: Eine unvergessliche Nacht

Vera Hanschke & Alice Seim

FLAMMENDES SCHICKSAL

Eliane lehnte sich zurück, während Numa sanft ihre Schultern massierte. Sie streckte ihre Beine aus und genoss, wie das warme Wasser sie umspielte. Liebevoll streichelte sie ihren Bauch, in dem ein neues Leben schlummerte.

In den ersten Monden ihrer Schwangerschaft war es ihr sehr schlecht ergangen, da im Elfenreich eine große Dürre geherrscht hatte. Da hatte ihr Ehemann Morasto gehandelt und war mit ihr in den nördlichsten Teil des Zwergengebirges gereist. Dort wohnten sie in dem Dorf Garvon, das am Fuß des Vulkans Morvan lag. Es war berühmt für seine wohltuende Höhenluft, und bei den heißen Quellen gingen die Masseure der Zwerge ihrer Arbeit nach. Seither besserte sich ihr Zustand mit jedem Tag, denn sie erhielt warme Bäder und ließ sich von der hervorragendsten Masseurin ihrer Zunft behandeln, welche Numa hieß. Jetzt war sie im neunten Mond ihrer Schwangerschaft, und jeden Tag wurde erwartet, dass ihr Kind geboren würde.

Sie entspannten sich gerade in einer der heißen Quellen, die oberhalb des Dorfes lagen, als ein Zwerg schnellen Schritts zu ihnen heraufkam. Er zog Numa von den beiden weg und sprach gedämpft auf sie ein. Dann wandte er sich an Morasto und Eliane: „Frau Eliane, Herr Morasto, ihr müsst so schnell wie möglich aus dem Wasser kommen und in die Herberge zurückkehren! Dies ist eine Anordnung des Dorfrates!“

Die beiden erhoben sich verwundert. Eliane fragte, was solch eine Entscheidung herbeigeführt habe. Das Gesicht des Boten wurde ernst. „Es könnte sein, dass der Vulkan bald ausbricht.“

„Bei den Göttern!“, flüsterte sie entsetzt und hüllte sich in ihr weitläufiges Gewand.

„Aber dann muss das Dorf doch sofort evakuiert werden!“, rief Morasto, während er sich hastig ankleidete.

Der Bote hob beschwichtigend die Hände.

„So ernst ist die Lage nun auch wieder nicht. Wir haben nämlich bereits die Goblinschamanen um Hilfe gebeten. Ihnen ist es schon oft gelungen, den Vulkan mit ihrer Magie zu bändigen!“

In diesem Moment brach Eliane stöhnend zusammen. Morasto war sofort bei ihr.

„Was ist mit dir? Geht es dir nicht gut?“

„Ich glaube, ihre Wehen haben eingesetzt! Wir müssen sie so schnell wie möglich ins Dorf tragen!“, rief Numa.

Morasto nahm Eliane in seine Arme, und sie liefen zum Dorf hinab. Als sie endlich angekommen waren, brachten sie Eliane in das Krankenlager. Ihre Schmerzen waren schlimmer geworden, und sie stöhnte pausenlos. Morasto setzte sich neben sie, während die Heiler ihr zu trinken gaben und Leinentücher für das Kind holten.

Und dann war es so weit! Die Hebamme setzte sich vor Eliane. Zuerst erschien ein kleiner Kopf. Die Hebamme fasste ihn vorsichtig und zog ihn weiter heraus. Bald konnte man die Brust und den Bauch sehen. Eliane stieß noch einen kurzen Schrei aus, und das kleine Kind war endlich draußen. Die Hebamme nahm es in den Arm und gab es Eliane. Morasto kniete sich neben die beiden, nahm sie in den Arm und küsste sie abwechselnd.

Plötzlich ließ ein Erdstoß den Boden erzittern. Morasto und Eliane sahen sich erschrocken an. Das Neugeborene fing an zu weinen. Dann hörten sie Schreie von der Straße.

Numa stürmte ins Zimmer.

„Frau Eliane, Herr Morasto, wir müssen sofort aus dem Dorf fliehen! Der Vulkan bricht jeden Moment aus!“

„Aber … der Bote sagte doch … die Goblins!“

„Die Schamanen sind gerade in Panik den Berg heruntergestürzt! Sie sagen, die Lava sei nie stärker gewesen! Sie können sie nicht länger zügeln! Wir müssen so schnell wie möglich fliehen!“

„Aber meine Frau hat eben ihr erstes Kind geboren! Sie kann kaum stehen, geschweige denn laufen!“

Doch Numa sagte: „Wir müssen sie ja nur zur Herberge bringen. Dort haben Sie doch Pferde, oder?“

„Das stimmt. Komm, wir müssen uns beeilen!“

Morasto griff Eliane, die ihr Kind an die Brust presste, unter ihre Schultern und Knie und trug sie auf die Straße. Die Gassen waren vollgestopft mit Zwergen, die panisch ihr Hab und Gut auf Karren zusammenrafften und versuchten, ihre schreienden Kinder zu beruhigen. Langsam bahnten sie sich einen Weg durch die Menge. Sie liefen über den Markt, wo Händler eilig ihre Stände zusammenpackten und an gebückten Hütten vorbeihuschten, in denen die Bettler des Dorfes hausten.

Endlich waren sie bei der Herberge angekommen. Numa sattelte die Pferde, während Morasto Verpflegung und Geld aus seinem Zimmer holte. Sie trafen sich auf der Straße und schwangen sich auf ihre Reittiere.

Gerade wollten sie ihnen die Sporen geben – da geschah es! Der Boden begann heftig zu beben. Der rauchende Krater tat seinen Schlund auf, und auf einmal explodierte der ganze Gipfel des Vulkans mit einem ohrenbetäubenden Knall. Brennende Steine und Lavaströme wurden in den Himmel geschleudert.

Die Luft war von Schreien erfüllt.

Im selben Augenblick brannten die Pferde durch: Der Schimmel, auf dem Eliane und Morasto saßen, lief vom Vulkan weg, während Numas braune Stute direkt auf ihn zulief. Schreiend versuchte Numa, das Pferd zu wenden – da hatte sie bereits ein brennender Brocken getroffen und aus dem Sattel geschleudert. Eliane konnte nur noch mit ansehen, wie die davonstürzende Menge über ihren toten Körper trampelte, da sprengte ihr Pferd auch schon weiter. Mit der einen Hand hielt sie das Bündel mit ihrem Kind, mit der anderen klammerte sie sich an Morasto. Neben ihnen schlugen brennende Lavabrocken in die Häuser ein und erschlugen die davonlaufenden Leute.

Sie preschten aus dem Dorf heraus weiter in Richtung der Berge. Da fingen schon die hinteren Häuser des Dorfes Feuer: Die Lava war da.

Auf einmal riss ein herabschießender Stein die Hinterbeine ihres Pferdes weg. Die beiden wurden aus dem Sattel geschleudert und rollten unter panischen Schreien einen Abhang hinunter.

Doch Eliane hatte ihr Kind nicht losgelassen. Morasto kroch zu ihr.

„Hast du dich verletzt?“, fragte er besorgt.

„Nein, mit geht es gut, und dem Kind auch.“

Die Kleider der beiden waren zerfetzt und aus ein paar Schürfwunden troff das Blut. Doch sonst waren sie tatsächlich unversehrt.

„Wir müssen irgendwo einen Unterschlupf finden, sonst werden wir von den Felsen zermalmt oder von der Lava verbrannt!“

Morasto rappelte sich hoch und half Eliane, aufzustehen. Verzweifelt kämpften sie sich den Hang hinauf. Eliane blickte zurück und erschrak zutiefst: Da, wo eben noch das Dorf Garvon gelegen hatte, wälzte sich bereits eine gewaltige Feuersbrunst, die der Lavastrom vor sich her trieb. Da entdeckte sie zwei kleine Gestalten, wahrscheinlich Zwerge, die verzweifelt vor den Flammen flohen. Sie rannten so schnell wie möglich, doch das war nicht schnell genug …

Eliane wandte sich ab und kämpfte sich verbissen weiter. Sie hatte noch nie Angst um ihr Leben haben müssen, da sie im Elfenreich immer gut behütet worden war. Doch nun hatte sie Angst. Todesangst. Nicht nur um sich, sondern vor allem um Morasto und ihr Kind. Würden sie das gleiche Ende finden wie die zwei Unglücklichen, die Eliane eben beobachtet hatte?

Sie erreichten eine felsige Anhöhe. Morasto hielt inne und blickte hinauf. Eliane folgte seinem Blick – und da entdeckte sie es auch: Auf einem Vorsprung hatte ein brennender Stein einen größeren Felsen mit solcher Wucht getroffen, dass er gespalten worden war. Zwischen den beiden Felsen wurde der schwarze Eingang einer Höhle sichtbar.

Eliane und Morasto sahen sich an. Das wäre die Rettung, wenn sie es bis auf den Berg hinauf schafften. Doch die Lava war nur noch fünfzig Elfenlängen entfernt.

Die beiden machten sich an den Aufstieg. Unter ihren Füßen rutschten Geröll und Schutt weg, doch sie liefen weiter, immer weiter. Nun war die Feuersbrunst nur noch hundert Elfenlängen entfernt und sie hatten erst die Hälfte des Aufstieges geschafft …

Doch sie gaben nicht auf.

Es wurde ein knappes Rennen gegen den Tod, es gelang ihnen gerade noch, in die Höhle zu gelangen und mit letzter Kraft einen Felsen hinter den Eingang zu rollen, bevor die Lava den Vorsprung erreicht hatte.

Eine Zeitlang, die ihnen wie eine Ewigkeit vorkam, saßen sie in der Dunkelheit, während die Lava den Vorsprung umfloss und über ihnen Steine in den Berggipfel einschlugen. Zusammengekauert hockten sie in einer Ecke der kleinen Höhle, welche aus einem Stein gehauen war, der selbst in tiefster Dunkelheit ein unheimliches Dämmerlicht ausströmte. Eliane hatte von dieser Felsart schon gehört. Sie hieß Mo-Kraj und war ein geeignetes Material für Trollhöhlen …

Es gab auch noch weitere Anzeichen dafür, dass hier vor nicht allzu langer Zeit jene dunklen Geschöpfe gehaust haben mussten. Zum Beispiel lagen in einigen Ecken und Spalten Knochen, an denen noch stinkende, vergammelte Fleischfetzen hingen. Außerdem konnte man, wenn man sich an das graue Zwielicht gewöhnt hatte, seltsame Muster erkennen, die mit einer braunen Farbe, welche wahrscheinlich Blut war, an die Wände geschmiert waren. Sie erschauderte, wenn sie daran dachte, dass vor ihr an genau dieser Stelle ein brutaler, grobschlächtiger Troll gesessen haben könnte, und sie drückte ihr kleines Kind fester an ihre Brust.

Jetzt erst hatte sie Gelegenheit, ihre Geburt genauer zu betrachten. Sie stellte fest, dass es ein Junge war. Würde er überleben, was sie bezweifelte, dann sollte er einmal auf den Namen Morvan hören.

Da bemerkte sie auf einmal, dass es draußen nicht mehr von Steinen donnerte.

„Hörst du das auch?“, fragte sie Morasto.

„Ja. Anscheinend hat der Steinhagel aufgehört.“

„Endlich! Dann können wir den Felsen vom Eingang fortrollen und frische Luft hereinlassen. Es ist unerträglich heiß hier drinnen!“

Zusammen rollten sie den Felsen zur Seite und atmeten die Luft ein. Die Hitze verbrannte ihnen fast die Kehle und das Kind begann zu schreien, als ihm die heiße Luft ins Gesicht fegte. Eliane und Morasto handelten schnell. In Windeseile woben sie einen Schutzzauber um sich und ihr Kind und zogen sich in den hinteren Teil der Höhle zurück.

Entsetzt besahen sie aus der Höhlenöffnung das schreckliche Bild, das sich ihnen bot: Nur wenige Elfenlängen unter ihnen erstreckte sich ein gewaltiges Lavameer, aus dem sich vereinzelt schwarze Felsen erhoben. Rechter Hand ragten die riesigen Gipfel des Gebirges in die Höhe, und zur linken floss Lava, soweit das Auge reichte. In der Ferne glühte der Vulkan und spuckte immer noch Rauch und Flammen. Der Himmel war von einer schwarzen Rußwolke überzogen, doch alles war deutlich zu erkennen, da das Feuer des Vulkans ein rötliches Licht verströmte. Die Luft um die beiden herum war so heiß, dass sie flirrte. Hätte sie nicht ihr Schutzzauber beschützt, wären sie vermutlich bei lebendigem Leib gebraten worden, denn jetzt, da der Fels vom Eingang weggerollt war, strömte die heiße Luft unaufhaltsam in die Höhle, die sich in einen Backofen verwandelte.

Morasto fand als erster die Sprache wieder.

„Wir müssen auf den Berggipfel. Dort ist die Luft erträglicher.“

„Du hast recht. Beeilen wir uns. Ich kann den Schutzzauber nicht mehr lange aufrechterhalten!“

Schnell packten sie ihren Beutel und stiegen den Berg weiter hinauf. Mit jedem Schritt, den sie liefen, konnten sie leichter atmen.

Dennoch wurde der Aufstieg zu einer Höllenfahrt. Ständig rutschen unter ihren Füßen Steine weg, und einmal wäre Eliane fast in die glühende Lava gefallen, hätte Morasto sie nicht im letzten Moment festgehalten. Doch schließlich waren sie auf dem Gipfel angekommen und ließen sich erleichtert auf ein Moosbett sinken. Hier oben, gut fünfzig Elfenlängen über der Lava, konnten sie endlich wieder frei atmen. Doch das Kind schrie immer noch aus voller Kehle und beruhigte sich erst, als Eliane es stillte. Dann belegte sie es mit einem Schlafzauber, damit es sich ausruhen konnte.

Leise setzte sie sich neben Morasto, der die ganze Zeit über nur auf einem Felsen gesessen und ohne ein Wort zu sprechen über das Lavameer geblickt hatte.

„Was machst du da? Hilf mir doch mit dem Kind!“

„Ich schaue, wie die Chancen für uns stehen.“

„Und, wie sieht es aus?“

„Im Moment nicht gut, da die Lava noch zu heiß ist, um sie mit unseren Zauberkräften unversehrt zu überqueren. Und von Fels zu Fels können wir auch nicht springen, weil die Spitzen zu weit auseinanderliegen. Wir müssen warten, bis die Lava gesunken ist und sich abgekühlt hat“.

„Und wie lange kann das noch dauern?“

„Ich weiß es nicht genau. Vielleicht Tage … vielleicht Wochen …“

„Aber dann reichen unsere Vorräte nicht! Und außerdem haben wir nur noch einen Schlauch Wasser!“

„Das stimmt. Aber es geht nicht anders. Mit dem Kind bist du zu behäbig, um deine Flugkräfte voll zu entfalten!“

Eliane setzte sich wieder zu ihrem Neugeborenen und streichelte sanft seine kleinen Hände. Es war so unschuldig und lieblich. Und doch war es auch irgendwie seine Schuld, dass sie nun auf diesem Fels in einem Lavameer festsaßen.

Nein, du darfst ihm keine Schuld geben, schalt sie sich in Gedanken. „Seinetwegen waren wir zwar nach Garvon gereist – doch wie hätte er Einfluss auf das Schicksal nehmen können, bevor er geboren wurde?“

Eine einzelne Träne benetzte den Felsen und verdampfte zischend. Mitfühlend legte Morasto seine Hand auf Elianes Rücken. Sie zuckte zusammen und wischte sich eilig die Augen aus. Sie hatte gar nicht bemerkt, wie er hinter sie getreten war. Leise hauchte er ihr einen Kuss auf die Wange und sagte: „Du solltest dem Beispiel deines Sohnes folgen und dich ausruhen.“

Er flüsterte die Beschwörung des Schlafes und bettete seine Frau neben seinem Sohn. Er gab ihr einen letzten Kuss; dann schlossen sich ihre Augen und sie fiel in einen tiefen, traumlosen Schlaf, noch bevor sie etwas sagen konnte.

Als Eliane wieder erwachte, erschrak sie. Der Rauch war verschwunden, doch war der Himmel nun von gewaltigen, finsteren Rußwolken bedeckt. Anscheinend hatte sie sehr lange geruht. Sie stand auf, streckte sich und sah sich um. Ein Schlag durchfuhr sie. Ihr Kind lag noch genauso da wie vorher, und ihre Vorräte waren auch noch an ihrem Platz – doch Morasto war verschwunden. Verzweifelt drehte sie sich in alle Richtungen und rief immer wieder seinen Namen.

Als einige Minuten verstrichen waren, ohne dass ihr Gatte zurückgekehrt wäre, brach sie schluchzend zusammen. Wie konnte er sie nur alleinlassen? Hatte er am Ende doch noch einen Weg gefunden, vom Felsen zu entkommen? Hatte er sie und ihr Kind allein gelassen, damit sie ihm nicht zur Last fielen?

Nein, das konnte nicht sein! Zu so etwas war Morasto gar nicht fähig. Ihm musste etwas zugestoßen sein – doch was?

Sie sah sich um. Da! Bewegte sich auf dem Felsen, der dem ihren am nächsten war, nicht eine schemenhafte Gestalt? Sie schritt rückwärts, als wollte sie Anlauf nehmen!

„O ihr Götter!“, rief Eliane und schlug sich entsetzt die Hand vor den Mund. Die Gestalt wollte doch wohl nicht zu ihr herüberspringen? Zwischen ihnen lag ein Abstand von mindestens zehn Elfenlängen. Eliane wollte der Gestalt etwas zurufen, doch da lief diese auch schon los – direkt auf die Lava zu! Sie erreichte den Rand – und sprang! Eliane schrie auf. Die Gestalt segelte wie in Zeitlupe durch die Luft, immer höher und höher. Sie flog auf Eliane zu, landete neben ihr, rollte sich ab und kam kurz vor dem Abhang zum Stehen.

Eliane rannte auf die Gestalt zu, und als diese ihr das Gesicht zuwandte, schrie sie vor Freude laut auf: Es war Morasto! Sie wollte in die Arme schließen, doch er erwiderte ihre Anstalten nicht.

Da fuhr Eliane ihn wütend an: „Was fällt dir eigentlich ein, mich erst einzuschläfern und dann einfach zu verschwinden? Ich habe mir schreckliche Sorgen um dich gemacht!“

Sie wollte gerade weiter sprechen, da legte ihr Morasto den Finger auf den Mund: “Ich kann alles erklären, wenn du nur ruhig bist und mir zuhörst. Also, ich habe dich vor zwei Tagen...“

„Was, vor zwei Tagen?“

„Du solltest doch leise sein!“, schalt sie Morasto und fuhr fort: „Ich habe dich vor zwei Tagen einschlafen lassen, da du von der Flucht aus dem Dorf und der Geburt so erschöpft warst, dass du dich kaum mehr auf den Beinen halten konntest. Danach habe ich erforscht, wie schnell die Lava sinkt und wie stark unsere Zauberkräfte sind. Und heute habe ich es zum ersten Mal geschafft, von Fels zu Fels zu springen! Aber ich weiß nicht, ob auch du es schaffst …“

Entrüstet rief Eliane: „Wie? Du zweifelst an meinen Kräften? Nun gut, ich werde es dir beweisen!“

Und bevor Morasto sie aufhalten konnte, rannte sie auch schon auf den Rand des Felsens zu und stieß sich ab. Sie konzentrierte sich, so sehr sie konnte, auf den Felsen, der in einiger Entfernung aus der Lava ragte, und hob sich mit ihren Kräften in die Luft.

Doch da kamen ihr auf einmal Zweifel: Was, wenn sie nicht weit genug käme? In diesem Moment wurde ihr klar, dass sie viel zu tief flog! Panik ergriff sie. Sie würde in die Lava fallen und sterben!

Plötzlich schwebte auf einmal Morasto neben ihr und riss sie mit sich. Angsterfüllt klammerte sie sich an ihn und spürte schon den kurzen Schmerz, den sie in den Lavaströmen erleiden würde – doch da hatten die beiden den Felsen erreicht, prallten auf, rollten ein Stück weiter und bleiben dann erschöpft atmend liegen. Alle Knochen taten Eliane weh. Vorsichtig drehte sie sich zu Morasto um. Zusammen rappelten sie sich auf. Keiner von beiden hatte sich ernsthaft verletzt, doch Eliane war sehr betrübt: „Ach, du hattest recht! Meine Kräfte sind selbst nach den beiden Tagen Schlaf nicht so stark, dass ich es schaffen würde, von Fels zu Fels zu springen.“

„Wenn ich dir helfe, dann wird es dir gelingen!“

„Und was ist mit dem Kind? Wir können es nicht mitnehmen!“

Morasto blickte betreten zu Boden.

„Dann müssen wir es hierlassen.“

Wut packte Eliane und sie fuhr ihren Mann an: „Wie kannst du nur so etwas sagen? Ich hätte nie gedacht, dass du so grausam sein kannst!“

Das brachte Morasto aus der Fassung. Beinahe hätte er etwas gesagt, was er später bereut hätte, doch im letzten Moment erlangte er seine Selbstbeherrschung wieder und begann ruhig auf seine Frau einzureden: „Eliane, bitte hör mir zu! Unsere Vorräte sind verbraucht und es sieht so aus, als hätte die Lava aufgehört zu sinken. Bald werden wir verdurstet sein, wenn wir nicht fliehen!“

Eliane seufzte. Sie liebte ihr Kind über alles, aber es hierzulassen, war die einzige Chance, dass wenigstens sie beide überlebten.

„Ja … Wir werden morgen gehen.“

Sie wandte ihr Gesicht ab.

Zusammen mit Morasto gelangte sie zurück auf den Felsen. Das Kind lag immer noch schlafend auf dem Moosbett, als läge es in einer Wiege.

In dieser Nacht schliefen alle drei dicht beieinander.

Am nächsten Morgen brachen Morasto und Eliane auf. Sie belegten ihr Kind mit einem flüchtigen Schlafzauber und brachten es in die Höhle. Dann sprangen sie über die Felseninseln des Lavameeres davon. Das Einzige, was von ihnen zurückblieb, waren zwei Tränen auf seiner Stirn, die langsam über das Gesicht herabliefen und sich unter dem Mund herzförmig vereinten.

Was sie nicht wussten, war, dass nur wenige Stunden nach ihrem Aufbruch die überlebenden Goblinschamanen ihre Kräfte walten ließen und die Lava allmählich in ein großes Tal im Gebirge leiteten. Doch sie wussten, dass sie nie wieder in das Elfenreich zurückkehren würden; zu groß wäre die Schmach, den Verwandten und Freunden gestehen zu müssen, dass sie ihr Kind zurückgelassen hatten. Und der Abgrund in ihrem Herzen fand ein Ebenbild in den Schluchten und Klüften des Gebirges, über welche sie, scheinbar schwerelos, ihrer ungewissen Zukunft entgegensprangen.

* * *

Hoch über den beiden Köpfen, in denen so kummervolle Gedanken kreisten, zog ein alter Goblinseher seines Wegs. Er war des fürchterlichen Ausbruchs gewahr geworden und von seiner Einsiedelei nahe dem großen Kloster aufgebrochen, um seine Verwandten aus dem Dorf zu suchen. Einer Vision folgend, war er schon vor mehreren Tagen aufgebrochen.

Er gehörte der Rasse der Akki an, einem Volk krummer, zackig gepanzerter Goblins, die ausschließlich im Zwergengebirge heimisch waren. Beim Gehen klapperte sein langes Schwert auf dem Boden, der selbst hier noch dampfte.

Nach einer Zeit gelangte der Goblin auf einen kleinen Vorsprung und erblickte den Vulkan in der Ferne und das Dorf darunter – oder besser gesagt das, was von ihm übrig geblieben war.

Ein kalter Schmerz durchfuhr seinen Körper. Dass der Vulkanausbruch so großen Schaden anrichten konnte, war selbst für einen Seher nicht vorauszuschauen gewesen. Kein einziger Baum stand mehr dort, wo sich einst ein stattlicher Hochwald erhoben hatte, und die Häuser des Dorfes bestanden nur noch aus Gerüsten – und das auch nur teilweise; einige Bauten waren einfach pulverisiert worden. Alles war mit noch rot glühenden Felsbrocken bedeckt. Hier und da konnte man Haufen ineinander verrenkter Leichen entdecken. Auch die Felder in der Nähe des Dorfes waren nicht verschont geblieben. Alles war zu einer schwarzen Ödnis verkohlt. Der Goblin fragte sich, wo die ganze Lava hingeflossen war, denn hier konnte man nur vereinzelt schwarze Reste erspähen …

Jetzt erst entdeckte er, dass direkt vor ihm eine grauenhaft entstellte Leiche lag. Sie musste durch eine gewaltige Explosion bis hierhin geschleudert worden sein. Ihr fehlte ein Bein, denn dort, wo es eigentlich sein sollte, prangte ein blutiger und verkohlter Stummel. Sie war fast nackt; seine Kleider waren verbrannt. Es war ein Goblin. Aus seinen Mund sickerte noch etwas Blut.

Weiter links lag der zerbrochene Stab des Toten. Der Seher hob ihn auf und las die Einritzungen an der Seite.

N’weghe cjngazu d’oj segh. Ejfg’oj dag’ar. N’ezdhe: Dag’oj ejfgu!

„Verfolge deine Aufgaben bis in den Tod. Du bist einer von uns. Bekenne es!“

Es war ein Goblin-Feuermagier gewesen! Jeder Schamane besaß solche Einritzungen in seinem Stab. Diese Worte waren vom obersten Gott der Goblins, Fondra, während des Aufnahmerituals eingeritzt worden – so sagte man es sich jedenfalls. Für die Elfen war Fondra der Gott des Feuers, und für die Zwerge … Nun, Zwerge hatten eigentlich keine Götter.

Ja, dieser Goblin hatte seine Aufgabe bis in den Tod verfolgt. Er hatte am Vulkankrater ausgeharrt, bis er ausbrach! Obwohl einen Goblin nichts so leicht zum Weinen bringt, weinte der Seher bitterlich. Er hatte alte Freunde in diesem Dorf gehabt, aber jetzt hegte er keine Hoffnung mehr, sie wiederzusehen. Seine Söhne lebten hier und auch sein Bruder – alle tot …

Plötzlich hörte er ein Geräusch. Er zog sein Schwert aus der Scheide, doch es war ein wenig zu schwer für ihn und fiel ihm auf den Fuß. Ein Fluch entwich seinen Lippen.

Nun hörte er das Geräusch noch einmal, nur deutlicher. Es kam aus einer Höhle ganz in seiner Nähe – und war das Weinen eines kleinen Kindes! Leise schlich der Seher näher und in das Dunkel hinein. Drinnen war es stickig und heiß. Knochen lagen in den Nischen und verliehen der gräulich schimmernden Höhle eine düstere Atmosphäre.

Der Goblin hörte das Weinen immer lauter. Dann sah er es: In einem Tuch eingewickelt lag ein kleiner Säugling! Er schrie herzergreifend. Er wagte sich näher an das kleine Bündel heran, nahm es mitleidsvoll in den Arm und legte seine Hand sanft auf den Mund des Kindes.

Er fragte sich, wie der Säugling wohl hierhergekommen sein mochte. Vielleicht war er hier ausgesetzt worden, oder seine Eltern waren getötet worden – oder, oder, oder. An seinen spitzen Ohren und der bleichen Haut konnte er erkennen, dass es ein Elf war. Ein Elfenknabe. Der Seher fragte sich, ob er das Kind nicht mitnehmen sollte. Wenn nicht, würde es bald sterben.

„Nun, mein Kleiner“, sagte der Goblin, während er einige Hühnerknochen aus seinem Gürtel nahm. Diese konnten ihn die Zukunft vorhersagen lassen – meistens zumindest. Mit einem Handstreich warf er die Knöchelchen auf den Boden. Dann spritzte er aus seiner Hand eine Menge magischer Funken auf die Gebeine. Sie ver