Schatten von Utumo - Buch 2 - Kevin Rombold - E-Book

Schatten von Utumo - Buch 2 E-Book

Kevin Rombold

0,0
8,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Mehr als zwanzig Jahre sind vergangen, seit Noran und Nera das erste Mal gegen die Mächte der Finsternis angetreten und nur knapp einen Sieg erringen konnten. Doch der Fürst der Höllen ist noch nicht besiegt. Inmitten neuer Unruhen, welche die erstarkenden Dämonenhorden über die Bevölkerung bringen, plant er bereits seine Rache. Noran und Nera müssen erneut ihre ganze Kraft einsetzen, um sich dieser neuen Bedrohung zu stellen. Dabei stehen ihnen ihre Kinder und eine geheimnisvolle Fremde zur Seite, deren Heimat das erste Ziel Thyzons Kreuzzug gegen die Menschheit ist. Welches Geheimnis verbirgt sich hinter der neuen Verbündeten der Taouri und was hat es mit dem Fremden auf sich, der sich ebenfalls dem Kampf gegen die dunklen Mächte anschließen möchte?

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 444

Veröffentlichungsjahr: 2024

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Kevin Rombold

Schatten von Utumo - Buch 2

Die Schwerter der Taouri

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Epilog

Impressum neobooks

Prolog

Schatten von Utumo – Buch 2:

Die Schwerter der Taouri

Ein Roman aus der Utumo - Reihe

2008

Überarbeitung 2024

Autor: Kevin Rombold

Coverdesign und Illustration: Kevin Rombold (mit KI Unterstützung)

Dramatis Personae

Noran Damian: Taourikrieger und König von Utumo. Ehemann von Nera.

Nera Damian: Taourikriegerin und mächtige Nekromantin. Königin von Utumo.

Ehefrau von Noran.

Beor Damian: Taourikrieger. Sohn von Noran und Nera

Selene Damian: Taourikriegerin und Nekromantin. Tochter von Noran und Nera

Drake Quorran: Guter Freund von Noran und Nera und Besitzer der Hawksfire, einem schnellen Schiff aus der Flotte von Galon.

Ninfea: Angehörige der Ascenier. Besitzt starke magische Fähigkeiten.

Tyriel: Erzengel und Befehlshaber der Himmlischen Truppen im ersten Kampf gegen Thyzon. Guter Freund von Noran und Nera, der den beiden zunächst als kleiner Junge Santo erschienen ist.

Selina: Gute Freundin von Noran und Nera und Königin von Dinaria (östliche Hauptstadt)

Reidor: Mensch. Von Thyzon großgezogen.

Thyzon: Höllenfürst und Widersacher von Noran und Nera.

Prolog

Ninfea spritzte sich kaltes Wasser in ihr verschwitztes Gesicht und genoß das Gefühl, wie das kühle Nass ihre Haut hinabperlte. Ihre Kleider klebten unangenehm am ganzen Körper. Erneut hatte sie einer dieser Alpträume aus dem Schlaf gerissen, die sie seit einiger Zeit nicht mehr losließen, und mit jedem Mal hatte sie das Gefühl, dass diese Alpträume alle Teil eines großen und schrecklichen Ganzen waren, das sie lieber nicht ergründen wollte, aus Angst davor, was sie damit lostreten könnte.

Schlaftrunken war sie aus dem Bett gestiegen und in das Badezimmer gegangen, um sich etwas von dem Grauen zu erholen, welches bereits zu verblassen begann. Seit drei Wochen hatte sie kaum eine Nacht durchgeschlafen, und so, wie in dieser Nacht, wachte sie immer schweißgebadet auf und konnte dann einfach nicht mehr einschlafen, egal wie sehr sie es auch versuchte.

Diese schlaflosen Nächte zehrten allmählich an ihren Kräften und sie stand kurz davor durchzudrehen.

Das Gefühl des kalten Wassers, das an ihrer Haut weiter herablief, war herrlich und langsam entspannte sich ihr Körper wieder. Schließlich zog sie sich die verschwitzten Kleider aus und stieg in eine große Holzwanne, die einer Person geug Platz bot um sitzend darin zu liegen. Leise vor sich hinmurmelnd schloss sie ihre Augen und spürte mit Befriedigung, dass sich die Wanne langsam mit warmem Wasser zu füllen begann.

Wasser war ihr Lieblingselement und sie fühlte sich gleich wieder wie neugeboren. Die Sorgen waren wie weggespült, zumindest für einen kurzen Moment, und sie genoss das warme und vitalisierende Nass auf ihrer Haut. Ihre Mutter hatte ihr immer gesagt, dass sie unter dem Stern des Wassermanns geboren sein musste und so oft sie konnte versuchte Ninfea am Wasser zu sein. In der Nähe vom Meer oder von Seen, egal welcher Größe, hatte sie sich schon immer sehr wohl gefühlt. Es war als würde sie gerufen, in seinen Bann geschlagen und sie konnte diesem Ruf einfach nicht widerstehen.

Sanft lies sie ihre Finger über die Wasseroberfläche gleiten und zog dabei einige glitzernde Fäden mit sich, die sich im selben Bruchteil der Sekunde, in dem sie entstanden waren, zu tausenden kleinerer Wassertropfen auflösten und wieder in die Wanne zurückfielen. Die Oberfläche des Wassers geriet dadurch in Bewegung und schlug Wellen, die sich langsam vom eigenen Zentrum zum Rand der Wanne hin ausbreiteten.

Plötzlich änderte sich etwas an der Wasseroberfläche. Ein Bild wurde langsam deutlicher. Ein Bild, das Ninfea nur allzu gut kannte, ein Bild aus ihren Alpträumen. Erschrocken richtete sie sich in der Wanne auf und verwischte das Bild so wieder. Ihr langes welliges Haar, das bisher aus der Wanne herausgehangen hatte, sank nun ebenfalls ins Wasser und die Strähnen bewegten sich wie tausende kleiner Schlangen in den kleinen Turbulenzen. Ihr Herz begann wie wild zu schlagen. Das Bild, von ihren Bewegungen nur leicht verzerrt, stabilisierte sich langsam wieder und zeigte erneut jedes unheimliche Detail. Verängstigt schlug sie mit ihrer Hand auf die Wasseroberfläche, die daraufhin erneut aufgewühlt wurde. Das Bild verblasste langsam und ließ Ninfea, am ganzen Körper bebend, in der Wanne zurück. Nur ganz langsam begann sie sich wieder zu beruhigen.

>Beruhige dich<, sagte sie sich immer wieder selbst, bis ihr Herz wieder normal schlug und ihre Atmung wieder gleichmäßig ruhig war.

So schlimm, wie heute, war es noch nie gewesen. Warum nur ließen sie diese Träume einfach nicht in Ruhe? Was hatte sie mit den Dingen, die sie dort sah, zu tun? Was hatten die Träume nur zu bedeuten? Die Freude an dem erfrischenden Bad war ihr inzwischen gründlich vergangen. Sie stieg aus der Wanne und zog sich neue Kleider an.

Kapitel 1

Noran wusste nicht mehr, wo ihm der Kopf stand. Seit einer geschlagenen Stunde nun musste er sich Neras Standpauke anhören und sie war außer sich vor Wut.

Ihr Sohn hatte mal wieder etwas ausgefressen, was in letzter Zeit häufiger vorkam, als ihnen beiden lieb war. Doch was konnte er, der König von Utumo dafür, wenn ein junger Mann verrückt spielte? Auch wenn es sich um seinen Sohn handelte, schließlich hatte er doch nichts angestellt. Doch er blieb ruhig und ließ den Worthagel seiner Frau über sich ergehen.

Noran merkte kurz auf, als Nera eine Pause einlegte. Endlich kam auch er zu Wort.

„Es ist bestimmt nicht so, wie es auf den ersten Blick scheint. Er würde nie eine Schlägerei anfangen, das weißt du doch. Außerdem…“

Er zögerte einen kurzen Moment. In Neras Augen flammte ein Feuer auf, das Noran nur zu gut kannte und in diesem Zustand konnte ein falsches Wort das Fass zum Überlaufen bringen. „…ist er doch noch jung. Du weißt doch, dass wir in unserer Jugend auch nicht immer das getan haben, was richtig war, oder?“

Nera schwieg und schien zu überlegen. Schließlich verrauchte ihre Wut ein wenig, was man daran erkennen konnte, wie sich ihre Halsmuskulatur langsam entspannte. Doch sie war noch immer gereizt.

„Und wieso hat er das dann getan? Das möchte ich wissen!“

Noran glaubte ein vertrautes Geräusch zu vernehmen.

„Das soll er uns am besten selbst erzählen. Ich glaube er kommt gerade.“

„Na gut.“ Nera schien sich zum Glück wieder beruhigt zu haben.

Innerlich stieß Noran ein erleichtertes Seufzen aus. Nera konnte manchmal durchaus angsteinflößend sein. Doch eines hatte er im Moment mit Nera gemein, er wollte wissen, was eigentlich passiert war.

Sie schritten Seite an Seite durch den Thronsaal auf eine große Eichentür zu, an deren Seiten hochgewachsene und kunstvoll zugeschnittene Efeustatuen aufgestellt waren. Sie zeigten zwei Engel, die ihre Hände und Flügel schützend ausbreiteten.

Mit sorgenvollen Mienen betraten die beiden nun einen großen Raum in dessen Mitte ein großer, runder Marmortisch mit mehreren aus schwerem Eichenholz gefertigten Stühlen stand. In die Tischplatte und in die Stühle waren Bilder von magischen Wesen eingeschnitzt und -graviert. Es war eigentlich der große Konferenzsaal, wo die Oberhäupter aller Königreiche zusammenkamen, um wichtige Dinge zu besprechen und zu verhandeln.

Oft waren Nera und Noran hier zusammen mit den Königen von Galon und Amol Luhn und den Vertretern der größeren Dörfer der Menschen und Nekromanten zusammengesessen, nachdem sie Thyzon besiegt und Utumo aus seinen Fängen befreit hatten.

Vieles war in dieser Zeit unter Thyzons Herrschaft zerstört worden. Nera und Noran blickten nicht gerne in jene Zeit zurück, da sie ihnen viel Schmerz und Leid gebracht hatte.

Die Wände des Saales waren alle in einem hellen blau gehalten. Durch große Kristallfenster drang der Schein der Sonne in den Saal und tauchte ihn in ein beinahe himmlisches Licht. Noran musste unwillkürlich lächeln, wen er daran dachte, dass hier eigentlich die Geschicke der Welt besprochen wurden. Und nun sollte hier über etwas so banales, wie die Tat ihres Sohnes gesprochen werden.

Ein bisschen überzogen, so fand er zumindest. Doch sobald er in Neras Gesicht geblickt hatte kehrte der Ernst in seine Miene zurück. Sie setzten sich zusammen an den Tisch und warteten. Am anderen Ende des Saales befand sich eine weitere Tür, die fast noch kunstvoller verziert war, als die, durch die Nera und Noran gerade gekommen waren. Sie zeigte die Bilder der ersten Schlacht gegen Thyzon, als er noch frei auf dieser Welt gewandelt war.

Schließlich öffnete sich die zweite Tür und ein junger Mann, etwa im Alter von zwanzig Jahren betrat mit gesenktem Kopf den Raum. Er trug ein ähnliches Gewand wie Noran und er hatte kurzes dunkelbraunes Haar. Noran sah kurz zu seiner Frau hinüber. In ihren Augen funkelte immer noch eine starke Wut, doch sie schien sich zu beherrschen. Die Atmosphäre in diesem Raum begann sich dennoch augenblicklich anzuspannen. Noran fühlte es genau. Also entschloss er sich dazu selbst den Anfang zu machen.

„Setz dich!“, sagte er zu dem geknickt wirkenden jungen Mann.

Er setze sich, ließ den Kopf aber gesenkt, als schien er sich für etwas zu schämen.

„Sieh uns an Junge!“ Widerstrebend hob er langsam den Kopf. An seinem linken Auge zeigte sich ein Veilchen, dass in nur allen erdenklichen Violett- und Blautönen schillerte.

Es war also wahr, er war in eine Schlägerei verstrickt gewesen. Die Spannung nahm nun ein erdrückendes Maß an. Noran spürte, wie es zwischen Nera und ihrem Sohn beinahe zu knistern begann.

„Also Beor, wa…“, begann er seine Frage.

„WARUM?“

Nera war ihm mit einem lauten Schlag auf den Tisch ins Wort gefallen. Er und Beor waren dabei erschrocken zusammengezuckt.

„Warum machst du uns nur so eine Schande? Du bist der Sohn des Königs, wieso hast du das getan?“

Wenn Nera einmal richtig sauer war, konnte nicht einmal der stärkste Dämon ihr standhalten. Heute konnte sich kaum einer vorstellen, dass sie einmal ihre ganzen Gefühle unterdrückt haben soll. Doch Noran kannte sie gut und er hatte sie kennen gelernt, als dies noch der Fall gewesen war. Immerhin stammte sie von den Nekromanten ab, die allesamt keine Gefühle zeigten, oder zumindest kaum. Nur langsam waren sie sich damals nähergekommen. Es war schon einige Zeit seitdem verstrichen. Doch die Erinnerungen daran waren noch frisch, und sie waren beinahe noch ebenso schmerzhaft.

Er wandte sich wieder dem Hier und Jetzt zu.

„Kannst du mir das sagen Beor?“ Nera hatte noch weiter auf ihn eingeredet.

Eigentlich wäre geschrien ein passenderes Wort dafür gewesen. Beor wirkte verunsichert, doch er schwieg immer noch.

Noran glaubte etwas in den grauen Augen seines Sohnes zu erkennen. Es waren weder Angst noch Reue. Es war der gleiche Schimmer, den er immer in den Augen hatte, wenn er etwas absichtlich verbarg. Nera hätte dies eigentlich auch schon auffallen müssen, aber ihre Wut und ihre mütterlichen Instinkte schienen sie daran zu hindern, dies zu erkennen.

Noran sah seinen Sohn nun eindringlich an. Er erwiderte den Blick entschlossen, brach sein Schweigen jedoch immer noch nicht.

Währenddessen steigerte sich Nera immer weiter in ihren Wortschwall hinein. Die Entschlossenheit in Beors Mine verflüchtigte sich rasch wieder und wich eher Beklommenheit.

In diesem Moment wurde die zweite Türe erneut aufgemacht und ein junges Mädchen, um die siebzehn Jahre alt, betrat den Raum mit aufgeregten Schritten. Sie trug ein ähnliches Kleid, wie Nera. In ihrer Hast schlug sie die Tür laut zu und stürzte zu Beor.

„Ist alles in Ordnung mit dir, Bruder? Ich hab dich schon überall gesucht.“

Bis jetzt schien sie kaum bemerkt zu haben, dass ihre Eltern auch anwesend waren. Doch schließlich zuckte sie zusammen, als ihre Mutter sie laut zurechtwies.

„Selene, du hast hier nichts zu suchen, geh wieder!“, schrie Nera nun, die von dieser Unterbrechung nicht sehr begeistert war.

Sie sah ihre Tochter eindringlich und gereizt an. Doch diese schüttelte nur den Kopf. Sie versuchte entschlossen zu wirken, aber man merkte ihr an, dass ihr nicht wohl bei der Sache war, ihrer Mutter zu widersprechen.

„Erst wenn ich erfahren habe, ob mit ihm alles in Ordnung ist.“

Es kostete Selene viel Überwindung ihrer Mutter so gegenüberzustehen.

„Bitte Mutter!“ Nera nickte schließlich finster. Dann wandte sie sich wieder ihrem Bruder zu.

Selene machte sich große Sorgen um ihren Bruder. Sie hatte von einer ihrer Freundinnen erfahren, was geschehen war. Sie betrachtete das Gesicht ihres Bruders und erkannte mit Entsetzen das Veilchen an seinem Auge.

„Geht es dir gut?“ Beor blickte ihr in die Augen und nickte knapp. „Es ist alles in Ordnung mit mir. Geh jetzt bitte.“

Widerwillig gab Selene nach und näherte sich wieder der Tür, durch die sie eingetreten war. Doch noch während sie ging, lauschte sie dem, was am Tisch weiterhin gesprochen wurde.

„Hast du Felaon geschlagen?“, fragte nun wieder Nera, das Wort ergreifend.

Selene blieb an der Tür stehen und beobachtete, was jetzt geschah. Warum nur, war ihre Mutter so wütend? Sie konnte es sich nicht erklären. Es sei denn, sie hatte nicht die ganze Geschichte erfahren. Doch bevor sie etwas sagen konnte sah Beor seiner Mutter in die Augen.

„Ja. Ich habe es getan. Und es tut mir leid.“ Nera wirkte einen kurzen Moment wie vor den Kopf gestoßen.

Erst nach einigen Sekunden setzte sie ihre Befragung fort.

„Es tut dir leid? Das dürfte aber auch das mindeste sein. Warum hast du ihn geschlagen?“

Beor zuckte gespielt mit den Schultern.

„Einfach so, ich weiß es nicht genau.“

Selene biss sich auf ihre eigene Lippe, als sie diese haarsträubende Erklärung ihres Bruders hörte.

Nera geriet nun völlig in Rage. Sie sprang vom Tisch auf und funkelte Beor mit zornentbrannten Augen an. Da ergriff Selene wieder das Wort.

„Halt Mutter! Ich kann dir alles erklären.“

Nera sah zu ihrer Tochter hinüber. Sie schien nun etwas verwirrt und ein Teil ihrer Wut verebbte vor Überraschung.

„Nein Selene!“, rief ihr Bruder nun entsetzt.

Doch sie war bereits an den Tisch herangetreten und blickte abwechselnd ihrem Vater und ihrer Mutter in die Augen.

„Was willst du mir erklären?“

„Warum Beor es getan hat. Es war nämlich etwas anders. Meine Freundin Earwen hat es mir erzählt, sie war dabei.“

„Was ist also wirklich passiert?“, wollte nun Nera wissen, die mit ruhigerer Stimme sprach.

„Felaon hat zusammen mit ein paar von seinen Freunden Earwen und ein paar andere der

Jüngeren schikaniert. Beor hat das ganze zufällig mitbekommen und sich für Earwen und die anderen eingesetzt. Er hat Felaon aufgefordert damit aufzuhören. Doch er wollte nicht und hat Beor zur Seite gestoßen…“

Nera wirkte nun völlig überrumpelt. Sie hatte eine ganz andere Geschichte gehört.

„Ist das wahr?“, fragte sie Beor, der nun seufzte, bevor Selene ihre Geschichte beendet hatte.

„Ich hab immer wieder davon gehört, dass Felaon die Jüngeren bedroht. Als ich schließlich gesehen hab, wie er Earwen und andere wieder einmal anpöbelte, da hab ich es nicht mehr ausgehalten tatenlos zuzusehen. Ich bin hingegangen und hab ihn aufgefordert sie in Ruhe zu lassen.“ Er begann die ganze Geschichte zu erzählen.

„Was willst du Weichei eigentlich von mir. Mach das du zu deinem Papa kommst, sonst bist du der nächste.“

Felaon schubste Beor zur Seite. Er wollte sich gerade wieder der völlig verängstigten Earwen zuwenden, die sich zitternd gegen eine Hauswand drückte.

„Lass mich doch bitte in Ruhe!“, wimmerte sie und hatte fest die Augen zugepresst, so als könne sie dadurch verhindern, dass man ihr etwas antat.

Beor war inzwischen wieder aufgestanden und klopfte sich den Staub von der Hose, bevor er sich Felaon wieder in den Weg stellte.

„Ich hab dir doch gesagt, dass du sie in Ruhe lassen sollst.“, wiederholte er seine Worte von vorhin. Felaon lachte hämisch.

„Du hättest lieber liegen bleiben, oder am besten gleich verschwinden sollen.“

Erneut schubste Felaon Beor zur Seite, doch dieses Mal blieb er fest stehen und blickte seinem Gegenüber entschlossen in die Augen.

„Hey kümmere dich lieber um deine eigenen Angelegenheiten und lass mich das tun, was ich für Richtig halte.“, sagte Felaon und versuchte erneut Beor zu Boden zu werfen.

Es wollte ihm nicht gelingenund langsam wurde er deswegen ungehalten.

„Es wird Zeit dir dein vorlautes Maul zu stopfen, du kleiner Angeber.“

Mit diesen Worten holte Felaon aus und rammte seine rechte Faust so stark in Beors Magen, dass dieser überrascht auf keuchte, als seine Bauchmuskulatur anspannte, um die größte Wucht des Schlages abzufangen. Seine Hände verschränkten sich vor dem Bauch, als er immer noch leicht keuchend auf ein Knie sank.

„Da! Seht ihr? Dieses jämmerliche Weichei kann uns nichts entgegensetzen. Reißt nur seine dumme klappe auf.“, sagte er an seine Schlägerfreunde gewandt.

Dies konnte sich Beor nicht gefallen lassen. Niemand nannte ihn ungestraft ein Weichei. Immerhin war er der Sohn eines Helden. Der Sohn des Mannes und der Frau, die zusammen Thyzon, den Herrscher der Hölle, besiegt hatten. Außerdem konnte er es nicht zulassen, dass Felaon weiterhin ungestraft auf die Jüngeren losging, während die Wachen, die eigentlich für Frieden innerhalb der Stadtmauern sorgen sollen, nur tatenlos zusahen oder gar den Blick abwandten. Entschlossen richtete er sich wieder auf, trat hinter Felaon, der ihm den Rücken zugewandt hatte, und klopfte ihm auf die Schulter. Als dieser sich umdrehte, schlug Beor ihm mit voller Kraft ins Gesicht. Felaon taumelte nach hinten und hielt sich die Hand vors Gesicht und klagte jämmerlich.

„Du Bastard! Das hast du nicht umsonst getan. Ich werde dir jetzt mal Manieren beibringen.“

Beor lächelte verschmitzt.

„Na los. Dann zeig es mir. Wird Zeit dass du dich auch mal mit einem ebenbürtigen Gegner anlegst. Aber ich glaube derjenige dem es an Manieren fehlt bist du.“

Schließlich wandte er sich kurz zu Earwen und den anderen zu, mit erstaunt offenstehenden Mündern dicht an der Wand gedrängt standen.

„Macht dass ihr verschwindet. Ich komme alleine mit ihm klar.“

Das ließen sie sich nicht zweimal sagen, und schon waren sie weg. Nun waren Felaon, dessen zwei Freunde und Beor alleine in der schmalen Gasse. Felaons Freunde wollten schon auf Beor losgehen, doch er hielt sie zurück.

„Stop. Ich werde mir dieses Bürschchen persönlich vornehmen. Der wird sich noch wünschen sich nicht mit mir angelegt zu haben.“

Felaon stand nun mit geballten Fäusten und einer blutenden Lippe Beor gegenüber. Plötzlich machte er einen Ausfall und versuchte Beor ebenfalls ins Gesicht zu schlagen. Doch Beor war flink und wich dem Schlag gekonnt aus und brachte Felaon mit einem gezielten Tritt auf dessen Beine zum Straucheln.

„An deiner Stelle würde ich es mir noch einmal überlegen, ob du dich mit mir anlegen willst. Lass es einfach und lass die Jüngeren in Ruhe und wir haben keine Probleme.“

„Oh doch. Ich hab ein Problem. Und zwar dich.“

Erneut versuchte er Beor zu treffen. Aber es gelang ihm einfach nicht. Beor war zu schnell und hatte viel mehr Kampferfahrung. Immerhin hatte sein Vater ihn trainiert. Doch plötzlich ergriff ihn jemand von hinten. Felaons Freunde packten ihn und hielten ihn fest.

„So Felaon, jetzt schlag zu. Der wird es nicht mehr wagen sich dir in den Weg zu stellen.“

Beor versuchte sich zu befreien, doch es gelang ihm zunächst nicht. Felaon schlug ihm mehrmals ins Gesicht. Beor ließ es über sich ergehen. Und als Felaons Freunde annahmen, dass er zu schwach sei, um weiterzukämpfen, lockerten sie ihren Griff ein wenig.

Ein fataler Fehler, denn Beor wand sich aus den Griffen und stieß sie von sich. Schließlich verpasste er Felaon noch einen kräftigen Schlag in den Magen. Dieser verkrampfte sich und sank unter Stöhnen zu Boden.

„Das wirst du noch bereuen, das verspreche ich dir.“ Doch Beor ignorierte ihn und ging einfach.

„Schließlich hat mich einer der Bediensteten dazu aufgefordert hier her zu kommen. Ich wusste, dass Felaon seinem Vater die Gesichte so erzählen würde, als hätte ich ihn Grundlos geschlagen, um mir eins auszuwischen.“

„Warum hast du uns das nicht gesagt?“, wollte Nera jetzt wissen, deren Wut nun vollkommen verflogen war.

„Ich wollte diesem Kerl zeigen, dass es mir nichts ausmacht eine Strafe auf mich zu nehmen. Er sollte die Jüngeren ein für allemal in Ruhe lassen. Dafür hätte ich alles getan. Und ich wollte ihm beweisen, dass ich kein Weichei bin.“

Nera nahm ihn nun in den Arm.

„Es tut mir leid. Ich hätte wissen müssen, dass du nicht einfach so eine Schlägerei anfängst. Ich werde wohl mit Felaon und seinem Vater sprechen müssen. Felaons Taten dürfen nicht unbestraft bleiben. Und was dich angeht, so kümmern wir uns erst einmal um dein Veilchen und reden später über deine Strafe dafür, dass du dich hinreisen lassen hast. Selene, begleite dienen Bruder zum Arzt.“

„Ja mach ich.“ So verließen Selene und Beor zusammen den Raum und ließen Nera und Noran zurück. „Er kommt ganz nach dir Noran.“, sagte Nera nun zu ihrem Mann.

Der lächelte nur schwach.

„Sie kommen beide nach uns. Und das gibt mir, wenn ich ehrlich sein soll, Hoffnung für die Zukunft von Utumo. Sie erinnern mich an zwei junge Menschen, die in die Welt gereist sind, um Unrecht zu bekämpfen, wo es nur geht.“

„Da hast du Recht.“

Ein Lächeln trat nun auf Neras Lippen. Sie konnten stolz auf ihre Kinder sein.

Kapitel 2

Selene begleitete ihren Bruder aus dem Konferenzsaal. Sie hatte sich große Sorgen um ihn gemacht, denn Earwen hatte ihr gesagt, sie müsse mit dem Schlimmsten rechnen. Sie war erleichtert, dass dies eine Übertreibung gewesen war und das Beor, abgesehen von dem blauen Auge, nichts Schlimmeres zugestoßen war. Sie machte sich ohnehin schon Vorwürfe darüber, dass sie ihm nicht hatte helfen können. Hätte er ihr nur von seinem Verdacht erzählt und nicht so überstürzt gehandelt. Doch so war ihr Bruder nun einmal, und er hielt sie noch immer für seine kleine unschuldige Schwester, die er beschützen musste. Es war eine nette Geste, doch Selene fühlte sich dadurch nicht ernst genommen. Sie wollte, dass ihr Bruder sie so sah, wie sie wirklich war und dass sie keineswegs hilflos war, wenn es darauf ankam. Doch er würde es früher oder später selbst bemerken, entschied sie sich zu glauben.

Nach unzähligen Gängen und noch mehr Türen erreichten sie schließlich die Kammer des Heilers. In diesem Bereich des Palastes lag immer ein seltsamer Geruch von Kräutern, Tränken und anderen Dingen der Wissenschaft in der Luft. Die meisten mieden diesen Trakt und so hatte der Heiler fast den ganzen Bereich für sich eingenommen, als Lagerräume für seine Geräte, Tinkturen und Experimente.

Die beiden fanden den Heilungstrakt jedochj verlassen vor, denn zur Zeit war der Arzt auf einer sechsmonatigen Reise in die nördlichsten Provinzen, um dort im Fangrylwald seine Vorräte an Kräutern und Wurzeln wieder aufzufüllen.

Selene hatte bereits einiges von ihm über die Heilkunst gelernt, obwohl sie ihn für einen seltsamen Kauz hielt, der nicht immer alle Sinne beisammen zu haben schien. Aber sie wusste zumindest, wie sie sich um die Wunden ihres Bruders kümmern musste, damit es zu keinen bleibenden Blessuren kam. Sie griff zielsicher in die Regale um verschiedene Gefäße zu holen, die die notwendigen Dinge enthielten und rasch hatte sie eine Salbe angerührt, die sie nun vorsichtig auf Beors Auge auftrug. Dieser zuckte immer wieder leicht zusammen, was sie darauf hinwies, dass dieses Veilchen schmerzhafter war, als er bereit war zuzugeben. Er war schon immer hart im Nehmen gewesen. Er wollte stark sein für diejenigen, die er beschützte. Sie kannte ihren Bruder gut genug, um hinter diese Fassade zu blicken und ihr gegenüber war er als einziges bereit seine Schwächen zumindest teilweise einzugestehen.

Nach wenigen Sekunden war es vorüber und die Salbe war vollkommen in die Haut eingezogen. Das Veilchen begann bereits langsam zu verblassen und der Schmerz ließ ein wenig nach.

„Danke Selene.“

„Warum hast du mir nichts davon gesagt?“, fragte sie ihn nur und sah ihn nun vorwurfsvoll an.

„Ich hätte dir geholfen.“

Beor verzog noch einmal leicht das Gesicht da er es nicht ganz unterdrücken konnte als die Salbe ihre Arbeit vollendete.

„Ich wollte dich da nicht mit reinziehen.“, meinte er wie er es immer tat, wenn er sich rechtfertigte.

„Ach was. Du glaubst wohl noch immer, dass ich ein kleines schwaches Mädchen bin. Du kannst es nicht ertragen, dass ich langsam erwachsen werde, was?“, erwiderte Selene halb scherzhaft und halb ernst, wie SIE es immer tat, wenn Beor sich so rechtfertigte.

„Das stimmt doch gar nicht.“, versuchte er sich halbherzig zu verteidigen, doch tief in seinem Inneren wusste Beor, dass seine Schwester im Grunde genommen Recht hatte.

Es behagte ihm nicht, wie ähnlich ihm Selene in ihren Handlungen und der Denkweise im Grunde doch war. Zudem hatte sie sich in den letzten Jahren zu einem richtigen Abbild ihrer Mutter entwickelt. Beor hatte von seinem Vater viele Geschichten gehört, wie seine Mutter und er sich damals kennen gelernt, und welche unglaublichen Abenteuer sie gemeinsam bestanden hatten. Er hatte ihm von dem Feuer und der unbändigen Kraft erzählt, die er in ihren Augen gesehen hatte. Genau dieses Leuchten glaubte er auch in Selenes Augen zu erkennen und im Grunde genommen wusste er, dass sie stark war und es sogar mit ihm oder ihren Eltern hätte aufnehmen können. Dennoch konnte er den Gedanken nicht ertragen, seine Schwester durch eine Unachtsamkeit zu verlieren, indem sie ein unnötiges Risiko einging so wie er oder ihre Eltern es taten. Es würde für jeden Außenstehenden verrückt kligen, aber es war einfach so. Seine Schwester war ihm, zusammen mit ihren Eltern, das Liebste auf der Welt und doch musste er sich wohl Langsam damit abfinden, dass seine Schwester erwachsen wurde und selbst über ihr Leben bestimmen wollte und sich wie ihre Mutter kaum davon abhalten lassen würde.

Mit einem Seufzer sah er sie eindringlich an. Sie war wirklich eine schöne junge Frau geworden. Sehnsüchtig dachte er an die Zeit zurück, in der Selene zu ihm aufgeblickt hatte und ihn als ihr Vorbild angesehen hatte. Schließlich schenkte er seiner Schwester noch ein wissendes Lächeln und standvon der Behandlungsbank, auf der er bis jetzt gesessen hatte, auf.

„Du hast ja Recht. Ich hätte es dir sagen sollen. Verzeih mir.“, gab er seufzend zu.

Selene sah ihren Bruder nach dem gerade eben abgelegten Geständnis ungläubig an und fragte sich ob sie gerade richtig gehört hatte. Ihr Bruder hatte ihr Recht gegeben und ihre Sorge und ihre Wut, die sich während ihre Wartezeit vor dem Thronsaal so lange angestaut hatten, waren verflogen, was sie anschließend Beors Lächeln erwiedern ließ.

Allerdings musste sie noch eine Spitze gegen ihren sturen Bruder anbringen. „Hast aber lang gebraucht, um das einzusehen.“

„Lieber spät, als nie, oder?“, erwiderte ihr Bruder die Spitze gewohnt treffsicher.

Schließlich mussten beide Lachen, denn sie hatten noch nie lange aufeinander böse sein können und zusammen verließen sie die Kammer des Heilers, während das Veilchen nun vollkommen verschwunden war. Sie mussten sich etwas beeilen, denn ihre Eltern erwarteten sie zum Abendessen und es war ohnehin schon sehr spät.

Ninfea hatte wieder keine Ruhe im Schlaf gefunden und fühlte sich wie gerädert. Selbst das Bad in der Nacht hatte ihre Anspannung nicht mehr lösen können, und das beunruhigte sie noch viel mehr. Weder wusste sie, warum sie diese Alpträume plagten, noch gelang es ihr sich an genaue Einzelheiten daran zu erinnern. Es war wie ein unfassbares Grauen, das sich in ihr ausbreitete, ohne zu wissen, was dieses Grauen verursachte oder wie sie es bekämpfen sollte. Es war beinahe so wie die unbegründete Angst, welche ein kleines Kind vor der Dunkelheit empfand, da es nicht wusste, was es dort erwartete. Und dieses Gefühl behagte ihr überhaupt nicht, zehrte an ihrer Kraft und ließ sie sogar an ihrem klaren Verstand zweifeln. Bisher hatte sie niemandem davon erzählt, und sie hätte auch nicht gewusst, was sie demjenigen genau hätte sagen sollen. Sie wusste nur Eins mit Gewissheit, die Alpträume hatten etwa zeitgleich mit der Ankunft auf diesem Kontinent begonnen und sie wurden immer schlimmer.

Vor genau drei Wochen war ihr Volk, an dieser Küste gelandet. Sie waren von ihrer alten Heimat Faluor, eine große Insel im Norden dieser Welt, aufgebrochen, um einer dunklen Bedrohung zu entgehen, einem Schatten, der sich langsam über das gesamte Eiland gelegt hatte. Es hatte zwei Monate gedauert, bis sie dieses Land gefunden hatten. Sie waren dem Tode nahe gewesen, als die Flut ihre Schiffe ans Ufer gespült hatte. Das Land, das sie Valor – gesegneter Hafen – genannt hatten, war ungefähr halb so groß wie die Insel Faluor und von drei Seiten von hohen Gebirgsketten umringt. Bisher hatte noch Keiner aus Ninfeas Volk es gewagt diese zu überschreiten, um zu sehen was dahinter lag. Wozu hätten sie dies auch tun sollen? Sie hatten hier alles vorgefunden, was sie brauchten. Die Felder, die sie angelegt hatten, waren fruchtbar und sie wurden weder angegriffen, noch hatten sie ein Zeichen gesehen, dass der Schatten ihnen über das Meer gefolgt war. Eigentlich war dies hier ein perfekter Platz, um die Sorgen zu vergessen, die sie hierhergetrieben hatten. Doch genau das Gegenteil war es, was Ninfea nun quälte. Eigentlich müsste sie überglücklich sein, dennoch verfolgten sie diese Alpträume, die sie in keinen Zusammenhang mit dem bringen konnte, was sie und ihr Volk durchgemacht hatten. Manchmal hatte sie das Gefühl, das die Orte, von denen sie träumte, vage vertraut waren, obwohl sie im gleichen Zuge fremd und eigenartig wirkten. Sie konnte sich an keine der Bilder wirklich erinnern, aber die Emotionen, die diese Bilder begleiteten, waren so frisch in ihren Erinnerungen, als hätte sie sie gerade erst empfunden.

Eine helle Glocke schallte durch das Tal hindurch und Ninfea vernahm es mit Freuden. Sie hatte den ganzen Morgen nichts heruntergebracht. Doch jetzt verspürte sie einen großen Hunger. Mit einem aufgesetzten Lächeln im Gesicht wandte sie sich rasch um, so dass ihre Haare im Wind umherwirbelten und ihre spitzen Ohren enthüllten. Mit raschen Schritten rannte sie zurück nach Hause, wo ein gutes Essen auf sie wartete. Das Rätsel um ihre Träume musste warten und auch ihr Volk und ihre Familie sollte von ihrer Unruhe nichts erfahren. Zumindest solange es sich vermeiden ließ.

Das Essen war hervorragend gewesen und in der Gesellschaft ihrer Freunde und ihrer Familie konnte sie gar nicht anders als glücklich sein. Ihre Sorgen und ihre Ängste traten in den Hintergrund.

Doch ihre gelassene und heitere Stimmung änderte sich jäh, als die Tür zum Speisesaal aufgerissen wurde und ein junger Mann völlig erschöpft hereinplatzte. Es war der Sohn von Minoron, der als erster mit seiner Familie näher zu den Gebirgsketten gewandert war, um dieses Land weiter zu festigen, und den wachsenden Bedarf mit Feldwirtschaft zu unterstützen. Denetor war sein Name und sie hatte ihn ein paar Mal besucht, seit sie hier waren.

Doch was hatte ihn so in Panik versetzt? Ninfea sprang auf und trat näher an ihn heran, um ihn etwas zu stützen, da er vor Erschöpfung auf den Boden zu fallen drohte. Sie begleitete ihn zu einem Stuhl und half ihm Platz zu nehmen.

„Denetor, was ist los? Geht es deinem Vater und euren Leuten gut?“

Denetor brauchte eine Weile, bis er genug Kraft gesammelt hatte, um zu sprechen. Er musste den ganzen Weg hierher gerannt sein. Unter Keuchen gab er schließlich eine Antwort. „Von…den…Bergen. Schreckliche…Wesen… angegriffen.“

Denetor atmete schwer. Doch schließlich schien er sich ein wenig zu beruhigen. Er atmete ein paar Mal tief durch und begann erneut.

„Es war schrecklich. Gestern Morgen hat es begonnen. Zuerst sahen wir Rauch von den Gipfeln der Berge aufsteigen. Wir dachten uns nichts dabei, schließlich war es nicht das erste Mal. Doch dann geschah es. Hunderte von ungeheuerlichen Wesen kamen über die verwitterten Wege herab und griffen uns unvorbereitet an. Dämonen, die nach unserem Blut gierten. Das Dorf ist verloren. Nur ich habe es noch rechtzeitig geschafft zu fliehen, um euch zu warnen.“ Ninfea stockte für einen Moment der Atem. Wenn das stimmte, waren sie in großer Gefahr.

In diesem Moment tauchte vor ihr ein Bild auf. Es zeigte ihr Dorf, wie es in Flammen stand. Das gleiche Grauen erfasste sie, wie in ihren Alpträumen. Sie schauderte und um sie herum brach plötzlich ein lautes Gemurmel aus.

Der erste der Sprach war ein älterer Mann, „Was sollen wir denn jetzt tun?“

„Wir sind doch gar nicht auf einen Angriff vorbereitet.“, fügte einer der ehemaligen Ritter hinzu.

„Sie werden uns alle vernichten.“, brachte schließlich eine junge Frau panisch hervor.

Ninfea wollte sich das nicht länger anhören.

„Bitte, Seid doch mal still!“, rief sie so laut sie konnte, doch ihre Stimme klang dabei gebrochen und rau.

Das Gemurmel erstarb und die Blicke ihrer Freunde und Familie wanderten zu ihr.

„Es bringt doch nichts, wenn wir jetzt in Panik geraten. Wir brauchen Hilfe, soviel steht fest. Ich schlage vor, dass ihr euch in den Höhlen, nahe den Klippen versteckt, dort werdet ihr eine Weile sicher sein.“

„Und was ist mit dir?“, fragte schließlich jemand.

„Jemand muss doch Hilfe holen, oder nicht? Ich werde schnellstmöglich Hilfe für uns finden.“ Darauf sagte niemand etwas.

Jeder wusste, dass Ninfea die Mutigste und Klügste unter ihnen war. Wenn es jemandem gelang Hilfe zu holen, dann ihr.

„Also gut. Dann ist es beschlossen. Packt das Wichtigste zusammen und versteckt euch in den Höhlen. Ich werde versuchen so schnell wie möglich wieder da zu sein. Hinter der Gebirgskette muss es jemanden Geben der uns helfen kann.“

Damit war alles gesagt. Sofort begannen ihre Leute damit ihre wichtigsten Sachen zusammenzupacken und zogen los in Richtung der Küste. Die Höhlen lagen gut verborgen und Ninfea wusste, dass sie dort zumindest für eine ganze Weile sicher sein würden. Sie selbst nahm ihren Bogen, einige wenige Vorräte, die sie zusammenraffen konnte, und machte sich auf den Weg zu den Gebirgsketten. Zum Glück kannte sie Wege, um sich vor unfreundlichen Augen zu verbergen. Sie wusste, dass es eine beschwerliche Reise sein würde. Doch sie hatte keine andere Wahl. Sie brauchten dringend Hilfe. Und sie hoffte, dass ihre mutigen Worte vorhin keine leeren Versprechen bleiben würden.

Die Reise bis zur nächstgelegensten Gebirgskette dauerte auch nicht sehr lange, sie hatte ein gutes Tempo vorgelegt und erreichte bereits gegen Abend desselben Tages die felsigen Ausläufer. Der schwierigste Teil wartete aber noch auf sie. Der Auf- und Wiederabstieg würden ihr einiges an Zeit und Kraft abverlangen. Sie hoffte nur, dass sich dies nicht als falsche Hoffnung erweisen würde und sie somit ihr Volk im Stich lassen würde. Sie schüttelte den Kopf um diese Gedanken zu verscheuchen und machte sich daran den Weg zu den Gipfeln ausfindig zu machen.

Kapitel 3

Ninfea war mit ihren Kräften am Ende. Sie hatte zwar den Angreifern fast mühelos ausweichen können und sogar einen geheimen und gangbarn Weg ins Gebirge gefunden. Doch dies war mehr Zufall gewesen, als ihren eigenen Fähigkeiten zu verdanken. Der Aufstieg hatte sie angestrengt, aber sie war sehr gut voran gekommen mit nur wenigen Schlafpausen. Der Abstieg hingegen war unbehelligt von Dämonen von Statten gegangen. Aufgrund der steilen und zerklüfteten Vorsprünge auf der anderen Seite war sie dennoch mehrere Male beinahe abgestürzt. Das hatte sie zeitlich wieder enorm zurückgeworfen. Doch bereits kurz nach dem Ende des Abstiegs fand sie sich in den Ausläufern eines riesigen Waldgebietes wieder. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, wohin sie nun gehen musste und die Angst nagte an ihr, dass sie es nicht rechtzeitig schaffen würde.

Nach kurzer Überlegung entschied sie sich dazu immer weiter in Richtung Süden zu gehen. Irgendwann musste sei doch auf ein Dorf oder eine Stadt, oder zumindest auf den Hinweis von Zivilisation stoßen. Sie hatte nicht viel bei ihrer Flucht mitgenommen und ein unglaublicher Hunger quälte sie nun, da ihre Vorräte schon vor einiger Zeit zur Neige gegangen waren. Sie vernahm das knurren ihres Magens und glaubte bereits zu spüren, wie der Hunger sich auf ihre Ausdauer auszuwirken begann.

Entschlossen kämpfte sie sich weiter voran und erreichte so schließlich das andere Ende des Waldes. Eine weite Ebene lag vor ihr, hier und da von kleinen Hügeln unterbrochen. Es war bereits der siebte Tag, seit sie aufgebrochen war, um Hilfe zu suchen. Sie hatte jedoch noch nicht das geringste Anzeichen dafür bemerkt, dass hier jemand lebte. Diese Gegend wirkte genauso verlassen, wie die Gipfel der Gebirge, die sie erst hinter sich gelassen hatte. Die Alpträume plagten sie noch immer, doch dieses Mal konnte sie sich an mehr Einzelheiten ihrer Visionen erinnern. Der Angriff der Dämonen auf ihr Volk, sie hatte es bereits vorausgeahnt! Und nun sah sie den Untergang ihres Dorfes. Dieses Schicksal musste sie verhindern, koste es was es wolle.

Mit diesen Gedanken schleppte sie sich weiter. Gegen Abend erreichte sie eine Anhöhe, auf der sie Überreste eines großen Feuers erkannte. Die Asche bedeckte noch einen Großteil des Hügels. Hier hatte mal etwas gestanden. Doch war es nur eine Scheune gewesen, oder vielleicht ein Haus? Ninfea konnte es nicht sagen. Sie durfte sich nicht zu lange davon aufhalten lassen, um Genaueres herauszufinden. Sie musste weiter. In einigen Kilometern Entfernung erkannte sie erneut die blanken Felswände eines weiteren Gebirges. Ihre Hoffnung sank. Doch ihr Wille war ungebrochen. Sie wollte Hilfe finden, und wenn sie dafür bis ans andere Ende der Welt gehen musste. Sie musste weitergehen, auch wenn es ihr Ende bedeuten mochte.

General Drake blickte gedankenverloren hinaus auf das offene Meer. Sein Schiff, die Hawksfire, lag nun seit Tagen im Hafen vor Anker. Es gab nicht mehr sehr viel zu tun für ihn und seine Mannschaft. Zudem sollte er in drei Tagen in den Ruhestand versetzt werden. Die Marine hatte zu diesem Anlass angekündigt ein großes Fest vorzubereiten. Quorran Drake würde es sehr vermissen auf den Meeren herumzufahren und Dämonen, oder Piraten zu jagen. Doch es war an der Zeit für ihn seinen Posten zu räumen. Zudem musste er noch ein Versprechen einlösen, das er einem guten Freund einst gegeben hatte.

Er hätte es zwar kaum einem eingestanden, aber freute sich darauf, seinen alten Freund mal wieder zu sehen. Quorran, von dem Entschluss der Marine zutiefst berührt, war zwar strikt dagegen gewesen, doch die Marine hatte ihm das größte Geschenk gemacht, dass er sich nur vorstellen konnte. Die Hawksfire war nun bereits fast ein halbes Jahrhundert im Dienst, achtundvierzig Jahre, um genau zu sein. Es gab bereits viele größere und modernere Schiffe. Doch Drake hatte sich damals durchgesetzt und sie vor der Ausmusterung beschützt. Nun sollte sie tatsächlich sein Schiff werden. Nicht nur als Kommandeur einer Crew, sondern sie sollte tatsächlich ihm gehören. Die königlichen Hoheitszeichen, die die Hawksfire als Marineschiff auswiesen, waren bereits entfernt worden. Damit war sie nun offiziell ein Privatschiff.

Plötzlich wurde Drake aus seinen Gedanken gerissen. In Galon, der zweitgrößten Hafenstadt dieser Welt, schien etwas vor sich zu gehen. Viele Personen strebten murmelnd und sichtlich aufgeregt ins Stadtzentrum. Er beschloss sich das genauer anzusehen.

Immerhin war er noch General der Marine. Für drei Tage.

Entschlossen und mit neuem Eifer schwang er sich über die Reling und landete elegant auf dem Pier des Hafens. Rasch rannte er den Holzsteg hinauf in die Stadt, um zu sehen, was da vor sich ging.

Drake glaubte nicht, was er in der Stadt sah. Eine Horde von Leuten hatte sich um eine einzige Person versammelt, die, der Kleidung nach, offensichtlich nicht von hier stammte. Es war eine Frau, wie er schließlich erkannte. Sie wirkte erschöpft und etwas verwildert. Doch immer noch unglaublich schön, wie er fand.

Noch nie hatte er eine solche Frau gesehen. Sie wirkte eher zerbrechlich und doch strahlte sie eine enorme innere Kraft aus. Er erinnerte sich nur an einen Menschen, bei dem es ihm so ähnlich ergangen war. Nera, die Nekromantin, die er vor etwa zwanzig Jahren kennen gelernt hatte. Sie war in Begleitung von Noran Damyn gewesen, einem guten Freund von Drake. Er hatte die beiden seit eben dieser Zeit nicht mehr gesehen. Was sie wohl gerade machten? Er hatte einige Nachrichten erhalten, in denen stand, dass sie jetzt Utumo regierten und zwei Kinder hatten. Doch zu einem Besuch hatte es Drake nie gereicht. Er war einfach zu beschäftigt gewesen. Aber das würde sich ja bald ändern.

Schließlich kehrte seine Aufmerksamkeit zu dem Schauspiel vor sich zurück. Die Frau wirkte verstört und unsicher. Offensichtlich war sie noch nie in einer so großen Stadt gewesen. Doch plötzlich ging ein erstauntes Raunen durch die Menge. Es hatte angefangen zu regnen und es war ein ziemlich starker Regen, wie Drake bemerkte. Die Menge wich erschrocken von der Frau zurück und versperrte Drake damit den weiteren Weg. Er konnte nicht sehen, was vor sich ging. Eine Frau aus der Stadt gelangte schließlich in seine Nähe.

„Sie ist ein Kind der Hölle. Das ist kein Mensch.“

Kein Mensch? Wie war so etwas möglich? Wie ein Dämon hatte sie nicht gerade ausgesehen. Zwar gab es viele Dämonen, die sich zu tarnen vermochten. Aber wenn es ein Dämon gewesen wäre, wären die meisten dieser Leute bereits tot, wenn sie ihre wahre Gestalt offenbart hätte. Der General kämpfte sich durch die immer weiter zurückweichende Menge. Schließlich konnte er die Stimme der Frau hören. Sie wirkte verängstigt und verzweifelt.

„So helft mir doch. Meine Familie und meine Freunde sind in großer Gefahr. Dämonen haben uns angegriffen. Alles ist zerstört. Wir brauchen dringend Hilfe.“ Die Stimme der Frau ließ auf Verwirrung und auf Angst schließen.

Endlich hatte er es geschafft. Er hatte die Mitte des Menschenkreises gefunden und trat auf eine kleine freie Fläche. Die Leute hielten einen großen Abstand zu der Frau, die immer wieder flehentlich auf jemanden deutete, der daraufhin noch weiter zurückwich. Sie war tatsächlich verzweifelt und dem Ende nahe. Ihre Kleidung und ihre Haare waren vom Regen durchnässt. Aber so stark der Regen auch war, er vermochte aber nicht ihre geschundene Haut zu säubern. Sie musste einiges hinter sich haben, so viel stand für Drake fest.

Er sah in die Gesichter der Menschen, die der Frau am nächsten standen. Seine Anwesenheit schien sie etwas zu beruhigen. Sie fixierte ihn mit ihren Blicken, beinahe so, als wäre er eine Art Rettungsanker für sie. Zu seinem Entsetzten musste Drake mit ansehen, wie einige der Einwohner bereits Waffen oder Steine in der Hand hielten und bereit waren die Frau auf der Stelle zu töten.

„Lasst sie in Ruhe! Senkt die Waffen.“, rief er der aufgebrachten Menge entgegen. Doch sie wollten nicht hören. Die Waffen blieben erwartungsvoll erhoben.

„Bleibt fern von ihr. Sie ist eine Ausgeburt der Hölle. Sie trägt Dämonenblut in sich.“

„Schweigt!“, brüllte er schon fast, um die Menge wieder zum Schweigen zu bringen.

Vorsichtig näherte er sich nun der Frau und beobachtete aus dem Augenwinkel die Menge, die noch immer die Waffen erhoben hatte. Allerdings sahen diese ruhig zu, wie Drake sich der Frau annahm.

Die Fremde weinte und hatte den Kopf in den Händen vergraben. Drake fragte sich, wie er am besten mit ihr sprach.

„Was ist los mit euch? Woher kommt ihr?“

Langsam hob die Frau ihren Kopf und ihr langes feuchtes Haar fiel in Strähnen herab. Der Regen hatte seine Fülle genommen und es an die Seiten ihres Kopfes geklebt.

Sie war noch sehr jung, um die neunzehn oder vielleicht noch jünger. Es war schwer zu erkennen im Regen. Ein Blitz zuckte vom Himmel und erhellte ihr Gesicht, kurz darauf erklang ein ohrenbetäubender Donnerschlag. Schließlich erkannte Drake, was die anderen so erschreckt hatte. Die Frau streifte durch ihr Haar und verbarg rasch ihre Ohren. Doch Drake hatte sie bereits gesehen. Die Form der Ohren war seltsam für einen Menschen. Unten noch völlig normal, aber nach oben hin liefen beide Ohren immer mehr spitz zu. Woher kam diese Frau nur?

„Können sie mir helfen?“, fragte die Frau der Verzweiflung nahe und vor Angst und Kälte leicht zitternd.

Drake begann zu lächeln. Er erkannte sofort, dass von ihr keine Gefahr ausging.

„Ich werde sehen, was ich tun kann. Aber wir sollten uns an einem anderen…, trockenerem Ort unterhalten. Folgt mir.“ Die Frau ergriff seine dargebotene Hand und folgte ihm ohne Widerstand in Richtung Hafen und an Bord der Hawksfire. Die Menge machte misstrauisch aber respektvoll Platz, wenn Drake ihnen entgegenschritt.

Ninfea war immer noch verängstigt. Sie hatte doch nur um Hilfe bitten wollen. Doch diese Wesen mit den runden Ohren waren ihr mit Furcht und sogar mit Hass und Abscheu begegnet. Sie war der Verzweiflung nahe gewesen, denn offensichtlich schienen sie diese Leute nicht zu verstehen. Immer wieder flehte sie um Hilfe, doch keiner hatte ihrer Bitte Folge geleistet. Sie schienen Angst vor ihr gehabt zu haben. Man hatte sie sogar als Dämon beschimpft. Aber das war doch völlig absurd. Sie weinte erneut und vergrub ihr Gesicht in den Händen. Dann hörte sie eine sanfte Stimme.

„Was ist los mit euch? Woher kommt ihr?“

Sie hob den Kopf. Ein älterer Mann trat auf sie zu. Wie alt genau er war konnte sie nicht sagen, da sie den Lebenszyklus dieser Leute nicht genau kannte. Aber er wirkte freundlich und ruhiger, als die anderen. Daher ließ sie ihn näherkommen. Seine Nähe schien sie sogar ein wenig zu beruhigen. Sie erkannte, dass ihre Ohren wieder sichtbar waren, daher streifte sie schnell etwas Haar darüber.

„Können sie mir helfen?“

Der Mann begann zu lächeln. „Ich werde sehen was ich tun kann. Aber wir sollten uns an einem anderen…, trockenerem Ort unterhalten. Folgt mir.“

Sie ergriff seine Hand und folgte ihm. Sie wusste nicht, wohin er sie führte, oder was er vorhatte. Aber sie wusste, dass er ihre einzige Chance war und dass die Leute ihn zu respektieren schienen. Sie gingen zwar immer noch feindselig, aber respektvoll aus dem Weg, wenn er auf die Menge zuschritt. Daher ließ sie sich bereitwillig durch die Strassen der Stadt führen. Schließlich gelangten sie an den Hafen. Sie roch die salzige Luft des Meeres und blickte sehnsüchtig auf die Windgepeitschten Wellen hinaus. Ein Sturm war aufgekommen. Der freundliche Mann deutete auf ein Schiff, das leicht schwankte, als die Wellen gegen den Pier stießen.

„Darf ich bitten?“ Das ließ Ninfea sich kein zweites Mal sagen. Sie betrat das Schiff und fühlte sich gleich etwas wohler. Der Mann wirkte erheitert, über ihre Reaktion. Danach führte er sie in eine geräumige Kabine, in der ein kleiner Ofen stand, der wohltuende Wärme ausstrahlte. Hier war es trocken und sie waren allein. Weg von den Leuten mit den Waffen und Steinen.

Drake sah, dass die Frau sich an Bord des Schiffes gleich wohler fühlte. Sie entspannte sich zunehmend, und es freute ihn, dass sie dieses Schiff offensichtlich als beeindruckend empfand. In seiner Kabine angekommen, legte er noch ein paar Holzscheite in den Ofen, um die Kälte des Sturms schneller zu vertreiben.

„Wie ist euer Name?“, fragte er schließlich.

Die Frau zuckte leicht zusammen, gab aber kurz darauf eine Antwort.

„Ninfea.“

Drake lächelte erneut. „Das ist ein schöner Name. Ich bin Genera…Ich bin Quorran Drake. Ich bin der Captain dieses Schiffes. Gefällt es ihnen?“

Ninfea nickte. „Es ist ein erstaunliches Schiff. Nicht ganz so, wie unsere eigenen.“

„Ihr seid also eine Seefahrerin?“, fragte Drake neugierig geworden.

„Nein.“, seufzte sie.

Es schien sie zu bekümmern. „Aber ich wäre es gern.“

„Was ist der Grund dafür, dass ihr hier hergekommen seid?“

Diese Frage schien sie zu beunruhigen.

„Wir…wir wurden angegriffen. Dämonen kamen von den Bergen herab und griffen uns an. Wir hatten keine Chance uns zu verteidigen. Wir mussten fliehen. Ich bin über die Berge gegangen, um Hilfe zu bekommen.“

Drake seufzte, als er an die Reaktionen der Stadtbewohner zurückdachte.

„Ich fürchte hier werdet ihr nicht viel Hilfe bekommen. Ihr habt die Reaktion der Leute gesehen. Sie fürchten alles, was sie nicht kennen.“

Ninfea blickte verwirrt auf. „Und sie fürchten mich nicht?“

Diese Frage kam unerwartet. Drake sah in Ninfeas Augen, die nun eine gewisse Härte zeigten. „Nun. Ich kenne diese Welt inzwischen etwas besser und habe schon viele Dinge gesehen. Ich weiß, dass man nicht immer nach dem Äußeren urteilen darf. Ich habe, ohne angeben zu wollen, eine sehr gute Menschenkenntnis. Und ich habe so das Gefühl, dass von euch keine Bedrohung ausgeht.“

Ninfeas Blick wurde zweifelnd. Doch Drake hob beschwichtigend die Hände.

„Nicht alle Menschen sind so abwehrend, wie die Leute hier. Und ich weiß, wo ihr Hilfe für euer Volk bekommen könntet.“

Ninfeas Miene erhellte sich wieder. „Wirklich?“

„Ja. Ich kann euch hinbringen. Doch dazu müssen wir über das Meer.“

Ninfeas Augen weiteten sich noch mehr und ein aufgeregtes Glitzern trat in ihren Blick.

„Über das Meer. Wirklich?“

Drake nickte. Auch er hatte einst eine solche Begeisterung für das Meer verspürt. Er erinnerte sich daran, als wäre es Gestern gewesen. Und noch heute überkam ihn manchmal diese Nostalgie. Ninfea war ganz nach seinem Geschmack.

„Dann brechen wir Morgen auf. Doch zuerst solltet ihr euch etwas ausschlafen. Ihr müsst müde sein.“

Ninfea gähnte und hob sich die Hand vor den Mund.

„Ihr habt Recht. Ich danke euch vielmals.“

„Ihr braucht mir nicht zu danken, ist schon in Ordnung.“

Drake freute sich, dass er eine neue Aufgabe hatte. Dieses Fest, das man für seinen Abschied geplant hatte, fand er ohnehin übertrieben. Wenn, dann würde es ohne ihn stattfinden müssen. Ninfea brauchte ihn jetzt. Außerdem hatte er schon lange vor gehabt in die neue Hauptstadt zu reisen. Er hatte es seinen Freunden bereits vor Jahren versprochen.

Ninfea war überglücklich, dass sie endlich jemanden gefunden hatte, der ihr wirklich helfen wollte. Nach dem unschönen Empfang in der Stadt, hätte sie nie gedacht, dass sie so jemanden finden würde. Mit diesem Schiff würden sie sogar noch schneller wieder in ihrer Heimat sein, als zu Fuß. Sie hoffte nur, dass es noch Rettung gab.

Mit einem hatte Drake wirklich recht gehabt. Sie war tatsächlich todmüde und sank sofort in einen tiefen Schlaf.

Kapitel 4

Die Abfahrt aus Galon gestaltete sich unspektakulär. Gleich nach Sonnenaufgang über der noch verschlafenen Hafenstadt hatte Drake dem Hafenwart ein kleines Säckchen mit Geld in die Hand gedrückt und damit die Auslaufgebühr für die Hawksfire gezahlt und gleichzeitig dafür gesorgt, dass der Statthalter erst in einigen Stunden davon erfahren würde. Er hatte ohnehin nicht vorgehabt, sich mit irgendwelchen zeremoniellen Abschiedsfloskeln aufzuhalten. Er genoss es lieber, wie der Wind ihm die salzige Seeluft ins Gesicht wehte. Es war ein herrliches Gefühl und er hatte seiner Ansicht nach schon zu lange darauf verzichtet. Er blickte zum Bug des Schiffes und erblickte Ninfea dort stehend und hinaus auf die dunkelblaue, faltige Wasserfläche blickend. Hier und da waren die Wellen von kleinen weißen Schaumkronen durchzogen, wo sich das Wasser wirbelnd am Schiffrumpf seinen Weg bahnte. Selten hatte er jemanden gesehen, der sich für etwas so begeistern konnte, was andere nur als gegeben hinnahmen. Ninfea war in vielerlei Hinsicht eine besondere Frau.

Am fünften Morgen seit ihrem Aufbruch aus Galon, erblickte Drake das Festland wieder. Er war östlich an Amol Luhn vorbeigesegelt und hielt nun auf eine Flussmündung zu, die sich nicht weit von der Hauptstadt entfernt ins Meer ergoss und Schiffen genügend Platz bot, um darauf zu fahren. Ninfea hatte, was wohl zu einer Art Gewohnheit für sie geworden war, während der ganzen Fahrt immer wieder aufs Meer gesehen und Drake war aufgefallen, dass sie dabei eine unglaubliche Fröhlichkeit ausstrahlte. Doch zeitgleich schien auch immer eine Wolke der Furcht über ihrem Haupt zu schweben und ihr Herz schwer zu machen. Und es war mehr, als nur die Gefahr, in der ihre Familie schwebte, die ihr Kummer bereitete. Drake hatte schon zu viel erlebt, um das nicht zu bemerken. Er hatte sie bereits einmal darauf angesprochen, aber sie hatte es vorgezogen nicht darüber zu sprechen und das respektierte er, weshalb er nicht weiter darauf eingegangen war.

In weniger als einer Stunde würden sie die Hauptstadt erreicht haben, dann konnte sie seine alten Freunde um Hilfe bitten. Drake war sich sicher, dass sie ihr helfen würden. Zudem steigerte die Aussage von Ninfea seine Sorge, dass schon bald wieder unruhige Zeiten auf sie zukommen könnten. Er hatte schon länger das Gefühl, dass an diesem Frieden, der überall zu herrschen schien, etwas nicht stimmte. Der Angriff der Dämonen auf Ninfeas Dorf erklärte zumindest, warum es hier schon so lange ruhig gewesen war. Irgendetwas ging vor sich und es war bestimmt nichts Gutes, wenn die bislang zerstreuten Horden der Dämonen sich zusammenrauften. Es musste etwas Größeres dahinterstecken. Etwas, das sich bisher im Verborgenen hielt. Vielleicht ahnte Ninfea bereits etwas davon und war deshalb so beunruhigt. Und vielleicht würde sie sich ja seinen Freunden anvertrauen.

Ninfea fühlte sich überglücklich, wieder auf dem Meer zu sein. Doch dieses Glück war leider nur eine Fassade, die über ihre wahren Gefühle hinwegtäuschte. Tief in ihrem Inneren wusste sie, dass dieses Glück nicht lange anhalten würde, nicht lange anhalten konnte. Sosehr sie diese Überfahrt auch genießen wollte, sie wurde das ungute Gefühl nicht los, dass hinter dem Angriff der Dämonen auf die Siedlungen ihres Volkes mehr steckte, als es auf den ersten Blick den Anschein hatte. Vielleicht war sie hier in etwas hineingeraten, dass ihre Vorstellungskraft bei weitem überstieg. Ihre Träume waren zurückgekehrt. Allerdings wirkten sie jetzt noch bedrückender und verängstigender, als jemals zuvor. Sie konnte es sich einfach nicht erklären. In ihren Träumen sah sie eine gewaltige Stadt, die im Schein der Sonne beinahe wie Diamanten schimmerte. Dann wechselte die Szene und sie blickte auf einen Fluss, der in Flammen zu stehen schien. Er floss durch ein karges und dunkles Land. Dann sah sie wieder, wie ihr Dorf von der Dämonenhorde angegriffen wurde. Zuletzt sah sie eine große und in Dunkelheit gehüllte Gestalt. Genaueres konnte sie nicht erkennen. Die Gestalt blickte sie mit schwefelgelben Augen an, die in ein flammendes Rot wechselten und kurz darauf wieder gelb wurden und ihr einen eisigen Schauer bescheerten. Über der Gestalt schwebte eine schwarze Sonne mit einem hellen Ring.