Schattenelfen - Der Gläserne Kaiser - Bernhard Hennen - E-Book
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Schattenelfen - Der Gläserne Kaiser E-Book

Bernhard Hennen

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Beschreibung

Das märchenhaft schöne Reich Langollion der Fürstin Alathaia schwebt in höchster Gefahr. Die Elfenkönigin Emerelle droht es zu vernichten, und zugleich breitet sich eine böse Kraft in seinem Inneren immer weiter aus. In ihrer Not versucht Alathaia, in den Ruinen lange vergessener Echsentempel eine Macht aus alter Zeit auferstehen zu lassen. Zusätzlich schickt sie die Bienenhexe Leynelle und die Meuchlerin Adelayne an den Hof des Gläsernen Kaisers, um das größte Heer Albenmarks für ihre Sache zu gewinnen. Doch der Kaiserhof ist eine Schlangengrube, wo Missgunst und Intrigen regieren. Und die Zeit verrinnt unerbittlich.

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Seitenzahl: 571

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DASBUCH

Verzweifelt kämpft die Fürstin Alathaia um ihr märchenhaft schönes Reich Langollion. Die Elfenkönigin Emerelle droht es zu vernichten, und zugleich wuchert unentdeckt eine böse Kraft in seinem Inneren. Um diesen Gefahren zu trotzen, wählt Alathaia einen dunklen Weg: Sie versucht gemeinsam mit ihren Gefährten, dem Hauptmann Nanduval und dem Elfen Laurelin, in den Ruinen lange vergessener Echsentempel eine alte Macht auferstehen zu lassen, vor der einst ganz Albenmark erzitterte. Ein Plan, der viele Risiken birgt. Deshalb schickt sie zugleich die Meuchlerin Adelayne und die Bienenhexe Leynelle ins Delta des Gelben Flusses. Sie sollen dort den Gläsernen Kaiser Ligon, der über das größte Heer Albenmarks gebietet, als Verbündeten gewinnen. Doch dieser verlangt von ihnen, die uneinnehmbare Stadt Caistella zu erobern: Tödliche Feuervögel lassen dort jeden Angriff in einem flammenden Inferno enden. Und Emerelles Gesandte Zafira und Melvyn sind ebenfalls bereits am Kaiserhof und erinnern Ligon nachdrücklich daran, was jenen geschieht, die sich gegen die Elfenkönigin stellen …

DERAUTOR

Bernhard Hennen, 1966 geboren, studierte Germanistik, Geschichte und Vorderasiatische Altertumskunde. Mit seiner »Elfen«-Saga stürmte er alle Bestsellerlisten und schrieb sich an die Spitze der deutschen Fantasy-Autoren. Bernhard Hennen lebt mit seiner Familie in Krefeld.

BERNHARD

HENNEN

SCHATTENELFEN

DER GLÄSERNE KAISER

Roman

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Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright © 2022 by Bernhard Hennen

Copyright © 2022 dieser Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Dr. Uta Dahnke

Umschlaggestaltung: Das Illustrat, München,

unter Verwendung einer Illustration von Kerem Beyit

Karten im Innenumschlag [>>], [>>]: Andreas Hancock

Illustration Elfenknoten [>>]: Olaf Sigel

Herstellung: Mariam En Nazer

Satz: Leingärtner, Nabburg

ISBN 978-3-641-26995-1V001

www.heyne.de

Für meinen Feuervogel am Nachthimmel

»Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden.«

(Rosa Luxemburg)

BOLZENSPUCKER

Ein plötzlicher Schlag riss Broja von seinem Schemel. Das Messer des Kobolds rutschte ab. Ein Laut wie ein gewaltiger Gongschlag hallte durch die Bolzenspucker, und die gewölbten Metallwände ächzten.

Swid keuchte auf. Der Zwerg warf Messer und Kartoffel in den davonrutschenden Eimer und war mit einem Satz auf den Beinen.

»Was war das?«

Swid legte einen Finger an die Lippen. Durch die runden Brillengläser wirkten seine Augen unnatürlich groß.

Jetzt lauschte auch Broja auf die Geräusche im Aal. In der vergangenen Stunde war ihre Fahrt immer unruhiger geworden. Das Heck des Tauchboots war wiederholt seitlich ausgebrochen. Drei Mal hatte Broja etwas über die eiserne Außenhaut kratzen hören. Das Geräusch hatte ihm jedes Mal die Haare zu Berge stehen lassen. Auch wenn er nun schon einige Wochen in dieser Eisenröhre verbracht hatte, gefiel ihm das Wort Tauchboot immer noch nicht. Tauchboot! Ein Boot sollte auf dem Wasser fahren. Wenn es sich unter der Wasserlinie bewegte, war es gesunken!

»Das klang nicht gut«, flüsterte Swid. Nervös strich er sich über den hellblonden Bart, den er zu zwei dicken Zöpfen geflochten hatte. »Das …«

Der Aal drehte sich und bekam steuerbords Schlagseite. Broja musste sich an dem mit der Wand verschraubten Regal links von ihm festhalten, um auf den Beinen zu bleiben.

Mit einem hellen Pling fiel dem Kobold ein klobiger Bolzen vor die Füße und kullerte auf dem schräg stehenden Deck davon. Ein dünner Wasserstrahl sprühte aus dem Loch in der gewölbten Wand, das der Eisenbolzen eben noch verschlossen hatte.

»Freiwache an die Pumpen!«, hallte es aus dem Sprachrohr an der Decke. Kapitän Harrs Stimme klang so ruhig, als sei dies alles nichts Besonderes. Doch gerade diese Ruhe jagte Broja einen Schauer über den Rücken.

Swid eilte zu dem Werkzeugkasten, der über dem Sack mit Zwiebeln festgezurrt im Regal stand, holte ein Stück Kork hervor, das aussah wie der Stopfen einer Weinflasche, und schnappte sich den breiten Hammer, mit dem er sonst zähes Fleisch bearbeitete. »Auf meine Schultern, Kobold!«

Der Zwerg kniete vor Broja nieder. »Ist zu hoch für mich. Du hämmerst den Korken hinein!«

Das Metalldeck der Kombüse war rutschig vom Wasser, das sich an der Wand mit dem Durchstieg zum Frachtraum sammelte. Obendrein befand sich das Boot immer noch in Schräglage, und selbst Broja, der weder Seebeine hatte noch allzu viel Erfahrung mit Tauchfahrten, spürte, dass die Bolzenspucker nahezu hilflos in der Strömung taumelte.

»Los!«, drängte Swid.

Broja griff in das lange Haupthaar des Zwergs und kletterte ihm auf den Rücken.

»Rein damit!« Swid reichte ihm den Korken hoch. Das Rindenstück war mehr als daumenlang und wie ein stumpfer Kegel geformt.

Wasser spritzte Broja ins Gesicht. Er kniff die Augen zu und stopfte das Stück Kork in die runde Öffnung.

»Benutz den Hammer!«, rief der Zwerg und hielt mit der Linken den Fleischklopfer hoch.

Es fühlte sich an, als würde sich das Tauchboot um seine Querachse drehen. Swid schwankte, und Broja hatte alle Mühe, sich auf den Schultern des Zwergs zu halten. Er zerrte an den langen blonden Haaren wie an den Zügeln eines durchgehenden Pferdes.

Der erste Hammerschlag traf nur halb. Der zweite trieb den Korken tief in das Eisenblech. »Dicht«, verkündete Broja zufrieden, als tief unter ihnen Metall kreischte und sich die Bolzenspucker aufbäumte, als habe die Faust eines Riesen sie getroffen.

Broja verlor den Halt und wurde quer durch die Kombüse vor die gegenüberliegende Wand geschleudert. Auch Seebeine halfen nicht. Swid purzelte wie ein Kegel über Deck und schlug hart mit dem Kopf gegen das Schott zum Frachtraum, wo er mit blutender Stirn liegen blieb.

Ein Bolzen traf Broja vor die Brust. Der Schlag trieb ihm den Atem aus der Lunge. Japsend rang er nach Luft und blickte schreckensstarr auf die gegenüberliegende Wand, wo Wasser aus fünf neuen Löchern sprühte.

DIE MEERSCHAUMPFEIFE

Das Leck war zu groß, auch wenn es nicht einmal den Durchmesser seiner Faust hatte. Die ausgefransten, nach innen gebogenen Ränder der Eisenplatte machten es unmöglich, den Wassereinbruch zu stoppen. Vielleicht hätten die Elfen etwas tun können, wenn der Aal nicht so gut gegen Magie abgeschirmt gewesen wäre. So blieb ihnen nur, das Tauchboot auf ein rettendes Ufer zu ziehen. Doch das war nicht in Sicht.

Harr erhob sich aus seinem Ledersessel. Sich einer unausweichlichen Niederlage zu stellen war eine neue Erfahrung für ihn. Er war ein Kämpfer, doch dies würde seine letzte Schlacht werden. Es gab nur noch eines, was er für die Bolzenspucker und ihre Besatzung tun konnte. Sich dem furchtlos zu stellen würde sein letzter Triumph sein.

Das Wasser stand inzwischen kniehoch in der Ruderkammer, und es war so eisig, dass Harr die Zähne klapperten. Er watete zur Rückwand. Das Schott zur Kurbelwelle, die das Tauchboot durch Muskelkraft antrieb, war bereits geschlossen. Er drehte das Handrad an der schweren Eisentür. Jetzt war sie von der Kurbelwellenkammer aus nur noch zu öffnen, wenn man den Trick kannte. Und den hatte er einzig und allein Swid verraten.

Der Kapitän watete zurück zu seinem Ledersessel und stopfte den Korkpfropfen in das Ende des Sprachrohrs. Es gab nichts mehr zu sagen.

Wieder schlug der Aal gegen ein Hindernis. Harr klammerte sich an der weichen Lehne des Kommandosessels fest, von dem aus er die Bolzenspucker durch so viele abenteuerliche Fahrten gesteuert hatte. Er ärgerte sich, an einer Gefahr zu scheitern, die er nicht einmal hatte kommen sehen.

Grimmig packte er die Leiter, stieg hinauf und drehte das Handrad am Einstieg. Nun konnte niemand außer Swid in die Ruderkammer gelangen, und Harr hoffte, dass sein Navigator und Koch vernünftig genug sein würde, es nicht zu versuchen. Swid müsste eigentlich genug Verstand besitzen, um zu ahnen, was hier unten geschah.

Nun, da alles getan war, überkam Harr eine fatalistische Stimmung. Resignierend blickte er auf das eisige Wasser unter sich.

Ein metallisches Knirschen riss ihn aus seiner Lethargie. Dies war sein Aal! Die Bolzenspucker war sein Leben! In den dreiundzwanzig Jahren seit ihrem Stapellauf war sie nur ein einziges Mal gesunken. Es gab nicht viele Tauchboote, die auf eine so stolze Geschichte zurückblicken konnten. Diese Geschichte würde heute nicht enden!

Entschlossen stieg Harr die eiserne Leiter wieder hinab. Während er zu seinem Ledersessel watete, löste er den Gürtel seiner Hose.

Der Kapitän schlotterte am ganzen Leib. Das Wasser zog ihm die Wärme aus den Knochen. Zitternd schlang er den Gürtel um die Rückenlehne des Sessels, dann schloss er ihn. Er musste den Bauch einziehen und die Luft anhalten, damit er den Dorn der Gürtelschnalle durch das letzte Loch führen konnte.

Das Wasser stand schon auf einer Höhe mit der Sitzfläche des Sessels. Harr schloss die Hände fest um die Griffe der Hebel rechts und links des Ledersessels. Über sich hörte er das rhythmische Klacken des Pumpschwengels. Dieser Kampf war aussichtslos. Der Hohlraum zwischen innerer und äußerer Hülle des Aals würde sich bei einem so großen Leck schneller mit Wasser füllen, als es die da oben abpumpen konnten. Es ging nur noch darum, sie beschäftigt zu halten. Zwerge kämpften bis zuletzt. Er hatte es ihnen leichter gemacht, indem er ihnen ein Ziel gab. Die Pumpe. Sich dort abzurackern war besser, als untätig zu verharren und sich zu fragen, welches Schicksal sie erwartete.

Dicht vor seinem Sessel befanden sich zwei große linsenförmige Fenster aus dickem Panzerglas im Bootsrumpf. Er konnte eiserne Schutzschilde vor den Fenstern herablassen. Bei normaler Strömung vermochte er blind durch die unterirdischen Flüsse zu steuern. Bei allen bekannten Routen war in den Fahrbüchern angegeben, wie viele Umdrehungen die Antriebsschraube bis zum nächsten Navigationspunkt, der leichte Kurskorrekturen erforderte, zu machen hatte. Ein Kapitän öffnete nur ab und an die Schutzblenden vor den Fenstern, um anhand auffälliger Felsformationen zu überprüfen, ob der Kurs noch stimmte.

Zwei Stunden war es nun her, dass Harr bemerkt hatte, dass die Strömung stärker wurde. Seitdem fuhr er auf Sicht. Doch das sonst so klare Wasser des unterirdischen Flusses hatte sich eingetrübt. Dafür konnte es nur eine Erklärung geben: Weit über ihnen fiel außergewöhnlich starker Regen. Bei einem Unwetter mochte es geschehen, dass nicht nur die oberirdischen Flüsse anschwollen, sondern auch jene, die tief unter der Erde verborgen lagen.

Harr griff nach dem Hebel vorn links vom Sessel und veränderte die Ausrichtung des Scheinwerfers. Der tastende Lichtfinger ließ einen Schatten voraus erahnen.

Der Kapitän zog den Hebel für das Seitenruder. Die Bolzenspucker schwenkte nach backbord. Viel zu langsam. Er biss die Zähne zusammen, stemmte die Füße gegen den Boden und zog stärker. Es gab einen leichten Stoß. Dann ein Knirschen … Sie schrammten schon wieder an einem Felsen entlang. Ihm blieb nicht mehr viel Raum für Fehler. Wie viele Stöße konnte die äußere Hülle des Aals noch vertragen, bevor sie brach?

Die Strömung zerrte das Tauchboot mit sich. Sie brauchten die Kraft der Kurbelwelle, welche die Schiffsschraube antrieb, um manövrierfähig zu bleiben. Der Aal schoss viel schneller, als zu verantworten war, durch die Tunnel. Und es gab keine Möglichkeit, seine Fahrt zu verlangsamen. Er war wie eine treibende Flasche in reißender Strömung, und wenn sie bei dieser Geschwindigkeit frontal einen Felsen rammten, dann war es vorbei. Ein solcher Schlag würde so viele Nietbolzen aus der Hülle platzen lassen, dass der Aal auseinanderfiel.

Harr fragte sich, wie der Schadensstand wohl war. Er blickte auf das verstopfte Sprachrohr, einen Herzschlag nur, dann riss er sich zusammen und sah durch die Fenster. Er musste sich ganz auf den Kurs konzentrieren. Nicht ablenken lassen!

Jetzt knirschte es über ihnen. Das musste die Finne sein, die sich über dem eisernen Rumpf erhob. Sie schützte einen kleinen Turm, in dem sich das Ausstiegsluk befand.

Die Bolzenspucker schrammte an der Decke des unterirdischen Tunnels entlang, den das Wasser in Jahrtausenden durch das Gestein getrieben hatte. Harr neigte das Tiefenruder ein wenig. Er hatte keine Ahnung, wie groß der Durchmesser des Tunnels war. Wenn er einen Fehler machte, dann mochte sich der Aal in den Fels unter ihnen bohren.

Das Tauchboot reagierte ungewöhnlich stark auf die Kurskorrektur. »Bei den Bärten der Ahnen«, knurrte Harr angespannt und steuerte wieder gegen.

Das Wasser stand ihm schon bis zur Brust. Eine Karte, seine Tuschefeder, einzelne Blätter mit Notizen und zwei seiner Meerschaumpfeifen trieben im Wasser. Auch die besonders schöne, deren Kopf wie eine Meerjungfrau geschnitzt war.

Er nahm die Hand vom Seitenruder und griff nach der Pfeife. Sie war der Stolz seiner Sammlung, ihr Stiel so lang wie sein Arm. So oft hatte er sich das gebogene Endstück in den Mundwinkel gehängt, im Schutz der Finne auf der Plattform gestanden und über die See geblickt.

Er schob sich das Pfeifenende in den Mund. Das fühlte sich gut an. Beruhigend. Wieder korrigierte er den Kurs. Wie schnell sie wohl waren? Die Bolzenspucker war gewiss bereits aus jenem Teil der unterirdischen Flüsse abgetrieben worden, den er auf den vorangegangenen Reisen kartografiert hatte. Aber wie weit hatte es sie ins Unbekannte verschlagen?

Die Passage zur Blauen Halle hatte er vor sieben Jahren auf seiner ersten großen Fahrt entdeckt. Es war nicht das gewesen, wonach er gesucht hatte …

Sein Volk hatte vor langer Zeit mit Albenmark und der arroganten Königin Emerelle gebrochen. Kaum ein Zwerg kam noch in die Welt der Elfen. Und schon gar nicht in das Labyrinth unterirdischer Flüsse, durch das vielleicht die versunkenen Städte der Alten zu erreichen waren.

Hier irgendwo lag das Meer der Schwarzen Schnecken. Für viele Kapitäne gehörte es ins Reich der Fabeln und Legenden. Nur Zwerge, die ihren Verstand in Bierhumpen ertränkt hatten, versuchten in diese Region vorzustoßen, denn das Einzige, was einen dort erwartete, war der sichere Schiffbruch. Es hieß, Hornbori, der Herr aller Tiefen, Hochkönig aller Zwergenvölker, der ruhmreichste Held seines Volkes, sei einst ins Meer der Schwarzen Schnecken vorgedrungen. Doch diese Geschichten waren alt wie die Zeit. Und alle endeten sie mit der Warnung, dass zuletzt keiner der Aale, die Kurs auf dieses verlorene Meer gesetzt hatten, wieder zurückgekehrt war. Hornbori selbst, so sagte man, hatte zuletzt alle Karten verbrannt, die den Weg zum Meer der Schwarzen Schnecken wiesen.

Eine Felsnase zwang Harr, leicht den Kurs zu korrigieren. Dieses Mal passierten sie das Hindernis, ohne es zu streifen. Das Wasser in der Ruderkammer reichte ihm nun fast bis zum Kinn. Es würde seinen hochgezwirbelten Schnäuzer ruinieren, dachte Harr mit leichtem Bedauern und spähte angespannt in die braunen Fluten vor den beiden Fenstern. Die Hände fest um die Steuerhebel geschlossen, kämpfte er gegen das Zittern an, das ihn überkam. Verdammte Kälte.

Er erinnerte sich an eine Geschichte, in der von Seespinnen die Rede gewesen war, die in den Tiefen des verlorenen Meeres lebten. Ihre Klauen waren derart scharf, dass sie Eisenblech so leicht zerteilten wie ein Federmesser Pergament …

Das Wasser erreichte Harrs Unterlippe. Er ließ den linken Steuerhebel los, nahm die Pfeife und steckte sie sich mit dem Kopf in den Mund, sodass der Stiel wie ein Schnorchel nach oben wies.

Er war Harr, der Kapitän der Bolzenspucker, des besten Aals, der jemals die Meere befahren hatte. Er würde sich nicht von ein bisschen schmutzigem Wasser umbringen lassen. Er würde sein Tauchboot in sicheres Fahrwasser steuern!

DIE INNERE STIMME

Alathaia drückte mit aller Kraft den Pumpenschwengel nach unten. Sie spürte den Widerstand des Wassers, das aus dem Hohlraum zwischen den beiden Eisenwänden gedrückt wurde. Ihre Arme brannten von der ungewohnten Arbeit.

Nanduval, Hauptmann der Schattenkrieger, stand ihr unmittelbar gegenüber. Ihm schienen diese monotonen Mühen nichts auszumachen. Stoisch presste er den Schwengel hinab, sodass der Pumpenarm auf Alathaias Seite wieder nach oben stieg.

Leynelle, die Bienenhexe, und der verträumte Jäger Laurelin standen an der zweiten Pumpe. Unter ihnen traten die Zwerge in die Pedale und hielten die Kurbelwelle in Gang, die ihrerseits die große Schiffsschraube am Heck rotieren ließ. Zu segeln war eindeutig besser als diese elende Plackerei! Diese Tauchboote der Zwerge würden der klassischen Seefahrt niemals den Rang ablaufen. Es war absurd zu glauben …

Wieder gab es einen Schlag gegen den Rumpf. Ein dumpfer, metallischer Laut hallte durch den eisernen Schiffsleib, und das Boot legte sich wieder einmal auf die Seite. Alathaia musste sich an den Pumpenschwengel klammern, um nicht zu stürzen.

Ein durchdringendes metallisches Kreischen war über ihnen zu hören.

»Wir müssen an die Höhlendecke gestoßen sein, uns schräg gestellt haben. Jetzt schleifen wir am Fels entlang«, keuchte Swid, der Zwerg, der sich sonst vor allem als miserabler Koch erwiesen hatte. Alathaia wusste, dass er auch Navigator war, doch traute sie ihm nicht sonderlich viel zu.

»Wie lange hält das Boot das aus?«, fragte Laurelin, während er unverdrossen weiterpumpte.

Der Zwerg antwortete nicht.

Das war Antwort genug, dachte Alathaia. Etwas stimmte hier nicht! Swid wusste sicher, was hier vor sich ging. Seit einer Weile wirkte es so, als würde das Tauchboot nicht mehr richtig gesteuert. Als sei es nur noch ein Spielball des Stroms. Was trieb dieser in seinen Bart verliebte Harr eigentlich dort unten?

Alathaia verließ den Posten an der Pumpe, ging zu der Luke im Boden und griff nach dem Drehrad. Sie würde hinabsteigen und selbst nachsehen, was mit Harr los war.

Das wirst du nicht.

Jedes Mal, wenn diese Stimme in ihrem Kopf erklang, wurden ihre Worte von einem leichten Schmerz begleitet. Es fühlte sich an, als habe sich eine Schlange tief in ihr Hirn gefressen und bewege sich dort. Ilak hatte sich im Grab in der Wüste in ihrem Verstand eingenistet. Die Blutkönigin beherrschte sie. Alathaia vermochte nichts mehr zu tun, was den Absichten Ilaks zuwiderlief.

Die Bolzenspucker wird sinken, und wir werden ersaufen wie die Ratten, appellierte sie stumm an die Herrscherin.

Ich bin jahrhundertelang Tag um Tag in Flammen vergangen und doch nicht gestorben. Glaubst du, ich fürchte mich jetzt? Zwerge sind zäh. Sie werden verbissen darum kämpfen zu überleben.

Alathaia sah zu den dünnen Wasserfontänen, die aus den Lecks sprühten, und zu der schlammigen Brühe, die sich am Boden sammelte. Verbissen zu kämpfen ist manchmal nicht genug, dachte sie. Sieht es so aus, als würden die Zwerge in dieser Schlacht siegen?

Glaubst du ernsthaft, mein Schicksal sei mit Sieg oder Niederlage einer Handvoll Zwerge verknüpft?

Ich weiß, dass die Zwerge auf der inneren Metallwand des Aals eine dünne Schicht Blei aufgebracht haben. Wir sind von der Magie der Welt abgeschnitten. Wir können nicht zaubern, um uns …

Du kannst nicht zaubern, spottete Ilak. Ich hingegen weiß, wie ich die Lebenskraft aller hier im Boot nutzen kann, um mich zu retten. Die einzige Falle, in die wir tappen könnten, wäre, zu lange abzuwarten. Etwa zwanzig Leben sollten genügen … Wenn sie zu sterben beginnen oder aus irgendeinem Grund zu schwach werden, ist es an der Zeit, den Aal zu verlassen.

»Wenn Ihr erschöpft seid, Fürstin, kann ich Euren Platz einnehmen.« Adelayne, die Heilerin, die vor Kurzem an ihren Hof in Langollion gekommen war, sah sie mit ihren himmelblauen Augen mitfühlend an, und Alathaia wurde sich bewusst, dass sie, in den stummen Disput mit Ilak versunken, aufgehört hatte, die Pumpe zu bedienen.

Alathaia nickte knapp und trat von ihrem Platz am Pumpenschwengel zurück. Ilak beherrschte nicht nur ihre Gedanken. Sie vermochte auch nichts zu tun, was gegen die Intentionen der Blutkönigin war. Ilak beherrschte jeden ihrer Muskeln, ja selbst ihre Sinne. Sie bestimmte, wohin sie blickte, wie sie sich bewegte. Alathaia war sich schmerzlich bewusst, dass sie im Grunde nur noch eine Marionette war, an deren Fäden Ilak zog.

Meist war Ilak nur ein stiller Gast. Dinge, die ihr unangenehm waren, mied sie. Nach einer kurzen Kostprobe des Miefs im Tauchboot hatte sie darauf verzichtet, sich des Geruchssinns zu bedienen. Es war von perfider Ironie, dachte Alathaia, dass sie, die als Fürstin ihren Untertanen die größtmögliche Freiheit hatte schenken wollen, nur noch eine Gefangene in ihrem eigenen Körper war. Und niemand würde es bemerken. Einst hatte sie Leynelle, die Bienenhexe, mit einem Fluch belegt, der verhinderte, dass diese über ihr Schicksal sprechen konnte. Nun war dieser Fluch über sie gekommen. Alathaia wusste, dass Ilak niemals dulden würde, dass sie darüber sprach, was ihr in der Grabkammer der Blutkönigin widerfahren war.

Du solltest dich nicht als meine Gefangene betrachten.

Das wäre viel leichter, wenn nicht auch noch jeder deiner Gedanken von Schmerz begleitet würde, entgegnete Alathaia stumm.

Bedenke die Vorteile für dich. Durch mich ist deine Macht erheblich gestiegen. Du brauchst das Rote Buch nicht mehr. Alle meine Erfahrungen mit der Blutmagie gehören nun auch dir. Und ich kenne Emerelle … Ich weiß, dass wir selbst gemeinsam noch zu schwach sind, um sie herauszufordern. Doch du verfolgst kluge Pläne. Am Ende werden wir zusammen über die Elfenkönigin triumphieren. Wir sind perfekte Verbündete. Unsere Stärken ergänzen sich, wir …

Ein hefiger Schlag traf das Tauchboot. Alathaia stürzte und schlug hart mit dem Kopf gegen die Bordwand. Keiner im Mannschaftsraum blieb auf den Beinen. Die Zwerge, die auf ihren Pritschen gelegen hatten, um beim Pumpen nicht im Weg zu stehen, wurden von ihren Lagern gerissen. Selbst die Elfen an den Pumpenschwengeln hatte der unerwartet heftige Schlag von den Beinen geholt.

Aus der Kurbelwellenkammer unter ihnen ertönten schreckliche Schmerzensschreie.

Auf das Schlimmste gefasst, sah Alathaia zur Decke. Das Eisenblech war sichtlich eingedellt. Einige weitere Bolzen waren verloren. Ein dünner Vorhang aus Schmutzwasser sprühte von der Decke herab.

Swid war als Erster wieder auf den Füßen. »Kurbel halt!«, rief er überraschend entschlossen. Alathaia hatte ihn für einen Weichling gehalten. Nun zeigte er eine Entschlossenheit in seinen Befehlen, die nicht zu einem Schiffskoch passte.

»Elfen! Auf die Beine. Lenzt das Boot! Grumgri, was ist das unten bei der Kurbelwelle für ein Geschrei?« Während Swid seine Befehle rief, ließ er das Leck an der Decke nicht aus den Augen.

Der eiserne Bootskörper ächzte, als würde er in sich zusammengestaucht, doch es sprangen keine weiteren Bolzen aus dem dicken Eisenblech.

»Nogri ist unter die Welle gestürzt«, erscholl eine heisere Stimme aus dem Abstieg zum Kurbeldeck. »Seine Beine sind zermalmt.«

»Du bist doch eine Heilerin …« Swid deutete auf Adelayne, die sich den Rücken hielt. »Steig hinab und hilf ihm.«

»Ist dir nicht bewusst, dass ihr dieses Boot gegen jegliche Magie abgeschirmt habt?« Alathaia schnaubte. Die unvernünftige zwergische Furcht vor der Zaubermacht der Elfen würde sie jetzt vielleicht alle das Leben kosten.

Der Navigator schenkte ihr keine Beachtung. Er blickte unverwandt zum Leck und wirkte, als lausche er auf die Geräusche des Bootes.

»Ich kann zumindest die Knochen richten«, sagte Adelayne.

»Das muss genügen, Elfe.« Swid seufzte. »Es scheint, als habe sich die Bolzenspucker festgefahren. Das ist keine schlechte Nachricht. Besser, wir stecken fest, als dass wir von der Strömung immer weiter gegen die Felswände geschlagen werden. Das Boot liegt anscheinend so in der Strömung, dass wir dem Wasser kaum Widerstand leisten und nicht am Felsen zerdrückt werden. Wir haben Glück im Unglück.«

Alathaia sah, wie die Anspannung aus den Gesichtern wich. Selbst Hauptmann Nanduval, der sonst mit stoischer Miene jedes Gefühl überspielte, wirkte gelöster. Dieser Swid hatte es geschafft, der Besatzung in verzweifelter Lage wieder Hoffnung zu geben.

Aber Hoffnung ist nicht genug. Uns droht noch eine andere Gefahr als das Wasser, und die ist nicht minder tödlich. Dem Zwerg wird nicht viel Zeit bleiben, um uns hier herauszuholen.

ATEMLOS

Es fühlte sich an, als läge ihm ein Felsbrocken auf der Brust. Jeder Atemzug war ein klein wenig schwerer als der zuvor. Swid wusste, was das bedeutete. Diese Beklemmung setzte ein, wenn das Tauchboot zu lange unter Wasser blieb. Sie endete sofort, wenn sie zur Wasseroberfläche aufstiegen und das Luk im Turm öffneten. Tat man das nicht, vermochte die Atembeklemmung die gesamte Besatzung zu töten.

Sie hatten es geschafft, mehr als ein Dutzend der kleineren Lecks mit Korken abzudichten. Vor allem Broja arbeitete unermüdlich. Die Elfen hingegen wirkten ratlos. Sie schienen auf eine Entscheidung Alathaias zu warten.

Adelayne kümmerte sich voller Hingabe um Nogri. Seinen Kameraden hatte es übel erwischt. Die sich drehende Kurbelwelle hatte ihm sämtliche Knochen in den Beinen gebrochen und seine Muskeln übel zerquetscht. Nogri kämpfte tapfer gegen die Schmerzen. Sie hatten ihm reichlich Branntwein gegeben, bis seine Augen glasig geworden waren und er kein Wort mehr hervorbrachte. Das dämpfte seinen Schmerz, aber es half nicht gegen seine Wunden. Adelayne hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass sie ihm beide Beine abnehmen müsste, wenn sie nicht auftauchten und sie ihn kraft ihrer Magie heilen könnte.

Swid blickte auf das geschlossene Schott zu seinen Füßen. Harr hätte längst heraufsteigen müssen. Seit die Bolzenspucker sich festgefahren hatte, gab es keinen Grund mehr für ihn, dort unten zu bleiben. Dafür, dass er nicht kam, konnte es nur eine Erklärung geben.

Swid knirschte mit den Backenzähnen und rang um eine Entscheidung. Er hatte niemals den Ehrgeiz gehabt, Kapitän zu werden. Es gefiel ihm, Koch und Navigator zu sein. Er wollte nicht die Verantwortung für eine ganze Besatzung tragen.

Aus dem Augenwinkel sah er zu Alathaia. Der Blick der Fürstin hatte sich in der letzten halben Stunde verändert. Eine Maus unter den Augen einer Schlange konnte sich nicht schlechter fühlen als er. Da war etwas in der Art, wie sie ihn ansah, das Swid kalte Schauer über den Rücken jagte. Auch wenn die Vorstellung absurd war, hatte er das Gefühl, dass sie darüber nachsann, ihn zu verschlingen.

Als Navigator hatte Swid dem Kapitän geschworen, dessen Geheimnis zu bewahren, doch nun war die Stunde gekommen, diesen Eid zu brechen. Gemeinsam hatten sie beide den Mechanismus entworfen, der sämtliche Schotten im Boot entriegelte. Die eisernen Türen und Luken schwangen nicht auf, aber die Sperrriegel an ihnen wurden gelöst, sodass sie sich wieder öffnen ließen, wenn man an den eisernen Rädern drehte.

Swid überwand die Trägheit, die mit dem Gefühl der Atemnot einherging. »Hinab zur Kurbel!«, befahl er der Mannschaft, die sich in ihren Kojen fläzte und wartete, wie es weiterging. Murrend erhoben sich seine Leute und kletterten zu dem tiefer gelegenen Deck hinab.

Er selbst kniete sich neben die eiserne Leiter hinauf zum Turmluk. Mit seinem Messer lockerte er die Bolzen, die am Fuß der Leiter durch die Holme geschoben waren. Auf den ersten Blick eine ganz normale Sicherung. Swid zog die Bolzen heraus und dachte an den Nachmittag, an dem er mit Harr die Arbeit an diesem verborgenen Mechanismus fertiggestellt hatte. Der Kapitän war voll überschäumendem Enthusiasmus gewesen und hatte nur davon geredet, was für Fahrten sie unternehmen würden. Harr hatte die Gabe gehabt, alles möglich erscheinen zu lassen. Er war der Richtige, um Kapitän zu sein.

Swid schob die Leiter ein Stück hoch. Ihre Metallholme waren hohl. In dem Linken war ein knapp einen halben Schritt hohes Rohr mit einem Gelenk in der Mitte verborgen.

Swid kippte das Rohr am Gelenk, bis die obere Hälfte in einem Winkel von neunzig Grad stand. Dann stemmte er sich mit aller Kraft gegen den so entstandenen Hebel. Zwei unendliche Atemzüge lang rührte sich nichts. Dann gab der Mechanismus nach. Swid hörte das metallische Klacken, mit dem sich die Schotten entriegelten.

Diejenigen aus der Besatzung, die nicht zur Kurbelwelle hinabgestiegen waren, sahen ihn mit offenem Mund an. Alathaia hatte jedoch immer noch diesen Raubvogelblick.

»Wir müssen das Boot frei bekommen.« Swid beugte sich über den Abstieg zur Kurbelwellenkammer. »Sobald ihr einen Schlag gegen die Bordwand hört, tretet ihr in die Pedale und gebt all eure Kraft in die Welle. Wir müssen gegen die Strömung zurücksetzen!«

Mühsam erhob er sich. Zur Erschöpfung und Atemnot kamen jetzt auch noch Kopfschmerzen. »Grumgri, ich brauche dich.« Er winkte seinem Kameraden, der an Nogris Seite geblieben war.

Sie stiegen durch das Schott in die Kammer des Kapitäns, von wo ein weiteres Schott im Boden zur Ruderkammer führte. »Ich habe kein gutes Gefühl dabei, wenn ich das hier öffne.«

Grumgri nickte. Vermutlich hatte auch er längst eine Ahnung, was geschehen war. Ausgesprochen hatte es bisher niemand von der Besatzung, auch aus Angst, dass das gesprochene Wort Unglück herbeirufen konnte.

Swid drehte das eiserne Rad und hob das schwere Eisenluk. Braunes Wasser quoll hervor. Sofort schloss er das Schott wieder. Er spürte die Kraft des Wassers, das von unten gegen das Eisen drückte.

»Ich gehe dort hinab. Du musst das Luk sofort wieder schließen, wenn ich runtergegangen bin.«

»Was?« Grumgri schüttelte den Kopf. »Das werde ich nicht …«

»Wir haben keine Wahl.« Swid klopfte mit der Linken auf den Fleischhammer an seinem Gürtel. »Glaub mir, ich werde nicht lange unten bleiben. Aber es muss sein. Wenn ich zwei Mal mit dem Hammer auf Metall schlage, öffnest du sofort und ziehst mich hoch.«

»Das ist die dämlichste Idee, die ich je …«, begann Grumgri, als Alathaia in die Kammer des Kapitäns trat.

»Das ist Heldenmut, Zwerg«, sagte die Elfe anerkennend. »Und ich werde nicht dulden, dass du dich einem Helden in seiner größten Stunde in den Weg stellst. Ich schließe die Luke hinter dir, Swid, und warte auf dein Signal.«

Da lag etwas in ihrer Stimme, das ihm klarmachte, dass jeder Widerspruch sinnlos war. Sie trat an das Eisenluk und öffnete es. »Viel Glück, Swid.«

Er holte tief Atem und hatte doch das Gefühl, kaum Luft zu bekommen. Dann hob er einen Arm über den Kopf, um besser durch die enge Öffnung zu passen, mit der anderen Hand hielt er seine Brille fest. Ohne zu zögern, trat er in das emporsprudelnde Wasser und sank wie ein Stein in das eisige Nass.

Im nächsten Augenblick schloss sich das Luk über ihm. Das bernsteinfarbene Licht eines Barinsteins durchdrang das schlammige Wasser, das die Ruderkammer bis zur Decke füllte.

Swid stieß sich von der Leiter ab, trieb zu dem schweren Ledersessel des Kapitäns und griff nach der Lehne. Weiße Schlieren wogten vor ihm im Wasser. Er schwang sich um den Sessel herum.

Ihm war klar gewesen, dass Harr nicht mehr leben konnte, und dennoch setzte es ihm zu, ihn so zu sehen. Der Kapitän hatte sich mit seinem Gürtel an den Sessel gefesselt. Seine Hände lagen auf den Steuerhebeln für das Seiten- und das Tiefenruder. Der üppige Schnauzbart, auf den er so stolz gewesen und den er jeden Morgen mit Bartwachs in Form gebracht hatte, schwebte wie faserige Algen im Wasser. Zwischen die Lippen hatte sich Harr den Kopf einer Meerschaumpfeife geklemmt, den Stiel wie einen Schnorchel nach oben gerichtet, um so lange wie möglich Luft zu bekommen.

Es blieb jetzt keine Zeit zu trauern. Schon brannten auch Swid die Lungen. Bald würde er zum Luk auftauchen müssen. Er griff nach dem Hebel für das Tiefenruder und stieß ihn nach vorn. Mit der anderen Hand zog er den Fleischhammer aus seinem Gürtel und hieb damit auf den eisernen Boden. Nur zwei Herzschläge später spürte er, wie das Tauchboot vibrierte. Die Kurbelwelle wurde getreten. Die Kraft der Heckschraube wirkte auf die Bolzenspucker. Sie zitterte wie ein Fieberkranker. Dann ertönte ein Geräusch, als würden Eisennägel über die Schiffshaut kratzen. Das Tauchboot kam frei – und Swid wurde bewusst, dass er vergessen hatte, den Männern zu befehlen, die Fahrtrichtung zu ändern, sobald sie nicht länger gefangen waren.

Ihm ging die Luft aus. Seine Lunge brannte, und es fühlte sich an, als würde er gewürgt. Wie konnte er den Kameraden begreiflich machen …

Ein Ruck ging durch das Boot. Dann änderte sich die Fahrtrichtung. Die Mannschaft war von allein darauf gekommen, das Richtige zu tun. Wie hatte er an ihnen zweifeln können? Er zog den Hebel des Tiefenruders in mittlere Position zurück, damit sie dem Boden des Tunnels nicht zu nahe kamen. Er sollte hoch. Es fühlte sich an, als würde seine Lunge in Flammen stehen. Er durfte nicht länger …

Ein Schatten tauchte im Lichtkegel vor dem Boot auf.

Swid warf sich quer über die Beine des toten Kapitäns, um das Seitenruder zu bedienen. Er zerrte am Hebel. Unendlich langsam änderte das Tauchboot seinen Kurs. Sie wichen dem Hindernis gerade noch aus. Vor Erleichterung stieß Swid einen Seufzer aus, ehe er sich zurückhalten konnte. Silberne Luftblasen perlten ihm von den Lippen …

Er änderte erneut leicht den Kurs. Sie würden auch die nächsten Felsen sicher passieren, aber … Swid begriff, dass er seinen Platz nicht verlassen konnte. Zu unsicher war das Fahrwasser. Er würde die Stellung halten müssen, so wie Harr.

Sein Wunsch einzuatmen wurde immer übermächtiger. Swid presste die Lippen zusammen. Die Kälte spürte er nicht mehr. Den Kurs halten! Das war alles, was zählte. Er hatte das Boot befreit, doch es musste auch gesteuert werden, wenn es nicht an den Felsen zerschellen sollte. Wie hatte er so dumm sein können, das nicht zu bedenken?

Die Strömung schien nicht mehr so mörderisch zu sein wie zu dem Zeitpunkt, als sich die Bolzenspucker festgefahren hatte. Das Boot lag nicht stabil. Es hatte eine starke Neigung nach vorn. Das Wasser in der Ruderkammer war schuld daran.

Swid konnte es nicht mehr ertragen. Er würde einatmen müssen. Aber wenn er das tat, wäre er tot. Er musste noch ein wenig durchhalten! Vielleicht schafften sie es in offenes Fahrwasser. Sie mussten auftauchen und das Turmluk öffnen. Nur ein wenig noch …

Plötzlich waren da schwarze Schleier im Wasser.

Durchhalten, dachte Swid. Durchhalten!

Und Finsternis umfing ihn.

HELDEN ZU VERLIEREN

Hustend bäumte sich Swid auf und spie Wasser. Dann schlang er sich die Arme um den Leib, als könne er die Kälte des Todes so aus sich herauspressen. Mit weit aufgerissenen Augen blickte er zu ihr auf.

»Holt Decken für ihn«, befahl Alathaia barsch – oder so mochte es zumindest allen anderen erscheinen. In Wirklichkeit war Alathaia dazu verdammt, nur zuzuschauen. Ilak beherrschte ihren Leib nun vollkommen. Es waren die Worte der Blutkönigin, die ihr über die Lippen kamen. Es war Ilak gewesen, die durch die Luke gestiegen war, um den Zwerg zu retten. Und Ilak hatte sie gezwungen, dem Navigator Atem einzuhauchen, ehe sie wieder rhythmisch den Brustkorb des Zwergs niedergedrückt hatte, bis dieser Wasser spie.

»Danke«, murmelte Swid benommen. »Ich … Ich muss wieder hinunter. Ich muss die Bolzenspucker steuern.«

Ilak setzte ihren Fuß auf die eiserne Luke. »Du wirst bleiben, wo du bist, Swid. Wir sind zu wenige, als dass wir es uns leisten könnten, gleich zwei Helden an einem Tag zu verlieren.«

Im Schott zum Mannschaftsraum standen Leynelle und Laurelin. Grumgri hatte seinen Platz neben der Luke nicht verlassen. Alle drei sahen sie verwundert an.

Wieder hallte es wie Glockenklang durch das Tauchboot. Alathaia stützte sich an der Wand ab. Dieses Mal war der Schlag, der die Bolzenspucker getroffen hatte, weniger heftig. Die Strömung, die sie mit sich zog, hatte an Kraft verloren.

Aber inzwischen war jeder Atemzug für Alathaia eine Qual. Es fühlte sich an, als versuche sie Luft zu bekommen, während ihr die Kehle zugedrückt wurde.

Wie lange willst du es noch hinauszögern, Ilak, dachte die Fürstin. Wie lange steckt noch genug Kraft in den anderen, dass ihre Lebensessenz uns rettet, wenn du deine Blutmagie wirkst?

Lange werden wir nicht mehr warten können.

Ilak zwang Alathaia, zu den beiden Fenstern zu blicken, die es auch in dieser Kammer gab, genau wie in der Ruderkammer zu ihren Füßen. Hier waren die Fenster jedoch blind, die eisernen Schutzblenden herabgelassen.

»Kann man das Tauchboot auch von hier oben steuern?« Ilak zwang ihr die Worte über die Lippen.

»Nein.« Swid rang um Atem. »Wir können nur sehen, was auf uns zukommt.« Der Navigator kämpfte sich auf die Füße und betastete seine Schläfe. »Meine Brille. Ich hab meine Brille verloren.«

»Wie öffnet man die Blenden?«

Was interessiert dich das, dachte Alathaia.

Über den Glasfenstern liegt keine Bleischicht. Das magische Netz ist dort nicht so stark gestört. Wir müssten weniger Kraft aufwenden, wenn wir Blutmagie wirkten, um ihre Lebensessenz einzunehmen, und dabei am Fenster stünden.

»Könntest du die Blenden für uns öffnen?«, fragte Ilak durch ihren Mund.

»Darin liegt eine Gefahr. Das Glas ist schwächer als das Metall.« Swid musste kurz innehalten, um tief Luft zu holen. »Wir fahren blind. Sollten wir einen Felsen rammen, ist es besser, wenn wir so gut wie möglich geschützt sind.«

Ilak zwang Alathaias Blick hinab zum Wasser, das hier inzwischen mehr als knöcheltief stand. »Was glaubst du denn, wie lange wir noch haben, Swid?«

Der Zwerg ließ den Kopf sinken.

»Ist es nicht besser, der Gefahr sehenden Auges zu begegnen? Selbst dann, wenn wir ihr nicht ausweichen können.«

Es arbeitete im Gesicht des Navigators. Schließlich trat er an die Wand und öffnete eine Klappe neben dem Fenster, hinter der sich eine kleine Kurbel verbarg. Wortlos bediente er sie.

Die eisernen Blenden glitten nach oben. Das Wasser vor ihnen wurde vom Scheinwerfer erhellt. Eine trübe Brühe, in der die Sicht nur wenige Schritt weit reichte.

Alathaia trat ans Fenster und legte die Linke flach auf das kühle Glas. Sie spürte das magische Netz, das alles in Albenmark miteinander verband. Doch es besaß hier nur wenig Kraft. Kein Albenpfad befand sich in der Nähe, und es schien auch kaum Leben in den unterirdischen Strömen zu geben. Es war eine Welt der Dunkelheit und der Kälte. Eine Welt, die sie bald verschlingen würde. Es war höchste Zeit zu handeln.

Doch Ilak tat nichts. Worauf wartete sie?

»Dort!«, stieß Swid hervor. »Dort, seht ihr?«, keuchte er aufgeregt und zeigte zum Fenster.

Alathaia konnte draußen nichts entdecken. Nur schlammtrübes Wasser. »Was?«

»Schau einen Augenblick hin! Geduld. Da. Da war es schon wieder.«

Leynelle und Laurelin traten nun ebenfalls ans Fenster.

Grumgri drängte sich schwer schnaufend zwischen ihnen hindurch. »Beim Arsch der Alben!«, flüsterte er. »Wir sind gerettet!«

Dann sah es auch Alathaia. Eine Linie, die das Wasser zerteilte. Für weniger als einen Herzschlag. Anschließend waren die Scheiben wieder ganz vom Wasser bedeckt.

Alathaia wandte den Blick nicht ab. Sie spürte, wie Ilak sich jetzt konzentrierte, bereit, ihren dunklen Zauber zu weben. Ihre Gedanken griffen nach der Essenz der anderen.

Leynelle sah Alathaia mit einem Stirnrunzeln an. Hatte die Bienenhexe etwas bemerkt?

»Wir treiben dicht unter der Wasseroberfläche«, erklärte Swid. »Wellen brechen sich am Rumpf. Ich werde hinaufsteigen und das Turmluk öffnen.«

Ilaks Anspannung löste sich. Geben wir ihnen noch etwas Zeit.

HENKERSMAHLZEIT

Es war so gut, endlich wieder frei zu atmen. Laurelin saß auf dem Rumpf der Bolzenspucker und fuhr mit dem Kamm, den er aus Melyssanas Haus in Rosan mitgenommen hatte, wieder und wieder durch Leynelles seidiges weißblondes Haar. Es war ein Zauber hineingewoben, der verhinderte, dass die Zinken an verknoteten Haaren rissen. Stattdessen lösten sie diese und heilten gesplisstes Haar. Ein zweites Kämmen verlieh dem Haar einen seidigen Glanz, der Laurelin an Katzenfell erinnerte.

Leynelle hatte ihr Haupt auf seinen Schoß gebettet. Ihre Lider waren geschlossen. Sie atmete gleichmäßig, und ein flüchtiger Beobachter mochte glauben, dass sie schlief. Das war ihre Art, alles hinter sich zu lassen und stumm zu genießen.

Er mochte die Augen gar nicht mehr von ihr abwenden. Der Schorf und die Ekzeme, die noch vor Kurzem ihr Gesicht entstellt hatten, waren vollständig verschwunden. Nun war das Antlitz der Elfe, die vor wenigen Wochen keiner anschauen mochte, von so berückender Schönheit, dass man sich geradezu zwingen musste, den Blick abzuwenden.

Laurelin entschied, ganz in diesem Augenblick zu verharren, und war glücklich. Es gab keine Vergangenheit und keine Zukunft mehr, keine Sorgen, nur das Jetzt. Er ließ den Kamm ruhen und legte seine Rechte auf Leynelles Haupt. Sein kleiner Finger und sein Ringfinger fehlten. Rosige Haut bedeckte die Stümpfe. Es war richtig gewesen, die beiden Finger zu opfern. Letztlich hatte der Fluch der Trollschamanin ihn zum Glück geführt.

Laurelin spürte Leynelles Körperwärme durch ihr Haar. Es tat so gut, ihr nah zu sein.

»Meer der Schwarzen Schnecken«, hörte er Grumgri hinter sich raunen. »So heißt es in den alten Sagen.«

»Und das ist Unsinn«, widersprach ihm ein Kamerad flüsternd. »Sieh dich doch nur um. Haftet etwa eine Schnecke am Schiffsrumpf? Auch nur eine einzige? Meer der Schwarzen Schrecken, das muss der ursprüngliche Name gewesen sein! Wer benennt ein Meer schon nach Schnecken? Völlig abwegig, dieser Gedanke.«

Das Tauchboot dümpelte in sanfter Dünung. Niemand trat mehr in die Pedale, mit denen die Kurbelwelle angetrieben wurde. Nur das Ächzen der Lenzpumpen war noch zu hören. Sie kämpften in einer verlorenen Schlacht. Obwohl sie ohne Pause pumpten, stieg der Wasserpegel in der Bolzenspucker Stunde um Stunde. Nicht einmal um einen halben Zoll. Aber Laurelin hatte gehört, wie Swid Fürstin Alathaia vorgerechnet hatte, dass ihnen allerhöchstens dreißig Stunden blieben, bis das Tauchboot sinken würde.

Er strich durch Leynelles seidiges Haar. Diese verdammten Zwerge. Konnten sie nicht woanders quatschen? Fast die gesamte Besatzung saß auf dem Rumpf. Viele der Zwerge hatten sich ein Pfeifchen angezündet. Manche hockten in Gruppen und redeten leise. Andere blieben lieber für sich allein. Aber fast alle starrten mehr oder weniger unverhohlen zu Leynelle herüber. Das war allerdings auch besser, als sich die Umgebung zu genau anzusehen.

Sie befanden sich in einer Höhle, deren Decke sich knapp vier Schritt über ihren Köpfen spannte. Es war absolut finster, abgesehen von dem Scheinwerferlicht, das, ausgehend vom Rumpf, die Fluten durchschnitt, und dem Glühen in den Pfeifenköpfen.

Swid hatte das Rohr des kleinen Herds in der Kombüse ausgefahren. Rauch strich von dort über Deck, und durch die Luke im Turm stieg der Duft eines deftigen Eintopfs zu ihnen herauf. Der Navigator hatte ihnen allen ein warmes Essen versprochen.

Laurelin war sich sicher, dass ein Teller voll Suppe für jeden die Stimmung der Mannschaft heben würde. Etwas Warmes zu essen … allein der Gedanke daran ließ den Elfen vor freudiger Erwartung erschauern. Erst vor ein paar Tagen, bevor die Bolzenspucker in das Labyrinth unterirdischer Ströme getaucht war, hatten sie an einem einsamen Küstenabschnitt Galveluns geankert. Gemeinsam mit Adelayne war Laurelin aufgebrochen, um Lebensmittel einzukaufen. Kartoffeln, Zwiebeln, zwei große Schinken, dreißig Würste. Das meiste davon war schon in die Mägen der Zwerge gewandert. Aber aus dem, was übrig geblieben war, würde Swid sicherlich noch einmal ein köstliches Mahl zaubern. »Riecht gut, nicht wahr?«

»Eine Henkersmahlzeit sollte auch verlockend sein«, entgegnete Leynelle.

So direkt kannte er sie noch nicht. Sie war nicht mehr die Geschundene mit dem gebeugten Rücken, die es nicht wagte, ihr Gesicht im Spiegel zu betrachten. Leynelle hatte sich verändert. Sie hatte ihr Selbstvertrauen zurückerlangt. Einst war sie eine machtvolle Magierin gewesen, und glaubte er der Geschichte über die Bienenhexe, dann hatte sie auch Kinder getötet.

Er wandte den Blick von ihr ab. Die niedrige Höhlendecke bedrückte ihn. Er war es gewohnt, unter einem weiten blauen Himmel zu wandern. Hier waren sie verloren in der Finsternis. Der Lichtstrahl unter Wasser warf schillernde bernsteinfarbene Wellenmuster an die niedrige Höhlendecke. In ihnen lag eine Schönheit, die den Schrecken des Dunkels milderte. Aber da war noch etwas. Laurelin spürte ein Jucken in den Fingern, die er verloren hatte. Die Haare in seinem Nacken richteten sich auf. Da war etwas. Er entdeckte eine Welle, die nicht in das Muster der See passte. Da war …

Eine schneeweiße Schlange richtete sich im Wasser auf. Blutrote Augen blickten auf die Besatzung des Aals herab. Das Ungeheuer war keine drei Schritt entfernt.

Laurelin fluchte leise. Sein Bogen war unten in einem der Gepäcknetze verstaut. Er trug nicht einmal ein Messer bei sich.

Die Zwerge blieben ruhig. Keiner versuchte wegzulaufen. Ein rotbärtiger Kerl hob seinen Dolch und richtete die Klinge todesverachtend auf das Ungeheuer.

Leynelle setzte sich auf und wandte den Kopf mit einer Gelassenheit, als säße sie an einer Festtafel und nicht auf kaltem Eisenblech in einer Höhle tief unter der Erde. Sie blickte die Schlange an und sagte ein Wort, das so ungeheuerlich und fremd klang, dass es Laurelin wie Nadelstiche in den Ohren schmerzte.

Das Ungetüm wandte der Zauberweberin den Kopf zu. Fleischige Zotteln hingen ihm unter dem Kiefer vom Hals. In Nacken und Rücken saßen dicke weiße Hornplatten. Die Seeschlange wirkte alt. Sie beugte ihr Haupt unter der niedrigen Höhlendecke. Witternd kam sie ein wenig näher, die ungewohnte Beute musternd. Gewiss war sie eine erfahrene Jägerin, aber sie schien Laurelin nicht sonderlich klug zu sein. Ansonsten hätte sie gespürt, welche Gefahr von der zierlichen sitzenden Gestalt an Deck ausging.

Leynelle sah zu der Seeschlange auf, und die gewaltige Kreatur erzitterte. Etwas in den blutroten Augen veränderte sich. Sie wirkten matt, dann sank die Schlange zur Seite. Sanft glitt sie ins Wasser und regte sich nicht mehr.

»Was hast du getan?«, raunte Laurelin.

Leynelle wandte sich zu ihm um. Zum ersten Mal sah er sie völlig gerade aufgerichtet. Eine unheimliche Kraft ging von ihr aus. Zugleich wirkte sie noch schöner. Ihre Haut war makellos und fast so weiß wie Milch, ihr Haar so seidig wie das Winterfell eines Fuchses. Auch die Augen hatten sich verändert. Sie strahlten und hatten das rötliche Braun von Haselnüssen angenommen.

Die Zwerge an Deck wichen vor ihr zurück.

»Was hast du getan?«, fragte Laurelin noch einmal, lauter nun.

»Ich habe uns gerettet«, entgegnete Leynelle ernst, und in ihrer Stimme lag ein unendliches Selbstbewusstsein.

NACHTAUGEN

Broja trat ein Stück vom Bug zurück. Das Tauchboot war schon wieder etwas tiefer gesunken. Wie lange hatten sie noch? Obwohl es nasskalt war, fühlte sich sein Mund trocken an. Swid mochte ein guter Kapitän sein, ein guter Lügner war er nicht. Der Koch versuchte bei jeder Gelegenheit, ihnen neuen Mut zu machen. Er wurde nicht müde, ihnen zu versichern, dass alles gut gehen würde. Aber in seinen von den dicken Brillengläsern vergrößerten Augen war überdeutlich die Angst zu lesen.

Broja blickte auf das dunkle Wasser, das an dem Boot leckte. Sie sanken beständig tiefer. Das Geräusch der beiden Pumpen verstummte nicht einen Augenblick. Unablässig wurde Wasser aus dem Boot gedrückt, aber nicht so schnell, wie es durch die zahlreichen Lecks neu eindrang. Auch dass ein Teil des Rumpfs nun über der Wasserlinie lag und nicht mehr durch alle leeren Bolzenlöcher Wasser hereinsprühte, half nicht. Sie sanken. Sehr langsam zwar, aber doch unaufhaltsam. Sie mussten unbedingt irgendein Ufer erreichen. Wenn sie das Tauchboot an Land ziehen könnten, um die größten Lecks zu versiegeln, wären sie gerettet.

Broja verengte die Lider zu Schlitzen. Seine ausgezeichnete Nachtsicht hatte ihm in Rosan oft den Hals gerettet. König der Fässer, Herzog der Gosse … Einst hatte er viele Namen gehabt. Erst vor wenigen Wochen hatte er Rosan hinter sich gelassen, wo er, ein Kobold, neben dem Elfen Andarion einer der zwei ganz Großen gewesen war, ohne deren Wissen keines jener Geschäfte, die das Tageslicht scheuten, abgewickelt wurde.

So vieles war seither geschehen, dass es sich anfühlte, es sei seit Rosan ein ganzes Leben verstrichen. Die endlosen Tauchfahrten in der Bolzenspucker, die Wüste auf Darna, die ihm unerbittlich seine Lebenskraft entzogen hatte, sodass er binnen weniger Augenblicke zum Greis geworden war. Das unheimliche Grab unter dem Sand, das ihm offenbart hatte, dass alle Geschichten seines Vaters Zachri Büffelfuß, die er für fantastische Lügenmärchen gehalten hatte, wahr gewesen waren.

Zachri Büffelfuß war einst der kühnste aller Kobolde gewesen. Er hatte an der Seite der Blutkönigin gekämpft, war der Freund eines verrückten Elfen gewesen. Er war auf fliegenden Pferden in den Himmel geritten, hatte einen Drachen getötet und war durch die Zeit gereist – und niemand hatte ihm, dem Märchenerzähler mit der Bettlerschale, das je geglaubt.

Broja musste wieder ein Stück zurückweichen. Die Bolzenspucker war erneut einen Zoll tiefer gesunken. Bald würde Swid den Befehl dazu geben, alles Unnötige über Bord zu werfen. Doch das würde das Unvermeidliche nur hinauszögern.

Er spähte angestrengt in die Finsternis. Eine Klippe würde schon genügen, ein Stück Ufer, eine flache Felsinsel in den Fluten. Aber wie sollte er in dieser verfluchten Finsternis etwas erkennen? Er konnte keine zwanzig Schritt weit sehen. Und selbst das verdankte er seiner besonderen Fähigkeit. Alle anderen sahen vielleicht zehn Schritt weit.

Er würde in dieser Höhle, die vielleicht noch nie ein Albenkind betreten hatte, ein nasses Grab finden. Die Zwerge redeten zwar davon, dass dies wohl das Meer der Schwarzen Schnecken sei, aber er hatte Swid gefragt, und der war sich nicht ganz sicher. Der verdammte Navigator konnte allen Ernstes nicht wirklich sagen, wo sie waren. Höchstwahrscheinlich irgendwo tief unter den Mondbergen – eine Aussage, die Broja nicht sonderlich weiterhalf. Die Mondberge, das war nur ein Name für einen fremden Ort. Nur ein Wort ohne Inhalt. Er war sich nicht einmal sicher, wo diese Berge lagen. Allerdings sollte es dort ein recht eigenwilliges Koboldvolk geben. Die Spinnenmänner. Vor denen hatten sogar die Elfenfürsten Angst, wenn man den Geschichten glaubte. Diese Kerle hätte Broja gern einmal kennengelernt. Es waren Halsabschneider von Format, ganz nach seinem Geschmack.

Broja seufzte wehmütig. Er hätte sich jetzt gern ein Pfeifchen angesteckt. Das würde ihm helfen zu vergessen, wo er hier war. Wenn er nur besser sehen könnte!

Hinter ihm auf Deck standen zwei Zwerge mit schweren Armbrüsten. Sie würden die Bolzenspucker verteidigen, sollte noch eine weitere Seeschlange auftauchen. Als sich dieses Biest aus den Wogen erhoben hatte, war er überzeugt gewesen, ihr letztes Stündlein habe geschlagen. Was Leynelle dann getan hatte, war nur bedingt beruhigend. Er erinnerte sich gut, wie ihr Gesicht ausgesehen hatte, als Laurelin ihr die Schandmaske abgenommen hatte. So zerschunden, von Geschwüren und Narben gezeichnet, dass man es nicht anblicken mochte. Und krumm wie ein Bootshaken war sie gewesen. Inzwischen hatte sie sich in eine Gestalt von ätherischer Schönheit verwandelt. Aber irgendwie war sie nun noch unheimlicher als zuvor. Ein Wort und ihr Blick hatten genügt, um diese Schlange zu töten.

Broja fragte sich, was sie mit ihm anstellen würde, wenn er aus Versehen in ihrer Nähe einen fahren ließ. Voller Unbehagen dachte er an den köstlichen Eintopf, den Swid bereitet hatte. Gut, dass Leynelle mit den anderen Elfen unten bei den Pumpen stand und er weit entfernt, vorn am Bug.

Die Zwerge unterhielten sich flüsternd. Immer wieder fiel Leynelles Name. Das war nicht gut für die verzweifelte Stimmung an Bord, und es war auch nicht …

War da eine Welle? Broja hielt den Atem an. Kam noch so ein Biest auf sie zu? Wenn es nur ein wenig mehr Licht gäbe. Ohne den Abglanz des Scheinwerfers unter Wasser, der bernsteinfarbene Lichtreflexe über die Höhlendecke tanzen ließ, würde er nicht einmal die Hand vor Augen sehen.

Dort drüben war die Dünung anders, so viel war mal sicher. Es gab nur leichten Wellengang auf diesem verborgenen Meer. Kam von dort hinten ein Plätschern? War das keine Seeschlange, sondern ein Felsen?

»He, seht ihr da drüben was?«, sprach er die beiden Zwerge an.

Die starrten in die Finsternis und schüttelten dann ihre zotteligen Häupter. »Da ist nichts.«

»Da links!«, insistierte er.

»Das heißt backbord, du Landratte.«

»Schwingt eure Seebeine zum Turmluk, und holt Swid, verdammt noch mal.«

Der größere der beiden Zwerge, ein Schwarzbart, dem die Haare so dicht im Gesicht wuchsen, dass Broja außer den grauen Augen nur eine Haarkugel sah, beugte sich, auf seine Armbrust gestützt, vor. »Bist du jetzt unser Kapitän?«

Broja wusste, worauf solches Gehabe hinauslaufen würde, und ging selbst zum Turmluk.

»Du verlässt deinen Posten, Kobold«, knurrte ihn der Haarige an. »Dafür sollte Swid dich kielholen lassen. So macht man das auf See.«

»Oder du bekommst zwanzig Hiebe mit der neunschwänzigen Katze«, hatte der zweite Zwerg noch beizusteuern.

Broja scherte sich einen Dreck um ihre Drohungen und beeilte sich, die Leiter ins Tauchboot hinab zu nehmen. Um den Kurs zu ändern, musste Swid in die Ruderkammer tauchen. Und es wäre besser, er ließe die Zwerge an der Kurbelwelle auf Gegenkurs gehen. Nur ein paar Augenblicke und sie wären an diesem Felsen vorbei und dann würden sie ihn in dieser verfluchten Finsternis wahrscheinlich nie wiederfinden …

DIE ANOMALIE

Leynelle versuchte eins zu werden mit dem Goldenen Netz.

»Wie willst du mit geschlossenen Lidern den Felsen finden?«, ereiferte sich der Kobold. »Es ist wirklich zum Aus-der-Haut-Fahren mit euch Elfen! Ich kenne Pisspötte, in denen mehr Verstand lebt, als zwischen zwei Elfenohren zu finden ist!«

Sie konnte nicht anders. Sie musste lächeln. Das kleine Schandmaul hatte sie abgelenkt. Sie atmete aus und versuchte erneut, eins zu werden mit dem Goldenen Netz. Die Albenpfade waren die mächtigen Adern in diesem Gespinst der Magie. Doch allem, was es in der Welt gab, wohnte ein wenig Zauber inne. Sie spürte das Meer und kleine Tiere, die über den felsigen Grund unter ihnen krochen. Vereinzelte Fische.

Es gab hier keinen Albenpfad. Aber rechts war etwas. Eine Anomalie, wie sie entstand, wenn das natürliche Gefüge der Welt verändert wurde. Womöglich war das der Ort, den Broja gesehen hatte. Die Bolzenspucker würde wieder daran vorbeifahren. Für jede Kursänderung musste Swid in die Ruderkammer hinabtauchen. Das war zu mühselig. Es gab einen anderen Weg.

Leynelle wurde eins mit dem Tauchboot. Die Bleihülle zwischen den beiden Eisenwänden des Bootes schirmte das Innere gegen ihre Zaubermacht ab. Aber sie konnte das Seitenruder am Heck spüren. Es leicht einschwingen zu lassen kostete sie mehr Kraft, als sie erwartet hatte. Es fühlte sich an, als würde sich dieses Meisterstück zwergischer Schmiedekunst gegen ihre Magie wehren.

»Was geht da vor sich?«, rief einer der Zwerge. »Wer hat den Kurs geändert? Was …«

»Wer mag das wohl gewesen sein?«, fragte der Kobold höhnisch zurück. »Ist dein Verstand unter deinen Haaren erstickt?«

Als der Rumpf in Richtung der Anomalie deutete, ließ Leynelle das Seitenruder in die mittlere Position zurückschwingen.

Metallisch klirrende Schritte waren auf der Leiter im Turm zu vernehmen. Dann auf dem Schiffsrumpf.

Der bebrillte Zwerg hatte ein gutes Gefühl für das Tauchboot, dachte Leynelle.

»Ihr vermögt den Kurs der Bolzenspucker zu verändern, meine Dame?«

»Ich dachte, auf diese Art sei es angenehmer, das Ziel anzusteuern, Navigator. Oder bevorzugt Ihr es, zu dem toten Kapitän hinabzutauchen und an Hebeln zu ziehen?«

Swid antwortete ihr nicht. Stattdessen starrte er in die Finsternis vor ihnen.

»Da ist es!«, rief der Kobold aufgeregt. »Jetzt steuern wir genau darauf zu.«

»Kurbelwelle halt!«, rief der Navigator in einer Lautstärke, die seiner kleinen Gestalt Hohn sprach.

Leynelle schloss erneut die Augen und öffnete jenes dritte Auge in ihrer Stirn, durch das die magische Welt sichtbar wurde. Etwas Massiges lag dort vor ihnen. Die Kraftlinien waren gestört, doch hob sich die Anomalie nicht sonderlich stark von der Umgebung ab. Sie verschmolz mit der Höhlendecke. Sollte es sich um ein Bauwerk handeln, dann musste es vor unglaublich langer Zeit errichtet worden sein. Es begann ein Teil der es umgebenden Felsen zu werden, zumindest, was seine Kraftlinien anging.

»Bei den Bärten der Ahnen«, keuchte Swid. »Ein Turm! Da steht ein verdammter Turm auf einer Klippe!«

Neugierig öffnete Leynelle die Augen und war enttäuscht. Um bei dem Anblick in Ekstase zu geraten, musste man schon ein Zwerg sein. Das Licht, das sich in der Dünung brach, tanzte in Bernsteinwellen über das Gemäuer. Das Bauwerk erhob sich lediglich vier Schritt über einer flachen Klippe. Eine kurze Treppe führte zu einer blaugrünen Tür hinauf. Zwei schmale Fenster wurden von Läden in derselben Farbe verschlossen.

»Hornboris Turm«, flüsterte einer der Zwerge hinter ihnen ehrfürchtig.

Das Tauchboot machte nun fast keine Fahrt mehr. Sie näherten sich immer langsamer. Weißer Kalksinter war aus den Fugen des dunklen Basaltbaus geblutet.

Knirschend lief die Bolzenspucker auf die Klippe auf. Ein Ruck ging durch das Boot, der Leynelle fast von den Beinen geholt hätte. Einen Herzschlag lang rang sie um Balance, dann sprang sie leichtfüßig ans Ufer.

Auf dem Felsen waren fünf Drehkreuze angebracht, deren Konturen von dicken Kalkablagerungen verwischt wurden. An zwei Stellen war der Kalk abgeplatzt und zeigte rotbraunen Rost.

»Hier standen einmal Speerschleudern, würde ich vermuten«, kommentierte Swid mit einem Seitenblick. Dann ging er an ihr vorbei auf den Turm zu.

Die Felsinsel war nur klein. Vielleicht zwanzig Schritt im Durchmesser. Ohne ihren Zauber hätten sie diesen verborgenen Ort mitten im Nichts niemals gefunden. Er war das perfekte Versteck.

Der Navigator erklomm die wenigen Treppenstufen, die zur Tür hinaufführten. Jetzt erst erkannte Leynelle, dass sie ganz aus Metall gefertigt war. Kupfer oder Bronze, das mit den Jahrhunderten eine blaugrüne Edelpatina angesetzt hatte.

»Bringt Werkzeug rauf!«, rief Swid den anderen Zwergen zu, die an Land kamen. »Grumgri, schau dir mal an, ob man auf einem der Drehkreuze eine Seilwinde befestigen kann. Wir müssen die Bolzenspucker aufs Ufer ziehen.«

»Ai, Kapitän!«, rief Grumgri zurück und fing umgehend damit an, Zwerge zur Arbeit einzuteilen. Nur wenig später brachte der Kerl, dessen Kopf an eine schwarze Haarkugel mit einem Paar Knopfaugen erinnerte, eine Kiste mit Werkzeug.

Inzwischen waren auch Alathaia und die anderen Elfen an Land gekommen. Laurelin schloss sich ihnen an. Er hatte eine Sehne auf seinen Bogen gespannt, aber keinen Pfeil aufgelegt. Misstrauisch sah er sich um, während Swid einen Meißel und einen Hammer aus der Kiste nahm. Sein erster Schlag entfernte ein Metallplättchen, unter dem sich ein Schlüsselloch verborgen hatte. Dann arbeitete er sich entlang der Fuge der Tür empor und bearbeitete die Türangeln.

Seine Schläge hallten von der niedrigen Höhlendecke wider und fanden ein Echo in weiteren Hammerschlägen. Die Zwerge versenkten eine Metallstange im Felsgestein der Klippe.

Swid bückte sich und machte sich an dem Schlüsselloch zu schaffen. Er schob mehrere Drähte hinein, fluchte und zwang dann auch noch einen Eisendorn durch das kleine Loch. Endlich war ein deutlich vernehmbares Klicken zu hören.

»Das nenn ich zwergische Handwerkskunst!« Er klang begeistert. »Überdauert Jahrhunderte.« Er nahm eine lange Brechstange aus der Kiste, setzte sie an der Fuge an und stemmte sich dagegen.

Seine Augen hinter den Brillengläsern wirkten so groß, als wollten sie aus den Höhlen hervorquellen. Sein Gesicht lief rot an. Laurelin kam ihm zu Hilfe.

An drei verschiedenen Stellen setzten sie das Stemmeisen an, bis sich die schwere Tür unter empörtem Kreischen endlich einen Spalt weit öffnete.

Laurelin und Swid griffen in den Spalt, und jetzt trat auch Leynelle zu ihnen. Gemeinsam zerrten sie an der äonenalten Tür, die kreischte wie ein todwundes Ungeheuer und mit aller Kraft versuchte, ihr Geheimnis zu bewahren. Sie hätte dem Metall mit einem Zauber zusetzen können, doch ab und an war es einfach befriedigender, die Dinge mit Muskelkraft zu bewältigen.

Endlich war der Spalt so breit, dass Swid sich hindurchzwängen konnte. Im Inneren des Turms war es stockdunkel. Ein muffiger, feuchter Geruch schlug ihnen entgegen.

Plötzlich stieß Swid einen gellenden Schrei aus.

BODENLOS

Er war ins Leere getreten. Erschrocken versuchte er das Gleichgewicht zu halten, aber vergebens. Er stürzte und stieß einen Entsetzensschrei aus, als die Dunkelheit ihn verschlingen wollte.

Etwas packte ihn am Gürtel. Ein unverständliches Wort echote durch den uralten Turm. Es klang verführerisch und befehlend zugleich. Vor Swids Augen erglomm ein Lichtfunke, dann dehnte sich das Licht aus und gewann an Strahlkraft. Es war von derselben Farbe wie das reflektierte Licht, das draußen über die Höhlendecke tanzte.

Konturen traten aus der Finsternis hervor. Hinter der Tür gab es ein Sims, das gerade einmal einen Schritt breit war. Wer hier forsch eintrat, der stürzte in die Tiefe. Das Sims an der inneren Turmwand führte zu einer Treppe, die der Krümmung der Wand folgte. Auch sie war nur einen Schritt breit. Gesplitterte Pfosten, die aus dem Boden ragten, hatten wohl einmal zu einem hölzernen Geländer gehört, das den gefährlichen Weg sicherte. Ihn hingegen hatte der überraschend starke Arm der Elfe gerettet. Scheinbar mühelos zog ihn Leynelle auf das Sims zurück.

»Was für ein überaus seltsamer Turm.« Sie blickte über seine Schulter hinweg in den Abgrund. Abgesehen von dem schmalen Sims, erinnerte der Turm von innen eher an einen gemauerten Brunnenschacht. Dunkle Linien im Gestein zeigten die verschiedenen Wasserstände der Vergangenheit an. Jetzt lag das onyxschimmernde Schwarz etwa drei Schritt tiefer.

»Wir werden nicht weit kommen.« Die Elfe deutete über ihn hinweg zum Ende der Treppe. Grüne Schlieren waren dort an der Wand getrocknet. Ein massives Luk aus grün verkrustetem Metall versperrte ihnen den Weg.

»Das muss man einfach nur nach oben drücken.« Swid erklomm die Stufen. »Man kann das Luk nicht von hier aus verschließen. Es gibt keinen Mechanismus dafür. Und erst recht kein Schlüsselloch wie an der Tür unten.« Er erreichte das Ende der Treppe und stemmte sich gegen das raue Metall. Es knirschte nicht einmal leise. »Verdammte Oxidation. Es ist alles miteinander verbacken. Wir werden das Brecheisen benötigen, um den Durchstieg aufzuzwingen.«

»Darf ich?«

Ohne seine Antwort abzuwarten, duckte sich die Elfe neben ihn, um sich nicht den Kopf an dem verschlossenen Luk in der Decke zu stoßen. Sie befand sich dabei für seinen Geschmack deutlich zu nah an dem Abgrund, aber sollte sie nur tun, was sie für richtig hielt.

Leynelle legte die rechte Hand flach auf die Mitte der grünen Metallplatte. Dann schloss sie die Augen und murmelte etwas vor sich hin.

Grünspan rieselte vom Luk herab. Swid wandte den Kopf ab, um den feinen grünen Staub nicht in die Augen zu bekommen.

Ein metallisches Scharren war zu vernehmen, als würde ein schwerer Riegel unendlich langsam zur Seite gezogen.