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Christian Reuters Reisebeschreibungen des Schelmuffsky erschienen 1696 und 1697. Reuter nahm in seinen Erzählungen zwischen Schelmenroman und Kleinbürgersatire die Gesellschaft aufs Korn. Seine Sittengemälde brachten ihm so manchen Karzeraufenthalt ein.
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Seitenzahl: 198
Veröffentlichungsjahr: 2020
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Einleitung von Dr. Gotlieb Fritz
Erster Teil
Kapitel.
Kapitel.
Kapitel.
Kapitel.
Kapitel.
Kapitel.
Kapitel.
Kapitel.
Zweiter Teil
Kapitel.
Kapitel.
Kapitel.
Kapitel.
Kapitel.
Der Leipziger Student Christian Reuter, der im Jahre 1696 »Schelmuffskys wahrhaftige, curiöse und sehr gefährliche Reisebeschreibung zu Wasser und Lande« anonym erscheinen ließ, ist als der Verfasser eines der lustigsten Bücher unserer Literatur, das die Aufschneidereien des weltberühmten Freiherrn von Münchhausen noch übertrumpft, erst vor wenigen Jahrzehnten aus der selbstgewählten Verborgenheit an das Licht gezogen worden.
Von seinem Leben wissen wir, abgesehen von seinen tollen Studentenjahren, über die uns die umständlichen Disziplinarakten eines hochlöblichen akademischen Senats Auskunft geben, herzlich wenig; aber gerade die Leipziger Jahre Reuters, der, 1665 als Sohn eines Bauern in der Nähe von Zörbig bei Halle geboren, 1694 die Universität bezog, sind mit der Entstehung des »Schelmuffsky« auf das engste verknüpft und bieten auch sonst ein interessantes Bild von dem akademischen Leben jener Tage.
Christian Reuter, den wir uns als einen frischen, übermütigen Burschen, dem ein gehöriger Schalk im Nacken saß, denken müssen, wohnte als Student in dem Hause »Zum roten Löwen« auf dem Brühl bei einer gewissen Frau Müller, die verwitwet war und eine Reihe erwachsener Kinder, drei Söhne und zwei Töchter, hatte.
Die Familie Müller, dummstolz und hoffärtig, scheint wegen ihrer ungebildeten, stereotypen Redensarten in studentischen Kreisen ein beliebtes Ziel des Spottes gebildet zu haben; der älteste Sohn Eustachius, das Urbild des Schelmuffsky, war ein Aufschneider und Tagedieb und nach einer gemäß der Sitte junger Edelleute angeblich von ihm unternommenen Auslandsreise in das mütterliche Haus zurückgekehrt, wo er sich nicht wenig aufspielte und durch einen liederlichen Lebenswandel die Wirtschaft herunterbrachte. Es dauerte nicht lange, so geriet Reuter, wohl wegen rückständiger Miete, mit seinen Wirtsleuten in Streit und mußte, nachdem ihm, wie es scheint, übel mitgespielt worden war, das Haus verlassen. Aber die Familie Müller sollte das bald bitter bereuen.
Reuter, dem es wahrlich nicht an schlagfertigem Witz gebrach, wußte sich zu rächen und schrieb das Lustspiel »L'honnête femme oder die ehrliche Frau zu Plissine«, worin er unter Anlehnung an Molières Komödie »Die lächerlichen Preziösen« die ganze Familie — seine frühere Wirtin tritt unter dem Namen »Die ehrliche Frau Schlampampe«, der Sohn Eustachius unter dem Namen »Schelmuffsky« auf - in der blutigsten Weise verhöhnte. Die Gestalten des Stückes sind mit nicht geringer dramatischer Lebendigkeit und derbkomischer Kraft nach dem Leben gezeichnet – nicht minder auch in einem zweiten Lustspiel »Der ehrlichen Frau Schlampampe Leben und Tod«, das die Verhältnisse der Familie Müller aufs neue an den Pranger stellte.
Zwischen die Abfassung dieser beiden Stücke fällt nun die Entstehung des »Schelmuffsky«. Der erste Teil erschien zuerst 1696, im darauffolgenden Jahre entstand ein zweiter Teil und wurde mit dem umgearbeiteten ersten zusammen veröffentlicht. Der Triumph Reuters dauerte jedoch nicht lange.
Zwar hatte er die Lacher auf seiner Seite, die die unglückliche Familie reichlich mit Spott und Hohn überschütteten und vor allem nicht versäumten, den Sohn Eustachius in gebührender Weise als Schelmuffsky zu feiern; aber eine Klage nach der andern wurde von der gequälten Witwe Müller in beweglichen Worten gegen ihn erhoben, und der akademische Senat sah sich zunächst veranlaßt, Reuter mit Karzer zu bestrafen, dann aber, als der zweite Teil des Schelmuffsky erschien und mit gewaltigem Hallo unter den Studenten und in der Bürgerschaft aufgenommen war, ihn schlankweg von der Universität zu relegieren. Reuter hat dann in der Folgezeit in Dresden eine Anstellung erhalten. 1703 taucht er in Berlin auf, wo er zur Krönung des Königs und noch einmal später im Jahre 1710 zu dessen Geburtstag ein Festspiel schrieb. Über seine weiteren Lebensschicksale ist so gut wie nichts bekannt.
Den »Schelmuffsky« werden wir unbedingt zu den Meisterwerken der deutschen humoristischen Literatur zählen müssen.
Die Prachtgestalt des Helden mit seiner Renommiersucht und grotesken Erfindungsgabe kann sich ruhig neben Falstaff sehen lassen und übertrifft an komischer Kraft jedenfalls den Münchhausen um ein bedeutendes.
Das Ganze ist wie aus einem Gusse, die bunte Fülle der Erlebnisse und drastisch ausgemalter Situationen, dazu die köstliche Selbstcharakteristik Schelmuffskys, seine stetig wiederkehrenden Redensarten, wie das zum geflügelten Wort gewordene „Der Tebel hol mer“ und die eindrucksvolle Erzählung von seiner wunderbaren Geburt werden ihre Wirkung nie verlieren.
Aber der »Schelmuffsky« ist mehr als der Ausfluß persönlichen Rachegefühls und jugendlichen Übermutes einer humoristisch veranlagten Natur: er ist zugleich eine glänzende Satire auf die lügenhaften Reiseschilderungen, die in jener Zeit zahlreich erschienen und begierig gelesen wurden, und vor allem auf die »alamodische« Sucht gewisser bürgerlicher Kreise, es in Haltung, Kleidung und sonstigen Gewohnheiten dem Adel gleichzutun.
Der vorliegende Abdruck hält sich genau an den Wortlaut des Originals; nur mußten einige für unsere Ohren allzu derbe Stellen, an denen die Zeitgenossen Reuters keinen Anstoß nahmen, fortbleiben. Auch ist die Rechtschreibung mehr den heutigen Verhältnissen angepaßt worden.
G.Fritz.
Charlottenburg,
Mai 1912.
Deutschland ist mein Vaterland, in Schelmerode bin ich geboren, zu Sankt Malo[1] habe ich ein ganz halb Jahr gefangen gelegen und in Holland und England bin ich auch gewesen. Damit ich aber diese meine sehr gefährliche Reisebeschreibung fein ordentlich einrichte, so muß ich wohl von meiner wunderlichen Geburt den Anfang machen. Als die große Ratte, welche meiner Frau Mutter ein ganz neu seiden Kleid zerfressen, mit dem Besen nicht hatte können totgeschlagen werden, indem sie meiner Schwester zwischen den Beinen durchläuft, fällt die ehrliche Frau deswegen aus Eifer in eine solche Krankheit und Ohnmacht, daß sie ganzer vierundzwanzig Tage daliegt und kann sich, der Tebel hol mer [2], weder regen noch wenden. Ich, der ich dazumal die Welt noch niemals geschaut und nach Adam Riesens Rechenbuche vier ganzer Monat noch im Verborgenen hätte pausieren sollen, war dermaßen auch auf die sappermentsche Ratte so töricht, daß ich mich aus Ungeduld nicht länger zu bergen vermochte, und kam auf allen Vieren sporenstreichs in die Welt gekrochen. Wie ich nun auf der Welt war, lag ich acht ganzer Tage unten zu meiner Frau Mutter Füßen im Bettstroh, ehe ich mich einmal recht besinnen kunnte, wo ich war. Den neunten Tag so erblickte ich mit großer Verwunderung die Welt. O sapperment! wie kam mir alles so wüste da vor, sehr malade war ich, nichts hatte ich auf dem Leibe, meine Frau Mutter hatte alle Viere von sich gestreckt und lag da, als wenn sie vor den Kopf geschlagen wäre, schreien wollte ich auch nicht, weil ich wie ein jung Ferkelchen dalag, und wollte mich niemand sehen lassen, weil ich nackend war, daß ich also nicht wußte, was ich anfangen sollte. Endlich dachte ich, du mußt doch sehen, wie du deine Frau Mutter ermunterst, und versuchte es auf allerlei Art und Weise; bald kriegte ich sie bei der Nase, bald krabbelte ich ihr unten an den Fußsohlen, letztlich nahm ich einen Strohhalm und kitzelte sie damit in dem linken Nasenloche, wovon sie eiligst auffuhr und schrie: Eine Ratte! Eine Ratte!
Da ich nun von ihr das Wort Ratte nennen hörte, war es, der Tebel hol mer, nich anders, als wenn jemand ein Schermesser nähme und führe mir damit unter meiner Zunge weg, daß ich hierauf alsobald ein erschreckliches Auweh! an zu reden fing.
Hatte meine Frau Mutter nun zuvor eine Ratte! eine Ratte! geschrien, so schrie ich hernachmals wohl über hundert Mal: Eine Ratte! Eine Ratte! denn sie meinte nicht anders, es nistelte eine Ratte bei ihr unten zu ihren Füßen. Ich war aber her und kroch sehr artig an meiner Frau Mutter hinauf, guckte bei ihr oben zum Deckbett heraus und sagte: Frau Mutter, Sie fürchte sich nur nicht, ich bin keine Ratte, sondern ihr lieber Sohn; daß ich aber so frühzeitig bin auf die Welt gekommen, hat solches eine Ratte verursacht. Als dieses meine Frau Mutter hörte, Ei sapperment! wie war sie froh, daß ich so unvermutet war auf die Welt gekommen, daß sie ganz nichts davon gewußt hatte. Indem sie sich nun so mit mir eine gute Weile in ihren Armen gehätschelt hatte, stund sie mit mir auf, zog mir ein weiß Hemde an und rief die Mietsleute im ganzen Hause zusammen, welche mich alle miteinander höchst verwundernd ansahen und wußten nicht, was sie aus mir machen sollten, weil ich schon so artig schwatzen kunnte. Herr Gerge, meiner Frau Mutter damaliger Präzeptor, meinte, ich wäre gar von dem bösen Geiste besessen, denn sonst könnte es unmöglich von rechten Dingen mit mir zugehen, und er wollte denselben bald von mir austreiben. Lief hierauf eiligst in seine Studierstube und brachte ein groß Buch unter dem Arme geschleppt, damit wollte er den bösen Geist nun von mir treiben. Er machte in die Stube einen großen Kreis mit Kreide, schrieb einen Haufen kauderwelsche Buchstaben hinein und machte hinter und vor sich ein Kreuz, trat hernachmals in den Kreis hinein und fing folgendes an zu reden:
Hokus pokus schwarz und weiß, Fahre stracks auf mein Geheiß Schuri muri aus dem Knaben, Weils Herr Gerge so will haben.
Wie Herr Gerge diese Worte gesprochen hatte, fing ich zu ihm an und sagte: Mein lieber Herr Präzeptor, warum nehmet Ihr doch solche Köckelpossen vor und vermeinet, ich sei von dem bösen Geiste besessen; wenn Ihr aber wissen wolltet, was die Ursache wäre, daß ich flugs habe reden lernen und weswegen ich so frühzeitig bin auf die Welt gekommen, Ihr würdet wohl solche närrische Händel mit Eurem Hokuspokus nicht vorgenommen haben.
Als sie mich dieses nun so reden höreten, O sapperment! was erweckte es vor Verwunderung vor den Leuten im Hause. Herr Gerge stund, der Tebel hol mer, da in seinem Kreise mit Zittern und Beben, daß auch die um ihn Herumstehenden alle aus der Luft mutmaßen kunnten, der Herr Präzeptor müßte wohl in keinem Rosengarten stehn.
Ich kunnte aber seinen erbärmlichen Zustand nicht länger mit ansehen, sondern fing da an, meine wunderliche Geburt zu erzählen, und wie es niemand anders als diejenige Ratte verursacht hätte, welche das seidene Kleid zerfressen, daß ich so frühzeitig auf die Welt gekommen wäre und flugs reden können.
Nachdem ich nun mit vielen Umständen den sämtlichen Hausgenossen die ganze Begebenheit von der Ratte erzählt hatte, so glaubten sie hernach allererst, daß ich meiner Frau Mutter ihr Sohn wäre. Herr Gerge aber, der schämte sich wie ein Hund, daß er meinetwegen solche Narrenpossen vorgenommen hatte und vermeint, ein böser Geist müßte aus mir reden. Er war her, löschte seinen Hokuspokuskreis wieder aus, nahm sein Buch und ging stillschweigend immer zur Stubentüre hinaus. Wie auch die Leute hernach alle mit mir taten, und mich zu herzten und zu poßten, weil ich so ein schöner Junge war und mit ihnen flugs schwatzen kunnte, das wäre, der Tebel hol mer, auf keine Kuhhaut zu schreiben; ja sie machten auch alle miteinander flugs Anstalt, daß mir selben Tag noch bei großer Menge Volks der vortreffliche Name Schelmuffsky beigelegt wurde. Den zehnten Tag nach meiner wunderlichen Geburt lernte ich allmählich, wiewohl etwas langsam, an den Bänken gehn, denn ich war ganz malade, weil ich auf der Welt gar noch nichts weder gefressen noch gesoffen hatte. Was trug sich zu? Meine Frau Mutter, die hatte gleich selben Tag ein groß Faß voll Ziegenmolken auf der Ofenbank stehn; über dasselbe gerate ich so ohngefähr und titsche mit dem Finger hinein und koste es. Weil mir das Zeug nun sehr wohl schmeckte, kriegte ich das ganze Faß bei dem Leibe und soffs, der Tebel hol mer, halb aus. Wovon ich hernach ganz lebend wurde und zu Kräften kam.
Als meine Frau Mutter sah, daß mir das Ziegenmolken so wohl bekam, war sie her und kaufte hernach noch eine Ziege, denn eine hatte sie schon, die mußten mich also bis in das zwölfte Jahr meines Alters mit lauter solchem Zeuge ernähren und auferziehen.
Ich kanns wohl sagen, daß ich denselben Tag, als ich gleich zwölf Jahr alt war, der Tebel hol mer, Speck ellendicke auf meinem Rücken hatte, so fett war ich von dem Ziegenmolken geworden.
Bei Anfange des dreizehnten Jahres lernte ich auch alle sachte die gebratenen Kramsvögelchen und die jungen gespickten Hühnerchen abknaupeln, welche mir endlich auch sehr wohl bekamen. Da ich nun so ein bißchen besser zu Jahren kam, so schickte mich meine Frau Mutter in die Schule und vermeinte nun, einen Kerl aus mir zu machen, der mit der Zeit alle Leute an Gelehrsamkeit übertreffen würde. Ja es wäre dazumal wohl endlich was aus mir geworden, wenn ich hätte Lust, was zu lernen, gehabt, denn so klug als ich in die Schule ging, so klug kam ich auch wieder heraus. Meine größte Lust hatte ich an dem Blaserohre, welches mir meine Frau Großmutter zum Jahrmarkte von der Eselswiese mitgebracht hatte. So bald ich denn aus der Schule kam, so schmiß ich meine Bücherchen unter die Bank und nahm mein Blaserohr, lief damit auf den obersten Boden und schoß da entweder die Leute auf der Gasse mit auf die Köpfe oder nach den Spatzianern, oder knapste den Leuten in der Nachbarschaft die schönen Spiegelscheiben entzwei, und wenn sie denn so klirrten, kunnte ich recht herzlich drüber lachen; das trieb ich nun so einen Tag und alle Tage, ich hatte auch so gewiß mit meinem Blaserohr schießen gelernt, daß ich einem Sperlinge, wenn er gleich dreihundert Schritt von mir saß, damit das Lebenslicht ausblasen kunnte. Ich machte das Rabenzeug so schüchtern, wenn sie nur meinen Namen nennen hörten, so wußten sie schon, wieviel es geschlagen hatte.
Als nun meine Frau Mutter sah, daß mir das Studieren ganz nicht zu Halse wollte und nur das Schulgeld vor die lange Weile hingeben mußte, nahm sie mich aus der Schule wieder heraus und tat mich zu einem vornehmen Kaufmann, da sollte ich ein berühmter Handelsmann werden, ja ich hätte es wohl werden können, wenn ich auch Lust dazu gehabt hätte; denn anstatt da ich sollte die Nummern an den Waren merken und wie teuer die Elle müßte mit Profit verkauft werden, so hatte ich immer andere Schelmstücke in Gedanken, und wenn mich mein Patron wohin schickte, daß ich geschwinde wiederkommen sollte, so nahm ich allemal erstlich mein Blaserohr mit, ging eine Gasse auf, die andere wieder nieder und sah, wo Sperlinge saßen; oder wenn wo schöne große Scheiben in Fenstern waren und es sah niemand heraus, so knapste ich nach denselben und lief hernach immer meine Wege wieder fort; kam ich denn wieder zu meinem Herrn und war etwa ein paar Stunden über der Zeit außen gewesen, so wußte ich allemal so eine artige Lügente [3] ihm vorzubringen, daß er mir sein Lebetage nichts sagte.
Zuletzt versah ichs aber dennoch auch bei ihm, daß es nicht viel fehlte, so hätte er mir mein Blaserohr auf dem Buckel entzweigeschmissen. Ich aber merkte den Braten und gab mit meinem Blaserohre Reißaus und soll nun noch wieder zu ihm kommen. Hernach so schickte er zu meiner Frau Mutter und ließ ihr sagen, wie daß ich ihm allen Unfug mit meinem Blaserohre bei den Leuten angerichtet hätte und mich ganz zur Handlung nicht schicken wollte. Meine Frau Mutter ließ dem Kaufmann aber wieder sagen, es wäre schon gut, und sie wollte mich nicht wieder zu ihm tun, weil ich indem schon von ihm weggelaufen und wieder bei ihr wäre, vielleicht kriegte ich zu sonst was Bessers Lust.
Das war nun wieder Wasser auf meine Mühle, als meine Frau Mutter dem Kaufmann solches zur Antwort sagen ließ, und hatte ich zuvor die Leute auf der Gassen und die schönen Spiegelscheiben in den Fenstern nicht geschoren, so foppte ich sie hernach allererst, wie ich wieder meinen freien Willen hatte. Endlich, da meine Frau Mutter sah, daß immer Klage über mich kam, und etlichen Leuten die Fenster mußte wieder machen lassen, fing sie zu mir an: Lieber Sohn Schelmuffsky, du kömmst nun alle sachte zu besserem Verstande und wirst auch fein groß dabei: sage nur, was ich noch mit dir anfangen soll, weil du ganz und gar keine Lust zu nirgends zu hast und nur einen Tag und alle Tage nichts anders tust, als daß du mir die Leute in der Nachbarschaft mit deinem Blaserohre zum Feinde machst und mich in Ungelegenheit bringst. Ich antwortete aber meiner Frau Mutter hierauf wieder und sagte: Frau Mutter, weiß sie was? Ich will her sein [4] und fremde Länder und Städte besehen, vielleicht werde ich durch mein Reisen ein berühmter Kerl, daß hernach, wenn ich wiederkomme, jedweder den Hut vor mir muß unter den Arm nehmen, wenn er mit mir reden will. Meine Frau Mutter ließ sich diesen Vorschlag gefallen und meinte, wenn ichs so weit bringen könnte, sollte ich mich immer in der Welt umsehen, sie wollte mir schon ein Stück Geld mit auf den Weg geben, daß ich eine Weile daran zu zehren hätte.
Hierauf war ich her, suchte zusammen, was ich mitnehmen wollte, wickelte alles zusammen in ein zwilchen [5] Schnupftuch, steckte es in die Ficke [6] und machte mich reisefertig.
Doch hätte ich mein Blaserohr auch gerne mitgenommen, allein so wußte ichs nicht mit fortzubringen und besorgte, es möchte mir unterwegens gestohlen oder genommen werden, ließ also dasselbe zu Hause und versteckte es auf dem obersten Boden hinter die Feuermauer und trat in dem vierundzwanzigsten Jahre meines Alters meine sehr gefährliche Reise an. Was ich nun in der Fremde zu Wasser und Lande überall gesehen, gehört, erfahren und ausgestanden, das wird in den folgenden Kapiteln mit höchster Verwunderung zu vernehmen sein.
[1] Hafenstadt in der Bretagne.
[2] der Teufel hole mich.
[3] aus »Lüge« und »Legende« gebildet.
[4] will mich aufmachen.
[5] von Zwillich, grobem Zeug.
[6] Tasche.
Der Kuckuck fing gleich denselben Tag das erstemal im Jahre an zu rufen, als ich in Schelmerode von meiner Frau Mutter Abschied nahm, ihr um den Hals fiel, sie auf jedweden Backen zu guter Letzt dreimal herzte und hernach immer zum Tore hinaus wanderte. Wie ich nun vor das Tor kam, O sapperment! wie kam mir alles so weitläufig in der Welt vor, da wußte ich nun, der Tebel hol mer, nicht, ob ich gegen Abend oder gegen der Sonnen Niedergang zu marschieren sollte; hatte wohl zehnmal den Willen, wieder umzukehren und bei meiner Frau Mutter zu bleiben, wenn ich solches nicht so lästerlich verschworen gehabt, nicht eher wieder zu ihr zu kommen, bis daß ich ein brav Kerl geworden wäre. Doch hätte ich mich endlich auch nicht groß an das Verschwören gekehrt, weil ich sonst wohl eher was verschworen und es nicht gehalten hatte, sondern würde unfehlbar wieder zu meiner Frau Mutter gewandert sein, wann nicht ein Graf auf einem Schellenschlitten wäre querfeldein nach mir zugefahren kommen und mich gefragt, wie ich so da in Gedanken stünde. Worauf ich dem Grafen aber zur Antwort gab, ich wäre willens, die Welt zu besehen, und es käme mir alles so weitläufig vor, und wüßte nicht, wo ich zugehen sollte.
Der Graf fing hierauf zu mir an und sagte: Monsieur, es siehet ihm was Rechts aus seinen Augen, und weil er willens ist, die Welt zu besehen, so setze er sich zu mir auf meinen Schellenschlitten und fahre mit mir, denn ich fahre deswegen auch in der Welt nur herum, daß ich sehen will, was hier und da passiert. Sobald der Herr Graf dieses gesagt, sprang ich mit gleichen Beinen in seinen Schellenschlitten hinein und steckte die rechte Hand vorne in die Hosen und die linke in den rechten Schubsack, daß mich nicht frieren sollte, denn der Wind ging sehr kalt und hatte selbige Nacht ellendicke Eis gefroren; doch war es noch gut, daß der Wind uns hintennach ging, so kunnte er mich nicht so treffen, denn der Herr Graf hielt ihn auch etwas auf, der saß hinten auf der Pritsche und kutschte, damit so fuhren wir immer in die Welt hinein und gegen Mittag zu. Unterwegens erzählten wir einander unser Herkommens; der Herr Graf machte nun den Anfang und erzählte seinen gräflichen Stand und daß er aus einem uralten Geschlechte herstammte, welches zweiunddreißig Ahnen hätte, und sagte mir auch, in welchem Dorfe seine Großmutter begraben läge, ich habe es aber wieder vergessen; hernach so schwatzte er mir auch, wie daß er, als er noch ein kleiner Junge von sechzehn Jahren gewesen wäre, seine Lust und Freude an dem Vogelstellen immer gehabt hätte und einstmals auf einmal zugleich einunddreißig Pumpelmeisen in einem Sprenkel gefangen, welche er sich in Butter braten lassen und ihm so vortrefflich bekommen wären. Nachdem er nun seinen Lebenslauf von Anfang bis zum Ende erzählt hatte, so fing ich hernach von meiner wunderlichen Geburt an zu schwatzen, wie auch von meinem Blaserohre, mit welchem ich so gewiß schießen können.
O sapperment! wie sperrte der Herr Graf Maul und Nasen darüber auf, als ich ihm solche Dinge erzählte, und meinte, daß noch was Rechts auf der Welt aus mir werden würde.
Nach solcher Erzählung kamen wir an ein Wirtshaus, welches flugs an der Straße im freien Felde lag, daselbst stiegen wir ab und gingen hinein, uns ein wenig da auszuwärmen; sobald als wir in die Stube kamen, ließ sich der Herr Graf ein groß Glas geben, in welches wohl hierzulande auf achtzehn bis zwanzig Maß gehn, dasselbe ließ er sich von dem Wirte voll Branntwein schenken und brachte mirs von da auf Du und Du zu. Nun hätte ich nicht vermeint, daß der Graf das Glas voll Branntwein alle auf einmal aussaufen würde, allein er soffs, der Tebel hol mer, auf einen Soff ohne Absetzen und Bartwischen reine aus, daß sich auch der Wirt grausam darüber verwunderte. Hernach so ließ ers wieder so voll schenken und sagte zu mir: Nun allons, Herr Bruder Schelmuffsky, ein Hundsfott, der mirs nicht auch Bescheid tut. Sapperment! das Ding verdroß mich, daß der Graf mit solchen Worten flugs um sich schmiß, und fing gleich zu ihm an: Topp, Herr Bruder, ich wills Bescheid tun. Als ich dieses ihm zur Antwort gab, fing der Wirt höhnisch zu dem Grafen an zu lächeln und meinte, ich würde es unmöglich können Bescheid tun, weil der Herr Graf ein dicker, korpulenter Herr und ich gegen ihn nur ein Aufschüßling wäre und in meinen Magen das Glas voll Branntwein wohl schwerlich gehen würde. Ich war aber her und setzte mit dem Glase voll Branntwein an und soff es, der Tebel hol mer, flugs auf einen Schluck aus. O sapperment! was sperrte der Wirt vor ein paar Augen auf und sagte heimlich zum Grafen, daß was Rechts hinter mir stecken müßte. Der Graf aber klopfte mich hierauf gleich auf meine Achseln und sagte: Herr Bruder, verzeihe mir, daß ich dich zum Trinken genötigt habe, es soll hinfort nicht mehr geschehen, ich sehe nun schon, was an dir zu tun ist, und daß deinesgleichen von Konduite wohl schwerlich wird in der Welt gefunden werden. Ich antwortete dem Herrn Bruder Grafen hierauf sehr artig wieder und sagte, wie daß ich wahrlich ein brav Kerl wäre und noch erstlich zu was Rechts werden würde, wenn ich weiter in die Welt hineinkommen sollte und wenn er mein Bruder und Freund bleiben wollte, sollte er mich künftig mit dergleichen Dingen verschonen. O sapperment! wie demütigte sich der Graf gegen mich und bat mirs auf seine gebogenen Knien ab und sagte, dergleichen Exzesse sollten künftig nicht mehr von ihm geschehen.
Hierauf bezahlten wir den Wirt, setzten uns wieder auf unsern Schellenschlitten und fuhren immer weiter in die Welt hinein. Wir gelangten zu Ende des Oktobers, da es schon fast ganz dunkel worden war in der berühmten Stadt Hamburg an, allwo wir mit unserm Schlitten am Pferdemarkte in einem großen Hause einkehrten, worinnen viel vornehme Standespersonen und Damens logierten.
Sobald als wir da abgestiegen waren, kamen zwei italiänische Nobels [8] die Treppe oben herunter-gegangen; der eine hatte einen messingenen Leuchter in der Hand, worauf ein brennendes Wachslicht brannte, und der andere eine große töpferne brennende Lampe, welche geschwippt voll Bomolie [9