Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Dieses eBook: "Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung ist ein Theaterstück von Christian Dietrich Grabbe und eine der großen deutschen Komödien. Grabbe vollendete das Stück 1827 nach seiner düsteren, nihilistischen Tragödie Herzog Theodor von Gothland und bezeichnete es selbst als komödiantischen Widerpart des Gothland. Das Stück vermischt zahlreiche Elemente des klassischen Lustspiels: Posse, commedia dell'arte, ätzende Literatur- und Gesellschaftssatire und possenhafter Unsinn. Grabbe selbst erlebte eine Inszenierung des Stücks nicht; erst in seinem 40. Todesjahr 1876 fand eine erste Privatinszenierung am Akademietheater in Wien statt. 1907 folgte die offizielle Uraufführung in einer Bearbeitung von Max Halbe an dessen Bühne "Intimes Theater für dramatische Experimente" in München. In seiner schillernden Mischung aus drastischer Situationskomik, Rüpelszenen, Satire und Groteske steht das Stück ebenso außerhalb der klassischen wie der romantischen Komödie und erinnert in seiner epischen Bilderfolge wie in seiner grell-verzweifelten Grundstimmung eher an die Tragikomödien eines J. M. R. Lenz, wobei die Liebesintrige als zentrales Handlungselement dem konventionellen Schema der Commedia dell'arte entspricht.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 87
Veröffentlichungsjahr: 2014
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Ein Lustspiel
Findet der Leser nicht, daß diesem Lustspiel eine entschiedene Weltansicht zu Grunde liegt, so verdient es keinen Beifall. Im übrigen verspottet es sich selbst und werden daher die literarischen Angriffe von den beteiligten Personen leicht verziehen werden.
Es wird noch bemerkt, daß dieses Stück, ebenso wie die übrigen, schon im Jahre 1822 geschrieben war und auch in mehreren Gesellschaften vorgelesen wurde.
Baron von Haldungen Liddy, seine Nichte Herr von Wernthal, mit ihr verlobt Freiherr von Mordax Herr Mollfels Rattengift, ein Dichter Der Schulmeister des Dorfes Tobies, ein Bauer Gottliebchen, sein Sohn Gretchen, Dienstmagd der Gerichtshalterin Konrad, ein Schmied Vier Naturhistoriker Der Teufel Seine Großmutter
Kaiser Nero, ihr Bediente Grabbe, der Verfasser des Lustspiels Dreizehn Schneidergesellen und andere Nebenpersonen.
Die Szene ist in und bei dem Dorfe des Barons.
Stube des Schulmeisters.
SCHULMEISTER sitzt am Tische und schenkt aus einer großen Flasche sich ein Glas nach dem andren ein. Utile cum dulci, Schnaps mit Zucker! – Es wird heute ein saurer Tag, – ich muß den Bauerjungen die erste Deklination beibringen. Ein Bauerjunge und die erste Deklination! Das kommt mir vor als wenn ein Rabe ein rein Hemd anziehen wollte! Er blickt durch das Fenster. Alle Wetter, da kommt der schiefbeinige Tobies mit seinem einfältigen Schlingel! Schwerenot, wo verstecke ich meinen Schnaps? – geschwind, geschwind, ich will ihn in meinen Bauch verbergen! Er säuft die Bouteille mit einer entsetzlichen Schnelligkeit aus. Ah, das war ein Schluck, dessen sich selbst Pestalozzi nicht hätte zu schämen brauchen! Die leere Flasche zum Fenster hinaus!
Tobies und Gottliebchen treten herein.
TOBIES. Wünsche wohl geschlafen zu haben, Herr Schulmeister.
SCHULMEISTER. Danke, Herr Gevatter, danke! – Alles noch wohl in der Familie?
TOBIES. So lala! Meine Frau ist gesund, aber mein bestes Schwein liegt in den letzten Zügen. Es stöhnt und ächzt wie ein alter Mann!
SCHULMEISTER. Bedaure, bedaure, sowohl das Schwein als wie den alten Mann!
TOBIES. Wie stehts denn am politischen Himmel, Herr Schulmeister? Was sagen die neuen Zeitungen? Hat der Grieche gewonnen? Ist der Erbfeind verjagt?
SCHULMEISTER. Die Aspekten sind nicht ungünstig. Der hamburger Unparteiische hat schon wieder 30000 Türken totgeschlagen, und der nürnberger Korrespondent fährt unermüdlich fort die griechischen Jungfrauen der edelsten Geschlechter zu notzüchtigen; auch flüstert man sich aus zuverlässigen Quellen in die Ohren, daß das auseinandergelaufene Heer des Ypsilanti am 25sten künftigen Monats in einer großen Bataille gesiegt hat.
TOBIES Nase und Maul aufsperrend. Am 25sten künftigen –?
SCHULMEISTER. Wundern Sie sich nicht, Herr Tobies! Die Kuriere gehen rasch! Verbesserte Poststraßen, verbesserte Poststraßen!
TOBIES. Jesus Christus! so ‘ne Poststraße, worauf der Kurier einen Monat vorausläuft, möchte ich vor meinem Tode wohl ‘mal sehen!
SCHULMEISTER. Freilich ist so etwas hier zu Lande rar! Aber, Herr Tobies, Sie werden ja aus eigner Erfahrung bemerkt haben, daß ein gutes Pferd auf einer guten Chaussee den Weg von einer Stunde in einer halben zurücklegt; wenn Sie sich nun das Pferd immer besser und die Chaussee immer vortrefflicher denken, so muß es ja natürlich dahin kommen, daß das Pferd den Weg in einer Viertelstunde, in zehn Minuten, in einer Minute, in nichts, in gar nichts und zuletzt in noch weniger als gar nichts zurücklegt! Begreifen Sie?
TOBIES. Ich begreife, aber verstehen tu ich Sie hol mich der Teufel! doch noch nicht.
SCHULMEISTER. Da Sie mich schon begreifen, so macht es soviel nicht aus, ob Sie mich auch verstehen. Doch, wie Cicero zum Cäsar sagt – Ei, was ziehen Sie da aus der Rocktasche?
TOBIES. Ja, das ist es eigentlich, weswegen ich mit Gottliebchen hier vorgesprochen habe. Meine Frau läßt Ihnen ein Kompliment machen und bittet Sie recht artig, mit dieser Wurst vorlieb zu nehmen.
SCHULMEISTER. Vorlieb zu nehmen!
Er ergreift die Wurst und ißt sie auf.
TOBIES. Sehen Sie, unser Gottliebchen hat die Würmer und deshalb meint seine Mutter, daß aus ihm noch einmal ein Gelehrter würde. – Nicht wahr, Gottliebchen, du willst ein Gelehrter werden?
GOTTLIEBCHEN. Ja, ich habe die Würmer.
SCHULMEISTER. Herr Gevatter, sein Sie überzeugt, daß ich die vielversprechenden Anlagen Ihres hoffnungsvollen Sohnes zu schätzen weiß!
TOBIES. Nun wünschen ich und meine Frau, daß Sie den Jungen ins Haus nehmen und, mit Respekt zu sagen, zum Pastor erziehen möchten. Wir sähen ihn doch gar zu gerne, mit Respekt zu sagen, auf der Kanzel stehen! Zur Erkenntlichkeit wollen wir Ihnen an jedem Sankt Martinstage neun fette Gänse und ein Stückfaß voll Schnaps schicken.
SCHULMEISTER. Wie? ein Stückfaß? und voll bis an den Rand?
TOBIES. Schwappend voll, Herr Schulmeister!
SCHULMEISTER. Jeder Zoll ein Schnaps! Ihr Sohn gehört zu den eminentesten Köpfen! Ich werde ihn nicht nur in die tiefsten Geheimnisse der Dogmatik, der Homiletik und der übrigen Nebenwissenschaften der Theologie einweihen, sondern ihn auch in den plastischen, idyllischen und mephytischen Hauptwissenschaften unserer Landprediger, als wie im Schweineschneidern, Kuhschlachten und Mistaufladen zu unterrichten suchen. – Um Ihnen zu beweisen, wie sehr mir Gottliebchens Wohlfahrt am Herzen liegt, will ich mich noch heute mit ihm auf das Schloß verfügen und ihn der jungen Baronin und ihrem Onkel, welche gestern angekommen sind, als ein großes Genie vorstellen; vielleicht, daß man ihm eine außerordentliche Unterstützung zu seinen Studien gewährt.
TOBIES. Na, das tun Sie, Herr Schulmeister! Aber ich bitte, quälen Sie den Jungen mit dem Lernen nicht zu übermäßig. Ich habe ein paar Ochsen, welche mit dem Kopfe ziehen müssen, und da weiß ich denn, was Kopfarbeit für eine Arbeit ist. Guten Morgen!
Geht ab.
SCHULMEISTER zu Gottliebchen. Nun komm, du Esel, und gib Acht! Ich will dir sagen, wie du es auf dem Schlosse machen mußt, um dich genial zu stellen: du mußt entweder völlig das Maul halten, – dann denken sie, Donnerwetter, der muß viel zu verschweigen haben, denn er sagt kein Wort; – oder du mußt verrücktes Zeug sprechen, – dann denken sie, Donnerwetter, der muß etwas Tiefsinniges gesagt haben, denn wir, die wir sonst alles verstehen, verstehen es nicht; – oder du mußt Spinnen essen und Fliegen einschlingen, – dann denken sie, Donnerwetter, der ist ein großer Mann, (oder wie es bei dir schicklicher heißen würde, ein großer Junge) denn er ekelt sich vor keinen Fliegen und Spinnen. Sag, Rindvieh, was von allem diesen willst du tun?
GOTTLIEBCHEN. Ich will’s Maul halten.
SCHULMEISTER. So halt es, und meinetwegen mit der Hand, denn das sieht noch allegorischer und poetischer aus. Jedoch kann ich dir dessenohngeachtet ein andres notwendiges Requisit nicht erlassen: du mußt bisweilen eine genialische Zerstreutheit zeigen. Dies machst du ohngefähr so, Gottliebchen: du steckst, ehe du aus dem Hause gehst, eine tote Katze in die Uhrtasche; wenn du dann nachher in Gesellschaft eines schönen Fräuleins spazierst und mit ihr in der Abenddämmerung die Sterne betrachtest, so ziehst du auf einmal deine tote Katze heraus und führst sie an die Nase, als wenn du dich hineinschnupfen wolltest; da wird denn das Fräulein leichenblaß aufschreien: »Sackerlot, eine tote Katze!« du aber erwiderst wie zerstreut: »ach Gott, ich meinte, es wäre ein Gestirn!« – So etwas bringt dich in den Ruf der Originalität, du Mißgeburt!
Er gibt ihm eine Ohrfeige.
GOTTLIEBCHEN. Au! au! au!
SCHULMEISTER. Erschrick nicht, mein Söhnchen! Utile cum dulci, ein Ohr, weil es nützlich ist, und eine Feige, weil sie süß ist, also eine Ohrfeige. Es gehört zu den Feinheiten meiner Erziehungsmethode, mußt du wissen, daß ich dem Schüler bei jeder interessanten Lehre eine markdurchdringende Maulschelle erteile, denn späterhin wird er alsdann immer, wenn er sich an die Maulschelle erinnert, sich auch an die Lehre erinnern, welche sie begleitete. – Doch, allons, wir wollen aufs Schloß! Tunke die Feder tief in das Tintenfaß und zieh mir damit einen dicken, schwarzen Strich quer über die Nase durchs Gesicht! Die gnädige Herrschaft soll selbst in meinem Antlitze die Spuren meines Fleißes erblicken!
Gottliebchen zieht ihm einen dicken Tintenstrich durchs Gesicht und sie gehen beide ab.
Heller, warmer Sommertag.
Der Teufel sitzt auf einem Hügel und friert.
TEUFEL. ‘s ist kalt, – kalt – in der Hölle ists wärmer! – Satirische Großmutter hat mir zwar, weil sieben am häufigsten in der Bibel vorkommt, sieben Pelzhemdchen, sieben Pelzmäntelchen und sieben Pelzmützchen angezogen, – aber ‘s ist kalt, – kalt – Hol mich Gott, es ist sehr kalt! – – Könnt ich nur Holz stehlen oder ‘nen Wald anzünden, – ‘nen Wald anzünden! – Alle Engel, ‘s wäre doch kurios, wenn der Teufel erfrieren müßte! – – Holz stehlen, – Wald anzünden, – anzünden! – stehlen – Er erfriert.
EIN NATURHISTORIKER tritt auf, botanisierend. Wahrhaftig, es finden sich in dieser Gegend seltene Gewächse; Linnäus, Jussieu – Herr Christus, wer liegt hier auf der Erde? Ein toter Mensch, und, wie man deutlich sieht, erfroren! Nun, das ist doch sonderbar! Ein Wunder, wenn es nämlich ein Wunder gäbe! Wir schreiben heute den 2ten August, die Sonne steht flammend am Himmel, es ist der heißeste Tag, den ich je erlebt habe, und der Mensch da wagt es, unterwindet sichs, gegen alle Regeln und Beobachtungen weiser Männer zu erfrieren! – Nein, es ist unmöglich, absolut unmöglich! Ich will meine Brille aufsetzen! Er setzt sich die Brille auf. Sonderbar! sonderbar! Ich habe meine Brille aufgesetzt und der Kerl ist nichtsdestoweniger erfroren! Höchst sonderbar! Ich will ihn zu meinen Kollegen bringen! Er packt den Teufel beim Kragen und schleppt ihn mit sich fort.
Saal auf dem Schlosse.
Der Teufel liegt auf dem Tische und die vier Naturhistoriker stehen um ihn herum.
ERSTER NATURHISTORIKER. Sie geben mir zu, meine Herren, es ist mit diesem Toten ein verwickelter Kasus.
ZWEITER NATURHISTORIKER. Wie man es nimmt! Es ist nur schlimm, daß seine Pelzkleider so labyrinthisch zugeknöpft sind, daß selbst der Weltumsegler Cook sie nicht würde aufknöpfen können.
ERSTER NATURHISTORIKER. Sie geben mir zu, daß es ein Mensch ist?
DRITTER NATURHISTORIKER. Gewiß! er hat fünf Finger und keinen Schwanz.
VIERTER NATURHISTORIKER. Hier ist also nur die Frage zu lösen, was es für ein Mensch sein mag.
ERSTER NATURHISTORIKER. Richtig! Dabei kann man aber nicht vorsichtig genug zu Werke gehn; obschon es also heller Tag ist, so rate ich doch, daß man noch außerdem ein Licht anzündet.
DRITTER NATURHISTORIKER. Sehr wahr, Herr Kollege!
Sie zünden ein Licht an und setzen es neben den Teufel auf den Tisch.
ERSTER NATURHISTORIKER