Historische Dramen - Christian Dietrich Grabbe - E-Book

Historische Dramen E-Book

Christian Dietrich Grabbe

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Beschreibung

Grabbe war neben Georg Büchner der bedeutendste Erneuerer des deutschsprachigen Dramas seiner Zeit. Er war beeinflusst von Shakespeare und dem Sturm und Drang. In seinen ambitionierten Dramen, die mit ihren Massenszenen und schnellen Szenenwechseln die damalige Theater- und Bühnentechnik überforderten, löste er die strenge Form des klassischen Dramas in eine Folge locker verbundener Szenen auf und wurde zum Wegbereiter des Realismus auf der Bühne. In seinen Stücken entwarf er eine desillusionierende bis pessimistische Weltsicht mit teilweise schrillen Szenen. Dieser Band beinhaltet die Dramen: Don Juan und Faust Hannibal Die Hermannsschlacht Die Hohenstaufen a. Kaiser Friedrich Barbarossa b. Kaiser Heinrich der Sechste Napoleon oder die hundert Tage Herzog Theodor von Gothland

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Historische Dramen

Christian Dietrich Grabbe

Inhalt:

Christian Dietrich Grabbe – Biografie und Bibliografie

Don Juan und Faust

Personen:

Erster Akt

Erste Szene

Zweite Szene

Zweiter Akt

Erste Szene

Zweite Szene

Dritter Akt

Erste Szene

Zweite Szene

Dritte Szene

Vierter Akt

Erste Szene

Zweite Szene

Dritte Szene

Vierte Szene

Hannibal

I   Hannibal ante Portas!

II Numantia und Kapua

III Abschied von Italien

IV Gisgon

V König Prusias

Die Hermannsschlacht

Personen

Eingang

Erster Tag

Erste Nacht

Zweiter Tag

Zweite Nacht

Dritter Tag

Dritte Nacht

Schluss

Die Hohenstaufen

Kaiser Friedrich Barbarossa

Personen.

Erster Akt

Zweiter Akt

Dritter Akt

Vierter Akt

Fünfter Akt

Kaiser Heinrich der Sechste

Personen.

Erster Akt

Zweiter Akt

Dritter Akt

Vierter Akt

Fünfter Akt

Napoleon oder die hundert Tage

Vorwort

Personen

Erster Aufzug

Erste Szene

Zweite Szene

Dritte Szene

Vierte Szene

Zweiter Aufzug

Erste Szene

Zweite Szene

Dritte Szene

Vierte Szene

Fünfte Szene

Dritter Aufzug

Erste Szene

Zweite Szene

Dritte Szene

Vierter Aufzug

Erste Szene

Zweite Szene

Dritte Szene

Vierte Szene

Fünfte Szene

Sechste Szene

Fünfter Aufzug

Erste Szene

Zweite Szene

Dritte Szene

Vierte Szene

Fünfte Szene

Sechste Szene

Siebente Szene

Herzog Theodor von Gothland

Personen.

Erster Akt

Zweiter Akt

Dritter Akt

Vierter Akt

Fünfter Akt

Historische Dramen, C. D. Grabbe

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

ISBN:9783849626303

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Dieses Werk bzw. Inhalt und Zusammenstellung steht unter einer Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz. Die Details der Lizenz und zu der Weiterverwertung dieses Werks finden Sie unter http://creativecommons.org/licenses/by/3.0/de/. Der Inhalt und die Zusammenstellung oder Teile davon wurden der TextGrid-Datenbank entnommen, wo der Inhalt und die Zusammenstellung oder Teile davon ebenfalls unter voriger Lizenz verfügbar sind. Eine bereits bestehende Allgemeinfreiheit der Texte bleibt von der Lizensierung unberührt.

Christian Dietrich Grabbe – Biografie und Bibliografie

Dramatischer Dichter, geb. 11. Dez. 1801 in Detmold, wo sein Vater Zuchthaus- und Leihbankverwalter war, gest. daselbst 12. Sept. 1836, erhielt eine ungeregelte Erziehung und gewann auch durch die Stellung des Vaters frühzeitig peinliche Eindrücke. Doch trieb er mit Eifer wissenschaftliche Studien und fühlte sich namentlich von den griechischen Tragikern und Aristophanes angezogen. Mehr dem Wunsch seiner Eltern als eigner Neigung folgend, bezog er die Universität Leipzig, um die Rechte zu studieren, und setzte dieses Studium seit 1821 in Berlin fort, wo er zugleich mit Heine, L. Robert u.a. auf vertrautem Fuße stand. Ein kurzer Aufenthalt in Dresden galt dem Versuch, als Schauspieler einen Ausweg für die Gärung seines Wesens zu gewinnen. Tieck, der sich für G. infolge seiner Dichtung »Gotland« lebhaft interessierte, vermochte doch der forcierten Genialität und der unliebenswürdigen Außenseite Grabbes keinen entsprechenden Lebensweg zu eröffnen. G. kehrte nach Detmold zurück, wurde hier 1827 Auditeur beim lippeschen Militär, ergab sich aber mancherlei Extravaganzen und schloß 1833 eine durchaus unglückliche Ehe mit der Tochter des Archivrats Clostermeier. Das Mißverhältnis zwischen dem Selbstgefühl seines Talents und der beengten äußern Stellung in kleinstädtischen Verhältnissen zerrüttete seine Lage innerlich, ließ seine Trunkleidenschaft stärker anwachsen und führte zu schweren häuslichen Zerwürfnissen und einer wachsenden Verstimmung zwischen ihm und seinen Behörden. Statt der nachgesuchten Hauptmannsstelle erhielt er einen Verweis wegen Vernachlässigung seiner Dienstgeschäfte und endlich halb mit, halb gegen seinen Willen seine Entlassung. Er begab sich zunächst nach Frankfurt und wandte sich von da aus an Immermann in Düsseldorf um Hilfe für sich und seine bejahrte Mutter. Immermann lud ihn zu sich ein und vermittelte ihm eine bescheidene Existenz. Anfangs schien G. ein neues Leben beginnen zu wollen, er versuchte sich auch als Theaterkritiker und schrieb »Das Theater in Düsseldorf« (Düsseld. 1835), bald aber versank er wieder in sein früheres wüstes Treiben und war nun rettungslos verloren. Mit völlig zerrütteter Gesundheit kehrte er in seine Vaterstadt zurück, versöhnte sich mit seiner Gattin und starb in deren Armen. G. gab zuerst eine Sammlung von Dramen und dramatischen Skizzen heraus u. d. T.: »Dramatische Dichtungen« (Frankf. 1827, 2 Bde.). Ein Brief Tiecks über das Hauptwerk der Sammlung war dem Buch, vom Dichter antikritisch glossiert, beigedruckt. Dieses Hauptwerk ist das Trauerspiel »Herzog Theodor von Gotland«, eine Dichtung, alles Geschmacks und aller Grenzen der Schönheit spottend, wild und wüst, aber der Anlage, den Gedanken, dem sprachlichen Ausdruck nach kolossal. Das Fragment »Marius und Sulla« ist ein Werk voll großen historischen Geistes und wahrhaft gewaltiger Anlage. Unbedeutend ist das tragische Spiel »Nannette und Marie«, voll tollen, drolligen Humors das mit kühner Selbstverspottung schließende ironisch-humoristische Lustspiel »Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung«. Hierauf folgten die kühn erfundene Tragödie »Don Juan und Faust« (Frankf. 1829), die Hohenstaufen-Dichtungen: »Kaiser Friedrich Barbarossa« (das. 1829) und »Kaiser Heinrich VI.« (das. 1830), das grandios ausgeführte Gemälde »Napoleon oder die Hundert Tage« (das. 1831), das dramatische Märchen »Aschenbrödel« (Düsseld. 1835) und die fragmentarische, in vielen Zügen geniale Tragödie »Hannibal« (das. 1835). »Die Hermannsschlacht«, herausgegeben von E. Duller (Düsseld. 1838, mit dem Leben Grabbes), erschien erst nach Grabbes Tod. Sämtliche genannte Tragödien heben die Charakteristik der Handlung gegenüber derart hervor, daß sie von Haus aus für die Bühne völlig unbrauchbar erschienen. Aber auch die Charakteristik, obwohl blitzartig genial, frappant, oft scharf und epigrammatisch, enthält viel Gemachtes und gewaltsam Bizarres. Beinahe sämtliche Charaktere Grabbes entbehren der Wurzeln im Boden der Natur, so daß sie wohl blenden, interessieren, aber niemals tiefern Anteil erwecken können. Die Massenbewegungen in Grabbes Dramen sind voll Leben und energischer Farbengebung. Sammlungen seiner Werke erschienen von R. Gottschall (Leipz. 1870, 2 Bde.), O. Blumenthal (»Sämtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß«, Berl. 1874, 4 Bde.); die beste, mit textkritischen Anhängen und der Biographie des Dichters, von E. Grisebach (das. 1902, 4 Bde.). Vgl. außerdem E. Willkomms Charakteristik Grabbes in den »Jahrbüchern für Drama, Dramaturgie und Theater«, Bd. 1 (Leipz. 1837); R. v. Gottschall, Christian Dietrich G. (in Reclams Universal-Bibliothek); Immermann, Memorabilien (Hamb. 1843, 2 Bde.); K. Ziegler, Grabbes Leben und Charakter (das. 1855) und die Biographie von E. Behrens: En tysk Digter Christ. Dietr. G., hans liv og digtning (Kopenh. 1903).

Don Juan und Faust

Personen:

Der GouverneurDon GusmanDonna Anna,seine TochterDon OctavioDon Juan,spanischer GrandeDoktor FaustEin RitterSignor Rubio,PolizeidirektorSignor NegroLeporello,Diener des Don JuanGasparo,Diener des GouverneursLisette,Magd der Donna AnnaGnomen. Mehrere Nebenpersonen

Ort der Handlung:Rom und der Montblanc

Erster Akt

Erste Szene

Rom. Gegend des spanischen Platzes.

Don Juan tritt auf, gleich nachher Leporello.

Don Juan.Still sind die Plätze und die Straßen, nur Springbrunnen plätschern tändelnd in dem Dunkel, – Die ewge Roma schläft, ermüdet vom Jahrtausendlangen Schlachtenkampf, vielleicht Noch weit mehr von der Bürde ihres Ruhms. Die arme Herrscherin der Welt! Sie hat Die Liebe nie gekannt!(Weiter vortretend.)    O welche Luft umweht mich! Wie duftig strömt es her von Albas Bergen! Es ist die Luft, die einst die Cäsars nährte, Der Äther ists, in welchem heute die Geliebte atmet!

Leporello.    Herr, erlaubt ein Wort: Es ist der Dampf, der aus der Garküch hier Beian, allwo ein Haufen lustiger Gesellen Wirtschaft treibt, uns in Die Nase sticht.

Don Juan.    Sieh, Leporello. – Hast Du Nachricht eingezogen?

Leporello.    Nun, das Mädchen Ist eine Perle, gut genug, dem Kranz Sie anzureihn, den Ihr schon tragt.

Don Juan.    Sie strahlt Als Herrlichste der Frauen!

Leporello.    Don, ich bin Entzückt! Ich sah sie!

Don Juan.    O so rede schnell! Bewegung und Gestalt – Wie sind sie?

Leporello.    Wie? Ihr habt sie selbst noch nicht gesehn?

Don Juan.    Gesehn, Gesprochen – weiß ich es? Mich blendete Ihr Auge!

Leporello.    Wetter, es ist schön, – doch von Dem Ganzen ists nur wenig.

Don Juan.    's ist ein Stern Der Nacht! Bei Gott, es ist der feste Nordstern, Der fortan einzig meinem Leben leuchtet!

Leporello. Was nennt Ihr einzig? Ohngefähr zweitausend?

Don Juan. Solch eine Liebe hab ich nie empfunden!

Leporello. Bei wieviel Hunderten habt Ihr das schon Gesagt?

Don Juan.     Erforschtest du des Mädchens Vater?

Leporello. Er ist der Gouverneur Sevillas, der Bezwinger von Granadas Maurenhorden, Jetzt hier beim Haupt der Christenheit Als spanischer Gesandter angestellt.

Don Juan. Ein Spanier! Sie eine Landsmännin!

Leporello. Ach Herr, der Mann ist grad so alt als streng!

Don Juan. Also ein alter Stamm mit goldner Frucht!

Leporello. Ansehnlich ist der Stamm, die Frucht hängt hoch!

Don Juan. Je näher sie den Sonnengluten schwebt, Je eher reift sie, und was reif ist, fällt! – Noch nächsten Abend muß ich sie besitzen.

Leporello. Da müßt Ihr erst den Bräutigam beseitgen!

Don Juan. Was? Bräutigam? Pfui! Ich schäme mich Des Worts. – Wie heißt der Narr, der Mädchen freiet, Und nicht weiß, daß er Hahnrei wird?

Leporello.    Der Narr Ist so ein Vetter des Herrn Gouverneurs, Heißt Don Octavio, und ist ein Herr Von Bildung, feinem Äußern, nettem Herzen, – Er trägt sich schwarz, führt weiße seidne Handschuh –

Don Juan. – lebt mäßig, gibt, nicht Anstoß, tanzt gut, reitet Erträglich, spricht französisch, kann mit Anstand Im Kreise der Gesellschaft sich bewegen, Und schreibt vielleicht sogar auch orthographisch! – Dergleichen Schuften in den Weg zu treten, Ist mir die höchste Seligkeit!

Leporello.    Euch gehts Wie mir! Ein Schuft, der orthographisch Mein Mädchen küßt, betrügt sich selbst, das Weibsbild, Und mich auch! Krumme Wege nur Verherrlichen das Ziel!

Don Juan.    Weg mit dem Ziel –Nenn es mir nicht, ob ich auch darnach ringe – Verwünscht ist der Gedanke: jedes Ziel Ist Tod – Wohl dem, der ewig strebt, ja Heil, Heil ihm, der ewig hungern könnte!

Leporello.    Danke! – Ich merks, Ihr laßt mich hungern nach Prinzipien, – Wenns nur mein Magen duldete, doch der Ruft immerdar: »Heil ihm, der ewig frißt!«

Don Juan. – – Mich brennt die Ungeduld. Dort steht das Haus Des Gouverneurs, dort muß sie wohnen. Lärm Gemacht! Wir locken sie dadurch ans Fenster.(Er zieht den Degen.)

Leporello. Den Degen ein! Beim heilgen Jakob, ich Entlaufe!

Don Juan.    Feigling, es ist ja nur Schein! Ich tu dir nichts! – Zieh – Zieh sag ich, oder Ich bohr dich an den Boden wie 'nen Wurm!

Leporello. Hilf Christ! ich bin verloren! Mit dem Schwert Versteht er keinen Spaß! Sowie der Stahl Klingt, rast er wie der Wolf, der Blut riecht! – Aus Not muß ich mich wehren!

Don Juan.    Trefflich! Bravo, Freund Leporello! – Ei, wie kühn! – Das wirkt Die römsche Erde – wahre Heldenmutter, Gebärt sie dich zum zweitenmal.     – Fort! schrei jetzt Von Sbirren, Mördern, Überfall, Verrat – – Und daß dein Schreien recht natürlich klingt, Nimm diese leichte Wunde in den Arm! – Doch bleib mir in der Näh, damit du's hörst, Wenn ich dich wieder rufe!

Leporello.    Element! Mein Arm! Ich sterbe!Sbirren! Sbirren! helft!

Don Juan. He!Hülfe! Rettung! Fanget den Banditen!

(Leporello ab. Getümmel im Palaste des Gouverneurs.)

Der Gouverneur(drinnen). Licht! Waffen! folgt mir, Don Octavio!

Don Octavio(drinnen). Mit Gut und Leben steh ich Euch zu Diensten.

Don Juan(für sich). Wärs wahr, so würdest du's nicht sagen! – – So 'n Maulheld also! – Nun, es naht die Zeit, Wo Krieg und Frieden, Lieb und Glück, und Gott Und Glauben, nur die Worte sind, von dem Was sie gewesen. Ganz ergebenst gibt Man dann dem Bettler einen Fußtritt, undGehorsamst fordert man vom Diener ein Glas Wasser! –

(An einem Fenster im Palaste des Gouverneurs erscheint eine Dienerin mit brennenden Kerzen auf Armleuchtern, – dann Donna Anna, die einen Augenblick spähend hinaussieht.)

Don Juan(erblickt die Donna Anna).    Ha, wie ein Goldadler reißt Der Blitz sich los vom Gipfel des Nachthimmels; Der Eichwald stürzt vor ihm zu Staub und flammt Dabei empor in seliger Vernichtung – – So sink ich hin zu deinen Füßen, Weib, Und jauchze dennoch laut, daß ich dich liebe!

(Donna Anna winkt ihn zürnend fort und entfernt sich.)

Don Juan.    Pah, Vergebens winkst du mich von dannen! Ich Erreiche dich, und wenn ich über Leichen, Durch deines Vaters Blutstrom schreiten müßte!

(Der Gouverneur, Don Octavio, und Diener mit Lichtern, treten aus dem Palaste.)

Der Gouverneur. Lärm unter meiner Tochter Fenstern! Straf Und Tod ihm, der sich des vermaß! Erforscht ihn!

Don Octavio. Ich bitt um Ruh, Herr Gouverneur; wir sind Im fremden Lande.

Der Gouverneur.    Ich bin hier Gesandter Und übe eigene Gerichtsbarkeit, – Wohin ich trete, da ist span'scher Grund, Und wo ich atme, da weht span'sche Luft, – Und jetzt, da meine Ehre freventlich Verletzt wird, sollt ich ruhig es ertragen, Und nicht einmal den Täter strafen dürfen?

Don Octavio. Ein bloßer Lärm, Gott weiß, woher entstanden, Beteiligt nicht die Ehre meiner Braut.

Der Gouverneur. Wie sprichst du, Sohn? Die Ehre ist mein Auge, Das kleinste Stäubchen, das hineindringt, macht Mich blind und wild vor Schmerz!

Don Octavio.    Jedoch der Täter Ist schon entflohn!

Der Gouverneur.    So forschen wir ihm nach!

Don Juan(hervortretend). Das tut nicht not. Ich weiß, wo er sich aufhält.

Der Gouverneur. Wer seid Ihr? Redet.

Don Juan.    Ich bin span'scher Grande, Mit Namen Don Juan.

Der Gouverneur.    Der Don Juan, Der für den König siegsgewaltig an Der Guadiana focht?

Don Juan.    Der steht vor Euch.

Der Gouverneur. Gebt mir die Hand! Wer für den König focht, Der ist mein Bruder.

Don Juan.    Herr, ich hörs, Ihr seid Ein echter Landsmann!     (Beiseit.) Den gewinn ich noch Mit patriotschen Phrasen, um so eher, Als ich sie ernstlich meine!     (Laut.) Seid gegrüßt In dieser Fremde – Wo man Spanien nennt, Da atm ich freier! –    O kein Donner an Dem Himmel, und kein Laut auf Erden, quöll Er auch von schönster, süß'ster Lippe, gleicht An Macht dem Worte: Vaterland! Weit mehr Als mutiges Geschmetter der Trompete Hat es schon in dem Kampf mein Herz erregt: Bei seinem Klange steigt Hispania Mit ihren Hochgebirgen, ihren Strömen, Mit ihren Helden, ihren Heldengräbern, Im Morgenlichte aus der dunklen See. Verächtlich ist der Stolz des einzelnen, Doch herrlich, wie die Heimat selbst nur sein mag, Ist auch der Stolz auf sie!

Don Octavio.    Die Rede stimmt Nicht ganz mit Eurem Handeln. Ich vernahm Schon viel von Euch. Ihr kränzt Euch öfter mit Der Liebe Rosen, als wie mit dem Blatt Der Eiche.

Don Juan(für sich).    Merkt der etwas? – Eifersüchtig? – Wer eifersüchtig ist, liebt weder, noch Wird er geliebt. Mir winkt die Hoffnung!     (Laut.) Freund, Erst lernt den Wahlspruch kennen, den ich rufe:König und Ruhm, und Vaterland und Liebe! – Ein schal Getränk ist jede Lieb und Lust, Die in dem Herzen keimt, wo die vier Worte Nicht einig lodern wie ein Kranz von Flammen!

Don Octavio. Ein einzig Wort vergaßt Ihr – es heißt Treue.

Don Juan.Ich bin kein Sklav, – wer wollte Ketten tragen?

Der Gouverneur. Genug. Wer Ruhm und König liebt, kann ihnen Nicht untreu werden, denn nichts Höheres Gibts in der Welt.     – Und nun sagt an, wer war Der Frevler, welcher hier den Lärm erhob, Und, irr ich nicht, nach meiner Tochter schrie?

Don Juan. Wißt Ihr denn nicht, daß jetzt ein großer Magus, Gekommen aus Norddeutschlands Eiseswüsten, In Roma hauset und die Luft verpestet? Im schwarzen Mantel, weißen Antlitzes, Als hätte nie die Sonne es gerötet, Schleicht er am Aventin, – vergebens mühn Die Häscher sich, ihn zu ergreifen – Er Entwischt mit Geisterhülfe immerdar!

Der Gouverneur. Ihr meint den Doktor Faust?

Don Juan.    Dem Habicht ähnlich Zieht er um Eure Tochter Zauberkreise, – Er wars, der heute mit Beschwörungen Sie locken wollte dort auf den Balkon, – Doch Stahl und Männermut sind kräftger als Magie. Mein Schwert wies ihm den Weg!

Der Gouverneur. Ich dank Euch; aber wißt: nicht Zauberei, Und nicht der Stahl gefährden oder schützen Die Ehre Donna Annas. Ehre wandelt Den eignen Pfad, trotz aller Schwingungen Von Zauberkreisen oder Schwertern, – Tod Ist wen'ger als die Ehre, – sie versteht Nur Siegen oder Sterben – Meine Tochter auch! – – Armseliger Patron, der Faust, der mit Ohnmächtgen Höllenkünsten sich bemüht, Das reine Herz der Donna Anna zu Gewinnen, – selbst des Himmels Zauber würd Es nicht verblenden, denn der Himmel kennt Nicht schönre Stelle als ihr kindlich Herz!

Don Juan(für sich). Der Vater selbst bläst meine Leidenschaft Zu Gluten an, – wie göttlich über solch Ein Weib zu triumphieren! – Welten können Verwaist und ohne Seele rollen durch Den leeren Raum, – doch wo ein fühlend Herz schlägt, Da regen Welten, Sterne, Sonn und Mond, Des Morgens Rot, des Abends falber Glanz, Mit allem Schmerz und aller Freude, eng Verschlungen sich im allerengsten Kreis Gewaltger Herz– als Welt–Eroberer!

Der Gouverneur. Octavio, es gilt den Zaubrer einzufangen, Dem Scheiterhaufen ihn zu übergeben.(Zu Don Juan.) Begleitet Ihr uns, Herr?

Don Juan    Das ist unmöglich. Leer steht und ohne Aufsicht meine Wohnung. Ich muß dahin, – doch werd ich unterwegs Die Diener der Gerechtigkeit ermuntern, In Eurer Nachforschung Euch beizustehn.

Der Gouverneur. Das nehm ich an, und bitte nun zugleich, Das Hochzeitsfest des Don Octavio Und meiner Tochter, anberaumt auf morgen, Mit Eurer Gegenwart zu zieren.

Don Juan. Sicher erschein ich da.

Don Octavio.    'ne Ehre wirds uns sein.

Don Juan. Ich bitte, Herr – die Ehre ist auf meiner Seite.

Der Gouverneur. Lebt wohl bis dahin.

Don Juan(für sich).    Geht zum Teufel, Narren!

(Der Gouverneur und Octavio ab.)

Don Juan. Luft! Luft! – O Worte! Worte! Ach, nur da, Wo Küsse euch ersticken, lebt sichs selig! – Und doch, gehts mir nicht selbst grad wie dem Baum, Der voll von Blättern, bei dem schwächsten Windstoß Aufrauscht? – Mich freut es nur, daß ich dem Faust, Dem Renommisten der Melancholie, Der nach der Hölle seufzt, weil er die Himmel Nicht kennt, die sich in Donna Annas Augen, Anmut und Feuer strahlend endlos auftun, Die beiden Toren auf den Leib gehetzt – Ob er kann zaubern, mag er jetzt bewähren! – Ich aber lobe mir die Wirklichkeit! Der Gouverneur, Octavio sind fort, Das Haus geöffnet, und der Sieg ist mein!(Er will die Haustür öffnen, findet sie aber verschlossen.) Verwünscht! die Schlauköpfe sind auf der Hut Gewesen, fest verschlossen ist die Tür! – – Pah! alles einerlei! den Endzweck fest Im Aug gehalten, – ist er stets nur einer, So führen tausend Pfade auch zu ihm! – He! Leporello! Leporello!

Leporello(kommt). Mein Arm! mein Arm! dem Feldscher hing das Haupt, Als er ihn sah, gleich einer Tränenweide – Der Doktor legt' an seine Nas den Finger Wie eine Lunte, und dann brach er los Von Skrupeln, Skrofeln und von Kachexie! Durch Euch bin ich ein Krüppel auf zeitlebens! O welch ein Lohn für meine treuen Dienste, O welch ein Gang der Welt!

Don Juan.    Ich rate dir, Sei still! Sonst sollst du vor der zweiten Wunde Die erste bald vergessen. – Kennst du Die Dienstmagd Donna Annas?

Leporello.    Herr, was denkt Ihr? Ich eine Dienstmagd kennen! Und zwar diese!

Don Juan. Verstell dich nicht! Du schleichst auf mein Gebot Drei Tage schon um dieses Haus, und hättest Das Mädchen übersehn? Sie leuchtete Der Donna, als sie an das Fenster trat – Ein schwarzes Aug, ein Grübchen in der Wange, 'ne weiße Haut, ein zarter, voller Arm, Und eine nette Taille, sind ihr gar Nicht abzusprechen.

Leporello.    Und das alles saht Ihr, als der Blitz von Annas Schönheit auf Euch fiel gleich einem Adler, wie Ihr sagtet?

Don Juan. Warum nicht? Stand die Dienrin doch daneben.

Leporello. Ihr seid ein Kraft-, Universal-Genie! Die Herrin lieben, von der Dienerin Entzückt, – und das so durcheinander während Desselben Augenblicks – Weh mir! mir schwindelt!

Don Juan. Mensch, hältst du mich für einen albernen Pedanten, eingewurzelt in Systeme? Wo ich die Schönheit finde, schätz ich solche, Und sei sie, welcher Art sie wolle. Die Dienerin liebt anders als die Herrin, Und nur Abwechslung gibt dem Leben Reiz Und laßt uns seine Unerträglichkeit Vergessen!    Sprich! Wo ist des Mädchens Zimmer?

Leporello. 's ist eine Sünde, daß ichs Euch verrate, Der Engel wohnt dort in dem Erdgeschoß – – O mögen alle Teufel ihn beschirmen, Denn vor den Engeln seid Ihr gar nicht bange!

Don Juan. Eil an ihr Kammerfenster, – frag sie aus, Wo man die Donna Anna außer dem Palaste morgen treffen kann.

Leporello.    Das soll Ich mitten in der Nacht tun?

Don Juan.    So will ichs! Das ist romantisch; auch mag ich nicht warten. Du weckst sie auf als kosender Liebhaber – Was wär wohl süßer für ein Mädchen als Aufwachen unter Schmeichelei, dem Lenz, Bei dem selbst alter Weiber Stirnen sich Verjüngen?

Leporello.    Nun, es sei versucht! Ich singe ihr eins vor, das selbst die Bären Erschüttern, und dem Dachs im Winterschlaf Die Ohren spitzen wird gleich Türmen!

Don Juan.    Sing So leis als möglich!

Leporello.    Keine Sorge! Hört nur! Es ist ein altes Lied, ein seltnes Lied, Und ein verschmähter Liebender hat es In einer Sommernacht, nachdem er lang Geseufzt, endlich erfunden und gedichtet.(Singt) »Ein Käfer auf dem Zaune saß – Brumm, Brumm, »Die Fliege, die darunter saß – Summ, Summ, »Fliege, willst du mich heiraten? – Brumm, Brumm, »Ich gebe dir einen Dukaten – Summ, Summ.«

Don Juan. Halt, brauch Vernunft!

Leporello.    Vernunft? So muß ich sprechen, Denn Singsang bleibt doch ewig unvernünftig!(in das Fenster flüsternd.) Schläfst schon, Lisettchen? Nicht ein Wörtchen? – Ach, du schläfst also noch nicht. Und du schmollst mir? – O mein Hermelinchen, mein Püppchen, wie kannst du mir schmollen? (Zu Don Juan.) Die verwünschte Ratte schläft nicht, sonst wär sie schon längst aufgewacht und hätte mir geantwortet. Sie wacht und kokettiert mit ihrem Schweigen.

Don Juan. Woher kennst du ihren Namen?

Leporello. Ihren Namen? Eh, den les ich so aus ihrem Wuchs, aus ihrer Physiognomie – Herr, wie der Name, so sieht der Mensch aus, – Ihr glaubt nicht, was so ein Schall tut, – die Amalien sind lang und schwärmerisch, die Karolinen drall und pfiffig, die Julien voll und lebhaft, die Wilhelme, die Christiane, haben so etwas von viel gebrauchten Geldstücken, und sind abgeschabt, mager und bleich, – die Augusten neigen sich zum Braunen, – o Herr, bin ich ein Unglückskind, so ists, weil mich meine Eltern Leporello taufen ließen. (Wieder am Fenster.) Lisette! Schönste der Jungfrauen! Geliebteste! Eine Silbe! Nicht schlafen kann ich und nicht essen. Deine Schönheit, deine Tugend rühren mich zu Tränen.

Don Juan. Wie die Zwiebeln!

Leporello. Was ist deine Gebieterin gegen dich? Ein ärmliches Ding, ein Würmchen!

Don Juan. Spitzbube!

Leporello. Still – Paßt auf – das hilft – das glaubt sie!

Don Juan. Hast recht – die Mädchen machen es mit dem Glauben, wie die reichen Leute mit der Speise, – sie nehmen nur das zu sich, was ihnen angenehm schmeckt.

Lisette(drinnen). Pfui, Pfui! Wer lärmt da so unverschämt? Will er denn noch gar nicht aufhören, der böse Mensch?

Leporello. Hört Ihr? »Noch gar nicht aufhören!« – Sie hat mich schon lange gehört!

Don Juan. Sie schimpft! Das Schimpfen ist die Lärmglocke der Hetären!

Leporello. Ihr kennt die Praxis doch ich auch ein bißchen. (Einen Ring vom Finger ziehend.) Seht, so ein Reifen ist für Mädchenaugen des Zirkels Viereck, der echte Zauberring – die Beste gibt dreimal ihre Unschuld zu, wenn sie nur einmal einen Ehmann kriegt.

Don Juan. Die Ehherrn sollten künftig die Trauringe statt auf dem Finger in der Nase tragen, zum Zeichen, daß sie doch an der Nase geführt werden.

Leporello(am Fenster). Teuerste Lisette, kennst du mich denn nicht? Ach deinen Trauring hab ich dir mitgebracht, ich führe dich morgen zum Altar.

Don Juan. Ehdem führte man zum Altar Kälber und Schafe, um sie zu schlachten, jetzt die Mädchen, um sie zu heiraten. – Nichts Neues unter der Sonne!

Lisette. Graf Leporello –

Don Juan. Wie Kerl? Du hast dich für einen Grafen ausgegeben?

Leporello. Si Signore – Ich liebe stets als ein Graf.

Lisette. Graf Leporello – Täuschen Sie kein armes Mädchen; hüten Sie sich; so arm ich bin, ich bin doch eine Römerin; bei der Madonna, ich töte Sie, wenn Sie mich betrügen! – Warten Sie! Ich komme. – Wo ist der Ring?

Leporello. Hier, du Süße! Nimm ihn. Treu und echt ist meine Liebe, wie sein Gold! (Zu Don Juan.) Nicht bange, Herr; er ist von Kupfer und kostet nur sechs Pfennige, die ich mir aber morgen zu ersetzen bitte.

Lisette(den Ring nehmend). Ja Graf! ich steck es an, das Pfand der Treue, Und folge dir bis in den Tod!

Leporello.    Nun hab Ich dich – o glücklich Los. – O meine Mutter! Die macht dir Augen zu der Mißheirat – Die arme Frau, der Schmerz wird sie verzehren! Doch mag die ganze Welt zusammenbrechen, (Sie bleibt schon stehen, mir ist gar nicht bange!) Was kümmerts mich, wenn ich nur dich besitze! – Wo treff ich morgen Donna Anna am Gelegensten? Ich hab mit ihr deinthalb Zu reden.

Lisette.    Donna Anna wandelt morgen In ihres Vaters Garten.

Leporello.    Und wo liegt der?

Lisette. Am Tibertor, gen Osten.

Leporello.    Nun weiß ich genug. – Nur einen Kuß, Holdselige, zum Abschied.

Lisette. Du willst mich schon verlassen, Ungetreuer?

Leporello. Bis morgen nur, du Angebetete! Dann fahr ich vor mit Rossen und mit Wagen

Zweite Szene

Rom. Zimmer des Doktor Faust auf dem Aventin.

Eine Lampe brennt.

Faust(erhebt sich vom Schreibtische). Unselge Nacht, willst du denn nimmer enden? – Weh mir, sie hat erst eben angefangen – Noch schlugs kaum elf. Zurück zur Arbeit also. – – Zur Arbeit! Zum Studieren! Schmach und Jammer! Tödlicher Durst und nie gestillt! Sandkorn Zum Sandkorn sammeln, grenzenlose Und immer grenzenlosre Wüsten um Sich her zu bauen, und sodann darin Sich lagern, schmachtend und verzweifelnd! – Ha, Ein Raubtier wird man, bloß um sich zu nähren! Empfindungen, Gedanken, – Herzen, Seelen – Den Menschen und das Leben, – Welt und Götter, Ergreift es und erwürgt es sich zur Beute, Und schreit vor Zorn und Hunger, wenn es kaum Zehn Tropfen Bluts in ihren Adern findet. – Wer hat gestrebt wie ich? Wo ist der Pfad Der Kunst, der Wissenschaft, den ich nicht schritt? Weit ferner, kühner (ohne Rühmen darf Ichs sagen) drang ich darauf fort als all Die Herren, die beim ersten Meilenstein Umkehren, voll von ihrer Reise Wundern, Und als gelehrte, selbstzufriedne Toren, Von größern Toren angestaunt, sich brüsten! – Ich aber wanderte und wanderte – Es blieb die Sonne hinter mir zurück, Und nur ein paarmal merkt ich, daß sie trübe, Fast wie ein rotgeweintes Mutterauge, Mir durch die Nebel nachsah. Weg mit ihr! Es war ein schönres Licht, nach dem ich suchte! Und schau, da ist das Ziel: vor mir der Abgrund, In den die Ströme der Gedanken, des Gefühles, brausend niederschäumen, ohne Rückkehr, In dessen Brodem sich des Zweifels Hyder, Mit roter Zunge giftig flammend, windet Und mästet! –    Golgatha, Du Schädelstätte, wo das Licht der Welt Der Todesnacht sich hingab, daß es sie Verkläre – Auch dein Strahl dringt nicht hieher! – Du großes Buch, du Bibel (Fels des Glaubens sagt man), Von Varianten voll und Doppelsinn, Voll Weisheit und voll sonderbarer Sprüche, Mit keinem sichren Laubdach überwölben In diesem dunklen Sturm mich deine Blätter; Welk, trocken, fallen sie wie Laub des Herbstes, Und wenn ichs nicht im Innern spüre, führen Nicht tausend Bibeln, tausend Paradiese, Nicht alle Ewigkeiten mich zum Heil! – – – O, welche Flammenschrift brennt mir im Haupte? »Nichts glauben kannst du, eh du es nicht weißt, »Nichts wissen kannst du, eh du es nicht glaubst!« Kein irdscher Geist, der dieses Rätsel ahnt, Und nicht nach seiner Lösung seufzte, – Keiner, Der sie gefunden, – Selig die, die schwach Genug sind, um vom Schein geblendet, Schein Für Licht zu halten, – blindlings glauben, weil Sie blindlings hoffen! Die schlaftrunknen Seelen! – Doch lieber will ich unter Qualen bluten, Als glücklich sein aus Dummheit! – Erdball, Boden, In dem ich wurzeln muß, der mich geboren Ein ausgerißner, ausgedorrter Stamm Bin ich, wenn ich in deinem Mark den Fuß Nicht fassen, Kraft und Freude nicht draus ziehn kann, Wenn ich entwurzelt mich in jenen Abgrund, Der bläulich über unsren Scheiteln dämmert, Voll der bigotten Hoffnung stürzen soll, Daß dort in wüster Unermeßlichkeit Und Ferne, aufzufinden sei, was ich Im nahen, engen Raum nicht finde!     Nah! Was ist mir näher als das Vaterland? Die Heimat nur kann uns beseligen, Verräterei, die Fremde vorzuziehn! Nicht Faust wär ich, wenn ich kein Deutscher wäre! – O Deutschland! Vaterland! Die Träne hängt Mir an der Wimper, wenn ich dein gedenke! Kein Land, das herrlicher als du, kein Volk, Das mächtger, edler als wie deines! Stolz Und stark, umkränzt von grünen Reben, tritt Der Rhein dem unverdienten Untergang In Niederlandens Sand entgegen, – kühn Und jauchzend, stürzt die Donau zu dem Aufgang – Unzählge deutsche Adern rollen grad So stolz und kühn als Deutschlands Ströme! – Schau, Hoch über dem eiszackigen Gebirg Tirols, erhebt der Adler sich zur Sonne, Als wäre da sein heimatlicher Horst, – Die Berge schrumpfen unter seinem Blick Zu Stäubchen ein, – tief unten aber in Tirols beengten Tälern, schlägt für Kaiser Und für Ehre manches Herz weit höher als Der Adler wagt zu steigen –    Selbst dies Rom, Wer wars der diesen Käfig brach, in dem Die Nationen römisch erst, und dann Papistisch siegen lernten? Ha, hier war es, Wo Alarichs, des gotischen, wo Karls, Des fränkschen Landsmanns, wo der Hohenstaufen Siegsrauschende Paniere flatterten, Geliebkost von der heißen Luft, die einst Die Kön'ge tötete!    Hier ist es, wo Sankt Peters Kuppel sich emporgewölbt, Den Blick der Menschheit ins Endlose auf- Zufangen, – schmählich jetzt geborsten vor Dem Donnerrufe, der aus Wittenberg, Aus meiner Vaterstadt, aus Luthers Munde, All meiner Zeitgenossen größten, über Die Alpen furchtbar herklang!    – Und – doch o doch! – Auch Luther, du! den Wahn hast du verjagt, Zermalmt, zernichtet hast du wie der Blitz, Nur etwas andres, Wahrheit, die besteht, Beruhigt, hast du nicht gegeben – Offner Als je tut sich vor dem enttäuschten Auge Die Tiefe auf – Zertrümmern, mit den Trümmern Ein Trümmerwerk erbaun, das kann der Mensch, Das kann er mit den Körben oder Eimern, Durch die er Stein zum Steine, Tropfen trägt Zum Tropfen, die er Kunst und Wissenschaft Benennt!    Aus Nichts schafft Gott, wir schaffen ausRuinen! Erst zu Stücken müssen wir Uns schlagen, eh wir wissen, was wir sind Und was wir können! – Schrecklich Los! –    – Doch sei's! Es fiel auch mir und folg ich meinen Sternen! – Deutschland! Vaterland! – und nicht einmal Im Schlachtfeld konnt ich für dich kämpfend fallen – Du bist Europas Herz – ja ja, zerrissen, Wie nur ein Herz es sein kann!    – – Roma du! Dem Vaterland entfloh ich, als es mich Nicht konnt befriedigen, – Ich floh zu dir, In mir die ganze Menschheit aufzunehmen, Und mich in dem Genuß zu sättgen, – denn Du Rom! bist der zerbrochne Spiegel der Umfassendsten Vergangenheit, und Heldenbilder, Im Glanz des Blutes der Nationen und Der eingebornen Bürger funkelnd, tauchen Aus dieses Spiegels Scherben mehr und mehr, Je tiefer man hineinblickt, gleich den Sternen Aus dunkler Nacht! – Du bist die Stadt, wo sich Im Augenblick Jahrtausende verschmelzen:Papst auf dem Kapitol, und auf dem PantheonEfeu von gestern!    Roma, Herrscherin Der Welt! Weh, dreimal Weh ihm, der gleich mir Zu dir gekommen, daß du ihn erhebest! Die Reiche alle sanken hin vor dir zu Staub – Warum? weiß niemand! Denn du warst nicht besser Als sie! – Und als dein Schwert nun alles Dir errungen, fielst du auch mit allem wieder In Nacht und Barbarei – Aus dieser quoll Ein neues Blut, ein neues Licht hervor, – Umsonst hast du gestritten und gewürgt – Der Klang nur von zerrißnen Geistesfesseln, Die du um halb Europa wandest, ist Geblieben – Frankreichs, Spaniens, Italiens Sprachen!    Haben denn die Schlachten, Hat der Ruin der Völker nur den Zweck Von Märchen, die erfunden zur Belehrung? Sind Weltbegebenheiten weniger Als Weltgeschichte? Jammer über uns! Denn die Geschichte hat die Menschheit nie Gebessert! – Nur ein Don Juan vermag Inmitten unter der Zerstörung Lava An Millionen Blumen sich vergnügen, Und nicht bedenken, daß es viele zwar, Doch alle auch vergänglich sind, – daß wohl Zerstreuung, aber keine Sicherheit Und Ruhe da zu finden, wo die Eine, Die Unverwelkliche nicht blüht! –    So sei's denn! Länger ertrag ichs nicht! Ich sucht die Gottheit, Und steh am Tor der Hölle – doch noch kann Ich weiter schreiten, weiter stürzen, wär Es auch durch Flammen – Ziel, ein Endziel muß Ich haben! – Gibt es einen Pfad zum Himmel, So führt er durch die Hölle, mindestens Für mich –    Wohlan, ich wag es!         Nicht erlernt Ich die Magie, mit der ich an den Wurzeln Des Erdballs rütteln, Sterne löschen kann (Nur meine Zweifel nicht), auf daß sie nutzlos Als Theorie versaure – Ha, dort liegt Mein Höllenzwinger (ach! kein Herzbezwinger!)

(Windsbrausen hinter der Szene. Faust tritt ans Fenster.)

   Hum, Spürt ihrs, was ich beginne, Elemente? Bleich glänzt der Mond und furchtsam fliehn Die Wolken unter ihm dahin –

(Er tritt wieder zurück, nimmt den Höllenzwinger, einen mit Ketten umwundenen Folianten, aus dem Verschluß, und legt ihn auf den Tisch.)

   Laß fliehen! – Auf schlag ich es das Buch der Tiefe –

(Er schlägt den Höllenzwinger auf; sogleich erlöscht das auf seinem Tische brennende Wachslicht.)

Was da? Erlöscht das irdsche Licht? Meinthalben! Nichts konnt es bei zahllosen Nachtwachen, Am Pulte überstanden, mir erhellen – – Ein andres ewges Licht, aus jenen Schachten, Worin die Mittagssonne sich auf stets Verdunkeln würde, ruf ich mir zu Diensten! – Herauf, und leuchte mir!

(An der Stelle, wo Fausts Licht erloschen ist, steigt eine glutrote Flamme auf und leuchtet ihm während der ganzen folgenden Szene. Faust faßt sich, wie schwindelnd, an die Stirne.)

   Weh! Funken der Hölle! Bin ich verloren?    Mut! Mut! vorwärts!         (In den Höllenzwinger blickend.) Welche Schriftzüge! Ich, ich selbst wars, der sie malte – Und jetzt! – Verwünscht, der Mensch erkennt nur dann, Wann ers bereits getan hat, das was er Getan, und Teufelshände Sind öfters unsichtbar im Spiel! –

(Wieder im Anschauen des Buches verloren.)

– Wie giftiges Gewürme windet, dreht Sichs hier – dazwischen schwefelhafter Schimmer! – O Unheil und Verzweiflung! Was sind Tiger? Was sind Alligatoren, Krokodile? Nichts! nichts! 'ne Albernheit, ein wahrer Spaß Hiergegen! – Dampf umweht mich, den kein sterblich Gemüt erträgt!

(Vom Buch auffahrend und in die Leere starrend.)

   Ich sehe sie: die Pforten Der Hölle! Ehern, brennend heiß, – vom Feuer, Das hinter ihnen lodert, hoch gerötet Gleich glühnden oder überschminkten Wangen Der Jungfraun oder Huren! – Alles eins! Weh dem, der je zurückblickt! An klopf ich, bebt' die Erd auch auf! – Adieu Ihr Engel, lieben Kinder, gute Nacht! Fort mit den Träumen, womit ihr mich oft Umgaukelt habt und bitterlich getäuscht, –Erwachen, wissen, daß ich wach bin, will Ich, sei es auch durch Stich der Höllenqualen!

(Feierlich und sehr ernst, die Hand auf den Höllenzwinger gelegt.)

Satan! bei jenem Namen, welcher dir Allein gebührt, – vor dem du stets erbleichst, Der ewig donnernd dir im Herzen rollt, – Den nie ein Mensch gehört, – der größer ist Als du, der du ihn trägst, – der hier gezeichnet Steht, ruf ich dich, erschein, erschein und leist Mir deine Dienste! (Wieder in die Leere starrend.)    Ha! auseinander fahren Die Schreckenspforten! – Welch Gerassel! Ein Flammenstrom stürzt ein auf meine Brust – – Armselge Flammen, – ihr, ihr wärt's, mit denen Die Gottheit die Verruchten droht zu strafen? O meine Brust brennt heißer als wie ihr! – Doch schau! Da kommt es! kommt es! Eine Schlange Mit gelbem Auge, – schuppig, – mit dem Schweif Die Sterne peitschend und den Tartarus, Bewegt sich her – die Luft wird mir zu enge Ich kann nicht atmen – schon umklammert Das Ungeheur mein Haus, mich von der Welt Absondernd, wie der Meeresarm das fern Entlegne Eiland!

(Die Glocke schlägt zwölf Uhr nachts. Faust horcht auf.)

   Weh mir, dieses war Der letzte Klang, der hoch vom Turm, mir aus Der Menschheit Kreis entgegenschallt! – Sie hat Geschlagen, meine letzte, unter Menschen Menschlich verlebte Stunde!

(Es wird dreimal stark an die Tür gepocht, jedesmal begleitet von einem heftigen Donnerschlage.)

   Horch! das sind Die Glockenschläge, die ich fortan höre! – – – Er naht, der Feind! – Nicht Hülfe ruf ich! – Eher In Tod und Ohnmacht, als in Furcht! – Herein!

(Er stürzt ohnmächtig auf einen Sessel. Ein Ritter, mittleren Alters, bleichen Gesichts, nach Sitte des sechzehnten Jahrhunderts, jedoch durchausschwarzgekleidet, tritt herein.)

Der Ritter. Wie? in Betäubung fällt der stolze Rufer, Da wir uns nähern? Also viel Geschrei Und wenig Kühnheit – (den Faust rüttelnd)    Hund, erwache!

Faust(aus der Betäubung sich aufrichtend).    Wer – Wer nennt mich Hund? – Du Viper? Zittre vor Dem Fußtritt deines Herrn.

Der Ritter.    Herr, Herr, Ihr lagt Vor Eurem Knecht in tiefer Ohnmacht!

Faust.    Einmal, Und nimmer wieder! Nur mein Körper, nicht Mein Geist war schwach. Dein Anblick war abscheulich.

Der Ritter. Der Torheit! Nicht das Auge, nur der Geist Dahinter, sieht! Entschuldigt Eure Schwäche Nicht mit der reinen Brill in Eurem Haupte.

Faust. Wo denn die Trennung zwischen Geist und Körper?

Der Ritter. Eh ich Euch Antwort gebe, muß ich wissen, Wozu Ihr mich berieft? auf welcherlei Bedingungen?

Faust.    Wer mit dem Teufel dingt, Der wird betrogen.

Der Ritter.    Auch der weise Faust?

Faust. Er wird es darauf wagen.

Der Ritter.    Gut, so greift Das Nächste und erreicht dadurch die Ferne. Hier meine Hand – Nur nicht davor gezagt – Ihr seid ja kein Trabant von ihm, mit dem Sie einst gerungen hat, und ringen soll, Bis meine Herrschaft sieget oder seine!

Faust. Des Renommisten! Du bist längst besiegt!

Der Ritter. Besiegt? Ha, Frevler – –(Wieder mit Kälte und Ruhe.)    Ja, wir stürzten – Zufall Entscheidet oft das Los der Schlachten, – List Bewältigte uns auch, – Er wollte herrschen, Ich wollt es auch, der Gleichberechtigte – Doch ich war offen, und Er heuchelte – Er hieß die Fesseln »Liebe« und sieh da, Es waren Toren allerwärts, die über Dem Klang des Wortes den der Kette nicht Vernahmen – doch die Nacht ist unerschöpflich, Das Licht bedarf der Nahrung und erlischt Deshalb gar leicht aus Mangel. – Sterne, Sonnen Verkohlen, Liebe sättigt sich, – es dringt Das alte Dunkel, womit wir die Welt, So weit sie sich auch dehnt, umlagern, schnell Hervor, wo etwas einbricht. – Er muß sich Schon wieder wehren, und wir greifen wieder An! Dicht am Himmel, keinen Fingerbreit Davon entfernt, stehn unsre Throne. – Zeig Das Herz mir, sei's auch ausgestopft und glatt Gesalbt mit gleißendsten Erbauungen Des Katechismus, das in seinen Schlünden Nicht auch für uns ein winklig Plätzchen hätte!

Faust. Du sprichst von Finsternis, und ich will Helle!

Der Ritter. He, Doktor! ists die Nacht nicht, die das Licht Gebärt? Steh ich nicht hier, weil jener Schein, Womit sie Euren Horizont umfärben, Nur Blendwerk ist auf schwarzem Grunde?    Wollt Ihr jene Lava-Adern nicht erspüren, Die in der Nächte tiefster rollen, alles Entzündend, aber alles auch entzückend?

Faust. O welche Wonne! welcher Hochgenuß! Könnt ich euch fühlen, tiefste Pulse der Natur!

Der Ritter. Ihr sollt sie fühlen, Doktor – (für sich) wenn Du dir dabei den Finger nicht verbrennst.

Faust. Gewagt, gewonnen! Ewigkeiten weg Für Augenblicke! Lieber bare Münze Als zweifelhafte Schuldanweisung für Die Zukunft! Du bist mein in diesem Leben, Ich dein im Tode! –    Dafür aber fodr ich Die ganze Kraft, die dir als Cherub einwohnt, Fodr ich, daß du mit deinen mächtgen Flügeln Mich von des Wissens Grenzen zu dem Reich Des Glaubens, von dem Anfang zu dem Ende, Hinüber suchst zu tragen, – daß du Welt und Menschen, Ihr Dasein, ihren Zweck mir hilfst enträtseln, – Daß du (der Theorie nur halber, denn Die Praxis geb ich auf, seit ich mich dir Ergeben) mir, und wärs beim Schein der Flammen, Den Weg zu zeigen suchst, auf dem ich Ruh Und Glück hätt finden können!

Der Ritter.    Kleinigkeit! Sehr große Kleinigkeit!

Faust(für sich).    Zweideutler! 'ne Kleinigkeit – doch warum eine große?

Der Ritter. Doch erst ersuch ich dich (wir stehn ja nun Auf du und du) um ein paar Tropfen Bluts, Das Pakt zu unterschreiben. Hier Feder, Hier Papier!

Faust.    Alles bei der Hand? Viel Vorsicht!

Der Ritter(für sich). Und desto wen'ger Nachsicht!

Faust(verwundet sich an der Hand, und unterschreibt das Papier mit seinem Blute. Dann gibt er es dem Ritter zurück).    Nimm sie hin Die alberne Formalie.

Der Ritter(für sich).    Er ist mein!(Laut.) Nun sollst du –

Faust.     Soll? Sklav, welch frecher Ton? Was soll ich? Wer befiehlt mir?

Der Ritter.    Doktor, Meister, Ich lieg vor dir im Staube!

Faust.    Lieg und zittre! (Für sich.) Ha, Die Schlange! Krümmt sie sich nicht nieder, wie Zum Sprunge? O wie furchtbar wird sie sich Aufrichten, wenn die Zeit dazu gekommen! –

Der Ritter. Mein lieber Doktor, wissen willst du, was Das Glück ist? Glück ist die Bescheidenheit, Mit der der Wurm nicht weiter strebt zu kriechen, Als seine Kraft ihn trägt, – Glück ist es, gleich Dem Don Juan (von dem du viel magst lernen) Stets zu genießen und den Magen nicht Verderben, – Unglück ist es, daß dein Geist Zu schwach ist zur Verdauung irdischer Gesunder Speisen, und daher Luftbilder Aufschnappt –

Faust.    Und Glück ist es für Euch, Herr Ritter, Daß Ihr so traurig liegt vor mir am Boden, Daß ich mich schäme, für das geifernde Salbadern, das Ihr auskramt, Euch zu züchtgen. – – Elender Tor, was du da sprichst, das prüft Ich längst. – Wo denkst du hin? Gut weiß ich es: Die Hölle ist der beste Prediger Der Christenheit, – man fürchtet sie! – Doch nur Der aufgeblasne stolze Teufel selbst Kann wähnen, daß der Faust, vor dem er wimmert, Von ihm sich schrecken ließe!

Der Ritter.    Wimmert! Wimmert!Man wimmert auch nach Rache! – Wimmert! – O Ihr meine Hände reckt euch auseinander, Und packt ihn und durchkrallet seine Brust!

Faust.Ruhig! Droh mit den Tatzen nicht! Ich möchteDrauf schlagen! Noch bin ich der Herr! – Erfüll Das Paktum!

Der Ritter(sich erhebend).    Leicht geschehn! Du brauchst nicht weit Zu fliegen – willst du glauben, willst du lieben, Nun so verlieb dich in die Donna Anna, Das schönste Weib, das je in Rom gewandelt. Den ganzen Rummel hast du dann auf einmal: Denn wer verliebt ist, seufzt und hofft, und glaubt Und jauchzt!

Faust.    Entriß ich dich dem Schwefelpfuhl, Daß ich in eines Mädchens Kreis mich bannen, Daß ich Stecknadeln lösen sollte, statt Der Riegel, womit die Geheimnisse Des Alls verschlossen sind?

Der Ritter.    Es kommt die Stunde, Wo dir der Donna Anna Busennadel Weit mehr verschließt, als dir die Welt kann geben!

Faust. Hinweg! – die Welt durchgründet! – Hoch, die Kuppe Umstäubt von Sonnen, wie von Flocken Schnees, Erhebt sich über uns der Äther – Dunkel Und immer dunkler, ein schwarzfinstres Auge, Aus dem verborgne Tücke späht und droht, Tut sich die Tiefe auf –

Der Ritter.    Sie tuts! – Du bebst?

Faust. Was beben! Freude klopft in meiner Brust! Umfasse mich! – Hinunter zu der Hölle – dann Zurück zu der Gestirne Höhen! – Hat Die Tiefe festen Grund, so soll mein Fuß Ihn treten, hat die Höhe freie Aussicht, So soll mein Auge darin schwelgen!

Der Ritter.    Recht! Nur fürcht ich, daß dein Fuß am Grund Der Tiefe schwankt, und daß dein Auge, bei Der Aussicht von der Höhe, schwindelt.

Faust. Wer war es, der die Pulse der Natur Erst eben noch mir zeigen wollte?

Der Ritter.    Doktor, Ich war es! Doch bedenke, Menschlein, – nur In Übergängen wirds dir ungefährlich, Den Anblick der entschleierten Natur Zu tragen. Wenn du da, wo im Gewühl Die Sonnen fliegen, die Kometen lodern,Milchstraßen gleich Heerstraßen hin zum Thron Der Geisterfürsten flammen, plötzlich einsam Wirst wandeln, wird es, mit Vergunst zu sagen, Dir ohngefähr ergehen, wie der Katze Im Regenwetter. Ängstlich wirst du laufen, Mit trockner Pfote Obdach zu erreichen! Du wirst mir leid tun.

Faust.    Durch den Staub der Bücher Bin ich gekrochen, und bin nicht erstickt –Frei atm ich in der Glut des Firmaments! – Dein Mitleid spar – ich mags nicht – hab ich Leid, So solls mein eignes sein – ein fremdes würd Es nur verdoppeln, Ritter!

Der Ritter.    Kräftig Gesagt! – So faß mich! – Schau, mein Mantel weht Um dich gleich einem Rabenfittig – Treu Wird er uns in der Schwebe halten – Erde Zur Seite! – Horch, es nahen Tritte – Erst Hinunter, dann hinauf, wie du geboten!

(Er versinkt mit Faust. Der Gouverneur, Don Octavio und Diener treten ein.)

Der Gouverneur. Das ist des Zauberers Gemach. – Ha, welch Ein Dampf! Ein Dämon muß es sein, der hier Geatmet hat!

Don Octavio.    Wie Pesthauch qualmts!

Der Gouverneur.         Faust ist Verschwunden. – Hat das Zimmer einen Ausgang?

Don Octavio. Ich sehe nur die Tür, durch die wir kamen.

Der Gouverneur. So fuhr er zu der Hölle!

Don Octavio.    Vater, bleich Und bleicher werdet Ihr!

Der Gouverneur.    Auch du erbleichst!

Don Octavio. Hier ist nicht gut sein – Fort!

(Während er den Gouverneur wegfährt, wendet er sich noch einmal um zu den Dienern.)

   Die Fenster öffnet! Beinahe glaub ich selbst an Zauberei.

(Alle ab.)

Zweiter Akt

Erste Szene

Rom. Garten des Gouverneurs.

Don Juan und Leporello treten auf.

Leporello. Ach, Herr, schon ist es vier Uhr nachmittags, Und immer kommt sie nicht. Es wäre besser, Wir gingen heim, und schliefen aus vom Spiel Und Schwelgen der verflossnen Nacht.

Don Juan.    Ausschlafen? Ha, siehst du diesen Garten, diesen Himmel? Wie dunkelblau der Äther, und wie hell Die Sonne, gleich dem Diamant im Finstern! Kein Wölkchen zu erblicken! – Ach, wie herrlich – Trauriges Auge, das hier schlummern kann – Ein umgestürzter Becher voller Lust und Kraft Umwölbt der Himmel uns, berauschend uns Und die Natur. Wie rot und trunken brennen An dem Gebirg die Trauben!

Leporello.    Und wie zierlich funkeln Der Winzerinnen Backen zwischen durch! Der netten Winzerinnen, hochgeschätzt, Die Waden prall, den Fuß so fein und flink – – Das Wasser läuft mir in den Mund. –

Don Juan.    Der Tag Ist wundervoll – selbst die Ruinen strahlen In seinem Schimmer wie verklärte Geister – Solch einen Herbst trifft man in Rom nur an – In Siegeskleidung, ähnlich römischen Altvordern, hüllt sich das Gefild, bevor Es hinstirbt. – Wie ein goldner Rahmen, der Das schönste Bildnis, Donna Anna, soll Empfangen, liegt da die Natur.

Leporello.    Sie kommt! Sie kommt! Ein weißes Damenkleid blinkt durch Das Grün des Parkes – O Lisette! die Lisette ist nicht bei ihr! Desto sichrer Treff ich sie in der Kammer, und Vorsichtge Liebe liebt verschloßne Türen.

Don Juan. Sie kommt! sie naht! Was rauscht am schönsten?

Leporello.    Geld Im Beutel!

Don Juan.    Das Gewand der Geliebten!

Leporello.         Freilich So lang als Ihrs noch nicht – Ihr laset noch Kein Buch zum zweiten Mal.

Don Juan.    Mach fort! da ist Sie! Sie!

Leporello. Das arme Mädchen, wenns sich läßt betrügen!

Don Juan. Ich liebe sie!

Leporello.    Ihr lieben? – Nun, dann sagt doch: Wer ist es, der Kalbsbraten, Mädchen, Wein, Und Tanz, und alles was gut schmeckt, gut Aussieht, so liebt, daß er bei dem einen Das andre gleich vergißt, zum Beispiel bei Dem Duft des Bratens der Geliebten kaum Noch denkt? – Fragt die Studenten Salamancas, Ob sich ein Liebender so aufführt – Mir Hat Euer junger Vetter, Sennor Pedro, Einstmals gesagt: Ihr liebtet nie, Ihr kenntetGenuß und Phantasie nur!

Don Juan.    Was? Nur Phantasie wär meine Liebe?

Leporello.    So Sagt Euer Vetter!

Don Juan.    So ist Phantasie Tausendmal besser als die Wirklichkeit! – – jetzt geh fort!

(Leporello entfernt sich, Donna Anna kommt, ohne Don Juan zu bemerken; er tritt auf die Seite.)

Donna Anna.    Glänzend, augenblendend Der Tag – so trüb der Busen – – Nah die Hochzeit, So fern die Seligkeit – Mich faßt ein Schwindel, Wenn ich, den heitren Brautkranz in den Locken, Zufällig im kristallnen Bach mein Bild Erblicke – Grünt der Kranz noch lange fort, So sind es meine Tränen, die ihn frisch Erhalten! – Weh, ich weiß, was meine Seel umdüstert! Noch gestern nacht hört ich sein Schwert erklingen Und seine Stimme tönen. – Und sei Er der Gott Der Hölle, dir Octavio bleib ich treu! Du hast mein Wort! Dich will, dich muß ich lieben, Und sollt ichs dadurch lernen, daß ich mir Das Herz zerbräche – Liebe weniger Als Ehre! –    Ach, wie müd bin ich! Das Rauschen Der Hochzeit, ihre weißen Prachtgewänder, Wie donnerlaute weiße Wetterwolken, Die gegen Mittag an dem Horizont Aufsteigen, um sich abends zu entladen, Schwebt das mir vor – ich bin erschöpft, wie vorm Gewitter – könnt ich schlummern und mein Auge Zuschließen! – Ach es lächelt doch nicht wieder!

(Sie setzt sich auf eine Rasenbank, wie zum Schlummer.)

Don Juan. – Was hört ich? Lieb' zeugt Liebe! Und tut sie's Auch nicht, so wüßt ich noch ein sichrers Mittel:Verachtung! Denn Verachtung zu ertragen, Dazu ists Weib zu eitel – – Ha, sie liebt mich! Nur Tugend, Treu, schützt sie entgegen. – Was Ist Eisen im Schmelzofen, und was ist Tugend Bei dem Verliebtsein? Tugend wirft man schon Zu Boden, wagt man mutig nur den Angriff – Bei Weibern gar ist sie nur eine Art Koketterie, die unsren Sieg versüßt. Der Unschuld Bestes ist, sie zu verlieren. 'ne Art Instinkt lehrt das die Damen, – auch Die Donna Anna fühlt davon ein bißchen!(Er tritt zur Donna Anna.) Erwache, Holde!

Donna Anna(aus ihrem Schlummer aufblickend).    O Madonna! – Er! – Er selbst! – Fort Frevler! Warum willst du mich umgarnen? He, Diener! Diener!

Don Juan.    Deine Diener sind Nicht nah! – Verzeih, zum Schlummer senkte sich Dein Augenlid – Ich konnts nicht tragen – Denn Wenn du dein Auge schließest, so ists Nacht Um mich!

Donna Anna.    Hinweg! Du schreckest mich!

Don Juan.         Nur wo Du atmest, leb ich. In die Wüste stöß'st Du mich, wenn du mich von dir weisest.

Donna Anna.    Ha, Betrüger!

Don Juan.    Weder Gott, noch alle Hölle Vertreiben mich von dieser selgen Stelle!

Donna Anna. Octavio! Octavio!

Don Juan.    Der Zierling! Bei meinem Arm, ich töte ihn, weil du An ihn gedacht!

Donna Anna.    Abscheulicher! Verwegener!

Don Juan. Er preise sich! Denn daß dein Mund ihn nannte, Die schönste Grabschrift ists, die einem Mann Je ward!

Donna Anna.    Des Lichtes Engel, werdet ihr Auch ungetreu? Und rafft der Stürme Tosen Gleich Wolkenbildern euch dahin? Ich weine, Ich lächle – hasse ihn, ja hasse dich mit Recht!

Don Juan. Mich hassen? – Mich, der darin einzig sündigt, Daß er von deiner Schönheit Strahl getroffen, Ein Aar, der freien Flugs im Äther schwebte, Geblendet nun zu deinen Füßen stürzt? – – Doch hasse nur, denn auch der Haß wird lieblich, Wenn es der deine ist!

Donna Anna.    Zurück! Du trügst Mich nicht! Nicht Liebe, – Abgrundsflamme ists, Die in dem Aug dir lodert – Sie versengt Mein Herz – Doch – Weh mir! – brenn es auch zu Asche, Ein Opfer sei's, das ich der Lieb und Treue bringe – – Nehmts gnädig auf, ihr guten Genien!

Don Juan. Du hättest je Octavio geliebt?

Donna Anna. Wer gibt dir Recht, mich darum zu befragen?

Don Juan. Unselge, dich willst du und mich vernichten – Den Schein bewahren, und der Wahrheit widerstehn – Mein Tod ists und der deinige! Dein Wort Hast du Octavio gegeben – Soll Das Wort, soll dieses Eis, womit Du deine Freiheit fesseltest, als noch Der Liebe Feuer dir nicht glänzte, dich Auch jetzt noch binden, da der Lebensfrühling Mit seiner jungen Sonne zauberkräftig Hoch über unsre Häupter tritt? – Wie der Gebirgswald, wenn der Wind des Sommermorgens Wollüstig sich in seinen Wipfeln schaukelt, Mit allen seinen Blättern aufrauscht, selbst Den tiefverstecktesten, und wie in ihm Die Vögel dann, des Tages Strahl begrüßend, Mit tausendfältigem Gesang erwachen, So regt ein neues Dasein unsre Pulse! – Ich flehe dich, ich fasse deine Hand, Sprich Leben oder Tod, mit einem Wort, Mit einer Silbe sags, ob du mich sterben sehn, Ob du mich lieben willst?

Donna Anna.    Ich liebe dich, Und damit lebe wohl! Nie, Furchtbarer, Werd ich die Deinige!

Don Juan.     Du liebst mich? Schau, In Lichter Glut flammt meines Lebens Nacht Empor, berührt vom ersten Strahl des Morgens! Die Sterne all, die früher einzeln mir Geleuchtet, schwinden hin vor dieser Pracht!

Donna Anna. Ach, nicht des Morgens freundlich Licht, nein, es Sind Blitze, die blutroten Flügelschlags Zerschmetternd und enteilend, diese Stunde, So schwül wie keine, uns erhellen.

Don Juan.    Senk nicht Dein Haupt und fürcht dich nicht vor Blitzen! Die Liebe macht dich herrlich und nicht schuldig: In kaiserlich Gewand, in Purpur hüllt Sie deine Wange!

Donna Anna.    Don Juan, ich wollt, Daß ich im tiefsten Grabe ruhte!

Don Juan. Geliebte, weine nicht; voll Wollust küß Ich sonst der Tränen diamantenes Geschmeide auf, und glaube mir, daß sie Als echte Edelsteine mir das Herz Zerschneiden würden! (Er will sie umarmen.)

Donna Anna.    Wag es nicht, mich zu berühren – Bei Gott, du stürbest oder ich. Der Liebe Kann ich nicht wehren, doch die Ehre rett ich!

Don Juan. Entfliehe nicht. Wohin du fliehst, da folg Ich als Besiegter.

Donna Anna.    Nicht das Schiff flieht bänger Vorm Hauch des Sturms dahin, als ich vor dir!

Don Juan. Bin ich ein Sturm? – O lächle, lächle nur Einmal, und wie du lächelst, wird das Meer, Das meine Brust durchtobt, sich ebnen, um Dein Lächeln nachzuspiegeln, – wird die Wolke, Die meine Stirn umdüstert, fortfliehn wie Ein schwerer Traum beim seligen Erwachen!

Donna Anna. O könnt ich diesen Traum doch nur weglächeln!

Don Juan. Jetzt erst begreif ich, was der Tod ist – Er schließt das Leben, öffnet den Olymp! Bei deinem freudgen Blick, dem Todesengel, Erstirbt vor Schmach und Alter das Vergangene, Und tritt an dessen Stell ein neues Eden. Wer dir ins Auge sieht, der trinkt vom Lethe!

Donna Anna. Verführer! Höchster Schmerz und höchstes Glück Umarmen sich, wenn ich dich seh, dich höre!

Don Juan. Seit Anbeginn der Welt sind Leid und Freud In Wort und Tat vermählt – Die treuste Ehe, Die je gewesen. Darum zag nicht –

Donna Anna.    Heil! Da naht Octavio!

Don Juan(für sich).    Verflucht, ich war Im besten Zuge. Meinem Mund entströmten Die Bilder dutzendweise. – (Laut.)    Fräulein, Gott Befohlen – jener Don erregt mir Brustkrampf. – Wir sehn uns wieder.

Donna Anna.    Nimmer!

Don Juan.         Doch! Gewiß!(Für sich.) Der Herr Octavio hat mich nicht gewahrt – Er kommt langsamen bürgerlichen Schrittes. Zur Seite tret ich in dies Lustgebüsch