Schleichender Blackout - Valentina Kerst - E-Book

Schleichender Blackout E-Book

Valentina Kerst

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Beschreibung

Ein digitaler Blackout in Deutschland kann Folge eines Angriffs sein – aber auch Folge einer maroden Infrastruktur. Deutschland rangiert bei der Digitalisierung weit unter dem EU-Durchschnitt, und eine umfassende Digitalisierungsstrategie ist nicht in Sicht. Valentina Kerst und Fedor Ruhose sehen die Gefahr, dass der Staat den digitalen Anschluss verpasst und als Garant guter Verwaltung und sicherer Netze ausfällt. Das Autor:innen-Duo stellt ein konkretes Programm für eine gestaltende Digitalisierungspolitik vor, die Deutschland sicher aufstellt, einen Blackout verhindert und Teilhabe für alle garantiert. Das Digitale durchdringt inzwischen Gesellschaft, Medien, Sicherheit, Gesundheitswesen, Verwaltung und Wirtschaft; kurz: unser demokratisches Gemeinwesen. In Deutschland findet jedoch eine stückweise Digitalisierung »ohne Sinn und Verstand« statt, so die Autor:innen, etwa wenn Netze nicht gesichert werden oder die Infrastruktur nicht zukunftsfest ist. Gleichzeitig entstehen große Risiken durch Abhängigkeiten von globalen Konzernen und damit für unsere Demokratie. Ohne digitale Geschäftsmodelle und Infrastruktur gerät unsere Wirtschaft ins Hintertreffen und es entstehen Angriffsziele im Cyberraum. Wie können wir das verhindern? Und was ist jetzt zu tun?

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Valentina Kerst — Fedor Ruhose

SCHLEICHENDER

BLACKOUT

Wie wir das digitale Desaster verhindern

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet

über http://dnb.dnb.de abrufbar.

ISBN 978-3-8012-0658-1 [Printausgabe]

ISBN 978-3-8012-7048-3 [E-Book]

Copyright © 2023 by

Verlag J. H. W. Dietz Nachf. GmbH

Dreizehnmorgenweg 24, 53175 Bonn

Umschlag: Birgit Sell, Köln

Satz: Rohtext, Bonn

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH, 2023

Alle Rechte vorbehalten

Besuchen Sie uns im Internet: www.dietz-verlag.de

DIETZ & DASDer Podcast zu Politik, Gesellschaft und GeschichteAuf allen Podcast-Plattformen abrufbar.

Inhalt

Einleitung

1. Deutschland auf dem Weg in den schleichenden Blackout

Der Weg in die digitale Moderne – und warum Deutschland ihn nicht findet

Digitalisierungsblackout – auch eine Gefahr für die Wirtschaft

Schleichender Blackout wegen »Arbeiter: innenlosigkeit«

Ohne digitale Infrastruktur kein »digitaler Aufbruch«

2. Digitale Unsouveränität – wie sie die Demokratie gefährdet

Organisation des Staats – so kann sie nicht digitalisiert werden

Zwei Digitalrisse in unserer Gesellschaft

Rezepte nicht digital: Woran der digitale Sozialstaat scheitert

3. Angriffe auf Infrastruktur und aus dem Cyberraum – die Gefahr des digitalen Blackouts

Kommunalverwaltungen unter Druck

Demokratie unter Beschuss

Russland, Medienwandel und der Blackout

Verletzlichkeit unserer Kommunikationsinfrastruktur

Fehlende Sicherheitskultur

Unser eigenes Verhalten ist das Problem

Mit Rebound-Effekten in den grünen digitalen Blackout

Digitalisierung des Staates ohne Sinn und Verstand trifft auf unreflektierte Digitalisierung im Privaten

4. Für eine Digitalisierung der vielen Möglichkeiten

Die Bürger:innen – Erwartungen der Deutschen an die Digitalisierung

Europa – den Schwung nutzen

Der Digitalisierung eine Richtung geben

Umorganisation – vom Wimmelbild zur Governance

5. Plattformstaat – der resiliente Staat

Eine Plattformstrategie für den Staat

Eigenleistungsfähigkeit – neues/altes Ziel staatlicher Verwaltung

Der Staat im Web3?

Der resiliente Staat: digital und analog

In einem Digitaldialog mit der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten

6. Unser Programm für einen Weg aus dem digitalen Desaster und für den digitalen Aufstieg

Was im Fall des digitalen Blackouts getan werden muss

Wir brauchen ein Notfallprogramm gegen zu wenig Digitalisierung

Nicht jedem Trend hinterherrennen, sondern kompetent entscheiden

Digitalisierung heißt, vieles anders zu machen

Die Weisheit der vielen nutzen

Wir brauchen den digitalen Sozialstaat

Wir brauchen einen Zukunftspakt Digitale Infrastruktur

Europäische Schritte vereinbaren, Strukturen gemeinsam sichern

7. Digitalisierung braucht Optimismus und Realismus, damit sie funktioniert

Literatur

Über die Autorin und den Autor

Einleitung

Die Ziele sind ehrgeizig. Deutschland soll endlich einen digitalen Aufbruch erleben. Dafür ist wichtig, dass auch der Staat digital wird. Nicht nur die an vielen Stellen bemühten Lehren aus der Corona-Pandemie zeigen deutlich, wo unsere Aufgaben liegen. Für Bürger:innen geschlossene Verwaltungen, Schulen, die mit Hochdruck Distanzunterricht in digitaler Form aufbauen mussten, Unternehmen, die unter dem schleppenden Aufbau digitaler Infrastruktur litten. All das zeigt sehr deutlich, dass wir in Deutschland Schritte gehen müssen, digitale Anwendungen zu nutzen.

Doch bisher gilt: Deutschland digitalisiert sich ohne Sinn und Verstand. In Staat und Verwaltung wird vor allem das seit Jahrzehnten gebräuchliche Verwaltungsmodell »elektrifiziert«: Die ehrgeizigen Vorgaben des Onlinezugangsgesetzes (OZG), dass in Deutschland alle staatlichen Leistungen digital verfügbar sein sollen, ist gerade erst an der Realität zerschellt. Sein Absolutheitsanspruch hat im Ergebnis dazu geführt, dass die Bürger:innen zum Stichtag nur eine Handvoll Leistungen flächendeckend digital nutzen können. Auf solchen Wegen wird Digitalisierung aber zum Selbstzweck, es wird digitalisiert um der Digitalisierung willen. Wenn wir den Weg einer ungesteuerten Digitalisierung nicht in einen Pfad der gesamtgesellschaftlichen digitalen Transformation verwandeln, gerät Deutschland weiter ins Hintertreffen und unser Wohlstandsmodell in Gefahr. Am Ende stehen die Abhängigkeit von großen Tech-Konzernen und die Aushöhlung der digitalen Daseinsvorsorge. Diese Abhängigkeit kann dazu führen, dass wir die Kontrolle abgeben und am Ende auch unsere Demokratie Schaden erleidet. Dann beschreiten wir den Weg eines schleichenden Blackouts aufgrund fehlender Digitalisierung. Wir müssen die 2020er-Jahre zur digitalen Transformation unseres Staates nutzen.

Wir nutzen den Begriff Blackout – oder Schwarzfall – in Bezug auf Fehlentwicklungen bei der Digitalisierung mit Bedacht. Natürlich kommt er aus der Diskussion um unsere Stromversorgung. Blackout beschreibt in der Definition der Bundesnetzagentur ein unkontrolliertes und unvorhergesehenes Versagen von Netzelementen. Die Folge ist, dass größere Teile oder das gesamte Netz ausfallen. Auch wenn die Bundesregierung solche Katastrophenszenarien mit guten Argumenten für unbegründet hält, setzt die neue Weltlage neue Sorgen bei den Menschen frei. Das gilt erst recht für eine digitaler werdende Welt. Daher müssen wir uns über die Abhängigkeiten von Strukturen klar werden und uns mit Lösungen beschäftigen.

Schleichender Blackout mutet zunächst widersprüchlich an. Wir drücken damit aber aus, dass wir uns aktuell auf einem Pfad befinden, auf dem wir – ähnlich unserer Versorgung – lange nicht merken werden, welche strukturellen Probleme bestehen, um dann vor einem unkontrollierten und unvorhergesehenen Versagen unserer digitalen Anwendungen oder Infrastrukturen zu stehen, und zwar unvermittelt und unvorbereitet.

Sich zu rüsten, ist daher wichtig, Probleme anzusprechen und Strategien zu entwickeln essenziell für unsere gesellschaftliche Resilienz. Dieses Wort ist aktuell in aller Munde. Wir verstehen darunter unsere gemeinsame Fähigkeit, Krisen nicht nur zu überstehen, sondern uns als Gesellschaft neuen Begebenheiten und Situationen anzupassen und unsere Abwehrmechanismen so aufzustellen, dass wir Veränderungsprozesse auch aktiv gestalten können. Resilienz, der Begriff aus der Psychologie entliehen, beschreibt den Prozess, mit dem Menschen erfolgreich auf Veränderungen oder unerwartete Probleme reagieren und dass sie ihr Verhalten anpassen. In jüngeren Forschungen über die Resilienz von Gesellschaften (instruktiv Brunnermeier 2021) wird dieses Konzept auf Gemeinschaften und den Staat übertragen.

Es wird immer deutlicher, dass die Digitalisierung alle Bereiche des Lebens betrifft. Auf dem Weg in die digitale Gesellschaft stellen uns verschiedene Trends heute die Aufgaben, zu resilienten Strukturen zu kommen. Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft müssen Abwehrmechanismen entwickeln, damit wir Krisen abfedern und gestärkt aus ihnen hervorgehen können. Das ist eine große Aufgabe, vor allem, weil bei der Digitalisierung zugleich gilt, dass ein Blackout sowohl wegen zu wenig Digitalisierung als auch wegen zu viel Digitalisierung entstehen kann. Wir stehen also an einer Weggabelung: Blackout oder Take-off?

Darum geht es in diesem Buch:

Unsere staatliche Verwaltung muss sich digital transformieren, um mit dem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt mitzuhalten. Als digitale Transformation beschreiben wir die vielfältigen Wandlungsprozesse, denen sich Staat, Wirtschaft und Gesellschaft gerade an allen Ecken und Enden gegenüberstehen. Dabei ist die Transformation, also der Wandel unserer Arbeitsweise und Produktionsstrukturen, für sich bereits eine Herausforderung. Hinzu kommt die Digitalisierung, die ein eigener starker Auslöser für Veränderungen in diesen Bereichen ist. Besonders in dieser Kombination sind wir gefordert, kluge und effektive Antworten zu finden. Alternativ droht ein Blackout, weil wir das nicht schaffen und uns in schwierige Abhängigkeiten von anderen Ländern und wenigen mächtigen Unternehmen begeben, die die Tech-Märkte beherrschen. Sprich: Die aktuell dominierenden amerikanischen Unternehmen wie Alphabet (vormals Google), Meta (vormals Facebook), Microsoft, Amazon und Apple haben eine so starke technologische Dominanz entwickelt, dass kaum eine: r an ihnen vorbeikommt. Eine Verwaltung auf digitaler Augenhöhe mit den Tech-Unternehmen ist zentral, um unsere Demokratie zu sichern, auch im Kontrast zu digitaldespotischen Ländern. Dabei sind wir uns bewusst, dass es sich hier um zwei »Fronten« handelt, die selten zusammen betrachtet und für welche kaum Lösungsansätze erarbeitet werden. Dennoch: Zu wenig Digitalisierung, wie wir sie im Jahr des Erscheinens dieses Buches leider noch vorfinden, führt unmittelbar in das digitale Desaster. Die Frage, wie wir dies verhindern, nimmt daher auch viel Raum ein. Denn die Wirtschaft und unsere Gesellschaft sind darauf angewiesen, dass wir Tempo aufnehmen und mit Qualität digitalisieren. Gleichzeitig zeigen uns Ereignisse wie die russische Einflussnahme auf den amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf oder der Hackerangriff auf den Deutschen Bundestag, wie ausgesetzt unser demokratisches Staatswesen den negativen Seiten der Digitalisierung ist. Wollen wir nicht die Auswirkungen erleben, die mit einem erfolgreichen Angriff einhergehen und die einige deutsche Kommunen auch schon durchleiden, müssen wir den Staat in die Lage versetzen, Krisen zu antizipieren und auf Unvorhergesehenes so zu reagieren, dass soziale Verwerfungen vermieden werden. Wir müssen ihn also resilient aufstellen.

Unsere Gesellschaft hat enorme Vorteile von den digitalen Möglichkeiten. Kommunikation, gesellschaftliches Miteinander und zivilgesellschaftliches Engagement profitieren immens von digitalen Tools, sozialen Medien und der Möglichkeit, sich in Echtzeit über komplexe Datenmengen auszutauschen. Wenn wir hier nicht Schritt halten und diese neuen Formen des Zusammenlebens fördern, werden sich negative Tendenzen wie Einsamkeit in alternden Gesellschaften verschärfen und gleichzeitig neue Chancen für einen resilienten Umgang in Krisen- und Katastrophenlagen nicht ausgeschöpft. Unser Ziel sollte es sein, dass wir die Menschen dazu befähigen, das Internet für positive, zusammenbringende Projekte zu motivieren. Gleichzeitig führt das veränderte Medienverhalten zu neuen Konflikten und an manchen Orten in den sozialen Medien zur Rückkehr in archaische Gesellschaftsformen. Aus dem Mitmach-Internet ist eine Enttäuschung erwachsen, die vielerorts sogar dazu führt, dass sie politisch und gesellschaftlich nicht mehr gestaltet werden kann oder möchte. Dies hat Gründe, die sich durch unterschiedlichste Aspekte der letzten Jahre ergeben haben, auf die wir in diesem Buch ebenfalls eingehen werden. Auch hier droht die Gefahr eines Blackouts aus zwei Richtungen. Gleichzeitig diskutieren wir zu wenig über die neuen Möglichkeiten des technischen Fortschritts. Wir leben in exponentiellen Zeiten. Informationen zu jeglichen neuen Entwicklungen erreichen uns nicht mehr in Tagen, sondern in wenigen Minuten. Jede neue Information erfordert eine neue Beurteilung der Lage. Entwicklungen wie Künstliche Intelligenz oder Unabhängigkeitsstrategien für Rohstoffe müssen auch ethisch bewertet werden. In unserer alternden Gesellschaft findet sich der Dualismus insbesondere bei der Gestaltung eines digitalen Gesundheits- und Pflegewesens. Wie ungleich größer ist das Potenzial für unser Zusammenleben, wenn wir Digitalisierung zur Entlastung in diesen zentralen Bereichen einsetzen. Gleichzeitig zeigt der Blick nach China, wie digitale Tools helfen, Gesellschaften über soziale Metriken zu kontrollieren. Findet hier also eine Durchdringung ohne Sinn und Verstand statt, droht ebenfalls eine digitale Katastrophe – und zwar für die ganze Gesellschaft.

In unserer Wirtschaft bildet sich ein ähnlicher Dualismus ab: Die Potenziale der Industrieproduktion der Zukunft hängen in der Wissensgesellschaft klar davon ab, wie gerade der deutsche Mittelstand seine Geschäftsmodelle in die digitale Moderne transformieren kann. Wo dies nicht oder auch nur nicht schnell genug geschieht, drohen der Verlust von Wohlstand und das Ende deutscher Erfolgsgeheimnisse. Der deutsche Internetknotenbetreiber DE-CIX hat in einer Umfrage herausgefunden, dass die Einschränkungen durch schlechte Internetverbindungen durchschnittlich 46 Minuten in der Woche betragen. Was sich zunächst nach recht wenig anhört, summiert sich allerdings in einem Jahr auf 35 Stunden und damit auf eine komplette Arbeitswoche. Insbesondere betrifft dies Menschen, die klassische Bürotätigkeiten durchführen. Hochgerechnet kann hier ein fünfstelliger Verlust pro Jahr für ein mittelständisches Unternehmen zusammenkommen. Ein Blackoutszenario droht in unbekanntem Ausmaß. Wer aber digital aufgestellt ist, kämpft mit Bedrohungslagen entlang seiner gesamten Wertschöpfungskette, die aufgrund der Digitalisierung entstehen. Gezielte Angriffe im Cyberraum über einfache Ausfälle der digitalen Netze schon in kleinen Bereichen sind hier Szenarien, die sehr starke Auswirkungen auf einzelne Unternehmen und ganze Branchen haben. Sind auch noch zentrale Stellen in der Wirtschaft betroffen, dann zeigt sich unmittelbar, wie verletzlich unsere vernetzte Wirtschaft mittlerweile geworden ist. Das ist die dramatische Kehrseite digitaler Erfolge in einer global agierenden Wirtschaft.

Sozusagen als verbindendes Element unserer digitalen Gesellschaft müssen die digitalen Infrastrukturen den Anforderungen der digitalen Moderne genügen. Wie wichtig diese Lebensadern für unsere Gesellschaften sind, hat die Corona-Pandemie wie unter dem Brennglas gezeigt. Regionen ohne schnelles Internet haben schwieriger in den Pandemiemodus finden können als andere, die infrastrukturell besser ausgestattet waren. Gleichzeitig nimmt die Bedeutung der Netze für die Lebensqualität zu und unter Gesichtspunkten der Sicherung gleichwertiger Lebensverhältnisse muss hier ein Schwerpunkt gesetzt werden. Sonst ist man im Blackout, weil gar nichts vorhanden ist, was ausfallen könnte. Umgekehrt zeigt sich bei Naturkatastrophen oder gezielten Angriffen, was passiert, wenn das Internet nicht mehr funktioniert, alle Kommunikationswege gestört und die digitalen Anwendungen nicht mehr eingesetzt werden können.

Darauf die richtigen Antworten zu finden, bedeutet, zwischen dem technisch Machbaren und dem gesellschaftlich Erwünschten die richtige Balance zu finden:

• Zwischen den Möglichkeiten, die der Einsatz von Künstlicher Intelligenz verheißt, und der Angst vor der Mensch-Maschine.

• Zwischen der Goldgräberstimmung der Datenökonomie und den Schranken des Datenschutzes.

• Zwischen neuen digitalen Abhängigkeiten und digitaler Souveränität, also einer selbstbestimmten Nutzung der digitalen Möglichkeiten.

Damit das gelingt, müssen wir aus bisherigen Fehlern lernen, manche eingeschlagenen Pfade verlassen und uns strategisch besser aufstellen.

1. Deutschland auf dem Weg in den schleichenden Blackout

Deutschland läuft Gefahr, in einen schleichenden Blackout zu geraten. Als eine hoch differenzierte Gesellschaft ist eine funktionierende und gute Verwaltung unsere Basis, die unser Zusammenleben strukturiert und wichtige Funktionen auch für unsere wirtschaftliche Entwicklung hat. Diese Aufgabe wird in Krisensituationen wichtig, und wir merken oft erst, wie zentral eine funktionierende öffentliche Verwaltung ist, wenn sie nicht funktioniert.

Und obwohl wir aus einem Jahrzehnt der Entstaatlichung kommen, wie Peter Bofinger (2009) die Nuller-Jahre des 21. Jahrhunderts bezeichnete, sind die Ansprüche von uns an den Staat und die dort arbeitenden Menschen besonders hoch, wenn nicht gar aufgrund der aktuellen Krisen noch gewachsen. Wenn schon eher neoliberal argumentierende Institutionen wie der Nationale Normenkontrollrat (2021: 1) festhalten, dass »(o)hne eine kluge Politik und eine leistungsstarke Verwaltung … dauerhaft kein Staat zu machen (ist)«, zeigt sich, wie wichtig die Funktionsfähigkeit unserer staatlichen Institutionen ist.

Nun stehen wir vor einem schleichenden digitalen Blackout: Anspruch und Realität klaffen in der digitalen Transformation weit auseinander. Auch wenn Deutschland heute immer noch zurecht beneidet wird um seine leistungsstarke Verwaltung, merken wir mit den Diskussionen um neue staatliche Leistungen und Krisenreaktionen, dass hier ein System an seine Leistungsgrenze stößt. So geschehen beim Bürgergeld Ende des Jahres 2022. Um die fristgerechte Auszahlung zum Jahresbeginn 2023 noch zu gewährleisten, musste innerhalb von wenigen Tagen der Vermittlungsausschuss, der aus jeweils 16 Mitgliedern von Bundestag und Bundesrat besteht, zusammenkommen, damit die Änderung nicht gefährdet wird. Dieser Prozess ist zwar machbar, läuft jedoch der Idee, dass Gesetze mit Bedacht ausgearbeitet werden sollen, diametral entgegen.

Bei der Ausweitung des Wohngelds auf eine größere Bezugsgruppe zeigte sich ebenfalls zum Jahreswechsel 2022/2023, wie schnell durch fehlende digitale Anwendungen ein digitaler Blackout entsteht. Die notwendige Software konnte nicht rechtzeitig fertiggestellt werden, weshalb den Verwaltungsmitarbeitenden in der Abwicklung der Verwaltungsinfarkt drohte.

Der Weg in die digitale Moderne – und warum Deutschland ihn nicht findet

Die Krisen der letzten Zeit zeigen immer mehr, dass wir die Möglichkeiten der Digitalisierung nicht nur nicht nutzten. Viel schlimmer: In Deutschland werden Regeln verkompliziert. Mit der neuen Art der Arbeitswelt kommen auf staatlicher Ebene nur wenige zurecht, und nicht nur das genannte Beispiel Wohngeld zeigt, dass wir oftmals die falschen finanziellen Prioritäten setzen. Kurz: Die Digitalisierung hat noch nicht Einzug gehalten in alle Amtsstuben, und, während unser alltägliches Leben schon fast postdigital ist, kämpfen die staatlichen Bediensteten mit Faxen und Papierformularen. Dabei schwingt die Sorge mit, dass staatliches Handeln am Ende nicht ausreichend belegt sein könnte, wenn alles ausschließlich digital vonstatten geht. Es sind aber auch verwaltungsinterne Abläufe, die zu einem digitalisierungsunfreundlichen Umfeld führen. Der Preis für diese Entwicklung wird immer höher. Unsere Strukturen verbrauchen Ressourcen, die wir nicht mehr haben – weder finanziell noch technisch und erst recht nicht demografisch. Digitaler Blackout ist der Moment, an dem staatliches Handeln zum Erliegen kommt, weil wir diese Hemmnisse nicht abschalten. Er erfolgt schleichend, weil wir bis zum heutigen Tag viele Weichen falsch gestellt haben und die Auswirkungen nicht unmittelbar sichtbar sind.

In den Städten und Gemeinden führen die aktuellen Problemlagen bereits zu sinkendem Vertrauen. So hat der Branchenverband Bitkom im Jahr 2022 ermittelt, dass 27 Prozent der Bürger:innen die digitale Aufstellung ihrer Gemeinden als »völlig rückständig« empfinden. Weitere 37 Prozent sind der Auffassung, dass sie dabei »eher rückständig« sind. Wie wichtig aber das Vertrauen der Menschen in die Funktionsfähigkeit des Staates ist, wissen wir aus der Gesellschaftsforschung (Decker et al. 2019). Die Nachfrage nach staatlichen Leistungen ist seit Jahren stabil, wie sich in kontinuierlich erhobenen Meinungsbildern zeigt. Wenn Politik die missachtet, schwindet auch der Rückhalt der etablierten Parteien (Mielke/Ruhose 2021). Für das Zusammenleben und den Erhalt des wichtigen Wettbewerbsvorteiles »deutsche Verwaltung« ist die Verhinderung des digitalen Blackouts zentral und für den Erhalt unserer stabilen Demokratie ebenfalls.

Die EU fragt in ihren Mitgliedsländern regelmäßig, wie dort staatliche Dienstleistungen online abrufbar sind. Dabei schaut sie sich an, wie nutzerfreundlich und transparent die Behörden kommunizieren. Gleichzeitig steht hier natürlich im Mittelpunkt, wie grenzüberschreitende Mobilität auch bei digitalen staatlichen Leistungen gewährleistet wird – für ein Land wie Deutschland, welches auf Zuwanderung angewiesen ist, eine wichtige Kategorie. Es verwundert nicht, dass auch hier kein vorderster Platz belegt wird. Wie sollte er auch, wenn wir im Wettbewerb stehen mit Malta, Schweden und Estland – die drei erstplatzierten Ländern. Mal wieder.

Hier zeigt sich aber auch, dass Vergleiche nur bedingt Sinn ergeben. Natürlich haben die baltischen Länder nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und aufgrund ihrer geringen Größe besondere Anstrengungen machen können. Sie profitieren dabei gleichzeitig von deutscher Technik wie dem BSI-Grundschutz für IT-Sicherheit. Deutschland muss also auf andere Länder schauen, um besser zu werden. Es braucht aber einen eigenen Weg, der aus bisherigen eigenen Erfahrungen lernt und auf die Besonderheiten des föderalen Systems eingeht. Eine »Blaupause« Estland wird keinen Erfolg haben. Um diesen eigenen Weg im europäischen Kontext zu finden, muss aber zunächst eine ehrliche Bestandsaufnahme erfolgen.

Eine solche Bestandsaufnahme zeigt deutlich, mit wie vielen verschiedenen Krisen wir als moderne Gesellschaft allein seit der Jahrtausendwende zu kämpfen hatten. Und immer wieder sind wir gut aus der Krise herausgekommen. Zu nennen sind die Probleme mit der Arbeitslosigkeit, die den damaligen »Chefökonom« Hans-Werner Sinn (2003) fragen ließen, ob Deutschland noch zu retten sei. Auch wenn damals (2004) Peter Bofinger schon sehr weitsichtig auf die wirkliche Situation hingewiesen hat, verbleiben in der öffentlichen Wahrnehmung die Krisentendenzen der deutschen Standortdebatte (dazu kritisch Hickel 1998). Einschneidend für unsere wirtschaftliche Entwicklung war auch die Krise auf den Finanzmärkten und in den südlichen Euroländern in der Zeit ab 2009 (Tooze 2018).

Seit 2015 sind wir nun im permanenten Krisenmodus angelangt: Zunächst die Zunahme der Fluchtbewegungen über die Balkanroute, die uns organisatorisch vor große Herausforderungen stellten. Nahtlos, so scheint es, schließen sich Großkrisen an: zunächst die Corona-Pandemie seit Beginn des Jahres 2020 und dann die sozialen Verwerfungen in Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine, verbunden mit der Infragestellung unseres Energieregimes. Die in der öffentlichen Aufmerksamkeit und der Politik unterliegenden Großkrisen wie Klimawandel, digitale Transformation und demografischer Wandel beschleunigen sich durch diese Ad-hoc-Krisen. Mit jeder Krise, so scheint es, brauchen wir mindestens einen unserer Joker als Reaktion. Bislang konnten verantwortungsvolle Politik, starke Verwaltung, engagierte Zivilgesellschaft zusammenarbeiten und auf die notwendigen finanziellen Ressourcen zurückgreifen. Wie lange diese Kriseninstrumentarien noch zur Verfügung stehen, hängt von der Dauer der Krisen ab. Es ist aber heute schon sichtbar, dass die digitale Transformation in naher Zukunft den Druck erhöhen wird. Gleichzeitig bietet sie so viel Potenzial, anderen Krisen widerstandsfähiger, resilient gegenüberzutreten.

Dafür brauchen wir aber auch ein grundlegendes Verständnis dessen, was die Vorteile digitaler Lösungen grundlegende Voraussetzungen brauchen, um wirksam zu werden. So hängen die enormen Möglichkeiten zur Gestaltung von Klimawandel und Energieversorgung davon ab, dass wir eine stabile Energieversorgung haben. Digitalisierung funktioniert nicht ohne Strom. Digitalisierung kann helfen, Ressourcenverbrauch zu reduzieren. Gleichzeitig erzeugt sie technische Notwendigkeiten, beispielsweise das Vorhandensein von Halbleitern und natürlich neue Abhängigkeiten von ressourcenverbrauchender Produktion. Das sind die Widersprüche unserer Zeit, mit denen wir umgehen müssen. Es macht jedoch auch die Problematik deutlich, die wir in der Corona-Krise festgestellt haben: Wie viele Abhängigkeiten gefährden die Daseinsvorsorge?

Im Übrigen sind vorhandene Finanzmittel Fluch und Segen zugleich. Sie sind wichtig, um soziale Absicherung vorzunehmen und die innovative Kraft des Sozialstaats zu entfalten. Gleichzeitig verhindern »unendliche« Finanzquellen, dass sich nachhaltig mit zukunftsorientierten Strukturen befasst wird. Bislang, so scheint es, gerät aber die Gestaltung der Digitalisierung in Deutschland immer ins Hintertreffen. Obwohl die scheiternde Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes vor Augen, führten die Haushaltsentscheidungen für das Jahr 2023 dazu, dass an vielen Stellen zuungunsten der digitalen Transformation entschieden wurde. Zur Stärkung der wichtigen Arbeit der Bundeszentrale für politische Arbeit wurden 8,4 Millionen Euro abgezweigt, die ursprünglich für das OZG vorgesehen waren. Die Schaffung eines Digitalisierungsbudgets wurde in denselben Haushaltsberatungen auf die Zukunft verschoben, und die Ansätze für die notwendige Digitalisierung der Register wurden gestrichen. Dahinter steckt das Problem, dass Bund und Länder Daten eigentlich nicht miteinander teilen können – es gibt keine geeignete Plattform, und die Systeme sind entweder nicht vorhanden oder aber nicht miteinander kompatibel.

Das hat damit zu tun, dass alles zu langsam geht, dass Projekte nicht abgeschlossen werden können – und, dass der Nutzen der Digitalisierung nicht sofort sichtbar ist. Wenn Institutionen wie die Bundesagentur für Arbeit Ende 2022 alle ihre Leistungen digital anbieten und mit innovativen Formen wie Videoberatungsgesprächen Verwaltungen modernisieren, dann ist dies richtig und wichtig. Dennoch dringt dies nicht so stark in die Öffentlichkeit und in Diskussionen, und in Bezug auf die Messbarkeit des Erfolgs dieser Leistungen muss oftmals darauf verwiesen werden, dass die innovativsten Ansätze in Deutschland an zwei harten Digitalisierungshemmnissen zu knabbern haben. Der schleichende Blackout hängt damit zusammen, dass wir bei der elektronischen Authentifizierung nicht weit genug sind. Die Möglichkeit, sich am Bildschirm zu identifizieren, ist technologisch bereits da. Dies könnte zum Beispiel für Kontoeröffnungen bei der Bank oder für die Identitätsbestätigung bei der Krankenkasse sehr hilfreich sein. Allerdings heißt Deutschlands große Baustelle: Wir können auf digitalem Weg keinen umfassenden Identitätsnachweis in der Kommunikation mit staatlichen Behörden abgeben. Das ist aber natürlich zwingende Voraussetzung dafür, dass Amtsgänge reduziert werden und Prozesse in den Verwaltungen digital abgebildet werden. Der digitale Personalausweis ist umständlich zu beantragen und daher nicht akzeptiert bei den Bürger: innen. Gleichzeitig gibt es eine Unzahl von rechtlichen Vorschriften, die dazu führen, dass wir an vielen Stellen doch noch an Schriftformerfordernissen (einer Unterschrift) oder dem persönlichen Erscheinen festhalten, was einen durchgängigen digitalen Prozess unmöglich macht. Doch es ist nicht nur die staatliche Struktur, die Digitalisierung scheitern lässt. Das Vorhaben, eine einheitliche IT-Struktur für die Bundesverwaltung vorzuhalten, führt zu enormen Kosten – 3,5 Milliarden statt der geplanten einen Milliarde Euro – und zu einem enormen Zeitverzug. Diesen Schritt wird Deutschland erst 2032 gegangen sein.

Wenn man das Großvorhaben OZG unter die Lupe nimmt, werden weitere Gründe für das Scheitern der digitalen Moderne in Deutschland sichtbar: Organisation der Flüchtlingsunterbringung, Management der Corona-Krise oder Erfassung der Gasspeicherstände im Zuge des Krieges gegen die Ukraine: Überall werden digitale Tools nötig – überall schmerzt das Fehlen solcher Leistungen. Mit der Umsetzung des OZG haben wir in Deutschland punktuelle Verbesserungen geschaffen. Vielleicht kann es historisch irgendwann als Wende zum digitalen Staat interpretiert werden, aber im Jahr 2023 fehlt es an einem strategischen Ansatz, der alle Ebenen betrifft. In den Fachdiskussionen sind sich alle einig, dass man zusammenarbeiten muss, um Deutschland in seiner föderalen Struktur digital modernisieren zu können. In der Realität zerbrechen Kooperationsformen aber weiterhin an politischen Logiken und Kirchturmdenken. Wie eine Architektur aussehen kann, die diese Logiken nicht negiert und dennoch Standardisierung, zugängliche Schnittstellen und Vielfalt als Resilienz versteht, wollen wir entwickeln, wenn wir die Bestandsaufnahme des schleichenden Blackouts abgeschlossen haben. Resilient sind staatliche Verwaltungen oder Unternehmen dann, wenn sie gegenüber potenziellen Störungen aller Art unempfindlich sind. Vernetzung und Kooperation sind dabei wichtige Leitprinzipien, um diese Unempfindlichkeit herzustellen.

In den multiplen Krisen äußert sich die fehlende digitale Aufstellung des Staates auch darin, dass unser in Ebenen getrenntes Denken Lösungen verhindert. Bei Krisen wie der Pandemie, aber auch bei Naturkatastrophen scheint es, dass unsere staatlichen Ebenen nicht so zusammenarbeiten, wie es notwendig ist. Neu an den Krisen ist, dass sie alle betreffen, Bund, Länder und Kommunen. Selbst, wenn sie nur punktuell auftreten. Die Koordination der Krisenbewältigung bedarf eines abgestimmten Vorgehens beim Personal, den Finanzen und – das ist zentral für unser Thema – bei der Datenübertragung. Wer mit der Organisation der Flüchtlingsunterbringung zu tun hatte, erinnert sich bestimmt an die Herausforderung, die das »Easy-System« mit sich brachte. Und bei der Corona-Pandemie kam schnell heraus, dass die Gesundheitsämter immer noch Faxgeräte nutzen. Dabei sind die Potenziale der Digitalisierung für ebenenübergreifende Krisenreaktionen mit den Händen zu greifen. Geodaten sind mithilfe von Satelliten schnell auszuwerten, Einsatzlagen planbar und Führungsaufgaben durch datengetriebene Anwendungen gestaltbar.

Weitere Treiber des schleichenden Blackouts sind unterschiedliche Standards und fehlende Möglichkeiten des Datenaustauschs. Sehr gut am Beispiel der E-Health-Software SORMAS (Surveillance Outbreak Response Management and Analysis System) zu sehen, die vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung und dem Deutschen Zentrum für Infektionsforschung entwickelt wurde und in der Version SORMAS-ÖGD in der Corona-Pandemie zum Einsatz kam. Die in einigen Gesundheitsämtern auf die Schnelle eingeführte Software zur Erfassung der Corona-Zahlen wurde an vielen Stelle ausgebremst. Mit ihr war das Versprechen verbunden, dass Deutschland in der Gesundheitsverwaltung die Vorteile der Netzökonomie für die Verwaltung nutzbar macht. So wurde erstmals die Chance eröffnet, dass Daten und Informationen auf einheitlichem Wege schnell und effizient geliefert werden. Bei SORMAS wäre es konkret so verlaufen, dass die Gesundheitsämter die Corona-Fallzahlen nicht mehr manuell oder per Fax übermitteln, sondern dafür SORMAS nutzen. Aber nicht nur die schnelle Übermittlung wäre ein Vorteil gewesen. Allein im Berliner Bezirk Steglitz-Zehlendorf haben bei der Erfassung von Corona-Infizierten alle Mitarbeiter an einer Datei gearbeitet. Folge: Das Dokument war gesperrt, da es von einer anderen Person bearbeitet wurde. Der Arbeitsstau und die damit nicht übermittelten Daten führten dazu, dass kein Überblick über die aktuelle Situation bestanden hat. Dementsprechend stellt sich auch die Frage, wie politische Entscheidungen getroffen werden sollen, wenn die Datenlage derart desaströs ist (Spilker 2020).

Es wäre also durchaus möglich gewesen, die Daten und Informationen zu Fallzahlen, Kontaktpersonen und Ähnlichem ohne große Probleme zu erfassen. Auch wenn sie stetig und exponentiell wachsen, sie also »skalieren«, wie man sagt. Es wäre möglich gewesen, mit diesen Informationen »vor die pandemische Lage zu kommen«, wie es im Katastrophenschutz heißt. Doch, anstatt auch die Anwendung zu skalieren, wurde sie nicht flächendeckend eingesetzt, weil sie als unnötiger Aufwand bezeichnet oder nicht als smarte Digitalisierung empfunden wurde (Beerheide 2021). Um es noch einmal deutlich zu machen: Die Software SORMAS war keine Entwicklung im Rahmen von Corona. Mithilfe von SORMAS werden bereits seit 2014 Daten in Westafrika ermittelt, um Ausbrüche von Ebola zu bekämpfen. SORMAS wird ebenfalls für Krankheiten wie Gelbfieber, Cholera, Affenpocken oder die Geflügelpest genutzt. Ziel ist es, Informationen wie Fallzahlen, Kontaktpersonen, Symptome und so weiter zu sammeln, um sie anschließend zu vernetzen und dann bessere (politische) Entscheidungen zur Bekämpfung zu treffen. Es handelt sich also um eine Software, die bereits erfolgreich genutzt wurde und nur flächendeckend hätte eingesetzt werden müssen.

Das Fehlen einer einheitlichen Lösung ist in der Krise misslich gewesen. Eine digitale Verwaltung kann nämlich schneller auf größere Verwaltungsanstrengungen reagieren. Wäre der digitale Prozess zum Beispiel für das Wohngeld schon vorhanden gewesen, hätte man »einfach« die digitale Beantragungsstrecke anpassen können. So aber müssen mehr Leute eingestellt werden – die es auf dem Arbeitsmarkt nicht gibt –, um der steigenden Zahl von Anträgen Herr zu werden. Eine Politik, die digitale Verwaltungsleistungen prioritär behandelt, könnte zudem durch steigende Nutzendenzahlen große interne Effizienzen heben.