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In diesem Band erzählt der deutsche Erlebnis- und Abenteuerschriftsteller von seinen Fahrten mit den Schmugglern, die in der malaiischen Inselwelt zu Beginn der 20. Jahrhunderts aktiv waren.
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Seitenzahl: 284
Veröffentlichungsjahr: 2019
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Schmugglerfahrten im Malaiischen Archipel
Ferdinand Emmerich
Inhalt:
Ferdinand Emmerich – Biografie und Bibliografie
Schmugglerfahrten im Malaiischen Archipel
Schmugglerfahrten im Malaiischen Archipel, F. Emmerich
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
Loschberg 9
86450 Altenmünster
ISBN: 9783849653002
www.jazzybee-verlag.de
Geboren am 8. Juli 1858 in Viersen-Hamm. Deutscher Forscher, Abenteuerer und Reiseschriftsteller. Nach Abschluß seines Medizinstudium 1886 war er fast 30 Jahren auf Reisen durch die ganze Welt und kam erst wegen des Weltkrieges 1915 nach Deutschland zurück. Seine Romane sind fesselnde Expeditions- und Abenteuerberichte für Jung und Alt. Er starb am 2. August 1930 in München-Pasing,
Wichtige Werke:
· Leitfaden für Auswanderer
· Auf Schleichwegen nach Tibet
· Auf den Antillen
· Das Rätsel des Orinoko
· Der Einsiedler von Guayana
· Der Walfischfänger Erlebnisse eines deutschen Seemanns
· Durch die Pampas von Argentinien
· Hüter der Wildnis
· Im Gran Chaco von Paraguay
· Im Herzen Brasiliens
· Im Reiche des Sonnengottes
· In mexikanischen Urwäldern
· Jenseits des Äquators
· Kopfjäger auf Borneo Reisebericht
· Kulis Tiger Krokodile
· Neuseeland Weltreisen und Forscherabenteuer
· Quer durch Hawai
· Streifzüge durch Celebes
Mitte der achtziger Jahre durchforschte ich den Malaiischen Archipel. Jene zahllose Menge von Inseln, die wissenschaftlich als die Überreste eines in grauer Vorzeit versunkenen Kontinents, auf dem auch die Wiege des Menschengeschlechtes zu suchen sein soll, angesprochen werden. Neben gewaltigen vulkanischen Erhebungen, die ohne jedes Küstenland schroff aus dem Meer emporschießen, finden wir dort Koralleneilande, über die eine gebefreudige Natur ihre reichsten Schätze in verschwenderischer Fülle ausgestreut hat. -- Leider bringen aber diese paradiesischen Inseln nicht auch herrliche Bewohner hervor. Wenigstens besitzen die in unserer Zeit den Archipel bewohnenden Eingeborenen nur ganz wenige Eigenschaften, die von unserer europäischen Weltanschauung als gut bezeichnet werden würden. Das mag daran liegen, daß die Urbevölkerung seit Jahrhunderten mit Einwanderern durchsetzt wird. Vor allem sind es die Malaien, die auf den Inseln zwischen Neuguinea und der Malakkahalbinsel, neben den Chinesen, als herrschende Rasse auftreten.
Die Malaien bilden eine eigentümliche Menschenklasse. Sie sind nicht schön. Ihr Gesicht ist breit und flach. Die kleine Nase hat breite Flügel. Langes, dunkelschwarzes Haar umrahmt das dunkelbraune Antlitz, aus dem große, feurig glänzende Augen leuchten. Die Malaien sind überwiegend Seefahrer. Kühn und unternehmend, verachten sie die Gefahr. Sie scheuen aber auch vor nichts zurück. Ihre ungezähmte Heftigkeit treibt sie nicht selten zu Raub und Mord. Sie leben mit ihren Nachbarn in stetem Kriege und lassen keine Gelegenheit unbenutzt, die jene an Gut oder Leben schädigen könnte. Daß sie zur Ausübung gesetzloser Handlungen jederzeit zu haben sind, bedarf nach dem Gesagten keiner besonderen Erwähnung. Sie sind denn auch auf Schmuggler- und Seeräuberfahrzeugen die gesuchtesten Kräfte, und keiner versteht es wie der malaiische Schiffsführer, die staatlichen Verfolger zu täuschen. Natürlich sind die vornehmen Malaien, die sich unserer Kultur im allgemeinen angeschlossen haben, von dieser Charakteristik ausgenommen.
Zur Zeit, in der meine Erzählung spielt, befanden sich nur die großen Sunda-Inseln unter der Herrschaft der Holländer und selbst diese noch in beschränktem Maße. Auf der langen Inselreihe östlich von Java wehrten sich die Ureinwohner mit allen Mitteln gegen das Eindringen der fremden Eroberer. Bali, Lombok, Soembawa, Flores, Allor und selbst Timor, auf dem die Portugiesen schon lange festen Fuß gefaßt haben, leisteten den Holländern tapferen Widerstand. Sie wurden unterstützt durch die malaiischen und chinesischen Barkenführer, die ihnen auf tollkühnen Wegen immer wieder Waffen und Munition zuführten, während die eingeborenen Kaiser und Könige auf Timor durch Geldmittel und Gewahrung sicheren Unterschlupfes das gesetzlose Treiben begünstigten.
Seit etwa Zwanzig Jahren sind nun auch die Ostinseln unter die Herrschaft der Holländer gefallen. Dadurch wurde den blutigen Fehden unter den Bewohnern ein Ziel gesetzt. Die Insulaner beginnen sich an die neuen Herren zu gewöhnen, und schon hört man, daß manchen Inseln bereits die Selbstverwaltung unter eingeborenm Fürsten eingeräumt wird. In Koepang, in dem die Hollander früher nur wie in einer Festung saßen, wohnt jetzt ein Gouverneur. Europäer dürfen sich jetzt auch außerhalb der Stadt, im Reiche des früheren Radja, zeigen. -- Mit dieser Ausbreitung ihrer Macht verschwinden die romantischen, aber für alle Beteiligten gefährlichen Schmugglerfahrten, und die tollkühnen Taten todesverachtender Malaien und Chinesen gehören bald der Mythe an.
Ich schildere in der vorliegenden Erzählung einige Episoden aus den zahlreichen Unternehmungen eines zur vornehmen Welt des Archipels gezählten Chinesen, der es meisterhaft verstand, andere für sich arbeiten und bluten zu lassen. Die Schilderung der einzelnen Fahrten verdanke ich einem Augenzeugen, den ein widriges Geschick in die Abenteuer der Schmuggler verstrickt hatte, und der die endliche Vernichtung der Bande miterlebte. Zu einem klemm Teil lernte ich das Leben der Schmuggler aus eigener Anschauung kennen, da ich einmal ahnungslos, ein anderes Mal gezwungen kurze Fahrten an Bord von Schmugglerschiffen machte.
Der Verfasser
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Bei unserer Rückkehr aus den Bergen war der kleine Küstendampfer eben abgefahren. Unmutig standen wir auf dem Felsenvorsprung, der in dem Hafenort Pariti, auf der Insel Timor, den einzig möglichen Anlegeplatz bildet. Unsere Blicke verfolgten sehnsüchtig die Rauchfahne des Schiffes, dessen vorzeitige Abfahrt uns für drei lange Wochen an ein Dorf bannte, in dem wir kaum auf ein für Europäer zugeschnittenes Unterkommen rechnen durften.
Da ich eigentlich die Ursache unseres verzögerten Eintreffens war, mußte ich meinen Grimm hinunterwürgen. Mein Kamerad aber ließ seinem Zorne freien iauf. Ein kerniger deutscher Rraftausdruck leitete eine Flut von holländischen Unmutsbezeichnungen ein, die im Handumdrehen sämtliche Müßiggänger des Ortes, und das waren wohl alle Bewohner, an unsere Seite brachten.
Ein verschmitzt dreinschauender Malaie wagte die Frage: »wollen die Herren nach Kupang (so heißt der Haupthafen der Insel)?«
»Nein, nach Mataru auf Allor!« entgegnete ich.
Der Malaie pfiff durch die Zähne, besann sich eine Weile und sagte dann:
»Das ist nicht möglich!«
»Was?« fragte ich. »Daß wir nach Allor hinüber wollen?«
»Daß ich mit meiner Prau die Herren fahre.«
»Eine Prau hast du?« fiel jetzt mein Gefährte eim »Und das sagst du uns erst jetzt? Wir mieten dein Boot, vorwärts, wo liegt es?«
Diese in gutem Malaiisch gesprochenen Worte zeigten dem Malaien, daß er es mit einem Weißen zu tun hatte, der auf den Inseln zu Hause war. Er witterte einen der holländischen Beamten, die damals bereits auf dem portugiesischen Timor festen Fuß faßten. Den durfte er sich nicht zum Feinde machen.
»Mein Fahrzeug gehört nicht mir, Tuwán,« erwiderte er ausweichend. »Ich muß noch heute nach Kupang zurückkehren. Dorthin nehme ich die Herren gern mit, wenn es Ihnen angenehm ist.«
Da wir in dem größeren Orte eher auf eine uns zusagende Wohnung rechnen durften, gingen wir aus das Anerbieten ein. Etine halbe Stunde später schwammen wir bereit« auf der herrlichen Bai, die von der Hauptstadt ihren Namen entlehnt.
Während der Fahrt suchte unser Barkenführer sich Gewißheit über unsere Persönlichkeiten zu verschaffen. Da wir bald die Unterhaltung in deutscher Sprache wieder aufgenommen hatten, schwanden seine Befürchtungen, Er prüfte uns dagegen auf die Möglichkeit einer Ausbeutung. Eine mit vollen Segeln vor dem Winde dahinrauschende Dschunke bot den Anknüpfungspunkt. Der Malaie tauschte Zeichen mit der Besatzung und ließ so nebenbei die Worte fallen:
»Die fährt nach der Insel Allor. wenn wir Glück haben, treffen wir auch die andern Dschunken noch, die morgen nach der Kalabahibucht abgehen.«
»Nehmen die Dschunken denn Fahrgäste mit?« fragte ich arglos.
»Gegen gute Bezahlung werden sie sich kaum weigern, die Herren in Mataru an Land zu setzen, wenn die Herren befehlen, versuche ich den Kapitän dazu zu überreden.«
Ich blickte fragend auf meinen Gefährten, der die entschwindende Dschunke aufmerksam durch das Fernglas betrachtete und die Worte des Malaien anscheinend überhört hatte, »was sagen Sie zu dem Vorschlage, Nottebohm?«
Statt aller Antwort schlug er sich auf den Schenkel und rief:
»Lust hätte ich schon so eine Fahrt mitzumachen, wenn ich nur wüßte, wie sie schließlich endet. Das da vorn ist nämlich ein Schmuggler.«
»Das geht doch die Fahrgäste nichts an.«
»Wenn sie beweisen können, daß sie an dem Unternehmm unbeteiligt sind, läßt man sie laufen. Das ist aber nur sehr selten der Fall. Wird eine solche Dschunke von den Rriegsschiffen aufgebracht, dann springt man mit der Besatzung sehr summarisch um. Man hängt sie kurzerhand auf.«
»Aber doch die Fahrgäste nicht?«
»Mein lieber Freund, wenn die Holländer erst anfangen auf solche Leute Rücksicht zu nehmen, dann wird der Schmuggel bald in höchster Blüte stehen. Die Hälfte der Bemannung würde sich als Fahrgäste ausgeben.«
»Was für Waren schmuggeln denn die Dschunken? Der Gewinn kann doch» in gar keinem Verhältnis zu dem Risiko stehen, wenn das so ist, wie Sie sagen.«
»Der materielle Nutzen kommt für diese Leute erst in zweiter Linie in Frage. Sie wagen ihr Leben für ihre Freiheit. Alle die Fürsten auf der Inselkette von Bali bis Timor wehren sich verzweifelt gegen die holländische Oberherrschaft. Sie lassen kein Mittel unversucht, um sich durch Einführung von modernen Waffen für den Widerstand zu stärken, und tatsächlich haben die Holländer, außer den Küstenplätzen, nur wenig von den Inseln unter ihre Botmäßigkeit gebracht. Kein Wunder, daß sie alles aufbieten, um die Unterstützung der Eingeborenen zu verhindern.«
»Woher wissen Sie, daß die Dschunke dort Schmugglerware führt? Wenn man diese Schiffe so leicht erkennen kann, dann dürfte ihnen bald das Handwerk gelegt werden.«
»Sehen Sie den kleinen Dampfer, der gleichen Kurs mit der Dschunke läuft? Hier, nehmen Sie das Fernglas! «Er zeigt die holländische Flagge, nicht wahr? Als der seinen Rurs auf den Schmuggler richtete, änderte dieser sofort die Fahrt und suchte die Dreimeilenzone der Küste auf. Das ist portugiesisches Gebiet, wo ihn der Holländer nicht anhalten darf. Das Manöver gibt mir die Gewißheit, daß die Dschunke Bannware an Bord hat. Sie wird daher auch nicht aus dem Bereich der Fürsten von Timor herausgehen, solange das Kriegsboot in Sicht ist.«
Unser Bootsmann hatte, obgleich er kein Wort von unserer Unterhaltung verstand, mit dem seiner Rasse und dem schlechten Gewissen eigenen Spürsinn herausgefunden, daß mein Begleiter mehr von den Verhältnissen der Sunda-Inseln wußte. Er suchte uns daher von Schlußfolgerungen, die seiner Person nachteilig werden konnten, abzubringen, indem er, auf die hinter den Bergen verschwindende Dschunke deutend, sagte:
»Da habe ich mich doch getäuscht. Sie nimmt Kurs auf Amfuang auf Timor. Die Dschunke nach Allor ist also noch im Hafen. Die Herren haben Glück, wir kommen noch rechtzeitig an. -- Soll ich mit dem Kapitän wegen der Überfahrt nach Mataru verhandeln?«
»Ist das auch ein Schmugglerschiff?« fragte Nottebohm.
Mit gut geheucheltem Erstaunen blickte uns der Bootsmann ins Gesicht und rief dann lachend:
»Glaubt der Tuwán auch an diese Märchen? von hier aus gehen keine Schmugglerschifft nach Allor. Die Dschunken gehören alle dem Chinesen Kü-schang, der den portugiesischen und holländischen Behörden als eln achtbarer, ehrlicher Kaufmann bekannt ist. Er ist ein Freund der Fürsten auf Timor. Nie würde er die Hand zum Schmuggel bieten.«
»Es kann sein, daß du recht hast,« erwiderte Nottebohm. »Bevor wir uns jedoch zu einer Reise mit der Dschunke entschließen, wollen wir uns Koepang ansehen. Wenn es sich da leben läßt, haben wir keine Eile.«
»Aber die Dschunke geht morgen früh, wer weiß, wann sich wieder eine Gelegenheit nach Allor bietet.«
»Ich bin dir dankbar für deine Sorge um unser Wohlergehen,« gab Nottebohm lächelnd zur Antwort. »Morgen früh bekommst du Bescheid. Sorge jetzt vor allen Dingen dafür, daß wir nicht auf die Klippen laufen.«
Wir näherten uns wieder der Küste, Ein auf der äußersten Spitze der vorspringenden Felsen erbauter, grellweißer Tempel vertrat die Stelle eines Leuchtturmes, Er zeigte uns von weitem schon die halbmondförmige enge Bucht, in die jetzt die Prau, vom Winde gejagt, pfeilschnell einbog. Eine schwere Brandung donnerte gegen die steil aus dem Meere emporsteigenden Korallenwände, und neugierig suchte ich die Einfahrt zu dem vermuteten Hafen der Hauptstadt.
Der Malaie war aber hier zu Hause, Er steuerte sein Fahrzeug haarscharf an den schäumenden Brechern vorbei auf eine Mauer zu, die von einer breiten Treppe unterbrochen wurde. Das Segel fiel.
»Aufpassen, Tuwán!« schrie er. »Wenn das Boot hochgeht, herausspringen!«
»Na, ich danke,« antwortete mein Gefährte. »Der geringste Fehltritt befördert uns auf raschestem Wege in die Ewigkeit. Sahen Sie die Haie?«
Als alter Seemann war ich mit derartigen Manövern bekannt und nahm mir daher nicht die Mühe zu antworten. Mit einem Sprung erreichte ich die Treppe, wo sich mir ein Dutzend Hände hilfreich entgegenstreckten. Das Boot nahm die Brandungswelle wieder mit sich zurück. Geschickt benutzte der Malaie die nächste heranflutende Woge, um auch meinen Freund auszubooten, während er selbst die Prau wieder ins offene Meer steuerte und um einen Felsenvorsprung verschwand.
»Halt! Unser Gepäck!« schrie ich hinter ihm her, und war eben im Begriff, meinem Zorn über den vermeintlichen Raub Ausdruck zu geben, als ein freundlich lächelnder Chinese meinen Arm berührte und in ruhigem Tone sagte: »Taban wird Ihnen Ihre Sachen bringen, wollen Sie mir bitte folgen und meine Gastfreundschaft in Anspruch nehmen?«
Verblüfft blickten wir den Mann an, der mit solcher Selbstverständlichkeit über uns verfügte. Bevor wir die Einladung annahmen, wollten wir uns doch vergewissern, ob es in dem Städtchen keine Gasthäuser gab. Es widerstrebte uns Verpflichtungen einzugehen, die wir nicht wettmachen konnten. Der Chinese aber überhob uns der Mühe:
»Der Radja weilt augenblicklich in der Stadt,« sagte er mit gewinnendem Ausdruck. »Sein Gefolge hat alle freien Räume belegt. -- Ich freue mich, den Herren mein Gartenhaus zur Verfügung stellen zu können».«
Nun tauchte in uns der Verdacht auf, daß uns der Mann wohl für holländische Beamte halten könnte, deren Gunst er sich durch zuvorkommendes Benehmen zu erringen trachtete. Um derartigen Mißverständnissen vorzubeugen, machte ich den Chinesen mit unserer Nationalität bekannt und erwähnte dabei, daß wir uns auf Timor nur mit naturwissenschaftlichen Studien beschäftigten.
»Das weiß ich bereits,« erwiderte er verbindlich. »Die Herren waren in den Paritibergen und versäumten die Abfahrt des Dampfers. Da das nächste Schiff nach Allor erst in drei Wochen unsern Hafen anläuft, so wiederhole ich meine Bitte um Annahme meiner Gastfreundschaft.«
Unser Erstaunen über diese genaue Kenntnis unserer Pläne prägte sich wohl deutlich auf unsern Zügen aus, denn der Chinese fügte seinen Worten erklärend hinzu: »Unsere Fürsten haben ein großes Interesse daran, die Absichten aller auf Timor landenden Fremden kennen zu lernen.«
»Aber wir haben doch keinem Menschen gesagt, daß wir nach Allor zu gehen beabsichtigen,« warf ich ein. «Unser Bootführer allein erfuhr es während der heutigen Fahrt...«
»Die Herren lagerten vor einigen Tagen oben auf den Kalkfelsen hinter Pariti und unterhielten sich über die in der Ferne sichtbaren Umrisse einer Insel. Sie verwechselten die Insel Lomblen mit Allor,« sagte der Chinese.
»Donnerwetter, Herr, Sie haben ein vorzügliches Kundschafterkorps,« rief Nottebohm. »Dann wissen Sie vielleicht auch, wer ich bin!«
»Privatmann, Herr Nottebohm. Seit Sie Ihre Stellung bei der Firma Reis drüben auf Borneo aufgaben,« antwortete lächelnd der jetzt in einen großen Garten eintretende Chinese. »Hier sind wir an Ort und Stelle. Belieben die Herren hier auf der Veranda Platz zu nehmen. Die Diener werden sofort erscheinen.«
»Halt, verehrter Herr,« rief ich. »Soweit sind wir noch nicht einig. Wollen Sie die Güte haben, uns den Preis für die Unterkunft zu nennen.«
«Ich stelle den Herren mein Haus unentgeltlich zur Verfügung,« erwiderte er mit seinem verbindlichsten Lächeln. «Es ist doch so der Brauch auf den Inseln. Herr Nottebohm wird das wissen.«
»Allerdings. Aber doch nur, wo die Möglichkeit der Gegenseitigkeit besteht was bei uns nicht der Fall ist. wir reisen nur von Insel zu Insel und verlassen dann die Sundastraße für immer.«
»Herr Nottebohm nicht,« widersprach der Chinese. «Er wird mir vielleicht doch noch Gegendienste leisten können. Damit ist mein geringes Entgegenkommen
mehr als bezahlt.«
«Sie irren sich, Herr...?« -- »Dongsa heiße ich«.
»Sie irren sich, Herr Dongsa. Ich beabsichtige keineswegs hier in den Inseln zu bleiben, sondern ich kehre nach Europa zurück.«
»Wenn sich Ihre Verhandlungen mit Makassar zerschlagen, jawohl, Herr Nottebohm. -- Sie sehen, daß die Kalkberge auf Timor indiskret sind,« beeilte er sich hinzuzufügen, als mein Begleiter mit einem Fluche auffuhr.
»Übrigens reden wir noch darüber. Dort kommen meine Diener mit Ihrem Gepäck, wollen Sie gütigst Ihre Befehle geben.«
Mit diesen Worten eilte unser geheimnisvoller Gastfreund davon, und wir folgten einem weißgekleideten Malaien in das Haus, das nach Art der dort draußen allgemein üblichen Herrenhäuser mit zierlichen Bambusmöbeln ausgestattet war. Zwei Räume standen zu unserer Verfügung. Die sonst noch vorhandenen Zimmer waren durch vorgelegte Bambusstäbe gesperrt. Schlösser gab es nicht an den Türen. Die streng befolgten Gesetze der Gastfreundschaft machten sie überflüssig. Kein Mensch würde es wagen, in die so von dem Betreten ausgeschlossenen Räume einzudringen.
Als wir mit widerstrebenden Gefühlen unsere Wäsche für die Nacht ausgepackt hatten, erschien eine Malaiin mit einigen schneeweißen Tüchern und meldete:
»Das Bad ist fertig.« Das war aber nicht die einzige Überraschung, die uns zuteil wurde, denn als wir neugestärkt, in dem wohligen Behagen, das ein warmes Bad in den Tropen hervorruft, ins Haus zurücktraten, erwartete uns eine reichbesetzte Tafel. Ehe wir noch unserm Erstaunen darüber Ausdruck verleihen konnten, riefen uns die Diener zu Tisch. Nur Augenblicke zögerten wir. Dann siegte der Hunger über alle Bedenken, und wir nahmen von all' den vielen Gerichten, bis uns das erstaunte Gesicht des leitenden Dieners ins Gedächtnis rief, daß wir uns in einem Lande ausgesprochenster Mäßigkeit befanden.
Die wohlriechenden Wachskerzen, die uns zur Abendmahlzeit geleuchtet hatten, ließ der Diener in das Schlafgemach bringen, während wir uns auf der Veranda in die langen Ruhestühle legten und den Rauch der Zigarren in die prächtige Nacht hinaus sandten.
Wir hatten es bisher vermieden, über all das Unerklärliche, das uns hier auf Schritt und Tritt begegnete, irgendein Wort zu verlieren. Wußten wir doch, daß selbst deutsch geführte Gespräche dem geheimnisvollen Wirte überbracht wurden. Hier auf der Veranda aber fühlten wir uns vor Lauschern sicher. Trotzdem prüften wir auf einem kurzen Spaziergange um das Haus herum Dach und Seitenwand auf das Vorhandensein von Störenfrieden.
»Jetzt erklären Sie mir, was das alles zu bedeuten hat, Nottebohm,« hub ich im Flüstertone an, als ich meinen Stuhl dicht an den Gefährten herangezogen hatte. »Der Chinese behandelt uns wie seinen Fürsten und ist über unsere Persönlichkeiten unterrichtet. Das muß einen Haken haben.«
»Ja, auch ich zerbreche mir den Ropf, wie der schlitzäugige Ehrenmann von meinen persönlichen Verhältnissen Kenntnis haben kann. Daß ich von Reis & Comp. fortgegangen bin, kann er ja durch Bootsleute erfahren haben, denn mich kennen alle die Schiffer, die mit der großen Handelsfirma zu tun hatten. Aber von den Verhandlungen mit dem Exporthause in Makassar auf Celebes habe ich bisher mit keinem Menschen gesprochen.
Und daß man das hier auf Timor weiß, wundert mich am meisten.«
»Vielleicht hat die Makassarfirma hier einen Vertreter, der darüber gesprochen hat, als wir in Sutrana landeten?«
»Es ist eine deutsche Firma, die sicher verschwiegen ist... Hallo, wer ist da?« unterbrach er sich plötzlich aufspringend.
Aus dem Dunkel des Gartens schälte sich, katzenartig schleichend, eine Gestalt hervor, die bei dem Anruf zusammenfuhr, dann aber in demütiger Haltung sich der Veranda näherte.
»Was willst du zu dieser Stunde?« rief Nottebohm den Menschen an.
»Verzeih' Tuwán. Mich sendet Taban, der Schiffer. Ich soll fragen, ob der Tuwán sein Gepäck richtig empfangen hat, und wann Taban morgen früh mit dem Boote kommen darf?«
»Aha! Er will sein Geld,« sagte Nottebohm, zu mir gewendet. »Wollen wir ihm ein paar Gulden Trinkgeld geben? Die Fahrt war ja billig.«
Ich willigte ein und zog die Brieftasche. Der Malaie jedoch hob abwehrend die Hand und rief schnell, diesmal in fließendem Holländisch:
»Nein, nein. Taban ist bezahlt. Er steht zur Verfügung der Herren, solange sie auf der Insel weilen. Wann darf Taban morgen an der Treppe warten?«
»Wir wissen noch gar nicht, was wir morgen unternehmen wollen,« erwiderte ich. »Erst wollen wir gründlich ausruhen, das weitere findet sich.«
Kaum hatte ich das letzte Wort ausgesprochen, da zerflossen die Umrisse des Malaien mit den Schatten der blühenden Sträucher. Lautlos wie er gekommen, war er auch wieder verschwunden.
»Das wird ja immer rätselhafter! Lieber Nottebohm, ich glaube, hinter diesen Vorgängen steckt irgendeine Teufelei. Je eher wir abreisen, desto besser wird es für unser Wohlergehen sein.«
»Na, na, so ängstlich bin ich nicht. Man erlebt hier auf den Inseln allerlei, was für den Europäer unerklärlich ist, wenn ich auch zugebe, daß die Sorg« des Chinesen für unser Wohlergehen einen besondern Grund haben muß. Wir werden ihn aber erfahren, wenn wir von der sofortigen Abreise sprechen. -- Aber jetzt möchte ich schlafen. Hoffentlich läßt man uns nunmehr in Ruhe.«
Unser Schlafraum war gegen die Veranda mit der landesüblichen schöngeflochtenen Matte aus Bambusfasern abgeschlossen. Sie vertrat die Stelle der Tür. Eine einfache Schlinge, über einen Knopf gestreift, ersetzte den Riegel. Die heiliggehaltenen Gebräuche der Gastfreundschaft boten sicheren Schutz gegen Überfälle auf Leben und Gut. Dennoch konnte ich lange nicht einschlafen. War es das langentbehrte schwellende Bett oder die ferne Brandung des Meeres, die meine Nerven in Aufregung versetzten? Ich warf mich von einer Seite auf die andere. Aber je mehr ich den Schlaf herbeizwingen wollte, desto mehr floh er mich. Bis ich es aufgab. Ich fügte mich in das Unvermeidliche und beschloß wachzubleiben. Nun achtete ich auf jedes Geräusch. -- Irgendwo im Städtchen erklangen die kreischenden Töne der chinesischen Fiedel. Unweit unseres Hauses wieherte ein Pferd, das dadurch ein paar Hunde zum Bellen veranlaßte. Ein Kreischen schlechtgeölter Angeln durchschnitt die Gegend um das eiserne Gartentor. Vor unserer Matte huschte ein Schatten blitzschnell vorüber... Ich hielt den Atem an und lauschte. -- Ein Nachtvogel, dachte ich! Nichtsdestoweniger verharrte ich in meiner Horcherstellung. Dabei beschlich mich langsam ein seltsames Gefühl, das mich zwang, das Auge fest auf die Matte zu richten. Da ich mich zu dem Zwecke auf die andere Seite legen mußte, warf ich mich in der geräuschvollen Art des Schläfers herum. Dann markierte ich die regelmäßigen Atemzüge eines vom tiefen Schlafe Umfangenen.
Lange Minuten tiefsten Schweigens vergingen. Der Schlaf, den ich vor einer Stunde mit allen Mitteln herbeigesehnt, senkte sich nun, wo ich geheimnisvolle Vorgänge auf der Veranda vermutete, mit Gewalt auf meine Lider. Mit Anstrengung hielt ich die Augen offen.
Da plötzlich fiel die schließende Schlinge, von unsichtbarer Hand zurückgestreift, von dem Knopfe. Ein nebelhafter Schatten zwängte sich durch den Spalt, wuchs zu riesiger Größe empor und glitt an der gegenüberliegenden Wand gespensterhaft vorüber. Dort, wo die Verbindung mit den abgesperrten Räumen durch unser Gepäck absichtlich verstellt war, knickte der Schatten zusammen und verschwand, als habe ihn die Finsternis aufgesaugt.
Mit einem Satze stand ich an der Türe und riß die Matte zurück. -- Sie war Mit der Schlinge verschlossen, so wie ich sie selbst verhängt hatte! Ein Blick durch den Spalt zeigte mir einen dunklen Gegenstand, der dicht vor dem Eingang auf dem Boden lag. In dem Bruchteil einer Sekunde hatte ich die Matte zurückgerissen. Ein kräftiger Fußtritt brachte Leben in die Masse ... «Es war ein chinesischer Kuli, der anscheinend aus tiefstem Schlafe erwachte, und zitternd, den getroffenen Körperteil reibend, sich erhob.
Nottebohm war durch das Geräusch geweckt worden und erschien in der Türöffnung. Gähnend fragte er nach der Ursache der Störung. Mit kurzen Worten erzählte ich ihm meine Wahrnehmung und deren Folgen. Da erkundigte er sich bei dem Kuli nach dem Grunde seiner Gegenwart.
»Mein Herr hat mir befohlen, hier auf der Schwelle zu wachen, damit die fremden Herren nicht gestört würden,« gab er zur Antwort. Dabei kämpfte er sichtlich mit dem Schlafe.
»Dann hast du aber schlecht aufgepaßt, denn soeben war ein Mann in unserm Räume,« ließ ich ihm durch Nottebohm sagen.
Mit einem Erstaunen, das zu plump ausgedrückt war, um echt zu sein, beteuerte er seine Unwissenheit. Wir ließen ihm aber keinen Zweifel darüber, daß der nächste, der in unser Zimmer träte, ohne gerufen zu sein, mit unsern Schießwaffen Bekanntschaft machen würde. Er brauche sich mit dem Wachen nicht weiter aufzuhalten, denn von jetzt ab würde einer von uns stets selbst wachbleiben.
Als wir wieder auf unsern Betten lagen, sagte Nottebohm schlaftrunken:
»Sie werden geträumt haben, lieber Freund. Der Kuli war sicher nicht im Zimmer. -- Wie spät ist es eigentlich?«
»Zwölf Uhr vorüber,« erwiderte ich, das Zifferblatt gegen die Kerze haltend. »Aber ich war so wach wie jetzt. Ich habe deutlich den Mann gesehen. Dort an der Wand verschwand er. Genau neben Ihrem Reisesack.«
»Na ja, Mitternacht und Geister, die gehören ja zusammen. Gute Nacht, lieber Freund. Löschen Sie das Licht und folgen Sie meinem Beispiele. Morgen reden wir weiter über das Erlebnis.«
Als ich erwachte, flutete helles Sonnenlicht in den Raum. Nottebohms Stimme drang aus dem Nebenzimmer zu mir herüber. Er unterhielt sich mit jemandem in malaiischer Sprache und schien sehr lustig zu sein. Bei meinem Eintritt erkannte ich unsern Gastgeber, der mir in gutem Holländisch sein Bedauern über die nächtliche Störung aussprach. Er versicherte uns der absoluten Treue seines Kuli und wies den Gedanken an einen nächtlichen Eindringling weit von sich.
Während wir noch darüber sprachen, näherte sich dem Hause ein Europäer.
»Entschuldigen Sie mich, meine Herren,« rief ich, mich zurückziehend.
»Ich werde rasch Toilette machen und helfe Ihnen dann beim Verzehren der herrlichen Gerichte, die den Kaffeetisch schmücken.«
Der Europäer wurde mir als ein Holländer vorgestellt, der in den Diensten des Radja stand und dort eine angesehene Stellung einnahm. Er hatte von der Ankunft der Fremden gehört und wollte uns begrüßen. Während des Frühstücks, an dem neben dem Gaste auch Dongsa teilnahm, erzählte ich mein nächtliches Erlebnis mit allen Einzelheiten. Sehr zum Mißvergnügen unseres Gastgebers, der sichtlich bemüht war, die Erzählung als Traumgebilde darzustellen. Der Holländer wollte ihn darin, vielleicht aus Höflichkeit, unterstützen, indem er vorschlug, die Stelle des Zimmers, an der der Schatten verschwand, zu untersuchen. --
Ich war sofort dazu bereit und wollte mich erheben, als Dongsa mir ein Stück gebackenen Fisches auf den Teller legte. Das verpflichtete mich zu bleiben, und nun streifte die Unterhaltung alle möglichen Tagesereignisse. Zu mir gewendet, fragte Dongsa:
»Schlagen Seeungetüme auch in das Gebiet Ihrer Forschungen?«
»Allerdings interessieren sie mich. Gibt es hier etwas Derartiges?«
»Drüben in den Klippen auf Samaoe soll ein gewaltiger Polyp seinen Standort haben. Mehrere malaiische Fischer sind ihm schon zum Opfer gefallen. Wenn Sie sich das Tier ansehen wollen, wird Taban Sie hinüberfahren.«
»Das Anerbieten nehme ich gern an,« erwiderte ich. »Können Sie uns einen Köder verschaffen, der die Sepie anlockt, oder bedarf es dessen nicht?«
»Bei uns drüben werden heute Pferde geschlachtet,« warf der Holländer ein. »Es wird mir leicht sein, größere Stücke davon zu liefern. Wohin sollen sie gebracht werden?«
»Sie werden uns doch jedenfalls die Ehre Ihrer Gesellschaft zuteil werden lassen,« sagte Nottebohm. »Wir holen Sie im Boote ab und nehmen dann auch das Fleisch an Bord.«
Dongsa nahm die Einladung des Fremden nicht günstig auf. Allein sie war einmal erfolgt und angenommen, und nun ließ sich nichts mehr daran ändern. Als der Holländer gegangen war, glaubte ich Dongsa ein paar Worte der Entschuldigung sagen zu müssen. Er wehrte aber höflich ab und sagte so obenhin:
»Meinen Schiffern wird der Mann nicht angenehm sein. Die Beamten des Radja sind bei den Malaien nicht sehr beliebt. Aber ich werde Taban senden, der seine Leute im Zaume zu halten weiß.«
»Wenn aber irgendein Zusammenstoß zu befürchten ist, verzichten wir lieber auf die Fahrt. Ich möchte nicht, daß irgendein Insasse des Bootes gekränkt werden könnte.«
»Dafür sorge ich schon, lieber Freund,« erwiderte Dongsa. »Sie dürfen ganz beruhigt sein. Übrigens ist der Herr ja Holländer?« Die Worte waren fragend an Nottebohm gerichtet.
»Er stellte sich als solcher vor,« antwortete dieser. »Außerdem erkennt man das auch an der Sprache.«
Mit einer Schnelligkeit, als sei alles vorher verabredet worden, erschien plötzlich Taban auf der Veranda. Er wechselte ein paar Worte in Liplap (so heißt der in den Inseln gesprochene malaiische Dialekt) mit seinem Herrn und trat hierauf in unser Schlafzimmer. Sich zu dem Gepäck niederbeugend, fragte er:
»Welches Stück nehmen die Herren mit?« Sofort stand ich neben ihm und rief:
»Halt, Taban! Nicht anrühren! Die Säcke bergen zerbrechliche Dinge, die muß ich erst auspacken. Gehe nur voraus zu deinem Boote, wir tragen das wenige, was wir mitnehmen, selbst.«
Nun trat Dongsa herzu. Meinen Arm berührend, sagte er:
»Sie dürfen hier auf Timor keine Lasten tragen. Das schadet dem Ansehen der Europäer. Taban wird Ihnen helfen. -- Hierher Taban!«
Nottebohm hatte inzwischen seinen Rucksack aufgehoben und war eben im Begriff, ihn auf den Tisch zu legen, als ein Gegenstand herunterfiel, der einen metallischen Klang von sich gab. Zufällig haftete mein Blick an der Stelle. Ein funkelnder Blitz, grüngold schimmernd, traf mein Auge und ein heller Lichtstrahl zuckte empor. Bevor ich aber noch einen Laut von mir geben konnte, lag Taban dort auf den Knien und hob einen Kris empor. Eines jener gewöhnlichen Messer, wie sie jeder Eingeborene trägt. Mit der unschuldigsten Miene von der Welt fragte er Nottebohm:
»Gehört der Ihnen, Tuwán?«
Mein Kamerad streifte die Waffe kaum mit einem Blick und verneinte dann. Auch ich lehnte ab, wollte aber noch eine Bemerkung hinzufügen, die mich ein zwischen Dongsa und dem Schiffer gewechselter Blick jedoch *unterdrücken ließ. Den angefangenen Satz ließ ich in den Wunsch übergehen, das Messer an mich zu nehmen, um damit den nächtlichen Besucher ausfindig zu machen. Als ich später mit Nottebohm allein war, teilte ich ihm meine blitzartig kurzen Wahrnehmungen mit. Wie vorauszusehen, sandte er auch diese Angaben in das Reich der Fabel, indem er unter lautem Lachen sagte:
»Gegenstände, die mit funkelnden Edelsteinen besetzt sind, habe ich leider noch nie besessen. Das blendende Sonnenlicht hat Ihnen einen Streich gespielt. Legen Sie dies Märchen zu dem Gespenst, und denken Sie nicht mehr daran.«
Taban hatte es durchgesetzt, daß er unser Gepäck zu seiner Prau hinuntertragen durfte. Sie lag nicht an dem gestrigen Anlegeplatz, sondern in einer kleinen Bucht, deren Rückseite der Palast des Radja, richtiger dessen Gartenmauer, bildete. Der Holländer war bereits zur Stelle. Drei braune Burschen trugen eben das in eine Haut eingeschlagene Pferdefleisch herbei, dessen Geruch Tausende von Fliegen heranlockte.
»Hoffentlich werden wir diese Fracht bald los!« rief Nottebohm. »Sonst fressen uns die Fliegen, bevor wir den Tintenfisch zu Gesicht bekommen.«
»Sobald wir vor dem Winde segeln, merken wir nicht viel davon,« warf ich ein und ließ mein Auge über das Boot schweifen.
»Wo ist denn unser Gepäck, Taban?« fragte ich.
*»Dort in dem großen Kasten, Tuwán,« gab er zur Antwort, indem er mir einen in drei Farben angestrichenen Behälter zeigte, der recht aufdringlich hinter dem Maste stand und die Bordwand überragte.
»Warum denn das? Wenn ich meine Geräte rasch brauche, kann ich doch nicht erst den Kasten aufschließen. Das ist mir zu unbequem.«
*»Wir nehmen hier viel Wasser über, Tuwán, denn die Strömung ist sehr stark. Es ist besser so.«
Ich wußte nicht viel dagegen einzuwenden. Ein die ganze Breite des Fahrzeugs überspringender Spritzer gab ihm recht, obwohl er nicht ganz ohne Schuld daran war. Ich ließ ihn auch nicht darüber im unklaren. Er sollte wissen, daß ich kein Laie in seiner Kunst war.
Auf der kurzen Fahrt -- sie dauerte kaum eine halbe Stunde -- begegneten uns ein paar tiefgeladene Dschunken, die pfeilschnell mit der Strömung dahinschossen. Mit jedem der Steurer tauschte Taban einen Gruß, was mich zu der Bemerkung veranlaßte, daß er eine weitbekannte Persönlichkeit sein müsse.
»Die Dschunken sind Eigentum meines Herrn,« antwortete er. »Darum kenne ich all' die Leute der Besatzung.«
Nottebohm pfiff leise durch die Zähne und sagte auf deutsch:
»Denken Sie an die gestrige Begegnung? Ich glaube, wir finden bald den Schlüssel des Geheimnisses. Diese Dschunken werden ebensowenig einwandfrei sein, wie die von gestern.«
Der Holländer streifte uns mit einem fragenden Blick, da er die Worte nicht verstand. Auch Taban war aufmerksam geworden. Nottebohm entschuldigte sich, er habe unbewußt eine Bemerkung in deutscher Sprache fallen lassen. Dann machte er eine bedeutungslose Mitteilung auf holländisch.
Dicht vor einer Reihe von steil aus dem Meere emporstrebenden Klippen ließ Taban das Segel fallen. Das Boot trieb langsam durch einen Korallengürtel in stilles Wasser, das so klar war, daß man tief hinunterblicken konnte.
»Hier wohnt das Tier,« sagte Taban. »wir werden es rufen!«
Er ließ einen größeren Stein über Bord fallen, dessen Spur wir lange verfolgen konnten. Der Polyp ließ sich nicht blicken. Dagegen strebte ein kleiner Hai aus der Tiefe an die Oberfläche. Langsam, fast ohne Schwimmbewegung, hob sich der graugrüne Leib empor, plötzlich schoß der Hai blitzschnell zurück in die Tiefe. An der Stelle, an der er eben noch gestanden, lagen jetzt zwei lange dunkle Striche, die sich wie gewaltige Aale vorwärts bewegten. -- Es waren Arme des Oktopus.
»Donnerwetter, das ist ja ein ganz gefährlicher Kerl,« rief ich aus, als ich bemerkte, daß sich die schon meterlangen Arme immer weiter aus den Felsen heraushoben.
»Nimm dich in acht, Taban. wenn dich solch ein Arm packt, sind wir alle verloren. Jedenfalls haltet die Beile bereit.«
»Weiß schon, Tuwán! Habe schon ein paar arme Fischer hier verschwinden sehen. -- Soll ich das Fleisch über Bord werfen?«
»Natürlich!« rief Nottebohm, den das zu erwartende seltene Schauspiel ganz aufgeregt hatte. »Rasch, Taban, er zieht die Arme schon wieder ein.«
Damit war ich aber durchaus nicht einverstanden. Ich hatte schon zuviel über diese tückischen Ungetüme und ihre Kraft von Augenzeugen gehört, um ohne größte Vorsicht mich in deren unmittelbare Nähe zu wagen. Eine der flachen Klippen schien mir größere Sicherheit zu bieten. Dorthin ließ ich das Boot rudern. Auf dem höchsten Punkte dieses Felsens befanden wir uns zehn Meter über dem Wasserspiegel und konnten aus der Höhe das zu erwartende Schauspiel noch besser beobachten.