Streifzüge durch Celebes (Spannender Abenteuerbericht) - Ferdinand Emmerich - E-Book

Streifzüge durch Celebes (Spannender Abenteuerbericht) E-Book

Ferdinand Emmerich

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Beschreibung

Dieses eBook: "Streifzüge durch Celebes (Spannender Abenteuerbericht)" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Aus dem Buch: "Seit zwei Stunden, war ich obdachlos. Meine Universitätsstudien hatten vor wenigen Tagen ihren glücklichen Abschluß gefunden, und nun lenkte ich meine Schritte wieder hinaus in das schaffende Leben. Vor der deutschen Bierhalle erwartete ich die Abfahrt des Trajektschiffes, das die Inselbewohner über die Meerenge nach Reggio di Calabria bringt. Dort verschlingt sie der martervolle Eisenbahnzug, um ihnen in achtundzwanzigstündiger Reise die Herrlichkeiten des Golfes von Neapel zugängig zu machen. Mit geheimem Schauder dachte ich an die Tantalusqualen, die meiner in den sonnedurchglühten, engen Waggons harrten. Da tönte lautes, fröhliches Lachen durch die Stille. Aus einer Seitenstraße bogen vier kräftige Männer auf die Marina und warfen sich ächzend in die Sessel vor der Bierhalle." Ferdinand Emmerich (1858-1930) war ein deutscher Forscher, Abenteuerer und Reiseschriftsteller. Er verfasste überwiegend Jugendromane im Stil von Expeditions- und Abenteuerberichten.

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Seitenzahl: 269

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Ferdinand Emmerich

Streifzüge durch Celebes (Spannender Abenteuerbericht)

e-artnow, 2015 Kontakt: [email protected]
ISBN 978-80-268-3911-8

Inhaltsverzeichnis

Erstes Kapitel.
Zweites Kapitel.
Drittes Kapitel.
Viertes Kapitel.
Fünftes Kapitel.
Sechstes Kapitel.
Siebentes Kapitel.
Achtes Kapitel.

Erstes Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

Eine glühende Junisonne hing wie ein roter Ball am Firmament. Unter ihren senkrechten Feuerstrahlen kochte die See und sandte blendende Reflexe von goldrotem Metallglanz über die menschenleere Marina. Die Perle Siziliens, Messina, schlief. Was nur irgendwie von seiner täglichen Beschäftigung sich freimachen konnte, floh die um diese Stunde unerträglich heißen Straßen und suchte Kühlung in dunklem Schatten.

Seit zwei Stunden, war ich obdachlos. Meine Universitätsstudien hatten vor wenigen Tagen ihren glücklichen Abschluß gefunden, und nun lenkte ich meine Schritte wieder hinaus in das schaffende Leben. Vor der deutschen Bierhalle erwartete ich die Abfahrt des Trajektschiffes, das die Inselbewohner über die Meerenge nach Reggio di Calabria bringt. Dort verschlingt sie der martervolle Eisenbahnzug, um ihnen in achtundzwanzigstündiger Reise die Herrlichkeiten des Golfes von Neapel zugängig zu machen. Mit geheimem Schauder dachte ich an die Tantalusqualen, die meiner in den sonnedurchglühten, engen Waggons harrten.

Da tönte lautes, fröhliches Lachen durch die Stille. Aus einer Seitenstraße bogen vier kräftige Männer auf die Marina und warfen sich ächzend in die Sessel vor der Bierhalle.

»Junge, Junge, dat is man bannig warm hüt!« rief der eine in echtem Hamburger Plattdeutsch.

Ehe noch jemand darauf antworten konnte, stand ich vor ihnen und – wäre vor freudigem Erstaunen beinahe sprachlos geworden.

»Sutor! Lieber alter Freund, sehen wir uns hier wieder!« rief ich, auf den ältesten der vier zueilend und ihm herzlich die Hand schüttelnd.

Der Angeredete war einen Augenblick starr. Dann aber lief frohes Erkennen über seine Züge:

»Ist es möglich? Sie hier? Hier in Messina? Zu dieser Jahreszeit? Wie ist denn das zugegangen?«

Und nun erzählte ich. Daß ich hier meinen »Doktor gemacht« hätte, im Cholerahospital während der Epidemie praktisch tätig gewesen wäre usw., und daß jetzt mein Ziel nordwärts läge, um irgendwo am Lande eine Stellung zu suchen.

Kapitän Sutor lachte hellauf. Er wandte sich zu seinen Begleitern, die er mir als die Kapitäne Truelsen von der »Barcelona«, Dau von der »Lissabon« und Seeth von der »Palermo« vorstellte und sagte:

»Der junge Mann war mit in der Südsee. Dort hat er die tollsten Geschichten mit den Wilden aufgeführt. Nachher haben wir uns zufällig drüben in Acapulco getroffen, als er eben über Land vom Atlantischen Ozean herübergewandert war und nun...«

»Bin ich direkt von Südamerika, mit einem kleinen Umweg über die nordamerikanischen Staaten, halb Europa und die Sundainseln nach Sizilien gekommen« ergänzte ich, um...«

»Um an Land Doktor zu werden! Nee, nee, dat gleuw ik nich!« schrie Sutor, sich herzhaft auf die Knie schlagend. »Nie und nimmer tun Sie das!«

»Ja, das muß ich wohl,« antwortete ich lächelnd, »ich muß jetzt daran denken, irgendwo seßhaft zu werden und Familie zu gründen ...«

»Die arme Frau!« unterbrach Sutor.

»Wieso arme Frau?« fragte ich.

»Na, weil Sie ihr doch bald wieder ausrücken. Sie können nicht an Land festkleben. Wenn Ihnen mal erst Eis und Schnee zusetzen, kommt die Sehnsucht nach der ewigen Sonne. Dann dauert es nicht mehr lange ... ich kenne das!«

»Darin kann ich Sutor nur recht geben,« warf jetzt Kapitän Seeth ein. »Ich habe da ein Beispiel an meinem Bruder. Als der erst einmal Tropenluft geatmet hatte, zog es ihn immer wieder dahin. Seine schöne Stellung in Hamburg hat er aufgegeben, um Abenteuer aufzusuchen. Augenblicklich weilt er beim König Menelik von Abessinien und dressiert dort Löwen.«

Vom Hafen her dröhnte der dumpfe Laut einer Schiffssirene.

»O weh, mein Trajekt fährt ab!« rief ich, unwillig aufspringend. »Wie konnte ich aber auch ahnen, daß ich hier einen so lieben Freund finden würde? Ich hätte sicher noch einige Tage länger hier verweilt. Es tut mir leid ...«

»Wer zwingt Sie denn, heute schon zu reisen?« fragte Sutor.

»Hm – ja, wer zwingt mich eigentlich?«

»Nun, wenn Sie das selbst nicht wissen, dann bleiben Sie doch hier. Meine ›Genova‹ geht erst übermorgen weiter. Also haben wir noch drei vergnügte Tage, wer weiß, ob wir uns noch einmal treffen!«

»Wenn Sie nach Hamburg wollen, fahren Sie doch mit mir. Ich gehe morgen abend aus,« lockte Rapitän Truelsen.

Während ich noch zauderte, heulte der dritte Ton der Sirene.

»Do geiht he hin!« rief jetzt Sutor vergnügt. »Nun ist die Frage schon erledigt.«

Und wirklich! Eben dampfte das Trajektschiff an der Marina vorüber und nahm Kurs auf die weißen Häuser des von der andern Seite der Meerenge herüberleuchtenden Reggio.

Dieser Augenblick des Zauderns wurde für mein späteres Leben von besonderer Bedeutung.

Mit dem Eintritt der kühlen Nachmittagsbrise brachen wir auf. Das Wiedersehen mit meinem alten Freunde hatte dem Wirte eine mehr als gewöhnliche Einnahme verschafft. Den Kapitänen hatten sich noch zwei Obermaschinisten von den im Hafen liegenden Slomandampfern zugesellt, die Herren Wimmel und Hartmann, und in die sieben deutschen Seebärenkehlen waren ungezählte Tröpflein edlen bayrischen Gerstensaftes hinabgeflossen. Die Essensstunde nahte. Das Essen sollte an Bord der »Genova« eingenommen werden und es wurde beschlossen, den Abend einmal recht gemütlich zu verbringen.

Am Eingange zum Hafengebäude fiel mir ein großes Plakat auf:»Deutsche Dampfschiffreederei– Hamburg. Dampfer China trifft heute abend 8 Uhr ein und wird morgen mittag 1 Uhr nach Ostasien weitergehen.«

Der alte Kapitän Dau zupfte mich am Ärmel:

»Das wäre so etwas für Sie, nicht wahr? Ich sehe es Ihren Augen an, daß Sie eben denselben Gedanken liebkosten.«

»Wahrhaftig, Kapitän, Sie sind Gedankenleser!« rief ich. »Aber leider geht das nicht immer so wie man gern möchte.«

»wie?« sagte Sutor und drängte sich näher an das Plakat, »bleibt der Kasten die Nacht über hier? Dann muß der Kapitän mit uns zusammenkommen. Ich weiß zwar nicht, wer es ist, aber einer von uns kennt ihn sicher.«

»Fahren Sie nur an Bord, Sutor. Ich werde dem Agenten sagen, daß er etwas ausmacht für heute abend,« erwiderte Kapitän Truelsen, indem er sich der Agentur zuwandte.

Wir saßen eben auf dem Deck der »Genova«, als ein mächtiger Dampfer von See her auf die Mole zusteuerte. Der rote Ring mit dem D.D.R ließ ihn als den erwarteten Ostasienfahrer erkennen. Als dieser so viele Schiffe der heimatlichen Sloman-Reederei versammelt sah, grüßte die Sirene in tiefen Tönen herüber und entfesselte dadurch auf den andern deutschen Schiffen ein Antwortgebrüll, das die Lustwandelnden auf der Marina erstaunt ihren Spaziergang unterbrechen und zum Hafen eilen ließ.

»Ich konnte den Kapitän nicht erkennen, die Sonne stand mir zu ungünstig,« sagte Sutor, als der Dampfer vorbeigetrieben war.

»Er schien Sie aber zu kennen,« warf der erste Offizier ein. »Er schwenkte die Mütze und winkte lebhaft herüber.«

Eine Stunde später legte ein Boot längsseit.

»Hallo, Käpt'n an Bord?« fragte eine Stimme, die mir seltsam durch die Nerven zuckte. Und zwei Minuten später trat eine markige Gestalt auf das Hinterdeck, die auf Sutor zueilte und ihm herzlich die Hände schüttelte. Dann wandte er sich grüßend zu uns. Als sich unsere Blicke kreuzten, zuckten wir beide zusammen.

»Ja – wie ist mir denn? Wir kennen uns doch?« erscholl es wie aus einem Munde.

»Gewiß kennt ihr euch, Hinsch! Denk doch an die Südsee!« rief Sutor mit frohem Lachen dazwischen.

»Hinsch!« Wie ein Blitz durchzuckte es mich. In raschem Wandel traten mir alle die Szenen vor Augen, die wir Seite an Seite dort unten in der fernen Südsee erlebt hatten. »Hinsch! Lieber, bester Freund, wie freue ich mich, Sie wiederzusehen!«

Und nun war des Erzählens kein Ende. Kaum konnten die übrigen Herren, die der Einladung folgend nach und nach an Bord der »Genova« kamen, ihre neugierigen Fragen nach den jeden Kapitän interessierenden, heimischen Schiffsverhältnissen anbringen, so sehr nahm uns unsere Unterhaltung in Anspruch.

Während wir zu vorgerückter Stunde zur Marina hinüberfuhren, um noch einen Schoppen »frisch vom Faß« vor dem Schlafengehen zu »verstauen«, schnitt Sutor nochmal die Frage meiner beabsichtigten »Landpraxis« an. Er wiederholte seine Ansicht, daß es doch nicht von Dauer sein könne, wenn ich mich irgendwo ansässig machte.

»Am besten wäre es, Hinsch, Sie nähmen unsern Freund gleich mit nach Ostasien!« schloß er seine Rede, indem er mir listig zublinzelte.

»Donnerwetter, ja, das ist eine gute Idee!« rief dieser. »Kommen Sie mit mir, Mann. Unterwegs besprechen wir dann das Weitere.«

Natürlich wehrte ich mich gegen dieses Ansinnen. Anfangs waren die Worte wohl scherzhaft gemeint. Je länger aber das Projekt besprochen wurde, desto mehr verdichtete es sich zu greifbaren Formen. Auch mir schien die Idee nicht so unausführbar. Die erforderlichen Geldmittel ließen sich auf telegraphischem Wege beschaffen. Bis zum Eintreffen der Zahlungsorder langten meine Mittel noch ...

Um es kurz zu sagen: Als wir lange nach Mitternacht die Sitzung mangels »Stoff« aufheben mußten, bezog ich bereits meine Kabine an Bord des »China«. Zwölf Stunden später durcheilte ich mit dem Ostasienfahrer die Straße von Messina – den Kurs auf den Suezkanal gerichtet.

Zweites Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

Als ich angesichts der griechischen Küste mit einem gelinden Brummschädel von einer zweiten Wiedersehensfeier an Deck trat, konnte ich mich der Einsicht nicht verschließen, daß ich einen »dummen Streich« gemacht hatte. So ohne jede Vorbereitung durfte eine Forschungsreise, die einigermaßen erfolgreich werden sollte, nicht unternommen werden. Zwar standen mir genügende Geldmittel zur Verfügung, aber einen Stützpunkt an einem wissenschaftlich anerkannten Institut brauchte ich doch. Im andern Falle würden die Ergebnisse meiner Reisen in Museen wandern, ohne daß man sich die Mühe nähme, die Gegenstände auf ihren Wert hin zu prüfen oder an der Hand meiner Berichte eingehend zu würdigen.

»In Port Said verlasse ich Sie wieder, Hinsch,« sagte ich dem Kapitän, als er zu mir ins Rauchzimmer trat. »Ich habe übereilt gehandelt, als ich mich zu der Reise entschloß. Ich will doch erst mal nach Deutschland.«

»Mann,« fragte dieser verwundert, »haben Sie auch einen moralischen Katzenjammer? Sie waren doch sonst immer so rasch entschlossen, wenn es galt, etwas zu unternehmen. Denken Sie nur an die Zeit in den Südsee-Inseln. Da ist uns manches Mal das Gruseln über den Rücken gelaufen, wenn Sie zu einer neuen, unglaublichen Expedition ausrückten – und nun so?«

»Recht haben Sie, Hinsch, aber es geht einfach nicht. Ich muß mich vorher mit meinen früheren Auftraggebern in Verbindung setzen, sonst haben meine Reisen keinen Zweck ....«

»Geht das nicht telegraphisch?«

»Hm – vielleicht! Aber wohin soll ich eine Antwort senden lassen, wenn ich in Port Said wirklich Telegramme aufgeben wollte? Bis zum Eintreffen der Antwort sind Sie längst wieder in See, und nach Ceylon möchte ich aufs Ungewisse nicht mitfahren.«

»In Port Said werden wir nachmittags ankommen. Während der Nacht nehmen wir Kohlen und gehen, wenn wir gleich an die Reihe kommen, nach neun Uhr Vormittags in den Kanal. Sechzehn bis zwanzig Stunden dauert die Kanalfahrt bis Suez immer. Sie haben also sechsunddreißig bis vierzig Stunden Zeit vor sich. Das genügt zu einem Telegrammwechsel. In Suez finden Sie die Antwort. Wollen Sie dann immer noch nach Deutschland zurück, so ist nicht viel verloren, wenn Sie erst in Suez an Land gehen.«

»Nun ja, lieber Hinsch, so werde ich es machen. Ich bin ja so froh, daß ich wieder ordentliche Schiffsplanken unter den Füßen habe und mit Ihnen zusammensein kann. Hoffentlich bekomme ich einen Auftrag für China oder Japan. In dem Falle haben wir noch sechs Wochen vor uns.«

In Port Said harrten viele Dampfer auf die Einfahrt. Drei Postdampfer, die den Vorrang vor andern Frachtschiffen im Kanal genießen, waren erst kürzlich eingetroffen und warteten auf die Kohlenbarken, um ihre Reise ohne Aufenthalt fortsetzen zu können, weitere sechs Dampfer hatten Anker geworfen und schienen sich auf längere Wartezeit eingerichtet zu haben.

Hinsch winkte mir von der Kommandobrücke:

»Fahren Sie nur gleich hinüber zum Telegraphenamt und bestellen Sie die Antwort nach Suez. Vor übermorgen nachmittag werden wir schwerlich dort eintreffen. Es bleibt also Zeit genug.«

Port Said, die alte Holzbarackenstadt, bietet nichts Interessantes. Hier herrscht nur buntes Treiben. Man sieht Angehörige aller Rassen, unter denen natürlich Araber vorherrschen. Die wenigen, aber sehr großen Läden haben sich dem Durchgangsverkehr von der heißen in die gemäßigte Zone angepaßt. Man findet dort alles, was der Europäer in den Tropen nötig hat, und ebenso kann der aus den Tropen Heimkehrende seinen gesamten Bedarf an europäischen Artikeln daselbst decken. In der heimlich erhofften Antwort auf Fortsetzung der Reise kaufte ich erst ein Stück – den Toopie oder Tropenhut – dann einen leichten, rohseidenen Anzug. Als ich das an Bord verpacken wollte, bemerkte ich, daß mein Koffer bereits voll war. Ich fuhr zurück und erstand einen Koffer. Um den noch etwas zu füllen, ließ ich mir noch zwei Kamelhaardecken einpacken. Nachmittags ging ich dann mit Kapitän Hinsch noch einmal in den Laden. Der schlaue Levantiner wußte es nun so einzurichten, daß ich nach dem zweiten »Whiskey mit Soda« noch drei weiße Anzüge und weiße Schuhe erstand. Dann ließ ich den Koffer an Bord schaffen und lehnte weitere Geschäfte ab.

Am nächsten Nachmittag, zwei Stunden vor unserer Einfahrt in den Kanal, traf ein Telegramm aus Galveston ein:

»Wenn Celebes, kleine Sunda, Molukken, dann ja. Näheres Singapore Raffles Hotel.«

Noch hatte ich den Inhalt nicht recht in mich aufgenommen, da stand schon der Levantiner vor mir.

»Mein Herr, ich habe alles im Boote, was Ihnen noch fehlt. Soll ich es an Deck bringen lassen?«

Verwundert blickte ich den Frager an:

»Wieso? Was soll mir fehlen?«

Mit einem verschmitzten Lächeln zog mich der schlaue Fuchs beiseite und raunte mir zu:

»Auf Celebes und den Sunda-Inseln brauchen Sie Waffen. Sie können sie nirgends mehr anschaffen, weil die Regierungen es nicht erlauben. Ich habe etwas hervorragend Gutes....«

»Aber Herr Artz, woher wissen Sie denn, daß ich nach den Sunda-Inseln reisen will?« fragte ich erstaunt den Händler.

Er kniff das linke Auge zu und erwiderte:

»Nu – ein guter Geschäftsmann muß alles wissen! Darf ich die Sachen in Ihre Kabine bringen?«

Die Geschäftstüchtigkeit des Mannes gefiel mir. Ich wurde bald mit ihm einig und besaß bei der Abfahrt unseres Dampfers von Port Said eine vollständige Ausrüstung für eine lange Reise in wenig bewohnten Ländern. Der gewiegte Herr hatte einfach an alles gedacht. Und zu diesen Vorbereitungen stand ihm nur die kurze Zeit zwischen der Ankunft und der Übergabe des Telegrammes an mich zur Verfügung. Die Telegraphenboten werden eine hübsche Provision für ihren Vertrauensbruch eingesteckt haben.

Meine frohe Laune war wiedergekehrt. Vor mir lag ein Arbeitsfeld, das mir besonders zusagte. Nun konnte ich mich wieder über die schöne Welt freuen. Mit doppelter Wonne sog ich die Wunder des herrlichen Sonnenunterganges im Roten Meere ein. Die in tiefes Gold getauchten Berge Aethiopiens enthüllten dem Reisenden einen Farbenreiz, der einzig in der Welt dastand. Wie sich das feurige Gold des Abendrots über einen unbeschreiblich schönen Orangeton in magisches Grün verwandelt, kann weder Feder noch Pinsel festhalten – es ist eines der Wunder des Ägypterlandes.

Vierzehn Tage später tauchte der Adams Pik, das Wahrzeichen der Insel Ceylon, aus dem Meere auf. Mittags warfen wir vor Colombo den Anker in die Tiefe. Im Hafen lagen ungewöhnlich viele Dampfer, aber keiner, der einen für mich günstigen Punkt anlief. So mußte ich denn auf der »China« den Umweg über Kalkutta mitmachen, wodurch meine Ankunft in Singapore um etwa vierzehn Tage hinausgeschoben wurde.

Mit der Abendkühle fuhren Hinsch und ich an Land, um dem Leben und Treiben im Oriental House, Colombos größtem Gasthofe, zuzuschauen. Das Hotel ist der Treffpunkt der eleganten Herrenwelt und hier findet man die meisten Europäer, die zu einem Whiskey hereinkommen, bevor sie sich in ihre Villen zurückziehen. Originell ist die Kleidung der Kellner in dem Hause. Es sind ausschließlich Singhalesen, die auf dem Kopfe einen Zopf und darauf einen runden Kamm aus Schildpatt tragen. Zum eleganten weißen Smoking mit goldenen Knöpfen, tragen sie den kurzen, unterrockartigen Sarong und von den Knien abwärts laufen sie barfuß. Auf den daran nicht gewöhnten Europäer macht die Tracht einen merkwürdigen Eindruck.

Zu einem Ausfluge nach Kandy, der eigentlichen Hauptstadt Ceylons, blieb mir keine Zeit, wir gingen bereits am nächsten Mittag nach Kalkutta in See. Die Fahrt dorthin wurde zu einer etwas aufregenden. Einer, der um diese Jahreszeit im Golf von Bengalen heftig auftretenden Stürme überfiel uns.

Nach dem Abendessen war ich mit Kapitän Hinsch auf das Oberdeck hinaufgestiegen, wo wir neben dem Kartenhause einen traulichen Plauderwinkel eingerichtet hatten. Es war ein außergewöhnlich ruhiger Abend. Der Monsun schien eingeschlafen zu sein, denn nur leise kräuselten sich die Kämme der Wellen. Über der unendlichen Wasserfläche wölbte sich in magischer Pracht der südliche Sternenhimmel. Die mir aus meinem einsamen Lagerleben in tropischen Ländern so vertraut gewordene, herrliche Figur des südlichen Kreuzes im Sternbilde des »Kentaur« stand in dem hellstrahlenden Glanze ihrer vier Ecksterne in der Mitte des Horizontes. Prachtvoll funkelte das Meer, das in Millionen Phosphorlichtern einen bezaubernden Glanz entfaltete.

Wir lagen in unsern Deckstühlen und blickten wortlos auf die stets wechselnden Funkenspiele, als der erste Offizier herantrat:

»Herr Kapitän, das Barometer fällt seit einer Stunde andauernd.«

»Dacht' ich es doch!« rief Hinsch aufspringend. »Die Luft ist auch gar zu durchsichtig heute abend und der Monsun hat sich verkrochen. Lassen Sie gleich alles festzurren und benachrichtigen Sie die Kajütdiener, daß sie auf dem Posten sind. – Wann glauben Sie, Herr Heinzen, daß es losgeht?«

»Vor der Morgenwache wohl kaum, Herr Kapitän.«

»Das ist auch meine Ansicht. Ich schlage vor, wir legen uns jetzt schon in die Klappe, denn wer weiß, wann wir wieder zur Ruhe kommen. So ein bengalischer Orkan meint es recht gut.«

»Wie lange pflegt er denn zu wehen?« fragte ich.

»Je nachdem. Oft rast er in zwei Stunden vorüber. Ich habe ihn aber auch schon drei Tage auf dem Nacken gehabt. Kommen Sie mit hinunter?«

»Danke, Hinsch. Ich genieße die schöne Nacht noch eine Weile. Wenn es erst weht, kann ich noch genug schlafen.«

Ich lehnte mich an die Reeling und suchte den Horizont nach Anzeichen des Sturmes ab. Außer dem starken Funkeln der Sterne deutete nichts auf eine bevorstehende Änderung des schönen Wetters. Auf dem Deck des Schiffes entfaltete sich dagegen eine emsige Tätigkeit. Lautlos hantierten die Matrosen an den Decksgegenständen. Die großen Sonnensegel wurden weggenommen. Deckstühle und sonstiges loses Gut verschwanden im Innern des Schiffes. In den Kabinen wurden unter lautem Protest der Fahrgäste die Fenster mit dem Schraubenschlüssel zugeschraubt. »Nur aus Vorsicht!« hieß es, um die Menschen nicht zu ängstigen.

Das Meer wurde in seinem phosphoreszierenden Glanze immer schöner. Es bannte das staunende Auge an die unabsehbare Fläche und ließ es mit wachsender Spannung den steten Wechsel der fesselnden Erscheinung betrachten. An der Seite des Dampfers tauchten in den sprühenden Bugwellen wunderbar grünschillernde Quallen auf, um gleich darauf wie glühende Blasen wieder in der Tiefe zu verschwinden. In goldgrünen Bändern verliefen die zitternden Schaumstreifen in der Ferne. Weit hinten, wo Horizont und Meer zusammenzustoßen scheinen, loderten lichte Feuerbüschel empor. Dort trieb eine Schar Delphine ihr lustiges Spiel...

Die Schiffsglocke schlug acht Schläge. Mitternacht. Der zweite Offizier löste seinen Kameraden ab. Auch ich suchte meine Kabine auf. Ich ging mit dem ersten Offizier hinunter und fragte ihn:

»Wann wird's losgehen, Herr Heinzen? Was sagt das Barometer?«

»Ich denke bis Tagesanbruch noch schlafen zu können. Das Barometer ist unruhig. Auch die Luft gefällt mir nicht – zu viel Elektrizität! Aber einstweilen darf ich Ihnen noch eine »gute Nacht« wünschen.«

Kurz vor Tagesanbruch stand ich, wie gewohnt, an Deck. Das schöne Meer ähnelte einem grauen Teppich. Bleiern lagerte der Dunst über dem Horizont, und die Sonne tastete mit feuerroten Strahlen über die Wasserwüste, gleichsam als fürchte sie sich dem Kommenden ins Auge zu schauen.

Im Süden flog ein handgroßes Wölkchen über die Kimmung. Es stand minutenlang anscheinend unbeweglich. Dann ging ein scharfer Pfiff durch die Luft und nun begann das Wölkchen an Ausdehnung zu gewinnen. Es formte sich zu einem dunklen Ballen und prägte dem ganzen Horizonte eine graue Färbung auf, aus der die Sonne wie eine matte Kupferscheibe hervorlugte.

Hinsch trat zu mir. Er trug Ölzeug und Seestiefel:

»Wenn mich nicht alles täuscht, werden wir uns in den nächsten zwei Tagen kaum begrüßen können. Es braut dort unten ein böser Orkan. Tun Sie mir den Gefallen und beruhigen Sie die Passagiere, wenn es zu bunt werden sollte. Unser Schiff wird's hoffentlich aushalten, es macht erst die dritte Reise. Ich werde alle unten einschließen, damit keiner während des Wetters auf Deck gehen kann. – Na, Sie kennen ja den Rummel aus Erfahrung. Geben Sie den Passagieren ein gutes Beispiel! Auf Wiedersehen!«

Wieder pfiff es in den Lüften. Diesmal in so gellendem Tone, daß man es ordentlich in den Knochen spürte. Die Aufwärter kamen mit der Glocke auf Deck und riefen die Fahrgäste zum Frühstück in den Speisesaal. Die Essenszeit benutzten sie, um in den Kajüten eiserne Platten vor die Fenster zu schrauben.

Während des Frühstücks setzte unter prasselndem Geräusch ein wolkenbruchartiger Regen ein. Das Schiff begann zu schwanken und ein Blick aus den Fenstern zeigte uns, daß die See einem wild durcheinandergeworfenen Chaos von Berg und Tal glich. – Ein Tosen und Heulen begleitete das donnerähnliche Krachen der an der Schiffswand zerschellenden Wogen und die immer mehr zunehmenden Bewegungen des Dampfers ließen erkennen, daß der Orkan herangebraust kam.

Die angeregte Unterhaltung der Passagiere war einem stummen Hinbrüten gewichen. Hie und da erhob sich einer und suchte Zuflucht vor der ausbrechenden Seekrankheit in seiner Kabine. Die Seefesteren sahen mit bangendem Blick in den Aufruhr der Elemente und gar manchem drängte sich die Frage auf die Lippen: »Ist es gefährlich?«

Ich nahm das Wort und suchte den Verzagten Mut einzusprechen. Noch gelang mir das, denn der Sturm schien nicht über eine mittelmäßige Stärke hinauszugehen. Als dann aber ein Gewitter in seiner ganzen Schwere den Himmel zu verfinstern begann, bemächtigte sich die grausige Angst der Ärmsten. – Jetzt brach draußen ein tosendes Geheul los. Wie von Riesenhänden gepackt, legte sich der große Dampfer auf die Seite. Das ratternde Geräusch der aus dem Wasser gehobenen Schiffsschraube ließ den ehernen Bau in seinen Grundfesten erbeben. Im Speisesaal polterte klirrend das Geschirr über die Sturmleisten zu Boden. Wer sich erhob, wurde zur Erde geschleudert. Die ganze Wucht des in seinen Tiefen aufgewühlten Meeres hämmerte auf das schwer arbeitende Schiff und das Tosen der in Aufruhr geratenen Elemente übertönte jedes Wort.

Es war einer jener Augenblicke, die von niemanden, der sie erlebt, vergessen werden. Es gibt auch in keiner Sprache Worte, die diesen betäubenden Lärm, diese alles zerschmetternde Wucht beschreiben könnten.

Die haushohen Wogen donnerten unausgesetzt auf das Deck und überfluteten das Schiff mit wahren Gießbächen. Tosend brachen sich die aufgepeitschten wogen an der Schiffswand. An dem Rauschen über unsern Köpfen konnte man die Wassermenge ermessen, die sich bei jeder Bewegung flutend über den schwer arbeitenden Dampfer ergoß.

Die Aufwärter deckten den Tisch für das Mittagsmahl. Fragend blickten die geängstigten Menschen umher ....

»Essen Sie nur ruhig, meine Damen und Herren,« rief ich, den Lärm übertönend. »Sie sind auf einem deutschen Schiff und auf deutsche Arbeit können Sie sich verlassen!«

»Aber wo ist der Kapitän, wo sind die Offiziere?« fragte man zurück.

»Die sind natürlich auf ihren Posten. Sie stehen oben auf der Kommandobrücke. Sie haben sich mit starken Tauen festgebunden, damit die See sie nicht über Bord spülen kann!«

»Aber die müssen doch auch essen und schlafen!« hieß es angstvoll.

»Wenn der Orkan vorüber ist, ja. Solange es aber noch so stark weht, verläßt kein deutscher Seemann seinen Posten. Wenn es sein muß, bleibt er auch Tage und Nächte oben!« erwiderte ich mit Stolz.

Kurz vor dem Nachtisch schlug eine besonders schwere See ein Fenster im Speisesaal ein. Das drei Zentimeter dicke Glas flog in Splittern in den Saal und eine salzige Flut ergoß sich über Tische und Teppiche. Nur mit großer Mühe gelang es den Aufwärtern, die eisernen Schutzklappen vor die Fenster zu bringen und die Öffnung damit zu verschließen. Dadurch waren wir nun auch des Ausblicks nach außen beraubt und nur auf das Licht der Petroleumlampen angewiesen. (Elektrische Beleuchtung war damals noch wenig eingeführt.) Das matte Halbdunkel ließ das Toben der Elemente und das Ächzen und Krachen im Schiff doppelt schaurig erscheinen.

Das Abendessen rührten nur wenige Fahrgäste an. Es gelang mir durch mein Beispiel einige besonders schwach aussehende Damen zu einer Tasse Suppe zu überreden, aber zu weiterer Speiseneinnahme fehlte ihnen der Mut. Die Herren waren womöglich noch furchtsamer.

Um zehn Uhr lud der Oberkellner die Passagiere ein, die Kabine aufzusuchen. Nur zögernd erhoben sie sich, um an der Hand der Aufwärter den kurzen Weg zu den Kammern zurückzulegen.

Da! – Ein furchtbarer Donnerschlag, gefolgt von einem ohrenbetäubenden Prasseln, jagte uns das Blut zum Herzen. Eine Sekunde lähmender Erwartung folgte. Laute Rufe, Schreien, dann Kommandoworte drangen aus dem Innern des Schiffes. Zischen und Pfeifen entfesselten Dampfes ließen auf ein Unglück in der Maschine schließen. Dann wieder ein furchtbarer Donnerschlag ....

Schon bei dem ersten Toben waren die meisten Fahrgäste mit gellendem Aufschrei in den Saal zurückgeflüchtet. Der zweite Schlag brachte sie vollends um die Besinnung. – Im Verein mit den Kellnern machte ich alle erdenklichen Anstrengungen, um die kopflos gewordenen Menschen wieder zur Vernunft zu bringen. – Umsonst! Sie schrien, rauften sich das Haar und ließen sich zum Teil von dem Rollen des Schiffes willenlos über den Boden hin und her wälzen. Einige beteten laut um Rettung, andere lagen apathisch, in die Kissen gekrallt, auf den Bänken und stierten ergeben ins Leere ....

Ein dünner Wasserstrahl züngelte aus dem Kabinengang in den Saal. Fragend deutete ich ihn dem Oberkellner an. Als dieser aber die Achsel zuckte, entschloß ich mich, der Ursache nachzuforschen. Am Ende des Ganges fand ich die Türe zum Zwischendeck. Sie war nicht verschlossen. Als ich mich aber mit aller Gewalt dagegen stemmte, um sie gegen die Wucht des Windes zu öffnen, wurde sie mir aus der Hand gerissen und die Spritzer einer überkommenden See warfen mich in einem flutenden Salzregen in den Gang zurück. Schwer schlug ich mit dem Kopf auf die Treppenstufe, wie betäubt blieb ich einen Augenblick liegen. Dann ließ mich aber ein neuer Brecher die Gefahr für das Schiff erkennen, wenn die Tür offen blieb. – Ich erhob mich und starrte in die Finsternis hinaus. Zu meinen Füßen schäumte das über das Deck flutende Wasser. Schwere Seen liefen von hinten über und zerteilten ihre gewaltigen Massen über die ganzen Decksbauten, von der Mannschaft war niemand zu sehen ...

Ich rannte zurück in den Saal. Bei meinem Eintritt erscholl ein vielstimmiger Schrei – ich muß bös ausgesehen haben –! doch ich nahm mir nicht die Zeit nach der Ursache zu fragen.

»Schnell, zwei – drei Mann – einen Strick!« ächzte ich und ohne auf die entsetzten Ausrufe der Passagiere zu achten, stieß ich die Aufwärter vor mir her. Im Vorbeigehen riß ich eine fingerdicke starke Vorhangschnur ab.

Nur Minuten hatte das alles gedauert und doch schäumte bereits eine handbreit Wasser den Gang hinan, als wir unten an der Treppe ankamen.

»Schnell, Leute, bindet mir die Schnur fest um den Leib – so – und nun schlagt sie um die Eisenstange dort. Hier, den Block setzt zwischen die Tür, damit mir der Rückweg offen bleibt. Und nun – haltet fest!«

Mit einem Satz war ich draußen auf Deck. In demselben Augenblick packte mich die Windsbraut und preßte mich hart gegen die Wand des Oberdecks. Gellend brausten die Fanfarenstöße des Orkans um meine Ohren, und zu dieser zerstörenden Allgewalt gesellten sich die heulenden Sturzseen. Es gelang mir nach unsäglicher Mühe, die Türe zu ergreifen. Leider war der aus einem Ring bestehende Drücker so klein, daß ich keine Gewalt anwenden konnte, um der Wucht des Winddruckes entgegenzuarbeiten. So sehr ich meine Kräfte anspannte, die gegen die Wand gepreßte Tür wich keinen Millimeter aus ihrer Lage. Sie saß fest wie angenagelt.

Wieder donnerte eine schwere See von hinten her über das Heck, wie der Rachen eines Höllentieres wälzte sie sich brüllend heran. Die gewaltigen Wassermassen packten mich, hoben mich vom Deck auf und eine Sekunde später lag ich mit blutendem Kopfe, halb ertrunken, in dem ablaufenden Gischt.

»So geht es nicht!« rief ich den Aufwärtern zu, die mich in den Gang herein gerettet hatten. »Holt ein Tau, schnell – eilt euch.«

Während mir der Oberkellner das Blut aus dem Gesichte wusch, prüfte ich die Haltbarkeit der Schnur. Riß sie, so war ich rettungslos verloren.

Das Tau kam. Die nächste ablaufende Sturzsee nahm mich wieder mit auf das Deck hinunter. Wie zur höchsten Wut aufgepeitscht, rüttelte der Orkan an meinem Körper. Er setzte meinem Vordringen den heftigsten Widerstand entgegen, wie Messer schnitten Regen und Seewasser in meine Wunden. Schritt um Schritt mußte ich meinen Weg erkämpfen. – Endlich fand ich tastend den Ring. Die Schlinge saß. Nun galt es, eine der Stützen zu erreichen, um das Tau darum schlagen und die Zugkraft verstärken zu können. Auch das gelang mir. – Beim ersten Versuche, die Tür an mich zu ziehen oder sie nur zu lockern, mußte ich aber einsehen, daß das über die Kräfte eines Menschen ging.

Einer der Aufwärter hatte die Schwierigkeit meines Unternehmens erkannt und die Hilfe des Maschinenpersonals herbeigerufen. Bald standen, an langen Leinen gesichert, drei Mann neben mir. So sehr wir jedoch unsere Kräfte anspannten – der Orkan trotzte dem Menschen. Noch weiterer zwei Mann bedurfte es, um endlich die gefährliche Öffnung verschließen zu können.

Ich war am Ende meiner Kraft. Ermattet wankte ich in meine Kabine und schlief trotz des mit unverminderter Kraft tobenden Orkanes die ganze Nacht hindurch.

Eine wässerige Sonne beleuchtete am anderen Morgen die hochaufgewühlte, sturmgepeitschte See. Der Orkan hatte etwas nachgelassen und es wurde den Fahrgästen gestattet, in den überdachten Gängen unter dem Oberdeck spazieren zu gehen. Ich gesellte mich zu einer Gruppe, die einen in Ölzeug gehüllten Seemann umstanden. Dieser schlug bei meinem Erscheinen die Hände über dem Kopf zusammen:

»Um des Himmels willen, Herr, wie sehen Sie aus! Wo in aller Welt haben Sie sich denn die Schrammen geholt?«

»Ja, ein wenig bunt ist mein Fell wohl angelaufen, auch habe ich eine Anzahl großer und kleiner Risse und Beulen davongetragen – aber sonst bin ich gesund!« gab ich lächelnd zur Antwort.

»Wie ist denn das nur möglich gewesen? Wo haben sie sich denn verletzt?« fragten nun verschiedene Stimmen.

Ich gab ihnen eine kurze Schilderung der nächtlichen Vorgänge.

»Wie? Sie waren das?« rief der Offizier. »Man hat dem Kapitän gemeldet, der französische Passagier habe das Wagestück vollbracht!«

»Der Franzose? Und das haben Sie auch nur eine Sekunde lang geglaubt?« erwiderte ich lachend. »Nein, der würde niemals den Mut zu einer gefahrvollen Arbeit, die ihm nicht auf den Nägeln brennt, aufbringen. Die glorreiche Nation hat nur den Mut in ihren Worten, 1n der Wirklichkeit aber sieht das anders aus. Sie haben das beste Beispiel dafür in der Eroberungspolitik der Franzosen. Dort, wo wirkliche Anforderungen an den Mannesmut des einzelnen gestellt werden, läßt sich der Franzmann nicht sehen. Dorthin sendet er die Fremdenlegionäre oder die Schwarzen. Er selbst hält sich »mutig« zurück. Sie haben den Beweis für meine Ansicht in der Geschichte. Überall da, wo der Franzose mit seinen weißen Soldaten auf dem Kampfplatz trat, erlitt er Schlappen – sofern der Gegner mit ebenbürtigen Waffen stritt. Wehrlose Neger allerdings konnte er durch die Übermacht der Kriegswaffen besiegen. Aber selbst dort wurde er sein Angstgefühl vor blutiger Vergeltung nicht eher los, bis er das Haupt seiner Gegner in Sicherheit wußte. Beispiel: König Behanzin von Dahome, der auf der Insel Martinique eingesperrt wurde.«

Ein Aufwärter rief mich zum Kapitän.

»Das haben Sie gut gemacht, daß Sie eingesprungen sind. Ich danke Ihnen im Namen meiner Reederei und in meinem eigenen Namen herzlichst,« sagte er, mir die Hand schüttelnd. »Wäre die Luke offen geblieben, säßen wir jetzt bei den Fischen...«

»Keinen Dank, Kapitän!« rief ich. »Eher verdiene ich Vorwürfe, denn ich öffnete ja die Tür, und da war es meine Pflicht...«

»Nein, nein, nein!« wehrte er ab. »Die Türe war nicht vorschriftsmäßig verschalt und auch ohne Ihr Zutun hätte der Orkan sie aufgerissen. – Übrigens sehen Sie nett aus!«

»Zum Verlieben – nicht wahr?« lachte ich. »Doch was ist's mit dem Wetter, Kapitän? Er kommt wohl zurück, der Orkan?«

»Ich fürchte, wir werden in zwei Stunden von neuem den Tanz beginnen. So Gott will, geht es auch dann wieder glimpflich ab. Bis jetzt haben wir nur ein Boot verloren und einige Oberlichte zu beklagen.«

Die Befürchtungen des Kapitäns trafen ein. Wir saßen beim Mittagessen. Das frohe Gesicht unseres wackeren Schiffsführers hatte eben den Tischgästen wieder neuen Mut eingeflößt, als ein Matrose erschien, der dem Kapitän einen Zettel reichte. Sofort warf dieser sein Besteck hin und eilte auf Deck. In seinem kurzen Blicke las ich die Botschaft.

Der erste Offizier bemühte sich, die Bedenken der aufmerksam gewordenen Passagiere zu zerstreuen:

»Beruhigen Sie sich, meine Herrschaften. Der Kapitän ist nur wegen der Festsetzung des Schiffsortes nach oben gerufen. Gefahr ist nicht vorhanden. Der Wind wird bald einschlafen.«