Schneeflockenherzen über Sankt Peter-Ording - Anni Deckner - E-Book
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Schneeflockenherzen über Sankt Peter-Ording E-Book

Anni Deckner

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Beschreibung

Wenn das Schicksal Amor spielt, sind sogar Winterwunder möglich … Weihnachtsmuffel Lizzy hat sich damit arrangiert, Single zu sein. Als sich auch noch ihre beste Freundin Silvi in der Adventszeit von ihrem Freund trennt, fliehen die beiden nach St. Peter-Ording, um dort die Weihnachtstage hinter sich zu bringen. Doch als Silvi sie im Stich lässt, ist Lizzys Laune endgültig im Keller. Allerdings ist da der attraktive Jakob, dem sie ständig in die Arme läuft und der ihr Herz höher schlagen lässt. Lizzy spürt eine besondere Verbindung, doch jedes Mal, wenn sie sich näher kommen, zieht sich Jakob zurück. Irgendetwas – oder jemand? – scheint zwischen ihnen zu stehen. Was verheimlicht Jakob ihr? Und wird Lizzy trotz der Hindernisse Jakobs Herz zwischen all den Schneeflocken zum Schmelzen bringen?   Eine herzerwärmende Liebesgeschichte von Top-Autorin Anni Deckner, die zart auf die Weihnachtszeit einstimmt und von einer besonderen Liebe erzählt.

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Schneeflockenherzen

ÜBER SANKT PETER-ORDING

Anni Deckner

1

Lizzy

Die Hansestadt befand sich im Ausnahmezustand. In wenigen Tagen war Heiligabend, und alle hatten es eilig, die letzten Einkäufe zu erledigen. Ich war erleichtert, diesen Stress nicht zu haben. Die Geschenke für meine Eltern waren bereits auf dem Postweg nach Berlin unterwegs. Seit ich in Hamburg lebte, war das Fest der Liebe eines des Abstands geworden. Mir waren Lametta und Putenbraten gleichgültig. In meiner Kindheit war das anders gewesen, aber inzwischen kamen mir die Feiertage so überflüssig vor wie Schnee im Sommer. Meine Eltern versuchten regelmäßig erfolglos, mich vom Gegenteil zu überzeugen. Doch je mehr meine Mutter drängte, umso mehr hielt ich dagegen. Dennoch schickte ich jedes Jahr ein Päckchen nach Berlin und verkündete in einem langen Brief, dass ich sie im Sommer besuchen würde.

›Erst am Heiligen Abend öffnen‹, hatte ich diesmal in dicken roten Buchstaben auf die Verpackung gekritzelt. Meine Mutter würde es aber garantiert nicht bis dahin aushalten, das Päckchen spätestens zwei Tage vorher öffnen und mir am Telefon erzählen, wie großartig es unter ihren Weihnachtsbaum passte. Mit ihrem Smartphone tat sie sich allerdings gerade in solchen Momenten schwer, sie behauptete dann, irgendetwas sei kaputt. Demzufolge brauchte ich nicht mit einem Beweisfoto zu rechnen. Mein Vater dagegen war ein zuverlässiger Übermittler von geheimen Nachrichten, sodass ich bezüglich der Entwicklungen im Haus meiner Kindheit immer auf dem neusten Stand war.

Ich grinste belustigt vor mich hin. Die Menschen, die mit hektischen Mienen durch die Einkaufsstraßen rannten, wirkten wie kleine Roboter mit Kurzschluss. An der Ecke zur Reeperbahn gönnte ich mir einen mit Zuckerguss verzierten Krapfen. Während ich ihn genüsslich verdrückte, beobachtete ich die Menschen in ihrem vorfestlichen Trubel. Ich erlaubte mir dieses Gebäck grundsätzlich nur zur Weihnachtszeit. Zugegeben, ebenfalls eine Art Tradition, von der ich genau genommen Abstand nehmen sollte. Da ich im Winter meistens Hosenanzüge mit weiten Blazern trug, wurde mein Hüftgold in dieser Zeit ausreichend kaschiert. Leider bekam ich spätestens zur Silvesterparty die Quittung für die gezuckerten Sünden. Meine Bemühungen, in das kleine Schwarze hineinzukommen, scheiterten dann regelmäßig an den stabilen Nähten des eleganten Kleidungsstückes. Die zusätzlichen fünf Kilogramm Winterspeck forderten ihren Tribut.

Dabei wäre es ratsamer, mich in Form zu halten, um nicht die Letzte auf dem Heiratsmarkt zu bleiben. Ich war seit zwei Monaten ein angeblich glücklicher Single. Meine Beziehungen waren nur selten von langer Dauer. Ausschließlich meine Jugendliebe hatte damals über drei Jahre gehalten. Was aber auch nicht so schwer gewesen war, denn uns hatten dreißig Kilometer Entfernung voneinander getrennt. Somit hatten wir wenige Gelegenheiten gehabt, uns zu streiten. Meine Eltern hatten die Hoffnung bis heute nicht aufgegeben, dass ich wieder auf Thomas treffen und unsere Liebe dabei neu entflammen könnte. Sie hatten keine Ahnung, dass er längst in den Hafen der Ehe geschippert und mit drei entzückenden Jungs gesegnet war. Wir trafen uns einmal im Jahr beim Klassentreffen und hatten dabei Gelegenheit, die wichtigsten Neuigkeiten auszutauschen. Thomas zeigte mir jedes Mal beglückt Fotos seiner Rasselbande. Dies nahm genug Zeit in Anspruch, dass nach einigen Gläsern Wein glatt vergessen wurde, von mir dasselbe einzufordern. Ich musste mir nicht einmal die Mühe machen, Kind und Kegel zu erfinden. Thomas hatte nie danach gefragt. Manchmal fragte ich mich, ob er schon damals, zur Zeit unserer Beziehung, derart oberflächlich gewesen war.

Ich leistete indessen übernatürliche Überzeugungsarbeit, um meiner Familie und meinen Freunden klarzumachen, wie gern ich doch Single war. Es gab niemanden, auf den ich Rücksicht zu nehmen hatte, keinen, der mir Ratschläge in puncto Klamotten erteilte. Meine Pullover, die ich in der Freizeit trug, würde ich ohnehin nicht wegwerfen. Ich war jetzt echt frei!

Zumindest versuchte ich mir das Ganze so schönzureden. Denn im Inneren meines Herzens wünschte ich mir doch einen Mann, der mich liebte, so wie ich war. Jetzt mal ehrlich, wer wachte schon gern allein auf? In einem riesigen Bett, das ich kaum auf Körpertemperatur bekam. Wenn ich nachts fror, erwärmte ich mir ein Körnerkissen in der Mikrowelle. Logischerweise war ein Körnerkissen aber nicht die Erfüllung all meiner Wünsche im Bett. Er gab durchaus heißere Dinge, die ich mir darin vorstellte. Das blieb aber ein Geheimnis. Nur meine Freundin Silvi wusste über meine verborgensten Gefühle Bescheid.

Leider hatte es bisher für mich kein dauerhaftes Glück gegeben. Zumindest nicht in Bezug auf Partnerschaften. Wenigstens in meinem Beruf als Verlagschefin war ich erfolgreich und beliebt. Die Redakteure hingen an meinen Lippen, sobald ich eine neue Story ankündigte. Ich galt als hanseatische Schönheit. Meine langen, gewellten blonden Haare fielen wie Goldregen über meine Schultern. Mit meinen blauen Augen verdrehte ich den meisten Männern den Kopf. Aber eben nie den richtigen.

Als ich vor vierzig Jahren in der Wiege meiner Eltern gelandet war, hatte ich die Herzen der Betrachter im Sturm erobert. Ich war das große Glück der Sippe von Seefeld. Das erstgeborene Kind und der ganze Stolz der Familie. Meine Eltern waren auch immer noch stolz, aber inzwischen in Sorge, ob ich ihnen den ersehnten Enkelwunsch erfüllen würde. Dabei hatte meine Schwester Bente ihre Pflicht sehr ernst genommen und ihnen gleich vier Enkelkinder beschert. Auch meine jüngste Schwester Vicky hatte bereits zwei kleinen Rackern das Licht der Welt geschenkt. Vicky ging auf in ihrer Rolle als Mutter und treusorgende Hausfrau. Mein Schwager Leo verdiente mit seinem Autohaus viel Geld und konnte sich eine Frau am Herd leisten. Tja, man musste eben in das richtige Nest fallen. Allerdings stand mir nicht der Sinn danach, mich von einem Mann versorgen zu lassen. Ich wollte geliebt werden, so wie ich war: selbstbewusst und lebensfroh. Ich war im Grunde unkompliziert, aber für viele Männer eben doch zu viel. Himmel, wo war da die Logik?

Vicky und Leo hatten mich dieses Jahr eingeladen, mit ihnen und den Kindern in den Skiurlaub zu fahren. Doch sosehr ich meine Nichten auch liebte, war es doch keine Option, mich um sie zu kümmern, während ihre Eltern sich auf der Piste vergnügten. Ich war leider völlig untalentiert, was Abfahrten anbelangte – jedenfalls auf der Piste, denn abseits davon blickte ich privat durchaus auf einige Sturzflüge und Katastrophen zurück. Knochenbrüche im Schnee wären da ohne Zweifel vorprogrammiert. Außerdem zog ich Urlaube an der See vor. Selbst im Winter war dies ein Lebensgefühl, das ich mir nicht nehmen lassen wollte, auch wenn das Wetter an der Nordsee etwas rauer daherkam.

Ob es nun Glück war oder Schicksal, jedenfalls hatte meine Freundin Silvi am ersten Advent ihrem Freund den Laufpass gegeben. Ich hatte mich immer für sie gefreut, weil die Beziehung zu Lutz überwiegend harmonisch und glücklich gewirkt hatte. Umso mehr hatte mich die Nachricht von der Trennung der beiden geschockt. Doch nun würden wir zusammen nach St. Peter-Ording reisen und dort Weihnachten und Silvester verbringen. Ich freute mich wahnsinnig auf die hoffentlich entspannten Feiertage an der Nordsee. Wir hatten gemeinsam ein Hotel gebucht. Mit Wellness und allem, was dazugehörte. Vor allem mit Meerblick. Morgens den Tag mit einem Becher Kaffee auf dem Balkon zu beginnen und dabei auf das Meer zu schauen, war eine himmlische Vorstellung.

Meine Freundin hatte bereits an den ersten Adventstagen begonnen, ihre Koffer zu packen. Es war abzusehen, dass mein Sportwagen für das Gepäck nicht ausreichen würde. Zumal ich schließlich auch eine bescheidene Auswahl an Klamotten dabeihätte. Da wir keine Galaparty planten, war es immerhin unwichtig, ob mir mein erwähntes kleines Schwarzes passen würde. Wir stellten uns stattdessen eine Party am Strand vor, wo wir Menschen treffen würden, die die gleichen Interessen hätten. Dick eingemummelt in langen Mänteln, Mützen und Schals. Zum Jahreswechsel würden wir dann mit einem Pappbecher voller perlendem Schaumwein anstoßen und Menschen umarmen, die wir gar nicht kannten. Am nächsten Tag wäre der Spuk vorbei, und jeder ginge seiner Wege.

Ich musste nur auf Silvi aufpassen, damit sie sich nicht den Nächstbesten schnappte, um sich über die Trennung von ihrem Freund hinwegzutrösten. Sie hatte vor einigen Tagen etwas in diese Richtung erwähnt. Ob diese dahingesagten Worte ernst zu nehmen waren, würde sich zeigen, denn bei Silvi konnte man nie wissen, was sie antrieb.

Ein heftiger Schubs beförderte mich zurück ins Hier und Jetzt. Ich stöhnte schmerzerfüllt auf und rieb meine lädierte Schulter. Diese Hektiker nahmen einfach keine Rücksicht auf andere. Böse starrte ich mein Gegenüber an und öffnete den Mund, um ihn anzumeckern. Doch ich bekam den Wind von vorn.

»Pass doch auf, dusselige Kuh. Wenn dir die Einkaufsstraße zu voll ist, bestell doch im Internet!«

Offenbar war ich auf jemanden gestoßen – oder eher von jemandem gestoßen worden –, der nicht weniger vom Weihnachtsrummel genervt war als ich. Ich holte zum Gegenschlag aus. Doch als ich in diese grünen Augen sah, war es um meine Haltung geschehen. Ein dichter Wimpernkranz, um den ihn jede Frau beneiden würde, umrandete diese Augen, deren Blick sich gerade mit meinem verhakte. Hohe Wangenknochen ließen ihn überaus männlich wirken. In der dicken Winterverpackung war ein Body zum Niederknien zu vermuten. Der Atem entwich meinen Lungen wie bei einem Luftballon im Steilflug.

»Freut mich«, entkam es mir. »Ich bin Elisabeth von Seefeld, Freunde nennen mich Lizzy.«

Seine Mundwinkel zuckten. Offensichtlich war er nicht mehr wütend. Er reichte mir sogar eine Hand, die trotz der Kälte eine himmlische Wärme ausstrahlte.

»Jakob Thiesen. Freut mich, Lizzy.«

Ich brachte meine blauen Ich-bin-die-Liebste-und-Netteste-Augen zum Einsatz. Mein voller Mund half mir dabei. Meine Sommersprossen, die auch im Winter nie ganz verschwanden, zeugten allerdings vom Gegenteil. Doch ich konnte es ja mal versuchen. Denn normalerweise hatte ich eine lose Zunge, die alles ausspuckte, was ihr querkam.

»Jakob, der Ungläubige? Dann bist du Weihnachten sozusagen ein Fremdkörper, oder?«

»Kann man so behaupten, aber es war Thomas, der Ungläubige«, brummte er. »Ich muss dann mal weiter.«

Alles in mir wollte ihn aufhalten, doch mit welcher Begründung? ›Bleib bitte, wir könnten doch …‹ Ja was? Kaffee trinken? Sex haben? Ich hatte schon viel davon gehört, dass die Hormone in manchen Situationen durchdrehten, aber mussten meine gleich so übertreiben? Mein Herz raste unkontrolliert, und ich fühlte, wie meine Wangen warm wurden. Wie peinlich war das denn bitte schön! Dazu noch der blöde Spruch. Natürlich, der Ungläubige in der Bibel war nicht Jakob, sondern Thomas gewesen.

Bevor ich mein Hirn mit meinem Bauch in Einklang gebracht hatte, war Jakob in der Menschenmenge verschwunden. Ich seufzte und dachte dabei an die Werbung für einen Schokoriegel.

Ob er jemals wiederkommt?

Langsam setzte ich meinen Weg fort. Durch die Menschenmassen und vorbei an funkelnder Christbaumdekoration. Ich benötigte einiges aus dem Drogeriemarkt, der sich gleich um die nächste Ecke befand. Schließlich sollte der Wellnessurlaub nicht in den Behandlungsräumen des Hotels aufhören. Wir hatten das Glück, ein Zimmer mit Badewanne ergattert zu haben. Diese würde ich in Form von duftenden Schaumbädern und unter Einsatz von reichlich Körperlotion ausgiebig nutzen. Silvi freute sich auf die Bar mit einem abendlichen Unterhaltungsprogramm. Dabei durften ihrer Meinung nach Flirts nicht fehlen.

Manchmal fragte ich mich, ob das der Grund war, aus dem sie sich von ihrem Freund getrennt hatte. Silvi brauchte Flirts, dabei lebte sie regelrecht auf. Die Männer flogen aber auch auf sie wie die Motten ins Licht. Sie war schlank, und mit ihren langen roten Locken, die meist ein Eigenleben entwickelten, erinnerte sie an Ronja Räubertochter. Ich hingegen hatte meist ein paar Kilo zu viel auf den Hüften. Ich hatte zwar auch lange Haare, doch wenn ich sie morgens nicht ewig unter den Föhn hielt, waren es eher Spaghettilocken mit kaum Fülle. Trotzdem war ich mit meinem Äußeren zufrieden. Aber ob die Männer es auch so sahen? Oder warum war ich sonst immer noch Single? Ich würde noch an meinen Selbstzweifeln scheitern, denn im Grunde wusste ich doch, dass ich ganz passable aussah.

Entschlossen wischte ich diese Gedanken aus meinem Kopf und erledigte die Einkäufe, die für unsere Reise an die Nordsee unerlässlich waren.

2

Lizzy

Dicke Schneeflocken schwebten aus dunkel aufziehenden Wolken und verwandelten selbst die schmuddeligen Straßen Hamburgs in eine zauberhafte Märchenwelt. Es wurde um einiges leiser. Der Schnee dämpfte den Autolärm, und Kinder liefen beinahe ehrfürchtig durch die Gassen, um nach dem Weihnachtsmann Ausschau zu halten. Musikanten gaben ihre Lieder zum Besten, und überall duftete es nach Glühwein und gebrannten Mandeln. Fast war ich versucht, ebenfalls nach dem Christkind zu spähen. Aber nur fast. Ich freute mich, diesem Rummel entfliehen zu dürfen.

Silvi hatte ihre Einpack-Arie beendet. Sie schrieb mir eine Kurznachricht, dass sie bereit zur Abfahrt sei. Ich verabschiedete mich von den Kollegen und verließ mein Büro voller Vorfreude auf den Urlaub. Zur Sicherheit rief ich Silvi noch mal an.

»Bist du auch wirklich fertig? Ich werde bei dir vor der Tür keinen Parkplatz finden.«

»Ich stehe bereit zur Abholung«, trällerte sie ausgelassen. »Du kannst in der zweiten Reihe parken. Dann hüpfe ich zu dir ins Auto.« Silvi und ihr Humor. Zunächst würden wir ihr Gepäck verstauen müssen. Ich seufzte. Die Folge wäre ein Hupkonzert von genervten Autofahrern, die nicht an meinem Wagen vorbeikämen.

Ich erreichte das Haus, in dem meine Freundin wohnte, und traute meinen Augen nicht. Ich hatte ja mit allem gerechnet, aber dieser Turm, den Silvi neben sich aufgebaut hatte, wirkte wie die Ladung eines Lieferwagens. Was zum Teufel wollte meine Freundin mit den bunten Päckchen? Wir erwarteten keinen Besuch, und Weihnachten war nur noch ein Datum im Kalender.

Ich stoppte den Wagen und sprang hinaus. »Was soll das? Wo soll ich das denn alles hinschieben?«

Silvi lachte übermütig. »Ich habe alles genau vermessen. Das bekommen wir mit Leichtigkeit in deine Kiste.«

Ich ersparte mir die Frage, wie diese Rechenaufgabe zu lösen sein sollte, denn Silvi hatte für alles eine Ausrede parat.

Ehe wir damit beginnen konnten, ihr Gepäck ins Auto zu laden, geschah das Unglück: Ein Jogger versuchte den Koffer-Geschenke-Turm zu umrunden und rutschte dabei im Schnee aus. Erschrocken zuckte ich zusammen. Er landete unmittelbar vor meinen durchnässten Schuhen.

Ich schlug mir die Hände vors Gesicht. Ließ sie dann aber sinken. Dieses Fluchen kam mir irgendwie bekannt vor. Entsetzt starrte ich in Jakobs bestürztes Gesicht. Er rappelte sich auf und klopfte seine feuchte Hose ab. Als er mich erkannte, entwich ihm ein Brummen. Gleich darauf bildete sich eine Zornesfalte über seiner Nasenwurzel. Ich legte den Kopf schief. Irgendwie sah er wütend richtig süß aus. Ob er das wusste?

»Du schon wieder! Hätte ich mir eigentlich denken können.«

Ich hob die Finger zum Schwur. »Ich habe damit nichts zu tun. Das gelobe ich feierlich.«

Seine Lippen bogen sich leicht nach oben, als ob er lächeln wollte. »Das kann ich mir nicht vorstellen. Aber ich nehme die Entschuldigung an.«

Ich riss die Augen auf. »Was? Wieso sollte ich mich entschuldigen? Du hast doch nicht auf den Weg geachtet.«

Für einen Moment verfingen sich unsere Blicke. Dabei verspürte ich wieder dieses Prickeln in der Magengegend.

Doch dann war der Zauber vorbei. Jakob fluchte verächtlich. »Ach, diese Weihnachtsfantasten, die gehen mir gehörig auf den Geist. Zum Glück ist der Spuk im Januar vorbei.«

Noch bevor ich etwas erwidern konnte, rannte er los, ohne eine Antwort abzuwarten.

Silvi prustete los. »Seit wann bist du …«

»Vergiss es, ich weiß nicht, wie er darauf kommt. Ich mag Weihnachten nicht. Lass uns endlich deine Sachen verstauen.«

Auf meine Frage hin, für wen die Geschenke seien, meinte meine Freundin: »Das ist nur Deko für unser Hotelzimmer. Da ist gar nichts drin.«

Ich konnte es nicht fassen. Sie überlud meinen Wagen mit Deko? Wozu das?

»Silvi, stell die Dinger da zurück in deine Wohnung, ich verstaue in der Zwischenzeit den Rest.« Schon ihre Koffer fanden kaum Platz.

Silvis Augen füllten sich mit Tränen. »Aber ich hab es doch nur gut gemeint.«

»Ach, Liebes, lass uns endlich zu Potte kommen. Ich freue mich auf St. Peter-Ording.«

Meine Freundin schniefte und nickte schließlich. Schweren Herzens brachte sie den unnötigen Ballast in ihre Wohnung zurück, und ich verstaute ihre wichtigsten Dinge in meinem Auto.

Die Autobahn war voller Urlauber, die an den Feiertagen flüchteten oder zu ihren Familien reisten. Hin und wieder staute sich der Verkehr, aber ansonsten kamen wir gut voran. Silvi döste vor sich hin. Sie sah irgendwie süß aus in ihren mit Fell gefütterten Moonboots, die in den Achtzigerjahren in Mode gewesen waren. Dazu trug sie eine Jeans und unter der Jacke einen selbstgestrickten Pullover. Die passende Mütze lag auf ihren Knien.

»Unser Hotelzimmer wäre wunderschön geworden, wenn ich es dekoriert hätte«, maulte sie.

Ich musste grinsen. Dass es ihr dermaßen schwerfiel, ohne Weihnachtspäckchen nach St. Peter-Ording zu fahren, hätte ich nicht gedacht. Ich fand ihre Reaktion albern, zumal sie mir gesagt hatte, dass sie Weihnachten für ebenso überflüssig hielt wie ich. Das war nicht immer so gewesen. Ich vermutete, ihr Sinneswandel lag an der erst vor Kurzem beendeten Beziehung zu Lutz.

»Ich dachte, wir wollten die freien Tage ganz entspannt verbringen, ohne diesen Rummel.«

»Du hast natürlich recht, aber …«

»Kein Aber, wir werden es auch so traumhaft schön haben.«

Silvi brummte etwas Unverständliches, doch ich hakte nicht nach. Ich fürchtete sonst um die Harmonie unseres Urlaubs. Wir konnten beide manchmal herumzanken. Mir stand jedoch nicht der Sinn nach einem Streit.

Die Schlange vor der Rezeption des Hotels war nicht das einzige Anzeichen dafür, dass St. Peter-Ording an den Feiertagen gut besucht war. Parkplätze gab es im Ort kaum noch, da waren wir froh, einen der hauseigenen reserviert zu haben. Ungeduldig warteten wir vor der Anmeldung, um einzuchecken. Endlich erhielten wir unsere Zimmerkarten und wurden in den dritten Stock geleitet.

Silvi war entzückt von der Einrichtung, nicht minder freute sie sich über die Dekoration im gebuchten Zimmer. Ein kleiner Weihnachtsbaum schmückte den Balkon. Überall standen Kerzenhalter, und auch einen Teller mit Schokis hatte man uns hingestellt. Mich interessierte jedoch viel mehr der atemberaubende Blick auf das Meer. Unweit der Seebrücke donnerte es tosend an den Strand. Es herrschte eine steife Brise, die mir den Kopf frei pustete. Ich wollte sofort dorthin.

Ich zog meinen Wintermantel aus dem Koffer und kuschelte mich in einen dicken Schal. Ich strahlte Silvi an. »Kommst du mit? Ich kann es kaum erwarten, das Meer zu begrüßen.«

Silvi täuschte Müdigkeit vor. »Ich möchte mich etwas ausruhen.«

Ich runzelte die Stirn. War nicht ich die ganze Strecke gefahren? Und hatte bis zum letzten Tag vor dem Urlaub arbeiten müssen?

»Okay, dann sehen wir uns später?«

Statt einer Antwort schenkte meine Freundin mir ein herzhaftes Gähnen. Sie warf ihren schlanken Körper auf das Bett und streckte sich wohlig.

»See you later«, meinte sie und starrte schon auf ihr Handy.

Ich zuckte mit der Schulter und verließ das Zimmer. Irgendwie waren wir uns fremd geworden. Doch ich zerbrach mir jetzt nicht den Kopf darüber, woran das lag.

Ich lief die Holzstufen des Hotels hinunter und hielt die Nase in den Wind. Nur an der Nordsee duftete es so würzig. Ich nahm einen tiefen Atemzug. Dann ging ich auf die Seebrücke zu, an dem Fischlokal Gosch vorbei. Jetzt erstreckte sich die Küste vor mir. Der eisige Wind rötete meine Wangen, und meine Nasenspitze fühlte sich davon taub an. Luft, die einen regelrecht zur Erholung zwang.

Mein Bauch knurrte leicht und erinnerte mich daran, dass ich auf ein Frühstück verzichtet hatte. Ob ich mir ein Fischbrötchen gönnen sollte? Ich hatte den Gedanken noch nicht zu Ende gebracht, da kehrte ich schon zu dem Fischrestaurant Gosch um. An einer Luke wurden Speisen für unterwegs angeboten. Mir lief das Wasser im Mund zusammen. Ich entschied mich für ein Nordseekrabbenbrötchen. Ich liebte diese kleinen Meerestierchen, auch wenn sie meist sehr teuer waren. Leider waren sie in manchen Jahreszeiten schwer zu bekommen. Die Fischer mussten Auflagen erfüllen, wann und wie viel gefischt werden durfte. Dies machte dann auch den Preis aus. Am besten schmeckten die Nordseegarnelen, wenn man sie direkt vom Kutter kaufte.

Drüben auf der anderen Seite der Promenade spielte ein Leierkastenmann seine Melodien. Ich hörte die mir aus der Kindheit vertrauten Weihnachtslieder. Anfangs war ich genervt, doch nach einer Weile erwischte ich mich dabei, leise mitzusummen. Stille Nacht. Meine Oma hatte damals stets darauf bestanden, dieses Lied zur Eröffnung der Familienfeier zu singen. Ich fand diese Tradition immer wunderschön. Ich wusste nicht mehr, wann ich meine Meinung dazu geändert hatte.

Ich fluchte leise vor mich hin. Verdammt, warum kamen mir jetzt die Tränen? Hastig wischte ich sie mit dem Handrücken fort. Dann verschlang ich mein Brötchen und eilte die Seebrücke entlang. Der Verschluss meines Stiefels löste sich, und ich hockte mich hin, um ihn zu schließen. Beim Hochkommen taumelte ich leicht und stieß mit etwas Hartem zusammen.

»Passen Sie doch auf, haben Sie keine Augen im Kopf?«

»Jakob? Das kann ja wohl nicht wahr sein, warum rempelst du mich schon wieder an?« Ich musste kichern, denn Jakobs Gesichtsausdruck war unbezahlbar.

»Lizzy? Verfolgst du mich?«

Am liebsten ja.

»An so etwas würde ich nicht mal denken.«

»Gar nicht so leicht, dem Christmastrubel zu entgehen, was?« Offenbar hatte er in St. Peter-Ording bessere Laune als in Hamburg. Er zeigte sogar einen Ansatz von Humor, den ich ihm nicht zugetraut hätte.

»Nee, irgendwie nicht.« Ich stöhnte. Dabei sah ich ihm in die Augen, die mich wie schon beim ersten Zusammenstoß durcheinanderbrachten. »Wie wäre es mit einem Kaffee?«

»Danke, ich trinke keinen Kaffee.« Wieder ließ er mich stehen und eilte davon.

Dann eben nicht.

Ich hatte keine Lust, mir von diesem unfreundlichen Typen die Laune verderben zu lassen. Meine Freundin hatte dies schon mit ihren Riesenpaketen versucht.

Gemächlich ging ich weiter zum Ende der Seebrücke. Es hatte nicht aufgehört zu schneien. Laufend legten sich neue Flocken auf den Strand. Ich verließ die Holzbrücke und stapfte über den verschneiten Strand. Es war Ebbe, und ich mühte mich, die Wasserlinie einzuholen. Doch je weiter ich ging, umso weiter entfernte sich die Nordsee. Durchgefroren und planlos kehrte ich schließlich um. Langsam musste ich ins Warme, ich spürte meine Füße kaum noch.

Mit gemischten Gefühlen betrat ich das Hotel. Dabei hoffte ich, dass Silvi inzwischen etwas bessere Laune hatte. Ansonsten konnte das ein anstrengender Urlaub werden.

»Frau von Seefeld?«

Erstaunt wandte ich mich zu der Person, die mich angesprochen hatte. »Ja?«

Die freundliche Rezeptionistin reichte mir einen Umschlag. »Den hat Frau Westerwald für Sie dagelassen.«

Mir war etwas mulmig zumute. Warum schrieb Silvi mir einen Brief? Ich nahm ihn entgegen und verzog mich in das angrenzende Café, bestellte mir einen Cappuccino und öffnete den Umschlag.

Liebe Lizzy, es tut mir unendlich leid, aber in diesem Jahr läuft bei mir alles ein wenig anders. Ich bin zurück nach Hamburg. Lutz hat mich um eine zweite Chance gebeten und möchte, dass wir Weihnachten zusammen feiern. Es ist mir unangenehm, aber ich konnte nicht ablehnen. Ich hoffe, du verbringst schöne Tage hier an der Nordsee und wirst mich nicht sonderlich vermissen. Deine Freundin Silvi.

Ähm, wie? Ich war von den Socken. Jetzt war ich hier an diesem wunderschönen Ort, und das mutterseelenallein? Ich hatte es doch schon immer gewusst, Weihnachten brachte nur Ärger ein!

Verdammt. Was sollte ich jetzt tun? Auch nach Hause fahren? Wie war meine Freundin denn überhaupt nach Hamburg gefahren? Doch wohl nicht … Ich tastete meine Manteltasche nach meinem Autoschlüssel ab. Richtig, ich hatte ihn auf meinen Nachtschrank gelegt.

Ich stürzte den letzten Schluck aus der Tasse herunter und hetzte zum Fahrstuhl. Mit der Zimmerkarte öffnete ich die Tür. Unvermittelt stockte mir der Atem. Auf dem kleinen mit Stoff bezogenen Nachtschrank lagen keine Schlüssel mehr. Stattdessen ein weiterer Zettel, auf dem ich die Handschrift meiner Freundin – oder sollte ich besser sagen: Ex-Freundin – erkannte.

Ich weiß, du wirst mich töten, aber ich habe dein Auto genommen. Nach den Feiertagen werden wir es zurückbringen. Ich war mit den Zugverbindungen völlig überfordert und hielt es für einfacher, deinen Wagen zu nehmen.

»Dieses Miststück!«, entfuhr es mir. In Hamburg benutzte sie nur Bus und Bahn, doch plötzlich war ihr das zu umständlich? Ich holte mein Handy hervor und wählte ihre Nummer.

»Dieser Anschluss ist vorübergehend nicht erreichbar.«

Silvi hatte ihr Telefon abgestellt. Normalerweise konnte sie nicht ohne dieses Tor zur Welt leben, aber ausgerechnet heute war es ausgeschaltet? Ich war wütend und den Tränen nahe. Sie war seit zehn Jahren meine allerbeste Freundin, mein vertrautester und liebster Mensch ever.

Hatte ich mich in ihr getäuscht? Ich sah durchaus ein, dass eine Beziehung es wert war, gerettet zu werden, aber hätte dies nicht Zeit gehabt bis nach Weihnachten? Gut möglich, dass mir für so eine Einschätzung die Erfahrungen fehlten. Ich kannte mich besser mit Chaos und Krisen aus.

Ich starrte auf Silvis zerwühltes Bett. Wie lange mochte sie schon weg sein? War ich denn Stunden fort gewesen?

Jakob

Das sogenannte Fest der Liebe war auch in St. Peter-Ording in vollem Gange. Warum ich geglaubt hatte, hier wäre es anders, erschloss sich mir nicht mehr. Vor den meisten Restaurants und Geschäften waren Tannen aufgestellt, die zu allem Überfluss auch noch mit rosa Glühbirnchen versehen waren. Zugegeben, alles war liebevoll geschmückt und für Fans dieses Festes sicher eine Bereicherung und ein Augenschmaus. Doch mich kotzte das alles an. Die nette Pensionswirtin, bei der ich ein Zimmer mit Frühstück gebucht hatte, war da leider keine Ausnahme. Am Eingang der Pension hatte sie einen übergroßen Weihnachtsmann postiert. In seinen Augen blinkten rote Lichter. Ein Gräuel für mich. Solche Art von Deko hatte ich noch nie gemocht.

Ich musste an das Luftgewehr denken, das ich von meinem Onkel zum fünfzehnten Geburtstag geschenkt bekommen hatte. Meine Mutter war damals, trotz ihrer Vorliebe für den Alkohol und des wenigen Interesses an ihren Kinder, dagegen gewesen und hatte das Gewehr zu meiner Enttäuschung auf den Dachboden verfrachtet. Wenn Onkel Sören zu Besuch kam, wurde es ohne Munition in mein Zimmer geholt. Mit der Mahnung, es ja nicht anzurühren. Ich stellte mir nun vor, die Blinklichter damit auszulöschen. Doch natürlich würde ich nie eine Waffe in die Hand nehmen. Der Gedanke daran gefiel mir trotzdem.

Vorhin auf der Seebrücke war ich wieder mit dieser Lizzy zusammengestoßen. Eigentlich fand ich sie sehr hübsch. Ob ich mir das nur einbildete? Sie schien ebenso wenig von den Feiertagen begeistert zu sein wie ich. Aber ich konnte mich auch täuschen. Denn die bunten Pakete auf dem Bürgersteig in Hamburg hatten nicht dafürgesprochen.

Die Begegnung mit ihr hier in St. Peter-Ording hatte mich zugegebenermaßen überrumpelt. Mein Bruder behauptete stets, es gäbe so etwas wie Schicksal. Ich glaubte nicht daran, doch heute kamen mir Zweifel. Warum war Lizzy hier? Sie hatte mich zum Kaffee eingeladen, was mich abgeschreckt und in die Flucht getrieben hatte. Noch dazu mit einer gelogenen Ausrede, denn ich ernährte mich förmlich von diesem Gebräu. Später hatte ich mich gefragt, ob es nicht zu unfreundlich gewesen war, sie da einfach stehen zu lassen. Aber nein, warum sollte mich das beschäftigen? Schließlich war ich nicht hier, um freundlich zu sein. Seit meine Lebensgefährtin vor fünf Jahren am Heiligen Abend bei einem Verkehrsunfall tödlich verletzt worden war, gab es für mich dieses Fest nicht mehr und würde es auch nie wieder geben.

Mein Bruder wurde nicht müde, mich einzuladen, das Fest mit seiner Familie zu verbringen, die aus ihm, seinen drei Kindern und seiner Ehefrau bestand. Lisa hatte Kinder über alles geliebt, und wir hatten damals überlegt, ob es der richtige Zeitpunkt für uns war, selbst welche zu bekommen. Daher brachte ich es nicht übers Herz, in die glücklichen Augen meiner Nichten und Neffen zu schauen. Zu sehr schmerzte die Erinnerung an Lisa. Mein Vater, der es lange mit seiner alkoholkranken Frau ausgehalten hatte, war bereits seit sechs Jahren in Portugal zu Hause. Die Reise dorthin war zum Glück zu weit, um sie für Festlichkeiten auf sich zu nehmen. Hinzu kam, dass ich ohnehin keine enge Beziehung zu ihm hatte.

Inzwischen war es dunkel geworden, und die Beleuchtung der Tannenbäume erhellte die Straßen. Rosa! Wer war auf diese Idee gekommen? Hatte die Stadtverwaltung da nicht aufgepasst, oder war das auf ihrem Mist gewachsen? Ich stöhnte auf. Egal, ich schaute einfach nicht hin. An der Ecke Promenade kaufte ich mir einen Backfisch im Blätterteig. Ich stellte mich an einen der Tische und biss hinein.

Fast hätte ich mich verschluckt, als ich Lizzy planlos auf die Badallee zulaufen sah. Ich duckte mich rasch. Trotzdem konnte ich meine Augen nicht von ihr abwenden. Hatte sie Sorgen? Sie wirkte verstört oder wütend. Ihr Temperament hatte ich ja bereits kennengelernt und konnte mir durchaus vorstellen, dass mit ihr nicht gut Kirschen essen war. Trotzdem … Sie war süß. Sie hatte mich beeindruckt. Ein warmer Schauer durchlief meinen Körper bei dem Gedanken an diese Frau. Sofort wischte ich die Erinnerung an unsere Begegnungen aus meinem Gedächtnis. Ich war kein Typ, in den eine Frau sich verlieben sollte, die Vergangenheit lastete zu schwer auf meiner Seele. Dort war kein Platz für einen Neuanfang.

Dennoch war es schwer, meine Augen von ihr zu lassen. Ihren dicken Wintermantel hatte sie gegen einen Parka eingetauscht, und die Mütze saß schief auf ihrem Kopf. Es hatte den Anschein, als ob sie das Haus in aller Eile verlassen hätte.

Ich riss mich von ihrem Anblick los. Doch den Fisch ließ ich liegen. Ich beschloss, mir den Strand noch mal anzuschauen, den ich nach dem Zusammenstoß mit Lizzy nicht mehr wahrgenommen hatte. Elisabeth – welch ein klangvoller, aber altmodischer Name für eine junge Frau wie Lizzy. Schon wieder wanderten meine Gedanken zu ihr. Ich musste damit aufhören, wenn die freien Tage nicht zu einem Desaster führen sollten.

Die Idee, an den Strand zurückzugehen, erwies sich als goldrichtig. Der Wind wehte mir den Kopf frei, und es gelang mir, zu mir selbst zu finden. Inzwischen hatte es aufgehört zu schneien. Die Gischt tobte wütend an der Wasserlinie. Weiße Schaumkronen hüpften auf den Wellenkämmen. Ich fröstelte bei dem Anblick der Urlauber, die barfuß durch das Watt gingen. Der Leierkastenmann orgelte ununterbrochen, und seine Klänge drangen bis zu mir herüber. Schade, dass man ihm nicht das Stromkabel ziehen konnte. Er drehte die Kurbel, ohne müde zu werden.

Nach zwei Stunden am Strand war ich durchgefroren, aber zufrieden. Ich hatte den Leuchtturm von St. Peter-Böhl erreicht. Dann schwenkte ich ab durch die Dünen und lief durch den Ortsteil Dorf zurück nach Bad. Eine lange Wegstrecke lag vor mir, aber das war mir egal. Ich hatte nichts weiter vor, und die Dunkelheit, die sich inzwischen über das Land gelegt hatte, schützte mich wie ein Mantel. Ich war nicht besonders scharf darauf, wieder in fröhliche und erwartungsvolle Weihnachtsaugen zu schauen.