Schottische Volksmärchen -  - E-Book

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Beschreibung

Schottland ist voll von alten Geschichten. Die Mannigfaltigkeit der Landschaft, die felsige Küste, Wälder, Seen und Moore, hat die Märchenvorstellungen durchtränkt, wobei die keltische Überlieferung in den Highlands und auf den Inseln überwiegt, hingegen die angelsächsische in den Lowlands. In allen 70 Märchen dieses Bandes spiegelt sich der Glaube des Volkes, wonach Mut und Klugheit, wenn sie auch den Schwächeren gehören, über bloße Kraft, Dummheit und Stolz den Sieg davontragen.

Die Diederichs-Reihe »Märchen der Weltliteratur« ist die umfassendste Sammlung ursprünglicher Erzählliteratur aller Völker und Zeiten. Sie versammelt das Schönste, was sich die Menschen je erzählt haben: Mythen und Legenden, Göttersagen und Dämonengeschichten, Feen- und Zaubermärchen, gewitzte Tierfabeln und herrliche Schwänke. Wer die Eigenart anderer Völker verstehen will, wird hier Wege abseits des Mainstreams finden. Eine moderne Märchenbibliothek für eBook-Leser.

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Seitenzahl: 563

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Inhaltsverzeichnis

1. Die Vogelschlacht2. Die Meerfrau3. Die drei Töchter des Königs von Lochlann4. Der rote Riese5. Der braune Bär vom grünen Tal6. Das Schiff, das nach Amerika fuhr7. Mac Iain Direach8. Der junge König von Easaidh Ruadh9. Maol a Chliobain10. Lod der Bauernsohn11. Der schwarze Stier von Norwegen12. Assipattle und der Meister Lindwurm13. Eine Geschichte von dem Sohn des Ritters vom Grünen Gewande14. Die beiden Schwestern15. Fionn Mac Cuail und der krumme graue Kerl16. Wie Fionn in das Königreich der Riesen ging17. Osean, der letzte Fenier18. MacPhies schwarzer Hund19. Der Buckel vom Weidenbruch20. Peeriefool21. Whuppity Stoorie22. Der braune Wichtel23. Der Mann vom Elfenhügel24. Buckels Lied25. Stricke aus Sand26. Habetrot27. Drei Geschichten von den Nithsdale-Elfen28. Drei Wechselbalg-Geschichten aus Nithsdale29. Sankt Brendan und der Zaubernebel30. Der Elfenpfeil31. Die Gowan-Schlucht32. Die Elfenburg von Dhun Gharsain33. Die Hand mit dem Messer34. Die wackere Hausfrau und ihre nächtlichen Gäste35. Thomas der Wahrhaftige und die Elfenkönigin36. Die Elfen und der Kessel37. Die Frau von Wastness38. Der große Robbemann von Sule Skerrie39. Der seltsame Besucher40. Die Geschichte vom weißen Lamm41. Die drei Fragen42. Das scharfgehörnte graue Schaf43. Goldbaum und Silberbaum44. Die milchweiße Taube45. Der Sohn des starken Mannes vom Walde46. Binsenröckchen47. Der Brunnen am Ende der Welt48. Der Frosch49. Murachan und Meanachan50. Das kleine Brot51. Nicht Nichts Garnichts52. Fearachur Leigh53. Von dem Mann, der mit Heringen und Katzen nach Indien fuhr54. Wie der Fuchs der Geiß einen schlimmen Streich spielte55. Der Wolf und der Fuchs56. Wie Robin Rotbrust und das Zaunkönig-Weibchen Hochzeit machten57. Der Adler und der Zaunkönig58. Wie die Krähe ihr Junges unterweist59. Die unglaublichste Geschichte60. Donald mit den Bündeln61. Die Geschichte vom Sohn der Witwe, der ein Spitzbube war62. Der Sohn des schottischen Bauern, der des Bischofs Pferd und Tochter und den Bischof selber stahl63. Jockel und seine Mutter64. Die drei Witwen65. Der beherzte Schneider66. Der König und der Soldat67. Welches war die edelste Tat?68. Die drei weisen Männer69. Die Erbschaft70. Der SchwanzCopyright

1. Die Vogelschlacht

Es geschah einmal vor langer Zeit, daß jedes Geschöpf und jeder Vogel in einer großen Schlacht gegeneinander kämpften. Der Sohn des Königs von Tethertown sagte, er wolle hingehen, um der Schlacht zuzusehen, und seinem Vater Kunde bringen, wer in diesem Jahr König über alle Geschöpfe sein sollte. Die Schlacht war vorbei, bevor er hinkam, bis auf einen einzigen Kampf zwischen einem großen schwarzen Raben und einer Schlange, und es sah so aus, als ob die Schlange den Sieg über den Raben davontragen würde. Als der Königssohn das sah, kam er dem Raben zu Hilfe, und mit einem einzigen Hieb schlägt er der Schlange den Kopf ab. Als der Rabe wieder zu Kräften gekommen war und sah, daß die Schlange tot war, sagte er: »Weil du mir an diesem Tag so liebreich geholfen hast, sollst du etwas sehen, was du noch nie gesehen hast. Komm, setze dich auf meinen Rücken zwischen meine beiden Flügel.« Der Königssohn bestieg den Raben, und bevor dieser wieder herunterkam, trug er ihn über sieben Berge und sieben Täler und sieben Hochlandmoore. »Siehst du das Haus dort drüben?« sagte der Rabe. »Da sollst du jetzt hingehen. Eine von meinen Schwestern wohnt darin, und ich verbürge mich, daß du gut aufgenommen wirst. Und wenn sie dich fragt: ›Warst du bei der Vogelschlacht dabei?‹ sage, daß du dabei warst. Aber vor allem denke daran, daß du mich morgen wieder triffst, hier an dieser Stelle.« Der Königssohn wurde gut und reichlich bewirtet an diesem Abend. Er bekam zu essen von jeder Art Speise, zu trinken von jeder Art Getränk, warmes Wasser für seine Füße und ein weiches Bett für seine Glieder.

Am nächsten Tag ließ ihn der Rabe den gleichen Blick tun über sieben Berge und sieben Täler und sieben Hochlandmoore. Sie sahen eine Hütte in weiter Ferne, aber wenn es auch weit war, so dauerte es doch nicht lange, bis sie hinkamen. Er wurde auch an diesem Abend gut bewirtet – eine Menge zu essen und zu trinken und warmes Wasser für seine Füße und ein weiches Bett für seine Glieder – und am nächsten Tag war es ebenso.

Am dritten Morgen, wer kam ihm entgegen an Stelle des Raben, wenn nicht der hübscheste junge Bursche, den er je gesehen hatte, mit einem Bündel in der Hand. Der Königssohn fragte den Burschen, ob er nicht einen großen schwarzen Raben gesehen habe. Sagte der Bursche zu ihm, »den Raben wirst du nie wiedersehen, denn ich bin der Rabe. Ich war verzaubert; doch dadurch, daß ich dich gefunden habe, bin ich erlöst, und dafür sollst du dieses Bündel haben. Und nun«, sagte der Bursche, »wirst du zurückkehren auf demselben Weg, und du wirst eine Nacht in jedem Haus schlafen, wie du zuvor geschlafen hast. Aber auf eines sollst du achtgeben, daß du das Bündel, das ich dir gegeben habe, nicht verlierst, bis du an dem Ort bist, wo du am liebsten wohnen möchtest.«

Der Königssohn wandte dem Burschen den Rücken und sein Gesicht dahin, wo seines Vaters Haus lag; und er fand Herberge bei den Schwestern des Raben genauso, wie er sie auf dem Hinweg gefunden hatte. Als er in die Nähe von seines Vaters Haus kam, mußte er durch einen dichten Wald. Da schien ihm das Bündel immer schwerer zu werden, und er dachte, er wolle einmal nachschauen, was darinnen sei.

Als er das Bündel aufmachte, hatte er genug zu staunen. In einem Augenblick sieht er das herrlichste Anwesen, das er je gesehen hatte, ein großes Schloß, einen Garten und einen Obstgarten um das Schloß mit Früchten und Kräutern von jederlei Art. Er stand voll Staunen da, und es tat ihm sehr leid, daß er das Bündel aufgemacht hatte – denn es lag nicht in seiner Macht, alles wieder hineinzutun – und er hätte doch gewünscht, dieses große schöne Schloß läge in dem kleinen schönen, grünen Tal, das gegenüber seines Vaters Haus war; doch in diesem Augenblick sieht er einen ungeheuren Riesen auf sich zukommen.

»Schlecht ist die Stelle, auf die du dein Haus gebaut hast, Königssohn«, sagte der Riese. »O ja, ich wollte es auch gar nicht hier haben, doch nun steht es einmal hier, unglücklicherweise«, sagte der Königssohn. »Was für einen Lohn gäbst du mir, wenn ich alles zurück in das Bündel brächte wie zuvor?« – »Was für einen Lohn verlangst du?« sagte der Königssohn. »Daß du mir den ersten Sohn, den du haben wirst, gibst, sobald er sieben Jahre alt ist«, sagte der Riese. »Den sollst du bekommen, sofern ich je einen Sohn haben werde«, sagte der Königssohn.

In einem Augenblick hatte der Riese alles wieder in das Bündel gesteckt, Garten und Obstgarten und Schloß, alles wie zuvor. »Nun«, sagte der Riese, »ziehe du deine Straße, und ich werde meine Straße ziehen; aber denke an dein Versprechen, und wenn du es vergessen solltest, werde ich dich daran erinnern.«

Der Königssohn zog seine Straße, und als ein paar Tage um waren, gelangte er an den Ort, den er am allerliebsten hatte. Er machte das Bündel auf, und das gleiche Schloß lag da, genau wie zuvor. Und als er das Schloßtor öffnete, sieht er das schönste Mädchen, das ihm je vor Augen kam. »Tritt näher, Königssohn«, sagte das schöne Mädchen; »alles ist bereit für dich, wenn du mich noch heute Abend heiraten willst.« – »Das will ich mir nicht zweimal sagen lassen«, sagte der Königssohn. Und am selben Abend machten die beiden Hochzeit.

Als aber ein Tag und sieben Jahre vergangen waren, was für ein großer Kerl kommt da zum Schloß herauf, niemand anderes als der Riese. Dem Königssohn fiel das Versprechen wieder ein, das er dem Riesen gegeben hatte; bis jetzt hatte er der Königin nichts von dem Versprechen erzählt. »Laß mich das nur allein mit dem Riesen ausmachen«, sagte die Königin.

»Gib deinen Sohn heraus«, sagte der Riese, »denk an dein Versprechen.« – »Du wirst ihn bekommen«, sagte der König, »wenn seine Mutter ihn für die Reise fertig gemacht hat.« Die Königin kleidete den Sohn des Kochs prächtig an und gab ihn dem Riesen mit.

Der Riese ging mit ihm davon; aber er war noch nicht weit gegangen, da gab er dem kleinen Burschen einen Stock in die Hand. Der Riese fragte ihn: »Wenn dein Vater diesen Stock hätte, was machte er damit?« – »Wenn mein Vater diesen Stock hätte, schlüge er die Hunde und Katzen damit, wenn sie an des Königs Fleisch gehen wollten«, sagte der kleine Bursche. »Du bist der Sohn des Kochs«, sagte der Riese. Er packt ihn bei den zarten Enkeln und schlägt ihn – klatsch – gegen den Stein, der neben ihm war. Der Riese kehrte zurück zum Schloß, rasend vor Zorn, und er sagte, wenn sie ihm nicht auf der Stelle den Königssohn herausgäben, würde in Kürze der oberste Stein des Schlosses zuunterst sein. Sagte die Königin zum König: »Wir wollen es doch noch einmal versuchen, des Kellermeisters Sohn ist so alt wie unserer.« Sie kleidete des Kellermeisters Sohn prächtig an, und sie gibt ihn dem Riesen mit. Der Riese war noch nicht lange gegangen, als er ihm den Stock in die Hand gab. »Wenn dein Vater diesen Stock hätte«, sagte der Riese, »was täte er damit?« – »Er schlüge die Hunde und Katzen, wenn sie des Königs Flaschen und Gläsern zu nahe kämen.« – »Du bist des Kellermeisters Sohn«, sagte der Riese und zerschmetterte ihm ebenfalls den Schädel. Der Riese kehrte zurück in noch größerem Zorn. Die Erde bebte unter den Sohlen seiner Füße, und das Schloß bebte, und alles was darinnen war. »Her mit deinem Sohn«, sagte der Riese, »oder ich will im Augenblick den obersten Stein des Hauses zum untersten machen.« So mußten sie wohl oder übel den Königssohn dem Riesen übergeben.

Der Riese nahm ihn in sein Haus, und er zog ihn auf wie seinen eigenen Sohn. An einem Tag dieser Tage war der Riese nicht zu Hause; da hörte der Bursche die süßeste Musik, die er je gehört hatte; sie kam aus einer Stube im obersten Geschoß. Wie er nachschaute, erblickte er dort das schönste Mädchen, das er je gesehen hatte. Sie winkte ihn ein wenig näher zu sich heran und sagte ihm, er solle jetzt gehen, aber ganz gewiß in der kommenden Nacht um Schlag zwölf an derselben Stelle sein.

Und wie er versprochen hatte, so kam er. Die Riesentochter war im Nu an seiner Seite, und sie sprach: »Morgen wirst du vor die Wahl gestellt werden, eine von meinen beiden Schwestern zu heiraten, aber sage nur, daß du keine von beiden haben willst, sondern mich. Mein Vater will, daß ich den Sohn des Königs der Grünen Stadt heiraten soll, aber ich mag ihn nicht.« Am Morgen führte der Riese seine drei Töchter heraus und sagte: »Nun, Sohn des Königs von Tethertown, es soll dein Schaden nicht sein, daß du so lange bei mir gelebt hast. Du sollst eine von meinen beiden älteren Töchtern zur Frau haben und dich mit ihr aufmachen und zu deinem Vater zurückkehren am Tag nach der Hochzeit.« – »Wenn Ihr mir diese hübsche Kleine geben wolltet«, sagte der Königssohn, »so will ich Euch beim Wort nehmen.«

Dem Riesen schwoll die Zornesader, und er sagte: »Bevor du sie bekommst, mußt du drei Dinge tun, die ich dir aufgeben werde.« – »Nur zu«, sagt der Königssohn. Der Riese führte ihn zum Stall. »So«, sagte der Riese, »hier liegt der Mist von hundert Stück Vieh, und seit sieben Jahren ist er nicht ausgeräumt worden. Ich bin heute den ganzen Tag fort, und wenn dieser Stall nicht sauber gefegt ist, ehe der Abend kommt, so sauber, daß ein goldener Apfel von einem Ende zum andern rollen kann, so wirst du meine Tochter nicht bekommen, und ich werde zur Nacht meinen Durst mit einem Trunk von deinem Blut stillen.«

Der Königssohn fängt an, den Stall auszumisten, aber ebenso hätte er versuchen können, den weiten Ozean leerzuschöpfen. Als Mittag vorbei war und der Schweiß ihm über die Augen lief, daß er ganz blind davon wurde, kam die Riesentochter zu ihm und sagte: »Du wirst wohl kaum der Strafe entgehen, Königssohn.« – »So ist es«, sagt der Königssohn. »Komm her«, sagt sie, »und bette deine müden Glieder.« – »Das will ich tun«, sagt er, »auf mich wartet ja doch nichts anderes als der Tod.« Er setzte sich ihr zur Seite. Er war so müde, daß er sogleich einschlief neben ihr. Als er aufwachte, war die Riesentochter nirgends zu sehen, der Stall jedoch war so sauber ausgefegt, daß ein goldener Apfel von einem Ende zum andern rollen konnte. Der Riese kommt herein und er sagte: »Du hast den Stall sauber gemacht, Königssohn?« – »Ja, ich habe ihn sauber gemacht«, sagt er. »Jemand hat ihn sauber gemacht«, sagt der Riese. – »Du hast es auf jeden Fall nicht getan«, sagte der Königssohn. »Ja, das stimmt«, sagt der Riese, »und da du heute so viel geschafft hast, wirst du es wohl auch fertigbringen, bis morgen um die gleiche Zeit diesen Stall mit Vogelfedern zu decken – und zwar nur von solchen Vögeln, die nicht zwei Federn von der gleichen Farbe haben.« Der Königssohn war auf den Füßen, ehe die Sonne aufging; er nahm seinen Köcher voll Pfeile, um damit die Vögel zu erlegen. Dann machte er sich auf zum Moor. Aber wie sehr er sich auch mühte, die Vögel waren nicht so leicht zu bekommen. Er rannte hinter ihnen her, bis ihm der Schweiß über die Augen lief. Wer aber kam gegen Mittag zu ihm, niemand anderes als die Riesentochter. »Du bist ja ganz außer Atem, Königssohn«, sagte sie. »Das bin ich wahrlich«, sagte er. »Es fielen nicht mehr als diese beiden Amseln, und beide haben nur Federn von ein und derselben Farbe.« – »Komm her und bette deine müden Glieder auf diesen hübschen kleinen Hügel«, sagte sie. »Nichts lieber als das«, sagte er. Er dachte, sie werde ihm wohl auch diesmal wieder helfen, so setzte er sich neben sie, und es dauerte nicht lange, bis er eingeschlafen war.

Als er aufwachte, war die Riesentochter fort. Er dachte, er könne nun wohl zum Hause zurückgehen, und wie er hinkommt, findet er den Stall mit Federn gedeckt. Als der Riese heimkam, sagte er: »Du hast den Stall gedeckt, Königssohn?« – »Ich habe ihn gedeckt«, sagte er. »Jemand hat ihn gedeckt«, sagte der Riese. »Du hast ihn nicht gedeckt«, sagt der Königssohn. »Ja, das stimmt«, sagt der Riese.

»Hör zu«, sagt der Riese, »es steht eine Tanne an dem See dort unten, und ein Elsternnest ist in ihrem Wipfel. Die Eier findest du noch im Nest. Ich muß sie haben zum Frühmahl. Nicht eines darf gesprungen oder zerbrochen sein, und fünf sind drinnen im Nest.« Früh am andern Morgen ging der Königssohn dorthin, wo der Baum stand, und der Baum war nicht schwer zu finden. Es gab seinesgleichen nicht im ganzen Wald. Von der Wurzel bis zum untersten Zweig waren es fünfhundert Fuß. Der Königssohn ging wieder und wieder um den Baum herum. Da kam die, die ihm immer beigestanden hatte. »Du wirst dir die Haut von Händen und Füßen schürfen.« – »Ach ja! Das kann sein«, sagte er. »Gewiß bin ich nicht schneller oben als wieder unten.« – »Da ist keine Zeit zu verlieren«, sagt die Riesentochter. Sie stieß Finger um Finger in den Baum, bis sie eine Leiter für den Königssohn gemacht hatte, auf der er zum Elsternnest hinaufklettern konnte. Als er am Nest war, sagte sie: »Mach schnell mit den Eiern, denn meines Vaters Atem brennt mir im Rücken.« In der Eile ließ sie ihren kleinen Finger im Wipfel des Baumes stecken. »Nun«, sagte sie, »sollst du schnell mit den Eiern nach Hause gehen, und heute abend kannst du mich zur Frau bekommen, wenn du es fertigbringst, mich zu erkennen. Ich und meine beiden Schwestern, wir werden alle drei in dieselben Gewänder gekleidet und ganz gleich hergerichtet sein, aber sieh auf mich, wenn mein Vater sagt, ›geh zu deinem Weib, Königssohn‹, und du wirst eine Hand sehen, der der kleine Finger fehlt.«

Er gab dem Riesen die Eier. »Es ist gut«, sagt der Riese, »mache dich nur fertig zur Hochzeit.« Und dann wurde die Hochzeit gefeiert, und es war wahrlich eine prächtige Hochzeit! Riesen und Edelleute, und der Sohn des Königs der Grünen Stadt war mitten darunter. Sie wurden vermählt, und der Tanz begann, und es war wahrlich ein prächtiger Tanz! Das Haus des Riesen bebte vom Dach bis zum Erdgeschoß. Doch schließlich war es Schlafenszeit, und der Riese sagte: »Es ist Zeit für dich, zur Ruhe zu gehen, Sohn des Königs von Tethertown; nimm deine Braut zu dir, eine von diesen dreien.«

Die Jüngste streckte die Hand aus, an der der kleine Finger fehlte, und er ergriff diese Hand.

»Du hast gut getroffen, auch diesmal, aber noch ist es nicht sicher, ob wir dir nicht auf andere Weise beikommen können«, sagte der Riese.

Doch jetzt gingen sie zur Ruhe. »Schlafe nur nicht ein«, sagt sie, »sonst wirst du sterben. Wir müssen fliehen, schnell, schnell, oder mein Vater wird dich ganz gewiß töten.«

Schon waren sie hinaus, und setzten sich auf das blaugraue Füllen im Stall. »Warte einen Augenblick«, sagte sie, »ich will dem Alten einen Streich spielen.« Sie schlüpfte wieder hinein und schnitt einen Apfel in neun Teile, und sie legte zwei Teile an das Kopfende des Bettes, zwei Teile an das Fußende, zwei an die Küchentür, zwei an die Haustür und einen draußen vor das Haus.

Der Riese erwachte und rief: »Schlaft ihr?« – »Nein, noch nicht«, sagte der Apfel, der am Kopfende des Bettes war. Nach einiger Zeit rief er wieder. »Nein, noch nicht«, sagte der Apfel, der am Fußende des Bettes war. Nach einer Weile rief er wieder. »Nein, noch nicht«, sagte der Apfel an der Küchentür. Der Riese rief wieder. Nun antwortete der Apfel an der Haustür. »Ich glaube fast, ihr macht euch davon«, sagt der Riese. »Noch nicht«, sagt der Apfel draußen vor dem Hause. »Ihr wollt wohl fliehen«, sagt der Riese. Damit sprang er auf die Füße und lief zu ihrem Bett hin, aber es war kalt und leer.

»Ich bin auf die Schliche meiner eigenen Tochter hereingefallen«, sagte der Riese. »Geschwind ihnen nach«, sagt er.

Bei Tagesanbruch sagte die Riesentochter, ihres Vaters Atem brenne ihr im Rücken. »Fasse schnell mit der Hand«, sagte sie, »in das Ohr des grauen Füllens, und was du auch darin findest, das wirf hinter dich.«

»Ein Schlehenzweig ist drin«, sagte er. »Wirf ihn hinter dich«, sagte sie.

Kaum hatte er das getan, so war da ein zwanzig Meilen breiter schwarzer Dornwald, so dicht, daß kaum ein Wiesel durchschlüpfen konnte. Der Riese kam in vollem Lauf angestürzt und riß sich Kopf und Nacken an den Dornen auf.

»Das sind wiederum die Künste meiner eigenen Tochter«, sagte der Riese, »doch wenn ich meine große Axt und mein Haumesser hätte, bahnte ich mir schnell einen Weg durch diesen Busch.« Er ging nach Hause, um seine große Axt und das Haumesser zu holen; er brauchte nicht lange für seinen Weg, und er war der rechte Kerl, die große Axt zu schwingen! In kurzer Zeit hatte er einen Weg durch den schwarzen Dorn geschlagen. »Ich werde die Axt und das Messer hier lassen, bis ich zurückkomme«, sagt er. »Wenn du sie hier läßt«, sagte eine Krähe, die in einem Baum saß, »werden wir sie stehlen.«

»Dazu seid ihr imstande«, sagt der Riese, »so werde ich sie besser heimbringen.« Er ging zurück und ließ sie beim Haus. Zur Zeit der größten Mittagshitze fühlte die Riesentochter ihres Vaters Atem im Rücken brennen.

»Fasse in das Ohr des Füllens, und wirf hinter dich, was du auch darin findest.« Er fand einen Splitter von grauem Stein, und in einem Augenblick waren auf zwanzig Meilen in die Breite und in die Höhe große graue Felsen hinter ihnen. Der Riese kam holterdiepolter angejagt, aber über die Felsen konnte er nicht weg.

»Die Künste meiner eigenen Tochter sind das Ärgerlichste, was mir je begegnet ist«, sagt der Riese, »aber wenn ich meine Brechstange und meine mächtige Spitzhacke hier hätte, brauchte ich nicht lange, um mir auch durch den Felsen einen Weg zu bahnen.« So blieb ihm nichts anderes übrig, als noch einmal umzukehren und sie zu holen; und er war der rechte Kerl, die Steine zu zerschlagen! Er brauchte nicht lange, bis er eine Straße durch den Felsen gehauen hatte. »Ich will mein Werkzeug hier lassen und will nicht mehr zurückgehen.« – »Wenn du es hier läßt«, sagt die Krähe, »werden wir es stehlen.« – »Nimm es nur, wenn du willst, ich habe keine Zeit heimzugehen.« Als die Abenddämmerung kam, sagte die Riesentochter, sie spüre ihres Vaters Atem im Rücken brennen. »Schau in das Ohr des Füllens, Königssohn, oder wir sind verloren.« Er tat so, und dieses Mal war eine Blase mit Wasser im Ohr der Stute. Er warf sie hinter sich, und sogleich lag ein Süßwassersee, zwanzig Meilen in die Länge und Breite, in ihrem Rücken.

Der Riese kam heran, doch bei der Geschwindigkeit, mit der er kam, schoß er gleich bis in die Mitte des Sees vor, und da ging er unter und kam nicht mehr hoch.

Am nächsten Tag war das junge Paar so weit gekommen, daß sie des Königs Haus liegen sahen. »Mein Vater ist ertrunken«, sagt sie, »und er wird uns keinen Schaden mehr tun – aber bevor wir weitergehen«, sagte sie, »gehe du zu deines Vaters Haus und berichte ihm, daß du jemanden mitgebracht hast; doch auf eines sollst du achten: Laß dich von keinem Menschen und auch nicht von irgendeiner anderen Kreatur küssen, denn wenn du das tust, wirst du nicht mehr wissen, daß du mich je gesehen hast.«

Jeder, der dem Königssohn begegnete, bot ihm Gruß und Willkomm. Und er verbot Vater und Mutter, ihn zu küssen, aber wie es das Unglück wollte, war da eine alte Grauhündin, und sie erkannte ihn und sprang hinauf an seinen Mund, und von da an hatte er die Riesentochter vergessen.

Sie saß unterdessen am Rand des Brunnens, wo er sie verlassen hatte, doch der Königssohn kam nicht. Bei Anbruch der Nacht kletterte sie in einen Eichbaum, der neben dem Brunnen stand, und da lag sie in einer Astgabel die ganze Nacht. Ein Schuster hatte ein Haus in der Nähe des Brunnens, und gegen Mittag des nächsten Tages sagte der Schuster seinem Weib, sie solle ihm einen Trunk Wasser vom Brunnen holen. Als die Schustersfrau zum Brunnen kam und das Schattenbild der Frau, die im Baum war, darin sah, meinte sie, es sei ihr eigenes Bild – und sie hatte bisher nie gedacht, daß sie so schön sei – da warf sie den Krug in ihrer Hand weg, und er lag zerbrochen am Boden; dann lief sie nach Haus und brachte kein Geschirr und kein Wasser heim.

»Wo ist das Wasser, Weib?«, sagte der Schuster. »Du elender, schlottriger alter Tölpel, ohne alle Manieren, viel zu lange schon bin ich deine Dienstmagd zum Wasser- und Holztragen gewesen.« – »Mir kommt es vor, Weib, als seiest du übergeschnappt. Geh du, Tochter, schnell, und hole einen Trunk für deinen Vater.« Die Tochter ging, und ganz das gleiche geschah mit ihr. Nie hatte sie bisher gedacht, daß sie liebreizend anzuschauen wäre, und also begab sie sich nach Hause. »Her mit dem Trunk«, sagte der Vater. – »Du grober Klotz von einem Schuhflicker, glaubst du, daß ich zu deiner Magd geschaffen bin?« Der arme Schuster dachte, daß ihnen beiden wohl der Verstand durchgegangen sei, und so ging er selbst zum Brunnen. Er sah das Spiegelbild des Mädchens im Brunnen, und er sah hinauf in den Baum, und da sieht er die schönste Frau, die er je gesehen hat. »Dein Sitz ist schwank, aber dein Antlitz ist schön«, sprach der Schuster. »Komm herunter, denn ich brauche dich für eine kleine Weile dringend in meinem Haus!« Denn der Schuster hatte begriffen, daß dies das Bild war, welches seine Leute verrückt gemacht hatte. Also nahm der Schuster sie mit in sein Haus, und er sagte, er habe zwar nur eine arme Hütte, aber sie solle von allem, was drinnen sei, ihr Teil abbekommen.

Nachdem ein oder zwei Tage vergangen waren, kamen drei junge Edelleute zu des Schusters Haus, um sich Schuhe machen zu lassen, denn der König war heimgekommen und sollte Hochzeit feiern. Die jungen Burschen blickten sich um, und sie sahen die Riesentochter, und wie sie sie sahen, so war ihnen noch nie ein so schönes Mädchen vor Augen gekommen. »Da hast du aber eine hübsche Tochter«, sagten die Junker zum Schuster. »Hübsch ist sie wahrlich«, sprach der Schuster, »aber sie ist gar nicht meine Tochter.« – »Beim Himmel!« sagte einer von ihnen, »ich gäbe hundert Pfund, wen ich sie zur Frau bekäme.« Die beiden anderen sagten das gleiche. Der arme Schuster beteuerte, daß er nicht über sie zu bestimmen habe. »So frage sie doch heute abend«, sagten sie, »und gib uns morgen Bescheid.« Als die Edelleute fort waren, fragte sie den Schuster: »Was war es, was sie über mich gesagt haben?« Der Schuster erzählte es ihr. »Lauf ihnen nach«, sagte sie, »ich will einen von ihnen nehmen, und er soll nur seine Börse gleich mitbringen.« Der Schuster lief hinter ihnen her und überbrachte ihnen die Botschaft. Der junge Mann kam zurück und gab dem Schuster hundert Pfund als Brautgeld.

Die beiden gingen zur Ruhe, und als sie sich niedergelegt hatte, bat sie den Junker um einen Trunk Wasser aus dem Krug, der auf dem Wandbord in der entferntesten Ecke des Zimmers stand. Er ging, ihn zu holen, aber er kam nicht mehr los, und so hielt er das Gefäß mit Wasser die ganze Nacht lang in der Hand. »He, mein Junge«, sprach sie, »warum willst du dich nicht hinlegen?« Aber er konnte sich nicht losmachen, bis es heller Tag war. Der Schuster kam an die Tür des Zimmers, und sie sagte, er solle doch den Tölpel wegholen. Der Freier ging also fort und begab sich still in sein Haus, doch sagte er den beiden andern nicht, was ihm widerfahren war. Darauf kam der zweite Bursch, und es geschah alles in der gleichen Weise, sobald sie zur Ruhe gegangen war – »Schau nach«, sagte sie, »ob der Riegel vorgeschoben ist.« Der Riegel hielt seine Hand fest, und er konnte nicht loskommen die ganze Nacht hindurch, ja er konnte nicht eher loskommen, bis der helle Morgen da war. Er ging fort mit Schmach und Schande. Trotzdem sagte er dem andern Burschen nicht, was geschehen war, und in der dritten Nacht kam dieser an. Wie es den beiden ersten ergangen war, so ging es auch ihm. Ein Fuß hing am Fußboden fest; er konnte weder kommen noch gehen, und so stand er da die ganze Nacht lang. Am Morgen machte er, daß er fort kam und warf auch nicht einen einzigen Blick zurück.

»So«, sagte das Mädchen zum Schuster, »dir gehört die Tasche mit dem Gold; ich habe es nicht nötig. Du wirst besser daran sein, wenn du es nimmst, und ich nicht schlechter, dank deiner Güte und Freundlichkeit.« Der Schuster hatte die Schuhe fertig, und am selben Tag sollte der König Hochzeit machen. Der Schuster ging zum Schloß mit den Schuhen der jungen Leute, und das Mädchen sagte zu ihm, »ich möchte gern ein einziges Mal den Königssohn sehen, bevor er sich vermählt.« – »Komm mit mir«, sagt der Schuster, »ich bin gut bekannt mit den Dienern im Schloß, und du sollst einen Blick auf den Königssohn und die ganze Hochzeitsgesellschaft werfen.« Und als die Edelleute die schöne Frau sahen, die draußen stand, nahmen sie sie mit in den Hochzeitssaal, und sie füllten ein Glas mit Wein für sie. Als sie trinken wollte, stieg eine Flamme aus dem Glas, und eine goldene und eine silberne Taube flogen auf. Sie flatterten umher, während drei Körner Gerste auf den Boden fielen. Die silberne Taube schoß darauf zu und fraß sie. Sagte die goldene Taube, »wenn du noch daran dächtest, wie ich den Stall ausgeräumt habe, picktest du dies nicht auf, ohne mir einen Teil abzugeben.« Wieder fielen drei Gerstenkörner, und die silberne Taube stieß zu und frißt sie wie zuvor. »Wenn du noch daran dächtest, wie ich den Stall mit Federn deckte, so picktest du nichts auf, ohne mir davon abzugeben«, sagt die goldene Taube. Drei weitere Körner fallen, und die silberne Taube stieß zu und fraß sie. »Wenn du noch daran dächtest, wie ich das Elsternnest ausnahm, so picktest du nichts auf, ohne mir davon abzugeben«, sagt die goldene Taube. »Ich habe meinen kleinen Finger verloren, wie ich das Nest aus dem Baum holte, und er geht mir immer noch ab.«

Da fiel dem Königssohn alles wieder ein, und er wußte, wer es war, der da vor ihm stand. Er lief zu ihr hin und küßte sie viele Male, erst die Hände, dann den Mund. Und als der Priester kam, wurden sie ein zweites Mal getraut. Und da verließ ich sie.

2. Die Meerfrau

Es war einmal vorzeiten ein armer Fischer, und es kam ein Jahr, da fing er nicht viele Fische. An einem Tag von vielen Tagen, als er beim Fischen war, stieg eine Meerfrau an der Seite seines Bootes hoch und fragte ihn, ob er Fische im Netz hätte. Der alte Mann antwortete, daß keine darin seien. »Welchen Lohn willst du mir geben, wenn ich dir eine Menge Fische schicke?« – »Ach«, sagte der alte Mann, »ich habe nicht viel übrig.« – »Willst du mir den ersten Sohn, den du hast, geben?« sagte sie. »Von mir aus sollst du ihn gerne haben, wenn ich je einen Sohn bekommen sollte, doch hat es keinen gegeben und wird keinen geben«, sagte er, »ich und mein Weib sind schon sehr alt.« – »Nenne alles, was du hast.« – »Ich habe nichts als eine alte Mähre von einem Pferd, einen alten Hund, mich selbst und mein Weib. Da hast du alle Wesen in der weiten Welt, die mir gehören.« – »Hier sind drei Körner für dich, die du deinem Weib gleich heute abend geben sollst, und drei weitere für den Hund und diese drei für die Mähre, und diese drei nimm auch noch, die sollst du pflanzen hinter deinem Haus, und wenn ihre Zeit um ist, wird dein Weib drei Söhne haben, die Mähre drei Fohlen und die Hündin drei Welpen, und hinter deinem Haus werden drei Bäume wachsen. Die Bäume werden ein Zeichen sein: wenn einer der Söhne stirbt, wird einer der Bäume verdorren. Jetzt gehe nur heim, und denke an mich, wenn dein Sohn drei Jahre alt ist, und du selbst wirst von nun an eine Menge Fische fangen.« Alles geschah, wie die Meerfrau gesagt hatte, und der Fischer fing alle Tage eine Menge Fische; als aber das Ende der drei Jahre herannahte, wurde der alte Mann bekümmert und schweren Herzens, während er einen Tag um den anderen dahingehen sah. Am Jahrestag ging er wie gewöhnlich zum Fischen, aber er nahm seinen Sohn nicht mit.

Die Meerfrau stieg auf neben seinem Boot und fragte: »Hast du deinen Sohn mitgebracht?« – »Ach nein! Ich habe ihn nicht mitgebracht. Ich habe ganz vergessen, daß heute der Tag ist.« – »Nun ja!« sagte die Meerfrau; »dann sollst du ihn weitere vier Jahre behalten; sieh nur zu, ob es dir dann leichter fällt, dich von ihm zu trennen. Hier hast du einen Jungen im gleichen Alter«, und sie hob ein dralles rosiges Kind hoch, »ist dein Sohn auch so hübsch?« Er ging heim voll Freude und Entzücken, weil er seinen Sohn vier weitere Jahre behalten durfte und fuhr fort zu fischen und fing eine Menge Fische. Aber als die nächsten vier Jahre herum waren, überfielen ihn Kummer und Sorge aufs neue, er aß keine Mahlzeit und tat keinen einzigen Handgriff mehr, und sein Weib konnte sich nicht denken, was ihn bedrückte. Diesmal wußte er sich keinen Rat, aber er nahm sich fest vor, daß er seinen Sohn auch jetzt nicht mitnehmen würde. Er ging zum Fischen wie die vorhergehenden Male, und die Meerfrau stieg auf an der Seite des Bootes und fragte: »Hast du mir deinen Sohn mitgebracht?« – »Ach! Ich habe ihn auch diesmal vergessen«, sagte der alte Mann. »Dann gehe nur heim«, sagte die Meerfrau, »und wenn sieben Jahre herum sind, von heute an, so sollst du dich ganz gewiß an mich erinnern, aber es wird dir dann kaum leichter sein, dich von ihm zu trennen. Doch wirst du so viele Fische fangen wie bisher.«

Der Alte ging voller Freude heim; er konnte seinen Sohn weitere sieben Jahre behalten, und bevor sieben Jahre vergangen sind, dachte der alte Mann, wäre er selbst tot und würde die Meerfrau nie mehr sehen. Aber keineswegs, die sieben Jahre gingen auch herum, und wie sie sich ihrem Ende näherten, war der alte Mann wieder voll Kummer und Sorge. Er hatte keine Ruhe bei Tag und Nacht. Der älteste Sohn fragte seinen Vater eines Tages, ob ihn jemand bedränge. Der alte Mann sagte, es gäbe allerdings einen Grund für seinen Kummer, aber das ginge weder ihn noch sonst jemanden etwas an. Der Bursche sagte, er müsse alles wissen. Der Vater erzählte ihm zu guter Letzt, wie es stand zwischen ihm und der Meerfrau. »Laß dich das nicht bekümmern«, sagte der Sohn, »ich werde tun, was du verlangst.« – »Du sollst nicht gehen, du sollst nicht zur Meerfrau gehen, mein Sohn, und wenn ich auch nie wieder einen Fisch fange.« – »Wenn du mich nicht mit dir gehen lassen willst, so lasse mir vom Schmied ein großes starkes Schwert machen, und ich will ausziehen mein Glück zu versuchen.« Der Vater ging zum Schmied, und der Schmied machte ein tüchtiges Schwert für ihn. Der Vater kam heim mit dem Schwert. Der Bursche ergriff es, und schwang es ein- oder zweimal, und es zersprang in hundert Stücke. Nun sollte der Vater zum Schmied gehen und ein neues Schwert machen lassen, das zweimal soviel Gewicht hätte; er tat es, und es ging nicht anders wie das erste Mal, das Schwert brach in zwei Hälften. Wieder ging der alte Mann zum Schmied; und der Schmied machte ein Schwert, so groß, wie er nie zuvor eins gemacht hatte. »Das ist das richtige Schwert für dich«, sagte der Schmied, »und die Faust muß wahrlich stark sein, die diese Klinge führen soll.« Der alte Mann brachte das Schwert seinem Sohn, und der schwang es ein- oder zweimal. »Dieses mag gehen«, sagte er, »es ist höchste Zeit, daß ich mich auf den Weg mache.« Am nächsten Morgen legte er einen Sattel auf das schwarze Pferd, das die alte Mähre bekommen hatte, und zog davon, um die Welt zu seinem Kopfkissen zu machen, und sein schwarzer Hund lief ihm zur Seite.

Als er ein Stück weit gezogen war, traf er auf den Kadaver eines Schafes am Wegrand. Bei dem Aas waren ein riesiger Hund, ein Falke und ein Otter. Er stieg vom Pferd, und er teilte den Kadaver unter die drei. Drei Teile für den Hund, zwei Teile für den Otter und ein Teil für den Falken. »Dafür denke an mich«, sagte der Hund, »wenn flinker Fuß oder scharfer Zahn dir helfen können, und ich werde an deiner Seite sein.« Sagte der Otter: »Wenn rudernder Fuß am Grunde des Wassers dir helfen kann, denke an mich, und ich werde an deiner Seite sein.« Sagte der Falke: »Wenn du in Not bist, wo nur schnelle Schwinge oder scharfe Kralle dir helfen können, denke an mich, und ich werde an deiner Seite sein.«

Darauf ging er weiter, bis er zum Haus eines Königs kam, und trat in dessen Dienst als Hirte; sein Lohn sollte sich richten nach der Milch der Herde. Er zog mit der Herde aus, und die Weide war ganz kahl. Als es dunkel wurde und er sie heimtrieb, hatten sie nicht viel Milch, wegen der kahlen Weide, und sein Essen und Trinken war nur kärglich an diesem Abend.

Am nächsten Tag ging er weiter fort mit der Herde; und schließlich kam er zu einer Stelle, wo es reichlich Gras gab in einem grünen Tal, wie er noch keines so schön gesehen hatte.

Aber um die Zeit, da er hinter dem Vieh gehen sollte, um sie nach Hause zu treiben, wer stürmt heran, wenn nicht ein ungeheurer Riese mit einem Schwert in der Hand. »Hiu! Hau!! Hogaraich!!!« sagt der Riese. »Meine Zähne rosten schon, so lange warten sie auf dein Fleisch. Das Vieh gehört mir, es ist auf meinem Land; und du bist ein toter Mann.« – »So haben wir nicht gewettet«, sagt der Hirte, »es gibt nichts, was nicht leichter gesagt als getan ist.«

Sie gehen aufeinander los und umfassen sich – er und der Riese. Der Bursche merkte, daß er weit weg von jedem Freund und nahe seinem Feind war. Er zog das große scharfgeschliffene Schwert und drang auf den Riesen ein, und im Hin und Her des Kampfes sprang der schwarze Hund auf des Riesen Rücken. Der Hirte tat einen Streich mit dem Schwert, und der Kopf des Riesen war ab im Nu.

Er sprang auf das schwarze Pferd und suchte nach dem Haus des Riesen. Er kam zu einer Tür, und in der Eile hatte der Riese Tür und Tor offen gelassen. So ging der Hirte hinein und fand Überfluß und Geld die Menge, auch Kleider aller Art in den Schränken, gestickt mit Gold und Silber, ein jedes Ding noch schöner als das vorige. Bei Anbruch der Nacht machte er sich auf den Weg nach des Königs Schloß, aber er nahm nicht das geringste mit vom Haus des Riesen. Als das Vieh am Abend gemolken wurde, war Milch genug da. Diesmal bekam er eine gute Mahlzeit, Essen und Trinken in Hülle und Fülle, und der König war sehr erfreut, daß er einen solchen Hirten gefunden hatte. Eine Zeitlang ging es so weiter, aber schließlich wurde das Gras in dem Tal spärlich, und die Weide war nicht mehr so gut.

Da dachte der Hirte, er solle wohl ein bißchen weiter in des Riesen Land hineingehen, und bald sieht er eine große Weide voller Gras. Er kehrt zurück zu seiner Herde und bringt sie allesamt auf die neue Weide.

Sie grasten dort erst eine kleine Weile, als ein großer wilder Riese angerast kam, voll Zorn und Wut. »Hiu! Hau!! Hogaraich!!!« schrie der Riese. »Ein Trunk von deinem Blut wird es sein, der meinen Durst heute abend löschen soll.« – »Das steht noch nicht fest«, sagte der Hirte, »denn das ist leichter gesagt als getan.« Und die beiden Männer gingen aufeinander los. Das gab ein Klingenkreuzen! Zu guter Letzt schien es, als ob der Riese den Sieg über den Hirten erlangen würde. Da rief dieser seinen Hund, und mit einem Satz sprang der schwarze Hund dem Riesen an die Kehle, und schnell hieb ihm der Hirte den Kopf ab.

Diesmal ging er sehr müde heim, doch wäre es seltsam zugegangen, wenn des Königs Vieh keine Milch gehabt hätte. Die ganze Familie war hocherfreut, daß sie einen solchen Hirten gefunden hatten. Eine Weile trieb er nun seine Herde auf diese Wiese, aber eines Abends, als er heimkam, wurde er nicht wie sonst freudig begrüßt und willkommen geheißen, stattdessen fand er alle weinend und wehklagend.

Er fragte, warum sie so wehklagten. Das Milchmädchen sagte, ein riesiger Drache mit drei Köpfen wohne im See und müsse jedes Jahr einen Menschen haben; dieses Jahr nun sei das Los auf die Tochter des Königs gefallen, »und am Mittag des morgigen Tages soll sie das greuliche Ungeheuer am oberen Ende des Sees erwarten, aber ein tapferer Freier ist da, der wird sie erretten.«

»Was für ein Freier ist das?« sagte der Hirte. »Oh, es ist ein großer General«, sagte das Milchmädchen, »und wenn er das Ungeheuer tötet, wird er die Königstochter heiraten, denn der König hat gesagt, daß der, welcher seine Tochter rettet, sie zur Frau haben solle.«

Am nächsten Tag aber, als die Zeit herankam, gingen die Königstochter und der große Kriegsheld hin, um den Drachen zu erwarten, und sie kamen zu der schwarzen Schlucht am oberen Ende des Sees. Sie waren erst eine kurze Zeit dort, als das Ungeheuer in der Mitte des Wassers auftauchte; als aber der General den über alle Maßen furchtbaren Drachen mit den drei Köpfen sah, überfiel ihn die Angst, und er schlich sich davon und versteckte sich. Die Königstochter stand mit Furcht und Zittern da und hatte weit und breit niemanden, der sie errettet hätte. Mit einem Mal sieht sie einen stattlichen, schöne jungen Mann auf einem schwarzen Roß heranreiten. Er war auf das herrlichste geschmückt und in voller Waffenrüstung, und sein schwarzer Hund lief hinter ihm her. »Ich sehe Kummer auf deinem Angesicht, Mädchen«, sagte der Jüngling. »Was tust du hier?« – »Oh, das soll dich nicht kümmern«, sagte die Königstochter. »Ich werde jedenfalls nicht lange hier sein.« – »Das ist nicht so sicher«, sagte er. »Ein anderer, so tapfer wie du, ist geflohen, vor nicht allzulanger Zeit«, sagte sie. »Tapfer ist der, der den Kampf besteht«, sagte der Jüngling. Er legte sich an ihrer Seite nieder und sagte zu ihr, sie solle ihn, wenn er einschliefe, aufwecken, sobald sie das Ungeheuer zum Ufer kommen sehe. »Was wird dich aufwecken?« sagte sie. »Aufwecken wird mich, wenn du den Goldring von deinem Finger an meinen kleinen Finger steckst.«

Sie waren noch nicht lange da, als sie den Drachen zum Ufer kommen sah. Sie nahm einen Ring von ihrem Finger und steckte ihn an den kleinen Finger des Burschen. Er erwachte und lief dem Untier entgegen, mit seinem Schwert und seinem Hund. Da gab es ein Schäumen und Spritzen im Wasser, zwischen ihm und dem Untier! Der Hund tat, was er konnte, die Königstochter aber war wie gelähmt vor Furcht bei dem Getöse. Bald waren sie unten und bald wieder oben. Doch zuletzt schlug er dem Drachen eines seiner Häupter ab. Der gab einen einzigen furchtbaren Schrei von sich: »Raivic!«, und der Sohn der Erde Mactalla von den Felsen – das Echo – antwortete auf den Schrei, und der Drache wühlte den See zu einem einzigen Wirbel auf von einem Ende zum andern und war schneller als der Blitz verschwunden.

»Das Glück war mit dir, und der Sieg war dir treu, Jüngling!« sagte die Königstochter. »Ich bin gerettet, aber nur für eine Nacht, denn der Drache wird wiederkommen, immer wieder, so lange, bis auch seine beiden anderen Häupter abgeschlagen sind.« Der Hirte nahm den Kopf des Tieres, zog eine Weidenrute hindurch und sagte zur Königstochter, sie solle den Kopf am andern Tage wieder mitbringen. Sie ging heim, mit dem Kopf auf ihrer Schulter, und der Hirte begab sich zu den Kühen; aber sie war noch nicht weit gegangen, als der große General sie kommen sah, und er drohte, er werde sie töten, wenn sie nicht sage, daß er es war, der dem Tier den Kopf abgeschlagen habe. »Oh!« sagt sie, »gewiß werde ich das sagen. Wer sonst sollte denn auch dem Tier den Kopf abgeschlagen haben, wenn nicht du?« Sie kamen zum Haus des Königs, und der General hatte den Kopf über die Schulter gehängt. Der Jubel war groß, daß sie heil und lebendig heimkam und der große Hauptmann auch, mit dem Kopf des Untiers voll von Blut in seiner Hand. Am andern Morgen brachen sie wieder auf, und niemand zweifelte daran, daß der Held die Königstochter auch diesmal erretten werde.

Sie gingen zu derselben Stelle, und sie waren noch nicht lange da, als das schreckliche Ungeheuer in der Mitte des Sees wieder auftauchte, und der Kriegsheld schlich sich davon wie am Tag zuvor. Doch nicht lange danach kam der Mann auf dem schwarzen Roß, in ein anderes Gewand gekleidet. Trotzdem merkte sie, daß es derselbe Mann war. »Ich bin voller Freude, dich zu sehen«, sagt sie. »Ich hoffe sehr, du wirst dein großes Schwert gebrauchen, wie du es gestern getan hast. Komm zu mir und ruhe dich aus.« Aber es dauerte nicht lange, da sahen sie das Ungeheuer die Wasser aufwühlen in der Mitte des Sees.

Der Bursche legte sich nieder neben der Königstochter und sagte zu ihr: »Wenn ich einschlafe, ehe das Untier kommt, wecke mich auf.« – »Was wird dich aufwecken?« – »Aufwecken wird mich, wenn du den Ohrring, der in deinem Ohr ist, in meines tust.« Er war kaum in Schlaf gefallen, als die Königstochter rief: »Wach auf! Wach auf!« Aber er wachte nicht auf, da nahm sie den Ohrring von ihrem Ohr und hängte ihn in das Ohr des Jünglings. Sogleich wachte er auf und lief dem Untier entgegen. Da gab es erst recht ein Holterdiepolter, hierhin und dorthin, ein Platschen und Klatschen, Toben und Brüllen zwischen dem Tier und dem Mann! Sie kämpften so fort eine lange Zeit, und bei Anbruch der Nacht schlug er dem Drachen ein weiteres Haupt ab. Er zog es auf die Weidenrute, sprang auf sein schwarzes Roß und begab sich zu seiner Herde. Die Königstochter ging heim mit den Köpfen. Der General trat zu ihr, nahm ihr die Köpfe weg und befahl ihr, sie solle sagen, daß er es auch diesmal gewesen sei, der dem Tier den Kopf abgeschlagen hätte. »Wer sonst hat dem Tier den Kopf abgeschlagen, wenn nicht du?« sagte sie. Sie kamen mit den Köpfen zum Hause des Königs. Da gab es große Freude und Seligkeit. Wenn der König schon am ersten Abend voller Hoffnung gewesen war, der große Held würde seine Tochter retten, so glaubte er es jetzt ganz sicher und hatte nicht den geringsten Zweifel, auch der dritte Kopf werde dem Untier am anderen Tag abgeschlagen.

Am nächsten Tag um dieselbe Zeit gingen die beiden fort. Der Offizier versteckte sich, wie er es jedesmal getan hatte. Die Königstochter begab sich zum Ufer des Sees. Der Held auf dem schwarzen Roß kam, und er legte sich nieder an ihrer Seite. Sie weckte ihn auf, und hängte den zweiten Ohrring an sein anderes Ohr, und er stürzte sich auf das Untier. Aber wenn der Drache an den vorigen Tagen schon mit Rütteln und Schütteln, Brüllen und Rasen gekämpft hatte, heute war er noch furchtbarer. Trotzdem schlug ihm der Hirte den dritten Kopf ab, doch erst nach hartem Kampf. Er zog ihn auf die Weidenrute, und die Königstochter ging nach Hause mit den Köpfen. Als sie zu des Königs Haus kamen, waren alle voll Glück und Freude, und der General sollte die Königstochter am nächsten Tag heiraten. Das Hochzeitsfest war im Gange, und jeder im Schloß wartete, daß der Priester kommen sollte. Aber als der Priester kam, wollte sie nur den zum Manne, der die Köpfe von der Weidenrute nehmen könne, ohne die Rute zu zerschneiden. »Wer könnte die Köpfe von der Weidenrute nehmen, wenn nicht der Mann, der sie aufgefädelt hat?« sagte der König.

Der General versuchte es, aber er konnte sie nicht losmachen, und zu guter Letzt war niemand im ganzen Hause, der nicht versucht hätte, die Köpfe von der Rute zu nehmen. Nur der Hirte hätte es noch nicht versucht, sagten die Leute. Er wurde gerufen und brauchte die Köpfe nicht lange hin und her zu drehen. »So warte ein wenig, mein Bester«, sagte die Königstochter, »der Mann, der dem Untier die Köpfe abschlug, der muß auch meinen Ring und meine beiden Ohrringe haben.« Der Hirte fuhr mit der Hand in die Tasche und warf sie auf den Tisch. »Du sollst mein Gemahl sein«, sagte die Königstochter. Der König war nicht sonderlich zufrieden, als er sah, daß seine Tochter einen Hirten heiraten sollte, doch gab er Befehl, man solle ihm ein besseres Gewand anlegen; aber seine Tochter sprach, er habe ein Gewand schöner als alle im Schloß, und so war es auch. Der Hirte legte das goldene Gewand des Riesen an, und sie heirateten am Abend desselbigen Tages.

Sie waren nun vermählt, und alles war gut. Eines Tages ergingen sie sich am Ufer des Sees, da kam ein Ungeheuer, noch viel wundersamer und schrecklicher als das erste, und riß den Mann blitzschnell mit sich fort in den See. Die Königstochter war nun voller Trauer, voller Tränen, blind vor Kummer um ihren angetrauten Gemahl, immer hingen ihre Augen an dem See. Da begegnete ihr ein alter Schmied, und sie erzählte ihm, was ihrem Gemahl widerfahren sei. Der Schmied gab ihr den Rat, das kostbarste und schönste von allem, was sie besaß, an dieselbe Stelle zu legen, wo das Ungeheuer ihren Gemahl geholt hatte; und das tat sie auch. Der Drache streckte die Nase heraus und sagte: »Schön sind deine Edelsteine, Königstochter.« – »Schöner als alle ist der Edelstein, den du mir genommen hast«, sagte sie. »Laß mich ein einziges Mal meinen Gemahl sehen, und du sollst alles, was du hier siehst, so lange anschauen, wie du willst.« Das Ungeheuer brachte ihn herauf. »Gib ihn mir, und du sollst alles bekommen, was du siehst«, sagte sie. Der Drache tat, was sie verlangte, und warf ihr den Gemahl heil und lebendig ans Ufer des Sees.

Kurze Zeit danach, als sie wieder am Ufer des Sees dahinwanderten, riß dasselbe Ungeheuer die Königstochter fort. Da waren alle in der Stadt voller Kummer und ihr Gemahl voller Trauer und Tränen. Er wanderte Tag und Nacht an dem Ufer des Sees auf und ab. Der alte Schmied begegnete ihm. Er sagte, es gäbe nur einen Weg, das greuliche Untier zu töten, und der sei so: »Auf dem Eiland, das in der Mitte des Sees liegt, ist Eillid Chaisfhion – die weißfüßige Hindin mit den schlanksten Fesseln und dem flüchtigsten Huf«, und wenn sie auch gefangen würde, so spränge doch eine Krähe aus ihr hervor, und wenn die Krähe gefangen würde, so spränge eine Forelle aus ihr hervor, und ein Ei wäre im Maul der Forelle und die Seele des Untiers in dem Ei, und wenn das Ei zerbräche, wäre der Drache tot.

Nun gab es keinen Weg, zu dem Eiland zu kommen, denn das Untier versenkte jedes Boot und jedes Floß, das den See befuhr. Der Bursche dachte, er müsse versuchen, über die engste Stelle zu springen mit dem schwarzen Roß, und das gelang ihm auch. Das schwarze Roß sprang über die Enge und der schwarze Hund mit einem Satz hinter ihm her. Er sah die Hindin Eillid und hetzte den schwarzen Hund hinter ihr her, aber wenn der schwarze Hund auf die eine Seite der Insel kam, war Eillid bereits auf der anderen. »Oh! Gut wäre es jetzt, wenn die große Dogge, die bei dem Kadaver war, hier wäre.« Kaum hatte er die Worte gesprochen, als die hilfreiche Dogge schon an seiner Seite war. Sie rannte hinter der Hindin her, und die beiden Hunde brauchten nicht lange, sie zu Boden zu reißen. Aber kaum lief er herzu und packte die Hindin, als eine Krähe aus ihr hervorflog. »Jetzt täte not der Falke grau, mit schärfstem Aug’ und schnellstem Flug!« Kaum hatte er das gesagt, als der Falke hinter der Krähe her war, und er brauchte nicht lange, sie zur Erde zu bringen; und wie die Krähe auf den Strand fiel, springt die Forelle aus ihr heraus. »Oh, daß du jetzt bei mir wärst, o Otter!« Kaum gesagt, war der Otter schon an seiner Seite, sprang ins Wasser und holte die Forelle aus der Mitte des Sees; aber kaum war der Otter mit der Forelle an Land, als das Ei aus ihrem Maul kam. Er sprang zu und setzte seinen Fuß darauf. In diesem Augenblick war es, daß der Drache ein schreckliches Brüllen hören ließ und schrie: »Zerbrich das Ei nicht, und du sollst alles haben, was du willst.« – »Gib mir mein Weib wieder.« Im selben Augenblick war sie an seiner Seite. Als er ihre Hand fest in seinen beiden Händen hielt, setzte er seinen Fuß auf das Ei, und das Ungeheuer starb auf der Stelle.

Der Drache war nun tot, und jetzt konnte man erst sehen, wie furchtbar er war. Die drei Köpfe waren ihm zwar abgeschlagen, doch hatte er noch Köpfe oben und Köpfe unten und Augen und fünfhundert Füße. Aber sie ließen ihn dort liegen und gingen heim, und Jubel und Entzücken war in des Königs Haus an diesem Abend. Bis jetzt hatte der Bursche dem König noch nicht gesagt, wie er die Riesen getötet hatte. Der König bedachte ihn mit großen Ehren, und er war hochgeachtet am Hofe.

Eines Tages gingen die Königstochter und ihr Gemahl spazieren, als er ein Schlößchen in einem Wald am See liegen sah; er fragte sein Weib, wer darin wohne. Sie sagte, daß niemand sich in die Nähe des Schlosses wage, denn noch keiner, der hineingegangen sei, wäre zurückgekommen, um zu erzählen, was er gesehen hätte.

»Das soll mich nicht stören«, sagte er, »noch heute nacht will ich sehen, wer darin wohnt.« – »Geh nicht, geh nicht«, sagte sie, »noch nie ist ein Mensch, der in dieses Schloß ging, zurückgekehrt.« – »Das mag sein, wie es will«, sagt er.

Er ging hin, er begibt sich zu dem Schloß. Als er zum Tor kam, trat ihm eine kleine alte Frau entgegen, die im Torweg stand und ihn mit schmeichelnden Worten anredete. »Heil und Segen dir, Fischerssohn; wie froh bin ich, dich zu sehen; groß ist die Ehre für dieses Königreich, wenn jemand wie du hierherkommt; deine Ankunft ist Ruhm für diese kleine Hütte, du mußt den Vortritt haben; Ehre, wem Ehre gebührt, geh nur und ruhe dich ein wenig aus.« Da trat er ein, aber wie er vor ihr hinaufging, gab sie ihm einen Schlag auf den Hinterkopf mit dem Slachdan druidhach, der Zauberkeule, und sofort stürzte er zu Boden.

An diesem Abend gab es Wehklagen in des Königs Schloß, und Jammern und Klagen am nächsten Morgen in des Fischers Haus. Sie fanden den Baum verdorrt, und des Fischers mittlerer Sohn sagte, sein Bruder sei tot. Er tat einen Schwur und Eid, er wolle gehen, ihn zu suchen, und er müsse wissen, wo der Leichnam seines Bruders liege. Er tat den Sattel auf sein schwarzes Roß und ritt hinter seinem schwarzen Hund her (denn die drei Söhne des Fischers hatten jeder ein schwarzes Pferd und einen schwarzen Hund), und er folgte seines Bruders Spur geradewegs, bis er zum Haus des Königs kam.

Nun glich dieser Jüngling seinem älteren Bruder so sehr, daß die Königstochter meinte, es wäre ihr eigener Mann. Er blieb im Schloß. Sie erzählten ihm, was seinem Bruder widerfahren war, und auch er wollte zu dem Schlößchen der alten Frau – ob Schlimmes oder Gutes ihm dort begegnen mochte. Zu dem Schloß ging er; und geradeso wie dem älteren Bruder, geschah es auch ihm, und mit einem einzigen Schlag der Zauberkeule warf ihn die Alte ausgestreckt neben seinen Bruder.

Als der jüngste Sohn des Fischers den zweiten Baum welken sah, sagte er, nun seien seine beiden Brüder tot und er müsse wissen, welchen Todes sie gestorben seien. Er schwang sich auf das schwarze Roß, folgte dem Hund, wie es seine Brüder getan hatten, und kam zu des Königs Haus, bevor er nur einmal anhielt. Der König war hocherfreut, ihn zu sehen; aber in das schwarze Schloß wollten sie ihn nicht gehen lassen. Doch er ließ sich nicht zurückhalten und kam auch dorthin. »Heil und Segen dir, Fischersohn: Ich freue mich, dich zu sehen; geh nur hinein und ruhe dich ein wenig aus«, sagte die alte Frau. »Du gehst vor mir hinein, Alte: Ich mag keine Schmeichelworte vor dem Haus; geh nur hinein, und laß mich dann deine Rede hören.« Also ging die Alte hinein, und kaum hatte sie ihm den Rücken zugekehrt, so zog er sein Schwert und schlägt ihr den Kopf ab; doch das Schwert flog ihm aus der Hand. Und flink ergriff die Alte ihren Kopf mit beiden Händen und setzte ihn wieder auf ihren Hals, so wie er vorher gesessen hatte. Der Hund sprang das alte Weib an, sie schlug den hilfreichen Hund mit der Zauberkeule, und da lag er. Als der Jüngling das sah, war er nicht faul. Er stürzte sich auf das alte Weib, und sie packten einander, er bekam die Zauberkeule zu fassen, und streckte die Alte mit einem einzigen Schlag mitten auf den Kopf zu Boden. Dann ging er weiter hinein ins Schloß, und da sieht er seine beiden Brüder liegen, Seite an Seite. Er gab jedem einen Schlag mit der Zauberkeule, und da standen sie wieder auf den Füßen. Die ganze Siegesbeute lag nun vor ihnen im Schloß der Alten, Gold und Silber, ein jedes Stück kostbarer als das vorige. Sie kamen zurück zu des Königs Haus, und der Jubel war groß. Der König war schon sehr alt. So wurde der älteste Sohn des Fischers zum König gekrönt, und das Brüderpaar blieb einen Tag und ein Jahr in des Königs Haus. Dann machten sich die beiden auf die Heimreise mit dem Gold und Silber der Alten und mancherlei Kleinodien, die der König ihnen geschenkt hatte. Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute.

3. Die drei Töchter des Königs von Lochlann

Es war einmal vor langer Zeit ein König über Lochlann, der hatte drei Töchter. Eines Tages ergingen sie sich im Freien, da kamen drei Riesen, die nahmen die Töchter des Königs mit, und niemand wußte, wo sie geblieben waren. Da sandte der König nach dem Sheanachy – seinem Wahrsager und Erzähler  – und fragte ihn, ob er wisse, wo seine drei Töchter geblieben seien. Der Sheanachy sagte, drei Riesen hätten sie mitgenommen, sie wären tief unten in der Erde, und es gäbe keine andere Möglichkeit, sie wiederzubekommen, als ein Schiff zu bauen, das zu Wasser und zu Lande fahren könne; so kam es, daß der König verkünden ließ, wer ein Schiff bauen könne, das zu Wasser und zu Lande führe, der solle des Königs älteste Tochter zur Frau bekommen.

Nun war da eine Witwe, die hatte drei Söhne, und der älteste sagte noch am gleichen Tage zu seiner Mutter: »Backe mir ein Brot und brate mir einen Hahn. Ich will fortgehen, um Holz zu schlagen und ein Schiff zu bauen, das dazu taugt, die Töchter des Königs zu suchen.« Seine Mutter sagte zu ihm: »Was ist dir lieber, ein großes Brot mit meinem Fluch oder ein kleines Brot mit meinem Segen?« – »Gib mir ein großes Brot. Es wird ohnehin klein genug sein, ehe ich mein Schiff gebaut habe.« Er bekam ein Brot und ging fort. Er kam zu einem großen Wald und zu einem Fluß und setzte sich am Ufer des Flusses hin, um das Brot zu essen. Eine große Uruisg – eine Wasserfrau – kam aus dem Fluß und bat um ein Stück von seinem Brot. Er sagte, daß er ihr nicht einen Krümel geben wolle, denn es sei schon wenig genug für ihn. Er fing an, Holz zu schlagen, und jeder Baum, den er schlug, stand sogleich wieder auf; und so ging es fort, bis die Nacht kam.

Er ging heim, bekümmert, traurig, blind vor Tränen. Seine Mutter fragte: »Wie ist es dir ergangen, mein Sohn?« Er sagte, er habe nichts wie Pech gehabt. »Jeder Baum, den ich fällte, stand sogleich wieder aufrecht da.«

Einen oder zwei Tage danach sagte der mittlere Bruder, er wolle nun auch gehen; und er bat seine Mutter, ihm ein Brot zu backen und einen Hahn zu braten; und genauso wie es seinem älteren Bruder ergangen war, so erging es auch ihm.

Die Mutter sagte die gleichen Worte auch zu dem Jüngsten, und er nahm das kleine Brot. Die Uruisg kam und bat um ein Stück von seinem Brot und von seinem Hahn. Er sagte, das solle sie haben. Als die Uruisg ihren Anteil vom Brot und vom Hahn gegessen hatte, sagte sie zu ihm, sie wisse, was ihn hierhergebracht habe, aber er solle nur heimgehen; doch nach einem Jahr und einem Tag solle er sich hier wieder einfinden; dann wäre das Schiff fertig.