Schräge Helden - Kai Beisswenger - E-Book

Schräge Helden E-Book

Kai Beisswenger

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Beschreibung

Drei grundverschiedene und ungewöhnliche Typen treffen in einer Autobahnraststätte aufeinander. Während sie sich zaghaft näherkommen, wird am Nebentisch ein Notizblatt von einem Durchzug erfasst und landet vor ihren Füßen. Sie dechiffrieren die Notiz und was sie herausfinden, erscheint ihnen unglaublich: Müssen sie die Welt vor einem Unglück bewahren?  Die Zeit drängt, und ob die drei miteinander können, ist ebenso ungewiss wie die Frage, ob die Welt das überhaupt mit sich machen lässt.

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Kai Beisswenger

SCHRÄGE HELDEN

Außer der Reihe 19

Kai Beisswenger

SCHRÄGE HELDEN

Außer der Reihe 19

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© dieser Ausgabe: Dezember 2016 p.machinery Michael Haitel

Titelbild & Illustrationen: Sonja Graus

Layout & Umschlaggestaltung: global:epropaganda, Xlendi

Lektorat: Michael Haitel

Herstellung: global:epropaganda, Xlendi

Verlag: p.machinery Michael Haitel

Ammergauer Str. 11, 82418 Murnau am Staffelsee

www.pmachinery.de

ISBN der Printausgabe: 978 3 95765 077 1

1 – Aufbruch und Zwischenstopp

Heiligabend 2015, nachmittags zwischen 14 und 15 Uhr

 

 

Auf Tour mit Marius Wolters

 

Marius sitzt auf dem einzigen Hocker in der winzigen Küche und starrt auf die schmutzige Stelle an der Wand, wo sich die Tapete ablöst, und sein Bauch sagt ihm, er sei nicht mehr zu Hause in seinem Leben. Dass er einmal an diesem Punkt ankommen würde, hatte sich schon seit Monaten angekündigt, allerdings vermied er es, darüber nachzudenken, indem er immer wieder neue Gründe erfand, um das Problem ohne schlechtes Gewissen auf die lange Bank zu schieben. Einmal wollte er erst abwarten, ob er eine Klausur bestanden hatte, ein anderes Mal, ob sein Chef ihm eine Gehaltserhöhung zahlen würde. Aber nun hat sich in seinem Bauch ein mieses Gefühl eingenistet, das ständig zwischen Angst und Übelkeit pendelt. Er fühlt sich wie ein Versager.

Mit einem Zug trinkt er das Glas leer, spült es aus und stellt es auf den Abtropfständer, ein dunkelgraues Monster, das zur Wohnung passt, wie die anderen Altertümer, die allesamt ihre beste Zeit lange hinter sich haben. Er schlurft über die zwei Quadratmeter Flur, dessen Boden mit uralten PVC-Platten ausgelegt ist, die sich an einigen Stellen wellen und an anderen aufgebrochen sind. Dabei erinnert er sich, dass er seinen Vermieter gebeten hat, die Bodenplatten auf Asbest oder andere Schadstoffe zu überprüfen und, falls seine Befürchtungen sich bestätigen sollten, umgehend auszutauschen. Der Vermieter nickte wohlwollend, passiert ist bis heute nichts.

Er schultert die Reisetasche, die er schon gepackt vor die Tür gestellt hat, und schlendert die Treppen hinunter. In jeder Etage tönen ihm Geräusche aus den Wohnungen entgegen. Unten angekommen, wirft er einen Zweitschlüssel in den Briefkasten seiner Nachbarin, öffnet bedächtig die Haustür und tritt hinaus. Er dreht sich nach links und läuft fünfhundert Meter, bis er an einer roten Rostlaube anhält, den Kofferraum öffnet und die Reisetasche hineinwirft. Am Kotflügel registriert er einen neuen Kratzer, worauf er den Kopf schüttelt. Er startet den Wagen und fährt fünfeinhalb Kilometer durch die Stadt. Die Tristesse der Vorstadt nimmt er nicht wahr, und nach wenigen Minuten hat er die Auffahrt zur Autobahn erreicht. Jetzt ist er an der passenden Stelle angelangt, um seinen Gedanken freien Lauf zu lassen.

Er muss sein Leben ändern, erwägt er. Er fährt gemütlich auf der rechten Spur, zum einen, um Sprit zu sparen, zum anderen, weil die Kiste sonst zu laut wäre und er das Radio nicht hören würde. Links überholt ihn eine junge Frau, die ihn anstrahlt. Er winkt, sie lächelt noch einmal und braust an ihm vorbei. Flugs hat sich seine Stimmung deutlich verbessert. Er muntert sich auf: Mann, Marius, stell dich nicht so an. Weihnachten, Ferien, es ist doch alles gut.

Mit jedem gefahrenen Kilometer wird er fröhlicher. Und mit einem Mal lassen seine Gedanken sich auf seinem zweitliebsten Thema nieder und beginnen im Takt zur Musik zu schwingen. Aus heiterem Himmel werden sie jäh unterbrochen von einem Sprecher, der sich über ein Filmsternchen lustig macht.

Manno, was schwätzt der für’n Scheiß. Nur Müll im Radio. Sobald du in Enn-Er-We bist, empfängst du nur Pisszeug. Ich brauch jetzt die Stones.

Er fingert in der Konsole herum, zieht eine Musikkassette heraus und legt sie ein. »Sympathy for the devil«, jep, darauf hab ich Bock. Und nach dem Intro singt er mit: »Let me please introduce myself … lalala.«

»Geile Mucke!«, murmelt er und rudert mit den Händen. Dabei weckt er das Interesse eines Autofahrers, der gerade dabei ist, ihn zu überholen.

»Guck nicht so blöd, du Spießer, in deinem hässlichen Audi. Ja, du bist gemeint!«, brüllt er und der Mann rauscht an ihm vorbei.

Was wissen die Leute heutzutage von Musik? Nichts, urteilt er. »Und du Audi-Spießer weißt überhaupt nix«, schreit er die Windschutzscheibe an. Oh, wie gerne hätte er die 70er miterlebt, aber als er geboren wurde, war schon alles vorbei. Diese Vorstellung lässt ihn nicht los:

Acht Jahre vor meiner Geburt hatte Peter Gabriel Genesis bereits zur genialsten Band der Welt gemacht. Aber ich habe nie verstanden, warum er Phil Collins als Schlagzeuger holt, was ein genialer Schachzug war, und kurz darauf den begnadeten Gitarristen Steve Hackett engagiert, und vier Jahre später abdankt. Das kapiert doch niemand. Steve, Phil und er, das war Kongenialität pur, das gab es vorher doch nur bei Lennon und McCartney. Damals wurde nicht nur Musik gemacht, nein, das waren ehrliche Bühnenshows, da können sich Rihanna, Lady Gaga, und wie diese Sternchen heißen, eine dicke Scheibe abschneiden. Aber, wem sag ich das? Perlen vor die Säue! Wer kennt sich heute noch mit Musik aus?

Nachdem das Thema sich und ihn erschöpft hat, lässt er seine Geistesblitze auf unterschiedlichen Schauplätzen nieder, bis sie dort ankommen, wo sie ihm Bauchweh bereiten. Ob er Vater wieder um Knete anbetteln könnte, fragt er sich und wartet auf eine Idee, wie er das anstellen sollte. Aber da kommt nichts. Stattdessen erinnert er sich an ihre endlosen Diskussionen über seine mit Handbremse betriebene Ausbildung und über das richtige Leben im falschen.

Und am Schluss, nachdem sie schon ein paar Gläser Bier und Schnaps intus haben, streiten sie sich wieder über Politik, befürchtet er. Er nimmt sich vor, sich dieses Mal zurückzuhalten, was ihm nicht schwerfallen dürfte, denn inzwischen ist sein Vater auch mit der Partei unzufrieden, die er seit über fünfzig Jahren wählt. Vorgestern am Telefon polterte Vater los und meinte, die Schwarzen haben die Sozen schon links überholt.

Super, ich darf ungestraft auf seine ehemaligen Heiligtümer draufhauen. Dass wir aus zwei verschiedenen Ecken draufschlagen, merkt er nicht. Denn die CDU ist nicht nach links, sondern die SPD nach rechts gerückt, was der Alte nicht schnallt. Politisch hat er es noch nie gerafft, der alte Oberstleutnant a. D.

Was für ein Glück, dass Schwesterchen auch kommt, geht ihm durch den Kopf und er muss unwillkürlich grinsen. Ohne sie würde er es nicht aushalten. Und schon plant er den späten Abend, wie er seinen alten Herrn in die Heia komplimentiert und mit seiner Schwester in die »Alte Post« abdampft. Und er freut sich auf ein Wiedersehen mit Freddy, dieser coolen Sau, die wieder Bluesrock bis zum Abwinken auflegen wird.

Mannomann, Freddy. War Lehrer, hatte keinen Bock mehr auf freche Gören und vorlaute Jungs. Also hat er eine Kneipe aufgemacht. Einfach so! Inzwischen ist er schon über zwanzig Jahre sein eigener Chef und der Laden brummt. Hat Connections und holt immer mal wieder eine Topband in seine Kneipe. Wie er das macht? Keine Ahnung, wieso die Leute in seine Ruine kommen, renoviert hat er nie. Freddy ist halt eine Institution. Das wird geil, heute Abend. Alte Kumpels sehen, mit Schwesterchen klönen, den jungen Dingern auf den Hintern gucken und langsam besoffen werden. Und zum guten Schluss rauchen wir noch einen Joint. Der Joint, an Weihnachten unser Freund. Alte und gute Tradition!

Plötzlich schreckt er auf und schreit: »Was bist du denn für ein Arsch im Wagen hinter mir? Wieso hupst du? Ich kann auf der mittleren Spur so lange fahren, wie ich will. Verpiss dich, du Blödmann mit deiner Bonzenkiste.« Und er vermutet, dass der Fahrer des schwarzen 5er BMW ein Managertyp sein müsse, und folgert, dass dieser seine Sekretärin ficke, während sich seine Frau zu Hause langweile, und schließt, dass es sich nur um ein dummes Arschloch handeln könne.

Was ist denn da vorne los? Guck an, das Arschgesicht muss bremsen. Ein Stau, ha ha. Da hat sich dein Überholmanöver ja gelohnt. Dafür kriegst du drei Lichthupen von mir. Haste nun davon. Im Stau stehen, das hasse ich ja wie die Pest. Wer sitzt denn da im Mini? Na, Mäuschen, ja, du, dich meine ich, lach doch mal! Genial, du bist ein Schatz! Oh, es geht weiter.

Das Nachdenken hat ihn ermüdet und er findet, er könnte mal Pause machen und ein Käffchen trinken. Die nächste Tanke sollte doch bald kommen, schließlich hat er vorhin ein Schild gesehen, es müssten noch drei Kilometer sein.

Bei dem Tempo brauch ich bestimmt noch ‘ne halbe Stunde. Vielleicht sollte ich jetzt einen Joint rauchen. Einen im Voraus, sozusagen. Meine Jacke liegt hinten. Mist, da komm ich nicht dran. Moment, Gang raus, Handbremse. Was guckst du da hinten? Scheiße, Taschen leer. Himmel, den Stoff hab ich zu Hause vergessen. Marius, du wirst alt. Vielleicht mach ich noch einen Abstecher nach Roermond und bring Sandralein was mit. Ja, das sollte ich tun, ich komm halt etwas später heim, dem Alten wird’s recht sein.

 

 

Unterwegs mit Wolfgang Scherer

 

Wolfgang steht am Schreibtisch und packt sein Tablet ein. Carmen verharrt immer noch an der Tür. Warum zögert sie, habe ich was vergessen? Erwartet Sie etwa ein Weihnachtsgeschenk?

Er geht auf sie zu und bleibt vor ihr stehen. Weshalb schaut sie mich so komisch an? Irgendwas behagt ihm nicht. Wo ist meine Selbstsicherheit geblieben, fragt er sich. »Ich geh dann mal«, sagt er und sofort spürt er, dass es falsch klang. Zittrig und eine Spur zu hoch, fast Falsett. Er gibt sich einen Ruck, umarmt sie und deutet einen Kuss auf die Wange an. Sie sucht seine Lippen, verfehlt sie, und ihre Lippen streifen sein Kinn. Sie lässt ihn nicht los. Er löst sich sanft.

»Wünsche dir schöne Weihnachten!« Sie blickt ihn erwartungsvoll an, er senkt den Blick und schlüpft an ihr vorbei, dreht sich um und wirft ihr eine Kusshand zu. Sie winkt, es wirkt gezwungen und auf ihrem Gesicht breitet sich Enttäuschung aus.

Was hat sie erwartet? Sie weiß doch, dass ich mit Sabine zusammen bin. Eine Beziehung unter Kollegen? Geht gar nicht.

Unten angekommen atmet er einmal tief durch. Endlich Weihnachtsurlaub. Der Parkplatz ist leer. Carmen geht ihm nicht aus dem Kopf. Sie waren die Letzten im Büro. Mal wieder. Dabei fällt ihm auf, dass sie sich noch nicht darüber beklagt hat. Eindeutig, sie will was von mir. Er schüttelt den Kopf, kramt den Carkey aus der Hosentasche und steigt in seinen BMW. Er startet den Motor und fährt los. Runterkommen, genieß den Augenblick, wenn der Urlaub beginnt. Alles hinter sich lassen. Endlich ausspannen. Einen Moment konzentriert er sich auf seinen Körper, so wie er es im Yogakurs gelernt hat, den er Sabine zuliebe mitgemacht hat, wobei er die meisten Abendkurse dann doch seiner Karriere opfern musste. Nicht lange bleibt sein Hirn leer, denn schon bald überfallen ihn seine Gedanken von vorhin:

Vielleicht habe ich es zu lange laufen lassen. Es tat mir gut, von einer attraktiven Frau im Büro umgarnt zu werden. Diese Spannung hatte was. Aber jetzt muss ich aufpassen. Nach Weihnachten muss ich offen mit ihr darüber reden. Mein wirkliches Büroproblem ist aber ein ganz anderes.

Er muss weg. So schnell wie möglich. Die Idee mit der Zwanzigjahrfeier im Frühjahr ist spitze. Warum bin ich nicht selbst drauf gekommen? Peter hatte mal eine Idee. Gut, ich gönne sie ihm. Viele Einfälle hat er ja nicht. Zum Plan: Wir verwickeln unseren Chef, unseren Bald-nicht-mehr-Chef, in ein Gespräch, und während er mit dem einen spricht, schenkt ihm der andere Wein ein. Vielleicht schütten wir ihm noch Absinth hinzu. Danach kommt Carmen ins Spiel. Sie wird sich gehörig aufgedonnert haben. Mit unschuldigem Blick bitte ich sie, den Alten zum Tanz aufzufordern. Der Alte ist scharf auf sie. Und ich denke, dass er seine Griffel nicht bei sich halten kann. Natürlich lenken wir die Augen des Vorstandes auf unseren betrunkenen Chef. Ganz zufällig.

Er presst die Lippen aufeinander und schaltet das Radio ein.

Nee, das wirkt wie eine Episode aus einer dieser Serien des Unterschichtenfernsehens. Da muss ich noch dran arbeiten. So einfach geht’s nicht. Der Chef ist ein Verbrecher, aber er ist nicht debil. Ein Fuchs ist er. So schnell lässt er sich nicht auf eine falsche Fährte locken.

Plötzlich klingelt das Telefon. Er schreckt auf, schaltet die Freisprechanlage ein und flucht innerlich: Was ist jetzt los? Kann man denn nicht mal eine Sekunde nachdenken! Wer ruft denn jetzt wieder an?

»Hallo, Schatz!«, sagt er und bedauert gleich, dass es nicht leidenschaftlicher geklungen hat.

»Ja, das packe ich nachher aus. Und nach der Bescherung ruf ich dich an.«