Schüchternheit kreativ bewältigen - Martin Schuster - E-Book

Schüchternheit kreativ bewältigen E-Book

Martin Schuster

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Beschreibung

Schüchterne Menschen fühlen sich in sozialen Situationen häufig unwohl und verunsichert. Sie werden rot, fangen an zu stottern und bitten andere Personen nicht gerne um einen Gefallen. Dieses Buch ist für Menschen gedacht, die sich besonders schüchtern und gehemmt in sozialen Situationen fühlen. Der Band bietet Ihnen wissenschaftlich begründete und an zahlreichen Beispielen veranschaulichte Ratschläge, wie Sie lernen können, Ihre Hemmungen und Befangenheit abzulegen und zugunsten eines gesunden Selbstwertgefühls zu überwinden. Die Ursachen der Schüchternheit und unterschiedliche Erscheinungsformen werden verständlich erläutert. Es werden Übungen vorgestellt, die Spaß machen und Ihre kreativen Talente entwickeln. Auch auf die Schüchternheit bei Kindern und was Eltern schon im Zuge der Erziehung berücksichtigen sollten, um Schüchternheit zu vermindern, wird eingegangen. Die 2., überarbeitete Auflage enthält fachliche Ergänzungen und neue Illustrationen. Der Ratgeber wendet sich an alle, die unter Schüchternheit leiden, sowie an Fachkräfte in Therapie und Beratung.

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Martin Schuster

Schüchternheit kreativ bewältigen

Ein Ratgeber

2., überarbeitete Auflage

Prof. Dr. Martin Schuster, geb. 1946. Verhaltenstherapeut und Kunsttherapeut. 1976–2010 Akademischer Rat am Institut für Psychologie der Universität zu Köln. Autor zahlreicher Aufsätze und Bücher zu Themen der Kunstpsychologie und Kunsttherapie, zur Psychologie des Lernens sowie auch zu Themen der Psychotherapie, wie z. B. „Prüfungsangst und Lampenfieber“.

Wichtiger Hinweis: Der Verlag hat gemeinsam mit den Autoren bzw. den Herausgebern große Mühe darauf verwandt, dass alle in diesem Buch enthaltenen Informationen (Programme, Verfahren, Mengen, Dosierungen, Applikationen, Internetlinks etc.) entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abgedruckt oder in digitaler Form wiedergegeben wurden. Trotz sorgfältiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes und der digitalen Produkte können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autoren bzw. Herausgeber und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.

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www.hogrefe.de

Umschlagabbildung: © iStock.com by Getty Images / AZarubaika

Illustrationen: Klaus Gehrmann, Freiburg; www.klausgehrmann.net

Satz: Sabine Rosenfeldt, Hogrefe Verlag, Göttingen

Format: EPUB

2., überarbeitete Auflage 2020

© 2005, 2020 Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen

(E-Book-ISBN [PDF] 978-3-8409-3011-9; E-Book-ISBN [EPUB] 978-3-8444-3011-0)

ISBN 978-3-8017-3011-6

https://doi.org/10.1026/03011-000

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Anmerkung:

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Zitierfähigkeit: Dieses EPUB beinhaltet Seitenzahlen zwischen senkrechten Strichen (Beispiel: |1|), die den Seitenzahlen der gedruckten Ausgabe und des E-Books im PDF-Format entsprechen.

Inhaltsverzeichnis

1 Was man über Schüchternheit wissen muss

1.1 Wie häufig ist Schüchternheit?

1.2 Wie zeigt sich Schüchternheit?

1.3 Unterschiedliche Erscheinungsformen der Schüchternheit

1.4 Konsequenzen der Schüchternheit

1.4.1 Schüchternheit und Depression

1.4.2 Schüchternheit und Alkohol

1.4.3 Mangelnde Hilfe

1.4.4 Mobbing

1.4.5 Schüchternheit und Internetgebrauch

1.5 Mythen, wie Schüchternheit zu Stande kommt

1.6 Benachbarte Symptom-Gruppen

1.6.1 Ist Schüchternheit das Gleiche wie Sozialphobie?

1.6.2 Panikattacken

1.7 Schüchternheit ist ein normales Merkmal

1.8 Ist Schüchternheit angeboren?

1.9 Die biologische Sichtweise

1.9.1 Was das Leben Schüchterner erleichtert

1.9.2 Situationen, die Schwierigkeiten machen

1.9.3 Personen, die Schüchternheit auslösen; Personen, die Schüchternheit erleben

1.9.4 Natürlich ist Schüchternheit veränderbar!

1.9.5 Früher schüchtern

2 Selbsthilfe und Selbstdiagnose der Schüchternheit

2.1 Selbsthilfe bei Schüchternheit

2.2 Selbstdiagnose

2.3 Generelle Methoden der Selbstveränderung

2.3.1 Tagebuch

2.3.2 Selbstbeobachtung

2.3.3 Selbstbelohnung

2.3.4 Kontrakte

2.3.5 Das „All-better“-Bild

2.4 Die Illusion: „Die Schüchternheit wird von anderen sofort erkannt“

2.5 Was kann erreicht werden?

3 Was kann ich konkret zur Bewältigung der Schüchternheit tun?

3.1 Überprüfen: Bin ich wirklich so schwach, unansehnlich und angreifbar?

3.1.1 Gute Eigenschaften auflisten, Komplimente ernst nehmen

3.1.2 Machen Sie eine Liste Ihrer guten Eigenschaften

3.1.3 Die Collage der Stärken

3.1.4 Einen Brief an mich selbst schreiben

3.2 Stärker werden

3.2.1 Die Verhaltensmerkmale von Stärke zeigen und dabei wirklich stärker werden

3.2.2 Sicherheit und Revierbesitz

3.2.3 Talismane und Abwehrzauber

3.2.4 Imagination

3.2.5 Ein Vorbild imaginieren

3.2.6 Das Aussehen

3.2.7 Selbstaufmerksamkeit mindern

3.2.8 Überhaupt: Mit sich selber sprechen

3.2.9 Böse Redensarten

3.2.10 Hilfreiche Autosuggestionen

3.2.11 Die eigene Fitness erhöhen

3.3 Überprüfen: Ist meine Umgebung wirklich angriffslustig?

3.3.1 Blamagen beobachten

3.3.2 Blamagen abtropfen lassen

3.3.3 Sich durchsetzen lernen

3.4 Geschickt schwach sein

3.4.1 Zum Essen einladen, Geschenke machen

3.4.2 Listig sein

3.4.3 Selbstkritik nutzen!

3.4.4 Die Schüchternheit motiviert zu kreativen Höchstleistungen

3.4.5 Schüchterne Partner haben ihre Vorzüge

3.4.6 Schüchternheit kann Nachdenklichkeit bedeuten

3.4.7 Der Schüchternheit ein Schnippchen schlagen: Das „Als-ob“-Spiel

3.4.8 Anderen helfen

3.5 Entspannung

3.5.1 Ankern

3.6 Durch Konfrontation Angst verlernen

3.7 Medikamente

3.7.1 Medikamente gegen das Schwitzen

3.7.2 Die Droge Alkohol

4 Die Sozialkontakte

4.1 Nützliche Geschicklichkeiten erwerben

4.2 Kommunikation

4.2.1 Menschen ansprechen, ein Gespräch beginnen

4.2.2 Fünf Rettungsringe der Kommunikation

4.2.3 Die Möglichkeiten zu indirektem Kontakt nutzen

4.2.4 Lernen, alleine zu sein

4.3 Schwierige Situationen

4.3.1 Einladungen

4.3.2 Kontakt mit Personen des anderen Geschlechts

5 Schüchternheit bei Kindern

5.1 Was kann bei der Erziehung von Kindern getan werden, um Schüchternheit zu vermindern?

5.2 Manche Erziehungsmaßnahme verstärkt auch Schüchternheit

5.3 Kritische Situationen im Entwicklungsverlauf

5.4 Einzelne Maßnahmen gegen Schüchternheit von Kindern und Jugendlichen

5.4.1 Das Kind entscheiden lassen

5.4.2 Inneres Sprechen kontrollieren

5.4.3 Das richtige Gesprächsverhalten

5.4.4 Der Wechsel von Reden und Zuhören

5.4.5 Spiele, um die Integration eines schüchternen Kindes in die Gruppe zu erleichtern

5.4.6 In der Märchen-Fantasie Kompetenzen entwickeln

5.4.7 Verkleidung, Rollen, Schauspiel

5.4.8 Vor allem: Dem Kind Zeit lassen

Literatur

Anhang

Anhang 1: Die Auswertung des Dialogzeichnens

Anhang 2: Mögliche „nicht-direktive“ Antworten

Anhang 3: Entspannungsübungen

Sachregister

|9|1 Was man über Schüchternheit wissen muss

Im ersten Kapitel erfahren Sie, was man heute über Schüchternheit weiß. Dieses Wissen kann für die schüchterne Leserin oder den schüchternen Leser in mancher Hinsicht eine Erleichterung bedeuten.

Man ist nicht allein mit der Schüchternheit; viele Menschen erleben die gleichen unangenehmen Gefühle und Hemmungen. Niemand hat die Schüchternheit selbst verschuldet, aber die Eltern oder Lehrer zu beschuldigen muss auch nicht sein. Schüchternheit bleibt oft ein Leben lang erhalten, aber wer beschließt, die Schüchternheit zu verwandeln, kann sich von ihr befreien oder zumindest viel besser mit seiner Schüchternheit leben.

1.1 Wie häufig ist Schüchternheit?

In Amerika geben 80 Prozent der Bevölkerung an, einmal schüchtern gewesen zu sein, 40 Prozent empfinden sich gegenwärtig als schüchtern. Unter Kindern ist Schüchternheit häufiger, auch bei Jungen und speziell Mädchen in der Pubertät gibt es noch häufig Schüchternheit.

Wenn sich heute eigentlich recht viele Menschen als schüchtern empfinden, liegt das auch daran, dass die heutige Kultur in einem ganz hohen Maß Extrovertiertheit und ungezwungenen Umgang mit Fremden verlangt. Wir sollen täglich zu fremden Menschen sprechen, manchmal besteht ja unser Beruf gerade aus einer solchen Anforderung. In einer einfachen Dorfgesellschaft wäre der Kontakt zu Fremden dagegen ein seltenes Ereignis. Einem Menschen, der sich heute als schüchtern empfindet, wäre seine Hemmung früher vielleicht gar nicht besonders aufgefallen.

|10|Viele prominente Künstler1, besonders auch viele Schauspieler, waren extrem schüchtern. Manchmal motivierte die Schüchternheit ihre Berufswahl, manchmal überwanden sie ihre Schüchternheit durch den Beruf (z. B. Jim Carey, Eva Green sowie Bruno Ganz und Johnny Depp). Musikerinnen wie Lady Gaga und Britney Spears sind bekannt für ihre Schüchternheit. Der schüchterne bildende Künstler Andy Warhol versteckte sich auf Partys hinter seiner Polaroid-Kamera. Alle diese Lebensgeschichten beweisen, dass man Schüchternheit überwinden kann.

1.2 Wie zeigt sich Schüchternheit?

Schüchternheit zeigt sich äußerlich in einer Reihe von Unterwerfungsgesten:

Der Schüchterne mag anderen nicht in die Augen blicken.

Vielleicht hält er den Kopf gesenkt.

Er spricht mit leiser Stimme.

Er wird bei unpassender Gelegenheit rot. Das kann sich ganz plötzlich entwickeln: Der Dichter Tennessee Williams berichtet in seiner Autobiografie, wie er einmal mehr zufällig in die Augen eines hübschen Mädchens schaute. Er wurde dabei rot. Und er fürchtete sich im selben Moment: „Wenn das nun immer passiert“. Tatsächlich wurde er von dem Zeitpunkt ab immer rot, wenn er einer Frau oder sogar auch einem Mann in die Augen schaute. Es scheint bei dem Rotwerden so etwas wie eine Bahnung zu geben, wenn es erst einmal auftritt, wird es leicht schlimmer und tritt in immer mehr Situationen auf. Manchmal wird der Gedanke an das Rotwerden zum Auslöser. „Hoffentlich werde ich nicht rot“, denkt der Referent – und da ist es schon passiert, und nun beschäftigt er sich während des ganzen Vortrags damit, über sein Rotwerden nachzudenken. Der Vortrag wird dadurch leiden.

Oft tritt in sozialen Situationen – also in Momenten besonderen Stresses – verstärktes Schwitzen auf: entweder auf der Stirn, unter den Achseln oder an den Handinnenflächen.

|11|Alles wird nur schlimmer, wenn man annehmen muss, dass das Schwitzen oder Erröten von anderen bemerkt wird.

Auch im Verhalten ist der Schüchterne eher submissiv, also unterwürfig:

Manchmal erleben Schüchterne den Drang, anderen Recht zu geben oder sich fortlaufend zu entschuldigen.

Soziale Situationen sind schwierig und werden gemieden. Es ist schwer einzukaufen; manchmal wird die Schüchternheit von Verkäufern ausgenutzt: Dem Schüchternen, der nicht Nein sagen kann, wird leicht etwas aufgeschwatzt.

Mit Fremden zusammen fühlt sich der Schüchterne extrem gehemmt.

Beim Einkaufen ergeben sich weitere Probleme: Vor anderen zu schreiben, z. B. die Rechnung zu unterzeichnen, will nicht gut gelingen, weil die Hand verkrampft oder zittert.

Manche Verhaltensweisen treten auch nur manchmal im Zusammenhang mit Schüchternheit auf:

Gemeinsames Essen ist schwierig und wird teils ganz vermieden. Das kann so weit gehen, dass man auch keine Gäste nach Hause zum Essen einladen möchte.

Öffentliche Toiletten bergen ihre Probleme. Es ist unangenehm, in der Gemeinschaft mit anderen zu urinieren oder auch nur dabei gehört zu werden.

1.3 Unterschiedliche Erscheinungsformen der Schüchternheit

Die Selbstkontrolle kann Schüchternheit durchaus modulieren und unterschiedlich erscheinen lassen. Menschen nehmen ihre Eigenschaften nicht einfach hin: Sie reagieren auf eigene Schwächen in verschiedener Weise, Sie versuchen sich zu ändern oder aber schwierige Situationen einfach zu vermeiden.

a)

Vermeidung: Dies führt nur selten zu Veränderungen. Ängste und Hemmungen bleiben gleich stark bestehen. Wer nicht auf Partys geht, niemals Fremde anspricht, in Gruppen nicht redet etc. lebt zwar leichter, aber er wird seine Hemmungen auch nicht los.

b)

|12|Sich zwingen: Wer schüchtern ist, aber dennoch gleichzeitig mutig, der zwingt sich zu sozialen Kontakten, spricht vielleicht als Jugendlicher absichtlich forciert Personen des anderen Geschlechts an. Manche Menschen haben ihre Schüchternheit so überwunden, dennoch merkt man ihnen den ehemals Schüchternen an: Im Kampf gegen die eigenen Hemmungen sind sie etwas zu wenig interaktiv im Umgang mit dem Partner. Der Kampf mit dem eigenen Innenleben ist so aufwändig, dass eine feinfühlige Abstimmung mit dem anderen, dem Sozialpartner, nicht gelingt und auch später nicht gelernt wird. Diese Menschen, die ihre Schüchternheit (über)kompensiert haben, wirken hinterher nicht mehr sehr schüchtern, sondern im Gegenteil eher draufgängerisch, nassforsch. Der Schauspieler Robert Mitchum z. B. berichtet von sich, dass er sich seine raue Schale als Schutzschild für seine Schüchternheit zugelegt hat.

Sozialpartner fühlen sich beim ehemals schüchternen Draufgänger leicht „überfahren“ und ziehen sich zurück. Auch nach dieser Kompensation der Schüchternheit (die übrigens nicht dazu führt, dass man sich in sozialen Situationen wohlfühlt) müsste es also ein Nachlernen sozialer Geschicklichkeiten geben. Das Buch macht dazu Vorschläge.

Indem es einigen Schüchternen gelingt, die Schüchternheit zu überwinden, gibt es zwei Arten von Schüchternheit: (a) die überwundene, die privat und intern aber dennoch erlebt wird. Von außen betrachtet, würde aber kaum jemand solche Personen für schüchtern halten. Daneben gibt es (b) die bemerkbare öffentliche Schüchternheit.

c)

Die formale Art des sozialen Umgangs: Wer ganz formell mit anderen umgeht, hat ein Gerüst, einen sicheren Rahmen in sozialen Beziehungen. Es kommt dann nicht so leicht zu Intimität oder Freundschaften, man muss sich nicht öffnen oder auf private Beziehungen einlassen. Einige Schüchterne ziehen sich in diese Möglichkeit zurück, die aber natürlich einsam macht.

d)

Rebellisches Überkompensieren: Mancher überkompensiert seine Schwäche mit rebellischem Verhalten. Eigentlich ist er schüchtern, überspielt das aber durch sozial abweichendes Verhalten oder z. B. als Klassenclown. In einer milderen Form kann die Überkompensierung auch nur als übermäßig extrovertiertes Verhalten auftreten.

Anhand der nachfolgenden Übung können Sie nun selbst Ihre soziale Interaktion testen.

|13|Übung: Testen Sie Ihre soziale Interaktion

Stellen Sie sich vor, Sie gestalten einen Dialog durch gemalte Beiträge. Ihr Partner hat als erster einen kleinen Kreis auf seine Seite des Blattes gemalt. Wie würden Sie nun Ihrerseits mit einem Farbstrich oder einer kleinen (abstrakten) Figur reagieren? Zeichnen Sie das auf ein Blatt! Als Nächstes würde Ihr Partner direkt neben Ihre Figur die gleiche Figur in einer anderen Farbe zeichnen. Wie würden Sie reagieren? Zeichnen Sie Ihre Figur wiederum auf das Blatt!

Werten Sie die Zeichensequenz mit den Hinweisen im Anhang 1 aus (vgl. S. 157 f.).

1.4 Konsequenzen der Schüchternheit

Starke Schüchternheit kann das Lebensglück sehr beeinträchtigen. Man traut sich nicht, auf andere Menschen zuzugehen, mit ihnen zu sprechen, speziell nicht mit Menschen des anderen Geschlechts. Also ist der schüchterne Mitmensch oft einsam und findet erst spät oder auch gar keinen Lebenspartner.

Manchmal werden Schüchterne ausgebeutet, weil Sie nicht Nein sagen können oder es für Sie in manchen Situationen einfacher ist, ohne Widerrede alles mitzumachen. So gibt es schüchterne Mädchen, die „mit jedem mitgehen“, weil das eben einfacher ist. Im seltenen Ausnahmefall werden nur im (Gewalt-)Verbrechen die eigene Kraft und die eigene Existenz erlebbar.

1.4.1 Schüchternheit und Depression

Wenn man – zum Beispiel aus Schüchternheit – nie das erreicht, was man erreichen möchte, dann stellt sich ein Gefühl von Hilflosigkeit ein (Seligman, 1979), das sich verfestigt und später zu einer depressiven Verstimmung führen kann.

|14|Beispiel: Frau Klix

Frau Klix war eine Halbwaise, die bei der späteren Frau des Vaters streng erzogen wurde. Sie war sehr schüchtern, aber auch recht hübsch. Als ein gutaussehender junger Mann aus angesehener Familie aus dem Dorf um ihre Hand anhielt, konnte sie es kaum glauben. Fast hätte sie nicht Ja gesagt, weil sie es für unmöglich hielt, liebenswert zu sein. Aber sie schaffte es, und es wurde eine gute Ehe, aus der zwei nette Kinder hervorgingen. Ihr Mann schätzte die Geselligkeit, und weil er selber gern sprach, machte es ihm nichts aus, dass seine Frau immer stumm am Tisch saß und sich nur um die Speisen kümmerte. Sie hatte dabei aber oft das Gefühl, nichts wert zu sein. Wenn Entscheidungen zu treffen waren, machte das natürlich der Ehemann. Weil sie sich ja nicht durchsetzen konnte, nahm der Beruf in seinem Leben einen immer größeren, ja den einzigen Platz ein. Manche Wochen über leitete ihr Mann jeden Abend Konferenzen. Sie saß dann allein und unglücklich zu Hause. Das wurde noch schlimmer, als die Kinder selbstständig wurden. Nun war alles so unbefriedigend geworden, dass sich langsam eine depressive Verstimmung einstellte, die der Mann aber lange Zeit gar nicht bemerkte. Er schickte sie zum Hausarzt, nahm die Veränderungen jedoch nicht besonders ernst. Sie weinte jetzt viel und konnte sich kaum noch für die Aufgaben des Haushaltens interessieren.

Die Unterwerfungsgesten des Schüchternen haben ironischerweise oft nicht den gewünschten Erfolg, sie ziehen die Aggression von aggressionsbereiten Sozialpartnern sogar geradezu an. Der Schüchterne signalisiert ja seine eigene Schwäche, scheint also das leichte Opfer eines Angriffs zu sein. Manchmal suchen die Mitmenschen nach Opfern. Zum Beispiel wollen männliche Jugendliche den Mädchen ihre Stärke durch einen Sieg in einer körperlichen Auseinandersetzung beweisen: Natürlich werden sie gerade das schwächste Opfer suchen, das einen sicheren Erfolg garantiert; das ist manchmal dann ein schüchterner Junge.

1.4.2 Schüchternheit und Alkohol

Eine gefährliche Weise, die Hemmungen der Schüchternheit zu überwinden, ist der Genuss von Alkohol. Alkohol „enthemmt“, da kommt man in sozialen Situationen erst einmal besser zurecht. Viele Schüchterne |15|werden so zu Gewohnheitstrinkern, ja Alkoholikern. In den Gruppen der Anonymen Alkoholiker findet man hohe Prozentsätze von schüchternen Menschen. Tatsächlich sind diese Gruppen für Schüchterne ganz besonders geeignet, weil sie manchmal Angst davor haben, die netten erfolgreichen Ärztinnen oder die netten extrovertierten Krankenpflegerinnen um Rat zu fragen. In der Gruppe der Gleichbetroffenen muss man sich nicht so minderwertig fühlen.

Ab einem bestimmten Alkoholpegel sind die sozialen Reaktionen nicht mehr sehr angemessen. Man wird als betrunkener Gast nicht beliebter. Auch andere Konsequenzen wie Führerscheinentzug und gesundheitliche Probleme sind nicht selten. Daher werden wir auch einige Ratschläge zur Kontrolle und zur Reduzierung des Alkoholkonsums geben (vgl. Kapitel 3.7.2). Genauso wie Alkohol wirkt Haschisch in Bezug auf die Schüchternheit, vielleicht mit dem Unterschied, dass man sich unter Haschisch-Einfluss auch in sozialen Situationen eher zurückzieht. Die lähmende Hemmung wird dann aber nicht mehr so stark empfunden.

1.4.3 Mangelnde Hilfe

Natürlich fällt es Schüchternen schwer, Hilfe zu suchen. Sie ziehen sich ja gerade von anderen zurück. Anderen die eigene Schwäche gestehen zu müssen, wäre das Allerschlimmste. So kommt es z. B. bei Alkoholproblemen zu weniger Beratung und Psychotherapie als bei weniger schüchternen alkoholabhängigen Personen.

Beispiel: Carla

Carla erinnert sich, dass sie beim Arzt zu schüchtern ist, um nach den Nebenwirkungen der Medikamente zu fragen, und sich nicht traut, zu widersprechen, wenn der Arzt vorschnelle Schlüsse zieht und ihr kaum Gelegenheit gibt, ihre Beschwerden vorzutragen.

1.4.4 Mobbing

Solche, die sich nicht gut wehren können, denen auf Beleidigungen nicht sofort eine Antwort einfällt, eignen sich gut als Opfer für den bösen Sinn |16|der anderen. Menschen, die Spaß daran haben, andere zu erniedrigen, gibt es immer, und die Schüchternen werden ihre Opfer. So kommt es, dass viele Schüchterne Mobbing-Erfahrungen haben. Natürlich führt das Mobbing nicht zu mehr Selbstsicherheit – im Gegenteil, die Minderwertigkeitskomplexe wachsen.

1.4.5 Schüchternheit und Internetgebrauch

Es gibt einige Studien, die das Internetverhalten von Schüchternen (meist Studenten) untersuchten. Einige Ergebnisse sollen hier wiedergegeben werden. Sie zeigen, dass die Kommunikation in sozialen Medien für Schüchterne hilfreich sein kann, aber auch Gefahren birgt: Man könnte sich in Computerspielen daheim vergraben und auf Kontakte zu wirklichen Menschen verzichten.

Insgesamt nutzen Schüchterne wie auch Sozialphobiker die sozialen Medien nur gemäßigt mehr. Auch Chatrooms werden von Schüchternen etwas mehr genutzt. Schüchterne Studenten verbringen mehr Zeit auf Facebook und sind positiver dazu eingestellt, haben aber bei Facebook weniger „Freunde“. Speziell wenn die Kommunikation in Textform stattfindet, bei der man nicht so schnell reagieren muss und natürlich auch keine Zeichen von Angst sichtbar werden, haben Schüchterne den gleichen Internetgebrauch wie weniger Schüchterne. Ist aber eine Webcam eingeschaltet, öffnen sich schüchterne Teilnehmer weniger, d. h., sie geben weniger private Inhalte preis.

Der anfängliche Internet-Kontakt kann einen folgenden persönlichen Kontakt erleichtern.

1.5 Mythen, wie Schüchternheit zu Stande kommt

Man erlebt an sich unangenehme und merkwürdige Hemmungen, die andere Menschen anscheinend nicht haben. Wie soll man sich das erklären? Betroffene fragen sich, ob sie seelisch krank sind, vielleicht neuro|17|tisch oder irgendwie psychisch behindert. Das nagt am Selbstwertgefühl. Es ist also von ganz außerordentlicher Wichtigkeit, die Schüchternheit zu Beginn unseres gemeinsamen Unternehmens als eine Variante einer normalen und alltäglichen Hemmung verstehen zu lernen.

Auch andere Autoren, die sich mit Schüchternheit beschäftigen, versuchen eine Erklärung zu finden. Dabei werden verschiedene Mythen entwickelt, die aber eher schädlich sind, weil sie den Menschen negative Eigenschaften zuordnen, die sich dann auf dem Wege der selbsterfüllenden Prophezeiung tatsächlich einstellen könnten.

Falsche Mythen

So wurde behauptet, Schüchterne seien irgendwie ängstliche Menschen, die eher zur Flucht als zum Angriff neigen (Carducci, 2000). In Wirklichkeit können schüchterne Menschen – wenn es etwa darum geht, ein Leben zu retten – außerordentlich mutig sein.

Eine andere These lautet, es handle sich um Menschen, die ganz generell Furcht vor dem Neuen haben. Aber es macht den Schüchternen gar nichts, sich mit einer neuen Kommunikationstechnik, wie z. B. dem Computer-Chat, zu beschäftigen.

Oder die Schüchternheit sei letztlich eine „narzisstische Störung“: Der Betroffene kreise in Gedanken gewissermaßen selbstverliebt zu stark um sich selbst. In Wirklichkeit denken Schüchterne aber nicht verliebt, sondern sehr selbstkritisch und abwertend über sich!

Aus anscheinend logischen Überlegungen werden Schlüsse abgeleitet, die nicht stimmen. Schüchternheit, so argumentiert Carducci (2000), entstehe aus einem schlechten Selbstwertgefühl und könne daher nicht vor dem Zeitpunkt der Entwicklung eines bewussten Selbst im zweiten Lebensjahr entstehen. Viele Eltern von schüchternen Kindern wissen jedoch, dass Schüchternheit schon wesentlich früher auftreten kann. Ja, selbst Tiere können schüchtern sein.

Empfundene Schüchternheit sei im aktuellen Moment des Erlebens wie die Aufgeregtheit durch Stress oder Angst, wird behauptet. Dies stimmt aber auch nicht, tatsächlich fällt einem nichts ein, man erlebt eine Hemmung.

Sind Schüchternheit und soziale Ängstlichkeit dadurch verursacht, dass man einfach die richtigen sozialen Verhaltensweisen nicht gelernt hat? Anscheinend nicht: Bei Schüchternheit und bei der sozialen Phobie (s. u.) wird auf eine gute soziale Kompetenz verwiesen, |18|d. h., dass die Betroffenen sich im sozialen Kontakt geschickt bewegen könnten, aber dennoch davor zurückschrecken (Lucock & Salkovskis, 1988).

Solche Schüchternheits-Entstehungsmythen führen zu falschen „Kausalattributionen“, d. h. zu falschen Erklärungen des eigenen Verhaltens, und folglich zu falschen Gegenmaßnahmen.

Es gibt aber auch „Alltagstheorien“, die Betroffene ganz ohne wissenschaftliche Fundierung entwickeln. Schüchterne haben ohnehin ein schlechtes Selbstbild, und sie beschuldigen sich oft selbst, unfähig, wenig begabt und ungeschickt zu sein. Erforschen Sie Ihre „Alltagstheorie“! Wenn Sie einmal schüchtern reagiert haben und wenig zufrieden mit sich waren, welche Erklärung geben Sie Ihrem Verhalten? Ordnen Sie sich negative Eigenschaften zu? Wenn ja, welche? Setzen Sie dann die richtigen gegen die falschen Gedanken! Statt zu denken „Ich habe mich wieder dumm verhalten“, ist es richtig zu denken „Meine sozialen Hemmungen haben meine guten Gedanken und Ideen wieder einmal nicht zum Vorschein kommen lassen“. Denken Sie daran, dass viele berühmte und bedeutende Menschen sehr schüchtern waren. Erst im Kampf mit ihrer sozialen Hemmung haben sie ihre Talente entwickelt.

1.6 Benachbarte Symptom-Gruppen

Einige psychische „Diagnosen“ verweisen auf Symptome, die denen der Schüchternheit ähneln, sind aber dennoch anders verursacht und erfordern einen anderen Umgang.