Selbsterfahrung durch Malen und Gestalten - Martin Schuster - E-Book

Selbsterfahrung durch Malen und Gestalten E-Book

Martin Schuster

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Beschreibung

Wie wirkt das Malen auf seelische Prozesse? Können künstlerische Tätigkeiten zur seelischen Gesundheit beitragen? Jede Hobbykünstlerin und jeder Hobbykünstler weiß, wie entspannend, ja beglückend das kreativ-bildnerische Tun sein kann. Dieses Buch richtet sich an Personen jedes Alters, die Malen und Gestalten unter kunsttherapeutischer Anleitung systematisch zur Befindlichkeitsverbesserung und Selbsterfahrung nutzen möchten. Der Ratgeber bedient sich des Erfahrungsschatzes der Kunsttherapie, um Übungen bereitzustellen, die das Malen und Gestalten heilend wirken lassen. Zahlreiche Fotos und Beispiele veranschaulichen das Vorgehen. Kurz und verständlich wird der therapeutische Hintergrund zu jeder Übung erklärt. Der Band zeigt auf, wie künstlerisches Tun unvermutete Ressourcen wecken, Selbstheilungskräfte freisetzen und zu mehr Lebensfreude beitragen kann. Für die 2., aktualisierte Auflage wurde der Ratgeber um Tipps zur Nutzung des Buches, Anregungen zum Umgang mit Niederlagen sowie Literaturhinweise erweitert.

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Martin Schuster

Hildegard Ameln-Haffke

Selbsterfahrung durch Malen und Gestalten

Die therapeutische Kraft der Kunst nutzen

2., aktualisierte Auflage

Prof. Dr. Martin Schuster, geb. 1946. Verhaltenstherapeut und Kunsttherapeut. 1976–2010 Akademischer Rat am Institut für Psychologie der Universität zu Köln. Autor zahlreicher Aufsätze und Bücher zu Themen der Kunstpsychologie und Kunsttherapie, wie z. B. „Psychologie der Kinderzeichnung“ und „Museumspsychologie. Erleben im Kunstmuseum“, sowie auch zur Psychologie des Lernens und zu Themen der Psychotherapie.

Dr. Hildegard Ameln-Haffke, geb. 1958. Lehrerin Sek. I (Kunst/Musik), Diplom-Heil-pädagogin (Kunsttherapie/Musiktherapie), Psychotherapeutin (HPG), Sandspieltherapeutin (DGST). Von 2011–2019 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl Allgemeine Heilpädagogik der Universität zu Köln, dort Leiterin des Arbeitsbereiches Heilpädagogische Kunsterziehung/Kunsttherapie. Veröffentlichungen zu kunstpädagogischen, kunsttherapeutischen und sonderpädagogischen Themen sowie zur Museumspädagogik und Museumspsychologie.

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[email protected]

www.hogrefe.de

Umschlagabbildung: © Hildegard Ameln-Haffke, Köln

Satz: ARThür Grafik-Design & Kunst, Weimar

Format: EPUB

2., aktualisierte Auflage 2021

© 2013 und2021Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG,Göttingen

(E-Book-ISBN [PDF]978-3-8409-3059-1; E-Book-ISBN [EPUB]978-3-8444-3059-2)

ISBN978-3-8017-3059-8

https://doi.org/10.1026/03059-000

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Anmerkung:

Sofern der Printausgabe eine CD-ROM beigefügt ist, sind die Materialien/Arbeitsblätter, die sich darauf befinden, bereits Bestandteil dieses E-Books.

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|5|Vorwort

Wir sind beide Kunsttherapeuten1 und auch Hobbymaler. Wir haben selbst erfahren, dass das Malen und Gestalten eine stimmungsverbessernde und beruhigende Wirkung haben kann. So wurde die Idee geboren, eine Anleitung zu schreiben, wie jeder diese therapeutische Kraft des Malens für sich nutzen kann.

Auch die gegenwärtige Kunst macht dem Betrachter wiederholt „therapeutische“ Angebote. Dabei lernt er auch Verdrängungen und Bruchstellen der Kultur kennen, er lässt sich provozieren oder ermahnen. Dies könnte man nahezu als „Therapismus“ bezeichnen und passt zu unserem Vorhaben. An vielen Stellen des Buches wurden Kunstwerke als Ideenquellen für Mal- und künstlerische Übungen genutzt.

Die Künstler und Kunstwerke, die wir dabei erwähnen, können wir leider nicht abbilden. Da es sich meist um bekannte Werke und Künstler handelt, lassen sich Darstellungen dazu aber leicht mit den Bild-Suchmaschinen im Internet finden. Stattdessen gibt es zur besseren Verständlichkeit umso mehr Illustrationen zu den vorgeschlagenen Übungen.

Wenn wir Fallbeispiele aufgrund unserer Erfahrungen schildern, haben wir nicht namentlich zwischen den beiden Autoren unterschieden. Wir schreiben dann der Einfachheit halber „der Autor“ oder „die Autorin“.

Tipps für die Nutzung des Buches

Fragt man die Mitmenschen, welche Musik sie z. B. zur Stimmungsaufhellung hören, so bekommt man eine breite Auswahl aufgezählt: Von Technomusik über Rock bis zur klassischen Musik ist alles dabei. |6|Es gibt also sehr individuelle Musik-Bedürfnisse. Ähnlich verhält es sich mit der Kunst und dem Gestalten: Eine Gestaltungsverordnung „auf Rezept“ ist nicht möglich. Jede Leserin, jeder Leser sollte im Folgenden selbst herausfinden, was ihr/ihm persönlich wohltut.

Unser Buch enthält ein breites Spektrum an künstlerischen Übungen, die für spezielle Symptomatiken besonders geeignet sind. Während anfangs eher Einzelpersonen im Fokus stehen, sind gerade in Kapitel 11 auch Gruppen und Familien die Zielgruppen: Das Therapeutisch-Dialogische und die Freude am gemeinsamen Gestalten stehen im Vordergrund.

Nachfolgend eine Art „Kompass“:

So finden Sie, liebe Leserin, lieber Leser, zu Beginn eine Einführung in das Kunsthobby und seine möglichen Wirkungen (Kapitel 1): Das Verständnis für das Künstlerisch-Therapeutische soll geweckt werden.

Es folgen erprobte therapeutische Malaufgaben aus dem Bereich der Psychologie und Kunsttherapie (Kapitel 2), die generell für alle Symptomatiken hilfreich sein können.

Die kunsttherapeutische Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie kann interessante Erkenntnisse hervorbringen (Kapitel 3): Es geht hier z.B. um das Aufarbeiten von Gefühlen, auch um persönliche emotionale Kompetenzen.

Weil künstlerisches Gestalten befreiend und entspannend wirken kann – viele Menschen fühlen sich wegen des entstehenden „Flows“ (selbstvergessenes Tun) geradezu glücklich –, wird der therapeutische und stärkende Nutzen von Kreativität herausgestellt (Kapitel 4).

Die künstlerischen Aufgaben zur Kontrollgewinnung oder -aufgabe (Kapitel 5) zielen auf die Stärkung von sozialen Kompetenzen, was einerseits z.B. die Vernachlässigung von zu großer Ängstlichkeit, andererseits aber auch die von zu starker Kontrollbildung fokussiert.

Die ausführlichen Anleitungen zum meditativen Malen (Kapitel 6) knüpfen bewusst daran an: Es geht um die Herstellung von Ordnung – |7|dann, wenn alles unübersichtlich und chaotisch erscheint – oder auch um das Loslassen von zu viel empfundener Last im „ordnenden“ Malen und Gestalten.

Dem heilenden und wohltuenden Nutzen von Ritualen wird nachgespürt und es werden dazu Anregungen empfohlen (Kapitel 7): Gerade Trauer- und Loslöseprozesse sind oft unvollständig und können künstlerisch noch einmal durchlebt und vervollständigt werden. Das Erstellen von Glücksbringern verhilft sowohl dem Gestaltenden als auch dem Beschenkten zu mehr Hoffnung und Verbundenheitsgefühl, es geht um den Gewinn von Zuversicht.

Künstlerische Materialen und deren kreativ-therapeutischer Einsatz bestimmen die folgenden Kapitel (Ton: Kapitel 8; Papier und Gips: Maskenbau in Kapitel 9 und Sand: Sandspieltherapie in Kapitel 10): Gerade die tastbare und formbare Materialität und das Gestalten mit den Händen wirkt nachhaltig körperlich entlastend.

Die gemeinschaftliche Arbeit mit Kindern oder Gruppen und der künstlerische Austausch und Dialog untereinander bilden den Abschluss in den Empfehlungen von Selbsterfahrungs- und Gestaltungsmethoden (Kapitel 11).

Malanfänger und noch unschlüssige Leserinnen und Leser finden am Buchende (Kapitel 12) wichtige Hinweise und Hilfen, Mal-Empfehlungen und auch Bezugsquellen für den Materialeinkauf.

Köln und Bonn, im Sommer 2020

Martin Schuster

Hildegard Ameln-Haffke

1

Zugunsten einer besseren Lesbarkeit verwenden wir im Text in der Regel das generische Maskulinum. Diese Formulierungen umfassen gleichermaßen alle Geschlechter (m/w/d). Die verkürzte Sprachform hat nur redaktionelle Gründe und beinhaltet keine Wertung.

Inhalt

Vorwort

1 Das Kunsthobby als Therapie? Eine Einführung

1.1 Wie wirkt das Malen auf seelische Prozesse?

1.2 Kann man sich selbst therapieren?

1.3 Können künstlerische Tätigkeiten zur seelischen Gesundheit beitragen?

1.4 Was ist besonders am Kunst-Hobby, damit es therapeutisch wirken kann?

1.5 Gibt es einen Zusammenhang von Kreativität und seelischer Gesundheit?

1.6 Kann der Hobbykünstler hoffen, vom Kunstmarkt wahrgenommen zu werden?

1.7 Was kann ein (Kunst-)Therapeut, was man alleine nicht kann?

1.8 Setzt der erfolgreiche und befriedigende therapeutische Einsatz des Malens und Gestaltens künstlerisches Talent voraus?

1.9 Wirkungen und Nebenwirkungen

2 Therapeutisches Malen

2.1 Wie sieht es aus, wenn „alles besser“ ist? Der Kraft der Vorstellung eine Richtung geben (All-Better-Bild)

2.2 Therapeutische Malaufgaben

2.2.1 Eine Sehnsucht malen

2.2.2 Lösungen im Bild malen

2.2.3 Eine Landschaft malen

2.3 Problemfelder malen

2.4 Malerische Weiterentwicklung von Teilpersonen

2.5 Malen von Träumen

2.5.1 Einen besonders bedeutsamen Traum malen

2.5.2 Traumbilder anreichern

2.5.3 Malen eines Alptraumes

3 Biografische Mal- und Gestaltungsaufgaben

3.1 Malen eines Lebensrückblicks

3.2 Malen von Situationen von Glück und Leid

3.3 Malen von Jahresringen oder Lebenslinien

3.4 Malen einer autobiografischen Bildfolge

3.5 Schlimme Erinnerungen durch Malen mildern

3.6 Malen eines Traumas – Geburt

3.7 Fotos aus therapeutischer Sicht betrachten und fotografieren

3.8 Das bedeutende Kunsterlebnis nachempfinden

3.9 Literatur, Sprache und Spruchweisheiten nutzen

3.10 Musik als Malanlass

3.11 Der Körper redet in Bildern

3.12 Arbeit mit Collagen

3.13 „Ja“ sagen, „nein“ sagen können – „Ja“ sagen, „nein“ sagen

4 Kreativ sein

4.1 Sich eine neue Aufgabe stellen

4.2 Was ist der therapeutische Nutzen von Kreativität im Malhobby?

4.3 Ansporn-Fragen für Kreativität

4.4 Den Zufall zur Kreativitätsförderung nutzen

5 Kontrolle aufgeben und Kontrolle gewinnen

5.1 Kontrolle aufgeben

5.2 Kontrolle gewinnen

6 Meditatives Malen und Zeichnen

6.1 Mandala malen

6.2 Trance-Malen

6.3 Meditation mit der Farbe Blau

6.4 Der Farbe eine Form geben

6.5 Meditatives Formenzeichnen

7 Rituale

7.1 Trauer und Abschiednehmen

7.2 Glücksbringer

7.3 Ein kleines Ritual für Blamagen und Niederlagen

8 Gestalten mit Ton

9 Gestalten von Masken

10 Gestalten mit Sand

11 Kunsttherapeutische Übungen mit Kindern

11.1 Kreative Projekte – Draußen in der Natur

11.2 Zu zweit und in der Gruppe gestalten

11.3 Hand- und Stabpuppenspiel (Spielobjekte)

11.4 Märchen

11.5 Musik-, Tanz- und Bewegungsspiel

12 Weiterführende Tipps und Hinweise

12.1 Maltipps für Malanfänger

12.2 Hinweise zum Kauf von Ton

12.3 Bauanleitung für einen Kasten für das Sandspiel

12.4 Musikempfehlungen

12.5 Bezugsadressen und -hinweise

12.6 Vorlagenskizze für ein Mandala

Literatur

Sachregister

|13|1 Das Kunsthobby als Therapie? Eine Einführung

Zu Beginn gehen wir auf einige Fragen ein, die man an das Buch stellen kann.

1.1 Wie wirkt das Malen auf seelische Prozesse?

Jeder Hobbykünstler weiß, dass das Malen die Stimmung beeinflusst. Man kann sich beim Malen in ein bestehendes Gefühl vertiefen oder sich auch aus dem Strom der täglichen Sorgen ausklinken. Neuere Therapieansätze ordnen dies z. B. dem Bereich der „Achtsamkeit“, „aktiven Aufmerksamkeitslenkung“ oder sogar dem „Mentaltraining“ zu. Neurowissenschaftliche Untersuchungen gibt es zu diesem Phänomen allerdings bislang wenige. Eine israelische Studie konnte 2017 bei Probanden zeigen, dass beim Malen das Belohnungssystem im Gehirn aktiv ist (vgl. Kaimal, Ayaz, Herres, Dietrich-Hartwell, Makwana, Kaiser et al., 2017, S. 85–92).

Daher lassen wir in diesem einleitenden Kapitel Menschen zu Wort kommen, die in der Selbstbeobachtung und in ihrer sprachlichen Umsetzung besonders geschickt sind, nämlich Schriftsteller und Dichter. Viele von ihnen liebten das künstlerische Malhobby und schrieben ihre Erfahrungen damit auf (Friedman, 2008, S. 7): Hesse beschrieb die „völlig neue Freude“, die er im Alter von Vierzig kennenlernte: „Das Malen ist wunderbar; es macht zufriedener und geduldiger. Man hat nachher nicht, wie beim Schreiben, schwarze Finger, sondern rote und blaue.“ Auch Mark Twain spürte die verändernde Wirkung, die die Erschaffung von Kunst auf ihn hatte, er bemerkte: „In letzter Zeit erlebe ich ein neues, glückliches Leben … Es lässt mich in eine sakrale Verzückung geraten, zu sehen, wie sich ein Portrait unter meinen Händen entwickelt, Seele annimmt“. Und D. H. Lawrence schwärmte: „Mein ganzes Leben lang bin ich immer wieder zum Malen zurückgekehrt, weil es mir eine Art von Vergnügen bereitet, die Wörter niemals bereiten können.“ Henry Miller sprach davon, er schiebe die „Belohnung des Malens“ für ein oder zwei Stunden vor dem Abendessen ein. Eve|14|lyn Waugh bekannte: „Ich arbeitete mit dem Pinsel und war vollkommen glücklich dabei, was ich beim Lesen oder Schreiben nicht war“.

Die Malerin Niki de Saint Phalle hat die heilende Kraft des Kunstschaffens in der Maltherapie einer Psychiatrie entdeckt. Sie litt unter dem Trauma des sexuellen Missbrauchs durch ihren Vater, den sie dann später in ihrer Kunst weiterhin bearbeitete. Sie schuf sogenannte „Schießbilder“: Sie schoss auf Farbsäckchen, deren Farben dann auf der Leinwand zerplatzten. Sie stellte sich vor, auf Männer, auf Väter und Brüder zu schießen. Die Wut wurde dabei entladen (Katharsis; vgl. Abb. 1). Später setzte sie sich mit ihren Nanas mit der Rolle der Frau auseinander und fand dabei zu einer positiven Identifikation auch mit der weiblichen Sexualität.

Abbildung 1: Niki de Saint Phalle, Giardino dei Tarocchi – Detail: Aggression und Liebe gegenüber der Vaterfigur sind in dieser Skulptur abzulesen.

Viele Maler haben in Briefen und Autobiografien von der beruhigenden, ja heilenden Kraft des Malens berichtet. Van Gogh schreibt beispielsweise in den Briefen an den Bruder Theo, dass das Malen seine unerträglichen inneren Spannungen mildert. Bald wurde in den Psychiatrien entdeckt, dass gerade die Malerei in der Beschäftigungstherapie einen günstigen Einfluss auf die Kranken hat. Die Kunstsammlung des Psychiaters Hans Prinzhorn von 1922 und seine wegweisende Veröffentlichung „Die Bildnerei der Geisteskranken“ belegten dies.

In der Kunsttherapie werden die günstigen Wirkungen der Malerei systematisch eingesetzt, aber kann man sich mit der Malerei auch selbst therapieren?

|15|1.2 Kann man sich selbst therapieren?

Ja natürlich, die meisten körperlichen Krankheiten und seelischen Probleme werden durch Mechanismen der Selbstheilung überwunden. Oft liegt die Erfolgsrate von Psychotherapie gar nicht dramatisch über der Rate der spontanen Selbstheilung. Menschen sind – wie in allen Lebenslagen – auch in Hinsicht auf ihren Umgang mit seelischen Problemen erfinderisch und die Psychotherapeuten könnten sicher viel davon lernen, wie Menschen sich selbst geholfen haben. Nur im Ausnahmefall aber gibt es aufmerksame Kollegen, denen solche ungewöhnliche Methoden im Umgang mit seelischen Problemen auffallen und die versuchen, sie in ihre Therapien zu integrieren.

Manchmal verschwinden seelische Probleme einfach so, ohne dass irgendetwas Besonderes unternommen wurde. Manchmal erfinden Betroffene ganz originelle Vorgehensweisen. Hier im Beispiel eine fast „kunsttherapeutische“ Methode (vgl. den Einsatz von Masken unter Kapitel 9).

Beispiel:

Philip G. Zimbardo (der berühmte Autor von Büchern über Schüchternheit) hatte einen Bruder Georg, der als Kind extrem schüchtern war: Deshalb konnte er nicht einmal eingeschult werden. Die Mutter wusste, dass es ihm im Umgang mit anderen Menschen half, wenn er eine Maske tragen konnte. Sie sprach mit den – verständnisvollen – Lehrern und sie erlaubten Georg, dass er mit einer Papiermaske den Schulunterricht besuchte. Erst nach einigen Monaten, als er gern an einem kleinen Theaterstück teilnehmen wollte, zu dem die Maske nicht passte, nahm Georg die Maske ab. Die Einschulung war auf diese Weise gelungen (Zimbardo, 1990).

Manchmal machen es Menschen ganz spontan so, wie es auch ein Psychotherapeut versuchen würde. Sie kämpfen sich immer wieder durch angsterregende Situationen, dadurch wird die Angst gelöscht. Man setzt sich mutig den anfallenden Panikattacken aus und tut damit genau das, was auch der Therapeut empfehlen würde.

|16|Man kann sich in dieser Hinsicht Anregungen holen: Selbsthilfebücher setzen zumeist die in der Psychotherapie bewährten Maßnahmen so um, dass sie sich für die Selbstanwendung eignen.

Manche Menschen können extreme Bedingungen seelisch gesund überstehen, Missbrauch, Katastrophen schwere Verluste der eigenen Gesundheit oder der Unversehrtheit des Körpers, ohne daran zu zerbrechen (man spricht hier von „Resilienz“). Wie unterscheiden sie sich von ihren weniger stabilen Leidensgenossen? Sie haben bestimmte Verhaltensweisen, die sie widerstandsfähig machen, sie blicken optimistisch in die Zukunft, glauben daran, dass sie durch ihr Verhalten etwas bewirken können. Auch von ihnen kann man lernen, ein psychisch gesundes Leben zu führen.

1.3 Können künstlerische Tätigkeiten zur seelischen Gesundheit beitragen?

Nehmen wir die Kinderzeichnung: Sie erfüllt im Leben der Kinder eine wichtige Funktion. Das Leiden unter der Machtlosigkeit der Kindheit wird durch Fantasiebefriedigungen ausgeglichen. Man malt die Geborgenheit des Hauses, gerade wenn sie nicht selbstverständlich ist. Kleine Jungen leben ihre Machtwünsche in Kampf- und Kriegsszenen aus, kleine Mädchen bearbeiten ihre Bindungswünsche.

Aus der Betrachtung der Kinderzeichnung ist vielleicht ein Merkmal seelischer Beeinflussung durch künstlerische Tätigkeiten zu verstehen. Sie wirkt eine Zeit lang, dann müsste die Malaktion wiederholt werden. Das kindliche Minderwertigkeitsgefühl kann eine Weile lang durch das Malen von Ritterburgen oder Raumschiffen befriedigt werden, dann lädt es sich durch Erziehungsereignisse wieder auf.

Viele alternde Maler haben ihre sexuellen Bedürfnisse auch durch das Malen von erotischen Motiven bearbeitet (so z. B. Picasso, Picabia, Delvaux, Klinger). Die große Zahl derartiger Motive in ihrem Spätwerk zeigt, dass sie diesen Trieb immer wieder im Malen bearbeiteten. |17|Mit psychoaktiven Ritualen verhält es sich genauso: Der Sündenbock, das Osterlamm etc., muss immer wieder geopfert werden, um aggressive Spannungen in der Gruppe zu entladen.

Viele Rituale, wie Gottesdienste, oder wie der Brauch des Karnevals etc., finden daher in vorgesehenen Zeitabständen immer wieder statt. So kann auch bei vielen unserer Malaufgaben erwartet werden, dass sie für eine Zeit lang entlastend wirken, aber nicht, dass sie dauerhaft die Psyche und (natürlich) nicht die äußere Situation verändern können. Aber eben auch eine zeitweilige Entlastung verbessert das Wohlbefinden und erlaubt dadurch ein gehobenes seelisches Funktionieren, das wiederum zu dauerhaften Veränderungen beitragen kann.

Bei den sogenannten „geisteskranken Künstlern“ (Begrifflichkeit des beginnenden 20. Jahrhunderts, heute: „Outsider-Künstler“) kann man beobachten, wie sie sich symbolisch selbst zu helfen versuchten. Inhalte, die mit aufkeimenden Schuldgefühlen verbunden waren, wurden durch undurchdringliche Linien abgegrenzt. Dem eigenen Chaos wurde die geordnete Symmetrie auf dem gemalten Blatt entgegengesetzt (vgl. Adolf Wölfli). So wurde die allgemeine „Beschäftigungstherapie“ in den Psychiatrischen Anstalten bald zu einer bewusst eingesetzten Maltherapie.

Gerade die heutigen Künstler bieten dem Betrachter weniger den Genuss von Schönheit, sondern fordern diesen zum Dialog auf.

Tatsächlich gibt es zwei Studien, die den förderlichen Einfluss des Malens belegen (Bell & Robbins, 2007): Die 50 erwachsenen, seelisch gesunden Versuchspersonen werden nach Zufall auf zwei Gruppen aufgeteilt. Die erste Gruppe malt 20 Minuten lang mit verschiedenen Farbstiften. Die Kontrollgruppe sieht während der gleichen Zeit Bilder aus einem Kunstbuch an. Beide Gruppen werden dann einer Maßnahme ausgesetzt, die – in milden Maße – zu einer besorgten Stimmung beiträgt: Sie sollen ihre schwersten aktuellen Sorgen auf einen Zettel aufschreiben. Der Zettel wird nicht eingesammelt, sodass für die Versuchspersonen kein Anlass besteht, aktuelle Sorgen etwa zu verheimlichen. Beide Gruppen werden also in gleichem Maße durch die sorgenvollen Gedanken beeinflusst.

|18|Sodann wird, bevor das Malen bzw. das Betrachten der Kunstbilder beginnt, die Ängstlichkeit und die allgemeine Besorgtheit mit einem Fragebogen erhoben. Der gleiche Fragebogen wird nach der Tätigkeit noch einmal angewandt. Dabei zeigt sich bei der Malgruppe eine starke Reduzierung von Besorgtheit und Ängstlichkeit. Dagegen gibt es in der Gruppe, welche die Bilder betrachtete, was ja auch eine entspannende Tätigkeit darstellt, nur eine geringe, nicht signifikante Verbesserung! Die Maltätigkeit hat also im Vergleich zu anderen Tätigkeiten eine förderliche Wirkung. Diese Wirkung konnte sich gemäß dieser Studie ja ganz ohne die Mitwirkung eines Therapeuten entfalten!

Obwohl der Hobbykünstler für die Psychologie nahezu ein unbeschriebenes Blatt ist, gibt es doch eine weitere Studie, die eine positive Antwort nahelegt. Reynolds und Kee (2007) führten eine Interview-Studie mit 12 Frauen durch, die sich in einer Krebsbehandlung befanden bzw. mit einem diagnostizierten Krebs lebten, und die ein Malhobby ausübten. Sie wurden danach befragt, welche Auswirkungen das Malhobby auf ihr Befinden habe. Es zeigte sich, dass sie ihrer Meinung nach weniger auf ihre Krankheit fixiert waren, dass sie ihre Kontinuität als die gleiche Person leichter wahrnehmen konnten, dass sie ein besseres Selbstwerftgefühl hatten und sich dadurch insgesamt besser fühlten.

Einige Aussagen der Hobbykünstlerinnen sind hier wiedergegeben (Reynolds & Kee, 2007, S. 3 ff.):

„Das Kunstwerk steht für etwas in meinem Leben. Ich werde es einrahmen lassen. Es ist eine Phase meines Lebens, durch die ich durchgegangen bin.“

(Hier sehen wir, was das Kunstwerk leisten kann: Es kann die Krankheit sozusagen nach außen verlagern.)

„4 oder 5 Stunden gehen vorüber, ohne dass man daran denkt. Es ist wunderbar, du denkst an nichts anderes und das ist das Tolle daran.“

„Ich habe nicht mehr viele Herausforderungen. Ein schwieriges Kunstwerk zu gestalten ist hilfreich.“

„Wenn Du manchmal hübsche Fotos mitschickst oder ein kleines Kunstwerk oder so etwas, ist das nicht so deprimierend für die Menschen, die es empfangen. Besser, als zu sagen: Diese Woche war ich wieder im Krankenhaus. … Die Leute sind schon besorgt und sie wollen auch wissen, was ge|19|rade vor sich geht, aber sie wollen das Leid auch nicht unbedingt mit ertragen. Es ist schöner, etwas Erfreuliches zu schicken.“

Auch im Umkreis der Autoren gibt es solche Erfahrungen. Interessant ist an dem Beispiel, dass auch die künstlerische Arbeit mit den neuen Medien die gleiche segensreiche Kraft entfaltet:

Beispiel:

Wolfgang wurde nach einer Krebserkrankung der gesamte Magen entfernt. Er berichtet, dass sein künstlerisches Hobby ihm sehr geholfen hat, die schwere Zeit der Behandlung zu überstehen. Er gestaltete nämlich surrealistische Bilder im Computer-Bildbearbeitungsprogramm Photoshop.

1.4 Was ist besonders am Kunst-Hobby, damit es therapeutisch wirken kann?

Gerade das Malen ist aus fünf Gründen in besonderem Maße „psychoaktiv“:

Beim Malen gerät man in eine Trance. Die Zeit vergeht schnell, ohne dass man es bemerkt, man vergisst Zeit und Ort. Das passiert auch schon, wenn bildhafte Denkprozesse aktiviert werden. Auch im Kino fallen viele Menschen in eine tiefe Trance und sie fühlen sich, als ob sie erwachen, wenn der Film zu Ende ist. Der Dichter Edmond de Goncourt schreibt über das Zeichnen und die Radierkunst „welche einen nicht nur vollkommen die Zeit, sondern auch die Ärgernisse des Lebens und alles andere auf der Welt vergessen lässt. Ganze Tage geht man vollkommen darin auf.“ (Friedman, 2008). Andere sprechen von einem „Rausch“ in den sie durch das Malen geraten.

Bildhaftes Denken seinerseits vertieft die Trance. Beim Malen sieht man die Wirkung der Malspur auf dem Bild und stellt sich dabei den nächsten Malstrich vor. In diesem Wechselspiel von Wirkung und Vorstellung vertieft sich die malerische Trance. In der Trance ist man besonders empfänglich für Suggestionen. Das nutzt die politische Propaganda bei der Beeinflussung der Filmproduktion; das nutzen aber auch bewährte therapeutische Verfahren wie die Hypnotherapie. |20|Heilsame Bildvorstellungen können dann fest in der unbewussten Welt des bildhaften Denkens verankert werden. Als die Menschen noch nicht über eine medizinische Wissenschaft verfügten, wurden auch die körperlichen Krankheiten in einer therapeutischen Trance behandelt, die der Schamane beispielsweise durch Trommelschlagen und Gesänge einleitete. In ihr gab er bildhaft z. B. die Suggestion, dass die Seele wiedergefunden oder dass die Krankheit vertrieben werden kann. Die Erfolge der schamanistischen Kur waren erheblich!

Beispiel:

Iris spannt Fäden über ein Brett (vgl. Abb. 2) und gestaltet so schöne geometrische Bilder. Gerade beim Nageln der Knüpfpunkte an den Seiten der Grundplatte, also bei einer gleichförmigen Tätigkeit, kann sie in tiefe Trance geraten. Dies ist auch deshalb möglich, weil das Nageln irgendwie wie eine „sinnvolle“ Tätigkeit erscheint und nicht einfach Müßiggang ist.

Abbildung 2: Iris spannt mit Fäden eine Ordnung auf.

2.

Das Malen aktiviert das bildhafte Denken und spielt natürlich Bilder in die Gedächtnisdatenbanken ein. Unser Denken in Worten ist eine späte Errungenschaft der Evolution, davor liegt ein Denken in Bildern, das ein wenig unbewusst ist, aber gleichzeitig einen viel direkteren Zugang zu Körperprozessen hat. Ein Beispiel macht das deutlich: Das Wort „Zitrone“ allein führt zu keinen besonderen körperlichen Reaktionen. Die Vorstellung der gelben Zitronenhaut, des gelben Fruchtfleisches, evtl. eines Spritzers des Zitronensaftes auf unserer |21|Zunge löst – so würde man erwarten – auch jetzt bei Ihnen beim Lesen – einen leichten Speichelfluss aus. Beim Malen lernen wir selbst etwas über die inneren Vorstellungen, welche Bildvorstellungen, Befürchtungen und Hoffnungen unser bildhaftes Denken birgt. Wir können diesem Denken aber auch Vorbilder geben.

3.

Mit der Muttermilch haben wir aufgenommen, dass man mit Worten lügen kann. „Mama kommt gleich wieder“ wird gesagt, manchmal stimmt es nicht. Wenn das Kind die Mama aber sieht, dann ist sie da. Dem, was er selbst sieht, kann der „ungläubige Thomas“ vertrauen. Wenn also etwas gesehen werden kann, glauben wir es. Die Werbung bedient sich dieser Tendenz, aber auch der Maler kann im Bild etwas Wirklichkeit werden lassen, was er anstrebt und damit bekommt es auch ein Stück Wirklichkeit.

In der Religionsausübung gibt es viele Rituale, die die Beteiligten sehen, hören, schmecken und fühlen. Sie können die Seele beeinflussen, im günstigen Falle therapieren. Nachfolgend gehen wir auch auf die Gestaltung von Ritualen ein (vgl. Kapitel 7). In der politischen Propaganda, speziell des Dritten Reiches, waren es ganz besonders die Rituale der Parteitage und Aufmärsche, welche die Massenseele beeindrucken konnten.

4.

Die Farben des Frühlings erfreuen uns und hellen unsere Stimmung auf. Das Grau des Winters dagegen kann niedergeschlagen machen. Der Umgang mit Malfarben ist auch ein emotionales Ereignis. Allein das Mischen einer schönen und interessanten Farbe kann uns in einen Bereich positiver Gefühle hineintragen, der sich dann einprägt und in Zukunft in verstärktem Maß zur Verfügung steht. Über die Wirkung der Farben auf das „Gemüth“ hat schon Goethe nachgedacht, seine Farbenlehre ist für den Hobbymaler (auch Goethe war ein engagierter Hobbymaler) sicher eine spannende Lektüre. Die anthroposophisch orientierte Maltherapie geht davon aus, dass Farben und Formen den Menschen seelisch bewegen. Bestimmten Farben und Formen werden verändernde Kräfte zugesprochen. So soll u. a. die Farbe Rot wärmen, Gelb die Sinne wecken, Blau verinnerlichen, Grün ruhigen Ausgleich schaffen, Orange Licht geben und stärken und Violett die Seele erweitern. Auch bestimmte Farbkombinationen haben nach dieser Auffassung ihre eigene, beeinflussende Wirkung.

5.

Das Malen erzeugt einen ganz besonderen Geisteszustand, das sogenannte „Flow-Erlebnis“. Anforderungen und Fähigkeiten befinden |22|sich in einem Gleichgewichtszustand, d. h., die Fähigkeiten sind eben so groß, um die gestellten Anforderungen (leicht) zu bewältigen. So einen Zustand hat Mihály Csikszentmihalyi (2012) bei Bergsteigern und Schachspielern erforscht.

Vielleicht erinnern Sie sich, dass Ihre Großeltern in Ruhepausen, um zur Ruhe zu kommen oder um sich abzulenken, Patiencen legten oder Solitaire spielten. Heute gibt es diese Spiele natürlich auch noch und sie erfreuen sich weiterhin ihrer Beliebtheit. Aber wir konnten in gleicher Weise beobachten, dass man auch über das Malen und über künstlerische Aktionen in einen selbstvergessenen Zustand kommen kann, den Glücksforscher als „Flow“ bezeichnen: Beim Malen und Gestalten vergaßen die Menschen alles um sich herum, gingen ganz in der Tätigkeit auf und empfanden aufgrund dessen Glücksgefühle. Beim künstlerischen Tun übt man also das Glücklichsein ein!

Man kann die therapeutische Kraft des Malens nicht drastischer betonen, als dies Hermann Hesse (1980/1925, S. 90) tat: „Es ist so, dass ich längst nicht mehr leben würde, wenn nicht in der schweren Zeit meines Lebens die ersten Malversuche mich getröstet und gerettet hätten.“

Und an anderer Stelle: „Seit Jahren bin ich auch mit Malen und Zeichnen beschäftigt, mein Ausweg um in bittersten Zeiten das Leben ertragen zu können und um Distanz von der Literatur zu gewinnen.“

1.5 Gibt es einen Zusammenhang von Kreativität und seelischer Gesundheit?

Ist Malen kreativ? Fördert Kreativität die Gesundheit? Ein „Ja“ auf diese beiden Fragen wäre zu einfach. Heutige Künstler müssen innovativ sein und denken von daher beim Begriff „Malen“ die „Kreativität“ gleich mit. Der Hobbykünstler, der eine Landschaft oder ein abstraktes Bild malt, bewegt sich dabei allerdings meist in traditionellen Bahnen. Kreativ im künstlerischen Sinne ist er nicht. Er erschafft zwar etwas, das vorher nicht da war, es ist aber nicht innovativ. In unserem Buch werden Übungen vorgeschlagen, wie auch der Hobbymaler kreativ – im Sinne von innovativ – sein kann.

|23|Überträgt sich die Kreativität im Bild auf die Lebensführung? Notwendig ist das wiederum nicht. Der Autor kennt kreative Künstler, die aber eben ganz konservativ und konventionell leben. Das abweichende Leben des Bohemiens ist eher eine traditionelle (und daher auch nicht kreative) Selbstinszenierung, also nicht Ergebnis der ins Leben überschäumenden Kreativität. Die Verwirklichung von Kreativität im Alltag muss man wollen und üben. Hier können Anregungen gegeben werden, aber diese Bestrebung reicht über den Fokus des Buches auch schon ein wenig hinaus (vgl. hierzu Schuster, 2016).

Wie wirkt sich nun Kreativität im Leben aus? Wer kreativ lebt, hat für Problemlösungen eben mehr Optionen, als der konventionelle Mitmensch, der nur in ausgefahrenen Bahnen handelt: Er ist nicht so „festgefahren“. Das könnte zur Zufriedenheit und zur seelischen Gesundheit beitragen. Andererseits weicht er in seinen Ansichten und in seinen Handlungen eben von den Meinungen und Handlungen der Mitmenschen ab, das könnte missbilligt werden. Vielleicht ziehen sich deshalb kreative Menschen oft etwas aus dem sozialen Kontakt zurück. Denken Sie nur daran, welchen Konformitätsdruck Jugendgruppen ausüben und stellen Sie sich vor, ein kreativer Jugendlicher kleidete sich im Trachtenlook (eine kreative Abweichung). Diesen mutigen Jugendlichen würde die Gruppe der Gleichaltrigen sogleich verstoßen. Eine Bestrafung, so schlimm wie die Verbannung in der Antike. Dies könnte die seelische Gesundheit möglicherweise beeinträchtigen. Die Antwort ist also gar nicht so klar: Manchmal ist Kreativität gefordert, um neue Anpassungen im Leben zu erreichen, ständige Kreativität kann aber auch ein wenig einsam machen.

1.6 Kann der Hobbykünstler hoffen, vom Kunstmarkt wahrgenommen zu werden?

Selbstwertgefühl könnte ja auch gewonnen werden, wenn die eigenen Werke entdeckt würden, eine Galerie würde sie ausstellen, sie würden vielleicht teuer gehandelt. Das ist sicher eine Hoffnung, die mancher Hobbymaler – wenn auch vielleicht insgeheim – hegt. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist allerdings sehr gering. Der Galerist will einen Künst|24|ler fördern, von dem er eine stabile Produktion erwarten kann, die sich vielleicht auch noch entwickelt. Er erwartet auch von seinem Künstler, dass er alles zum Ruhme seiner Werke tut, dafür alles in die Waagschale wirft, was er hat. Oder er nutzt den Ruhm, den der Künstler aus anderen Leistungen bereits erworben hat. Der Kunstmarkt steht fast nur dem Profi-Künstler oder dem Prominenten offen. In diesem Buch finden Sie entsprechend keine Anweisungen, wie man zu künstlerischem Erfolg kommt, sondern nur, wie man sein Malhobby persönlich (therapeutisch) nutzen kann.

Bei vielen Freizeitmalern kommt häufig ein Gefühl der Unzulänglichkeit auf, die naturalistische Darstellung gelingt nicht ausreichend, die Portrait-Ähnlichkeit will sich nicht einstellen oder die angestrebte Schönheit des Farbzusammenklanges kommt nicht zustande. Besonders, wenn man einem eher traditionellen Kunstbegriff anhängt, werden sich solche Gefühle einstellen. So hat der Dichter Lewis Carroll seine Versuche, die eigenen Texte zu illustrieren, entmutigt eingestellt. Lawrence Durell schreibt, dass er habe einsehen müssen, nicht Picasso zu sein, um seine Malversuche fortzusetzen. In jüngster Zeit und nach der Akzeptanz der abstrakten Malerei ist der Anforderungsdruck auf die Malkompetenzen geringer geworden. Wie auch immer: Beim Malen zu therapeutischen Zwecken geht es ja nicht darum, ein künstlerisch wertvolles Produkt zu schaffen. So kann diese Grundintention das Malen auch von zu hohen Anforderungen und daraus resultierenden negativen Gefühlen befreien.

1.7 Was kann ein (Kunst-)Therapeut, was man alleine nicht kann?

Eine Therapie ist im Wesentlichen ein Gespräch, in dem es um die Gefühle und Gedanken des Klienten geht. Das Gespräch in vertrauensvoller Atmosphäre ermöglicht es, Unformuliertes bewusst zu machen und angstfrei über alle Facetten der eigenen Innenwelt zu reden. In der Kunsttherapie werden zudem die nur halbbewussten bildhaften Kommunikationen aus den Produkten des Klienten besprochen und so einer bewussten Bearbeitung zugänglich gemacht. Diese wichtige Leistung |25|der therapeutischen Sitzung kann man alleine kaum erreichen. Allerdings kann man sehr wohl das Gespräch mit vertrauten Personen suchen, oder solche kunsttherapeutischen Übungen in einer Gruppe ausführen, die sich zum gemeinsamen Gespräch trifft. Es hat sich in verschiedenen Studien gezeigt, dass Laien als Therapeuten fast so erfolgreich arbeiten können, wie ausgebildete Therapeuten (vgl. Garfield, 1988).