Schuld-Entrümpelung - Monika Herz - E-Book

Schuld-Entrümpelung E-Book

Monika Herz

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Beschreibung

Schuldgefühle gehören – neben Angst, Depression und Erschöpfung – zu den am weitesten verbreiteten psychischen Belastungen in unserer Kultur. Schuldgefühl lähmt, verringert das Selbstwertgefühl und führt bei vielen Menschen zu Selbstsabotage. In einer umfassenden Schuld-Entrümpelungs-Aktion müssen wir lernen, echte von falscher Schuld zu unterscheiden. Wo wir uns Schuld zu Unrecht aufladen oder von anderen aufladen lassen, hilft Verständnis der tieferen Zusammenhänge. Die Autoren vermitteln Techniken, Rituale und Gebete, die helfen, dass die Befreiung von Schuld auch im Unterbewussten ankommt. Wo wir anderen Menschen geschadet haben, zeigen sie Wege auf, die zu einer Versöhnung und Schuldbefreiung führen können.

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Seitenzahl: 331

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Buch

Schuldgefühle gehören – neben Angst, Depression und Erschöpfung – zu den am weitesten verbreiteten psychischen Belastungen in unserer Kultur. Schuldgefühl lähmt, verringert das Selbstwertgefühl und führt bei vielen Menschen zu Selbstsabotage. In einer umfassenden Schuld-Entrümpelungs-Aktion müssen wir lernen, echte von falscher Schuld zu unterscheiden. Wo wir uns Schuld zu Unrecht aufladen oder von anderen aufladen lassen, hilft Verständnis der tieferen Zusammenhänge. Die Autoren vermitteln Techniken, Rituale und Gebete, die helfen, dass die Befreiung von Schuld auch im Unterbewussten ankommt. Wo wir anderen Menschen geschadet haben, zeigen sie Wege auf, die zu einer Versöhnung und Schuldbefreiung führen können.

Die Autoren

Monika Herz, aufgewachsen im oberbayerischen Hohenpeißenberg in einer gläubigen, christlichen Familie und Mutter von fünf Kindern, arbeitet als Autorin und Heilerin mit Schwerpunkt »Spirituelle Therapie«. Roland Rottenfußer arbeitete nach seinem Germanistikstudium als Buchlektor und Journalist für verschiedene Verlage und als Redakteur beim spirituellen Magazin »connection«. Gemeinsam schrieben die Autoren »Gesundbeten mit Heiligen« (Kailash Verlag).

Monika Herz/Roland Rottenfußer

Schuld-Entrümpelung

Wie wir uns von einer erdrückenden Last befreien

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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1. Auflage

Originalausgabe Januar 2017

© 2017 Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München

Umschlagmotiv: Plainpicture/Matton/Björn Andrén

Lektorat: Birgit Groll, Benediktbeuern

SSt· Herstellung: cb

Satz: Fotosatz Amann, Memmingen

ISBN 978-3-641-18317-2V001

www. goldmann-verlag.de

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1. Einführung – Menschheit unter der Schuld-Wolke

2. Dimensionen von Schuld

2.1. Keine Schuld ohne Opfer

2.2. Der freie Wille – nur ein Mythos?

2.3. Schuld ist Beziehungssache

2.4. Schuld ist keine Tatsache, sondern ein Deutungsversuch

2.5. Schuld als Zuwiderhandlung

2.6. Projizierte Schuld

2.7. Übernommene Schuld

2.8. Übertragene Schuld

2.9. Kollektivschuld

2.10. Potenzielle Schuld

3. Es werde Schuld! Wie Schuldgefühle gemacht werden

3.1. Wozu hat man einen Sündenbock?

3.2. Der Schatten der Wohlanständigen

3.3 Wenn du schuld bist, muss ich es nicht sein

3.4. Macht macht Schuld

3.5. Schuldbewirtschaftung – Wo sich das Schuldigsprechen rechnet

3.6. Wer Schuldgefühle erzeugt, schafft an

3.7. Produktionsfaktor Schuldgefühl am Arbeitsplatz

3.8. Politik und Ökologie – Die überstrapazierte Verantwortung

3.9. Alles selbst kreiert?

3.10. Religion – Die wundersame Schuldvermehrung

3.11. Wirtschaft – Schulden als materialisierte Schuld

4. Warum wir uns den Schuld-Schuh anziehen

4.1. Schuld-Solidarität

4.2. Die Macht des Bindungsgewissens

4.3. Identifikation mit der Macht

5. Anleitung zur Schuld-Entrümpelung

5.1. Der unbequeme Abstieg in den Schuldkeller

5.2. Die Aufräumaktion

5.2.1. Schuldgefühle, die uns bewusst sind

Fragenliste 1

Fallbeispiel: Eine Ohrfeige im Affekt

5.2.2. Unbewusste Schuldgefühle

Fragenliste 2

Fallbeispiel: Ein typisches Nachkriegskind

6. Übungen zur Befreiung von unnötigen Schuldgefühlen

6.1. Bei den Lichtkräften Zuflucht nehmen

6.2. Der innere Prozess

6.2.1. Übung: Der innere Strafverteidiger

6.2.2. Ergänzung: Der innere Richter

6.3. Gönnen Sie sich Fehler-Freibeträge

6.4. Von der Wirkung der Rituale

6.5. Rituale, um Schuldgefühle loszulassen

7. Die Fesseln lösen – Befreiung von Schuld und Karma

7.1. Schuld oder Karma?

7.1.1. Was ist Karma?

7.1.2. Karma, Kirche, Gott

7.1.3. Den Geistesstrom reinigen

7.1.4. Der Karma-Begriff in der Bibel

7.2. Karma und die Stufen des Weges

7.2.1. Karma verstehen, gute Samen säen

7.2.2. Klesha – die Ursache der Ursache

7.2.3. Alle Wesen vom Leid befreien

7.3. Die Methode der Umwandlung

7.3.1. Die erste Kraft: Das Bekennen

7.3.2. Die zweite Kraft: Das Bedauern

7.3.3. Die dritte Kraft: Die gute Absicht

7.3.4. Die vierte Kraft: Heilsame Taten und Wiedergutmachung

7.3.5. Die fünfte Kraft: Das Vertrauen

7.4. Meditation mit den fünf Kräften

7.4.1. Vorbereitung

7.4.2. Die Verbeugung

7.4.3. Das Darbringen von schönen Gaben

7.4.4. Das Bekenntnis und Erzeugen der fünf Kräfte

7.4.5. Das Visualisieren des Lichtfeldes – der Segen

7.4.6. Meditation und Gebet

7.4.7. Dank und Widmung

8. Beispiele aus der Praxis für spirituelles Heilen

8.1. Der plötzliche Tod eines nahestehenden Menschen

8.2. Abtreibung

9. Gnade – Gutes nähren statt Böses bestrafen

10. Schlussbetrachtung – Plädoyer für eine Kultur der Würdigung

Vorwort

»Um Himmels willen! Da habt ihr euch aber ein schwieriges Thema ausgesucht!« – »So ein düsteres Thema, ich würde mich das ja nicht trauen, schon gar nicht zu zweit!« – »Damit könnte man doch eigentlich eine ganze Bibliothek füllen, wo wollt ihr da anfangen und wo aufhören?«

Wenn wir unseren Freunden und Bekannten von diesem Buchprojekt erzählten, stießen wir häufig auf solche skeptischen bis besorgten Reaktionen. Viele, meist Kollegen und Freundinnen aus dem heilerischen, sozialpädagogischen oder schriftstellerischen Umkreis, zeigten sich jedoch auch fasziniert. Es war spürbar, dass es in ihrem Kopf zu rattern begann, dass ihnen eigene biografische Berührungspunkte mit dem Thema Schuld einfielen. Nur eine Minderheit meinte lapidar, dass sie mit diesem Thema nichts am Hut hätte. Ob das wohl stimmt?

Da Sie dieses Buch in Händen halten, gehören Sie vermutlich nicht zur zweiten Kategorie, die das Thema lieber ignorieren. Sie gehören zu denen, die sich damit aufrecht befassen wollen, und wir möchten Ihnen allein schon dafür danken. Sie tun es für sich selbst, aber auch für andere. Denn jeder, der sich mit dem Thema Schuld beschäftigt, der es wagt, hinzuschauen, der mit dem Aufräumen beginnt und sich reinigt, trägt etwas dazu bei, die Menschheit von einer düsteren Schuld-Wolke zu befreien, die sich über Jahrtausende hinweg über uns zusammengebraut hat.

Das vorliegende Buch ist unser zweites gemeinsames Werk. Ein Buch will ja nicht nur geschrieben und gelesen werden, zuvor noch will es als Idee geboren und dann lange bebrütet werden. Die Idee zu einem »Schuld-Buch« tauchte zuerst in Rolands Geist auf, und so gesehen trägt er weitaus mehr »Schuld« an der Entstehung dieses Werkes. Monika ließ sich anstecken von Rolands Idee und von seiner Begeisterung. Dabei beschränkte sie sich jedoch auf den Aspekt des spirituellen Heilens von wirklicher Schuld (Kapitel 7) und auf das Erzählen von Fallbeispielen, wo Heilung gelungen ist (Kapitel 8). Rolands Part ist es, das Thema zunächst zu analysieren und es von vielen verschiedenen Seiten zu beleuchten. Er beschäftigte sich vor allem mit den Fällen, in denen uns Schuld ungerechterweise zugeschoben wird. Er entwickelte auch den äußerst hilfreichen Fragebogen zur Schuld-Entrümpelung und schloss das Buch mit den Kapiteln über das Thema Gnade und einem Plädoyer für eine Kultur der Würdigung ab.

Je länger und je tiefer wir uns mit dem Thema befassten, desto schwieriger erschien es uns, unseren Auftrag zu erfüllen und das Projekt zu einem glücklichen Ende zu führen. Wie oft saßen wir gemeinsam beim Abendessen und mussten im Gespräch feststellen, dass sich unsere Anschauungen doch in einigen Punkten beträchtlich unterschieden. Wie sollten wir da »wie aus einem Munde sprechen«? Konflikte mussten wir ja nicht nur miteinander austragen, sondern oft auch jeder für sich in seinem Inneren! Letztlich betrachten wir den Prozess der Annäherung und Kompromissbildung zwischen uns aber als fruchtbar und inspirierend. Die Tatsache, dass zwei Menschen nicht von vorneherein gleicher Ansicht sind, ist ja keine ärgerliche Abweichung vom Idealfall – sondern vielmehr eine Chance, uns einer umfassenderen Sicht von »Wahrheit« anzunähern. Sollten unsere Leserinnen und Leser also trotz unserer Bemühungen noch Spuren von Widersprüchen zwischen unseren Aussagen entdecken, so hoffen wir, dass sie dies ähnlich empfinden können wie wir: als Bereicherung und als Angebot, sich selbst eine Meinung zu bilden.

Ein Buch ist in einem gewissen Sinn wie ein Kind, das gezeugt wird, sich im Bauch der Mutter entwickelt und schließlich auf die Welt kommt, um dann seine eigenen Wege zu finden. Da unserem Buch eine schwierige Schwangerschaft vorausging, freuen wir uns umso mehr, dass unser »Kind« nun glücklich geboren ist. Wir wünschen ihm viel Erfolg. Ihnen, den Leserinnen und Lesern, wünschen wir von Herzen, dass es Ihnen als Impuls und Anleitung dienen möge, kreativ und heilsam mit diesem heiklen Thema umzugehen.

Noch ein Hinweis: Wir konnten uns nicht darauf einigen, über Personen entweder nur in der männlichen oder nur in der weiblichen Form zu schreiben. Deshalb haben wir es einfach frei fließen lassen, und manchmal ist eben von Freundinnen die Rede und ein anderes Mal von Kollegen. Gemeint sind natürlich immer alle Menschen, ganz egal welchen Geschlechts.

Dieses Buch will aufklären, unterhalten und vor allem heilen und helfen. Auch ein Lachen oder Augenzwinkern ist erlaubt – über einige besonders absurde Aspekte unserer Schuldkultur. Manchmal ist es unvermeidlich, dass wir Sie auch in die Unterwelt Ihrer problematischen Seelenanteile führen. Wir tun dies sicher nicht, damit Sie sich dort unten verlieren, sondern immer nur aus einem Grund: »Um des Himmels willen«.

Monika Herz und Roland Rottenfußer im April 2016

1. Einführung – Menschheit unter der Schuld-Wolke

Im Zentrum des Bildes war nichts als ein schwarzer Strudel, der alles in die Tiefe riss – die Farben und mit ihnen jede Lebensfreude. Maria hatte während ihres schweren Depressionsschubs, der über mehrere Monate andauerte, wieder begonnen zu malen. Doch solange sie mittendrin steckte, half auch der künstlerische Bewältigungsversuch kaum. Maria wollte sich nur noch unter dem Schutz der Bettdecke verkriechen – unterbrochen von hektischem Surfen im Internet. Freizeit, gutes Wetter, Natur und Bewegung brachten keine Linderung – es herrschten nur Hoffnungslosigkeit, innere Qual und »Schwärze«. Was wartete am tiefsten Punkt dieses Strudels? Es war der Tod. Maria fühlte sich, als habe eine Macht von ihr Besitz ergriffen, die sie zwingen wollte, bis zu dem Punkt völliger Verelendung und Selbstzerstörung hinabzusteigen.

Ich war erschrocken, als mir Maria, mit der ich lange nur lockeren Kontakt gehalten hatte, von ihren vergangenen Monaten erzählte. Nach einer langen Odyssee hatten erst Medikamente und die Unterstützung durch liebe Menschen sie wieder in hellere Regionen führen können. Als wir über Details ihrer depressiven Episode redeten, merkte ich, dass ein Thema dabei immer wieder mitschwang: Scham und Schuld. Schuldgefühle waren sowohl Ursache als auch Symptome der Depression. Schon der Anfang von Marias Leben war – für sie natürlich zunächst unbewusst – mit dem Leid eines anderen Menschen belastet: Maria war das vierte Kind ihrer Mutter. Diese hatte einen kleinen Kropf, und mit jedem Kind wuchs er stärker nach innen und drückte auf die Luftröhre. Die Atemnot über Wochen auszuhalten war irgendwann nicht mehr möglich. Wegen der Schwangerschaft gab es während der Halsoperation keine Narkose, sondern nur örtliche Betäubung.

Maria wurde sich dieses Zusammenhangs erst viel später, in einer Art therapeutischer Traumreise, bewusst. Hinzu kam, dass ein viertes Kind die Familie in zusätzliche finanzielle Schwierigkeiten brachte. Auch dies wurde, wie vieles im religiösen Elternhaus Marias, nicht offen ausgesprochen, war aber nichtsdestotrotz atmosphärisch spürbar. Beschränkung und finanzielle Not waren der Alltag.

Eine weitere Belastung erfuhr Maria durch ihren Vater. Er musste Kriegserlebnisse verarbeiten, über die er aber den Mantel des Schweigens breitete. Nie wurde deutlich, was damals geschehen war. Offen zutage lag jedoch die ausgeprägte Religiosität des Vaters, seine Fixierung vor allem auf die Themen Schuld und Höllenstrafe. Maria musste schon mit sieben Jahren den »Beichtspiegel« auswendig lernen und begann selbst kleine Schwächen an sich argwöhnisch und streng zu beobachten. Alle Kinder wurden täglich um 7 Uhr morgens zur Frühmesse geschickt. »Das Gefühl nach der Beichte war: Jetzt bin ich ›rein‹«, erzählt sie. »Aber kaum waren ein paar Tage vergangen, hatte ich schon wieder das Gefühl, ›unrein‹ zu sein.«

Zusammenhänge zwischen dem frühkindlich suggerierten Thema Schuld und Marias depressiven Schüben können kaum bewiesen, allerdings mit gutem Grund vermutet werden. Zusammenfassend sagt sie: »Wenn ich so zurückschaue auf mein Leben, dann habe ich den Eindruck, mehr depressiv als gut drauf gewesen zu sein – auch zwischen den inzwischen sechs Episoden.« Sicher ist, dass Schuldgefühle und Selbstvorwürfe während der schweren Depression eine wichtige Rolle spielten. Sie standen geradezu im Zentrum eines quälenden inneren Monologs. Maria fühlte sich in solchen Zuständen wertlos und als Versagerin. Hinzu kam eine Leistungsschwäche, die in ihr das Gefühl verstärkte, anderen eine Last zu sein. Letztlich fühlte sich Maria auch noch deshalb schuldig, weil sie aus der Krankheit nicht mehr herausfand – als wäre dies nur auf Schwäche zurückzuführen. Ein Arzt und bestimmte spirituelle Ratgeber verstärkten dieses Versagensgefühl, indem sie von Maria forderten, sich »zusammenzureißen«, oder behaupteten, jeder habe sein Schicksal selbst »kreiert«. Nicht nur, dass sie als Depressive scheinbar ohnehin ein »Loser« war – Maria versagte auch noch darin, die therapeutischen Ratschläge, die sie erhielt, erfolgreich umzusetzen. Ein Teufelskreis, aus dem sie erst durch Psychopharmaka wieder herausfand.

Marias Beispiel ist besonders drastisch, jedoch ist die hier skizzierte Dynamik kein Einzelfall. Ein vielschichtiger Zusammenhang zwischen bewussten wie unbewussten Schuldgefühlen und seelischen Leiden ist bei vielen Menschen gegeben – mögen die Details ihrer Geschichte auch anders sein, und mag sie ihre Krankheit auch nicht an den Rand des Selbstmords gebracht haben.

Die Menschheit lebt unter einer schwarzen und drückenden Schuld-Wolke. Wie jede Wolke hindert uns auch diese oft daran, die Sonne zu sehen. Schuldgefühle machen uns müde, traurig und ängstlich, womit auch schon drei »Volkskrankheiten« benannt sind, deren Besorgnis erregende Zunahme in den letzten Jahren oft durch die Presse gegangen ist: Burnout, Depressionen und Angststörungen. Ein weiterer Punkt kommt hinzu: Schuldgefühle machen uns klein. Sie lassen uns zutiefst an unserem Wert zweifeln, und wir werden unsicher, ob wir es überhaupt verdienen, glücklich zu sein. In der Folge laufen viele von uns als Schatten dessen herum, was sie eigentlich sein könnten. Schuldgefühle haben eine ähnliche Wirkung wie die gespenstischen »Dementoren«, die in den Harry-Potter-Büchern als Gefängniswärter fungieren: Ihre Gegenwart laugt aus, sie raubt den Eingesperrten alle Kraft und allen Lebensmut, nur noch ein Gefühl schwärzester Trostlosigkeit bleibt übrig.

Es wäre sicher falsch, pauschal zu behaupten, dass Schuldgefühle die Ursache aller anderen psychischen Störung seien. Dies muss natürlich in jedem Einzelfall untersucht werden. Auffällig ist jedoch, dass das Thema im psychologischen Zusammenhang wenig zur Sprache kommt – auch nicht in Ratgeberbüchern, die sich mit Potenzialentfaltung, Heilung und verschiedenen Formen der Energiearbeit befassen. Dabei liegt der Zusammenhang sehr nahe:

– Wer sich schuldig fühlt, wird Anstrengungen unternehmen, dies unbewusst durch Leistungen zu kompensieren. Außerdem hilft Arbeit beim Verdrängen. Wer mit Schuldgefühlen zu kämpfen hat, läuft also Gefahr, sich zu überanstrengen (Thema Burnout). – Wer sich schuldig fühlt, bremst sich in seiner Lebenslust, Tatkraft und Energie stark aus. Um den Schmerz zu bekämpfen, der mit der Erinnerung an eine »dunkle Vergangenheit« und an die damit verknüpfte Verachtung der Mitmenschen verbunden ist, wird er Wege suchen, die Intensität seiner Gefühle zu reduzieren. Er wird auf Sparflamme leben oder – anders ausgedrückt – in einer vereisten Welt ohne Farben und Freude (Thema Depression). – Schließlich wird, wer sich schuldig fühlt, stets Angst vor Entdeckung, Verachtung und Strafe empfinden. Auch wo kein juristischer Straftatbestand vorliegt, kann es sein, dass der Mensch unter der Schuld-Wolke um seine Beziehungen und seine gesellschaftliche Stellung bangt oder, wenn er religiös ist, die Strafe Gottes fürchtet (Thema Angststörungen).

Solchen weltlichen und überweltlichen Strafen versuchen viele Menschen durch Selbstbestrafung zuvorzukommen. Ein drastisches Beispiel hierfür ist der Country-Sänger Johnny Cash. Er durchlebte in den 1960er Jahren eine schwere Krise wegen Medikamentenmissbrauchs. Trotz seiner großen Erfolge mit Hits wie »Ring of Fire« war er in seiner Jugend labil und dünnhäutig, trank und kam mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt. Im Oktober 1967 legte er sich in eine Höhle zum Sterben. Mit Hilfe seiner späteren Frau June Carter gelang ihm aber der Entzug, er konnte sein Leben und seine Karriere wieder auf Kurs bringen. Johnny Cash fühlte sich schuldig am Tod seines Bruders Jack, der sich 1944 mit einer Kreissäge tödlich verletzt hatte. Als Johnny damals von einem Ausflug heimkam, begrüßte ihn der Vater mit dem Vorwurf: »Wo bist du gewesen?« Er suggerierte ihm, Jacks Tod durch Abwesenheit, quasi durch unterlassene Hilfeleistung, verschuldet zu haben. Außerdem sei eigentlich der falsche der beiden Brüder gestorben. Cash trug sein Leben lang schwer an dem Vorfall. Auch wenn ein Zusammenhang mit Tablettensucht und Todeswunsch schwer zu beweisen ist, liegt die Schlussfolgerung doch nahe.

Das unausgesprochene Motto einiger Menschen, die mit einem besonders empfindsamen Gewissen ausgestattet sind, lautet: »Je schlechter es mir geht, desto besser für die moralische Ordnung im Ganzen.« Oder: »Je mehr Lebendigkeit ich bei mir unterdrücke, desto eher sind Vergebung und Seelenfrieden möglich.« Das Problem besteht in vielen Fällen darin, dass eine Tat schwer wiedergutzumachen ist. Einen Ast, den wir unabsichtlich abgeknickt haben, können wir nicht wieder ankleben. Eine Narbe, die wir einem Klassenkameraden bei einer Schulhof-Rauferei zugefügt haben, verheilt nie wieder ganz. Versäumte Liebe und Fürsorge an einem Kind kann später nur sehr schwer wieder ausgeglichen werden. Das Kind ist dann schon »in den Brunnen gefallen«. Wir können unser Leben nicht per Fernbedienung zurückspulen, um zu der Situation zu gelangen, bevor wir den entscheidenden Fehler gemacht haben. Dieses Gefühl, dass etwas irreparabel ist, verleitet uns zu der Annahme, dass wir auch unsere Schuld nicht loslassen dürfen – nie mehr. So wie ein Insekt, das wir zertreten haben, auch nach zwanzig und nach fünfzig Jahren nicht weniger tot ist, nimmt eine strenge Instanz in unserer Seele an, dass sich die Schuld mit der Zeit nicht vermindert.

Die »Kunst« liegt nun darin, sich nicht vollständig zum Gefangenen der eigenen Vergangenheit zu machen. Die Frage sollte nicht sein: Was verdient jemand aufgrund früherer Verfehlungen?, sondern: Was kann aus ihm werden, wenn er es schafft, die Schuld zu bewältigen? Im einen Fall richten wir unseren Blick in die Vergangenheit, im anderen in die Zukunft. Es ist sicher menschlich anrührend, wenn jemand sich seine früheren Fehler sehr zu Herzen nimmt und das Büßerhemd bis ultimo als die einzige für ihn angemessene Bekleidung betrachtet. Allerdings ist man als ein von Schwere niedergedrückter, missmutiger, in sich eingesperrter Mensch für seine Mitmenschen kein angenehmer Zeitgenosse. In den bleiernen Schuhen der Schuld kommt man nicht sehr weit auf seinem Weg. Behindert wird nicht nur beruflicher und finanzieller Erfolg, den sich der Büßer schon aus Prinzip nicht gönnt; vereitelt wird auch jener Erfolg, den wir erleben, wenn wir Menschen durch Entfaltung unserer angenehmsten Seiten Gutes tun können.

Es gibt ein schönes Beispiel zum Thema »Schuld und Sühne« aus der bekannten Schwarz-Weiß-Filmreihe »Don Camillo und Peppone«. Der Priester Don Camillo hat dem ungeliebten kommunistischen Bürgermeister Peppone einen Streich gespielt und ihm eine Flasche Rhizinus zum Trinken gegeben, was für diesen mit einem unangenehmen Daueraufenthalt auf der Toilette verbunden ist. »Jesus«, der vom Kreuz herunter mit Don Camillo spricht, ruft in diesem allerdings schon bald einen Wunsch nach Sühne wach. Zerknirscht trinkt Don Camillo selbst eine Flasche Rhizinus aus. Ist dies eine angemessene Form des »spirituellen Lernens« oder lediglich ein kindlicher Versuch, Gerechtigkeit mit dem Holzhammer zu erzwingen? Ich sehe in dieser Szene ein Symbol für den herrschenden Selbstbestrafungswahn, für die Unfähigkeit, Gnade walten zu lassen – auch sich selbst gegenüber. Es wäre besser gewesen, Don Camillo hätte sich bei Peppone entschuldigt und ihm eine Flasche Wein als Ausgleich geschenkt.

Leid wird nicht aufgehoben, indem man es verdoppelt, sondern durch eine ausgleichende Freude, die man dem Geschädigten oder anderen Menschen zukommen lässt. Die Exterroristin Silke Meier-Witt, frühere Mitkämpferin der »Roten Armee Fraktion«, hat als gerechten Ausgleich für ihre Taten nicht den Selbstmord gewählt. Stattdessen betreute sie von 2000 bis 2005 Waisenkinder im Kosovo und setzte sich im Auftrag des Forums Ziviler Friedensdienst für die Versöhnung zwischen Mazedoniern und Albanern ein. Sie sagte im Rückblick über ihre Zeit bei der RAF: »Reue ist schwierig. Ich empfinde eher Scham. Ich kann mich mit dem, was ich getan habe, nicht identifizieren.« Auch gesteht sie ein: »Ich habe damals nicht verstanden, dass Gewalt keine Lösung ist.« Ihre Form des Engagements hing also unmittelbar mit den Erkenntnissen aus ihren früheren Fehlern zusammen, die sie auf diese Weise konstruktiv verarbeitete, so dass sie letztlich sagen konnte: »Ich bin nach wie vor zuversichtlich, dass Hass und Gewalt überwunden werden können.«

Die Energie, die wir für Selbstbestrafungsaktivitäten einsetzen, fehlt uns beim Aufbau einer gerechteren und liebevolleren Welt. Fünf Minuten, in denen wir unseren Rücken mit der Geißel blutig schlagen, hätten wir besser genutzt, um einen lieben Menschen zu streicheln. Das Wort, das wir verdammend gegen uns selbst richten, wäre besser genutzt, um einen anderen zu loben oder zu trösten. Der von seinem Schuldgefühl völlig Überwältigte entzieht sich der Welt als ein schöpferisch tätiger, Liebe gebender und empfangender Mensch. Er fügt seinem ursprünglichen Fehler also noch einen zweiten hinzu, indem er sich nicht zugesteht, auf die ihm eigene Weise zu leuchten. Das Beste, was jemand als schuldig Gewordener tun kann, ist, seine Mitmenschen künftig durch die bestmögliche Version seiner selbst zu erfreuen. Wir »büßen«, wenn dies schon sein muss, am besten durch ein gelungenes Leben.

Vielfach wird der Gedanke, ein Schuldgefühl sei eine Krankheit, Widerstände auslösen. Ist es nicht vielmehr eine gesunde Reaktion auf begangene destruktive Taten? Wir wollen hier nicht behaupten, dass ein Schuldgefühl unter allen Umständen pathologisch ist. Dies hängt einerseits davon ab, wie stark das Gefühl ausgeprägt ist und in welchem Maß es das Wohlbefinden beeinträchtigt; andererseits hängt es natürlich davon ab, ob es berechtigt ist – und es wird einen Gutteil unseres Buches in Anspruch nehmen zu unterscheiden, wo echte Schuld vorliegt und wo diese nur eingebildet, zugeschoben oder projiziert ist. Wichtig ist es aber, zunächst festzustellen, dass Schuldgefühle ein Leiden darstellen – und oft eines mit schlimmen Folgen für die seelische Befindlichkeit und das Lebensglück eines Menschen. Wo Leid erlebt wird, folgt daraus normalerweise der Wunsch nach Heilung. Die Betroffenen beginnen sich um Linderung zu bemühen und suchen nach einem passenden Arzt. Wenn ich im Winter unter Verstimmungen leide, nehme ich Johanniskrautkapseln, gegen Rückenschmerzen habe ich mir ein wirkungsvolles Gymnastikprogramm verschrieben, und bei einer Nierenkolik halfen natürlich nur noch der Notarzt und die Einlieferung in eine Klinik.

Bei Schuldgefühlen ist das anders. Sie sind nicht nur selbst leidbehaftet, sondern bewirken, dass wir uns unbewusst nicht zugestehen, uns von diesem Leiden überhaupt heilen lassen zu wollen. Der tatsächlich oder vermeintlich Schuldbeladene ist nicht mehr in der Lage, sich selbst die Befreiung von Schuldgefühlen zu gönnen. Denn wie könnte jemand, der etwas dermaßen Schlimmes verbrochen hat, seelisch unbelastet leben dürfen, ohne dass sich darin empörendes Unrecht zeigt? So ist der mit Schuldgefühlen Behaftete oftmals sein eigener Ankläger, Richter und Gefängniswärter in einer Person. Leider viel zu selten auch sein Strafverteidiger. Er drangsaliert, boykottiert und behindert sich selbst in allen Lebenslagen. Und das geschieht – was die Sache natürlich nicht einfacher macht – sehr oft unbewusst. Wie schaffe ich es, mir mit Schuldgefühlen beständig mein Leben zu vergällen? Das wäre ein noch ungeschriebenes Zusatzkapitel zu Paul Watzlawicks famosem Anti-Ratgeber »Anleitung zum Unglücklichsein«. Ironisch könnte man die Grundhaltung des Menschen unter der Schuld-Wolke so charakterisieren: »Jemandem wie mir ein erfülltes Leben zu gönnen käme einer Verhöhnung meiner Opfer gleich.«

Leider spielt in diesem Zusammenhang auch die Schuldfixierung unserer Kultur eine große Rolle, in der ein möglichst großes Leiden des Täters als adäquate Antwort auf die Tat verstanden wird. Und dies gilt für das weltliche Justizsystem ebenso wie für religiöse Vorstellungen von Gottes Zorn, Hölle und Strafe. Seit Jahrhunderten herrscht in vielen Lebensbereichen eine Mentalität der »Schwarzen Pädagogik« vor. Sie besagt: Verhältst du dich korrekt oder gar gütig, passiert gar nichts; beim kleinsten Vergehen jedoch schaltet sich sogleich ein riesiger Verfolgungs- und Strafapparat ein. In unserer Heimat Bayern gibt es hierzu den Spruch: »Ned g’schimpft is gnua g’lobt.« Diese Einstellung ist auch vielfach im Privatleben, in Familien, in Schulen und Betrieben üblich. In einem solchen gesellschaftlichen Klima verwundert es nicht, dass Menschen diese negative Fixierung verinnerlichen und sich ihr eigenes Leben als Strafe inszenieren. Manche Lebenssituationen gleichen Höllen, in denen wir die Rolle des Teufels gleich selbst übernehmen.

Wie viel Potenzial, wie viel Lebenslust wurde zunichtegemacht durch Schuldgefühle! Aus der Lebensfülle, die wir uns selbst vorenthalten haben – im sinnlosen Verlangen nach Selbstbestrafung –, könnte man einen ganzen Himmel bauen. Dies ist schon traurig anzuschauen bei Menschen, die sich wirklicher Verbrechen schuldig gemacht haben. Hätte es für die Verarbeitung ihrer Taten nicht konstruktivere Lösungen gegeben, als dem Leiden der Opfer das ihre hinzuzufügen? Diese Ankläger- und Büßerkultur ist ein Skandal und geradezu eine Menschheitskatastrophe in Anbetracht der Tatsache, dass ein Großteil der Schuldgefühle, die kursieren, tatsächlich völlig unnötig ist. Wir werden das im Weiteren noch detailliert begründen.

Dieses Buch möchte einen Impuls geben zur Befreiung. So wenig ein Buch allein auch zu bewirken vermag, möchte es Teil einer geistigen Bewegung sein, die die schwarze Wolke unserer Schuldkultur beiseiteschiebt, damit die Sonne sichtbar werden kann. Wir möchten, dass unsere Leser die Gitterstäbe zerbrechen, die sie selbst – mit tatkräftiger Unterstützung eines Heers von Nörglern, Anklägern und Bußpredigern – aus Fehldeutungen der eigenen Lebensgeschichte geschmiedet haben. Wir möchten, dass unsere Leser von den traurigen Verhaltensweisen des Selbstboykotts und des Selbstverrats Abstand nehmen, die immer dann zu beobachten sind, wenn jemand sein Leben in eine Bußübung verwandelt. Auch andere Menschen können davon profitieren, wenn Sie mit größerer Heiterkeit und emotionaler Freiheit durchs Leben gehen.

Dieses Buch behandelt ein »schweres Thema«, wie uns viele bestätigten, denen wir von unserem Schreibprojekt erzählt haben. Aber sein Ziel ist größere Leichtigkeit. Vergebung können wir uns von den Geschädigten erbitten oder sie uns nach sorgfältiger Prüfung selbst schenken. In vielen Fällen hoffen wir Ihnen aber klarmachen zu können: Es gab nie etwas zu verzeihen. In dem wunderbaren Film »Wie im Himmel« von Kay Pollock, der von den Mitgliedern eines schwedischen Kirchenchors handelt, sagt die Pfarrersfrau an einer Stelle: »Gott vergibt uns nicht – weil er uns gar nicht erst verurteilt.«

Eines möchten wir vorausschicken: Es wäre natürlich unsinnig, anzunehmen, dass unsere Leserinnen und Leser in allen Konfliktfällen ihres Lebens grundsätzlich unschuldig sind. Ein gesundes Maß an Selbstkritik ist sinnvoll und sogar notwendig. Manchen Menschen möchten wir gern zurufen, sie sollten die Verantwortung, die sie tragen, endlich erkennen und danach handeln. Wir denken dabei z.B. an das unsägliche Leid, das Tieren für den Fleischkonsum zugefügt wird. Ja, es gibt auch Fälle von »zu wenig Schuldgefühl«. Auch in solchen Fällen raten wir nicht zu fruchtloser »Selbstzerfleischung«, sondern zu einer Änderung des Lebensstils.

Es spricht jedoch viel dafür, dass das weitaus größere Problem in »zu viel Schuldgefühlen« besteht. Die meisten Menschen tragen an einem weit größeren Schuldpäckchen, als sie gerechterweise tragen müssten. Dies möchten wir im ersten Teil unseres Buches u.a. durch Beobachtung aus Psychologie, Religion, Wirtschaft und Justiz belegen. Manche Ratgeber-Bücher verstärken diesen Druck durch einen gut gemeinten, jedoch einseitigen Appell an unser Verantwortungsgefühl. Wir haben dagegen die Erfahrung gemacht, dass wirklich hilfreiche psychologische und spirituelle Anleitung meist einen Geist der Großzügigkeit ausstrahlt, weil sie den Menschen Mensch sein lässt. Wir alle sind Teil einer Kultur, die Fehler in den Kategorien von Schuld und Sühneleistung zu interpretieren pflegt. Wir alle sind Teil dieses Systems von Schulderschaffung, Schuldverschiebung und Schuldbewirtschaftung. Wir sind Opfer und manchmal – meist nicht willentlich – auch Täter. Auch wir, die Autoren, sind davon nicht ausgenommen. Schuldgefühle und auch ungerechte Schuldvorwürfe gegen andere sind uns nicht fremd. Auch nach der Lektüre dieses Buches werden Leser wahrscheinlich mit dem Thema Schuld zu kämpfen haben – wie auch das Lesen eines Buches über Depressionen nicht alle Traurigkeit mit einem Mal von der Tafel Ihrer Seele wegwischen kann. Ja, wir haben sogar ein merkwürdiges Phänomen kennen gelernt: das Auftauchen eines schlechten Gewissens beim Abfassen eines Buches gegen ein (unnötiges) schlechtes Gewissen. Als sei es Sünde, den Menschen zu sagen, dass sie keine Sünder sind, sondern dass ihnen das nur eingeredet wird. In Form dieser Zweifel und Skrupel wirkt die jahrhundertealte Schuldfixierung in uns weiter.

Wir sind aber überzeugt davon, dass wir durch Vermitteln von Einsicht und hilfreichen Werkzeugen für die ehrliche Arbeit mit Schuldgefühlen den Geist heller und die Seele leichter machen können. Es ist zunächst schon hilfreich, nur Zweifel an den Selbstzweifeln unserer Leser zu wecken. Wenn das gelungen ist, können alle weiteren Schritte folgen. Wir wollen unseren Lesern nicht nur einen Weg aufzeigen, sondern auch die Sehnsucht nach dem Ziel wecken, wodurch sich manche scheinbar schwere Wegstrecke leichter geht. »Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer«, wie es Antoine de Saint-Exupéry, der Autor des »Kleinen Prinzen«, sagte. Befreiung von Schuldgefühlen fühlt sich schön an. In religiösen Traditionen trägt sie oft den Namen »Erlösung« oder wird als »Gnade« empfunden. In den Religionen des Ostens ist der Begriff »Karma-Auflösung« geläufig. Diese Konzepte scheinen einander zu widersprechen. Vielleicht aber – und diesen Gedanken möchten wir anregen – sind all diese Begriffe ja auch Lichtbrechungen ein und derselben Wahrheit.

Für das bewegende Hollywood-Drama »Good Will Hunting« (1997) schrieben die beiden damals jungen Schauspieler Matt Damon und Ben Affleck das Drehbuch. Sie zeigten darin erstaunliche Reife und beschrieben den Weg eines genialen jungen Mathematikers (gespielt von Matt Damon), der sich durch plötzlich ausbrechende Gewalttätigkeit in seinem Leben immer wieder selbst ein Bein stellte. Will Hunting stünde der Weg zu einer großen Karriere offen, aber er muss zunächst seelischen Ballast beiseiteräumen. Dazu konsultiert er auf Anraten seines Professors einen so scharfsinnigen wie warmherzigen Psychotherapeuten (gespielt von Robin Williams). Der führt ihn Schritt für Schritt an ein Kindheitstrauma heran – er wuchs in Pflegefamilien auf und wurde schwer misshandelt. Will sperrt sich gegen die Erkenntnis, gibt sich – wie viele Jugendliche heute – »cool« und widerborstig. Bis der Therapeut den Schlüssel zu seiner hinter Mauern verbarrikadierten verletzten Seele findet. Der heilende Satz lautet: »Du kannst nichts dafür.«

Will Hunting versteht zunächst nicht, versucht auszuweichen und Scherze zu machen. Doch der Therapeut beharrt darauf, blickt ihm in die Augen, rüttelt ihn an den Armen, wiederholt immer wieder diesen einen Satz: »Du kannst nichts dafür.« Da bricht es aus Will heraus, Tränen der Erleichterung dürfen fließen und all den angestauten Schmerz wegschwemmen. Die Erkenntnis, dass man wahrhaftig unschuldig ist, bedeutet Heilung. Freilich ist die Hauptfigur auch kein Unschuldslamm. Aus einer Opfererfahrung erwachsen oft eigene schuldhafte Taten. Es ist nicht die feine Art, wie Will Hunting zu Beginn des Films mit Fäusten und Worten wild um sich schlägt und andere damit verletzt. Aber unter der Schuld verborgen liegt eine Schicht der Unschuld – gleichsam eine Goldader unter den grauen Tonnen des Schuld- und Schmerzgerölls. Wenn wir sie freilegen, sind wir selbst frei.

2. Dimensionen von Schuld

2.1. Keine Schuld ohne Opfer

Was ist Schuld? Es gibt auf diese Frage wohl so viele Antworten wie es Menschen gibt, die mit Schuld zu tun hatten: als Täter oder Opfer, als zu Recht oder zu Unrecht »Beklagte«. Zentral für unser Buch ist es zunächst, zwischen echter und scheinbarer Schuld zu unterscheiden. Dies sind zunächst zwei verschiedene »Baustellen«, auf denen mit ganz unterschiedlichen Methoden gearbeitet werden muss. Allerdings sind die Übergänge zwischen beiden Bereichen fließend. Auch hängen Schuld und Unschuld noch mehr als andere Kategorien von der Perspektive des Betrachters ab.

Stellen Sie sich ein achtjähriges Mädchen vor, das sein dreijähriges Brüderchen durch eine unachtsame Bewegung von einem felsigen Abhang hinunterstürzt – tot. In einem solch tragischen Fall wird sich das Mädchen wohl sein Leben lang mit seiner Schuld auseinandersetzen müssen – so sehr man auch mildernde Umstände anführen kann, etwa dass keine absichtliche Tötung vorlag oder das Mädchen selbst noch ein Kind war.

Ein anderer Fall läge vor, wenn das Mädchen in einem Anfall von Eifersucht auch nur gedacht hätte: »Wenn mein Bruder doch wieder weg wäre und ich meine Eltern wieder allein für mich hätte!« Solche Gedanken sind bei einem erstgeborenen Kind häufig, wenn es nach einer Zeit als unangefochtener Familien-Star plötzlich damit konfrontiert wird, dass es die Liebe und Aufmerksamkeit der Eltern teilen muss. Nicht im Traum würde die Kleine in unserem Beispiel daran denken, ihr Brüderchen tatsächlich umzubringen. Nun geschieht es aber, dass der Dreijährige unmittelbar darauf schwer erkrankt und stirbt. Das Mädchen interpretiert seinen eigentlich harmlosen Gedanken als Ursache für den Tod des »Rivalen«. Es leidet von da an sein ganzes Leben lang unter Schuldgefühlen, obwohl es wohl Zufall gewesen ist, dass der Bruder gerade zu diesem Zeitpunkt zu Tode kam. In einem solchen Fall wäre es unnötig, mit dem Mädchen über Vergebung und die Bearbeitung von Schuld zu sprechen. Vielmehr müsste ihm klargemacht werden, dass nie eine Schuld bestanden hatte. Das wäre nicht ganz einfach, denn Schuldgefühle sind oft tief im Unbewussten verwurzelt, aber das Ziel der Therapie wäre ein anderes als bei einer tatsächlichen Tötung.

Im Kern setzt echte Schuld immer einen Geschädigten voraus. Sie ist verbunden mit der Zufügung von vermeidbarem Leid, das tatsächlich vom Handelnden verursacht wurde. Auch verletzende Worte können in diesem Sinn zu den »Taten« gezählt werden, da sie eine spürbare leidvolle Wirkung entfalten. Für aggressive Gedanken gilt dies nur teilweise. Sie können eine unangenehme Atmosphäre schaffen, die den Adressaten in seinem Wohlbefinden stört. Es ist gut, negative und hasserfüllte Gedanken zu vermeiden, sofern wir so viel Kontrolle über unseren Geist ausüben können. Immerhin können Gedanken ja zur Grundlage schuldhafter Worte und Taten werden. Daher rechnet der Buddhismus auch Gedanken zu den Auslösern negativer Karma-Kräfte.

Schuld kann natürlich ebenso durch Unterlassung entstehen. Wenn ein Kind vor unseren Augen im See ertrinkt und wir nicht eingreifen, obwohl wir schwimmen können und die Brisanz der Situation erkannt haben, können wir zu unserer Rechtfertigung nicht anführen: »Ich habe ja gar nichts getan!« Die Schuld besteht dann gerade darin, dass wir nichts getan haben. Die Tatsache, dass es einen Geschädigten gibt, kann grundsätzlich echte Schuld bedingen. Allerdings müssen die Umstände und die Mitwirkung des Geschädigten bei der Beurteilung von Schuld miteinbezogen werden.

Wichtig ist zunächst festzustellen, dass Schuld etwas ist, das in einer Beziehung entsteht – meist zwischen zwei Menschen. Ein Mensch für sich kann keine Schuld auf sich laden. Ein Messerstich in die Luft ist noch kein Mord, ebenso wenig wie die vom Rand einer Klippe ins Leere geschriene Verwünschung jemanden beleidigt. Wir können uns gegenüber Tieren schuldig machen – auch dies ist eine »Beziehungstat«. Wir können sogar das Ausreißen von Pflanzen, im Extremfall die Rodung ganzer Wälder als schuldhaft betrachten, sei es aus ökologischen Gründen oder weil wir auch Pflanzen eine Seele zugestehen. Ebenso wird in den Religionen häufig von einer Schuld des Menschen gegenüber Gott gesprochen.

Schuld setzt ein Vergehen gegen die Integrität von Lebewesen voraus, die berührbar und verwundbar sind. Der ungelenke »Fausthieb« eines Säuglings tut seiner Mutter nichts zuleide, und wenn wir eine stattliche Eiche »ohrfeigen«, empfindet allenfalls unsere Hand dabei Schmerzen. Ebenso wenig wird unsere harsche Kritik an der Politik des amerikanischen oder russischen Präsidenten diese gekränkt zusammenzucken lassen. Neben Erreichbarkeit und Empfindungsfähigkeit des »Opfers« setzt Schuld auch noch bewusstes, zumindest fahrlässiges Handeln seitens des »Täters« voraus. Wir kennen derartige Überlegungen auch aus Strafprozessen. Die »Schuldfähigkeit« (ein bemerkenswertes Wort übrigens) wird kleinen Kindern, Tieren und geistig stark verwirrten Menschen abgesprochen. Als reduziert gilt sie, wenn der Betreffende im Moment der Tat emotional stark aufgewühlt ist – man spricht dann von einer Tat im Affekt. Das Konzept von Schuld schließt vor allem an die Idee eines freien Willens an.

2.2. Der freie Wille – nur ein Mythos?

»Who’s to blame?«, sagen die Engländer, wenn sie nach einem Schuldigen suchen. Übersetzt heißt das etwa: »Wer kann beschimpft werden?« Das Bedürfnis, jemanden zu beschuldigen, sitzt tief. Das ganze Justizsystem mit unzähligen Arbeitsplätzen ist auf der Vorstellung aufgebaut, dass es für einen Schaden einen Verantwortlichen geben müsse. Schuld setzt voraus, dass sich jemand böswillig oder fahrlässig zu einer Tat entschieden hat. Was aber, wenn der freie Wille gar nicht existieren würde?

Gehirnforscher haben begründete Zweifel an unserer gängigen Alltagspsychologie. Schon Anfang der 80er Jahre wagte der US-amerikanische Neuropsychologe Benjamin Libet ein Aufsehen erregendes Experiment. Durch Messung elektrischer Hirnaktivitäten von Versuchspersonen, die willentliche Körperbewegungen ausführten, fand er heraus: Das so genannte Bereitschaftspotenzial, ein Hirnsignal, das die Vorbereitung motorischer Aktivität anzeigt, ging der bewussten Willensentscheidung um etwa eine Fünftelsekunde voraus. Das Gehirn hatte die Handlung eingeleitet, bevor sich die Person zu ihr »entschloss«. Libet folgerte: »Wir tun nicht, was wir wollen, sondern wir wollen, was wir tun!« Zu ähnlichen Ergebnissen kam Daniel Wegner (Boston) 1999 bei einem Experiment, das unter dem Slogan »I Spy« in die Forschungsgeschichte einging. Dabei hatten zwei Versuchspersonen gemeinsam die Kontrolle über einen Cursor, der über den Bildschirm eines Computers wanderte und an bestimmten Stellen stoppte. Versuchspersonen bildeten sich nun oft im Nachhinein ein, die »Entscheidung« über einen bestimmten Stopp des Cursors getroffen zu haben. In Wirklichkeit hatte die andere Person entschieden, die vom Versuchsleiter über Kopfhörer instruiert wurde.

Wenn mehrere Erklärungen für ein Geschehen möglich sind, betrachten wir uns gern selbst als die Ursache dafür. So könnte man die beschriebenen Experimente deuten. Beruht die These vom freien Willen also auf Wunschdenken, damit wir uns mächtiger fühlen können, als wir es tatsächlich sind? Normalerweise wird eher der umgekehrte Vorwurf erhoben: Menschen drücken sich angeblich nur allzu gern vor der Verantwortung. Erhard F. Freitag, Verfechter des so genannten positiven Denkens, schreibt: »So manchem wäre es angenehm zu hören, es gäbe keinen freien Willen. Die liebste Rolle des Menschen scheint die des Opfers zu sein.« Muss man aus den beschriebenen Forschungsergebnissen nicht eher schließen, dass sich Menschen gern als Täter, also als mächtige Verantwortliche betrachten – selbst dann, wenn sie es gar nicht sind?

Der Hauptgrund dafür, dass es einen freien Willen geben »muss«, ist das Strafrecht. Hier gibt es seit einigen Jahren Erkenntnisse der Neurowissenschaften, die es nahelegen, die Frage der Schuld neu zu definieren. Gian Franco Stevanin z.B. brachte fünf Frauen um und zerstückelte ihre Leichen. Bei Untersuchungen seines Gehirns zeigte eine MRT-Aufnahme einen riesigen Flecken im Neocortex – ein Gewebeverlust. Eine drastische Veränderung des Sozialverhaltens ist unter solchen Umständen keine Überraschung. Aber es sind nicht immer solch auffällige Schäden im Spiel. Jana Buffkin und Vickie Luttrell von der Universität Springfield analysierten 17 bildgebende Studien zu gewalttätigem Verhalten. Das einhellige Ergebnis lautete: Psychopathen und Straftäter weisen Veränderungen in bestimmten Hirnregionen auf. Besonders häufig sind Schädigungen des Gefühlszentrums. Die Probanden schauen sich z.B. grausame Filmszenen an, ohne dass sich im Gehirn Veränderungen zeigen.

Die Psychiaterin Dorothy Lewis untersuchte zum Tode Verurteilte auf Gehirnschäden. Ihre Schlussfolgerung war: Da sitzen keine harten Jungs, sondern Kranke. Lewis fragt: »In welchem Ausmaß muss unser Rechtssystem seine Kriterien für Schuldfähigkeit und mildernde Umstände modifizieren und Regeln annehmen, die mit den Befunden der Neurowissenschaft des 21. Jahrhunderts in Einklang stehen?« Diesbezüglich tut sich auf Seiten der Justiz wenig. Der freie Wille ist dort Teil der Berufsphilosophie. Der Strafrechtler Prof. Reinhard Merkel widerspricht den Ergebnissen der Neurowissenschaft nicht. Er merkt jedoch an: »Es geht nicht nur darum, was der Gesetzesbrecher verdient, sondern auch um die Belange der Geschädigten. (…) Wenn eine Norm verletzt wurde, so muss der Staat etwas unternehmen, um ihre lädierte Geltung zu ›reparieren‹. Dieser symbolische Akt ist die Strafe.«

Die These vom freien Willen wirft zweierlei Fragen auf: 1. Ist sie wahr? 2. Macht sie aus uns bessere Menschen, als dies bei einer fatalistischen Weltsicht der Fall wäre? Es scheint bequem, sich seiner Verantwortung mit Hinweis auf »Vorherbestimmung« oder Gehirnschäden zu entziehen. Aber ist eine Weltanschauung schon deshalb falsch, weil sie bequem ist? Fatalisten leugnen ja nicht nur die Schuld, sondern auch das Verdienst. Wer sich von Gott oder einem Schicksal gelenkt fühlt, schreibt seine Leistungen nicht sich selbst zu. Augustinus lobte in einem seiner Gebete »Gott, von dem auf uns alles Gute herfließt«.

Bei den meisten Menschen regt sich Widerstand, wenn der freie Wille angezweifelt wird. Dies scheint unserer Vorstellung von Würde und Selbstbestimmung zu widersprechen.

Jedenfalls können Menschen, die das deutliche Gefühl haben, in ihren Entscheidungen frei zu sein, in einer Hinsicht beruhigt sein: Wissenschaftler sind sich über die Frage der Willensfreiheit keineswegs einig. Es gibt zu den hier skizzierten wissenschaftlichen Erkenntnissen jeweils auch Gegenthesen. Die berühmten Experimente Benjamin Libets wurden von oberflächlichen Presseartikeln allzu begierig aufgegriffen und einseitig interpretiert. Libet selbst verstand sich als gemäßigter Verfechter des freien Willens. Er billigte diesem eine Vetofunktion zu. Der Mensch könne seinen Zeigefinger rechtzeitig stoppen, sei der Hirnaktivität also nicht hilflos ausgeliefert. Ein klarer Beweis, dass wir nicht frei entscheiden können, steht also noch aus. Es genügt zunächst, begründete Zweifel an der Idee zu wecken, wir hätten uns für alles, was wir tun, »entschieden«.

2.3. Schuld ist Beziehungssache