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Erstmals seit langem wieder wird hier eine umfassende und kritische Bestandsaufnahme des deutschen Schulwesens vorgelegt. Entgegen dem verengten Blick der PISA-Studien zeigt sie die wirklichen Probleme der Schule in Deutschland: Die Schule hat keine klare Vorstellung mehr von ihrer eigentlichen Aufgabe, die sie für den Bildungsweg des Einzelnen wie für den Zusammenhalt der Gesellschaft erbringen muss. Die aktuellen Reformmaßnahmen - vom "offenen Unterricht" über die "Schlüsselqualifikationen" bis zur "Ganztagsschule" und zur "selbständigen Schule" - lösen die Probleme nicht, sondern vervielfältigen sie. Abseits von den gängigen Trends in der Bildungsdiskussion plädiert das Buch für eine Schule, in der Unterricht erteilt, Wissen vermittelt und zivilisiertes Verhalten eingeübt wird. Es plädiert aber auch für eine Schule, die für alle da sein muss: für die Starken wie die Schwachen, die Begabten wie die weniger Begabten. Und schließlich erinnert es daran, dass sich die Zukunft nur gestalten lässt mit einer Schule, die kulturelle Traditionen zu bewahren und soziale Bindekräfte zu stärken weiß.
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Seitenzahl: 416
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Erstmals seit langem wieder wird hier eine umfassende und kritische Bestandsaufnahme des deutschen Schulwesens vorgelegt. Entgegen dem verengten Blick der PISA-Studien zeigt sie die wirklichen Probleme der Schule in Deutschland: Die Schule hat keine klare Vorstellung mehr von ihrer eigentlichen Aufgabe, die sie für den Bildungsweg des Einzelnen wie für den Zusammenhalt der Gesellschaft erbringen muss. Die aktuellen Reformmaßnahmen - vom 'offenen Unterricht' über die 'Schlüsselqualifikationen' bis zur 'Ganztagsschule' und zur 'selbständigen Schule' - lösen die Probleme nicht, sondern vervielfältigen sie. Abseits von den gängigen Trends in der Bildungsdiskussion plädiert das Buch für eine Schule, in der Unterricht erteilt, Wissen vermittelt und zivilisiertes Verhalten eingeübt wird. Es plädiert aber auch für eine Schule, die für alle da sein muss: für die Starken wie die Schwachen, die Begabten wie die weniger Begabten. Und schließlich erinnert es daran, dass sich die Zukunft nur gestalten lässt mit einer Schule, die kulturelle Traditionen zu bewahren und soziale Bindekräfte zu stärken weiß.
Professor Dr. Peter J. Brenner lehrt an der Carl von Linde-Akademie der TU München.
Peter J. Brenner
Schule in Deutschland
Ein Zwischenzeugnis
Verlag W. Kohlhammer
Alle Rechte vorbehalten © 2006 W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Umschlag: Gestaltungskonzept Peter Horlacher Gesamtherstellung: W. Kohlhammer Druckerei GmbH + Co. KG, Stuttgart
Print: 978-3-17-019085-6
E-Book-Formate
pdf:
978-3-17-022855-9
epub:
978-3-17-027692-5
mobi:
978-3-17-027693-2
Einleitung
Erstes Kapitel Wie sieht die Schule aus?
Schulräume
Die klassenlose Schule
Der Weg zur Schule
Individualisierung
Schule als Heimat
Das Leben und die Schule
Die Schule und die Dinge
Die autistische Schule
Neue Schulen
Zweites Kapitel Welche Schulen gibt es?
Gewachsenes Chaos
Grundschule
Hauptschule
Realschule
Gymnasium
Gesamtschule
Wie geht es weiter?
Drittes Kapitel Wie sollen Schüler lernen?
Der deutsche Sonderweg
Was Schüler nicht lernen sollen
Wege und Irrwege: Prüfung, Fehler, Leistung
Die Leistung der 68er
Offener Unterricht
Fächerübergreifender und Projektunterricht
Entwertung des Wissens
Konstruktivismus
Lebenslanger Lernzwang
Der dritte Weg: Disziplinierung
Schulzeit
Viertes Kapitel Was sollen Schüler lernen?
Warum sollen Schüler lernen?
Die Lehrplanschule
Kerncurriculum
Wie viel Computer verträgt ein Kind?
Warum lesen?
Die Sprache in der Schule
Mathematik und Naturwissenschaften
Die Zukunft der Geschichte
Fünftes Kapitel Wer sind die Verlierer?
Verliererkarrieren
Soziale Benachteiligung
Bildungsaspirationen
Mädchen oder Jungen?
Migranten
Der Schüler als Mängelwesen
Die hilflose Pädagogik: Sonderpädagogischer Förderbedarf
Pädagogische Grundlagen
Klassifizierung, Erfassung und Durchleuchtung
Förderschulstrukturen
Hörgeschädigte
Schonraumpädaogik
Integration
Die pädagogische Grenzsituation
Sechstes Kapitel Wie wird es besser?
Wie funktioniert die Schule?
Schulklima und Schulkultur
Ganztagsschule
Neue Wege in die Sackgasse I: Autonome Schule
Neue Wege in die Sackgasse II: Schulentwicklung
Deregulierung oder Bürokratisierung?
Schulversuche
Die missbrauchte Wissenschaft
Optimum statt Maximum
Literatur
Sachregister
„Ein Buch für Reaktionäre? Ein Buch für Reformer? Ein Buch für alle, die selbst denken und die Forschungserfahrungen anderer zur Kenntnis nehmen wollen, um in dem so aufgeklärten Felde an den Veränderungen unseres Bildungswesens weiterzuarbeiten.“ (Hellmut Becker über Christopher Jencks‘ Buch Chancengleichheit)
Diese Einsicht ist wohl zu schlicht, als dass sie auf allzu großen Widerhall in der deutschen Bildungsdiskussion hoffen dürfte. Die Öffentlichkeit kann sich schwer damit abfinden, dass das alles gewesen sein soll: dass Schüler zur Schule gehen und dass sie dort etwas lernen, mal mehr, mal weniger.
So könnte man sich jedenfalls die Aufgabe der Schule vorstellen:
dass Schüler in ihr brauchbares Wissen erwerben, das ihnen für ihren künftigen Beruf nützlich sein wird;
dass sie ihnen Weltwissen vermittelt, welches ihnen die Orientierung in ihrer gesellschaftlichen Wirklichkeit erlaubt;
dass sie in ihr eine Allgemeinbildung erhalten, die sie mit Kulturgütern vertraut macht;
und dass ihnen vielleicht noch einige Verhaltensmuster mitgegeben werden, die ihnen einen zivilisierten Umgang mit ihren Mitmenschen ermöglichen.
Die Schule ist die Schule – aber etwas mehr ist sie doch. Immerhin ist sie ein entscheidender Entwicklungsabschnitt im Leben eines Menschen, der im Rückblick nicht als vertane Zeit erscheinen sollte. Allzu viele Schülergenerationen haben Schule als Zwangsveranstaltung erfahren, in der Konfrontation mit einer Institution, die nicht recht wusste, wozu sie da ist, und mit Lehrern, die sich der Bürde nicht bewusst waren, die sie mit der Wahl ihres Berufes auf sich genommen hatten.
Deshalb verlangen die Deutschen mehr von ihrer Schule, ihren Schülern und ihren Lehrern. Die Schule soll den ganzen Menschen formen. Sie soll ihn bilden, ihn erziehen, ihm beibringen, wie das Leben zu führen sei, und ihn auch noch vormittags unterrichten und nachmittags betreuen, ohne ihn aber mit Anforderungen zu konfrontieren, die ihn bei der Selbstverwirklichung beeinträchtigen könnten. Die Schule soll mehr sein als eine Einrichtung, in der die ältere Generation der nachwachsenden Unterricht erteilt. Sie soll das Leben vertreten und das Elternhaus, die Familie ersetzen, wo diese abgedankt hat.
Die meisten der Probleme, die die deutsche Schule hat, kommen von der Unschärfe und manchmal auch der Maßlosigkeit der Ansprüche, die an sie gestellt werden. Diese Probleme lassen sich durch Pisa-Studien allenfalls an ihrer Oberfläche beschreiben. Sie lassen sich jedenfalls nicht dadurch lösen, dass die Schüler dies oder das am Ende genauso gut oder besser können als ihre Altersgenossen in anderen Ländern.
Das Problem der deutschen Schule liegt tiefer; es liegt in ihrem ungeklärten Selbstverständnis und an der Fremdheit, mit der die deutsche Gesellschaft dieser ihrer wichtigsten Institution gegenübersteht. Diese Fremdheit findet ihren Ausdruck in den Denksperren der Bildungspolitik und den rhetorischen Figuren der öffentlichen Diskussion, die einen prägenderen Einfluss auf die Wirklichkeit der Schule haben als sachstrukturell fundierte Reflexion.
Was die Schule braucht, ist einerseits eine nüchterne Bestandsaufnahme und andererseits eine klare Bestimmung ihrer Aufgaben in der deutschen Gesellschaft der Jahrtausendwende. Wer sich über den Ort der Schule kundig machen will, kann sich über Pisa-Zahlen beugen, er kann die Pressesprecherprosa der Kultusministerien lesen oder sich in pädagogische Handbücher vertiefen. Weiterhelfen wird ihm dies kaum. Denn eine Standortbestimmung der deutschen Schule muss sich in weiteren Horizonten bewegen als in denen der Bildungspolitik und der Erziehungswissenschaft.
Die hier vorgelegten Überlegungen haben ihr Fundament in einer skeptischen Schul- und Bildungstheorie, die sich nicht allzu schnell auf das einlässt, was alle für selbstverständlich halten. Das Buch handelt nicht oder nur am Rande von den Akteuren des Schulwesens; es ist also wenig die Rede von denen, die zur Schule gehen oder die mit Schule zu tun haben – also nicht von Schülern, Lehrern, Eltern, Schulräten. Darüber wäre manches zu sagen; das aber erforderte eine andere Perspektive.
Die Probleme, vor denen die deutsche Schule steht, sind schon in den neunziger Jahren sichtbar geworden. Deshalb handelt das Buch auch nur am Rande von Pisa. Die Pisa-Mode wird wieder abflachen, wenn allen klar geworden ist, dass sich aus den Pisa-Zahlen nichts anderes herauslesen lässt, als das, was vorher hineingelegt wurde. Pisa ist nicht das Maß der schulischen Dinge – wenn diese Einsicht nach den acht oder zehn Stunden, die die Lektüre dieses Buches kostet, wachgerufen wurde, hätte es einen ersten Zweck schon nicht verfehlt.
Das Buch handelt von den strukturellen und ideellen Voraussetzungen, unter denen in Deutschland Schule stattfindet. Es spricht also von der materiellen und sozialen Architektur der Schule und von den Schulformen, die das deutsche Bildungssystem bereitstellt; von den Vorstellungen darüber, wie Schüler lernen sollen und was sie tatsächlich lernen; von den Verlierern, die die Schule hervorbringt; und schließlich von den Wegen und Irrwegen der Schulreform. Die Schule steht vor Herausforderungen, die sich weder mit den alten Handlungsroutinen noch mit der neuen Reformrhetorik bewältigen lassen. Wenn sie diese Herausforderungen annehmen will, muss sie zuerst die oft gestellte Frage wieder neu beantworten, wofür die Schule da ist. Sie muss sich dabei darauf einstellen, dass es zu Ende geht mit den alten Wahrheiten, mit denen sich die Bildungsöffentlichkeit eingerichtet hat, und dass neue Wahrheiten noch nicht gefunden sind.
Vor allem aber braucht die Erneuerung des deutschen Schulwesens Tugenden, derer die bildungspolitische Nomenklatura enträt: die Sachkunde des Experten, die Besonnenheit des Gelehrten und den Takt des Gebildeten.
Mering, im Winter 2005/2006
„Die Schule soll dort liegen, wo der Jugendliche aufwächst.
In der gleichen Stadt, im gleichen Ort – im Prinzip wenigstens.
Dort ist der Jugendliche sicherer, zuhause,
damit widerstandsfähiger, mehr er selbst“.
Günter Behnisch,
Unbehagen am Schulbau der Gegenwart (1975)
Im Schulbau zeigt die deutsche Schule ihr Gesicht. Aus den Kasernenschulen der Jahrhundertwende wurden die betonierten Massenschulen der siebziger Jahre und dann, soweit das Geld es zuließ, die offenen und individualisierten Schulgebäude der Gegenwart.
Aber die deutsche Schule ist autistisch geblieben. Ihr Misstrauen gegenüber der sozialen Wirklichkeit hat sich nicht gelegt. Auch wenn sie architektonisch offen ist, bleibt sie organisatorisch verschlossen gegenüber dem sozialen Leben. Im Gegenzug versucht sie, es den Schülern heimisch zu machen, ihnen eine Ersatzheimat zu bieten für die tatsächlichen oder vermeintlichen Verlusterfahrungen in der Zivilisation. Mit dem Programm „Holt das Leben in die Schule“ werden dann durch mühsame pädagogische Veranstaltungen die Schüler mit der Wirklichkeit wieder vertraut gemacht, die zuvor mühsam aus der Schule ausgeschlossen wurde.
Jede einzelne Schule muss wieder lernen, sich als Teil des Gemeinwesens zu verstehen, dessen Kinder sie unterrichtet – ohne Misstrauen, aber auch ohne Konzessionen an die sich wandelnden Moden des Zeitgeistes.
Wer wissen will, wie die Schule aussieht, muss sie sich ansehen. In der neueren bildungspolitischen Diskussion hat sich der Irrglaube durchgesetzt, das Schulwesen ließe sich in statistischen Zahlen anschaulich machen. Aber die Zahlen verschleiern mehr als sie enthüllen. Sie zeigen – vielleicht – Ergebnisse, aber nicht die Prozesse, die zu diesen Ergebnissen geführt haben, nicht die politischen Ideologien, die ihnen zugrunde liegen, und nicht die pädagogischen Illusionen, auf denen sie aufbauen.
Die Realität der deutschen Schule kann man meist mit dem bloßen Auge wahrnehmen. Wer ein Schulgelände, einen Klassenraum oder gar die Turnhalle einer Schule betritt, gewinnt sehr schnell einen Eindruck davon, was den Deutschen ihre Schule wert ist und wie sie sich Schule vorstellen. Das Aussehen von Schulgebäuden gibt Auskunft über den Zustand der Schule. Das gilt nicht erst, wenn die Verwahrlosung eingetreten ist, sondern auch und erst recht dann, wenn ein neues Schulgebäude entsteht. Denn in der Schularchitektur einer Epoche und einer Gesellschaft verdichten sich die Vorstellungen, die eine Gesellschaft – oder ihre Bildungspolitik – von Schule hat.
Die deutsche Schullandschaft hat viele architektonische Gesichter. Schulunterricht wird erteilt in Schulkasernen, die aus der wilhelminischen Zeit übrig geblieben sind, ebenso wie in Gebäuden, die ihre Entstehung der architektonischen Postmoderne verdanken. Aber ihr Gesicht hat die deutsche Schule durch jene Architektur erhalten, die sich in den sechziger und siebziger Jahren in Westdeutschland, in den Jahren der explosiven Bildungsexpansion, durchgesetzt hat. Die Schulhäuser dieser Jahre folgen einem gesellschaftlichen Zeitgeist, der auch zum pädagogischen geworden ist und seine sinnfällige Gestalt in gemauerten Steinen und mehr noch in gegossenem Beton gefunden hatte. Dass das Aussehen einer Schule auch eine Rückwirkung hat auf die Leistungen, die in ihr erbracht werden, hat man schon früh gewusst. Bereits Comenius wies darauf hin, und auch in den ärmsten Regionen Deutschlands hat man sich seine Gedanken darüber gemacht. In einem Schreiben der Königlichen Regierung, Abteilung des Innern, aus Koblenz, das 1833 an den Landrat in Altenkirchen gesandt wurde, macht sich der Schulaufsichtsbeamte seine Gedanken über die Unwilligkeit der Lehrer, an Dorfschulen zu unterrichten. Sicher nicht zu Unrecht sieht er einen der Gründe „in den sehr schlechten Schullokalen, in welchen weder die Gesundheit noch die zum freudigen Wirken erforderliche Heiterkeit der Lehrer erhalten werden kann“. (Heimatmuseum Hachenburg)
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