Schutzbauwerke gegen Wildbachgefahren - Konrad Bergmeister - E-Book

Schutzbauwerke gegen Wildbachgefahren E-Book

Konrad Bergmeister

0,0
52,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

The book brings together the basics and rules for design, detailing, structural design and construction of structures for protection against wild torrents. It includes a functional and constructive classification of the most important types of structure and completed examples.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 356

Veröffentlichungsjahr: 2012

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Contents

1 Einführung

2 Wildbachsystematik

2.1 Wildbacheinzugsgebiet

2.2 Wildbachtypen

2.3 Prozesse in Wildbacheinzugsgebieten

3 Systematik der Schutzbauwerke

3.1 Allgemeines

3.2 Klassifizierungsgrundsätze

4 Entwurf und Konstruktion von Schutzbauwerken

4.1 Allgemeines

4.2 Konstruktionsregeln für einfache Querbauwerke (Sperren)

4.3 Konsolidierungssperren und Staffelungen

4.4 Großdolige und kronenoffene Sperrenbauwerke mit Dosier- und Filterwirkung

4.5 Bauwerke zum Brechen und Bremsen von Muren

4.6 Konstruktion von Sperren gegen Hangdruck (Bergdruck)

4.7 Konstruktion von Bauwerken für die Filterung (Rückhalt) vonWildholz

4.8 Stauraum von Retentions- und Dosiersperren

4.9 Konstruktion der Bauteile von Sperren

4.10 Konstruktion von Längsbauwerken

4.11 Ingenieurbiologische Bauweisen

4.12 Werkstoffe

4.13 Ökologische Aspekte für die Konstruktion von Querbauwerken

4.14 Ästhetische Aspekte für die Konstruktion von Querbauwerken

4.15 Errichtung und Bauausführung

5 Bemessungs- und Berechnungsgrundlagen

5.1 Hydrologische Grundlagen

5.2 Geotechnische Grundlagen

5.3 Einwirkungen

6 Hydraulische Bemessung

6.1 Bemessung des Abflusses im Gerinne

6.2 Hydraulische Bemessung von Querbauwerken

7 Statische Berechnung und Bemessung

7.1 Normative Berechnungs- und Bemessungsgrundlagen

7.2 Sicherheitskonzept und Nachweise

7.3 Einwirkungskombinationen für Wildbachsperren

7.4 Statische Systeme von Schutzbauwerken

7.5 Gewichtssperren

7.6 Gewölbesperren (Bogensperren)

7.7 Einfache Plattensperre

7.8 Hybridmauern

7.9 Winkelstützmauern

7.10 Pfeilerplattensperre

7.11 Aufgelöste Tragsysteme

8 Erhaltung und Lebensdauer von Schutzbauwerken

9 Ausblick und Danksagung

10 Literatur

Stichwortverzeichnis

Autoren

Univ.-Prof. Dipl.-Ing. DDr. Konrad Bergmeister

Universität für Bodenkultur Wien

Institut für Konstruktiven Ingenieurbau

Peter-Jordan-Straße 82

1190 Wien

Österreich

Dipl.-Ing. Dipl.-Ing. Jürgen Suda

Universität für Bodenkultur Wien

Institut fü r Konstruktiven Ingenieurbau

Peter-Jordan-Straße 82

1190 Wien

Österreich

Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Johannes Hübl

Universität für Bodenkultur Wien

Institut für Alpine Naturgefahren

Department Bautechnik und Naturgefahren

Peter-Jordan-Straße 82

1190 Wien

Österreich

Dipl.-Ing. Dr. Florian Rudolf-Miklau

Bundesministerium für Land-, Forst-,

Umwelt und Wasserwirtschaft (BMLFUW)

Marxergasse 2

1030 Wien

Österreich

Titelfoto: Holzsperrenstaffel im Oselitzenbach (Gemeinde Hermagor, Kärnten).

Foto: Dr. Florian Rudolf-Miklau, Wien

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2009 Ernst & Sohn

Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin

Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form – durch Fotokopie, Mikrofilm oder irgendein anderes Verfahren – reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden.

All rights reserved (including those of translation into other languages). No part of this book may be reproduced in any form – by photoprint, microfilm, or any other means – nor transmitted or translated into a machine language without written permission from the publisher.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen oder sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige gesetzlich geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie als solche nicht eigens markiert sind.

Umschlaggestaltung: Sonja Frank, Berlin

Satz: hagedorn kommunikation GmbH, Viernheim

Druck: betz-druck GmbH, Darmstadt

Bindung: Litges & Dopf Buchbinderei GmbH, Heppenheim

Printed in Germany

ISBN 978-3-433-02945-9

Vorwort

Wildbäche sind natürliche Gewässer im Gebirge mit streckenweise großem Gefälle, die durch rasch ansteigende und kurze Zeit andauernde Abflüsse große Volumina von Feststoffen erodieren, transportieren und im Ablagerungsgebiet (Schwemmkegel) deponieren. Durch diese Prozesse werden große Schäden an Gebäuden, Verkehrswegen und Infrastruktur verursacht. Typische Wildbachgefahren sind stark geschiebeführende Hochwässer, Muren, Rutschungen und der Transport großer Mengen von Holz (Wildholz).

Ingenieurbauwerke bilden einen wichtigen Teil der aktiven Schutzmaßnahmen gegen Wildbachgefahren. Basierend auf der Gefahren- und Risikoanalyse werden maßgebliche Gefahrenszenarien erstellt und in der Folge geeignete Maßnahmen entwickelt. Grundlage jeder Schutzmaßnahme ist die Festlegung eines angestrebten Sicherheitsniveaus (in Abhängigkeit des Schutzbedarfs) und die Ableitung von Schutzzielen. Die Planung von Schutzbauwerken der Wildbachverbauung hat daher Aspekte der Funktion (Gebrauchstauglichkeit), der Konstruktion und der Dauerhaftigkeit zu berücksichtigen.

Schutzbauwerke der Wildbachverbauung könnten folgende grundsätzliche Funktionen erfüllen:

1. Reduzierung der Ereignisdisposition (z. B. Stützverbauungen, Hangverbauungen, Stabilisierungsmaßnahmen in den Gerinnen).

2. Direkte Einwirkung auf die Verlagerungs- und Ablagerungsprozesse (Wildbachsperren, Leitdämme, Retentionsbecken).

Die Wildbachverbauung blickt im Alpenraum auf eine 125-jährige Tradition zurück, hat sich jedoch erst in den letzten Jahrzehnten zu einer eigenständigen Sparte des konstruktiven Ingenieurbaus entwickelt. In diesem Buch werden erstmalig in strukturierter Weise das tradierte Erfahrungswissen der Ingenieurpraxis der Wildbach- und Lawinenverbauung und neue Erkenntnisse aus der Forschung im Bereich des Schutzes vor Wildbächen dargestellt. Ebenso wurde der im Zuge der interdisziplinären Arbeitsgruppe „Schutzbauwerke der Wildbachverbauung“ am österreichischen Normungsinstitut erarbeitete „Stand der Technik“ in dieses Werk eingearbeitet.

Je nach der Funktion, die Schutzbauwerke im Verbund mit anderen Schutzmaßnahmen zu erfüllen haben, und in Abhängigkeit der Konstruktion werden Funktionstypen und konstruktive Bautypen unterschieden. Wesentliches Element des Werkes ist eine umfassende Darstellung der diesbezüglichen Terminologie und Klassifikation. In Anhängigkeit des Funktionstyps wirken die Bauwerke unterschiedlich auf die Naturprozesse ein. Diese Prozesse, deren Modellierung, und die daraus resultierenden Einwirkungen und Einwirkungskombinationen auf Wildbachsperren werden im Buch ebenfalls grundlegend dargelegt.

Aufbauend auf diesen Grundlagen werden die einzelnen Bautypen von Sperren beschrieben und deren Konstruktionen und statischen Systeme erklärt. Weiters wird auf die konstruktive Durchbildung von Bauwerksteilen und von funktionalen Details eingegangen. Ein weiterer Schwerpunkt sind die Aspekte der Baudurchführung. Der Schwerpunkt des Buches liegt jedoch auf der Bemessung und konstruktiven Durchbildung von Beton- und Stahlbetonbauwerken auf der Grundlage des Eurocode 2.

Wie andere Ingenieurstrukturen unterliegen auch Wildbachsperren den Einwirkungen einer sich verändernden Umwelt und einem Alterungsprozess. In dieser Diskussion wird daher auf die Fragen der Überwachung und Bewertung allgemein sowie letztendlich auf die Lebensdauer von Wildbachsperren eingegangen. Fragen der Erhaltung über die gesamte Lebensdauer einschließlich organisatorischer und wirtschaftlicher Aspekte und die Erhaltungsstrategie im Allgemeinen im Sinne einer Lebenszyklusbetrachtung (Life Cycle Management) sind dabei ein wesentliches Element.

Wildbachschutzbauwerke sind ebenso Teil des menschlichen Lebensraums wie auch des Naturraums. Als Ziel einer zukünftigen Gestaltung von Schutzmaßnahmen sollen daher neben konstruktiv abgewogenen und landschaftlich sinnvollen Sperrenbauwerken stets Rücksicht auf landschaftliche Einbindung, ästhetische Gestaltung und die notwendige Lebensdauer genommen werden.

Großer Dank gebührt Dipl.-Ing. Philipp Sicher, der die Literaturrecherchen und die Erstellung der notwendigen Graphiken wesentlich unterstützt hat und den Dienststellen des österreichischen Forsttechnischen Dienstes für Wildbach- und Lawinenverbauung, die alle dargestellten Ausführungsbeispiele zur Verfügung gestellt haben. Besonders möchten sich die Autoren bei den Mitarbeitern der Gebietsbauleitungen Salzkammergut, Flachgau, Pongau, Pinzgau, Osttirol und Bludenz für wichtige Beiträge und die persönliche Unterstützung bedanken. Besondere Unterstützung erfuhren die Autoren auch durch das Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt undWasserwirtschaft (BMLFUW), durch die Universität für Bodenkultur Wien sowie durch zahlreiche Kollegen und Kolleginnen im In- und Ausland, die mit Rat und Auskunft zum Gelingen dieses Werkes beitrugen. Weiterer Dank gilt auch dem Verlag Ernst & Sohn für die Herausgabe dieses Buches.

Wien, im Februar 2009

Konrad Bergmeister

Jürgen Suda

Johannes Hübl

Florian Rudolf-Miklau

1

Einführung

Naturgefahren sind Ereignisse in der Natur, die zu einer Bedrohung des Menschen, der Umwelt, von Sachwerten und Einkünften führen können.1) Sie können ihren Ursprung in der Atmosphäre (atmosphärische Naturgefahren) oder in der Erdkruste (geogene Naturgefahren) haben. Die Wirkungen von Naturgefahren werden u. a. an der Häufigkeit des Auftretens (Eintrittswahrscheinlichkeit), an der Intensität (Stärke) bzw. dem Zerstörungspotenzial (Schadenswirkung) bemessen. Naturgefahren führen nur sehr selten zu einer Katastrophe. Von einer Naturkatastrophe spricht man erst, wenn das Naturereignis so stark ist, dass Menschen und Sachwerte substanziell und großräumig geschädigt werden. Bei Eintritt einer Naturkatastrophe kann sich die Bevölkerung des betroffenen Gebietes in der Regel nicht mehr aus eigener Kraft helfen und benötigt Hilfe von außen. Eine wichtige Rolle im Zusammenhang mit Naturgefahren wird zukünftig der Klimawandel spielen, gleichzeitig führt die dynamische, wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Gesellschaft zu einer Vervielfachung der Schadenspotenziale.

In Gebirgsregionen kommt aufgrund der naturräumlichen Gegebenheiten dem Schutz vor Naturgefahren eine besondere Bedeutung zu. Alpine Naturgefahren treten in Einzugsgebieten vonWildbächen und Lawinen ebenso wie in Georisikogebieten auf und werden durch engergiereiche Prozesse ausgelöst, die mit hoher Geschwindigkeit ablaufen. Hochwasser, Muren, Steinschlag, Fließlawinen, Staublawinen, Felssturz, Rutschungen, Hangbewegungen und Erosion können katastrophale Ereignisse mit extremem Zerstörungspotenzial auslösen. Sie sind durch den raschen Eintritt (fehlende Vorwarnzeit) und die Bewegung großer Massen von Feststoffen (Fels, Geröll, Schotter, Schlamm, Holz) oder Schnee gekennzeichnet. Dieser Beitrag bezieht sich auf die von Wildbächen ausgehenden Naturgefahren und die diesen Prozessen entgegen wirkenden Schutzbauwerke.

Ein Wildbach ist ein natürliches, dauernd oder zeitweise fließendes Gewässer mit streckenweise großem Gefälle sowie rasch und stark wechselnden Abflussverhältnissen. Schnell ansteigende und kurze Zeit dauernde Hochwasserereignisse erodieren große Mengen von Feststoffen aus dem Einzugsgebiet und dem Bachbett, transportieren und lagern diese innerhalb oder außerhalb des Bachbettes oder im Vorfluter ab. Das Einzugsgebiet eines Wildbaches umfasst das von diesem und seinen Zuflüssen entwässerte Niederschlagsgebiet (Sammelgebiet), außerdem schließt es auch den Ablagerungsbereich des Wildbaches (Schwemmkegel) ein. Zu den Wildbachprozessen zählen rasch anschwellendes Hochwasser und der damit verbundene Abtrag (die Mobilisierung), der Transport und die Ablagerung von Feststoffen.

1) Im Gegensatz dazu gibt es Gefahren, die von durch den Menschen errichteten Anlagen (Staudämme, Atomkraftwerke, Chemiewerke, Verkehrsanlagen) ausgehen.

Wildbachprozesse können Risiken für Menschen, den Lebens und Siedlungsraum, sowie Verkehrswegen, Versorgungslinien, Infrastruktureinrichtungen und Kulturgütern erhöhen. Diese Risiken entsprechen im weiteren Sinne der Möglichkeit, dass aus den Vorgängen während eines Ereignisses ein Schaden entstehen kann bzw. im engeren Sinne dem Ausmaß (der Intensität) und Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines möglichen Schadens. Zu berücksichtigen ist das Risiko, dem eine einzelne Person ausgesetzt ist (Individualrisiko), und das Risiko, dem die Gemeinschaft als Ganzes ausgesetzt ist (Kollektivrisiko). Der Schutz umfasst die Gesamtheit aller Maßnahmen, welche das bestehende Risiko vermindern. Mit der Durchführung von Schutzmaßnahmen kann die Sicherheit vor Wildbachgefahren erhöht werden. Das Ausmaß der Schutzmaßnahmen orientiert sich am Schutzbedarf (Schutzbedürfnis), das ist jenes Bedürfnis nach Sicherheit vor den drohenden Gefahren, welches von den Betroffenen objektiv oder subjektiv wahrgenommen wird. Der objektive Nachweis des Schutzbedarfs erfolgt durch die Darstellung der gefährdeten Gebiete in Gefahrenzonenplänen, Gefahrenhinweiskarten oder Risikokarten.

Die Wildbachverbauung umfasst die Gesamtheit aller Maßnahmen, die in oder an einem Wildbach oder in seinem Einzugsgebiet ausgeführt werden, um insbesondere das Bachbett und die angrenzenden Hänge zu sichern, Hochwasser und Feststoffe schadlos abzuführen und die Wirkung von Hochwasserereignissen auf ein zumutbares Ausmaß zu senken (Tabelle 2). Sie zählt zu den aktiven Schutzmaßnahmen jene Maßnahmen, die dem Naturereignis entgegenwirken, um die Gefahr zu verringern oder um den Ablauf eines Ereignisses zu beeinflussen oder dessen Eintretenswahrscheinlichkeit wesentlich zu verringern. Man unterscheidet Maßnahmen, die die Ereignisdisposition beeinflussen und solche, die direkt auf den Prozess einwirken.

Ergänzung finden Verbaumaßnahmen durch passive Schutzmaßnahmen: das sind jene Maßnahmen, die zu einer Reduktion des Schadens führen sollen, ohne den Ablauf des Naturereignisses zu beeinflussen. Sie nehmen Einfluss auf die Schadensempfindlichkeit der Schutzgüter oder umfassen unmittelbare Gegenmaßnahmen (Notmaßnahmen) im Fall des Eintritts eines Schadensereignisses. Die Wirkung von Schutzmaßnahmen ist permanent, wenn sie zu jeder Zeit und auf Dauer besteht, und temporär, wenn sie nur vorübergehend oder zeitlich begrenzt besteht.

Tabelle 1. Ursachen von Naturgefahren und Gefahrenarten (atmosphärische und geogene Naturgefahren) (nach [151])

Ursachen Arten Tektonische Naturgefahren Erdbeben, Vulkanausbrüche, andere vulkanische Gefahren Massenbewegungen Hangerosion, Hanganbrüche, Hangrutschungen, Großhangbewegungen, Steinschlag, Felsstürze, Bergstürze, Muren, Lahars (vulkanische Aschemuren) Klimatische/meteorologische Naturgefahren Tropische Zyklonen, Tornados, Orkane, Hurrikans, Sandstürme, Blizzards (Winterstürme), Blitzschlag, Starkniederschlag (Starkregen, Hagel, Schneefall), Frost, Dürre Hochwasser Überschwemmungen, Sturzfluten, Feststofftransport (Geschiebe, Holz), Gletscherseeausbruch Sturm Sturmfluten, Tsunamis Feuer Waldbrand, Brände im Busch- und Grasland Schneegefahren Staublawinen, Fließlawinen, Eissturz, Gletschervorstöße

Tabelle 2. Systematik der Schutzmaßnahmen gegen Wildbachgefahren

Bild 1. Übersicht über ausgewählte Schutzbauwerke gegen alpine Naturgefahren

Die Maßnahmen der Wildbachverbauung umfassen die Unterbindung der Geschiebebildung und den Rückhalt von Verwitterungsprodukten, die Verbesserung des Wasserhaushalts und die unschädliche Ableitung des Wassers und des Geschiebes in Wildbacheinzugsgebieten, die Beruhigung und Begrünung von Bruch- und Rutschungsflächen (Sicherung des Böschungsfußes, Hangentwässerung, Aufforstungs- und Bodenbindungsmaßnahmen), Maßnahmen, die der drohenden Entstehung von Runsen und Rutschungen entgegenwirken sowie die Betreuung und Instandhaltung der Wildbacheinzugsgebiete und der Maßnahmen der Wildbachverbauung. Zudem umfassen sie Sofortmaßnahmen, die bei Hochwasser- und Erosionsereignissen der unmittelbaren Vermeidung von Schäden dienen oder deren Ausweitung entgegenwirken [210].

Eine systematische Verbauung von Wildbächen wird im Alpenraum seit ca. 1870 durchgeführt. In großem Umfang werden Schutzbauwerke (Anlagen) gegenwärtig in fast allen Alpenländern (Deutschland, Frankreich, Italien, Liechtenstein, Österreich, Schweiz, Slowenien) aber auch in anderen von Naturgefahren besonders betroffenen Staaten wie Chile, China, Japan, Kanada, Norwegen, Russland, Südkorea, Taiwan oder Venezuela errichtet. Besondere Bedeutung haben Wildbachschutzbauwerke in jenen Regionen, in denen aufgrund einer intensiven Raumnutzung durch den Menschen Siedlungen und Verkehrswege in erheblichem Umfang in gefährdeten Zonen liegen.

Die Konzeption und Bemessung dieser Bauwerke stellt aufgrund der von ihnen ausgehenden Schutzwirkung besondere Anforderungen an den Planer und erfordert umfassende Kenntnisse der in den Einzugs- und Risikogebieten ablaufenden Prozesse sowie der Einwirkungen auf die Bauwerke. Obwohl sich die Wildbachverbauung zu einer bedeutenden Ingenieurdisziplin entwickelt hat, sind Normen und Standards, die den Stand der Technik für die Planung und Ausführung der Bauwerke allgemeingültig abbilden, nur lückenhaft vorhanden. Für die Schweiz liegt zur Dimensionierung von Wildbachsperren in Beton und Stahlbeton eine Richtlinie des Eidgenössischen Amts für Straßen- und Flussbau [66] aus dem Jahr 1973 vor. Für Deutschland regelt die DIN 19 663 [55] Begriffe, Planung und Bau der Wildbachverbauung. In Österreich wurde das System der Wildbachverbauung vor allem aus der Praxis des Forsttechnischen Dienstes heraus entwickelt, das System der Schutzbauwerke und ihrer Wirkungen geht vor allem auf die Arbeiten von Leys [133, 134, 136–138], Aulitzky [12], Hampel [81], Kronfellner-Kraus [127], Üblagger [209] und Kettl [116, 117] zurück, die Bemessung der Bauwerke erfolgte entsprechend den von Czerny [34, 43] entwickelten Standards. Für die nicht von diesen Planungsstandards abgedeckten Bereiche finden in der Praxis die einschlägigen Normen der Hydrologie, des Wasserbaus, des konstruktiven Betonbaus und der Geotechnik Anwendung.

Der offensichtliche Mangel an spezifischen technischen Normen für die Wildbachverbauung ist primär auf die bis heute bestehenden Unsicherheiten bei der Festlegung der Prozessabläufe und Einwirkungen auf die Bauwerke zurückzuführen. Beispielsweise konnte trotz intensiver Forschung und Entwicklung noch kein allgemeingültiger Standard für die Einwirkung von Muren auf Bauwerke entwickelt werden, ebenso waren die für die Standsicherheitsnachweise von Schutzbauwerken relevanten Lastfälle (Einwirkungskombinationen) bisher nur in Grundzügen bekannt. Die größte Unsicherheit besteht jedoch in der Festlegung des Bemessungsereignisses (BHQ) für Schutzbauwerke, bedingt durch die schwierige Abschätzbarkeit der Häufigkeit und Intensität von Niederschlag, Abfluss und Feststofftransport in Wildbacheinzugsgebieten. Die Unsicherheiten haben großen Einfluss auf die Ergebnisse der Bauwerksbemessung und relativieren die Qualität „exakter“ Nachweisverfahren.

Erst in jüngster Zeit werden wieder intensive Bemühungen für eine umfassende Standardisierung (Normung) der Grundlagen für Planung, Errichtung und Betrieb von Schutzbauwerken (Anlagen) der Wildbachverbauung unternommen. Die Ergebnisse einer systematischen Aufbereitung dieser Grundlagen durch die Autoren wird Eingang in die für Österreich geltenden ON-Regeln „Schutzbauwerke der Wildbachverbauung“ ONR 24 800 (Begriffsbestimmungen und Klassifizierung) [157], ONR 24 801 (Statische und dynamische Einwirkungen) [158], ONR 24 802 (Bemessung und konstruktive Durchbildung) [159] und ONR 24 803 (Betrieb, Überwachung und Instandhaltung) [160] finden, die die erste umfassende Norm für den Bereich der Wildbachverbauung darstellen wird. Darin wird auch ein für Wildbachschutzbauwerke geeignetes Sicherheitskonzept entwickelt, welches auf dem in der europäischen Normung festgelegten Teilsicherheitskonzept basiert.

In diesem Beitrag werden die wichtigsten Grundlagen und Regeln für die Planung, Konstruktion, Bemessung und Errichtung von Schutzbauwerken der Wildbachverbauung zusammengefasst. Der Beitrag gibt einen Überblick über die grundlegenden Wildbachprozesse und die davon ausgehenden Einwirkungen, enthält eine funktionale und konstruktive Systematik der Schutzbauwerke, stellt die Grundlagen des Entwurfs und der Bemessung (hydrologisch, hydraulisch, statisch) dar, fasst die wichtigsten Bautypen der Wildbachverbauung, ihre Bauteile und Funktionsorgane zusammen und enthält ausgeführte Beispiele. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf den Sperrenbauwerken (Querwerken) der Wildbachverbauung. Der letzte Abschnitt 8 behandelt auch die Erhaltung und Lebensdauer von Schutzbauwerken.

2

Wildbachsystematik

2.1 Wildbacheinzugsgebiet

Das Einzugsgebiet eines Wildbaches umfasst die Fläche des von ihm entwässerten Niederschlagsgebietes (Sammelgebiet) und den Ablagerungsbereich (Ablagerungsgebiet).

Die Wildbäche des Hochgebirges sind durch einen kurzen und steilen Lauf charakterisiert. Das Sammelgebiet ist zumeist deutlich durch eine Schluchtstrecke vom Ablagerungsgebiet getrennt (Bild 2 A).

Bild 2. (A) Wildbach des Hochgebirges; (B) Wildbach des Berg- und Hügellandes (nach Weinmeister [215])

Die Wildbäche des Berg- und Hügellandes weisen einen langen Lauf mit geringem Gefälle auf. Das Sammelgebiet ist vom Ablagerungsgebiet nicht scharf getrennt. Oft fehlen diesen Bächen deutlich ausgeprägte Schwemmkegel, dafür treten in diesen Geschiebeumlagerungsstrecken auf (Bild 2 B).

2.1.1 Sammelgebiet

Das Sammelgebiet wird entsprechend den oberirdischen Wasserscheiden als orografisches oder entsprechend den natüsrlichen Verhältnissen als hydrografisches Einzugsgebiet bezeichnet. Das hydrografische Einzugsgebiet ist jenes Gebiet, dem der Abfluss aufgrund der natürlichen Verhältnisse tatsächlich entstammt, es kann durch oberirdische oder unterirdische Zu- oder Ableitungen in seiner Größe vom orografischen Einzugsgebiet abweichen.

2.1.2 Ablagerungsgebiet

Mur- oder Schwemmkegel1) können sich dort entwickeln, wo ein Wildbach mit einer deutlichen Gefällsminderung, oft über eine Steilstufe (Konfluenzstufe), in ein Haupttal mündet und die Sedimentation des mitgeführten Geschiebes zumindest kurzfristig ermöglicht (Bild 3). Der Übergang vom Sammel- zum Ablagerungsgebiet wird als Kegelspitze oder als Kegelhals, sofern sich der Ablagerungskegel bereits bis in das Zubringergerinne oberhalb der Steilstufe erstreckt, bezeichnet. Schließt an das Kegelgerinne noch ein Bachabschnitt in den Ablagerungen des Vorfluters an, so wird dieses Gerinne bis zur Mündung in den Vorfluter als Tallauf bezeichnet.

Bild 3. Schematisches Längsprofil durch einen Ablagerungskegel (nach Hübl [98])

Im Allgemeinen weisen Ablagerungskegel einen etwa halbkreisförmigen Grundriss, konvexe Querschnitte und ein konvexes, konstant fallendes oder konkaves Längsprofil auf. Die Kegel können sich meist nicht ungestört aufbauen, sondern werden – vor allem in alpinen Tallagen – von den Vorflutern und Nachbarkegeln beeinflusst. Sie sind daher einem zeitlichen Wandel unterworfen, der sich in der Morphologie der Kegel dokumentiert. Phasen mit einem Geschiebeüberangebot führen zu einer Erhöhung des Kegels, währenddessen Phasen mit einem Geschiebedefizit eine Zerschneidung der Kegeloberfläche verursachen (Bild 4).

Bild 4. Entwicklungsstadien von Ablagerungskegeln (nach Hübl [98])

Das Kegelgerinne kann – entsprechend dem Entwicklungsstadium des Kegels – in den Kegel eingetieft sein. Im Längsprofil schneidet dann die Gerinnesohle die Kegeloberfläche meist in der mittleren bis oberen Kegelhälfte, man erhält den Verschneidepunkt. An diesen Punkt schließt bachabwärts der aktive (rezente) Ablagerungsbereich an. Fehlt das eingetiefte Kegelgerinne, beginnt der aktive Ablagerungsbereich bereits an der Kegelspitze oder am Kegelhals (proximaler Kegelbereich). Nicht mehr in die Kegelbildung einbezogene Flächen werden als inaktive (fossile) Kegelablagerungsbereiche bezeichnet. Eine Unterschneidung des Kegelfußes (distaler Kegelbereich) durch denVorfluter führt zu Erosionskehlen. Eine Tieferlegung des Vorflutniveaus bedingt eine Einschneidung des Kegelgerinnes in den Kegel.

Um den dominanten kegelbildenden Prozesstyp bestimmen zu können, wird in den letzten Jahren vermehrt die sogenannte Melton-Nummer verwendet. Dabei wird das Gefälle des Ablagerungskegels dem mit der Wurzel der Sammelgebietsfläche normierten spezifischen Höhenunterschied gegenübergestellt.

Je kleiner das Einzugsgebiet oder je größer die Reliefenergie, umso steiler ist das Kegelgefälle. Hook/Rohrer [91] führen diesen Zusammenhang auf den Abfluss, unterschiedliche Feststoffkonzentrationen und eine Überprägung durch fluviatile Prozesse zurück. Relationen für alpine Einzugsgebiete finden sich in Marchi/Tecca [143] und Bardou [16].

2.1.3 Umlagerungsstrecke

Die Umlagerungsstrecke ist ein Abschnitt eines Wildbaches, in dem Geschiebe in unterschiedlichen Mengen zugeführt, abgelagert und wieder abtransportiert wird. Dabei besteht zwischen Geschiebedargebot und Transportkapazität über einen längeren Zeitraum ein ausgewogenes Verhältnis (Gleichgewichtszustand). Umlagerungs strecken können auch in schwemmkegelbildenden Wildbächen in Flachstrecken, im Unterlauf oder im Tallauf auftreten, sind jedoch typisch für Wildbäche in den Voralpen oder im außeralpinen Mittelgebirge. Langgezogene Grabenstrecken mit Wildbachcharakter sind diesem morphologischen Typ zuzurechnen.

1) Der Oberbegriff ist „Ablagerungskegel“. Dazu zählen auch Sturzkegel und Schuttkegel, deren Bildung gravitativen Prozessen (Steinschlag, Felssturz) zuzurechnen sind.

Entsprechend der „klassischen“ Klassifikation von Fließgewässern nach Leopold/Wohlmann [132] treten in Umlagerungsstecken verzweigte, gewundene (mäandrierende) und gerade Fließstrecken auf.

Verzweigte Gerinnestrecken oder Furkationsstrecken1) sind typisch für viele Wildbäche mit kohäsionslosem Geschiebe und beanspruchen bei Hochwasser, begrenzt durch die Berghänge, meist den gesamten Talboden. Sie sind charakterisiert durch eine vielfache Aufgabelung und Wiedervereinigung von Abflusskanälen sowie eine Ausbildung von instabilen Inseln (Furkationsbänken) zwischen den Kanälen. Bei Mittel- und Niederwasser findet der Abfluss in mehreren Kanälen über eine beträchtliche Breite des Gerinnequerschnitts verteilt statt, bei Hochwasser werden die Inseln zum Teil überflutet. Schmalere Bachstrecken werden bei Hochwasser zur Gänze überflutet, während in breiteren Abschnitten zwischen den Kanälen Bänke außerhalb der Geschiebetransportzone bleiben und so zur Zwischendeponie von Geschiebe beitragen [131]. Obwohl sich verzweigte Gerinne insgesamt im Zustand der Auflandung befinden, finden nebeneinander sowohl Erosionals auch Ablagerungsprozesse statt. Abfluss, Gerinnemorphologie und Geschiebetransportkapazität unterliegen folglich einer hohen zeitlichen und räumlichen Variabilität [68]. Nach Bravard/Gilvear [31] bilden sich verzweigte Gerinne dort, wo ein ausreichendes Geschiebedargebot vorherrscht und das Abflussregime von großen Hochwasserspitzen dominiert wird. Ihre Bildung wird durch breite Talböden und erodierbare Ufer begünstigt. Typische Furkationsstrecken sind breit und seicht, ca. 1% steil und weisen ein charakteristisches Mittelkorn von etwa 100 mm Durchmesser auf [46].

1) Weitere Synonyme für diesen Gerinnetyp sind die Begriffe „Wildfluss“ und „verwilderte Bachstrecke“ [224].

Gewundene Gerinne und Mäander1) entstehen, wenn Abflusshindernisse einen geraden Verlauf des Baches behindern oder sedimentologische bzw. morphologische Einflüsse einen pendelnden Verlauf induzieren. Weitere Voraussetzungen für die Mäanderbildung sind genügend Strömungsenergie für die Erosion der Ufer und das Vorhandensein von Querströmungen im Abflussquerschnitt.

Gerade Gerinnestrecken bilden sich bei uneingeschränkter Gerinneentwicklung nur in kurzen Abschnitten aus. Besonders in Oberläufen von Wildbächen kann jedoch das Gerinne über längere Strecken gerade verlaufen. Dies ist vorwiegend eine Folge des steilen Gefälles und geomorphologisch beengter Talquerschnitte2) [145]. Gerade Gerinneabschnitte sind selten homogen, vielmehr treten auch hier oszillierende Bewegungen des Abflusses auf [171]. Diese werden häufig als Folge eines Überschusses an Strömungsenergie angesehen. Durch das Pendeln des Gerinnes auf der eigenen Alluvion wird das Gerinnegefälle herabgesetzt und die Rate der Energieumwandlung maximiert [171]. Steile Bachstrecken weisen im Längsprofil häufig eine regelmäßige Folge (Sequenz) von Stufen (Schnellen) und Kolken auf, welche einen ähnlichen Einfluss auf die Fließenergie ausüben („vertikales Mäandrieren“).

2.2 Wildbachtypen

Zur Systematik mitteleuropäischer Wildbäche existieren verschiedene Ansätze, die bis in das 19. Jahrhundert zurückreichen [47, 186].

2.2.1 Zeitliche Entwicklung der Geschiebeherde

Bis heute findet die geologische Einteilung der Wildbäche nach Stiny [198, 199] Verwendung. Er unterteilt die Wildbäche entsprechend dem Alter der potenziellen Feststoffherde in:

Altschuttbäche: Die Bildung der potenziell von einem Wildbach erodierbaren Ablagerung ist im Großen und Ganzen abgeschlossen, es erfolgt kein wesentlicher Zuwachs von außen mehr (z. B. eiszeitliche Ablagerungen, ältere Bergsturzablagerungen)Jungschuttbäche: Die potenziell von einem Wildbach erodierbaren Ablagerungen erfahren in junger oder jüngster Zeit einen allmählichen, ununterbrochenen oder sprunghaften Nachschub (z. B. Verwitterungsprodukte)

Darauf aufbauend nimmt Stiny eine „Einteilung der Wildwässer“ in Jungschuttwildwässer, Altschuttwildwässer, gemischte Wildwässer und besondere Wildwässer vor.

2.2.2 Maßgeblicher Verlagerungsprozess

Aulitzky [10, 11] entwickelte eine zweiteilige Wildbachklassifikation, die es ermöglichen sollte, die Wildbäche in ihrem Gesamtverhalten am Ablagerungskegel bzw. an einem Punkt des Einzugsgebietes zu beurteilen (wenn eine ausreichende Anzahl an „stummen Zeugen“ der Wildbachtätigkeit vorzufinden ist) und zusätzlich die Geschiebeherde an sich kausalanalytisch zu beschreiben. Er unterscheidet vier Wildbachtypen, denen ein ähnliches Katastrophenverhalten am Ablagerungskegel unterstellt wird:

– murstoßfähige Wildbäche,

– murfähige Wildbäche,

– geschiebeführende Wildbäche,

– nur hochwasserführende Wildbäche.

2.2.3 Entwicklungstendenz der Geschiebeherde und Beeinflussbarkeit

Eine weite Verbreitung findet die Einteilung der Wildbachtypen nach Karl/Mangelsdorf [113] und Bunza et al. [32], die sich auch in der DIN 19 663 [55] wiederfindet. Sie basiert einerseits auf der natürlichen Entwicklungstendenz von Geschiebeherden, andererseits auf der Beeinflussbarkeit des Systems Wildbach durch die Vegetation (Tabelle 3).

Tabelle 3. Wildbachklassifikation (nach Karl/Mangelsdorf [113] und Bunza et al. [32])

(A) Wildbäche mit expansiven Feststoffherden in Restschuttkörpern Wildbäche in Talverfüllungen Als Feststoffherde gelten Rotationsanbrüche im Lockergestein, Translationsanbrüche in Lockergestein und Böden, Ufer- und Feilenanbrüche in den Einhängen der in die Stausedimente eingeschnittenen epigenetischen Täler. Die Ablagerung erfolgt auf meist sehr mächtigen Kegeln im Haupttal. Eingriffe in die Vegetation, insbesondere den Wald, können Oberflächenabfluss und Hangvernässung fördern. Wildbäche in Talverfüllungen sind der Prototyp des menschlich verursachbaren bzw. beeinflussbaren Wildbaches. Sie liegen vielfach seitlich der pleistozänen Vorlandgletscher im Alpenvorland, bzw. im Alpeninneren in relativ kurzen Seitentälern großer pleistozäner Talgletscher. Wildbäche in Restschuttkörpern Als Feststoffherde sind Rotationsanbrüche in Lockergestein, Translationsanbrüche in Lockergestein und Böden, Ufer- und Feilenanbrüche zu nennen. Die Lockergesteine sind pleistozäner oder postglazialer Hangschutt, periglazialer Wanderschutt und durch Solifluktion akkumulierte Lockermassen und veränderlichfeste Gesteine (z. B. tiefgründige Verwitterung des Zementmergels im Flysch). Das Material wird wieder auf Kegeln unterschiedlicher Größe im Haupttal abgelagert. Die Beeinflussbarkeit ist durch Eingriffe in die Vegetation insbesondere in den Waldbestand gegeben, da dadurch der Oberflächenabfluss und die Hangvernässung gefördert werden können. Die Verbreitung dieses Typs liegt im pleistozän vergletscherten Alpengebiet und in periglazialen Räumen der Randalpen. Besonders häufig sind diese Bäche in Gebieten mit veränderlichfesten Gesteinen zu finden. (B) Wildbäche mit stationären Feststoffherden Wildbäche in harten Kristallingesteinen Steinschlag, Felssturz, direkter Bergsturz aus Felsflanken und Felswänden der Trogtäler, wie auch Ufer- und Feilenanbrüche in rezentem bis subrezentem Wandschutt auf primärer Lagerstätte, dienen als Feststoffherde. Ihr Ablagerungsgebiet liegt nicht im Haupttal und bildet kleine Schuttkegel. Die Verbreitung dieses Typs liegt in pleistozän und frühpostglazial stark ausgeräumten Tälern der Zentralalpen. Wildbäche in harten Sedimentgesteinen Ihre Feststoffherde sind Wandabgrusungen, Steinschlag, Felssturz, Bergsturz aus Felsflanken und Felswänden, Rotationsrutsche, Ufer- und Feilenanbrüche in rezentem Verwitterungsschutt auf primärer Lagerstätte. Das Ablagerungsgebiet liegt meist nicht im Haupttal und weist sehr große Kegel auf. Dieser Wildbachtyp ist in den nördlichen Kalkalpen vor allem im Bereich kleinstückig verwitternder Dolomite in pleistozän oder frühpostglazial stark ausgeräumten Landschaften verbreitet, sowie in den östlichen Südalpen im Bereich teils kleinstückig verwitternder, teils mylonitisierter Dolomite in pleistozän nicht oder nur schwach vergletscherten Gebieten. Wildbäche in veränderlich festem Gestein Als Feststoffherde dienen Wandabgrusungen, Steinschlag, Verwitterungsschutt auf primärer Lagerstätte. Dieser Typ ist allgemein verbreitet in tektonisch stark beanspruchten, erosiv oder durch Massenbewegung offen anstehenden veränderlich festen Gesteinen. Wildbäche in rezenten Moränen Als Feststoffherde dienen Ufer- und Feilenbrüche in subrezenten bis rezenten Moränen, insbesondere jüngster Rückzugstadien und Blockgletscher. Die Ablagerung erfolgt auf kleinen Schuttkegeln. Sie sind in rezent vergletscherten Gebieten der Ostalpen verbreitet. (C) Wildbäche mit expansiven und stationären Feststoffherden Wildbäche in Gebieten großer Massenbewegungen Als Feststoffherde geltenWandabgrusungen, Steinschlag, Felssturz, Bergsturz aus durch Massenbewegungen freigelegtem Gestein, Rotationsbrüche, Translationsanbrüche in Felsgestein, Lockergestein und Boden-, Ufer- und Feilenanbrüche. Im Ablagerungsgebiet fehlen meist größere Materialansammlungen, da diese vom Vorfluter unmittelbar abtransportiert werden. Es handelt sich dabei um Schuttmaterial. Die Beeinflussbarkeit derartiger Wildbäche in Gebieten großer Massenbewegungen aufgrund entsprechend tektonischer, lithologischer, stratigrafischer, bodenmechanischer, hydrologischer und glazialgeschichtlicher Voraussetzungen durch anthropogene Einflüsse auf die Vegetation, aber auch durch Baumaßnahmen ist gegeben. Sie sind vor allem in veränderlichfesten Gesteinen in Grenzbereichen tektonischer Großeinheiten verbreitet. Sie sind in den Zentralalpen häufiger und großräumiger als in den Randalpen. Wildbäche auf Schuttkegeln Als Feststoffherde gelten Ufer- und Feilenanbrüche in subrezenten bis fossilen Schuttkegeln. Ihre Beeinflussbarkeit ist unterschiedlich. Es treten meist Ufer- und Feilenanbrüche, gelegentlich auch Rotationsanbrüche auf. Da die Einzugsgebiete meist Felsflanken sind oder über der Grenze der geschlossenen Vegetation liegen, ist der Abfluss der Niederschläge menschlich nicht beeinflussbar. Die Kegel sind meist bewaldet und hier sind menschliche Einflüsse durch Entwaldung möglich, die insbesondere bei flacheren Schwemmkegeln seitliche Ausbrüche erleichtern. Die Ablagerungsgebiete sind selten sekundäre Schwemmkegel, meist wird das Material durch den Vorfluter abtransportiert. Sie sind vor allem in den nördlichen und südlichen Kalkalpen verbreitet, dort wo große nacheiszeitliche Kegel mit fehlender oder geringer rezenter Akkumulation vorkommen. (D) Wildbäche mit nur zeitweise eigenen Feststoffherden Wildbäche in Talalluvionen Als Feststoffherde gelten Uferanbrüche und Sohleneintiefungen in rezenten bis subrezenten Talalluvionen. Die Beeinflussbarkeit dieser Bäche gilt als gering, darf aber nicht vernachlässigt werden. Der Wildbachcharakter dieser Bäche tritt nur bei Niederschlagsexzessen auf. Wildbäche aus Waldabbrüchen Die Feststoffherde sind Translationsbodenrutsche im Wald, Uferanbrüche in rezenten bis subrezenten Talalluvionen. Bei Niederschlagsexzessen treten an Steilhängen Waldabbrüche auf, die zu Verklausungen durch Wildholz und Uferanbrüchen in den Talalluvionen führen. Als auslösende Faktoren wird hoher Strömungsdruck im Boden vermutet. Für derartige Abbrüche wird auch der Ausdruck Hangexplosionen verwendet.

2.2.4 Klassifikation entsprechend der morphologischen Charakteristik

Die Klassifikation von Fließgewässern entsprechend ihrer Morphologie bezieht sich in der Literatur stets auf Abschnitte (Fließstrecken) mit homogener Charakteristik (Homogenbereiche). Eine morphologische Klassifikation spezifisch fürWildbäche wurde bisher nicht publiziert, doch haben allgemeine morphologische Klassifikationen für Fließgewässer weitreichende Gültigkeit für Wild-bäche. Sie sind vor allem für gerinnehydraulische Fragestellungen von großer Bedeutung.

1) Typische Mäanderstrecken sind eher auf sehr flache Bachabschnitte beschränkt und liegen in der Regel außerhalb der Fließstrecken mit Wildbachcharakter.

2) Dies trifft vor allem für Schluchtstrecken zu, wo die Gerinneentwicklung durch felsige Talflanken beschränkt ist.

Eine allgemeine Einteilung (Klassifikation) von Fließstrecken mit homogenen, morphologischen Verhältnissen ist auch entsprechend der vorherrschenden Gerinnemorphologie, insbesondere der Sohlbeschaffenheit, Sohlrauigkeit und des vorherrschenden Feststofftransportregimes möglich. Die von Bathurst [19] vorgeschlagene Klassifikation integriert auf einfache Weise fast alle möglichen Sohlformen und ist so auch für außeralpine Wildbäche gut anwendbar. Sie umfasst die Kategorien von Abschnitten nach Tabelle 4.

Tabelle 4. Fließgewässerklassifikation (nach Bathurst [19])

Eine der anerkanntesten Klassifikationen wurde von Rosgen [182] entworfen und basiert auf einer Hierarchie von mehreren gerinnemorphologischen Kriterien wie der Eintiefung des Gerinnes1), dem Breiten-Tiefen-Verhältnis2), der Sinuosität3) und dem Längsgefälle4) (s. Tabelle 5).

Tabelle 5. Klassifikation von Gerinnestrecken (nach Rosgen [182])

1) Eintiefung: Diese gibt das Ausmaß an, in welchem das Gerinne in die Talsohle eingeschnitten ist.

2) Breiten-Tiefen-Verhältnis: Dieses ist ein Faktor für die Form des Gerinnequerschnitts und wird als Verhältnis der Spiegelbreite zur Fließtiefe bei bordvollem Abfluss ausgedrückt.

3) Sinuosität: Diese drückt das Verhältnis der Talweglänge zur Bachlänge aus.

4) Längsgefälle: Lokales Längsgefälle im Bereich der Bachstrecke, nicht des gesamten Bachlaufs.

2.2.5 Ereignishäufigkeit

Aufgrund unterschiedlicher Grund- und variabler Disposition zeigen die Wildbäche ein unterschiedliches Verhalten (Bild 5).Wildbäche mit geringer Feststoffproduktion und großem Speichervermögen des Bodens reagieren nur auf extreme Niederschläge, die Intensität des Ereignisses ist jedoch dann sehr groß (Typ 1, „schlafender Wildbach“). Bei geringer bis mittlerer Feststoffproduktion im Sammelgebiet und geringer Speicherfähigkeit des Bodens können diese Produkte bereits bei mittleren Niederschlagsereignissen ausgeräumt werden, wobei dieser Prozess in etwa gleichen zeitlichen Abständen mit geringer bis mittlerer Intensität stattfindet (Typ 2, „schnäuzender Wildbach“). Bei unterschiedlichem Feststoffdargebot und stark von der variablen Disposition abhängigen Abflussgenerierung sind Ereignisse in ungleichen Zeitintervallen mit stark schwankender Intensität zu erwarten (Typ 3).

Bild 5. Wildbachtypen mit charakteristischem Wiederkehrintervall (nach Hübl [96])

2.3 Prozesse in Wildbacheinzugsgebieten

Vereinfacht kann man dieWildbachprozesse in die Entstehungsprozesse (Abtrag, Eintrag), die Transportprozesse und die Ablagerungsprozesse einteilen. Diese Grundprozesse laufen großräumig (Sammelgebiet, Ablagerungsgebiet) und lokal im Gerinnesystem ab.

2.3.1 Abtragsprozesse in Wildbächen

Die Entstehungsprozesse setzen sich aus den Abtragsprozessen der Erosion und dem Eintrag von Wildholz und Wasser zusammen. Als Erosion wird im Allgemeinen der Abtrag und Transport von Feststoffen durch Wasser, Gletscher, Wind und Wellen bezeichnet.

Tiefenerosion bezeichnet einen Erosionsprozess der zur Eintiefung des Gerinnes führt. Die für die Entstehung von Wildbächen charakteristische Form der Tiefenerosion ist die rückschreitende Erosion. Sie besteht in einer höhenmäßigen Änderung der Erosionsbasis, wobei sich das Gerinne an dieses veränderte Niveau durch Eintiefung anpasst (Feilenanbruch). Solche Veränderungen sind im Rahmen von Hochwasserereignissen nur im Lockermaterial möglich. Eine Sonderform ist die Kolkerosion, bei der unterhalb eines Absturzes (Wasserfall) keilförmige Hohlformen (Keilanbrüche) entstehen (Bild 6).

Bild 6. Anbruchsformen in Wildbacheinzugsgebieten: (A) Feilenanbruch; (B) Keilanbruch; (C) Verklausungsbruch; (D) Muschelanbruch; (E) Uferanbruch (nach Weber [212])

Seitenerosion bezeichnet einen Erosionsprozess, der hauptsächlich die Ufer eines Gewässers angreift und dem Gewässer die Möglichkeit gibt, sich seitlich zu verlagern. Uferanbrüche entstehen durch die seitliche Erosionswirkung von Wildbächen im Außenbogen oder durch die Verlagerung des Gewässerbettes (Bild 6).

Als lokaler Feststoffherd tritt in Wildbächen der Muschel- und Verklausungsbruch auf. Beide Anbruchsformen gelten als äußerst entwicklungsfreudig.

Die Oberflächenerosion ist das Abschwemmen von Lockergestein (Gesteinsteilen) von der Landoberfläche und das Eintragen in das Gewässersystem bei Niederschlägen.

Der aus der Mobilisierung des Geschiebeherdes resultierende Verlagerungsprozess wird wesentlich vom zur Verfügung stehenden Feststoffvolumen und durch die Mobilisierungszeit des Geschiebeherdes (Mobilisierungsintensität) beeinflusst. In Aulitzky [11] wird durch die Einführung eines Entwicklungsfähigkeitsindex, derWerte von 1 bis 5 annehmen kann, darauf Bezug genommen. Die für die Mobilisierungsintensität des Geschiebes notwendige Information kann aus den geomorphologischen Indikatoren, wie der Anbruchsform, und den für das „Versagen“ verantwortlichen Versagensmechanismus abgeleitet werden.

Bleibt man bei den von Stiny [198] geprägten Begriffen der Geschiebeherde, so kann ein Muschelund Verklausungsbruch sehr große Feststoffmengen in kürzester Zeit bereitstellen. Der resultierende Verlagerungsprozess verläuft weitgehend unabhängig von der dem Ereignis zugrunde liegenden hydrologischen Abflussganglinie. Linienhafte Anbrüche im Gerinne, wie Feilen-, Keilund Uferanbrüche können ebenfalls große Geschiebevolumina freisetzen, die Mobilisierungszeit dauert aber generell länger. Aus der Kombination von mobilisierbarem Volumen und Mobilisierungszeit lässt sich die Intensität der Feststoffbereitstellung ableiten, die semiquantitativ nach den allgemein bekannten Konfektionsgrößen unterteilt werden kann.

Die Intensität der Feststoffbereitstellung ist das Kriterium für die weitere Entwicklung des Verlagerungsprozesses im Gerinne. Bei hoher Intensität (L, XL, XXL) werden sich Muren (Murgang und murartiger Feststofftransport), bei geringer bis mittlerer Intensität (S, M) hingegen Hochwasser (Fluviatiler Feststofftransport) entwickeln. Durch die Mobilisierungsintensität wird auch die Form der Ganglinie der Verlagerungsprozesse maßgeblich verändert. Sie kann einen kurzen, aber sehr hohen Spitzenwert aufweisen, aber auch – bedingt durch kontinuierlichen Feststofftransport – während der gesamten Abflussdauer des Verlagerungsprozesses erhöht über der Reinwasserganglinie verlaufen.

2.3.2 Verlagerungsprozesse inWildbächen

Ereignisse inWildbächen können große Volumina an Feststoffen umsetzen. In sehr kurzer Zeit werden einige hundert bis mehrere hunderttausend Kubikmeter an Feststoffen (Geschiebe, Wildholz) in den Talbereich transportiert und dort abgelagert. Da solche Ereignisse jedoch selten sind und zumeist sehr lokal auftreten, ist es schwer, diese Verlagerungsprozesse messtechnisch zu erfassen.

Bei den Verlagerungsprozessen in Wildbächen können entsprechend ihrer Ausprägung fluviatile und murartige Prozesse unterschieden werden. Erstere umfassen Hochwasser und fluviatilen Feststofftransport, zu den zweiten zählen murartiger Feststofftransport und Murgang [99]. Weitere Formen der Massenverlagerung sind stürzende (Steinschlag, Felssturz, Bergsturz) und rutschende (Hangmure, Erdstrom, Rutschung) Prozesse. Diese Prozesse zählen nicht zu den Wildbachprozessen im eigentlichen Sinn.

An den fluviatilen und murartigen Verlagerungsprozessen sind Feststoffe unterschiedlicher Größe (Fein- und Grobmaterial) sowie Wasser beteiligt sind (Bild 8). Als Randbedingung kann einerseits das Volumen des Transportmediums, andererseits das mobilisierbare Feststoffvolumen betrachtet werden. So spricht man von transportlimitiert, wenn die Transportkapazität den Abtrag von Feststoffen begrenzt, von feststofflimitiert hingegen, wenn das Angebot an Feststoffen gering ist, und so die Transportkapazität über die Ereignisdauer nicht ausgeschöpft wird (s. Bild 93).

Bild 7. Mobilisierungsintensität der Geschiebeherde (aus Hübl [98])

Bild 8. Übersicht über die Systematik der Verlagerungsarten und deren Zusammensetzung in Wildbacheinzugsgebieten (aus Hübl [95])

Der Reinwasserabfluss führt nur unerhebliche Feststoffmengen mit sich. Liegt der Pegelstand oder Abfluss über dem langjährigen Mittel, ist es ein Hochwasserabfluss. Die Feststoffe werden überwiegend als Schwebstoffe mitgeführt, der Geschiebetransport ist im Verhältnis zum Wasserabfluss von untergeordneter Bedeutung. Die Dichte des Wasser-Feststoff-Gemisches ist im Vergleich zu Wasser nicht signifikant erhöht und kann mit 1000 kg/m3 angenommen werden. Der Hochwasserabfluss kann turbulent und instationär erfolgen, wenn plötzliche Schwallwellen infolge Durchbruch einer Verklausung auftreten (Bild 9).

Bild 9. Verlagerungsprozesse in Wildbächen: (A) Hochwasser; (B) fluviatiler Feststofftransport; (C) murartiger Feststofftransport; (D) Murgang (aus Hübl [97])

Der fluviatile Feststofftransport zeichnet sich durch das Vorhandensein eines bedeutenden Feststofftransports, dem Schwebstoff- und dem sohlennahen Geschiebetransport, aus. Während Schwebstoffe bei Hochwasser relativ homogen im Querprofil verteilt sind, wird hier das Geschiebe sohlennah verlagert. Die Dichte des Wasser-Feststoff- Gemisches liegt unter 1300 kg/m3, die volumetrische Feststoffkonzentration erreicht Werte bis zu 20%. Die Geschwindigkeit des transportierten Geschiebes liegt unter der des turbulenten Wasserabflusses, das Fließverhalten ist newtonisch.

Der murartige Feststofftransport umfasst Abflüsse mit hoher Feststoffkonzentration. Die Feststoffe sind unabhängig von der Korngröße über den ganzen Abflussquerschnitt verteilt. Auch größere Kornfraktionen (Geröll) bewegen sich annähernd mit der Geschwindigkeit des Wassers. Die Dichte des Wasser-Feststoff-Gemisches liegt zwischen 1300 und 1700 kg/m3, wobei eine volumetrische Feststoffkonzentration zwischen 20 und 40% erreicht werden kann. Das Fließverhalten kann näherungsweise als newtonisch bezeichnet werden.

Ein Murgang ist eine langsam bis schnell abfließende Suspension aus Wasser, Feststoffen und Holz. Ein Murgang kann sich aus mehreren Murschüben zusammensetzen, die einer bereits ausgebildeten Tiefenlinie folgen und eine typische Bewegungsform sowie charakteristische Ablagerungsformen aufweisen. Die mittransportierten Feststoffe sind unabhängig von der Korngröße über den ganzen Abflussquerschnitt verteilt. Die Dichte des Wasser-Feststoff-Gemisches liegt zwischen 1700 und 2400 kg/m3, wobei eine volumetrische Feststoffkonzentration von 40 bis 70% typisch ist. Das Fließverhalten ist nicht newtonisch.

2.3.3 Ablagerungsprozesse inWildbächen

Die Ablagerungsprozesse sind ein geomorphologischer Prozess, bei dem erodierte und vom Wildbach transportierte Feststoffe (Geschiebe, Wildholz) in bestimmter Form deponiert werden. Die Ablagerung ist eine Funktion des Geländes, des bewegten Volumens und der Stoffeigenschaften. Die während der Ablagerung gebildeten morphologischen Kleinformen werden als „Stumme Zeugen“ [14] bezeichnet und charakterisieren den Verlagerungsprozess.

Sind für Hochwasser bankige Feinsedimente (Bild 10A) charakteristisch, so finden sich bei fluviatilem Feststofftransport sortierte Geschiebefächer und Lappen, die teilweise eine Deltaschichtung (Bild 10B) aufweisen. Ablagerungen von murartigen Prozessen sind bei großer Ungleichförmigkeit unsortiert (Bild 10C). Für Murgänge sind ein U-förmiger Abflussquerschnitt, den Murgang seitlich begrenzende Levees, Murlappen und ein Murkopf aus überwiegend groben Blöcken (Bild 10D) charakteristisch.

Bild 10. Phänomene von Ablagerungsprozessen in Wildbächen: (A) Hochwasser; (B) fluviatiler Feststofftransport; (C) murartiger Feststofftransport; (D) Murgang (aus Hübl [97])

Diese Phänomene sind im Gerinne selbst, aber auch im Überflutungs-, Überschotterungs- oder Übermurungsbereich zu finden (Bilder 11 und 12).

Bild 11. Typische Ablagerungen eines fluviatilen Feststofftransportes (Foto: ASI Landeck)

Bild 12. Typische Ablagerungen eines Murgangs

Eine detaillierte Aufstellung von „stummen Zeugen“ findet sich z. B. in [94, 100, 163].

2.3.4 Charakteristische Kennwerte von Prozessen inWildbacheinzugsgebieten

Tabelle 6. Eigenschaften unterschiedlicher in Wildbacheinzugsgebieten auftretender Prozesse (aus Hübl [95])

2.3.5 Wildholz

In gebirgigen und bewaldeten Einzugsgebieten kann Holz durch Erosion und Rutschungen, durch Lawinen oder durch Sturm (Windwurf) in die Bachgerinne gelangen. Je nach Art und Herkunft spricht man auch von Wildholz, Totholz, Altholz, Lawinenholz oder Nutzholz. Bei Transport durch Wasser im Gerinne werden synonym die Begriffe Schwemmholz, Unholz oder Schadholz verwendet [180].

Bei Wildbachereignissen verursacht Schwemmholz häufig Probleme durch Verklausungen bei Brücken, Durchlässen oder auch natürlichen Engstellen [79]. Die zwei wichtigsten Folgewirkungen sind:

Verklausungen oder temporäre Blockierungen und die damit verbundene Behinderung des freien Abflusses von Wasser und Geschiebe kann die Bildung vonMurgängen begünstigen (Verklausungsbruch),Ausbrechen des Abflusses aus dem Gerinnebereich mit nachfolgender Überschwemmung, Überschotterung oder Übermurung (z. B. am Ablagerungskegel).

Eine andere häufige und unerwünschte Folge bei zu viel Schwemmholz ist das teilweise oder vollständige Verklausen von (teilweise) offenen Geschieberückhaltesperren, wodurch eine beabsichtigte Dosierwirkung bezüglich des Geschiebetransportes während eines Hochwasserereignisses beeinträchtigt oder vollständig unterbunden wird. Im Weiteren kann es dabei auch zur Zerstörung von Brücken kommen, oder das Schwemmholz kann durch Anprall an Gebäuden Schäden verursachen [177].

Um Aussagen über Schwemmholzpotenzial und -menge treffen zu können, sind detaillierte Erhebungen im Einzugsgebiet notwendig, wobei Faktoren wie Waldzustand, Erosionsprozesse, Abflussprofile und Sohlneigung zu berücksichtigen sind.

Größere Transportdistanzen zeigen sich, wenn die Stammlängen kleiner sind als die mittlere Gerinnebreite. Schwemmholz wird in der Regel schwimmend an der Oberfläche transportiert. Nach Rimböck [180] schwimmen Nadelholz, Wurzelstöcke und altes, getrocknetes Holz aufgrund der geringen Dichte fast immer, das schwere Eichen- und Buchenholz dagegen nur selten. Sperriges, stark verzweigtes und ausladendes Holz, wie z. B. ein Wurzelstock, schwimmt erst bei großer Fließtiefe und wird zuvor oft rollend an der Bachsohle verfrachtet. Während des Transportvorgangs wird die Lage des Holzes durch die turbulente Strömung ständig verändert. Oft werden die Hölzer parallel zur Strömungsrichtung ausgerichtet. Beim Transport findet eine Verkleinerung des Schwemmholzes statt. Nach Zollinger [222] kann ein ganzer Baum mit Krone und Wurzelstock beim Transport im Gerinne innerhalb weniger Meter entastet, geschält und in 1 bis 5 m lange Stücke zerbrochen werden.

Ablagerung von Schwemmholz unter natürlichen Bedingungen findet statt, wenn der Abfluss zurückgeht und der Auftrieb und die Strömungskraft für denWeitertransport nicht mehr ausreicht. Nach Ablagerung einzelner Stücke können sich durch weitere Anlagerung von Holzelementen relativ flache Haufen bilden. Beim Transport einzelner, kürzerer Stämme besteht nur eine relativ geringe Verklausungsgefahr, da sich die Stämme leicht längs ausrichten und so die Engstelle passieren können [177].

2.3.6 Bewegungen der Einhänge

Querwerke in Wildbachgerinnen sind oft Einwirkungen von Massenbewegungen ausgesetzt (Bild 14 A1). Diese können aus dem Talzuschub und aus Rutschungen resultieren. Durch den Druck auf die Bauwerke werden diese als Scheiben beansprucht. Die Resultierende der Druckkraft kann annähernd parallel oder unter einem Winkel (α) zur Bauwerksachse verlaufen (Bild 14 B, C).

Bild 13. Ablagerung von Wildholz vor einer Dosiersperre [51]

Bild 14. Seitlicher Hangdruck auf Sperrenbauwerke (schematisch): (A) Ansicht: Bewegungen im Hang; (B) Hauptbewegungsrichtung verläuft annähernd parallel zur Bauwerksachse; (C) Hauptbewegungsrichtung verläuft schräg zur Bauwerksachse

2.3.6.1 Talzuschub

Laut Stiny [200] versteht man unter Talzuschub eine langsame Bewegung steiler Bergflanken unter dem Einfluss der Schwerkraft (Bild 15 A). Die mächtigste Ausprägung findet der Talzuschub in Gesteinen mit geringer mechanischer Widerstandsfähigkeit, aber auch in Hartgesteinen, wenn diese durch intensive, mehrscharige Zerklüftung einen teilbeweglich gewordenen Großkörper bilden. Die einzelnen Teilkörper können durch Gleit- und Rotationsbewegungen die Gesamtmasse in Bewegung bringen. Je nach örtlichen Gegebenheiten kann die Massenbewegung als Kriechen und Sacken, aber auch als Gleiten und Kriechen auf definierten Gleitbahnen erfolgen. Die Geschwindigkeit der Verlagerung ist dabei meist so gering, dass die Vegetationsdecke nicht zerstört wird und am Rande der Massenbewegung keine offenen Risse auftreten. Die Bergzerreißung ist laut Ampferer [3] ein gewaltsamer Bruchvorgang des Gesteins, zumeist nach strukturellen Vorzeichnungen, nicht selten nach hangparallelen Entspannungsklüften (Bild 15 B). Die dabei entstehenden Spalten und Abrisse sind durch tektonische Strukturen vorgezeichnet. Als phänomenologisches Zeichen dieses Bruchvorgangs können die sogenannten Doppelgrate im Anbruchsgebiet angesehen werden. Die Zone der Bergzerreißung weist meist eine konkave Form auf. Der untere Hangteil ist konvex ausgebildet und wölbt sich gegen das Tal hin vor.

Bild 15. Talzuschub: (A) aus Bodenkriechen bei feinkörnigen Böden (Lockergestein); (B) aus Bergzerreißung bei Festgestein (nach Krautner [123])

Bild 16. Geschwindigkeitsverteilung in einem Kriechprofil: (A) kontinuierliches Kriechen; (B) diskontinuierliches Kriechen (Kriechen und Gleiten); (C) translatorisches Gleiten (nach Wullimann [217])

Bild 17. Arten von Rutschungen je nach Ausbildung der Gleitfläche: (A) Rotationsrutschung; (B) Translationsrutschung

2.3.6.2 Rutschungen

Nach Pregl [166] sind Rutschungen Bewegungen zusammenhängender Massen längs einer oder mehrerer Gleitflächen. Die Gleitkörper werden von Gleitflächen, fallweise aber auch von Zugrissen begrenzt. Die bewegte Masse wird hauptsächlich entlang der auftretenden Gleitflächen in mehr oder weniger schmalen Gleitzonen und in eventuellen Dehnungs- (Abriss-) und Stauchungsbereichen verformt. In Letzteren kommt es zu Aufwölbungen und Zugrissbildung. Der Aufwölbungsbereich reicht über das Ende der Gleitfläche hinaus, weil der Gleitkörper am Ende der Gleitfläche auf die Geländeoberfläche aufgeschoben wird.

Die Entwicklung der Gleitflächen erfolgt progressiv. Sie beginnt in den am stärksten beanspruchten Bereichen und pflanzt sich in die benachbarten Bereiche fort. Die Geschwindigkeit der Gleitkörperbewegung nimmt zu, bis schließlich die Rutschung eintritt. Danach kommt der Gleitkörper in einer neuen stabilen Gleichgewichtslage zur Ruhe oder die Bewegung geht in eine Gleit- oder Fließbewegung (Hangmure) über. Nach Wullimann/Schlüchter [217] unterschiedet man zwischen kontinuierlichem und diskontinuierlichem Kriechen und Gleiten.

Ein ähnlicher Mechanismus kann auch in Festgestein auftreten, wobei der Beginn einer Instabilität durch das _ffnen von Klüften einer bestimmten Kluftschar angezeigt wird. In Festgestein entwickelt sich ein progressiver Bruch durch Vergrößerung und Neubildung von Mikrorissen bei Lastzunahme. Aus diesen Mikrorissen bilden sich Makrorisse und durchgehende Bruchflächen.

Nach der Form der Gleitfläche wird zwischen Rotationsrutschungen und Translationsrutschungen unterschieden.

Bei Rotationsrutschungen sind die Gleitflächen mehr oder weniger kreisförmig. Der obere Teil des Gleitkörpers bewegt sich abwärts, der untere hebt sich. Wegen der damit verbundenen Verlagerung des Schwerpunktes des Gleitkörpers nimmt die Standsicherheit im Verlauf der Bewegung zu. Bei Rotationsrutschungen liegt das Verhältnis zwischen der Tiefe und der Länge des Gleitkörpers zwischen 0,15 und 0,30 und es nimmt mit zunehmender Neigung des Hanges zu. Einfache Rotationsrutschungen treten in weitgehend homogenem Untergrund, insbesondere im Ton auf. Mehrfache Rotationsrutschungen treten häufig in überkonsolidierten Tonen oder in Schiefertonen auf, wobei diese von verfestigtem Boden oder Fels überlagert werden.

Bei Translationsrutschungen sind die Gleitflächen mehr oder weniger eben. Translationsrutschungen entstehen oft entlang von Diskontinuitätsflächen wie Schichtgrenzen oder Klüfte. Man kann ebene und räumliche Translationsrutschungen unterscheiden.

Nach Pregl [166] können Rutschbewegungen nach einer verhältnismäßig geringen Bewegung zur Ruhe kommen. Die Gleitkörper können sich aber auch entlang der Gleitfläche oder einer Gleitbahn weiter abwärts bewegen. Charakteristisch dabei ist, dass die Gleitkörper während der Bewegung mehr oder weniger intakt bleiben, dass sich nur weitere innere Gleitflächen ausbilden oder dass sich zumindest keine turbulente Bewegungsform einstellt.

Charakteristische Merkmale von rutschgefährdeten Hängen sind ein unruhiger Geländeverlauf (Mulden, Hohlformen, Buckel, Wellen, Risse), Quellen und wasserführende Schichten und eine Verkrümmung der Baumstämme (Säbelwuchs).

2.3.6.3 Beurteilung der Massenbewegung

Zur Feststellung der von einer Gesteinsbewegung erfassten Masse werden je nach Art und Alter der Bewegung folgende Verfahren angewendet [166]:

– Beurteilung der Geländeform,

– Beurteilung der Form von Baumstämmen (z. B.: Säbelwuchs, Schrägstellung),