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Beschreibung

Die Black Lives Matter-Bewegung hat die Gesellschaft aufgerüttelt und Veränderungen ins Rollen gebracht. Auch in Deutschland. Doch Schwarze FLINT (Frau, Lesbe, Inter, Trans, Nichtbinäre), die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, finden sich selbst und ihre eigenen Geschichten oft nicht wieder. Wie ihre Lebensrealität hierzulande aussieht, welche Coping-Strategien sie anwenden und welche Ziele und Zukunftsvisionen sie sich erträumen, erzählen intim und schonungslos 16 Schwarze FLINT. In ihren Texten brechen sie mit Stereotypen, fordern zum Umdenken auf und erschaffen einen Raum für eigene Identitäten. Dieser Aufruf an die Schwarzen FLINT will nichts weniger, als jungen Menschen ihr "Black Awakening" ermöglichen und einer neuen Schwarzen Generation Flügel verleihen. Mit Beiträgen von: Alice Hasters Anna Dushime AnouchK ibacka Valiente Celia Parbey Christelle Nkwendja-Ngnoubamdjum Ciani-Sophia Hoeder Daddypuss Rex Emilene Wopana Mudimu Fatuma Musa Afrah Jenner Hendrixx Jena Samura Katharina Oguntoye Katya Lwanga Melanelle B. C. Hémêfa Meret Weber Sarah Fartuun Heinze SchwarzRund Shaheen Wacker Stefanie-Lahya AukongoTessa HartWinnie Akeri

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Seitenzahl: 297

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Dieses Buch rüttelt auf. Berührt. Es entzaubert ein Land und imaginiert eine Zukunft, voller Hoffnung und frei von Rassismen. Welche Strukturen erhalten hierzulande ein System, das immer noch ausgrenzt und verletzt? Was ist Colorism? Warum ist Dating als Schwarze Person so verdammt schwer?

In enthüllenden Essays und Geschichten erzählen 20 FLINTA* (Frauen, Lesben, Inter, Nicht-Binäre, Trans, Agender) von ihren Lebensrealitäten in Deutschland, ihren Wünschen und Visionen. Sie brechen mit Stereotypen, fordern zum Umdenken auf und erschaffen einen Raum für eigene Identitäten.

Mal humorvoll, mal schmerzhaft ehrlich: Dieser Essayband ist ein vielstimmiger und beflügelnder Aufruf an die Schwarze Community.

Diese Publikation wurde durch eine Verlagsprämie des Freistaats Bayern 2021 ausgezeichnet.

1. Auflage 2021

Copyright © 2021 &Töchter UG (haftungsbeschränkt), München

Alle Rechte vorbehalten, auch auszugsweise.

Lektorat: Laura Nerbel, &TöchterDesign, Satz: Sigl Affairs, München

eISBN 978-3-948819-52-1

www.und-toechter.de

Schwarz wird großgeschrieben

HERAUSGEGEBEN VON EVEIN OBULOR | ROSAMAG

Evein Rosa Obulor (sie/ihr), geboren 1994, kommt aus einem idyllischen Dörfchen am bayerischen Bodensee. Von dort hat sie ihre Vorliebe für frische Erdbeeren. Sie studierte u. a. Peace and Conflict Studies und verließ den Bodensee für ihren Job als Antidiskriminierungsbeauftragte der Stadt Heidelberg und Koordinatorin der Europäischen Städtekoalition gegen Rassismus. Dort gründete Evein das antirassistische Netzwerk Migration Hub Heidelberg. An manchen Tagen moderiert sie zwei Veranstaltungen gleichzeitig, gestaltet Projekte und Workshops an den Schnittstellen von Kultur, Politik und Bildung und schafft mit dem RosaMag-Team Raum für Schwarze Träume — an anderen Tagen sind Blumen und Serienmarathons ihr Weg, Widerstand gegen rassistische Strukturen zu leisten.

@eveinobulor

Das RosaMag ist ein Online-Lifestylemagazin, das Schwarze FLINTA* und Freund*innen informiert, inspiriert und empowert. RosaMag porträtiert ihre facettenreichen Lebenswelten, mit natürlichen Pflegetipps für Afrolocken, inspirierenden Interviews, mitreißenden Kommentaren und beflügelnden Reportagen — hier werden Schwarze FLINTA* zelebriert! Das Magazin möchte Vorbilder schaffen und Schwarze Diversität zeigen.

Für uns und unsere Geschwister

INHALT

Vorwort

HINTERFRAGEN

Alice Hasters

Who’s Black?

Celia Parbey

Die Sache mit den Privilegien

Meret Weber

Ein Gespräch mit Katharina Oguntoye

ENTSCHLÜSSELN

SchwarzRund

Mein zweites Schwarz

Unverschämt afrolateinamerikanisch

Shaheen Wacker

Wer zählt hier eigentlich?

Anti-Schwarzer Rassismus in Deutschland

OFFENLEGEN

Winnie Akeri

Über Befreiungsschläge, Bleaching Crème und den afrikanischen Weihnachtsmann

Ein Essay über Colorism

Daddypuss Rex

Misogynoire & Me

HEILEN

Emilene Wopana Mudimu

Wie heilend ist Community wirklich?

Ein Brief an mein jüngeres Ich

Jena Samura

Schwarze Erschöpfung

Stefanie-Lahya Aukongo

Licht, Matsch und Hagelperlen

LIEBEN

Christelle Nkwendja-Ngnoubamdjum

Nwa’ni kô’nî

Biografische Liebesbriefe

Anna Dushime

Wir verstehen uns ohne Worte … oder?

Katya Lwanga

Die Bürde unserer Flügel

Dekonstruktion der starken Schwarzen Frau

AnouchK ibacka Valiente

Afrozentrierte Liebe

Ein möglicher Weg, mit uns selbst wohlwollender zu sein

AUSSPRECHEN

Melanelle B. C. Hémêfa

Aya

Meret Weber

Alle wollen die »Guten« sein

Gedanken zum Handeln in weißen Strukturen

Fatuma Musa Afrah und Celia Parbey

United in Action We Can Do Better

Ciani-Sophia Hoeder

Von uns, für uns

WAHRNEHMEN

Jenner Hendrixx

Black & Queer? Das gibt es bei uns nicht!

Sarah Fartuun Heinze

Vom Vergessen & Erinnern

ERTRÄUMEN

Tessa Hart

Die letzte Siedlung

Über die Autor*innen

Glossar

Literatur zum Weiterlesen

Weiterführende Adressen für Schwarze Menschen (und Allies)

Endnoten

»It is not our differences that divide us. It is our inability to recognize, accept, and celebrate those differences.«

»Es sind nicht unsere Unterschiede, die uns trennen. Es ist unsere Unfähigkeit, diese Unterschiede zu erkennen, zu akzeptieren und zu feiern.«

Audre Lorde

VORWORT

Es gibt nicht den einen Moment, in dem die Idee zu diesem Buch entstanden ist. Es waren die vielen kleinen Momente.

Die Momente in der Schule, im Buchladen oder in der Bibliothek, in denen es selten ein Buch gab, das mich als junge Schwarze Frau adressierte, das meine Lebensrealität in der Mitte und nicht am Rand positionierte. Meine Erfahrungswelt fand lange keinen Platz in den Büchern, die mich umgaben und meine Identität prägten.

Es sind aber auch Erinnerungen an die Momente, in denen ich zum ersten Mal Bücher las, die Schwarze Lebensrealitäten in Deutschland ins Zentrum stellten. An das Kribbeln in meinem Bauch als ich Farbe bekennen in meinen Händen halten konnte. Die Dankbarkeit, die ich spürte und immer noch spüre, dass Generationen vor mir widerständig schrieben, Worte fanden und sich ihren Platz erkämpften. Wir stehen auf ihren Schultern und können heute noch weiter blicken.

Der Moment, in dem ich das RosaMag entdeckte und endlich ein Online-Magazin fand, das die Themen Schwarzer FLINTA* (Frauen, Lesben, Inter, Nicht-binär, Trans und Agender*) im deutschsprachigen Raum bespricht und Tipps für meine Haare parat hat. Mit einem Team, das mutig genug war, mit mir zusammen an diesem Buch zu arbeiten.

Auf einer der Black-Lives-Matter-Demos im letzten Jahr habe ich eine junge Schwarze Frau kennengelernt, die sich gerade politisiert und nun die erste Demo ihres Lebens organisiert hatte. Auch Begegnungen wie diese gehörten zu den Momenten, in denen die Idee zu diesem Buch entstand. Ihr hätte ich gerne ein Buch gegeben, das verschiedene Perspektiven auf Schwarzsein eröffnet. Ein Buch, das für sie geschrieben wurde, um sie auf ihrem Weg zu begleiten.

Wenn Schwarze Menschen in Deutschland gehört werden, dann oft als Expert*innen für Rassismus. Wir erklären weißen Menschen, warum es Rassismus gibt, wie er sich zeigt, warum er wehtut und was man dagegen tun kann. Wir müssen unsere Rassismuserfahrungen rechtfertigen. Immer wieder, auch nach den größten Protesten gegen Rassismus, die dieses Land je erlebte. Antirassismusarbeit ist wichtig, wir brauchen sie, aber trotzdem: Sie ist zermürbend. Nur weil wir Schwarz sind, müssen wir nicht alle Antirassismustrainer*innen werden.

Der white gaze macht müde. Er verzerrt den Blick, den wir auf uns selbst haben. Es gibt zu wenige Räume, in denen unser Schwarzsein in seiner Unterschiedlichkeit sichtbar wird und sich entwickeln kann. Schwarze Menschen werden von der Dominanzgesellschaft zu einer homogenen Gruppe gemacht. Der Blick auf unsere Unterschiedlichkeiten ist getrübt. Klischees rund ums Schwarzsein nehmen uns den Platz zum Entfalten.

Dieses Buch macht Platz! Für uns und unsere Geschichten. Es ist von uns für uns. 20 unterschiedlich positionierte Autor*innen erschaffen einen Schwarzen literarischen Raum, in dem wir alles sein können und nichts müssen. Sie sind wohl der zentralste Moment der Entstehung dieses Buches, denn es sind ihre Themen, die Schwarz wird großgeschrieben zu dem machen, was es ist.

Sie laden uns ein, unsere vielseitigen Erfahrungen zu reflektieren und Machtstrukturen auch innerhalb Schwarzer Communities zu hinterfragen. Vielseitigkeit bedeutet deshalb für uns auch, intersektional zu denken, denn die Gesellschaft hält eine Reihe zusammenwirkender Kategorisierungen für uns bereit, zum Beispiel in Bezug auf Geschlecht, Sexualität, Körper oder Klasse.

Die Texte sind Momentaufnahmen, die unsere Realitäten und die Fragen, die wir uns als Schwarze FLINTA* heute in Deutschland stellen, festhalten. Ein Versuch, neben unserem Schwarzen Wissen auch unsere Unsicherheiten miteinander zu teilen und Worte dafür zu finden. Es ist eine Einladung, uns mit unseren Unterschieden auseinanderzusetzen und darüber ins Gespräch zu kommen. Unsere Erfahrungen, Emotionen, Sehnsüchte und Träume zu dokumentieren und damit andere zu inspirieren.

Ich möchte an dieser Stelle aber auch eine Triggerwarnung aussprechen. Denn in diesem Buch schreiben die Autor*innen auch über ihren Schmerz, ihr Trauma und rassistische Gewalt. Dazu gehören Themen wie: Trans- und Queerfeindlichkeit, Polizeigewalt, Colorism, Fettfeindlichkeit, Antimuslimischer und Anti-Schwarzer Rassismus sowie sexualisierte Gewalt.

Abschließend ein paar Worte zur Sprache in diesem Buch: Schon der Titel verweist darauf, dass wir Schreibweisen für wichtig halten. So entschieden sich alle Autor*innen für die Schreibweisen, mit denen sie aus ihrer Sicht die Realität am besten abbilden – und beeinflussen – können. Die Vielzahl der Schreibweisen trägt somit auch der Vielzahl der Perspektiven Rechnung. Vielzahl soll hier aber nicht Beliebigkeit bedeuten: Wir sind der Meinung, dass einiges, wie die Sichtbarmachung geschlechtlicher Vielfalt jenseits des binären Systems, so wichtig ist, dass wir uns zum Beispiel klar zur Verwendung des Gendersterns bekennen. Das Glossar und das Literaturverzeichnis am Ende sollen dem Verständnis mancher Begrifflichkeiten dienen. An dieser Stelle auch ein kurzer Hinweis an die Dominanzgesellschaft. Für euch ist dieses Buch ein Weckruf, die Lebensrealitäten Schwarzer FLINTA* zu respektieren und Deutungshoheit abzugeben. Lasst euch darauf ein.

Zuletzt möchte ich mich bei allen Menschen, die an diesem Buch mitgewirkt haben, von ganzem Herzen bedanken. Allen voran bei den 20 inspirierenden und mutigen Autor*innen. Danke für euer Vertrauen in diesen Prozess. Danke, dass ihr euer Schwarzsein in diesem Buch diskutiert und gemeinsam ein Mosaik Schwarzer Perspektiven erschafft. Danke an Sharonda Quainoo, dass deine Illustrationen dieses Buch noch lebendiger machen. Danke an das RosaMag-Team, für all eure Unterstützung.

Dieses Buch ist für uns. Es ist eine Einladung zu überlegen, wer dieses »Wir« eigentlich ist, wie unterschiedlich sich dieses »Wir« in Wirklichkeit zeigt. Eine Einladung, Schwarzsein im Plural zu denken, Uneinigkeiten zuzulassen und gemeinsam noch einen Schritt weiter zu gehen. Nach all diesen Momenten, die zur Entstehung dieses Buches geführt haben, bleibt jetzt wohl nur noch der Moment des Lesens.

Evein Rosa ObulorHeidelberg, Juli 2021

HINTERFRAGEN

ALICE HASTERS

WHO’S BLACK?

Wenn ich über die Frage nachdenke, wer Schwarz ist, dann lande ich oft bei dieser Erinnerung (und Achtung, sie dreht sich um einen rassistisch konnotierten Begriff):

Ich lief mit meiner weißen Freundin durch den Kölner Hauptbahnhof. Das muss kurz vor oder nach dem Abitur gewesen sein. 2008, 2009. Menschen feierten zu der Zeit gerne in 80er-Jahre-Glitzerleggins zu 90er-Jahre-Pop der nervigsten und nostalgischsten Sorte. Es war spät und von so einer Party kamen wir gerade.

Wir gingen einen langen, schmalen Flur entlang, ein wenig wie ein Catwalk. Uns liefen zwei Schwarze Mädchen entgegen. Für einige Sekunden bewegten wir uns aufeinander zu, genug Zeit also, um sich gegenseitig zu mustern. Als sie an uns vorbeigingen, sagten beide gleichzeitig: »Noch so ein verlorenes Mischlingskind.«

Meine weiße Freundin machte große Augen. Mir fiel die Kinnlade herunter. Sie wusste diesen Spruch nicht einzuordnen. Ich hingegen wusste genau, was sie meinten.

Sie sahen mich, ein Mädchen mit Afrolocken und brauner Haut, Partyglitzer im Gesicht, neben einer weißen blonden Freundin.

Weshalb sie mit hoher Wahrscheinlichkeit folgende Schlüsse zogen: Ich wäre verloren. Ich hätte meinen Schwarzen Vater niemals kennengelernt. Er hätte meine weiße Mutter verlassen, bevor ich ein Langzeitgedächtnis entwickeln konnte. Meine Mutter wäre überfordert gewesen. Ich wäre aufgewachsen mit dem Gefühl, dass mein Schwarzsein falsch sei – eine Last für meine Mutter, für meine ganze weiße Familie, die meine Hautfarbe wie eine Bürde sah, für die ich nichts konnte. Ich hätte mich geschämt, wenn jemand gefragt hätte, wo ich herkäme, denn ich hätte keine Identität außer der deutschen gehabt. Doch die billigte mir niemand zu. Deshalb hätte ich mir gewünscht, ich wäre weiß, wie mein Umfeld. Ich würde versuchen meinem Schwarzsein so wenig Bedeutung wie möglich zuzumessen. Versuchen, dort Platz zu finden, wo ich nicht gewollt wäre. Ich wäre eine wandelnde Identitätskrise, die weder bei Schwarzen noch bei weißen Menschen richtig Anschluss finden würde. Ein Oreo, eine Kokosnuss. Einsam. Verloren.

Ich rollte mit den Augen und schüttelte den Kopf. Nicht allerdings, weil ich ihren Kommentar an sich unmöglich fand. Sondern, weil er aus meiner Sicht nicht auf mich zutraf. Mein Vater ist weiß, meine Mutter ist Schwarz, ich bin mit beiden Elternteilen aufgewachsen sowie mit meiner Schwarzen Großmutter. Ich hatte den US-amerikanischen Pass sowie den deutschen und kannte meine Familie in den Staaten. Mich störte also nicht das Bild des »verlorenen Mischlingskinds« an sich – sondern, dass sie mich mit diesem verwechselten. Ich war also kein bisschen weniger vorverurteilend und hatte dieses Stereotyp genauso verinnerlicht wie die Schwarzen Mädchen, die gerade an uns vorbeigegangen waren.

Es ist leichter zu thematisieren, wie weiße Menschen das eigene Schwarze Selbstbild negativ geprägt haben, als darüber zu sprechen, wie Schwarze Menschen es untereinander getan haben. Zum einen, weil es schwer ist, sich einzugestehen, dass man ebenfalls Anti-Schwarze Narrative verinnerlicht hat und diese weiterträgt. Zum anderen, weil viele Angst haben, dabei rassistische, coloristische Stereotype zu reproduzieren und somit zu verfestigen. Da diese Anekdote aus meiner Perspektive geschrieben ist, könnte man denken, die dark skinned Mädchen seien die Aggressiven, Gemeinen. Diese Geschichte hat also das Potenzial, ein Vorurteil eher zu bestätigen, als es zu dekonstruieren. Das ist nicht meine Absicht. Deshalb betone ich an dieser Stelle noch einmal: Ich dachte als mixed Person genauso stereotypisiert über mixed Kinder wie diese Mädchen. Dass wir diese Vorurteile verinnerlicht hatten, lag daran, dass sie schon älter waren als wir alle. Wir schnappten sie auf, hinterfragten sie (noch) nicht und trugen sie weiter. Außerdem waren wir zu dem Zeitpunkt alle Teenager – und wer als Teenager nicht vollkommen verquere Sachen gedacht und gesagt hat, werfe den ersten Stein. Zudem ist es wichtig, dass uns Schwarzen Menschen genauso Individualität zusteht, wie allen anderen auch. Ich stehe nicht für alle light skinned mixed Frauen. Genauso wie die Mädchen nicht für alle dark skinned Frauen stehen. Das hier ist nur eine Geschichte, eine Wahrnehmung, eine Perspektive über Schwarze Identitäten in Deutschland – und wie sie manchmal aufeinanderprallen.

Diese Geschichte soll ebenso wenig dazu dienen, zu zeigen, dass Colorism »in beide Richtungen« geht. Denn das stimmt nicht. Zwar haben mich diese Mädchen aufgrund meiner helleren Haut beleidigt – aber dieser Spruch, diese individuelle Begegnung spiegelt die strukturellen Machtverhältnisse nicht wider. Das vorab, denn in diesem Text fokussiere ich mich nicht auf Colorism, auch wenn mir bewusst ist, dass er nicht von der Frage ums Schwarzsein zu trennen ist. Aber eins nach dem anderen.

Was mir damals am Hauptbahnhof jedoch bewusst war: Unter Schwarzen gibt es Abstufungen. Aus meiner Sicht waren die Mädchen mehr Schwarz als ich – und ich war mehr Schwarz als die, mit denen sie mich angeblich verwechselten. Doch wie kam ich eigentlich darauf? Wer ist eigentlich Schwarz? Und wie wird Schwarzsein bestimmt?

Ich hierarchisierte Schwarzsein in dem Moment am Bahnhof nach Zugehörigkeitsgefühl und Kenntnis des nicht-deutschen Herkunftslandes. Das machte ich, weil ich mit dieser Einordnung ziemlich gut dastand und mich überlegen fühlen konnte. Die meisten würden Schwarzsein jedoch anders definieren. Viele Menschen würden wahrscheinlich antworten, dass Menschen afrikanischer Abstammung Schwarz sind. Aber das ist nicht präzise, denn viele Menschen aus Nordafrika werden nicht als Schwarz bezeichnet und sehen sich selbst auch nicht so. Außerdem ist es durch eine stetige Migration innerhalb Afrikas und einer Zuwanderung von außerhalb noch schwieriger, »Schwarz« mit »afrikanisch« gleichzusetzen. Andere würden mit dem Phänotyp argumentieren, Schwarz seien diejenigen, die Schwarz aussähen, also Menschen deren Haut- und Augenfarbe dunkelbraun und deren Haare kraus sind. Gegebenenfalls würden auch Gesichtszüge und Körperformen mit ins Gewicht fallen. Bei der phänotypischen Definition würden jedoch auch Menschen aus Südasien und indigene Gruppen aus Australien und Ozeanien in die Kategorie Schwarz fallen. Kulturelle und familiäre Hintergründe würden keine Rolle spielen. Andere wiederum würden historisch argumentieren: Schwarz ist, wer von Menschen abstammt, die von der Kolonialisierung und Versklavung in Afrika negativ betroffen waren. Die Frage ist dann aber, wie hoch der Anteil dieser Nachfahr*innen sein muss? Und gibt es dann eine Hierarchisierung zwischen den Völkern, die versklavt wurden und denjenigen, die mit den Kolonisatoren zusammengearbeitet haben? Und wie genau könnte man das heute noch bestimmen? Klar ist jedoch: All diese Definitionen koexistieren in dieser Welt und je nach Land werden sie unterschiedlich ausgelegt.

In den USA fallen relativ viele Menschen in die Kategorie Schwarz, weil dort während der Versklavung unter anderem die »One drop rule« galt. Laut dieser Regel wurde das Schwarzsein über mehrere Generationen vererbt, selbst wenn der Großteil der Vorfahr*innen weiß war. In Brasilien gibt es zahlreiche Bezeichnungen, um die Rassifizierung von Menschen zu beschreiben. Je nach Region und subjektivem Empfinden können diese Bezeichnungen variieren. In Südafrika galten während der Apartheid mixed Menschen als Colored und nicht als Schwarz. Heute sind Coloreds in Südafrika eine eigene rassifizierte Gruppe. Werden Menschen mit einem weißen und einem Schwarzen Elternteil heute in Südafrika geboren, gelten sie jedoch in der Regel nicht als Colored, sondern als biracial. In Russland werden Menschen mit kaukasischen Wurzeln diskriminierend als Schwarz bezeichnet. Also diejenigen, von denen der englische Begriff Caucasian abgeleitet wird, der in den USA ein Synonym für weiß ist. Es gibt also kein global einheitliches Verständnis darüber, wer in der Kategorie »Schwarz« inbegriffen ist. Es ist kontextabhängig. Vor allem ist es nicht loszulösen von Rassismus. Wer Schwarz ist, wird dadurch bestimmt, wie Rassismus in den jeweiligen Ländern ausgelebt wurde und wird.

Wie ist oder war es also in Deutschland? Schauen wir mal auf die letzten 100 Jahre: Nach dem Ersten Weltkrieg wurde eine intensive, aufwendige Kampagne gegen die Soldaten aus den damaligen französischen Kolonien gefahren, die nach Deutschlands Niederlage das Rheingebiet besetzten. Sie lief unter dem Titel »Die Schwarze Schmach« und sollte Ängste vor dem bösen, triebhaften, brutalen Schwarzen Mann schüren, der sich über weiße deutsche Frauen hermachte. Auch vor der NS-Zeit wurde in Deutschland also bereits von den Schwarzen Menschen als »Gefahr für die weiße Rasse« gesprochen. Weißsein wurde als etwas gesehen, das »pur« und »rein« gehalten werden musste. Die Kinder dieser Soldaten wurden »Rheinlandbastarde« genannt.

Unter den Nürnberger Gesetzen, die 1935 in Kraft traten, wurden Menschen, die nicht als »deutschrassig« klassifiziert wurden, von der deutschen Staatsbürgerschaft ausgeschlossen, außerdem wurde ihnen die Eheschließung mit als deutsch klassifizierten Menschen untersagt. Diese Gesetze betrafen neben jüdischen Personen, Sinti*zze und Rom*nja auch Schwarze Menschen. Reichsinnenminister Wilhelm Frick verfügte 1936 in einem inoffiziellen Schreiben: »Dagegen wird regelmäßig bei einem Mischling mit einem Viertel oder noch weniger artfremdem Blute ein Bedenken gegen die Eheschließung mit einer deutschblütigen Person nicht zu erheben sein.« Die einzige Ausnahme seien Schwarze Menschen, weil das »N****blut« so stark wirke, dass es bis zur 7. oder 8. Generation weitergegeben würde.1

Bei mixed Schwarzen Menschen sei also eine »besonders scharfe Prüfung« notwendig, bevor einer Eheschließung stattgegeben würde.

Nach dem zweiten Weltkrieg wurden die Nürnberger Gesetze zwar abgeschafft, ein Gesetz änderte sich jedoch nicht: War die Mutter weiß und der Vater Schwarz, wurden ihre Kinder nicht als deutsche Staatsbürger*innen anerkannt, weil die Staatsbürger*innenschaft über den Vater weitergegeben wurde. Das betraf nach Kriegsende unter anderem einige Tausend Kinder Schwarzer US-Soldaten. Viele Schwarze Kinder wurden ihren weißen Müttern weggenommen, weil die Mütter rein rechtlich kein Sorgerecht über ihre eigenen Kinder hatten. Diese Kinder kamen in Heime oder wurden in einigen Fällen für Familien in den USA oder Dänemark zur Adoption freigegeben. Deutschland imaginierte man weiterhin als weiß und es gab institutionalisierte Programme, die dieses Bild aufrechterhalten sollten. Jedoch wurde unterschieden: Schwarze Menschen ohne weißes Elternteil waren aus institutioneller Sicht ein Problem, weil sie keine Deutschen waren. Mixed Personen waren ein Problem, gerade weil sie auch Deutsche waren und die Deutschen weniger weiß machten. Schwarze Menschen mit und ohne weißen Elternteil wurden immer wieder daran gehindert, Teil der deutschen Gesellschaft zu werden. Auf der anderen Seite war vor allem der institutionalisierte Rassismus, den sie erfuhren, nicht immer deckungsgleich.

Wie ging es jedoch weiter mit Schwarzen Menschen in Deutschland, nachdem der Rassenbegriff stärker verbannt wurde? Ich erkläre mir die Entwicklung Schwarzer deutscher Communities so, dass sich durch strukturelle Gegebenheiten zwei Stränge ergaben. Zum einen formten sich in den 1980er-Jahren Schwarze Communities vor allem über Nationalität – oder anders gesagt: über einen migrantisierten Kontext. Vermehrt etablierten sich ghanaische, togolesische, eritreische Communities und so weiter, aber auch afrokaribische und brasilianische Communities. Dazu entstanden afroamerikanische Communities vor allem in den Regionen, wo es amerikanische Militärstützpunkte gab. All diese Gruppen waren meistens isoliert, weil sowohl ihre Bewegungsfreiheit als auch die Möglichkeit zu arbeiten häufig rechtlich eingeschränkt waren. Außerdem war ihr Alltag oft von der Unsicherheit geprägt, nicht in Deutschland bleiben zu können. Diese Communities mischten sich je nach kulturellen Gemeinsamkeiten wie Sprache, Essen, Musik, Religion oder Haar- und Hautpflegeprodukten, an Orten wie Afroshops, Restaurants, Clubs, Kirchen oder Moscheen.

Menschen mit weißem und Schwarzem Elternteil, die nur mit dem weißen Elternteil aufwuchsen, hatten meist wenig Kontakt zu diesen Communities. Sie wuchsen isoliert von ihrer Schwarzen Familie und anderen Schwarzen Menschen in Deutschland auf – und vor allem ohne Antwort darauf, was ihre Identität in einem deutschen Kontext bedeutete. Sie waren weniger von Migrantisierung betroffen, also von der Diskriminierungserfahrung als »eingewandert« markiert zu werden. Mixed Kinder sprachen oft keine andere Sprache außer Deutsch und wuchsen kulturell genauso auf, wie weiße deutsche Kinder in ihrem Umfeld. Jedoch waren sie weiterhin, wie andere Schwarze auch, rassifiziert. Aus dieser Position heraus formte sich die Afrodeutsche Bewegung in den 1980er-Jahren. Ein Bewusstsein darüber, dass ein Unterschied zwischen Schwarzen Menschen mit und ohne weißen Elternteil bestand, gab es auch schon zu Anfängen der Afrodeutschen Bewegung. Der Begriff »afrodeutsch« schien vor allem für mixed Schwarze vorgesehen.

In dem Buch Farbe bekennen von 1986 sagt Katharina Oguntoye in einem protokollierten Gespräch mit May Ayim und Laura Baum: »Ich würde mich nicht als weiß bezeichnen, insofern ist es auch nicht ganz korrekt zu sagen, ich sei schwarz.« Und May Ayim meint: »Ich finde den Begriff ›afro-deutsch‹ oder ›afro-europäisch‹ ganz gut. Ich bekenne mich dazu, daß ich anders aussehe, vielleicht mich auch anders bewege, auch aufgrund meiner Herkunft und der dadurch bedingten Lebenssituation in mancher Hinsicht anders denke oder anders fühle, aber ich möchte nicht in eine schwarze oder weiße Schublade gesteckt werden.«

Die Haltung, dass Afrodeutsche nicht Schwarz seien, sondern eine eigene Gruppe, löste sich immer mehr auf, je weiter die Organisationen wuchsen. Das führte jedoch zu folgendem Dilemma: In der Afrodeutschen Bewegung wurde die Perspektive derjenigen mit einem Schwarzen und einem weißen Elternteil priorisiert – und weil sie Literatur, Filme und akademische Arbeiten zu diesem Thema veröffentlichten, wurde ihr Blick zu der dominanten Erzählung über und von Schwarzen Menschen in ganz Deutschland. Es ging vor allem um Fragen der Zugehörigkeit, um Schwarz und weiß als soziale Konstrukte und um das Finden, Entdecken und Aushandeln der eigenen Schwarzen Wurzeln. Weil diese Fragen zentriert wurden, fanden sie oftmals bei afroamerikanischer Literatur und Forschung Anschluss, wo es oft um ähnliche Themen ging. Durch die enge Verzahnung afrodeutscher und afroamerikanischer intellektueller Diskurse, aber auch durch den popkulturellen Einfluss aus den USA, wurde die deutsche Auffassung von »Schwarz« von der US-Perspektive beeinflusst.

Fragen um Zugehörigkeit oder die Suche nach den eigenen Wurzeln schienen Schwarze mit zwei Schwarzen Elternteilen jedoch anders auszuhandeln als mixed Menschen. Es ging weniger um Rassifizierung als Konstrukt, sondern um die tatsächlichen strukturellen Ungerechtigkeiten, wie den erschwerten Zugang zu finanzieller Sicherheit, den Kampf um die deutsche Staatsbürgerschaft und darum, welche Verantwortung die Diaspora gegenüber Menschen in den jeweiligen nicht-deutschen Herkunftsländern hat. Für sie fühlte sich Schwarzsein nicht nach einem Konstrukt an, weil sich ihr Schwarzsein in keinem Kontext verschob. Die Erzählungen darüber finden in der breiten Öffentlichkeit jedoch noch weniger Platz. Und wenn, dann nicht als Themen Schwarzer Menschen, sondern als Themen migrantisierter Menschen, unabhängig von Rassifizierung. Beide Richtungen entwickelten sich über die Jahre weiter – und immer wieder muss ich betonen: Diese Einteilungen sind sehr grob und basieren zum Großteil auf Beobachtungen. Auch weil es keine genaue Datenerhebung über Schwarze Menschen in Deutschland gibt. Natürlich gab es nicht-mixed Personen in der afrodeutschen Bewegung, genauso wie es mixed Schwarze in migrantisierten Communities gab. Natürlich gibt es nicht-mixed Personen, die bei weißen Adoptiveltern aufwachsen und es gibt mixed Personen, die nur mit der Schwarzen Familie aufwachsen oder mit beiden Elternteilen.

Als ich aufwuchs, fühlte ich mich mit meiner Familiengeschichte weder der afrodeutschen Bewegung noch den migrantisierten Schwarzen Communities wirklich zugehörig. Denn meine Familiengeschichte war wenig mit der ihren vergleichbar. Strukturell wurden Schwarze Kinder mit weißen deutschen Müttern stärker diskriminiert als diejenigen mit weißen deutschen Vätern. Wenn ich also diese ganzen Privilegien hatte und dadurch nur abgemilderte Formen von Rassismus erfuhr – warum war ich mir dann meines Schwarzseins so sicher?

Nun, als Teenagerin am Kölner Hauptbahnhof meinte ich zwar, mich von anderen mixed Kindern abgrenzen zu müssen – die Wahrheit ist jedoch, dass vieles bei mir natürlich ganz ähnlich war. Auch ich hatte keine Schwarze Community um mich herum, zu der ich mich zugehörig fühlte. Auch ich sah mich zwischen den Stühlen – zwischen Zugehörigkeitsgefühl und Privilegien. Aber ich hatte das Glück, dass ich nicht allein war. Meine Familie war meine Community. Daher kam auch mein Schwarzes Selbstbewusstsein. Meine Mutter brachte mir bei, mich als Schwarz zu identifizieren und dass mein Mixedsein meinem Schwarzsein keinen Abbruch tun würde. Diese Haltung kam aus ihrer afroamerikanischen Sozialisierung.

Auch heute wird in Deutschland darüber gestritten, wer in die Kategorie »Schwarz« fällt. Vor allem zwei Ansätze scheinen hier aufeinanderzuprallen: Der eine, der Schwarzsein als ein Konstrukt begreift, das sich je nach Kontext – also Perspektive, nationale Geschichte und Sprache – verschiebt. Man ist nicht Schwarz, sondern die Gesellschaft macht eine*n Schwarz. Der andere ist ein essenzialistischer Ansatz, der Schwarz als eine feststehende Kategorie denkt, die unabhängig von Kontext und Gesellschaft ist. Dieser Ansatz lässt jedoch in letzter Konsequenz Rassendenken zu, indem er Schwarzsein auf etwas Biologisches, Unverrückbares zurückführt. Man wird also nicht Schwarz gemacht, sondern man ist es einfach.

Es ist wichtig, über Unterschiede im Schwarzsein zu sprechen. Dazu gehört auch die berechtigte Kritik, dass Erfahrungen von mixed Menschen oft stellvertretend für alle Schwarze Menschen wahrgenommen werden. Jedoch habe ich oft gesehen, wie diese Kritik mit biologistischen Argumenten vermischt wird. Mixed Menschen seien nicht richtig Schwarz, beispielsweise weil sie »weißes Blut« hätten. Hier dreht sich der »One drop rule«-Gedanke um. Als sei Schwarzsein auch etwas, das pur und rein gehalten werden müsse. Das ist gefährlich und ganz einfach falsch.

Um diesen Missverständnissen zu entgehen, brauchen wir eine präzisere Sprache. Und hier sind wir wieder beim zu Anfang beschriebenen Problem: Wir sind uns nicht einig, wie die Kategorie »Schwarz« genau definiert wird. Das liegt aber auch daran, dass die Notwendigkeit für Schwarze Identität durch Rassismus entstanden ist – und Rassismus ist alles andere als logisch. Somit kann es auch keine vollkommen logische Definition von Schwarzsein geben.

Doch es lässt sich wohl kaum aus dem Weg räumen, dass neben sozialen Realitäten auch biologische Faktoren, wie Hautfarbe, Gesichtszüge und Körperbau, eine Rolle im Anti-Schwarzen Rassismus spielen. Anti-Schwarzer Rassismus ist zum großen Teil eine Stigmatisierung des Körpers und wurde stark von Naturwissenschaftler*innen etabliert. Deshalb trifft er dark skinned Menschen immer härter als light skinned Menschen, wenn sie sich in vergleichbaren Situationen befinden. Das muss im konstruktivistischen Ansatz beachtet werden.

Wer ist also Schwarz? Ich habe es immer für eine Errungenschaft gehalten, dass der Schwarze Identitätsbegriff inklusiv ist und somit eine Gegenerzählung zum ausschließendem Weißsein.

Es ist wichtig, dass wir innerhalb von Schwarzen Identitäten Unterschiede und Machtdynamiken nicht unsichtbar machen. Diskurse über Colorism zum Beispiel bedeuten keine Spaltung, sondern sind notwendig, um einen Zusammenhalt weiterhin möglich zu machen. Empowerment sollte nicht in der Verklärung von Schwarzsein ausarten. Und wir müssen zulassen, dass Schwarzsein etwas Dynamisches ist, das sich je nach gesellschaftlichen Strukturen und Haltungen ändern kann. Ich bin dafür, Schwarzsein als Dachbegriff breit zu halten. Genauso bin ich für eine bessere Sprache für die Nuancen des Schwarzseins in Deutschland und Europa, um der Komplexität und Heterogenität unserer Identitäten gerecht zu werden. Diese gemeinsame Sprache können wir nur entwickeln, wenn wir unterschiedliche Perspektiven mit einbeziehen.

Es scheint ein Tauziehen zwischen strukturellen Privilegien von light skinned und mixed Menschen auf der einen und Deutungshoheit über Zugehörigkeit von dark skinned Menschen auf der anderen Seite zu geben. Doch je mehr wir uns bei diesem Kampf verausgaben, desto mehr vergessen wir, dass es vor allem weiße Menschen sind, die uns diese Probleme überhaupt eingebrockt haben. Unsere Freiheit ist abhängig voneinander und somit ist Solidarität, Verantwortung und Unterstützung unabdingbar. Frei nach Audre Lorde: Auch wenn unsere Kämpfe nicht immer die gleichen sind – wir sind nicht frei, wenn nicht alle von uns frei sind.

CELIA PARBEY

DIE SACHE MIT DEN PRIVILEGIEN

Sommer 2020. Der Mord an George Floyd und die daraus resultierenden Protestbewegungen machten Schwarze Menschen weltweit so sichtbar wie nie zuvor. Auch in Deutschland sah man uns plötzlich überall. Wochenlang prägten wir die mediale Berichterstattung. Schwarze Menschen, sie wurden zu Panel-Talks eingeladen, schrieben Leitartikel und forderten strukturelle Veränderungen ein, in einem Land, das ihre Existenz lange ignoriert hatte.

Im Sommer 2020 wurden Schwarze Lebensrealitäten endlich sichtbar. Oder etwa nicht? Wie Aktivist*innen in den sozialen Medien bemerkten, waren nicht all unsere Lebensrealitäten in den Medien vertreten. Wer genauer hinschaute, konnte erkennen, dass ganz bestimmte Stimmen den öffentlichen Diskurs ums Schwarzsein prägten. Es waren und sind immer noch die Stimmen von Menschen, die ein Schwarzes und ein weißes Elternteil haben. Menschen, die biracial sind. Es sind Stimmen wie meine.

Mein Vater stammt aus Lomé, der Hauptstadt Togos, und meine Mutter ist in Göttingen, Niedersachsen, geboren. In Berlin besuchte ich eine französische Schule. Dort war ich umgeben von Afrikaner*innen, die direkt vom Kontinent nach Deutschland gekommen waren. Junge Menschen aus Burkina Faso, aus Gabun und der Demokratischen Republik Kongo. Für sie war ich vor allem eins: Togolesin. Aber Schwarz war ich nicht, sondern métisse. Das französische Wort für M****ling. Der Hintergrund dieses Begriffs ist ähnlich gewaltvoll wie im Deutschen. In Frankreich aber wurde er von der breiten Masse akzeptiert, auch von Schwarzen Menschen, auch von mir. Für meine weiße Mutter waren mein Bruder und ich ihre Schwarzen Kinder. Warum? 1986 erschien Farbe bekennen. Darin schufen afrodeutsche Frauen in wissenschaftlichen Texten, Lyrik und autobiografischen Erzählungen ein Zeugnis Schwarzer Lebensrealitäten in Deutschland. Meine Mutter las das Buch und es prägte sie. Sie übernahm die Selbstbezeichnung Schwarze Deutsche, die May Ayim, Katharina Oguntoye, Abenaa Adomako und viele mehr in Deutschland wählten. »Schwarz« als politische und kulturelle Identität – keine vermeintlich biologische Realität. Wenn Leute mich fragten, was ich sei, erklärte ich stets, ich sei Togolesin und Deutsche. So hatte es mir mein Vater beigebracht.

In den sozialen Medien wird regelmäßig heftig diskutiert, ob Menschen mit einem weißen und einem Schwarzen Elternteil überhaupt Schwarz sind. Eine Frage, die ich nicht beantworten kann. Die Auseinandersetzungen zeigen: Von einem Konsens sind wir weit entfernt. Ich kann nicht sagen, ob es in Ordnung ist, wenn biracial2 Schwarze Menschen sich lediglich Schwarz nennen. Was ich aber tun kann, ist, darüber nachzudenken, inwiefern ich in meinem Leben von meinem eigenen Weißsein profitiert habe.

DIE MACHT DES WEISSSEINS

Der europäische Kolonialismus schuf eine Hierarchie, die weiße Menschen an die Spitze stellt und Schwarze Menschen ganz nach unten. Das bedeutet: Biracial Schwarze Menschen haben einen Vorteil, wenn einer ihrer Eltern weiß3 ist. Ich erinnere mich an den Moment, in dem mir bewusst wurde, dass Schwarze Menschen unterschiedlich behandelt werden. Es war im Urlaub in Lomé. Ich muss sechs Jahre alt gewesen sein. Als ich an der Hand meiner Oma über den Markt Assigamé eilte, um die Zutaten fürs Abendessen zu kaufen, und die Blicke meiner Landsleute mich auf jedem Schritt begleiteten. »Yovovi, Yovovi« riefen sie mir auf Mina über den gesamten Markt hinterher. Kleine Weiße. Bis dahin hatte mich noch nie jemand weiß genannt. Und wenn mich in Deutschland Blicke verfolgten, geschah es nicht mit Begeisterung. Die Kinder der Nachbarschaft wollten unbedingt mit mir spielen. Ich war etwas Besonderes, weil ich aus Europa angereist war, aber auch weil meine Haut heller war als ihre. Wie sehr die Macht des Weißseins über nationale und kontinentale Grenzen hinausgeht – hier merkte ich es zum ersten Mal.

Auch in anderen Momenten in meinem Leben profitierte ich davon, eine weiße Mutter zu haben. Der Rassismus, den ich mit ihr an meiner Seite erlebte, war ein anderer als der Rassismus, der mir mit meinem Schwarzen Vater entgegenschlug. Mit meiner Mutter wurde ich in der Berliner U-Bahn wohlwollender angeschaut: Was für ein süßes kleines Schokokind – Café au lait. Mit meinem Vater erntete ich viel aggressivere Reaktionen. Auch das N-Wort fiel regelmäßig. Vor einem Jahr sprach ich mit meiner Freundin Kelly darüber. Kelly ist ein Jahr älter. Sie ist, wie ich, Berlinerin und nur ein paar Kilometer von mir entfernt aufgewachsen. Ihre Eltern kamen beide in den 1980er-Jahren aus Ghana nach Deutschland. »Meine Eltern sind Schwarz und sprechen nicht so gut Deutsch. Sie konnten mich in der Schule nicht so schützen und verteidigen wie weiße Elternteile. Diesen Vorteil hatte ich nicht.« Schwarze Kinder werden in diesem Land systemisch diskriminiert. Deutschland hat ein Rassismusproblem, das sich auch in unseren Bildungsinstitutionen widerspiegelt. Eltern, die selbst das deutsche Schulsystem durchlaufen haben, können ihre Kinder besser unterstützen und schützen. Auch ein deutscher Nachname kann ein Vorteil sein. Studien belegen, dass Menschen mit einem ausländisch klingenden Namen auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt diskriminiert werden.4

Viele junge Schwarze Menschen in Deutschland sind Kinder von Migrant*innen aus der ganzen Welt. Vor allem Eingewanderten aus dem sogenannten Globalen Süden wird es hier schwer gemacht. Bis heute werden sie mit einer ausufernden Bürokratie konfrontiert, einer besonders komplizierten Verwaltungssprache und undurchschaubaren Gesetzen für Ausländer*innen. So nebenbei müssen sie sich auch noch mit dem strukturellen Rassismus rumschlagen, den viele aus ihren Herkunftsländern nicht kennen. Geflüchtete und Menschen ohne Aufenthaltstitel sind in ihrer Existenz besonders bedroht, was die Kinder oft zuerst trifft.

Nicht wenige Schwarze Menschen sind in diesem Land von Armut und massivem Klassismus betroffen. Ihnen wird der soziale Aufstieg systematisch verbaut. Achtung, und das ist mir wichtig, ich möchte auf gar keinen Fall suggerieren, dass biracial Schwarze Menschen alle wohlhabend seien. Genauso liegt es mir fern zu behaupten, alle Schwarzen Menschen seien mittellos. Meine These lautet aber, dass biracial Schwarze Menschen in ihrer Mehrzahl in diesem Land finanziell und manchmal auch rechtlich bessergestellt sind. Vor allem wenn sie durch ihren weiß sozialisierten Elternteil Zugang zu generationsübergreifendem Wohlstand haben. Ich persönlich musste als Kind nie Briefe von Ämtern für meine Eltern übersetzen oder vor Ort dolmetschen. Im Gegenteil, meine Mutter half mir gelegentlich sogar bei den Deutschhausaufgaben. Dadurch durfte ich länger Kind sein. Meinen Zugang zu weißen Räumen, meine Sprache in diesen Räumen, die sozialen Spielregeln für Deutschland lernte ich vom weißen Teil meiner Familie. Wie Networking mit weißen Menschen funktioniert beispielsweise. Hinzu kommt, dass sich nach meinem Empfinden weiße Menschen von mir weniger bedroht fühlen. Colorism, Featurism und Texturism spielen hier die entscheidende Rolle. Das sind Auswüchse von Rassismus, die wir in unseren Communities genauso vehement bekämpfen müssen wie im Umgang mit weißen Menschen. Schließlich sind es strukturelle Probleme, die uns je nach Hautfarbe, Gesichtszügen oder Haarstruktur andere gesellschaftliche Zugänge ermöglichen.

MEHR ALS NUR DAS INDIVIDUUM

Der Reflex, die eigene Leidensgeschichte zu erzählen, wenn man auf seine Privilegien aufmerksam gemacht wird, ist der Versuch, ein strukturelles Problem zu individualisieren. Wenn wir auf unsere Privilegien angesprochen werden, reagieren light skinned biracial Menschen oft mit Abwehr, teils sogar mit Angriff. Wir flüchten uns dann in die Erzählungen unserer Einzelschicksale. »Weder Schwarze noch weiße Menschen haben mich je wirklich akzeptiert« ist ein Satz, der in Diskussionen von biracial Schwarzen Menschen immer wieder fällt. »Du willst mir nur mein Schwarzsein absprechen«, »Du spaltest die Community«, »Aber wir sind doch alle Schwarz« sind weitere Beispiele. Das eigene Weißsein anzunehmen, bedeutet nicht, unser Schwarzsein auszulöschen. Das ist unmöglich, schließlich ist es ein Teil von uns. Für mich bedeutet es lediglich die Realität meiner Existenz zu akzeptieren, völlig wertungsfrei. Manche von uns können sich nicht aussuchen, ob sie Schwarz sind oder nicht. Unsere Möglichkeit, zwischen den Zuschreibungen zu wechseln, ist ein Privileg in sich.

Studien aus den USA und Großbritannien lassen erahnen, wie sich das strukturelle Privileg von biracial Schwarzen Menschen auch in Deutschland manifestieren könnte. So fanden Forscher*innen in den USA beispielsweise heraus, dass es eine Art biracial Schönheitsstereotyp gibt. Allein zu sagen, dass ein Mensch biracial ist, verändert dessen Wahrnehmung in den Augen vieler Menschen. Laut Studie gilt diese Person dann direkt als »interessanter« und »schöner«.5 Das kann eine unglaublich unangenehme Fetischisierung mit sich bringen, ist aber nicht vergleichbar mit den diskriminierenden Stereotypen, mit denen Schwarze Menschen mit zwei Schwarzen Elternteilen teilweise belegt werden. Auch betrifft uns Anti-Schwarzer Rassismus in der Regel nicht genauso stark. So besagt eine Studie aus Großbritannien, dass Schwarze Frauen ein viermal so hohes Risiko haben, bei der Kindesgeburt zu sterben, wie weiße Frauen. Bei Frauen mit einer sogenannten Mixed-Ethnicity ist das Risiko »nur« dreimal so hoch.6 Der institutionelle Rassismus in der Medizin trifft uns alle, aber er trifft uns nicht alle im gleichen Maße. Das Argument, Schwarze Menschen mit Schwarzen Eltern würden Communities spalten, wenn sie diese Unterschiede betonen, lenkt gefährlich weit ab. Wie können wir behaupten, unser Ziel sei die Schwarze Befreiung, aber gleichzeitig denen nicht zuhören, die auch innerhalb unserer Communities am meisten unterdrückt werden? Wenn Geschwister uns sagen, dass sie sich durch uns nicht repräsentiert fühlen, in ihrer Lebensrealität sogar ausgelöscht, dann wünsche ich mir, dass Schwarze Menschen mit einem weißen