Schwert und Smaragd - Bianca M. Riescher - E-Book

Schwert und Smaragd E-Book

Bianca M. Riescher

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Beschreibung

Bereit für ein romantisches Sword & Sorcery Abenteuer? Dann begleite eine tapfere Kriegerin und einen frechen Söldner auf ihrer spannenden Reise durch das Waldland und die Wüste von Dschanor. »Das darf doch nicht wahr sein. Jetzt sitze ich in der Vergangenheit fest, bin hungrig, durstig und stinke, nachdem ich tagelang Eure Gefangene war. Und dann erfahre ich auch noch, dass Ihr kein Geld bei Euch habt.« »Du hast vergessen zu erwähnen, dass wir gezwungen sind, zu laufen.« Kann es noch schlimmer kommen? Das fragt sich die Kriegerin Lisaan, die sich auf Geheiss der Götter zusammen mit dem Söldner Tareq auf eine abenteuerliche Mission begibt: Es gilt das verlorene Schwert des Kriegsgottes zu retten! Wie bedrohlich dieser Auftrag wird, finden die beiden schon bald auf ihrer Reise durch Waldland und Wüste heraus. Reichen ihr Mut und ihre Liebe aus, um gegen Zwietracht und mannigfaltige Gefahren zu bestehen? Denn am Ende geht es nicht nur darum, Dschanor vor schändlichen Verrätern, sondern auch sich selbst zu retten. Die Romane Mitternachtsrot und Yenayas Smaragd neu bearbeitet und zusammengefasst in einem Band.

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Bianca M. Riescher, Jahrgang 1969, Autorin abenteuerlicher Fantasy-Geschichten, lebt mit ihrer Familie in der Schweiz. Ihr Debütroman Mitternachtsrot erreichte im Jahr 2016 die Finalrunde für den von der Phantastischen Akademie vergebenen Literaturpreis SERAPH. Die studierte Geographin interessiert sich für Ur- und Frühgeschichte und ist leidenschaftliche Bogenschützin. Aus diesen Bereichen schöpft sie Inspiration für die von ihr geschaffenen fantastischen Welten.

Mehr Informationen über die Autorin: www.biancamriescher.ch

Inhalt

Prolog

1 Auf Patrouille

2 Der Trijan

3 Wortgefechte

4 Die Schicksalsgöttin

5 Enthüllungen

6 Ein Nachtquartier

7 Widrigkeiten

8 Die Große Barriere

9 Das Tor zur Wüste

10 Durch die Leere

11 Die Dscha’Saïf

12 Eingeständnisse

13 Am Brunnen von Sham’Sa

14 Nächtliche Begebenheiten

15 Eine fatale Begegnung

16 Erkenntnisse

17 Der Heilige Berg von Saïfa’Har

18 Bangen und Hoffen

19 Eskalationen

20 Abschied

21 Heimkehr

22 Verwirrungen

23 Die Ebene von Harash

24 Der Gefangene

25 Verhandlungen

26 Fragen und Zweifel

27 Auf der Jagd

28 Ratschläge und Visionen

29 Widrigkeiten

30 Begegnungen

31 Erinnerungen

32 Kein Entkommen

33 Eine Nacht im Wald

34 Anschuldigungen

35 Verhängnisvolles Opfer

36 Bei J’Dara

37 Yenayas Quelle

38 Erbitterte Feinde

39 Aufbruch

Epilog

Glossar

Prolog

Stumm kehrte er seinem bisherigen Leben den Rücken zu, verließ das Zelt und trat in die sengende Sonne hinaus. Geblendet blieb er stehen, bis sich seine Augen an die Helligkeit gewöhnten. Er verfluchte die Weite der Großen Ebene, in die sie ihn verbannt hatten. Letztlich kam es einem Todesurteil gleich, denn im Umkreis von drei Tagesritten gab es keine Wasserstelle. Wenig hatten sie ihm gelassen: sein Schwert, sein Kamel und Wasser für einen Tag; nicht genug, um sich an eine trügerische Hoffnung zu klammern, zumal er die Wüste und ihre Schrecken kannte. Die Hitze. Den Durst. Die Einsamkeit.

Der gesamte Clan versammelte sich, um ihn gehen zu sehen. Er hörte weder Flüstern noch Fluch. Der Urteilsspruch der Ältesten war unabänderlich. Nichts konnte ihn retten.

Von jetzt an besaß er keine Verwandten, keine Freunde, keine Zukunft.

Er bestieg sein Kamel und ritt in die Ebene hinaus.

Nach drei Tagen unter der glühenden Sonne bedeutete für ihn jede Bewegung zermürbende Qual. Dickflüssig rann das Blut durch seine Adern. Er ließ sein Mehari niederknien, stieg ab und trank den letzten Schluck Wasser. Neben dem Dromedar rammte er sein Schwert in den Sand und spannte eine Decke darüber, um unter diesem Sonnenschutz die heißesten Stunden des Tages zu verschlafen. Er lehnte mit dem Rücken an seinem Reittier und träumte von den grässlichen Athiraat, den seelenlosen Dämonen der Wüste, die ihn in die Irre führten. Sie griffen mit ihren Krallen nach seinem Herzen, um es herauszureißen und zu verschlingen.

Er erwachte aus dem abscheulichen Traum, als die Sonnenscheibe hinter dem Horizont verschwand. Die Luft kühlte merklich ab und belebte seinen Willen mit neuer Kraft. Er musste aufbrechen. Denn wenn er noch diese eine Nacht durchstand, gelang es ihm vielleicht, den nächsten Brunnen zu erreichen, und er würde dem gnadenlosen Glutofen der Großen Ebene und den grauenerregenden Athiraat entkommen.

Er brach das notdürftige Lager ab und bestieg sein Dromedar. Im Licht des vollen Mondes sah er in der Ferne die Umrisse des östlichen Gebirges. Dort lag sein Ziel, dort gab es Wasser. Er verbannte alle Gedanken aus seinem Kopf und passte sich dem wiegenden Schritt seines Kamels an, das dem Weg instinktiv folgte.

Im Morgengrauen stießen drei Reiter auf Spuren im Sand. Sie saßen auf hochbeinigen Meharis, wie sie bei den Stämmen der Großen Ebene gezüchtet wurden und als die schnellsten und ausdauerndsten Vertreter ihrer Rasse galten. Mit verhüllten Gesichtern und gekleidet in die wallenden Gewänder der südlichen Clans verriet ihre Bewaffnung, dass sie keine harmlosen Reisenden waren. Neben den Schwertern führte jeder Lanze, Dolch, Pfeil und Bogen mit sich. Sie musterten den Horizont, wohin die Spur weiterführte, und als die Sonne höher stieg, erkannten ihre scharfen Augen in der Ferne ein reiterloses Kamel.

Nach kurzer Beratung ritten sie langsam auf das fremde Dromedar zu. Mit zunehmender Helligkeit sahen sie den Mann, der im Sand lag. Sie saßen ab und einer von ihnen trat näher an den regungslosen Körper heran.

Auf Patrouille

Bei Yenayas Augen! Hoffentlich komme ich nicht zu spät.« Mit einem Ruck richtete Lisaan sich im Bett auf. Das dumpfe Echo des Tempelgongs, der sie geweckt hatte, hallte durch die schlafenden Gassen von Tamai.

Bei den neun Höllenringen! Herzhaft gähnend befreite sie sich aus ihrer Decke. Warum muss ich ausgerechnet heute Kindermädchen für die Jungfüchse spielen?

»Mmmmh?«, brummte ihr Bettgefährte Komlaar schläfrig, raffte die Felldecke an sich und rollte auf die Seite. »Musst du schon aufstehen?«

»Ja. Brektaar schickt mich mit den Frischlingen auf Patrouille.« Seufzend überließ sie ihrem Liebhaber das warme Bett und blieb auf der Kante des Lagers sitzen. Eine kribbelnde Gänsehaut überzog ihren nackten Körper. Die rußige Flamme der Talgkerze, die sie anzündete, beschien die spärliche Ausstattung ihrer Kammer: ein Tisch, ein dreibeiniger Hocker und eine Truhe mit geöffnetem Deckel.

Lisaan blickte durch das schmale Fenster nach draußen. Es war noch dunkel, aber anhand der Sterne, die allmählich verblassten, erkannte sie, dass es nicht mehr lange dauerte, bis die Sonne aufging. Die Luft roch feucht und modrig und sie ahnte, dass der Tag so unangenehm bleiben würde, wie er anfing. Sie stand auf, streckte ihre steifen Muskeln und griff, mit einem bedauernden Blick auf das Lager und ihren Liebhaber, zur Waschschüssel. Das eiskalte Wasser belebte erneut das Frösteln, vertrieb aber zumindest den letzten Rest Müdigkeit. Sorgfältig flocht sie ihr langes Haar. Sie brauchte eine Weile, bis sie aus dem wirren Haufen, der den Inhalt der Truhe bildete, ihre Kleidung herausgesucht hatte, und nahm sich vor, wie jeden Morgen, dass sie abends ihre Sachen ordentlicher verstauen wollte.

Sie warf das leinene Unterhemd über und schlüpfte in die Wollhose, die einen Hauch von Wärme erahnen ließ, bevor sie auch das wollene Hemd überzog. Beim Anlegen des Schwertgurtes störte der dicke Zopf, doch sie hing an ihrer Mähne und hatte sich bisher erfolgreich davor gedrückt, sich eine zweckmäßigere Haartracht zuzulegen.

Aus ihrem zerwühlten Bett drang Komlaars Schnarchen. Lächelnd zerzauste sie seine halblangen Haare und drückte ihm einen Kuss auf die Stirn. »Danke für die Nacht. Du findest ja alleine raus«, flüsterte sie und ließ ihn weiterschlafen.

An diesem schauderhaften Tag wollte sie auf keinen Fall auf ihren Umhang verzichten, in den sie sich im Hinausgehen einhüllte. Die Kerze. Sie hastete zurück, blies sie aus und stürmte wieder hinaus. Ein prüfender Griff zum Schwert, ein kurzes Herausziehen und zurück in die Scheide – es ging so mühelos wie immer. Mit einem Schlag warf sie die massive Holztür ihres Häuschens zu, das im Wesentlichen nur aus Schlafstube und Kochplatz bestand. Sie trabte durch eine von niedrigen Holzhäusern flankierte Gasse. Lisaan hetzte um eine letzte Hausecke und betrat den Platz vor dem Tempel der Kriegsgöttin Yenaya. Aufatmend bemerkte sie, dass sie vor den Jungfüchsen am Treffpunkt war, und kicherte in sich hinein. Was sie wohl zu ihrem morgendlichen Dauerlauf sagten, wenn sie davon wüssten? Sie gähnte und nahm sich vor, am nächsten Morgen früher aufzustehen, um nicht in ihre übliche Hektik zu verfallen.

Der Wind zerrte an ihrem Überwurf. Die Flamme der Fackel am Tempeleingang loderte heftig auf, und verzerrte Schatten tanzten auf den Fassaden der Häuser, die den kaum fünfzig Schritte durchmessenden Platz säumten.

Lisaan wickelte den Umhang enger um ihren schlanken Körper und sehnte sich nach ihrem warmen Bett, einem reichhaltigen Frühstück oder zumindest einem Becher heißen Weins. Sie tigerte auf und ab, um durch die aufgezwungene Untätigkeit nicht auszukühlen, rieb ihre vor Kälte steifen Finger und stampfte mit den Füßen ein paar Mal kräftig auf. Bei Yenaya, wo bleiben die Faulpelze nur? Warum hatte sie die dünnen Reitstiefel anstatt ihrer Fellstiefel angezogen? Ihre Zehen verwandelten sich in Eiszapfen.

Vielleicht sollte ich mich nicht länger sträuben und doch Priesterin werden? Dann müsste ich nicht mehr vor Sonnenaufgang aufstehen. Und vor allem nicht in der Kälte auf diese verfluchten Drückeberger warten. Lisaan blies warme Atemwölkchen auf ihre steifen Finger. Oder heiraten? Ja, das wäre auch eine Möglichkeit. Ihr Cousin Brektaar war nicht abgeneigt. Und Komlaar, ihr aktueller Liebhaber auch nicht. Sie schüttelte den Kopf. Auf eine Ehe konnte sie verzichten. Besser frieren, als freiwillig Freiheiten aufgeben. Sie stieß mit der Fußspitze einen Kieselstein aus dem Weg und setzte ihre Wanderung vor dem Tempelportal fort.

Im Osten legte sich blasse Helligkeit über die bewaldeten Hügel, als die drei Langschläfer endlich angeschlichen kamen, mit müden Augen, schlampig herunterhängenden Schwertern und zerknitterten Gesichtern. Erst als sie Lisaan sahen, strafften sie die hängenden Schultern und beschleunigten ihre Schritte.

»Schneller, ihr fauler Haufen!« Ihre Gereiztheit half, die Müdigkeit aus ihrer Stimme zu verbannen, obwohl sie sich genauso angeschlagen fühlte, wie ihre Schüler aussahen. »Macht die Pferde bereit! Wir wollen aufbrechen.«

Die säumigen Langschläfer eilten um den Tempel herum auf die Rückseite, wo sich der Stall befand. Rasch sattelten sie die Pferde, kurz darauf saßen sie auf und die Patrouille setzte sich in Bewegung.

Entlang der Gassen, durch die sie ritten, drängten sich die Holzhäuser von Tamai. In der zunehmenden Helligkeit schauten von den Giebeln der Häuser vertraute Schnitzereien auf die Reiter herab. Die dämonischen Fratzen der Ninaasu, die als Schutzgeister kunstvoll in das alte, fast schwarze Holz eingearbeitet waren, begrüßten die ersten Frühaufsteher. So wie Lisaan die frische Morgenluft einsog, belebte diese auch ihre tiefe Verbundenheit mit Tamai, das im Grunde den Namen Stadt nur verdiente, weil seine Ansammlung von nicht mehr als fünfzig Hütten und dem steinernen Tempel, mit einem hölzerner Palisadenzaun umschlossen war. Und wie die hölzerne Mauer die Hütten behütete, beschützte Lisaan die Menschen, die in ihnen lebten, als stolze Kämpferin im Dienste der Kriegsgöttin Yenaya, der allgewaltigen Herrin über das Waldland.

Noch ein kurzer Gruß für die Wache am Nordtor, dann ritten sie hindurch und befanden sich sofort zwischen den niedrigen Bruchsteinmauern, die die vor der Stadt liegenden Felder in winzige Parzellen teilten. Der Nachtfrost schimmerte auf dem ersten zarten Grün des Frühlings. Bis sie den Wald erreichten, belästigte sie der schneidende Wind. Lisaan verspürte, wie auch ihre Begleiter, nicht die geringste Neigung, eine Unterhaltung zu beginnen, und alle vergruben ihre Gesichter tiefer in ihre Umhänge. Schweigend ritten sie in den Wald und entgingen zwischen den Bäumen den unerträglichen Windböen. Lisaan entspannte und rieb ihre immer noch klammen Hände aneinander.

Die Hufe der Pferde klangen dumpf auf dem Waldboden. Lisaan nickte befriedigt, denn mittlerweile war jegliche Müdigkeit verschwunden, sowie sich auch die Stimmung ihrer Schützlinge allmählich verbesserte. Die angehenden Krieger unterhielten sich jetzt leise hinter ihr, und ab und an hörte sie sogar ein unterdrücktes Lachen.

Lisaan bemerkte ein leichtes Knacken im Gebüsch. Ihr Pferd spitzte die Ohren, und auch sie lauschte aufmerksam. Das Unterholz des Waldes trug noch keine frischen Blätter, aber Büsche und Bäume standen dicht zu beiden Seiten des Hohlweges, durch den sie gerade ritten. Sie kniff die Augen zusammen und spähte in den Wald. Unwillkürlich fuhr ihre Hand an das Heft des Schwertes, nur um zu prüfen, ob es sich noch an seinem Platz befand. Alles war, wie es sein sollte. Nichts regte sich im Dickicht.

Halt, was war das?

Ein Zweig knackte, diesmal direkt neben Lisaan. Ihre durch die Jahre des Kampfes geschärften Sinne hatten sie nicht getrogen. Doch zu spät! Zehn oder zwölf verschleierte Männer schienen gleichsam aus dem Waldboden emporzuwachsen. Sofort drangen die Angreifer auf sie und die jungen Krieger ein.

Lisaan zog ihr Schwert und ihre Stimme durchschnitt die Stille. »Rückzug!«

Obgleich unerfahren reagierten ihre Schützlinge ohne Zaudern auf das Kommando, rissen ihre Pferde herum und flüchteten.

Lisaan blockierte den Fluchtweg und richtete ihre volle Aufmerksamkeit auf die Angreifer: Trijan. Räuber. Söldner.

Mit einer Drehung ihres Schwertes streckte Lisaan den ersten Gegner nieder. Der Stahl drang zwischen Hals und Schulter in seinen Körper ein. Sie fühlte den Widerstand von Muskeln und Knochen, die ihre Waffe zerteilte. Das Blut ihres gesichtslosen Angreifers sickerte in sein dunkles Gewand. Der Trijan knickte ein, kippte mit dem Rücken an einen Baum und starb. Seine gebrochenen Augen beobachteten als stumme Zeugen Lisaans nächste Attacke.

Sie trieb ihre Stute mitten in die Gruppe der Feinde und ihr Kampfschrei gellte durch den Wald, als sie einem der Angreifer den Schädel spaltete. Mit einem Ruck befreite sie ihr Schwert, und der Mann sank schwerfällig zu Boden. Lisaan ließ ihr Pferd steigen und riss es auf der Hinterhand herum. Die Trijan wichen den Vorderhufen aus, sodass sie kurzzeitig Raum für ihre Klinge gewann. Sie griff an, verteidigte sich, doch die Krieger bedrängten sie unermüdlich. Eine Mauer aus Stahl, Leibern und verhüllten Gesichtern schloss sie ein. Ein Dritter bekam ihre Waffe zu spüren. Er taumelte durch einen Stich in seinen Oberkörper zurück. Der Verwundete tastete nach der Verletzung und betrachtete die rote Feuchte auf seiner Hand. Er schüttelte den Kopf, hob sein Schwert und verlor das Gleichgewicht, fiel und blieb in einer sich ausbreitenden Blutlache liegen.

»Lisaan!« Ihre Schützlinge waren außer Gefahr und riefen ihren Namen, um es sie wissen zu lassen. Nicht mehr lange und sie warnten Tamai vor einem Angriff der Trijan. Lisaan atmete auf. Die Jungen und hoffentlich auch Tamai befanden sich in Sicherheit, aber ihr eigenes Schicksal war besiegelt. Mit wütender Entschlossenheit schlug sie um sich. Je mehr Feinde sie mit sich in den ewig grünen Wald nahm, umso besser. Sie wusste, bald würde sie den von ihr getöteten Angreifern Gesellschaft leisten. Einer der Trijan durchbohrte ihre Stute mit dem Schwert. Das Tier zitterte und knickte mit den Vorderbeinen ein. Ihr Stiefel verfing sich im Steigbügel und steckte verdreht in der Schlaufe. Yenaya hilf! Der schwere Körper des Pferdes begrub ihr linkes Bein. Sie hielt die Männer mit ihrer blanken Klinge auf Distanz. Vergebens. Ein hochgewachsener Krieger trat auf ihr Handgelenk und blockierte ihren Schwertarm. Das Letzte, was sie sah, war das Heft eines Schwertes, das über ihrem Kopf schwebte.

Die Dunkelheit lichtete sich und Nebel waberte vor ihren Augen. Lisaan würgte, und begleitet von heftigen Kopfschmerzen kam schleppend die Erinnerung zurück. Diese Nachwehen des Hiebes auf ihren Kopf beseitigten die letzten Zweifel: Ich lebe!

Sie lag bäuchlings im Schlamm. Die Hände auf dem Rücken fest verschnürt. Ihr Knie fühlte sich geschwollen an und schmerzte.

Was wollt ihr von mir? Sie verkrampfte sich, als sie daran dachte, wie die Trijan sich ihrer Feinde entledigten. Ihr Vater hatte erzählt, dass sie die gefangenen Krieger Ikash’Kasan opferten.

Sie köpften ihre gefallenen Gegner oder schnitten ihnen Zeichen ins Gesicht, um sie für ihren grausamen Kriegsgott zu kennzeichnen, wie Lisaan selbst es auch schon gesehen hatte. Die Frauen ihrer Feinde versklavten, schändeten oder verkauften sie. Kommt das auf mich zu? Vergewaltigt oder als Sklavin verschachert? Nun, womöglich beides. Furcht zog ihre Eingeweide zusammen und sie zitterte nicht nur der Kälte oder der schmerzhaften Hiebe wegen, mit denen die Männer sie großzügig unter lautstarkem Gelächter bedachten.

»Schluss mit den Schlägen!« Der Anführer trat in den Kreis der Söldner, die sofort einen Schritt von Lisaan zurückwichen. »Ah, da ist ja unser Fang. Wie viele waren bei ihr?«

»Drei. Kaum erwachsen. Sind geflohen, als wir sie angriffen«, erklang eine raue Stimme.

»Geflohen? Ihr solltet alle außer der Frau beseitigen.« Der Sprecher klang gereizt.

»Sie hat Taklit, Rutul und N’dschal getötet.« Der Mann mit dem heiseren Tonfall begleitete seine Worte mit einem Tritt in Lisaans Rücken. Noch mehr Schmerzen.

»Tatsächlich?«

»Glaube mir. Sie kämpft gut.« Nach einer kurzen Pause sprach der Raue weiter: »Es wäre einfacher gewesen, wenn du uns erlaubt hättest, sie sofort zu töten oder Bögen zu benutzen.«

»Haktar, du überraschst mich. Eine Ausrede?«

»Keine Rechtfertigung, Tareq, nur eine Feststellung.«

»Das wird sich herausstellen. Schafft sie in mein Zelt! Ich bin neugierig, was sich mit unserer Beute anfangen lässt.« Das Lachen der Männer zeigte deutlich, was auf Lisaan zukommen sollte. »Sobald ich mit ihr fertig bin, ziehen wir weiter. Sieh zu, dass bis dahin alles vorbereitet ist, Haktar.«

Zwei der Söldner schleiften Lisaan durch das Lager. Sie linste unter ihren Lidern hervor. Ihr erschien es ungefährlicher, diese Männer hielten sie für bewusstlos, als sie sich ein Bild von dem Lagerplatz und ihrer Situation machte.

Ein halbes Dutzend Zelte stand halbkreisförmig angeordnet neben einer Flussbiegung. Lisaan sah von ihrer Position aus die Pferde. Die Tiere grasten hinter dem letzten Zelt auf der linken Seite. Sie zählte zwanzig Krieger – nein, keine ehrenhaften Krieger, sondern Söldner, die zu allem bereit waren, wenn der Preis stimmte; die jederzeit angreifen konnten und die keinen Angriff zu scheuen brauchten. Seit Ewigkeiten plünderten die Trijan rücksichtslos die Karawanen, die durch die Große Ebene zogen, um in K’Mar, der großartigen Stadt am Meer, ihre Waren zu verkaufen. Diese Söldner waren weit weg von den Handelsrouten. Ein bisschen viel Aufwand für die Erbeutung einer einzigen Sklavin. Lisaan zweifelte daran, dass sie sich auf einem simplen Beutezug befanden. Zuweilen bedienten sich verfeindete Clans bezahlter Kämpfer, aber zurzeit gab es mit anderen Kreedan keine Auseinandersetzungen, die ein solches Vorgehen erklärten. Was wollt ihr hier? Vier strategisch geschickt aufgestellte Wachen behielten sogar die Flussschleife im Auge, obwohl von dieser Seite mit keinem Angriff zu rechnen war, da die tückische Strömung an der Engstelle ein natürliches Hindernis bildete. Eine Flucht aus dem Feldlager schien unmöglich. Aber vielleicht gelang es ihr, die Pferde zu erreichen. Sobald sie auf dem Rücken eines guten Tieres säße, würde sie alles wagen, um zu entkommen.

Die Männer warfen Lisaan in das größte der Zelte und sie landete auf einem Teppich. Zumindest lag sie jetzt nicht mehr in dem feuchten Dreck, der überall an ihr klebte.

Die beiden zogen sich lachend zurück. Ihr blieb bestimmt nicht mehr viel Zeit, bis der Besitzer des Zeltes kam. Mit auf den Rücken gefesselten Händen gelang es ihr, aufzustehen.

Sie blickte sich um: Ein Sattel und ordentlich zusammengelegte Kleidungsstücke lagen auf dem Teppich. Intensiver Pfefferminzgeruch ging von einem Tablett aus, das auf dem Boden stand; darauf befanden sich ein Kohlebecken, eine Metallkanne und – Lisaan staunte – vier Becher aus Glas. Noch nicht einmal der Tempel besaß Gefäße aus diesem seltenen Material. In der Mitte des Zeltes gab es ein Lager aus kostbaren Fellen und Decken. Die prächtigen, gestickten Muster auf der Kleidung und den Tüchern kümmerten sie nicht. Etwas anderes erregte ihr Interesse: Auf der aufwendigen Bettstatt lag ihr Schwert. Zuerst diese Fesseln loswerden.

Begehrlich sehnte sie sich nach dem kalten Stahl und bemühte sich, ihn aus der Scheide zu ziehen, um die Stricke zu durchtrennen. Dann sehen wir weiter. Wie sie zu den Pferden und aus dem Lager entkommen konnte, erschien im Moment zweitrangig, gemäß dem Leitspruch ihrer Mutter: Löse ein Problem nach dem anderen.

Der Trijan

Tareq lehnte im Schatten an einem Zeltpfosten und betrachtete mit verschränkten Armen die verzweifelten Anstrengungen seiner Gefangenen. Den Rücken ihm zugewandt bugsierte sie das Schwert mit ihren steifen Fingern in eine geeignete Position und verlor sofort wieder den Halt. Eine Weile sah er zu, wie sie immer wieder die scharfe Schneide der Waffe ergriff, die ihr kurz darauf entglitt. Er betrachtete das Profil der Frau. Sie spannte die Kiefermuskeln an und presste die Lippen aufeinander. Die Beharrlichkeit, mit der sie den Versuch fortsetzte, die Fesseln loszuwerden, hinterließ einen nicht geringen Eindruck bei ihm. Mit einem geschmeidigen Ruck löste er sich von dem dunklen Hintergrund.

Die Frau fuhr herum.

»Es ist die Mühe nicht wert. Selbst wenn es dir gelingt, die Stricke durchzuschneiden, aus dem Lager kommst du nicht lebend hinaus.«

Sie nickte. »Ich weiß.«

Die Arme immer noch vor der Brust verschränkt, begann er um die Frau herumzuschlendern. Ein amüsiertes Lächeln umspielte seine Lippen.

Er sah, wie sie ihn aus den Augenwinkeln genau beobachtete, und folgte ihren Blicken zu seinem Schwert und Dolch, die er wie alle Trijan an einem ledernen Gürtel über seinem schwarzen, bis zu den Knöcheln reichenden Übergewand trug. Mit zwei raschen Schritten trat er ans Bett, nahm ihre Waffe und wog sie anerkennend in der Hand.

»Eine gute Klinge«, murmelte er. »Dein Schwert?«

Sie bejahte seine Frage mit einem kurzen Senken ihres Kopfes.

»Natürlich deines.«

Er begann sie erneut zu umkreisen und betrachtete aufmerksam ihre schlanke Gestalt. Sie hat die kräftigen Schultern und festen Handgelenke eines Schwertkämpfers. Er nickte bestätigend. Vielleicht hat Haktar doch die Wahrheit gesagt. Obwohl er es zuerst kaum glauben wollte, denn die kreedanischen Kriegerinnen, die er bisher gesehen hatte, trugen ihr Haar kurz geschnitten. Seine Gefangene hingegen besaß eine lange, dunkelblonde Mähne.

Ihm gefiel, wie sie ihn frech anstarrte, das Kinn kämpferisch vorgereckt, und ihre selbstsichere Haltung trotz der Fesseln und ihres verschmutzen Äußeren behielt. Aber er bemerkte auch ihre geweiteten Pupillen und ihr blasses Gesicht. Umso mehr beeindruckte ihn, wie sehr seine Gefangene darum bemüht war, ihm ihre Angst nicht zu zeigen.

»Ich möchte zu gern wissen, ob du tatsächlich so gut kämpfst, wie meine Männer behaupten.«

»Gebt mir mein Schwert und findet es heraus!«, erwiderte sie herausfordernd.

Nach einer weiteren Umrundung blieb er hinter ihr stehen. Sie zuckte zusammen, als er sie mit der Hand an der Schulter berührte. Ein Tritt in die Kniekehlen zwang sie zu Boden. Er kitzelte sie mit dem kalten Stahl ihrer eigenen Klinge im Nacken.

»Vielleicht wäre es klüger, dich sofort zu töten.« Er bohrte die Spitze in ihre Haut und etwas Blut tropfte hervor. Der herbe Duft ihres Haares stieg in seine Nase, als er sich zu ihrem Ohr beugte. »Was ist so außergewöhnlich an dir, dass er deinen Tod möchte?«, flüsterte Tareq.

»Wer will meinen Tod?«

Er ignorierte ihre Frage. »Ich muss wissen, ob Haktar mich belogen hat. Ich will dich kämpfen sehen.« Mit einem raschen Schnitt durchtrennte er ihre Fesseln.

Die Kriegerin stand unbeholfen auf, rieb sich die Handgelenke und dehnte mit kreisenden Armbewegungen die Schultermuskeln.

Als sie ihr Knie betastete, presste sie die Lippen noch trotziger aufeinander.

Er runzelte die Stirn. Sie ist verletzt. Trotzdem warf er ihr das Schwert zu, das sie geschickt auffing, bevor er seine eigene Klinge aus der Scheide zog.

»Was geschieht mit mir, wenn ich Euch töte?«

Er lachte. »Dann kannst du gehen.«

»Und Eure Krieger? Werden die mich auch gehen lassen?«

»Falls du mich in einem ehrlichen Kampf besiegst? Ja.«

»Wieso sollte ich Euch trauen, Trijan?«

Tareq amüsierte ihr frecher Ton. »Dir bleibt kaum eine andere Wahl.«

»Ich habe bisher von keinem Söldner gehört, der ein Versprechen gehalten hat.« Sie führte den ersten Schlag in seine Richtung, dem er gewandt auswich. Das vorsichtige Abtasten des Gegners begann.

»Wir sollten aber noch klären, was ich bekomme, wenn ich dich besiege.«

Die Kriegerin zuckte mit den Schultern. »Nichts. Von mir bekommt Ihr freiwillig nur meine Klinge in Euer Herz.«

Tareq lachte herzhaft. »Nicht schlecht, aber ich habe einen besseren Vorschlag: Ich lasse dich leben und du wirst meine neue Sklavin. Mir steht der Sinn nach etwas Abwechslung.« Mit einem raschen Ausfall trieb er die Frau einen Schritt zurück. »Ich kann es gar nicht erwarten, deine Dienste in Anspruch zu nehmen«, provozierte er sie. »Bisher hat sich mir keine Kreedan verweigert.«

»Dann seht Ihr jetzt die Erste vor Euch«, erwiderte sie.

»Wir werden sehen, wer wessen Schwert zu spüren bekommt. Lass uns kämpfen und nicht reden.«

Lisaan bewunderte seine vorzügliche Waffe, die er in Angriffsposition über dem Kopf hielt, und die schlanker und biegsamer als ihr eigenes Schwert aussah. Die weiten Ärmel seines Gewandes rutschten zurück. Muskeln und Sehnen zeichneten sich deutlich an den bloßen Unterarmen unter der gebräunten Haut ab. Wie seine Fähigkeiten als Schwertkämpfer aussahen, würde sich bald zeigen. Allerdings überragte er sie fast um Haupteslänge und sie schätzte seine größere Reichweite ein. Zudem musste sie davon ausgehen, dass er über höhere Körperkraft verfügte.

Aber Lisaan war schnell. Sehr schnell. In zahlreichen Kämpfen konnte sie ihre geringere Stärke Männern gegenüber durch Gewandtheit ausgleichen und Yenaya, die Göttin des Krieges, stand ihr immer hilfreich zur Seite. Abgeklärt und zu allem entschlossen trat sie ihrem Feind entgegen. Seine funkelnden Augen erinnerten sie an den ungestümen, leidenschaftlichen Kriegsgott des schonungslosen Wütens. Ihr Gegenüber glich Ikash’Kasan, dem barbarischen, grausamen Gott der alten Zeiten, den selbst die Kriegsgöttin des Waldlandes, seine einstige Gefährtin, fürchtete. Die Selbstsicherheit, die jede seiner knappen und kontrollierten Bewegungen ausstrahlte, verhieß einen ernstzunehmenden Gegner.

Im Gegensatz zu seinen Männern hatte er sich nicht verhüllt und zeigte offen seine harmonischen Gesichtszüge. Die Augen wirkten fast schwarz, ebenso wie der gepflegte Bart und das kurze Haar. Sollte sich die Grausamkeit eines Söldners nicht in seinem Äußeren zeigen? Oder war es einfach nur ungewohnt, einem Trijan direkt ins Gesicht sehen zu können? Für einen Barbaren sah er jedenfalls viel zu kultiviert aus.

Er schenkte Lisaan ein Lächeln, und sie erkannte, dass er um seine Wirkung auf Frauen wusste. Diesen Trijan durfte sie auf keinen Fall unterschätzen.

Der Kampf begann. Sie blockte seine erste, harte Attacke, indem sie ihr Schwert emporriss und seine Klinge kurz vor ihrem Gesicht aufhielt. Ohne Zweifel, er betrachtete sie als gleichwertige Kämpferin und war darum umso mehr zu fürchten. Sie lösten sich voneinander und umkreisten einander auf einer imaginären Linie, die sich in der Enge des Zeltes auf sechs Doppelschritte beschränkte. Dem nächsten Schlag wich Lisaan aus, und der Trijan traf das Holz des Pfostens, das unter seinem Schwert splitterte. Sie nutzte seine kurzzeitig fehlende Deckung aus und stieß zu. Verflucht. Ihre Klinge verfehlte seine linke Seite und schlitzte nur den weiten Ärmel auf. In der kurzen Atempause trat er einen Schritt zurück und betrachtete den Riss in seinem Übergewand.

»Zumindest meine Kleidung hast du schon besiegt.« Er lachte und griff erneut an.

Lisaan wich seinen hart aufeinanderfolgenden Schlägen aus, ihr verletztes Knie gab nach und sie stolperte über das Tablett auf dem Boden. Die wertvollen Gläser zerbrachen unter ihren Stiefeln. »Nachher, als meine Sklavin, wirst du als Erstes hier aufräumen. Schade um die Gläser. Ich fand sie recht praktisch.«

»Zu zerbrechlich, um wirklich brauchbar zu sein.«

»Da hast du allerdings recht.« Er griff an, parierte, zog sich zurück, immer wieder.

Lisaan begriff, dass er sie durch dieses ständige Angreifen und Zurückziehen ermüden wollte. Er spielt mit mir, wie eine Katze mit einer Maus. Aber an mir wirst du ersticken. Der Zorn erneuerte ihre Kraft.

Ihr lief der Schweiß in die Augen. Sie nutzte jede Pause, um mit dem Ärmel über die Stirn zu wischen. So verteilte sie Schmutz und bald auch Blut aus einer Wunde am Arm in ihrem Gesicht.

Die Müdigkeit besiegte Lisaan. Selbst Wut und Angst schenkten ihrem Schwertarm keine Stärke mehr. Sie umklammerte krampfhaft das Heft und betete: Göttin, hilf mir!

Tareq sah ihre Schwäche, triumphierte, nutzte sie aus und bedrängte sie heftiger.

»Gib auf, meine Schöne!«

Die Kriegerin schüttelte den Kopf. »Ihr müsst mich schon töten, damit ich aufgebe.« Sie schlug zu und streifte seine Seite. Er bemerkte, dass er seine Deckung vernachlässigte, und vergrößerte den Abstand zu dieser herrlichen Frau. Widerstrebend gab er zu, dass sie hervorragend kämpfte. Mit ihrer anmutigen Haltung und ihrem verführerischen Tanz mit dem Schwert brachte sie ihren geschmeidigen Körper begehrenswert zur Geltung. Er wollte dieses ungebändigte Geschöpf nicht töten, zu sehr verabscheute er die Verschwendung von Eleganz und Können. Zumal sich das Spiel umso reizvoller entwickelte, je mehr sie sich wehrte. Und seine Strategie zeigte Erfolg. Die Paraden kamen unsauber. Sie stolperte, fand das Gleichgewicht wieder und strauchelte erneut.

Darauf hatte er gewartet. Ja. Gut so. Greif an. Verteidige dich. Gib nicht auf. Ich will spielen. Zeig mir, wie du kämpfst. Er spürte ihren eisernen Willen, nicht versagen zu dürfen, und wenn er sich nicht vorsah, würde das Spiel mit dieser ebenbürtigen Gegnerin allzu bald in Ernst umschlagen. »Du kämpfst gut. Ich bin neugierig. Bist du genauso gut im Bett?« Kraftvoll schlug er ihre Klinge beiseite und nutzte ihre fehlende Deckung aus. Sie erstarrte, als die Spitze seines Schwertes ihre Kehle berührte.

Der Moment der Erkenntnis dauerte nur kurz. Furcht und Unglaube spiegelten sich in ihren hinreißend grünen Augen. Lächelnd trat sie einen Schritt auf ihn zu. O nein. So leicht betrügst du mich nicht um meinen Sieg. Er ahnte, was sie beabsichtigte und nahm die Klinge zur Seite, bevor sie sich in ihren Hals bohrte. Damit verwehrte er ihr den letzten Ausweg der Verzweifelten und bedeutete ihr mit der Klingenspitze, vor ihm niederzuknien. Jede Hoffnung schien aus ihrem Körper herausgesogen; ungelenk sank sie zu Boden, was ihn daran erinnerte, dass sie verletzt war. Er löste das Schwert aus ihrer Hand und sie ließ es geschehen. Sorgfältig legte er alle Waffen außerhalb ihrer Reichweite ab und baute sich vor der Frau auf. »Sieh mich an!«

Trotzig gehorchte sie und hob den Kopf.

Er lächelte sie an. Für ihn war das Spiel noch nicht vorbei. »Du hast dich gut geschlagen.« Tareq senkte seine Stimme, neugierig, wie sich die Kriegerin bei seinem nächsten Zug verhalten würde. »Wenn du dich nicht wehrst, wird es einfacher für dich.« Sich vor ihr auf ein Knie niederlassend, hob er die Hand zu ihrer Wange. Kurz bevor er sie berührte, zuckte sie zurück. »Bedauerlich«, kommentierte er ihre Reaktion leise und legte seine Hand an ihre Kehle.

Sie stemmte sich gegen seine Brust. Sinnlos. Seiner körperlichen Stärke konnte sie nichts entgegensetzen. Tareq erhöhte den Druck. Sie krallte ihre Fingernägel in seinen Arm, griff nach seiner Hand, versuchte seine Finger auseinanderzubiegen, um den Druck auf ihren Hals zu beseitigen. Vergebens. Unnachgiebig hielt er sie fest, legte seine andere Hand um ihre Taille.

Ah, eine widerspenstige Katze, die mir ihre Krallen zeigt. Mal sehen, wie weit ich mit dir gehen kann. »Küss mich!«, forderte er.

»Nein!« Sie schien kaum Luft zu bekommen, röchelte und schlug gegen seinen Arm.

»Schade, meine Schöne. Dann werde eben nur ich mich vergnügen.« Mit einem Schmunzeln presste Tareq seine Lippen auf ihren Mund. Sie schmeckte salzig nach Blut und Schweiß. Der unerwiderte Kuss lockte den unbezähmbaren Schatten des Kriegsgottes in ihm hervor. Unvermittelt endete das Spiel, und der Drang, sie zu besitzen, überwältigte ihn. Verblüfft von seiner eigenen Reaktion, lockerte Tareq den Griff um ihren Hals ein wenig.

Wütend flackerten ihre grünen Augen, während sie sich aus seiner Umarmung herauszuwinden versuchte. Er spürte die Angst und die Wut und den Ekel, die sie ausstrahlte.

So weit wollte er das Spiel nicht treiben. Nein. Dich auf diese Weise zu nehmen, ist pure Verschwendung. Er seufzte enttäuscht, rang das Brennen in seinem Inneren nieder und schob die Lust des Kriegsgottes, die vergeblich protestierte, beiseite. Tareq ließ sie los und stand auf.

»Zu deinem Glück ist es für mich nicht besonders befriedigend, eine Frau zu vergewaltigen.« Er steckte sein Schwert in die Scheide. »Vielleicht versuchen wir es später noch einmal. Möglicherweise änderst du ja deine Meinung und ich komme doch noch zu meinem Siegpreis aus unserem kleinen Spiel.«

Unvermittelt lachte Tareq lauthals auf. »Fast wollte ich Haktar nicht glauben, aber du kämpfst tatsächlich gut. Ich muss ihm unbedingt erzählen, dass du ihm das Leben gerettet hast. Es wäre aber auch zu schade gewesen, ihn einer Lüge wegen töten zu müssen. Normalerweise leistet er hervorragende Arbeit.«

Tareq sah aus dem Augenwinkel, wie Haktar den Vorhang am Zelteingang zur Seite schob und eintrat. Respektvoll wartete Haktar, bis Tareq sich von der knienden Frau abwandte und ihn durch ein Nicken zum Reden aufforderte.

»Ein paar Kreedan zeigen sich am Waldrand. Sie haben einen Boten geschickt. Ihr Anführer verlangt, dich zu sprechen.«

Überrascht hob Tareq eine Augenbraue. »Krieger? Wie viele?«

»Dreißig Reiter. Keine Gefahr für uns. Sollen wir angreifen?«

»Nein, ich werde mich mit ihm treffen«, entschied er nach kurzem Zögern. Er zerrte die Frau auf die Beine und stieß sie vor das Zelt. »Ich schätze, dass er deinetwegen verhandeln will.«

Die Krieger aus Tamai hielten sich eine Bogenschussweite entfernt vor dem Lager auf. Ihr Anführer löste sich von der Gruppe und blieb auf halbem Weg zum Zeltlager stehen. Außer Hörweite beider Seiten wartete er auf Tareq, während die kreedanischen Bogenschützen ihrem Unterhändler mit eingelegten Pfeilen Deckung gaben.

Tareq gab seinen Kriegern einen Wink, sich bereit zu halten, hielt es aber nicht für erforderlich, sie ebenfalls zu ihren Waffen greifen zu lassen. Sie würden aufmerksam jede Bewegung beobachten und bei Bedarf auch ohne seinen direkten Befehl sofort handeln.

Gelassen schritt Tareq auf den Kreedan zu, der, soweit er sich erinnern konnte, Brektaar hieß. Kurz darauf hatte er den Treffpunkt erreicht.

»Was willst du?«, fragte Tareq, der keine Höflichkeiten an den Kreedan verschwendete. »Möchtest du dich vergewissern, ob wir unseren Auftrag ausgeführt haben?« Je schneller er ihn wieder loswurde, umso besser.

»Das ist ja wohl offensichtlich nicht der Fall. Ihr habt die drei Grünschnäbel entkommen lassen«, antwortete Brektaar. »Meine Leute erwarten jetzt Vergeltung. Für den Überfall und für das Leben der Kriegerin.« Sein Blick schweifte über das Zeltlager und blieb an der Frau kleben, die er anscheinend trotz der Entfernung erkannte. »Warum lebt sie noch?«, fuhr er Tareq an.

»Was kümmert es dich? Unser Handel sah nur vor, dass sie verschwindet.« Er sah den Kreedan direkt an und dehnte die Pause vor seinem nächsten Satz noch ein wenig länger aus. »Ich habe beschlossen, dass sie nicht stirbt.«

Eine tiefe Röte schwappte über Brektaars Wangen.

Sieh an, das ärgert dich wohl? Noch ein Grund mehr, um sie nicht zu töten.

Der Kreedan schnappte nach Luft. »Lisaan muss sterben!«

Lisaan? Tareq lächelte. Ein guter Name für eine Kriegerin.

»Ich habe für ihren Tod bezahlt.«

Wenig genug, kleine miese Ratte. »Gib uns mehr! Sie hat drei meiner Krieger getötet.«

»Das war euer Risiko.«

»Wie ich das sehe, bist du mir drei Leben schuldig. Da du mir nicht mitgeteilt hast, wie außerordentlich gut diese Frau mit einem Schwert umgehen kann, werde ich dir die Männer zusätzlich berechnen.«

»Der Betrag war mehr als angemessen!«

Tareq musterte Brektaar abschätzig. »Überleg dir vorher, was du sagst. Wir könnten als Entschädigung dein schäbiges Dorf angreifen. Meine Krieger freuen sich immer, wenn sie den ausstehenden Lohn persönlich abholen dürfen.«

»Sollen sie es doch versuchen.«

»Glaubst du ernsthaft, dein armseliger Haufen kann einen Angriff meiner Krieger abwehren?« Mit einem Lächeln winkte er in Richtung der Kreedan. Hinter ihnen verließen zwölf trijanische Bogenschützen ihre Deckung im Wald. Mit gezogenen Bögen gingen sie in Stellung und ließen keinen Zweifel daran, dass ihre Pfeile in den Kreedan stecken würden, bevor einer von ihnen an Gegenwehr auch nur denken konnte.

Brektaar fuhr erschrocken herum, als er die Bogenschützen sah.

»Hältst du mich für so naiv, dass ich bewaffnete Reiter so nah an meinem Lager dulde, ohne vorbereitet zu sein? Erst sterben deine Krieger hier und dann ist Tamai fällig.«

Brektaars Schultern verkrampften. Seine Faust schloss sich um den Schwertgriff.

»Ist eine Sklavin es wert, dafür alle deine Krieger zu opfern? Mir ist es egal, wie viele Kreedan ich töte. Dir auch?«

Brektaars Augen verengten sich.

»Es ist deine Entscheidung. Entweder du bezahlst mehr oder …«

Die Sehnen an Brektaars Hals traten hervor, als er nickte. »Ihr bekommt Euer Silber … wenn Ihr mir zusichert, dass Lisaan ein für alle Mal verschwindet.«

»Sie ist recht hübsch. Ein bisschen mager, um einen wirklich hohen Preis zu erzielen. Aber vielleicht behalte ich sie auch für mich selbst.«

Auf Brektaars versteinertem Gesicht erschien der Anflug eines Lächelns. »Als Sklavin? Das klingt … akzeptabel.«

Tareq unterdrückte den Drang, den Kreedan gleich hier und jetzt niederzuschlagen. Er ekelte ihn an. »Haktar wird zum üblichen Treffpunkt kommen, um die Bezahlung abzuholen.«

»Meine Rache kostet mich mehr als ich gedacht habe. Sei’s drum. Ich hoffe, Ihr haltet wenigstens jetzt Euer Wort.«

Tareq drehte sich wortlos um, ließ den Anführer der Kreedan stehen und schritt langsam ins Lager zurück.

»Haktar, das nächste Mal sieh zu, dass niemand überlebt«, warnte Tareq seinen Vertrauten. »Dein Leichtsinn hat uns nicht nur drei Männer gekostet, sondern auch ziemlich viel Zeit. Ganz abgesehen davon, dass ich diesen Kreedan unerträglich finde. Wenn Brektaar uns noch einmal anheuern will, lehne ab! Verstanden?«

»Ja, Tareq. Ich werde dich nicht noch einmal enttäuschen.«

»Das hoffe ich, denn es täte mir leid, dich zu verlieren.«

»Wenn ich fragen darf: Warum soll die Frau am Leben bleiben?«

»Nur eine Sicherheitsvorkehrung. Ein hervorragendes Druckmittel, falls uns Brektaar in die Quere kommt. Und sie gefällt mir. Doch genug davon. Haktar, wir brechen auf. Ich möchte hier nicht noch mehr Zeit vergeuden. Nimm dir fünf Krieger und triff dich mit dieser heimtückischen Ratte.« Er schmunzelte. »Wir erhalten eine großzügige Nachzahlung für das Verschwinden der Frau.«

Mit einem kurzen Senken des Hauptes bestätigte Haktar den Befehl.

Lisaan sah ihre Waffenbrüder Komlaar und Tamat heftig gestikulierten, die mit Brektaar sprachen. Ihre Hoffnung, dass wenigstens Komlaar nichts unversucht ließe, sie zu retten, zerstob zu verzweifeltem Nichts. Entsetzt beobachtete sie, wie ihre Kampfgefährten und ihr Liebhaber letztendlich doch die Pferde bestiegen. Sie haben mich aufgegeben?

»Feiglinge!« Ihr Schrei verebbte ungehört und ihr blieb nichts weiter, als ihnen nachzusehen, bis der letzte der Reiterkette im Wald verschwand. Erst nachdem niemand mehr zu sehen war, verließen die trijanischen Bogenschützen ihre Posten und halfen, die Zelte abzubauen.

Zwei von Tareqs Kriegern mühten sich unterdessen, Lisaan zu bändigen. Einer der beiden umfasste ihren Oberkörper. Sie lehnte sich gegen ihn, um dem anderen in die Leiste zu treten. Der Erfolg war nur von kurzer Dauer und sie handelte sich eine Ohrfeige ein. Der Mann presste ihre Arme fest an den Körper, klemmte ihre Füße ein und brachte sie aus dem Gleichgewicht, indem er sie nach vorne kippte. Unter dem Gesichtsschleier schnappte der andere immer noch nach Luft und hatte Schwierigkeiten aufrecht zu stehen. Trotzdem schaffte er es, ihr die Hände zu fesseln. Beide hoben sie auf ein Pferd. Lisaan war besonnen genug, sich jetzt nicht mehr zu sträuben. Einen Sturz aus dieser Höhe zu riskieren, barg die Gefahr, sich ein Bein oder einen Arm zu brechen. Derart leichtfertig wollte sie sich die Möglichkeit zur Flucht nicht verderben.

Tareq stieg hinter Lisaan auf das Pferd. Mit seinem linken Arm umschlang er ihre schmale Taille und rückte sie an sich, bis kein Abstand mehr zwischen ihnen war. Sie schauderte vor seiner harten, eindeutigen Reaktion auf ihre körperliche Nähe. Er beugte sich vor. Wange an Wange mit dem Trijan spürte sie seinen Atem auf ihrem Gesicht. Starr ertrug sie seine Berührung. Mit seiner rechten Hand nahm er die Zügel auf. Das Leder locker in seiner Faust haltend, strich er damit über ihre gefesselten Hände, die auf der Mähne ruhten. Lisaan atmete stoßweise durch die Nase, die Kiefermuskeln verkrampft, unfähig sich zu rühren.

»Sehr gut, meine Schöne«, lobte Tareq sie. »Solange du weder mich noch das Tier behinderst, darfst du reiten«, eine Pause, »sonst binde ich dich wie einen Sack über den Rücken eines Packpferdes.« Er meinte es unzweifelhaft ernst. Lisaan nickte, woraufhin er seinen Griff entspannte.

Die Krieger brachen auf und verließen den Lagerplatz an der Flussbiegung jenseits des großen Waldes.

Die Mittagszeit verstrich. Einige kurze Pausen unterbrachen die Einförmigkeit des Eilrittes. Zeit, um zu trinken und die Notdurft zu verrichten. Zu Lisaans Verblüffung erlaubte der Trijan ihr bei diesen Gelegenheiten, hinter einem Gebüsch zu verschwinden. Wenngleich ein Bogenschütze, der keine zehn Schritte von ihrer Seite wich, jeden Gedanken an Flucht im Keim erstickte.

Wortgefechte

Sie zogen über grasbewachsene Ebenen gen Norden. Büsche formten Inseln in den grünen Flächen, die zu einem Plateau anstiegen. Der Wind jagte Wolkenfetzen über den Himmel. Hervorgelockt von der Frühlingssonne verdampfte die Feuchtigkeit aus den Wiesen. Bald begleiteten Birken die Gebüschinseln, bis sich Buchen zu einem lichten Wald vereinten und das Vorankommen erschwerten.

Bei Einbruch der Nacht rasteten sie, wobei die Trijan darauf verzichteten, Zelte aufzubauen. Dichtes Gehölz aus verflochtenen Brombeersträuchern in der Nähe eines Teiches sicherte den Lagerplatz zudem gegen unerwarteten Besuch.

Zwei Krieger zogen Lisaan vom Pferd und warfen sie neben Tareq auf den Boden. Sie sah zu, wie er seine Bettfelle zu einem Polster zusammenfaltete und sich darauf setzte.

Von dem anstrengenden Ritt schmerzte ihr ganzer Körper, und sie spürte Muskeln, von denen sie noch nicht einmal geahnt hatte, dass sie sie besaß. Sie zitterte vor Kälte und verfluchte den Trijan, der sie scheinbar nicht beachtete.

Seine Männer bereiteten über rasch entzündeten Lagerfeuern ihr einfaches Essen zu. Der verlockende Duft nach gebratenem Fleisch lockte den Hunger heraus und Lisaans Eingeweide verkrampften. Ihr Bauch brummelte verräterisch; seit mehr als einem Tag hatte sie nichts gegessen. Sie stieß einen weiteren lautlosen Fluch aus, doch ihr Körper gab keine Ruhe. Ein forderndes Knurren ihres Magens war nicht zu überhören, und Lisaan glaubte, ein selbstgefälliges Lächeln auf den Lippen des Trijan zu sehen.

Tareq widmete sich konzentriert der Mahlzeit, die einer seiner Krieger ihm auftrug. Er probierte von dem Fleisch. Es war zäh, trotzdem kaute er genüsslich, vielleicht etwas langsamer, als es sein musste.

Aus dem Augenwinkel beobachtete er seine Gefangene. Nein, meine Schöne! Noch hast du dir das Essen nicht verdient. Er trank das herrlich kühle Wasser und schnalzte mit der Zunge, als kostete er vorzüglichen Wein. Er bemerkte, wie der Blick seiner Gefangenen an dem Becher und seinen Lippen klebte. Vielleicht war sie bereit für die nächste Runde in dem kleinen Kampf, der ihm unverhoffte und durchaus amüsante Zerstreuung bereitete. Tareq schwenkte das Gefäß in ihre Richtung. »Bitte mich darum.«

Lisaan – ein hübscher Name, wie er fand – schob sich in eine sitzende Position.

»Ich bettle nicht.«

»Immer noch störrisch, meine Schöne?« Er leerte den Becher in einem Zug. »Sehr gut. Ich habe gehofft, dass du nicht so schnell aufgibst.«

»Kein stinkender Hund brächte mich dazu, aufzugeben«, fauchte Lisaan.

»Das Spiel bleibt also spannend.« Tareq wandte sich seinen Männern zu, damit Lisaan sein Schmunzeln nicht bemerkte. »Ich weiß, warum ich Kreedan als Sklavinnen bevorzuge. Ich finde sie recht … unterhaltsam.« Seine Krieger, die dem Wortwechsel folgten, lachten. »Ich möchte wissen, wie viel Vergnügen du für mich bereithältst.«

»Niemals krieche ich vor einem Trijan.« Sie spuckte vor ihm aus. »Vergewaltigt mich, überlasst mich Euren Männern, tötet mich, es ist mir gleich.«

Tareq seufzte. Für seinen Geschmack fiel ihr Konter auf sein harmloses Geplänkel viel zu düster aus und zu seinem Bedauern verflog der kurze sorgenfreie Augenblick, den er sich durch ein Wortgefecht mit ihr versprochen hatte.

Einer seiner Söldner beugte sich vor, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. »Ja, Herr, gib sie uns. Wir treiben ihr die Überheblichkeit aus.«

Zustimmendes Murmeln unter den Kriegern.

»Barbaren!«, zischte Lisaan.

»Die Frau schuldet uns drei Leben. Wir müssen Taklit, Rutul und N’dschal rächen«, forderte ein anderer.

»Feige Hunde, die nur im Rudel angreifen.« Lisaan zerrte an ihren Fesseln. »Sie hatten es nicht besser verdient.«

»Wenn wir mit ihr fertig sind, wird sie eine willige Aleschu sein«, sagte ein Dritter. »Wir zeigen ihr, wohin eine Kreedan gehört.«

Einige seiner Männer nickten, andere riefen Tareq gleichzeitig kurze Bemerkungen zu »… lass sie dafür bezahlen … ihre Schuld begleichen …«, sodass er nur Bruchstücke aus dem Stimmengewirr heraushören konnte.

»Feiglinge!«

Bevor das Spiel vollends in Ernst umschlug, hob Tareq die Hand und sofort brach das Murren ab.

»Vielleicht wäre es gar keine schlechte Idee, dich meinen Männern zu überlassen. Auf jeden Fall würde es mir eine Menge Arbeit ersparen«, erwiderte er. »Aber ich möchte mich nicht selbst um meinen Siegpreis bringen.«

»Niemals werde ich um Gnade winseln. Niemals werde ich Eure Sklavin.«

»Immer noch bissig wie eine wilde Katze. Ich glaube nicht, dass es einfach sein wird, sie zu zähmen«, sagte er an seine Männer gewandt. »Und ich glaube auch nicht, dass ihr mit ihr fertig werdet.« Gedankenverloren schnippte er einen Krümel von seiner Hose und traf eine Entscheidung. Sie war eine Kriegerin und sollte wie eine behandelt werden. »Hat sie Taklit, Rutul und N’dschal in einem ehrlichen Kampf besiegt?« Diese Angelegenheit war zu ernst, um darüber zu scherzen oder sie lange aufzuschieben.

Haktar stand auf und trat vor Tareq. »Ja.«

»Unser großer Herr des Krieges, Ikash’Kasan, lehrt uns: Ein ehrenhafter Tod erfordert keine Rache! Es ist genug. Niemand außer mir rührt diese Frau an!«

Mit einem Nicken akzeptierten die Krieger seinen Befehl und unterhielten sich wieder halblaut miteinander, wie auch Tareq darauf verzichtete, seine Gefangene noch mehr zu provozieren, so sehr er den Schlagabtausch mit einer ebenbürtigen Gegnerin auch genossen hatte.

Lisaan kauerte sich auf dem feuchten Boden zusammen und zitterte vor Wut und nicht wegen der Kälte. In Gedanken ging sie das Gespräch noch einmal durch. Warum hat der Hagere für mich gesprochen? Erst will der Trijan mich seiner Meute vorwerfen und dann entscheidet er doch zu meinen Gunsten? Ist es für ihn nur ein Spiel auf meine Kosten? Die neun Höllenringe sollen ihn verschlingen! Ihr blieb noch die ganze Nacht, die frostig zu werden versprach, um über das unberechenbare Verhalten der Trijan nachzudenken. Zumindest wollte der Trijan sie nicht den Kriegern überlassen, was sie kaum zu hoffen gewagt hatte.

Die Männer wickelten sich in Decken und legten sich neben ihren Pferden schlafen, die zusätzliche Wärme spendeten.

Lisaan zog ihre Beine ganz nah an den Körper und umschlang sie mit den gefesselten Händen, um sich warm zu halten. Erschöpft legte sie ihren Kopf auf den Knien ab. Neben ihr bereitete Tareq ebenfalls seine zwei Felldecken aus. Als er damit fertig war, beugte er sich zu Lisaan hinunter, schlang einen Lederriemen um ihren Arm und verband diesen mit seiner Hand. »Was soll das?«

»Leg dich hin!«, befahl er und deutete auf das notdürftige Lager. Ich darf in den Fellen liegen? Obwohl sie nicht genau wusste, worauf der Trijan hinaus wollte, gehorchte Lisaan, und er streckte sich neben ihr aus. Eng an sie gedrängt wickelte er sich und Lisaan in das Fell ein. Sie schloss die Augen und betete still zu Yenaya, dass sie nur hier lag, weil der Trijan sie tatsächlich nicht erfrieren lassen wollte. Gefesselt und eingezwängt verengte Panik ihre Kehle und sie bekam kaum Luft. Der Preis für die verführerische Wärme, die sein Körper spendete. Lisaan würgte die Furcht hinunter, denn sonst erlaubte sie diese vertraute Nähe nur ihren Liebhabern. Doch jetzt vergrub der Trijan sein Gesicht in ihrem Haar und atmete tief ein. Besitzergreifend legte er sogar seine Hand auf ihr Brustbein. Sie hörte seine gleichmäßigen Atemzüge. Tareq war, der Göttin sein Dank, eingeschlafen, wie auch die anderen, außer den Wachen. Erst jetzt gab sie den Widerstand auf und weinte leise, verzweifelte Tränen.

Lisaans Zunge klebte am Gaumen und das ausgetrocknete Aroma alter Zwiebeln setzte sich in ihrem Mund fest. Wasser! Um den Geschmack loszuwerden. Sie wollte sich aufrichten. Es ging nicht. Was ist los? Verflixte Kopfschmerzen. Noch einmal versuchte sie nach dem Wasserkrug, der immer neben ihrem Bett stand, zu tasten. Ihre Hand rührte sich keinen Zoll. »Wasser.« Das Wort kratzte in ihrem Hals.

Ein Becher voller Wasser erschien vor ihrem Mund. Gierig stürzte sie sich darauf, trank, verschluckte sich und hustete die Hälfte aus. Die nach nassem Iltis stinkende Felldecke, in die sie gewickelt war, sog die Feuchtigkeit sofort auf. Ein Schimmer am Horizont kündigte den Tag an und sie erkannte ihren persönlichen Albtraum. Er gab ihr zu trinken. Seine bloße Hand berührte ihr Gesicht. Sie zuckte zurück, doch seine Finger krallten sich in ihr Haar, und er hielt sie unbeirrt fest.

»Ich bettle nicht«, knurrte sie.

»Noch immer stolz, meine Schöne?« Er hob den Becher an ihre Lippen. »Trink!«

Lisaan zögerte. Sie unterdrückte ihren Widerwillen und trank. Herrlich erfrischende Flüssigkeit rann ihre ausgetrocknete Kehle hinab. Verdammt, ich will ihm nicht dankbar sein!

»Warum?«

»Warum? Niemand sollte Durst leiden. Nicht einmal eine widerspenstige Kreedan.«

Er hat Mitleid? Mit mir? Das kann nicht sein, entschied Lisaan. Nur eine geschickte Täuschung. Um mich gefügig zu machen. Mehr nicht. Er ist ein Söldner. Abschaum.

Das Frühstück fiel mager aus. Tareq schnitt den zähen Pferdebraten vom Vorabend in mundgerechte Stücke und reichte Lisaan abwechselnd Fleisch und getrocknete Datteln, die sie trotz ihrer gefesselten Hände mit den Fingern greifen konnte. Freudig begrüßte ihr Magen mit einem herzhaften Grollen das Essen. Verräter!, tadelte sie ihren Körper.

Nachdem Tareq sich um Lisaan gesorgt hatte, kümmerte er sich um sein Pferd, striegelte das kurz geschorene Fell am Rücken, legte dem Pferd die Satteldecke über und strich sie sorgfältig glatt. Tareq bemerkte, wie Haktar betont zufällig immer weiter in seine Richtung schlenderte, bis er unschlüssig auf der anderen Seite des Pferdes stehen blieb. Demonstrativ sah Haktar an ihm vorbei. Er seufzte resigniert, da er schon ahnte, was nun kommen sollte. Bestimmt wollte Haktar sich wieder einmal beklagen oder einen ungebetenen und unerwünschten Rat erteilen; Ratschläge, die durch ihren manchmal allzu offensichtlichen Mangel an Fingerspitzengefühl an Tareqs Selbstbeherrschung kratzten.

»Die Frau hält uns auf«, sagte Haktar über den Rücken des Tiers hinweg.

Tareq nickte. Er wusste, worauf Haktar hinauswollte. Als hätte er nicht schon selbst darüber nachgedacht.

»Töte sie. Mit ihr sind wir zu langsam. Die Orakelgöttin wartet nicht. Wenn wir nicht zur Zeit der Zwillingsmonde dort sind …«

»Ich weiß.« Er kehrte ihm den Rücken zu, doch Haktar blieb hartnäckig.

»Willst du sie etwa frei lassen? Das ist keine gute Idee. Uns bleiben nur noch zwei Tage. Wir hätten den Auftrag erst gar nicht annehmen sollen.«

Tareq knirschte mit den Zähnen. »Bei Ikash’Kasan. Ich weiß! Aber wir brauchen das Silber.« Er legte den Sattel auf.

»Wir haben drei Männer und jede Menge Zeit verloren.«

»Und du beherrschst die wunderbare Fähigkeit, das Offensichtliche zu bemerken. Zum letzten Mal: Das alles weiß ich genauso gut wie du.« Tareq ordnete die Mähne seines Pferdes, indem er die widerspenstigen Strähnen glatt strich.

»Warum belastest du dich dann noch mit dieser Frau? Ohne sie sind wir schneller. Das Orakel kann dir helfen, diese Kreedan nicht. Ich sehe nur eine Möglichkeit. Du musst sie loswerden. Je eher, desto besser.«

Tareq zog den Sattelgurt fest. »Ich weiß deinen Rat zu schätzen, Haktar, doch mein Entschluss steht fest. Sie kommt mit!«

Haktar schüttelte den Kopf. »Was willst du mit ihr anfangen? Wenn du dich vergnügen willst, kannst du in jeder Stadt eine willige Shedira finden. Oder willst du sie etwas als Sklavin verkaufen? Ich bezweifle, dass wir einen anständigen Preis für eine wie sie erzielen können. Sie ist zu widerspenstig.«

Tareq zuckte mit den Schultern und sah zu Lisaan, die teilnahmslos auf dem Boden kauerte. »Ja«, gab er zu. »Aber eine willkommene Abwechslung.« Tareq bezweifelte, dass Haktar verstand, nach welcher Art von Zerstreuung er sich sehnte.

»Sie wird nie eine willige Sklavin sein.«

»Das brauchst du mir nicht zu sagen.« Er schlug dem älteren Mann auf den Rücken. »Sorge einfach dafür, dass sie uns nicht aufhält.«

»Wie du wünschst.« Mit einem Tritt gegen Lisaans Bein sorgte Haktar dafür, dass sie zu ihm aufsah. Er packte ihren Arm. »Steh auf, Frau!«

Sie leistete keinen Widerstand. Haktar hielt ihr den Steigbügel seines Pferdes hin. »Aufs Pferd!«

Da sie nur an den Handgelenken gefesselt war, konnte die Gefangene mit den Fingern in die Mähne fassen. Haktar half ihr, den Fuß in den Steigbügel zu setzen. Sie holte Schwung, und er schob sie in den Sattel. Er saß hinter ihr auf und bemühte sich, es der Frau so bequem wie möglich zu machen.

Tareq ritt an seine Seite. »Ich hoffe, dass du meine Neuerwerbung gut behandelst«, bemerkte er lachend.

»Du willst diese Frau lebend und ich stelle sicher, dass du sie auch bekommst.«

»Deine Loyalität ist erfrischend, Haktar.«

Der Tag zog sich endlos hin. Sie verließen den Buchenwald und ritten über saftig grüne Wiesen, auf denen die ersten Frühlingsblumen als farbige Tupfer wuchsen. Als die Abenddämmerung einsetzte, erreichten sie den Rand des Waldes von Anc’Be und suchten einen geschützten Lagerplatz für die Nacht.

Bevor der Morgen graute, brachen sie wieder auf. Stundenlang folgten sie dem Waldrand, bis sie am frühen Nachmittag in den Wald von Anc’Be eindrangen und auf einer Lichtung das Zeltlager aufbauten.

Tareq saß mit untergeschlagenen Beinen auf seinem Bett und schärfte sein Schwert. Ab und an strich er mit dem Daumen prüfend über die Klinge. Neben ihm glimmte in der Kohlenschale ein Feuer, das eine Kanne mit Wasser erhitzte. Unauffällig betrachtete er Lisaan, die mit angezogenen Knien in einer Ecke seines Zeltes hockte. Noch immer voller Stolz. Er schüttelte den Kopf, als müsse er einen unangenehmen Gedanken vertreiben. Schließlich legte er Schleifstein und Schwert beiseite und warf eine Handvoll getrockneter Blätter in das Wasser. Dampfend durchzog ein angenehm würziger Geruch nach Pfefferminze das Zelt.

Tareq wandte den Kopf und sah zu Lisaan, die finster jede seiner Bewegungen verfolgte. Kein Muskel in ihrem ebenmäßigen Gesicht zuckte, nur ihre smaragdgrünen Augen starrten ihn beharrlich an.

»Du hast gehört, was Haktar gesagt hat? Dass ich dich nicht ewig nutzlos mit mir herumschleppen kann?« Er deutete auf die Kanne und zwei Tonbecher. »Wenn du ihn nicht davon überzeugst, nützlich für mich zu sein, könnte er es für seine Pflicht halten, mich von dir zu befreien.« Er füllte die Gefäße mit der dampfenden Flüssigkeit. »Für mich Tee zu kochen, wäre doch eine passende Aufgabe, oder?« Er probierte den heißen Aufguss. »Denn wenn Haktar dich tötet, würde ich es aufrichtig bedauern.«

»Ich eigne mich kaum als Sklavin. Ich zerbreche nur Euer kostbares Geschirr.«

Er lachte. Laut. Herzhaft. »O ja – meine schönen Gläser, die du auf dem Gewissen hast.« Er deutete mit dem zweiten Becher auf Lisaan. »Komm her!« Mit Genugtuung bemerkte er ihre Verwirrung. Für einen Moment schien sie ihren stoischen Vorsatz zu vergessen.

Sie schüttelte den Kopf. »Ich krieche nicht vor Euch.« Sie hob ihre gefesselten Hände. Ein zusätzliches Seil, das ihre Handgelenke mit den Füßen verband, spannte sich. Die Fesselung verbot eine aufrechte Haltung.

Tareq nickte. »Haktar kümmert sich sehr gut um meine Sicherheit. Er befürchtet, dass du mich töten könntest.« Er stand auf und zückte ein kurzes Messer. Mit vier langen Schritten war er bei ihr. Er setzte sich direkt vor Lisaan auf ein untergeschlagenes Bein. Das andere hatte er aufgestellt, stützte seinen Arm darauf ab und spielte nachlässig mit dem Messer in seiner Hand. Er legte den Kopf leicht schräg und sah sie an, als könne die veränderte Perspektive mehr über diese Frau preisgeben. Er begann mit der gebogenen Klinge ihren Unterschenkel bis zu den Knöcheln nachzufahren. Ein rascher Schnitt durchtrennte ihre Fußfesseln. »Ich glaube, seine Befürchtungen sind übertrieben.« Das Messer wanderte über ihren nackten Unterarm. Tareq fing Lisaans Blick ein. »Keine Fesseln, solange wir Tee trinken.«

Lisaan schnappte nach Luft. »Was verlangt Ihr dafür von mir?«

»Was ich verlange? Keinen Fluchtversuch. Keinen Kampf.«

»Meinen Körper?«

»Nein.« Tareq lachte. »Außer du möchtest mir deinen Körper freiwillig anbieten.«

»Waffenstillstand?« Sie streckte ihm die Handgelenke entgegen, und er durchschnitt die Stricke.

»Wenn du es so ausdrücken willst? Ja. Ein Waffenstillstand.«

In einer einzigen fließenden Bewegung stand er auf, kehrte Lisaan demonstrativ den Rücken zu und schlenderte zu seinem Lager zurück. Er rückte ein Kissen für Lisaan zurecht und deutete darauf. »Setz dich.«

Tareq sah ihr die Erleichterung an, ihren Rücken endlich wieder strecken zu dürfen. Lisaan straffte ihre Schultern. Noch wackelig auf den Beinen folgte sie ihm und nahm wie selbstverständlich neben ihrem Feind Platz, griff nach dem Tee und nippte vorsichtig.

»Etwas zu süß für meinen Geschmack.«

»Er ist so süß wie der Tod. Wobei mir einfällt, was ich dich schon längst fragen wollte: Warum wollte er, dass du stirbst?«

»Wer wollte, dass ich sterbe?«, fragte Lisaan verwirrt.

»Diese Ratte namens Brektaar.«

»Nein, das ist nicht wahr!«

»Er hat mich dafür bezahlt, dass ich dich töte.« Tareq schenkte Tee nach.

»Ihr lügt, Trijan. Warum sollte mein Cousin mich beseitigen wollen?«, antwortete Lisaan, die so heftig zitterte, dass Tee aus dem Becher schwappte.

»Sag du es mir!«

Lisaan umschloss den heißen Becher mit beiden Händen. Sie beugte sich über den Dampf und atmete den beruhigenden Duft der Pfefferminze ein. Tareq kramte aus einem Beutel noch einmal Blätter und Zucker heraus. Aus einem Schlauch füllte er frisches Wasser in die Kanne und wartete geduldig, bis es kochte. Solange wir Tee trinken. Er schmunzelte. Wenn es sein musste, würde er noch mehr Minztee aufbrühen.

»Er konnte noch nie gut mit Ablehnung umgehen. Aber ich hätte nie gedacht, dass er so weit geht, wenn er seinen Willen nicht bekommt. Ich habe nur eine Vermutung. Er wollte mich heiraten und ich wies ihn zurück.« Lisaan seufzte. »Auch wenn es Euch nichts angeht.« Sie hörte sich längst nicht so abweisend an, wie ihre Worte es vermuten ließen.

»Keine Trijan weist den für sie auserwählten Ehemann zurück«, erklärte Tareq. »Dein Vater ließ zu, dass du einen Bewerber abgelehnt hast?«

»Ich wähle meine Liebhaber selbst aus. Ich bin niemandem Rechenschaft schuldig.« Sie sah Tareq lange an. »Meine Mutter wäre erleichtert gewesen, wenn ich Brektaar genommen hätte. Aber ich konnte ihn noch nie leiden, obwohl wir verwandt sind«, gab sie zu. »Ich hätte nur gut darauf verzichten können, dass sich auf diese Weise«, Lisaan deutete auf Tareq, »meine Meinung über Brektaar bestätigt.«

»Ein Mann ohne Ehre«, meinte Tareq. »Du verdienst Besseres.«

»Wie überaus scharfsinnig. Wenn ich Brektaar genommen hätte, wäre mir doch tatsächlich Eure Gesellschaft und damit diese großartige Erkenntnis entgangen. Jetzt habe ich einen Verräter gegen einen Trijan eingetauscht. Ich weiß nur nicht, was erbärmlicher ist. Die Ehefrau eines ehrlosen Bastards oder die Sklavin eines Söldners zu sein. Aber vermutlich besteht da kein allzu großer Unterschied.«

Er trank den süßen Tee, lächelte und schwieg.

»Trijan, ich will Euch auch eine Frage stellen.«

Tareq öffnete seine Hand und winkte zustimmend.

»Was wollt Ihr beim Orakel von Anc’Be?«

Er schlürfte seinen Tee und betrachtete Lisaan über den Rand des Bechers hinweg. »Ich bin auf der Suche.« Sein Lächeln verschwand und er verstummte.

Der Vorhang zu seinem Zelt bewegte sich. Haktar schob die Stoffbahn beiseite und wartete; durch den Spalt kroch helles Mondlicht und mischte sich mit dem Schein der Öllampe. Tareq sah seinen Vertrauten fragend an, der die Augenbrauen zusammenzog und mit der Zunge schnalzte. Haktar schien es zu missfallen, die Kriegerin wie eine Gleichberechtigte neben ihm sitzen zu sehen.

»Es ist Zeit. Wir müssen aufbrechen«, sagte Haktar.

»Schade, meine Schöne. Unser Gespräch ist leider zu Ende.« Tareq stand auf und deutete auf die Stricke. »Nur solange wir Tee trinken.«

Lisaan nickte. Mit einer knappen Bewegung stellte sie den Becher auf den niedrigen Tisch und streckte ihm die Hände entgegen. Seine Finger streichelten zärtlich über die wundgescheuerte Haut ihrer Handgelenke. Ein unwillkürliches Zucken verriet Lisaan. Sie wollte sich ihm entziehen. Tareq seufzte und band mit geübten Griffen ihre Hände zusammen, hieß sie aufstehen und führte sie mit sanfter Gewalt an eine Zeltstange. Er schnürte ein zweites Seil um ihre Handgelenke und fädelte es zusätzlich durch einen eisernen Ring, der in Brusthöhe befestigt war. Er ließ den Strick lang genug, dass sie mit über den Kopf erhobenen Armen auf dem Boden sitzen konnte.

Tareq und Haktar folgten dem Pfad, der tiefer in den Wald führte. Das Licht der Zwillingsmonde schlängelte sich durch die Zweige der Bäume, die den Weg säumten. Laublose Äste reckten ihre Fühler nach den Eindringlingen. Gierige Fangarme rissen an ihrer Kleidung, streiften ihre Gesichter. Das drängende Gefühl, von unsichtbaren Augen beobachtet zu werden, begleitete Tareq durch die Nacht der beiden vollen Monde, in der die Orakelgöttin mit den Sterblichen sprach. Das Ächzen und Knacken im Unterholz führte sie immer weiter in den heiligen Wald hinein. Die Luft gewann fast greifbare Substanz, durch die er mühsam seinen Weg bahnen musste. Rote Lichtblitze flammten wie Glühwürmchen auf und Tareq meinte, jedes Aufleuchten kündigte einen Rachedämon, einen Ninaasu der Schicksalsgöttin an, der nur darauf wartete, sich ihm in den Weg zu stellen.

Immer wieder stolperten Tareq und Haktar über Baumwurzeln, die den Weg bis zu einer kreisrunden Lichtung bewachten, in deren Mitte ein runder Teich lag. Sie durchbrachen eine nebelhafte Barriere und sofort erstarben die Geräusche des nächtlichen Waldes.

Nur wenige brachten den Mut auf, Am’Dara, Schicksalsgöttin und Orakel von Anc’Be, aufzusuchen, denn einzig die Priesterinnen kannten das Geheimnis, außerhalb dieser Zeit gefahrlos mit Am’Dara zu reden. Nur in der Nacht der Zwillingsmonde durften auch andere es wagen, die Göttin zu befragen. Tareq wusste so gut wie jeder Bewohner Dschanors, dass ein einziges unbedachtes Wort genügte, um in Am’Daras Schattenreich zu verschwinden.

Haktar warf den mitgebrachten Silberschmuck in den See, die angemessene Opfergabe. Tareq und sein treuer Begleiter warteten in der unnatürlichen Stille, bis ein Kräuseln, ein kaum wahrnehmbares Schwirren, die Göttin ankündigte. Eine silberglänzende Schlange formte sich aus dem Wasser des Teiches. Anscheinend zufrieden mit den Gaben wandelte sich der Schlangenleib zur funkelnden Silhouette einer jungen Frau, die bis auf die schimmernden Schuppen, die ihren schlanken Körper bedeckten, nackt aus dem Wasser emporstieg. Die dunklen Locken ihres üppigen Haares wallten hinter ihr her, als schwämme sie unter Wasser. Ausdruckslose schwarze Augen starrten Tareq an.

»Stellt Eure Frage!«, erklang eine hohle Stimme.

Tareq trat vor. »Wo befindet sich das Heilige Schwert von Saïfa’Har?«