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Entdeckt 39 schräge Kurzgeschichten, die phantastische Lese-Häppchen für zwischendurch bieten. Begegnet gerissenen Raumfahrern, bürokratischen Außerirdischen und invasiven Einhörnern, begleitet süße Drachen, gefährliche Katzen oder untote Teppiche, die in absonderlichen Zwischenwelten ihr Unwesen treiben. Inklusive sechs Abenteuern von Mara und Krios, dem legendären Weltraum-Diebes-Pärchen.
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Seitenzahl: 199
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Bianca M. Riescher, Jahrgang 1969, Autorin abenteuerlicher Fantasy-Geschichten, lebt mit ihrer Familie in der Schweiz. Ihr Debütroman Mitternachtsrot erreichte im Jahr 2016 die Finalrunde für den von der Phantastischen Akademie vergebenen Literaturpreis SERAPH. Die studierte Geographin interessiert sich für Ur- und Frühgeschichte und ist leidenschaftliche Bogenschützin. Aus diesen Bereichen schöpft sie Inspiration für die von ihr geschaffenen fantastischen Welten.
Mehr Informationen über die Autorin: www.biancamriescher.ch
Vorwort
Planet im Wandel
Auswilderung 2.0
Einstweilige Verfügung
Nichts zu verzollen?
Patrouillenflug nach 288K
Alles auf grün
Suchen – finden – abkassieren
TITANIAS Tag
Under Cover Job
Geheime Mission auf HAWKING III
Codename: Mimikry
Zwischenstopp nach Terra
Das Burrito-Verfahren
Navigationsfehler
Unter einem Teppich aus Eis und Schweigen
Alien Invasion
Stanislav T minus 45 copy and repeat
Ägyptische Täuschung
Applaus! Applaus!
Nachts im Wald
Vor und zurück
Expedition ins Unbekannte
Familienbande
Seelenverwandtschaft
Die Mitte des Bildes
expedición culinaria
Weiterbildung
Der Schlangenring
Schattenspiele
Winterzauber
Eine Einhornjagd
Bis das Garn zur Neige geht
Aus alt mach neu
Für jeden Geschmack und Anspruch
Traumteppich
Problemlösungen
Formula Tappeto Volante
Verschwindibus
Ein ganz normaler Tag in Meister Balduins Magischer Teppichwelt GmbH & Co. KG
Herzlich willkommen in meinem kleinen, schrägen Kurzgeschichten-Universum.
Als ich 2017 zum ersten Mal eingeladen wurde, eine Miniatur für die Reihe der Phantastischen Miniaturen der Phantastischen Bibliothek Wetzlar zu schreiben, merkte ich bald, in was für eine bunte, skurrile, abwechslungsreiche und vor allem phantastische Kurzgeschichtenwelt ich da hineingeraten war.
Es beginnt damit, dass zu jedem Band der Herausgeber, Thomas Le Blanc, ein bestimmtes Motto vorgibt. Dann heißt es für die eingeladenen Autorinnen und Autoren, eine Kurzgeschichte – mit meistens nicht viel mehr als 700 Worten – aber dafür mit ganz viel Phantastik, von Science Fiction bis Fantasy, zu schreiben. Wie unterschiedlich, kreativ und mit viel Spaß am Schreiben das von den Beteiligten umgesetzt wird, erstaunt und fasziniert mich jedes Mal wieder.
Die 39 hier versammelten Kurzgeschichten sind meine Umsetzung der jeweils vorgegebenen Miniaturenthemen, die immer wieder eine wunderbare Gelegenheit bieten, um allerlei schräge Ideen auszuprobieren.
Begleiten wir also in den ersten 17 Miniaturen raumfahrende Menschen, Teppichhändler und forschende Aliens bei ihren Abenteuern. In der zweiten Hälfte dieser Sammlung widmen wir uns dann den phantastischen Begebenheiten. Neben Werwolf, Drache oder gar einem untoten Teppich ist auch schon das ein oder andere Einhorn gesichtet worden.
Ich wünsche ebenso viel Spaß beim Lesen, wie ich beim Schreiben hatte.
Gleich das erste Thema, mit dem ich in die Phantastischen Miniaturen eingestiegen bin, war genau richtig für mich. Bei der Vorgabe »Mit fremden Augen« bot sich mir die günstige Gelegenheit, endlich eine Science-Fiction-Story zu schreiben, was ich als Trekkie ohnehin schon längst einmal machen wollte. Bisher hatte ich es nämlich irgendwie immer verpasst, mich in zukünftige Welten zu wagen.
Werfen wir zuerst also einen Blick aus nichtmenschlicher Sicht auf die Menschheit, die dabei vielleicht nicht ganz so gut wegkommt. Verständlicherweise.
Bericht der DRACONIUS an das Oberkommando
»Wir sind sicher im Zielgebiet angekommen. Nachdem wir die ersten elektromagnetischen Übertragungen der dort heimischen intelligenten Spezies aufzeichnen konnten, haben wir sofort mit der Auswertung der Daten begonnen.« Die Imperatrix der DRACONIUS lehnte sich im Kommandosessel zurück und wischte mit der Hand über ihre Stirn. »Aufnahme stoppen. – Triona, sind die Angaben bestätigt worden?«
Ein kleineres Weibchen reichte ihr einen Becher, aus dem es verlockend nach Meer duftete. »Leider ja.«
Die Kommandantin lächelte müde, nippte an ihrem Getränk und verzog den Mund. »Der Fischsaft ist nur lauwarm. Sei so gut …« Auffordernd schwenkte sie den Becher, ihre Gehilfin nahm ihn und stellte ihn in den Frequenzresonator. Die Imperatrix nutzte die wenigen Augenblicke des Erhitzens zum Nachdenken. Wie nur sollte sie ihren Vorgesetzten die Ergebnisse der Untersuchung möglichst schonend mitteilen? Sie klackerte mit ihren langen Krallen auf der Armlehne des Sessels. Verdammte Säugetiere. Ihr Blick schweifte über die Brücke des Schiffes. Die Mannschaft arbeitete ruhig und zielstrebig; eine Crew, auf die sie zu Recht stolz sein konnte. Das Blinken der Anzeigen und die glatten, spiegelnden Oberflächen beruhigten sie ein wenig, und sie war bereit, die Aufmerksamkeit wieder auf den Anzeigeschirm an der Stirnseite der Brücke zu richten. Da geht unsere Hoffnung dahin.
»… und nun zum Wetter.« Sie starrte auf das weibliche Säugetier, das ihr aus dem Bildschirm heraus die Zähne zeigte, während sie sprach.
Sie erinnerte sich, dass dies bei Säugern als ein Zeichen von Aggression galt. Noch viel mehr wunderte sie sich aber, warum das Weibchen Farbe in ihr Gesicht geschmiert hatte. Wahrscheinlich um von den langweiligen, fadenförmigen Federn auf ihrem Kopf abzulenken – nein, korrigierte sie sich – das muss ein kleiner Rest Pelz sein, der ihr strähnig herunter hing. Gedankenverloren fuhr sich die Kommandantin über ihre prächtigen, in Rot- und Blautönen schimmernden Kopffedern.
»Wie soll ich dem Oberkommando begreiflich machen, mit was für einer Spezies wir es hier zu tun haben? Was kann ich ihnen nur sagen, Triona?«
Ihre Untergebene spreizte unwillig die Federn, um sie sofort wieder anzulegen, doch den Wechsel der Schuppenfarbe vom entspannten Blau zu einem verlegenen Grün konnte sie nicht unterdrücken. »Die Wahrheit?«
Mit einem ergebenen Seufzen stellte die Kommandantin ihren Fischsaft ab. »Wahrscheinlich hast du recht. Aufzeichnung fortsetzen.« Die Imperatrix blies Luft durch ihre Atemlöcher, fuhr ihre Krallen um die Armlehnen und ergänzte: »Um die Vorgänge für das Oberkommando anschaulicher zu gestalten, folgt nun eine Dokumentation, die ein eindrückliches Bild der hier anzutreffenden Zustände abbildet.« Sie zwinkerte mit ihrer Nickhaut.
Triona gehorchte dem wortlosen Befehl und schob eine Datenaufzeichnungseinheit in das Übertragungsmodul.
»Wir können nur hoffen, dass unser Schwesterschiff, die DRACOREX, mehr Erfolg hatte. Wir kehren zurück. Aufnahme beenden. Alles vorbereiten auf Sprunggeschwindigkeit!«
Im Oberkommando
»Gerade sind die ersten Messergebnisse der DRACONIUS hereingekommen, Regna.«
»Dann wollen wir uns das Ganze doch einmal anschauen.«
Der Bildschirm im Büro der Oberkommandierenden flimmerte hell. Ein Säugetier, schuppenlos, dafür in bunte, abgezogene Häute oder Ähnliches gehüllt, erläuterte die Bilder: aus hohem Orbit aufgenommene Darstellungen eines wunderschönen blau-weißen Planeten – Bilder, die in einem kleineren Anzeigefeld links über ihrer Schulter auftauchten. »… bei der letzten Weltklimakonferenz …«
Die Regna hörte fast nicht hin, sondern betrachtete fasziniert den strähnigen Pelz des Weibchens. Was wäre es für eine einmalige Gelegenheit für die Kulturforscher gewesen, diese Spezies intelligenter Säuger genauer zu untersuchen, vielleicht sogar freundschaftlichen Kontakt mit ihnen aufzunehmen. Bedauernd klapperte sie mit den Zähnen.
»… immer absurdere Verschwörungstheorien überfluten das Internet …«
Die kleinere Anzeige vergrößerte sich und zeigte ein neues Bild. Die Regna scheuchte sich selbst aus ihrem Sinnieren, als sie sah, wie das dunkle Gesicht eines Männchens in ein reptiloides Gesicht morphte. »… alle führenden Politiker sollen sogenannte Reptiloide, Außerirdische, sein, die eine neue Weltordnung…«
Mit einem abweisenden Zischen beendete die Regna die Aufzeichnung. Ihre Untergebene servierte eine Tasse mit heißem Fischsaft.
»Danke, Trax. Ich glaube, diese Zeitperiode können wir abhaken. Bei paranoiden Säugetieren brauchen wir nicht um Asyl zu bitten.« Sie nippte an ihrem Getränk. »Gibt es schon einen Bericht von der DRACOREX?«
»Kam gerade herein, Regna. Sieht vielversprechend aus. Hochzivilisierte, friedfertige Oktopoden. Die DRACOREX hat bereits den ersten Kontakt aufgenommen.«
»Sehr gut. Welche Zeiteinheit?«
»Dreihundert Millionen Jahre.«
»Nun. Dann steht mein Entschluss fest. Wir evakuieren. Wenn unsere Wissenschaftlerinnen recht haben, drängt die Zeit, wenn wir die Erde vor dem Meteoriteneinschlag rechtzeitig verlassen wollen.«
»Sehr wohl, Regna. Ich gebe der Zeitschiffflotte Bescheid.«
Die Regna tippte mit einer Kralle auf das Bedienpult und schaltete den Bildschirm ab. »Sei’s drum. Dann eben dreihundert statt nur fünfundsechzig Millionen Jahre in die Zukunft.« Begleitet von einem Zischen plusterte sie ihre Kopffedern auf. »Das habe ich nicht erwartet. Ausgerechnet Säugetiere.« Sie klopfte gegen den Käfig, der auf ihrem Schreibtisch stand, und steckte einen Käfer durch die Gitterstäbe. Winzige Pfoten grapschten nach dem Futter, kleine Zähne kauten auf dem Insekt herum. Das Pelzknäuel fiepte, als es die Regna mit schwarzen Knopfaugen anblickte und um mehr Futter anbettelte. Sie spendierte noch einen Leckerbissen. »Hier, das ist jetzt aber wirklich der letzte, du kleiner Nimmersatt.«
Der Miniaturenband, aus dem die folgende Kurzgeschichte stammt, richtet den Blickwinkel auf »Schöne Körper«. Wobei sich mir die Frage stellt, ob der Schönheit nicht grundsätzlich zu viel Wert beigemessen wird. Aber was weiss ich schon, wen oder was Außerirdische als schön empfinden.
Auszug aus den Leitlinien der vereinigten Zoos von Beteigeuze, Aldebaran und Rigel über Spezies 5618, notiert im Jahr 13042.6.6.6
Kurzbeschreibung:
auf Kohlenstoff basierend
zweiseitig symmetrisch, vier Extremitäten
Farbe: semmelfärbig bis rappfarben
Fell: glatt, gewellt bis curly
Exterieur: trocken, leichtkalibrig bis mittelrahmig
Linsenaugen ausgelegt auf den Wellenlängenbereich zwischen 400 und 760 Nanometern
Nachsatz:
Bei allen arterhaltenden Maßnahmen muss die genetische Vielfalt der Spezies im Vordergrund stehen. Die typischen äußeren Merkmale der Spezies sind dabei in erster Linie zu beachten.
»Wir sollten noch einmal über Spezies 5618 sprechen.« Der Direktor des Zoos auf Beteigeuze wischte über die Anzeige, zischte und wandte sich an seinen Kollegen, den Vorsitzenden des Zoovereins BetARiZo. »Meinst du, wir sollten das Programm für diese Spezies wirklich so aufrecht erhalten? Die Kosten sind in den letzten Jahren gewaltig angestiegen.«
»Wieso? Läuft doch prächtig. Auf Rigel gibt es schon wieder Nachwuchs. Und wenn sie klein sind, sehen sie sogar noch knuffiger aus und locken viele Besucher in den Zoo.« Der Vorsitzende wedelte abwiegelnd mit seinen Cephalothorax-Antennen.
»Ja, aber ihre Aufzucht ist extrem aufwendig.« Geräuschvoll schlürfte der Direktor mit seinem langgezogenem Lapium aus einer Tasse etwas Drüsensekret von Spezies 2539. »Allein schon die Schaffung potentiell natürlicher Umweltbedingungen ist teuer. Vielleicht sollten wir lieber auf die Tentakler von Bellatrix umsteigen. Eine ebenfalls gefährdete Spezies, viel leichter und vor allem kostengünstiger zu halten.«
»Ich finde, das Programm läuft hervorragend.«
»Ich weiß nicht. Wie haben doch hauptsächlich auf Schönheit hin selektiert.« Er schlürfte nachdenklich den letzten Rest aus seiner Tasse. »Da frage ich mich schon, ob das die hohen Ausgaben rechtfertigt. Nur für eine niedliche Spezies ohne wissenschaftlichen Mehrwert?«
»Was soll daran verkehrt sein? Die Besucher wollen nun mal ansehnliche Exemplare.«
»Wir haben aber viel zu wenig Wert auf wirklich wichtige Dinge gelegt wie Anpassung an verschiedene Habitate, soziale Intelligenz oder Empathie und Fähigkeiten zum friedlichen Spannungsabbau innerhalb einer Gruppe. Das wäre wenigstens einmal ein interessantes Forschungsgebiet.« Der Direktor klapperte mit seinen Vorderbeinen ungeduldig auf dem Schreibtisch. »Ein Vorschlag zur Güte: Wenn du sie unbedingt als Spezies erhalten möchtest, könnten wir 5618 doch in das Auswilderungsprogramm aufnehmen. Wissenschaftliche Experimente sind für unsere Besucher auch immer spannend. Sie können die Fortschritte per Live-Übertragung verfolgen, und wir sparen uns die aufwendigen Freigehege im Zoo. Das Selektieren rein nach Äußerlichkeiten fiele dann auch weg. Bei Spezies 5617 hat das immerhin für 0,001 GJ sehr gut funktioniert. Denen war ihr Aussehen vollkommen egal.«
»Jaja. Aber Spezies 5618 war dann doch erfolgreicher und hat unseren ersten Ansiedlungsversuch komplett assimiliert.«
»Erfolgreicher? So erfolgreich, dass sie fast ausgestorben sind. Ach, was sag’ ich? Ausgerottet. Sie haben sich selbst fast ausgerottet, weil sie nur noch versucht haben, ihr Äußeres zu optimieren und dabei die wirklich wichtigen Aspekte vernachlässigt haben.« Bevor der Vorsitzende ihn unterbrechen konnte, sprach der Direktor schnell weiter: »So wie ich das sehe, haben wir folgende Möglichkeiten: Entweder wir stellen das Programm komplett ein, oder wir versuchen Spezies 5618 mit ein paar zusätzlichen, und vor allem nützlichen Eigenschaften, wieder auszuwildern.«
Der Vorsitzende ließ sich Zeit mit der Antwort, wiegte seinen Kopf hin und her. Nach einer Weile nickte er. »Ja, das ginge. Eine neue Versuchsreihe. Die Verhaltensmodifikationen brauchen aber Zeit. Wie wär’s wenn wir derweil Spezies 5617 reaktivieren? Auf Aldebaran gibt es noch eine Kolonie. Eine sympathische Truppe, die eine zweite Chance mehr als verdient hätte.«
»Hervorragende Idee. Und in der Zwischenzeit durchläuft Spezies 5618 das Auswilderungsprogramm. Ich plädiere dann aber dafür, dass wir sie auf einem anderen Planeten freilassen. Vielleicht im Deneb-System? Wir hätten dann eine Vergleichsgruppe.«
»Einverstanden. Ich erarbeite schon mal eine Ergänzung für unsere Leitlinien und informiere die Zoos von Aldebaran und Rigel.« Sorgfältig tippte er Terra zur Wiederbesiedlung mit Spezies 5617 (homo neanderthalensis) vorbereiten in sein Datenpad.
Der Direktor entfaltete unterdessen seine Zierflügel. »Prima. Ich bin jetzt schon gespannt, wie sich die neue Umgebung auf ihr äußeres Erscheinungsbild auswirken wird. Dann fülle ich schon mal den Antrag auf Neubesiedlung von Deneb IV mit homo sapiens aus.«
Wie sähe das Universum wohl aus, wenn es keine Menschen gäbe? Dieser Frage gehen die Geschichten aus dem Band »Universum ohne Menschen« nach. Lautet die Antwort am Ende sogar »besser«? Vielleicht. Unbürokratischer? Nun, das bezweifle ich. Aber an der Bürokratie sind die Menschen, die in der folgenden Geschichte – zumindest ganz am Rande – auftauchen dürfen, nicht schuld.
Temporale Integritätsüberwachungsdienststelle
Örtliche Zuständigkeit: Sektor Papilsang
An das
Reisebüro Planetenspringer
Zentrale in Sektor Papilsang
Abzweigung Urunna
Untereinheit 3.450K
Riesenstern 1350.00L950R
Sternzeit:
3888.55.71
Betreff: Entzug der Zeitsprunglizenz zu touristischen Zwecken
Hier: Einstweilige Verfügung
Anordnung:
Wir untersagen Ihnen bis auf Weiteres den Besuch des dritten Planeten im System des Hauptreihensterns 0,7L0,9R in Sektor Papilsang, Abzweigung Urunna, Untereinheit 5.778K.
Begründung:
Verstoß gegen Richtlinie 42, Abs. 7 der Galaktischen Zeitreiseverordnung (GalZRVo)
Nähere Erläuterung:
Ein Teilnehmer der Reisegruppe, dem wir mit separater Post einen Bußbescheid zustellen werden, hat unerlaubterweise die Zeitkapsel verlassen und damit eine Verletzung der zeitlichen Integrität des dritten Planeten verursacht. Aufgrund der veränderten Zeitlinie wurde die natürliche Entwicklung der intelligenten Spezies mit Potential zu interstellaren Reisen unterbrochen. Bis auf Weiteres steht der dritte Planet deshalb unter besonderer Beobachtung unserer Dienststelle und darf nicht mehr besucht werden. Diese Anordnung gilt ab sofort für alle Zeitperioden, bis die ursprüngliche zeitliche Entwicklung vollständig wieder hergestellt werden kann.
Angeordnet durch:
Lani Do
Oberster Magistrat
Rechtlicher Hinweis:
Zuwiderhandlungen gegen diesen Bescheid werden mit dem dauerhaften Entzug der Lizenz zur Durchführung von geführten Zeitreisetouren geahndet.
[Interne Notiz]
Hi Faro,
es ist schon wieder passiert.
Einer dieser verwünschten Touristen konnte wieder einmal seine saugnäpfigen Tentakel nicht bei sich behalten und hat damit den dritten Planeten von 0,7L0,9R total ruiniert.
Schon wieder. Ich fasse es nicht! Das ist jetzt schon das dritte Mal in diesem Zyklus, dass irgendein Idiot es geschafft hat, einen geflügelten, dort einheimischen Sechsfüßler zu verschlucken und damit die Zeitlinie total durcheinander zu würfeln.
Sorge bitte schnellstmöglich dafür, dass die vorangegangene Normalzeit wieder hergestellt wird.
Wie Du das machst, ist mir herzlich egal.
Es kann doch nicht sein, dass ich durch die Trampeligkeit eines unterbelichteten Touristen den Cliffhanger der 3. Staffel dieser Menschen-Weltraumserie, die erst in der letzten Zeitverwirrung entstanden ist, nicht aufgelöst bekomme. Wenn diese Zeitlinie nicht bald wiederhergestellt wird, das schwöre ich Dir, ziehe ich diesem Belemniten eigenhändig die Kopffüße lang – und Dir und Deinem Schwager gleich dazu.
Wenn ich nicht endlich erfahren haben werde, ob Captain P. aus den Händen der Borg befreit werden kann, dann nehme ich dieses vermaledeite Zeitreisebüro endgültig aus dem Geschäft, egal, ob es nun dem Gelegepartner Deiner Schwester gehört oder nicht.
Bis dann,
Lani Do
(extrem verärgert)
Jetzt dreht sich alles um das »Nichts«, das (vielleicht nur scheinbar) keinen Wert hat. Für diesen Miniaturenband stellte es allerdings eine gewisse Herausforderung dar, über etwas zu schreiben, was gar nicht vorhanden war.
»Guten Tag. Haben Sie etwas zu verzollen?«
»Nein. Nichts.«
»Das wollen wir doch mal sehen.« Der Zollbeamte 111313 winkte den Passagier auf die Seite und beorderte dessen Gepäck auf den niedrigen Tisch, der etwas abseits stand. Jahrelange Erfahrung hatte ihn dazu qualifiziert, die subtilen Anzeichen zu erkennen, und dieser eindeutig nervöse Boleandit hatte sichtlich etwas zu verbergen. Von wegen Nichts. Davon wollte er sich doch selbst überzeugen. Auch wenn er es äußerst ungewöhnlich fand, dass sich ausgerechnet ein von Natur aus obrigkeitshöriger Boleandit zu illegalen Schmuggelgeschäften entschlossen haben sollte. Aber einmal war schließlich immer das erste Mal. Und jetzt hatte er endlich einen von den Oberlangweilern des galaktischen Sektors erwischt. In Gedanken rieb er sich die Hände. Der Spaß konnte beginnen.
»Sie kommen gerade von Reguli A? Was haben Sie denn dort gemacht? Urlaub? Irgendwelche Produkte aus dort einheimischen Tieren gekauft?«
Der Boleandit schüttelte verneinend seine Kopffühler. »Ich war dort auf einem intergalaktischen Symposium über Raumanomalien.«
»Soso. Die Tasche hierhin, und dann treten Sie bitte einen Schritt zurück.«
111313 öffnete die schäbige Reisetasche, und feucht-muffiger Geruch schlug ihm entgegen. Nichts, was er nicht jeden Tag roch, wenn die Reisenden am Ende ihres Urlaubs die Schmutzwäsche nachlässig in Taschen, Rucksäcke oder Koffer stopften.
Aber diese spezielle Wäsche war besonders unappetitlich, denn Reguli A war als außerordentlich feuchter Dschungelplanet bekannt, und es trocknete dort einfach nichts. Alles wurde klamm, und nach einer Weile stank alles nach verschimmeltem Pilzgeflecht (und sah auch genau so aus).
Der Boleandit trat von einem Huf auf den anderen, und als sich die Hand von 111313 dem Boden der Tasche näherte, hüpfte der Reisende auf seinen vier unteren Extremitäten derart umher, als müsste er ganz dringend die nächste Toilette aufsuchen.
»A-ha!« Triumphierend befreite 111313 ein marmeladenglasgroßes, rundes Objekt aus den Tiefen der Tasche. »Was haben wir denn hier?«
»Das ist nur ein Experiment«, kreischte der Boleandit.
»Drogen? Delivium-Kristalle? Dauerwurst?« 111313 schmunzelte. Hatte er also doch mal wieder den richtigen Riecher gehabt. Nun, Schmutzwäsche ist nicht gerade die beste Tarnung. Jetzt galt es nur noch herauszufinden, was der mittlerweile stark schwitzende Boleandit versuchte zu schmuggeln.
»Neinnein. Wie gesagt, es ist nichts. Nur ein Experiment, das ich auf dem Symposium vorgestellt habe.«
»Davon möchte ich mich bitteschön selbst überzeugen. Öffnen Sie den Behälter!«
»Das geht nicht. Das würde das Experiment ruinieren und noch einiges andere.«
»Ach, und der Herr denkt, ich würde ihm das einfach durchgehen lassen?« 111313 liebte seinen Job, wenn er einen überführten Schmuggler die ganze Macht des ihm vom Raumhafen verliehenen Amtes spüren lassen konnte. »Natürlich glauben wir jeder dahergelaufener Raumwanze, wenn sie uns nur versichert, absolut nichts zu verzollen zu haben.« Seine Stimme triefte vor jahrelang trainiertem Sarkasmus. »Aber nicht mit mir.« Sein Job war herrlich. »Und jetzt: Aufmachen!«
Der Boleandit verschränkte die Arme vor seinem Brustsegment und schüttelte die Kopffühler. »Auf gar keinen Fall.«
Der hochrote Kopf des Passagiers wies ganz deutlich auf das gewaltige Ausmaß der Schmuggelei hin. 111313 sah sich schon in einer neuen schicken Uniform, denn wenn der Fang groß genug war, würde er vielleicht sogar befördert werden. »Wenn Sie es nicht tun, dann bleibt mir nichts anderes übrig, als dieses Ding selbst zu öffnen.«
»Wenn Sie die Sphäre öffnen, zerstör–«
Er hob die Hand und schnitt dem Schmuggler das Wort ab. »Dann zerstöre ich Ihr ach so kostbares Experiment? Jaja, solche Ausreden kenne ich zur Genüge. Sie sind jetzt mal ganz still, wenn Sie mir schon nicht helfen wollen.« Kurz entschlossen drehte er an dem Behälter. Nichts bewegte sich. Dann also in die andere Richtung. Ah. Mit einem Klicken rutschte der obere Teil der Abdeckung aus der Führung.
»Ich möchte noch einmal dringend davon abraten, die Sphäre zu öffnen.« Die Facettenaugen des Boleandit traten glubschend hervor, was bei seiner Spezies das untrügliche Zeichen aufsteigender Panik war.
»Schnickschnack.« Knacks. Er hob den Deckel. Nichts.
Das Schwarze Mini-Loch sog alles im Umkreis einer Astronomischen Einheit in sich auf, doch davon bekamen 111313, der Boleandit und der Rest des Planeten nichts mehr mit.
»Words Words Words« lautet der Titel des Miniturenbandes, in dem die nächsten zwei Kurzgeschichten erschienen sind, d. h. es geht um Wörter, mit denen, so sagt ein Vorurteil, vor allem Frauen reichlich kommunizieren. Zumindest für diesen Band kann ich es bestätigen, denn an seiner Erschaffung waren nur Frauen beteiligt: als Herausgeberinnen und als Autorinnen.
Doch mit jeder Kommunikationsform gehen bisweilen auch jede Menge Missverständnisse einher, wie die folgenden beiden Miniaturen auf recht unterschiedliche Weise aufzeigen.
Raumschiff ABYSSA im Auftrag der Integritätsüberwachung
Universalzeit 2548892.78725
Eintrag in die Schiffsbibliothek
Aufnahme Anfang.
Eintritt in das System des Hauptreihensterns 0,7L0,9R zur Überwachung des dritten Planeten 288K, den die einheimische intelligente Spezies Erde nennt. Wir haben den Unsichtbarkeitsmodus aktiviert und beginnen nun damit, die Kommunikation des Planeten zu überwachen. Noch immer verfolgen wir die Brodonen, die sich mit ihrer Jagd auf Elementarkonzentrate zu den gefährlichsten Freibeutern des gesamten Sektors entwickelt haben. Hoffentlich gelingt es uns diesmal, sie aufzustöbern.
Aufnahme beenden.
Universalzeit 2548892.78831
Auszug aus dem persönlichen Tagebuch der Ersten Konnexa Corra
[…] Heute habe ich die ersten Signale, die wir von Erde … was für ein seltsamer Name … wie kann man seinen Planeten nur Dreck nennen? Besonders skurril, wenn dessen Oberfläche zu über 70 Prozent aus Wasser in zumeist flüssigem Aggregatszustand besteht und seine Bewohner trotzdem lieber auf dem Trockenen sitzen … ähm, wo war ich stehengeblieben? Ah ja. Die Auswertung. Mit dem neuen Übersetzungsmodul des Radula-Forschungszentrums für Intergalaktische Sprachwissenschaften ist das hoffentlich kein allzu großes Problem.
Kein Problem, sondern ein Missgeschick ist mir übrigens während meiner Schicht passiert: Aus Versehen bin ich unserem Schiffsführer auf den dritten Tentakel getreten. Hoffentlich denkt er jetzt nicht, ich wäre auf der Suche nach einem Gelegepartner. Wobei seine Tentakel ja schon schön straff sind.
Aufnahme beenden.
Universalzeit 2548892.78956
Auszug aus dem persönlichen Tagebuch des Schiffsführers Benta
[…] In der Kantine gab es mal wieder nur Algenbrühe. Wenn das so weitergeht, implodiert mir noch das Pallium. Meine Tentakel hängen ganz schlaff herunter, und meine Saugnäpfe sind auch schon geschrumpft. Und dann ist mir heute auch noch die Erste Konnexa auf der Brücke über meinen dritten Lauftentakel gestolpert. Ob ich ihr mal einen Algentee hinstellen soll? Für Gedichte ist es wohl noch zu früh. Aber weshalb will sie ausgerechnet mich als Gelegepartner, wo ich doch aussehe wie ein Schrumpel-Belemnit? Schluss, aus. Puh, jetzt brauch ich erst mal was zum Schnabulieren zwischen die Mandibulare … Verflixt, wo hab ich nur die getrockneten Bilateria versteckt? Wenn ich nicht bald was Anständiges zu essen bekomme, knabbere ich noch an einem meiner eigenen Tentakel … Läuft die Aufzeichnung etwa immer noch? Mist.
Aufnahme beenden.
Universalzeit 2548892.79182
Automatischer Alarm des Radula-Übersetzungs-Moduls
Warnung! Verdächtige Kommunikation in der nördlichen Hemisphäre von 288K entdeckt. Warnung!
Universalzeit 2548892.79225
Eintrag in die Schiffsbibliothek
Aufnahme Anfang.
Die Erste Konnexa Corra versucht, den Inhalt der verdächtigen Kommunikation, die das Radula-Modul entdeckt hat, vollständig zu entschlüsseln. Vorsorglich wurde Sektorenalarm ausgerufen, der alle Raumschiffe auffordert, einen Mindestabstand von 4,0 Kelikeks zu dem System 0,7L0,9R zu wahren, bis die vorläufige Übersetzung bestätigt ist. Allem Anschein nach verkaufen die Bewohner des Planeten 288K die Seelen ihrer Mitplanetarier an die Brodonen. Diese Schlussfolgerung liegt nahe, denn in Zusammenhang mit dem Seelen-Handel konnte überzufällig oft die Silbe Brod identifiziert werden. Wenn es stimmt, dass unbemerkt von der Integritätsüberwachung ein groß angelegter illegaler Seelen-Verkauf aufgezogen wurde, dann erfordert dies unser sofortiges Eingreifen ohne vorherige Rücksprache mit dem Magistrat. Um den Planeten 288K umgehend zerstören zu können, habe ich die Aktivierung der Sonneneruptionssonde angeordnet.
Aufnahme beenden.
Universalzeit 2548892.79376
Auszug aus dem persönlichen Tagebuch der Ersten Konnexa Corra
[…] Das lokale Idiom, in dem das verräterische Signal übermittelt wurde, bereitet größere Probleme, als ich gedacht hatte. Jetzt habe ich die Nachricht schon drei Mal erfolglos durch die Übersetzungsmatrix laufen lassen. Wahrscheinlich irgendein kniffliger Code, um uns zu täuschen. Immerhin konnte ich die Selbstbezeichnung der Seelen-Jäger entschlüsseln: aasfressende Weltraum-Raubvögel. Wenn das nicht für eine Beförderung ausreicht! Leider hat Benta meinen Stolperer tatsächlich missverstanden und mir gestern einen Algentee auf die Konsole gestellt. Ich hatte ja eigentlich noch nicht vor, ein Nest zu gründen. Wenn ich doch nur besser aufgepasst hätte, wohin ich trete. Auch wenn ich zugeben muss, dass seine Saugnäpfe verführerisch rund sind.
Aufnahme beenden.
Universalzeit 2548892.81032
Auszug aus dem persönlichen Tagebuch der Ersten Konnexa Corra
[…] drei Zyklen nicht geschlafen. Darf nicht schlafen. Habe ein … ein terro…rranisches Übersetzungsmodul entdeckt … Kuukl tränslait … als Interlink zwischen Teuts, Kinesis … mit dem Radula-Modul chrchrchrchrchrchchr
Universalzeit 2548892.81239
Auszug aus dem persönlichen Tagebuch der Ersten Konnexa Corra
Hmmm? Da bin ich wohl eingeschlafen. Aber ich habe es tatsächlich geschafft. Hier steht es ja: Seelen jeden Tag frisch serviert.