Yenayas Smaragd - Bianca M. Riescher - E-Book

Yenayas Smaragd E-Book

Bianca M. Riescher

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Beschreibung

„Sag mir, wie viel Wut ist in dir? Träumst du vom Kampf?“ Tief im Waldland, dem smaragdgrünen Herzen von Dschanor, steht die Priesterin und Kriegerin Lisaan treu im Dienste der Kriegsgöttin Yenaya. Als sie eines Tages den geheimnisvollen Tareq gefangen nimmt, schleichen sich Zweifel in ihr geordnetes Leben. Träume und Visionen quälen die Priesterin, zeigen ihr eine vermeintlich gemeinsame Vergangenheit mit dem Fremden. Was als Ahnung beginnt, mündet in Intrige und Kampf. Bald schon steht Lisaan allein vor den schwierigsten Fragen ihres Lebens. Wird sie sich am Ende für ihren Geliebten Komlaar, den eigenen Clan oder eine ungewisse Zukunft entscheiden? Denn nur die Götter Dschanors lenken das Schicksal einer Liebe, an die sich Lisaan nicht erinnern kann.

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Yenayas Smaragd

Eine zweite Erzählung aus Dschanor

Die Deutsche Bibliothek und die Österreichische Nationalbibliothek verzeichnen diese Publikation in der jeweiligen Nationalbibliografie. Bibliografische Daten:

http://dnb.ddp.de

http://www.onb.ac.at

© 2017 Verlag ohneohren, Ingrid Pointecker, Wien

1. Auflage

Autorin: Bianca M. Riescher

Covergestaltung: Verlag ohneohren

Coverillustrationen und -grafiken: freepik.com

Karte: Verlag ohneohren

Lektorat, Korrektorat: Verlag ohneohren

www.ohneohren.com

ISBN: 978-3-903006-90-4

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und/oder des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Inhaltsverzeichnis

Karte von Dschanor

Die Ebene von Harash

Im Tempel der Kriegsgöttin

Von Tamai nach Funar

Der Heilige Hain

Der Bauernhof

Auf dem Weg nach Anc’Be

Im Wald von Anc’Be

Am Orakelsee

Yenayas Höhle

Rückkehr nach Tamai

Abschied

Epilog

Die Ebene von Harash

„Mmh, Komlaar. Lass das.“ Lisaan fuhr mit der Hand über ihr Gesicht und versuchte das Kitzeln zu vertreiben, das sie aufgeweckt hatte. Sie wälzte sich herum und blieb auf der Seite liegen. Bei den neun Höllenringen. Muss er mich jetzt schon wecken? „Ich möchte noch schlafen“, murmelte sie undeutlich und wickelte sich fester in die feuchte Schlafdecke. Zu spät. Sie war wach und bemerkte, wie die Kälte des Waldbodens in ihren müden Körper kroch. Ich hätte doch das Winterschlaffell mitnehmen sollen. Mit einem Seufzen öffnete Lisaan die Augen.

Komlaar lag ausgestreckt auf dem Rücken friedlich neben ihr und schnarchte leise, sodass sich die Decke über seiner breiten Brust bei jedem Atemzug hob. Zumindest war er nicht der Störenfried, der sie um die wenigen Augenblicke wohlverdienter Erholung gebracht hatte.

Ein rotgoldenes Buchenblatt segelte durch die Luft und landete vor ihrer Nase. Bei Yenaya. Zum Glück ist das unser letzter Beutezeug, bevor der erste Schnee fällt. Der Herbst war schon weit fortgeschritten und bald begann die Herrschaft der Wintergöttin Chunaak.

Lisaan streckte sich, gähnte herzhaft und rüttelte Komlaar an der Schulter. „Steh auf! Es ist Zeit. Wir müssen aufbrechen.“

Den Mund leicht geöffnet schnarchte er weiter, sichtlich unbeeinflusst von ihren Bemühungen.

Du hast auch schon mal besser ausgesehen. Sie fuhr mit den Fingern durch sein halblanges, blondes Haar. Aber ich mag den Bart, der dir in den letzten Wochen gewachsen ist. Verflucht, ich habe mich viel zu sehr an dich gewöhnt.

„Wach auf! Es dämmert.“

„Lisaan?“ Er gähnte und rubbelte mit der Hand über sein Gesicht.

Sie verpasste ihm einen liebevollen Schlag gegen den Arm. „Nicht mehr lange und wir sind zu Hause. Du weißt, was wir dann als Erstes machen?“

„Du wirst mich endlich heiraten?“ Er grinste und entblößte dabei ebenmäßige Zähne.

„Nein. Noch nicht, Komlaar.“ Sie schüttelte den Kopf und lachte. „Ich meinte etwas anderes. Wir können wieder zusammen ein heißes Bad genießen. Allein.“

„Ich kann’s kaum erwarten.“ Er schälte sich aus der Schlafdecke, warf die letzte Müdigkeit ab und stand auf. „Wird’s bald, faules Pack. Aufstehen!“ Seine Stimme schallte durch den Wald, erschreckte ein paar Vögel und scheuchte die restlichen Schläfer auf.

Lisaan amüsierte es, wie übergangslos er ausgeschlafene Geschäftigkeit vortäuschen konnte. Sie betrachtete die zerknitterten Gesichter der zwanzig Männer und Frauen, die sie und Komlaar befehligten. Bei Yenaya, ich hoffe nur, ich sehe nicht genauso übermüdet aus. Es wird wirklich Zeit, dass wir nach Hause kommen. Seit vier Wochen befanden sie sich jetzt schon auf Beutezug und Lisaan sehnte sich nach einem weichen Bett und vor allem nach ungestörtem Zusammensein mit Komlaar.

Zuerst mussten sie noch die Flussebene von Harash und den Sumpf durchqueren. Dann wären sie endlich wieder in Tamai. Nur noch zwei Tage. Das war zu schaffen, selbst schwer beladen mit ihrer Beute: Silber und Waffen.

Ein Lichtstrahl durchdrang das Blätterdach und blendete sie. Einen Augenblick lang genoss sie diesen ersten Sonnenschein seit drei Tagen. Der endlose Regen war zermürbender als der Schlafmangel, die Kämpfe und Komlaars übertriebene Fürsorge. Lisaan schickte eine kurze Bitte an die Kriegsgöttin Yenaya: Trockene Kleidung, mehr verlange ich doch gar nicht. Sie atmete tief durch, straffte ihre Schultern und gab den Befehl zum Aufbruch.

Ein schmaler Pfad führte die Krieger aus Tamai zwischen Baumriesen und Unterholz den Hügel hinab zum Waldrand. Im Schutz der Bäume hielten sie an und Lisaan spähte hinunter in die Flussebene. Einzelne Nebelbänke, die über den träge dahinfließenden Fluss Harash zogen, widersetzten sich noch hartnäckig den wärmenden Strahlen der Sonne.

Lisaan nickte Komlaar zu. Er schwenkte seinen Arm über den Kopf und die Krieger setzten sich in Bewegung. In einer langen Reihe folgten die Reiter Komlaar in die grasbewachsene Niederung, während der Nebel sich langsam auflöste und in einen milchigen Dunst überging.

Nur auf einem begrenzten Streifen entlang der Flussbiegung wuchsen Erlen und Weiden und bildeten eine undurchdringliche grüne Wand, die lediglich an dem flachen Flussübergang einen Durchlass bot.

Komlaar lenkte sein Pferd neben Lisaan. „Bald sind wir in Tamai.“

„Ja. Ich freue mich auch, nach Hause zu kommen.“ Sie sah ihren Liebhaber an, der unruhig auf dem Pferderücken herumrutschte.

Er wandte den Blick ab und schien aufmerksam zwischen den Bäumen zum Fluss zu spähen. „Ich habe es ernst gemeint.“ Mit einem übertrieben lauten Seufzer sprach er weiter: „Heirate mich, wenn wir zurück sind.“

Rasch ergriff Lisaan Komlaars Zügel und trieb ihre beiden Pferde an, bis sie außer Hörweite der Krieger waren.

„Genügt es dir nicht, das Bett mit mir zu teilen?“, zischte sie ihn an.

„Aber, ich dachte, du wolltest auch …“

„Ich genieße die Zeit mit dir, aber ich weiß nicht, ob ich schon bereit dazu bin, deine Frau zu werden.“

Lisaan ritt entlang der baumgesäumten, äußeren Flussbiegung, umrundete ein Weidengebüsch und überblickte die baumlose Ebene bis zur Furt.

„Aber … Lisaan … Ich l-“

Sie stutzte. Mit einer mahnenden Geste schnitt sie Komlaar das Wort ab. Die Hand hoch erhoben, um ihre Krieger auf eine Gefahr aufmerksam zu machen, ließ sie ihr Pferd rückwärtsgehen, bis sie wieder hinter dem Gehölz in Deckung war, von dem aus sie zwischen den Zweigen hindurch die Furt und die Ebene überblicken konnte, ohne selbst gesehen zu werden.

Eine Bogenschussweite entfernt durchquerten zehn Reiter den Fluss. Trijan. Unverkennbar. Sie trugen die weiten, schwarzen Gewänder der Wüstenbewohner. Dunkelblaue Stoffbahnen verhüllten ihre Gesichter bis unter die Augen.

Mit Trijan hatte sie nicht gerechnet. Nin’Harra soll sie verfluchen. Sie waren viel zu nah am Gebiet ihres Clans.

Die Reiter, die schon die Furt durchquert hatten, warteten, bis alle Trijan auf dieser Seite des Flusses angelangt waren, und es schien, als wollten sie über die Ebene Richtung Südosten weiterreiten. Genau dorthin, wo sie und ihre Krieger sich hinter den Büschen verbargen.

„Verdammt, was wollen diese Hunde hier?“, schimpfte Komlaar, der neben ihr durch das Gebüsch schaute.

Lisaan zog einen Pfeil aus ihrem Köcher und nockte ihn an der Sehne ein. Ihre Kämpfer schlossen zu ihnen auf, folgten dem Beispiel und auf einen Wink von Lisaan hin gingen sie in Angriffsstellung.

„Was hast du vor?“ Komlaar drängte sein Pferd gegen ihres. „Du willst sie doch wohl nicht auf offenem Feld angreifen?“

Ihr Pferd tänzelte ein paar Schritte zurück. „Doch. Genau das habe ich vor.“

Mit zwei Fingern kniff sich Komlaar in den Nasenrücken. „Aber es sind Trijan“, sagte er betont langsam.

„Es sind Krieger, wie wir.“ Sie drückte ihrer Stute die Schenkel in die Seite.

Komlaar griff nach den Zügeln und hielt ihr Pferd auf.

Was soll das? „Lass auf der Stelle mein Pferd los!“

„Aber es sind Sklavenjäger. Widerwärtiger Abschaum. Wir müssen nur warten, bis sie näherkommen, dann können wir sie ganz leicht aus der Deckung heraus von den Pferden schießen.“

„Nein, Komlaar.“ Fassungslos schnappte Lisaan nach Luft. „Wir dienen der glorreichen Kriegsgöttin, die den ehrlichen Kampf gutheißt. Auf keinen Fall lasse ich zu, dass meine Krieger wie Wegelagerer über ahnungslose Feinde herfallen.“

„Und ich kann nicht erlauben, dass sich meine zukünftige Frau einer unnötigen Gefahr aussetzt.“

„Du gehst zu weit, Komlaar. Habe ich mich nicht klar genug ausgedrückt?“ Lisaans Stimme klang gefährlich leise. „Ich befehle die Krieger. Ich bestimme, welchen Gefahren ich mich aussetze. Nicht du.“ Mit einem Ruck befreite sie die Zügel aus Komlaars Hand. „Und ich sage, wir lauern nicht feige im Hinterhalt.“

Bevor die Trijan ihnen zu nahe kamen oder Komlaar sie noch einmal aufhielt, trieb Lisaan ihre Stute aus dem Versteck und zeigte sich dem Feind.

Einer der Trijan, der im Gegensatz zu den anderen einen dunkelroten, fast schwarzen Gesichtsschleier trug, schien sie zuerst zu bemerken und verharrte. Mit erhobener Hand gab er seinen Männern ein Zeichen, die daraufhin in die Köcher langten, Pfeile herauszogen und ebenfalls einnockten.

Ein Pfiff von Komlaar. Der Kampf begann.

„Verteilt euch!“ Lisaans Befehl gellte über die Ebene.

Ihre Krieger stoben auseinander. Die Trijan antworteten mit einem Pfeilregen. Schmerzensschreie. Dafür werdet ihr bezahlen. Neben ihrem Oberschenkel bohrte sich eine Pfeilspitze in das Sattelleder und der Schaft blieb vibrierend stecken. Sofort wechselte sie die Richtung. Ein anderer Bogenschütze zielte auf sie. Lisaan rutschte seitlich aus dem Sattel und der Pfeil zischte über sie hinweg. Einen Herzschlag später saß sie wieder aufrecht und griff in den Köcher. Unermüdlich legte sie Pfeil um Pfeil an und schoss auf die vermummten Gestalten.

Ein Pfeil streifte ihre linke Schulter. Verdammtes trijanisches Schwein. Hemmungsloser Zorn sandte Wellen der Hitze durch ihren Unterleib. Die Linke um den Bogen verkrampft und die Lippen hart aufeinandergepresst, sah sie sich nach dem Schützen um. Keine Zeit, sich um die Verwundung zu kümmern. Der Rausch des Kampfes überdeckte den Schmerz. Wie um sie zu verhöhnen, hob der hochgewachsene Krieger mit dem roten Gesichtsschleier grüßend den Bogen in ihre Richtung.

Tareq sah der Frau fasziniert hinterher. Soeben kippte sie seitwärts vom Pferd, wich einem Pfeil aus und saß im nächsten Moment wieder im Sattel. Dunkelblonde Locken lösten sich aus ihrem Haarzopf, schlangen sich um Hals und Schultern und bildeten einen reizvollen Kontrast zu ihrer sonst hellen Erscheinung.

Er betrachtete die blauen Tätowierungen auf ihren Händen und Unterarmen. Eine Priesterin. Er kannte die Zeichen. Einst hatte sein Vater eine kreedanische Priesterin erbeutet und zu seiner Sklavin gemacht. Aber diese hier ist weder Sklavin noch eine einfache Priesterin, sondern eine hervorragende Kriegerin.

Er hob den Bogen, zielte und bedauerte nur für den Bruchteil eines Augenblicks, dass der Pfeil lediglich ihren Oberarm streifte. Die pure Verschwendung, wenn ich dich getötet hätte. Zu seiner Überraschung hielt die Verletzung sie nicht auf. Sie wendete ihr Pferd auf der Hinterhand und sah sich um.

Ah! Suchst du mich, meine Schöne? Um ihre Aufmerksamkeit einzufangen, schwenkte er den Bogen. Mit einem Schrei trieb sie ihre Stute an, kam direkt auf ihn zu, zwanzig Schritte, zehn Schritte, immer näher, so nah, bis er die Farbe ihrer Augen erkennen konnte. Das Grün leuchtete voller Wut.

Sie zügelte ihr Pferd und musterte ihn. Auf einen Wink der Priesterin hin ließen die anderen sie mit ihrem selbst gewählten Feind allein.

Tareqs Blick hing an der todbringenden Reiterin. Ein roter Fleck zeigte sich auf ihrem Hemd an der Stelle, wo er sie getroffen hatte. Ikash’Kasan sei Dank, wie es aussieht, keine gefährliche Verwundung. Er hielt seinen Bogen gesenkt und wartete. Sie ist so schön wie die Kriegsgöttin selbst. Die Priesterin verharrte wie er in gespannter Ruhe. Kenne ich dich? Verwundert über seine eigene Frage schüttelte er den Kopf und löste den Bann.

„Vielleicht solltest du dich besser ergeben!“, rief Tareq lachend zu ihr hinüber. Er wies auf den Blutfleck auf ihrem Ärmel. „Dann lasse ich dich leben.“

Ihre Augen weiteten sich. „Bastard“, presste sie hervor, hob den Bogen und der Pfeil löste sich von der Sehne.

Tareq bog seinen Oberkörper einige Zoll zu Seite. Nicht weit genug. Die Spitze bohrte sich in seinen linken Arm. Verdammt. Überrumpelt wie ein Frischling. Der Pfeil steckte unerfreulich in seinem Muskel. Er ließ den Bogen los, den er mit dieser Verletzung nicht mehr halten konnte. Bei Taggalts Hintern. Das wird dir noch leidtun, Frau. Er wendete sein Pferd, als sie bereits wieder an ihm vorbeistürmte, sich im Sattel umdrehte, rückwärtsgewandt ihren letzten Pfeil abschoss und ihn verfehlte.

Sie warf den nun nutzlosen Bogen fort, riss das Pferd herum, galoppierte auf ihn zu und zog das Schwert aus der Scheide. Er nahm die Herausforderung an und griff ebenfalls zu seiner Klinge. Ich möchte zu gern wissen, ob sie genauso gut liebt, wie sie kämpft? Instinktiv meinte er die Antwort auf diese Frage zu kennen, doch das spielte keine Rolle mehr, denn gleich hatte sie ihn erreicht.

Lisaan trieb ihre Stute vorwärts. Gleich war sie bei dem unverschämten Mistkerl. Das Schwert in ihrer Hand drängte darauf, sich in das Herz ihres Gegners zu versenken. Mit stiller Vorfreude kostete sie die Erregung des Kampfes aus, die sie wie die sinnliche Nähe eines Mannes genoss. Nur noch zwei Galoppsprünge, bis sie bei ihm war.

Aber …? Was soll das? Hinter dem Trijan tauchte Komlaar auf und schoss. Der Pfeil musste getroffen haben, denn ihr Gegner zuckte zusammen.

Komlaar preschte heran und schlug den Trijan mit seinem Bogen vom Pferd. Er hob die Hand, grüßte im Vorbeireiten in Lisaans Richtung und suchte sich einen anderen Feind.

„Verdammt! Komlaar!“ Lisaan zügelte ihre Stute, sprang aus dem Sattel und stellte sich breitbeinig über den Fremden. Sie setzte die Schwertspitze an seine Kehle und stieß mit dem Fuß in seine Seite.

Keine Reaktion.

Jetzt setzte sie die Klinge auf seine Brust, stach zu und spürte Widerstand. Bei Nin’Harras Wölfen, er trägt ein Kettenhemd. Der Trijan bewegte sich immer noch nicht. Sie steckte das Schwert zurück in die Scheide und kniete nieder.

Der mitternachtsrote Stoff, der um seinen Kopf gewickelt war, ließ nur einen schmalen Schlitz für die Augen unbedeckt. „Verflucht, ich will sehen, gegen wen ich kämpfe.“ Mit der Rechten hielt sie ihm ihren Dolch an die Kehle, falls er noch leben sollte. Dann zog sie das Tuch von seinem Gesicht.

Bei Yenaya. Sie reckte das Kinn vor und biss sich auf die Lippe. Er sieht sogar noch besser aus als Komlaar. Die gerade Nase war allenfalls ein wenig zu klein für das markante Gesicht, doch am meisten fielen Lisaan seine langen, schwarzen Wimpern auf. Sie starrte den Trijan unverwandt an. Er mochte vielleicht vierzig Sommer zählen. Auf alle Fälle ist er älter als Komlaar. Im Gegensatz zu den kreedanischen Männern trug der Trijan einen gestutzten Vollbart, schwarz, von einzelnen grauen Strähnen durchzogen. Dummes Schaf. Lass dich von seinem hübschen Gesicht nicht ablenken.

Sie zuckte zurück, als er die Augen aufschlug. Dunkel wie eine mondlose Nacht. Seine schmalen Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Rasende Schmerzen stachen in ihren Kopf. Übelkeit ließ sie würgen und nur mit reiner Willenskraft gelang es ihr, sich nicht zu übergeben.

Ich habe diese Augen schon einmal gesehen. Das Blut pochte in ihren Schläfen. Wann habe ich dich gesehen?Und wo? Krampfhaft hielt sie den Dolch an die Kehle des Trijan und presste ihre Frage zwischen den Zähnen hervor: „Wer bist du?“ Woher kenne ich dich?

Sein Lächeln wurde breiter. „Weshalb willst du das wissen, meine Schöne?“

Meine Schöne? Diese Worte, seine Stimme, aber vor allem seine Augen, erinnerten sie an einen Traum, den sie längst vergessen glaubte. Lisaan atmete tief ein und drängte die Übelkeit zurück. Sie zwang sich, ihre Gedanken zu sammeln und schüttelte die Verwirrung ab. Der stechende Schmerz in ihrem Kopf verschwand so schnell, wie er gekommen war. Verdammt, das passiert mir sonst nur bei der Gedankenverbindung. „Damit ich Yenaya sagen kann, wen ich ehrenvoll besiegt zu ihr schicke.“

„Ehrenvoll besiegt? Nein. Nur hinterrücks aus dem Sattel befördert.“

Sie herrschte ihn an. „Sag mir deinen Namen!“

„Der Kriegsgott Ikash’Kasan kennt meinen Namen, wenn ich vor ihn trete. Deine Göttin ist mir gleichgültig. Und du … du brauchst meinen Namen nicht zu wissen, um mich zu töten, Priesterin.“

„Was habt ihr hier zu suchen?“ Um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, drückte sie den Dolch gegen seine Halsschlagader. Ein Blutstropfen rann träge aus der winzigen Wunde und versickerte in seinem Gewand.

„Was für eine seltsame Frage. Weswegen raubt ihr andere Städte aus? Doch ebenfalls der Beute wegen.“ Er lachte.

„Bastard. Ich will wissen, wer du bist!“ Ich muss wissen, warum ich dich kenne. Sie stach die Dolchspitze etwas weiter in seine Haut.

„Dscha’Saïf“, sagte er, als erklärte dieses Wort alles.

Dscha’Saïf? Ich kenne dieses Wort. Das leichte Ziehen in ihren Eingeweiden schien ihr mitteilen zu wollen, dass es keine angenehmen Erfahrungen bedeutete.

Lisaan hörte Schritte. Jemand trat hinter sie, doch sie wagte nicht, den Blick von ihrem Feind abzuwenden, der die Person hinter ihr fixierte.

„Wir sehen unseren Feinden in die Augen, wenn wir sie töten“, fügte der Trijan mit erhobener Stimme hinzu.

„Was ist das? Dscha’Saïf?“, fragte Lisaan und lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf sich.

Er sah sie direkt an. „Nichts, was dich etwas anginge, Frau.“

„Töte ihn endlich, Lisaan!“, hörte sie Komlaar hinter sich. „Der Kampf ist vorbei. Sieh, da rennen sie, die feigen Hunde.“

Mühsam löste Lisaan ihren Blick von dem Mann und sah den Trijan hinterher. Der Nebel hatte sich vollends aufgelöst und die Sonne beschien die Leichen derer, die nicht so viel Glück gehabt hatten wie die Flüchtenden.

„Komm schon. Ein rascher Schnitt mit dem Dolch, dann sind wir das Ungeziefer los und können endlich weiterreiten.“ Er schob Lisaan ein Stück zur Seite und sie ließ es zu.

Sie setzte sich auf die Fersen und zählte ihre Krieger, die sich um sie sammelten. Nur noch achtzehn. Es waren nur noch achtzehn.

„Wer ist gefallen?“

„Tamat und Narla.“ Nach einer halben Ewigkeit sprach Komlaar weiter. „Wenn wir mit dem Angriff gewartet hätten … ein paar Pfeile aus dem Hinterhalt, dann wären Narla und Tamat jetzt noch am Leben.“

Lisaan atmete tief ein. „Sie sind ehrenvoll gefallen.“ Zumindest leben sie nun im ewig grünen Wald der Göttin Yenaya weiter. Sie schüttelte den Kopf. Bei Yenaya, ich lasse den Trijan für unsere Toten bezahlen, sobald ich herausgefunden habe, woher ich den Bastard kenne.

Komlaar nahm seinen Dolch und beugte sich zu dem Gefangenen hinunter. „Wenn du es nicht tust, dann werde ich es zu Ende bringen.“

„Nein!“ Lisaan schlug Komlaars Hand mit dem Dolch weg und steckte ihren eigenen zurück in den Gürtel. „Wir folgen der Tradition und schenken ihn der Kriegsgöttin.“ Mit festem Griff fasste sie den Pfeil, der immer noch im Arm des Trijan steckte, und brach den Schaft ab. Nur ein flüchtiges Zucken um seinen Mund verriet den Schmerz, den er bei ihrer ruppigen Behandlung fühlen musste. „Setz dich auf!“, bellte sie ihn an. „Dein Arm!“

Seine Miene versteinerte. Er hielt den Atem an und mit zusammengepressten Lippen nickte er ihr zu. Sie zog den Pfeil, der den Arm fast komplett durchbohrt hatte, heraus.

Der Trijan knurrte sie an und presste seine Hand auf die Wunde, die stark blutete. Mit dem Kopf wies er hinter sich. „In meinem Rücken steckt auch noch einer. Wenn du so liebenswürdig wärst …“

Tatsächlich, aus seinem Rücken ragte ein abgebrochener Schaft. Die Spitze konnte höchstens einen Zoll weit in den Muskel eingedrungen sein. Sie riss sein Übergewand herunter. Ein gut gezielter Schuss, der mit weniger Glück direkt in sein Herz gedrungen wäre. Die dreiseitige Spitze steckte zwischen zwei Gliedern des Kettenhemdes fest und hatte nur eine oberflächliche Wunde gerissen.

„Dein Pech, Trijan. Der Pfeil hätte einen gnädigeren Tod bedeutet, als er dich jetzt erwartet.“ Sie zerrte die Spitze heraus und hörte das erleichterte Aufatmen des Mannes.

„Danke, meine Schöne. So geht es besser.“

Unverschämter Trijan. Ihre Faust landete in seinem Gesicht. „Keine Ursache.“

Er spuckte Blut aus, grinste und deutete eine Verbeugung an.

Sie wandte sich an Komlaar. „Kümmere dich um den Gefangenen! Ich will ihn unversehrt nach Tamai schaffen. - Bahida!“ Lisaan winkte eine junge Kriegerin herbei, die in der Nähe stand. „Und du …“, blaffte sie den Trijan an. „Steh auf!“

Komlaar befreite ihn von Schwertgehänge und Übergewand. Bahida half ihm dabei, die ledernen Riemen des Kettenhemdes zu lösen.

Daraufhin zog Komlaar dem Gefangenen den Gesichtsschleier vom Kopf, riss ihn in lange Streifen, wickelte sie als Verband um die Armwunde und fesselte seine Hände.

Die Kriegerin übergab Lisaan das Kettenhemd.

„Mir wäre es lieber gewesen, ich hätte diese Trophäe im ehrlichen Kampf gewonnen, Komlaar.“ Sie schüttelte den Kopf. „Betrüge mich nie wieder um einen Sieg. Dieser Trijan war mein.“

„Ich wollte …“

Lisaan hob die Hand. „Nein. Ich will deine Sorgen, deine Rechtfertigung, oder was auch immer dich dazu gebracht hat, nicht hören. Er gehörte mir. Nur weil wir das Bett teilen, steht es dir nicht zu, dich in meine Kämpfe einzumischen oder meine Anweisungen infrage zu stellen.“

Komlaar schwieg zu ihrer Zurechtweisung. Das Kinn trotzig erhoben, fasste er den Gefangenen am Oberarm und schob ihn grob vor sich her. Auf Komlaars Wink hin schloss sich Bahida ihnen an.

Warum muss er es mir immer so schwer machen? Lisaan überholte die drei.

„Arrogante Priesterin“, hörte sie Bahida murmeln.

Lisaans Rückenmuskeln verkrampften; nach kurzem Zögern ging sie steif weiter. Sie seufzte. Für diesmal ließ sie die Respektlosigkeit der jungen Kriegerin durchgehen. Ich muss härter durchgreifen. Komlaars Eigenmächtigkeit färbt langsam auf die Krieger ab. Sie sollte sich mit ihm aussprechen. Dringend. Nur nicht jetzt. Ihr Kopf und der Streifschuss schmerzten und sie sehnte sich mehr denn je nach Tamai.

„He, Kreedan.“ Bei den frechen Worten des Gefangenen wandte Lisaan sich um. Aber er hatte nicht sie gemeint, sondern Komlaar. Die drei waren stehen geblieben und Bahida warf dem Trijan tödliche Blicke zu. Sie wippte von einem Fuß auf den anderen, als wolle sie sich gleich auf den Trijan werfen und ihm die Gurgel umdrehen.

Komlaar stand starr neben dem Trijan, der ihn um Haupteslänge überragte. „Was kläffst du mich an, Hund?“, fragte er den Gefangenen mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Du warst es doch, der mich feige von hinten angegriffen hat?“ Der Gefangene lächelte. „Ich werde dich dafür töten.“

„Dazu wirst du keine Gelegenheit bekommen.“

Lisaan schnippte mit den Fingern, und Komlaar krallte seine Finger in den Oberarm des Trijan, zerrte ihn weiter zu den Pferden. Ich hoffe nur, es war kein Fehler, ihn nicht sofort zu töten.

Sie gab Bahida die Anweisung ein herrenloses Pferd einzufangen, das der Fremde ohne Gegenwehr bestieg. Komlaar band die Füße des Gefangenen unter dem Bauch des Tieres zusammen.

Lisaan nickte zufrieden und bestieg ihr eigenes Pferd. Gut, er kann nicht entkommen und wir können endlich nach Hause. „Wir brechen auf. Ich will diesen verfluchten Ort so schnell wie möglich hinter mir lassen.“ Ohne sich zu vergewissern, ob ihre Krieger folgten, jagte Lisaan ihre Stute in den Fluss.

Nach dem Überfall in der Ebene von Harash erreichten Lisaan und ihre Krieger unwegsames Sumpfland. Seit zwei Tagen mühten sich die Pferde durch kniehohes Wasser. Die allgegenwärtige Feuchtigkeit kroch den Reitern in die Knochen und die Erschöpfung war den Kriegern anzusehen.

Wie die anderen hatte auch Lisaan es längst aufgegeben, sich der Myriaden blutsaugender Mücken zu erwehren. Mit hängenden Köpfen, eingewickelt in ihre wollenen Überwürfe und äußerst schweigsam quälten sie sich durch den Sumpf. Lisaan konnte ihnen die offenkundig miserable Stimmung nicht verdenken. Auch sie sehnte sich danach, die klamme Kleidung gegen ein warmes Bad zu tauschen.

Selbst in den Ruhepausen und während des Nachtlagers fanden sich in der sumpfigen Landschaft trockene Stellen nur auf den wenigen inselartigen Erhebungen. Die Anhöhe, auf der sie jetzt rasteten, ragte weit genug aus dem Sumpf, um nicht von Wasser bedeckt zu sein. Pferde und Krieger drängten sich auf dem schmalen Landstreifen zusammen, um der kriechenden Feuchtigkeit für ein paar Stunden zu entrinnen.

Zumindest belästigten sie die Sumpfgeister nicht, die Reisende gerne in die Irre führten. Ein Dutzend der kleinen, feurigen Wesen tanzte neugierig um das Lager herum, hielt aber respektvollen Abstand zu den Eindringlingen. Die Mücken waren weniger rücksichtsvoll.

Lisaan lehnte mit vor der Brust verschränkten Armen an einem dürren Baum, verscheuchte ab und an die stechenden Plagegeister aus ihrem Gesicht und sah den roten Irrlichtern zu. Der hypnotische Bann, der von ihnen ausging, führte ihren Blick über die endlos scheinende Wasserfläche des Sumpfes und ließ sie die Feuchtigkeit vergessen. Wenn alles gut ging, sollten sie gegen Nachmittag Tamai erreichen. Doch dann musste sie über das Schicksal ihres Gefangenen entscheiden.

Bei Yenaya. Warum habe ich ihn überhaupt mitgeschleppt? Mit einem Kopfschütteln, das ihr selbst galt, sah sie zu dem Trijan. Seine Bewacher stellten ihn gerade mit dem Rücken an den Stamm einer Birke. Sie verdrehten seine Arme so weit nach hinten, dass sie um den Baum reichten und Bahida band seine Hände zusammen.

Komlaar schlang einen zusätzlichen Riemen um den Baum und den Hals des Trijan, der jetzt reglos verharren musste, wollte er sich nicht strangulieren. Die Mücken stürzten sich auf den wehrlosen Mann. Kein Muskel regte sich in seinem Gesicht. Er hielt nur die Augen geschlossen, um sie vor den lästigen Insekten zu schützen.

Wer bist du? Lisaan löste sich mit einem Ruck von dem Stamm, an dem sie lehnte, und ging zu der Birke. Den Trijan genau beobachtend schritt sie um den Baum herum. Woher kenne ich dich? Ein vages Bild erschien vor ihren Augen, aber sobald sie versuchte, näher hinzusehen, verschwand es. Lisaan zuckte zusammen, als der Trijan unvermittelt seine Lider hob.

Ein müdes Lächeln erschien auf seinem Gesicht und verstärkte die kleinen Fältchen um seine Augen. „Was willst du von mir, Frau?“

„Vergeltung.“ Eine Antwort darauf, wer du bist.

„Wofür?“

„Für die Krieger, die du und deine Hunde getötet haben.“

„In einem ehrlichen Kampf getötet.“ Er sah an Lisaan vorbei. „Ein ehrenhafter Tod verlangt keine Rache, Frau.“

„Das ist nicht meine Entscheidung, Trijan. Der Rat wird darüber befinden.“ Lisaan kehrte ihm den Rücken zu. Kann es sein, dass er recht hat? Bedarf ein ehrenhafter Tod vielleicht wirklich keiner Entgeltung? Es fühlte sich beinahe so an. Ärgerlich scheuchte sie eine Wolke tanzender Mücken aus dem Weg, als sie zu ihrem Platz zurückging und sich so setzte, dass sie ihn nicht mehr sehen konnte.

O Yenaya, warum hast du mir den verdammten Trijan geschickt? Die Träume, die sie vor einem halben Jahr heimgesucht hatten, waren fast schon vergessen. Sie lehnte mit dem Kopf am Baum. Aber je öfter sie den Trijan ansah, desto sicherer meinte sie, in seinen Augen diejenigen zu erkennen, die sie seit dem Frühling jede Nacht wachgehalten hatten. Lisaan beobachtete die tanzenden Irrlichter der Sumpfgeister, die sich in die schwarzen Augen des Trijan verwandelten. Übernächtigt rieb sie sich die Schläfen. Nein. Nicht schon wieder. Nicht schon wieder die Träume, die erst verblasst waren, als sie Komlaars Werben endlich nachgegeben und ihn zu ihrem Liebhaber gemacht hatte. In den letzten beiden Nächten waren sie schleichend zurückgekehrt. Alles umsonst.

Lisaan sah sich um. Komlaar saß neben Bahida auf einem Stein, aß ein Stück aufgeweichtes Brot und lächelte. Vielleicht hilft er mir, wieder zu vergessen. Ein Rabe flog krächzend über den Lagerplatz ihrer Krieger, schraubte sich in die Höhe und verschwand Richtung Tamai.

Am späten Nachmittag zeigten sich die ersten Anzeichen, dass sie den Sumpf bald verließen. Das seichte Wasser, in dem Pfeilkraut und Ehrenpreis wuchsen, wich zurück und Gräser eroberten allmählich die Ebene. Komlaar richtete sich in den Steigbügeln auf und beschattete mit der Hand seine Augen. Lisaan folgte seinem Blick. In der Ferne ragte schon der Turm des Tempels empor. Sie ließen das Sumpfland endgültig hinter sich, überquerten die Grasebene und ritten entlang der Felder, die um Tamai lagen.

Endlich. Sie trieb ihr Pferd noch ein bisschen mehr an. Bald erkannte sie Einzelheiten.

„Bei Yenaya …“ Lisaan zügelte ihre Stute. „Und den neun Höllenringen. Was …?“ Das war nicht der Anblick, den sie bei ihrer Rückkehr erwartet hatte. Die steinerne Spitze des Tempelturmes war schwarz von Ruß. In der Palisade klaffte eine Lücke, und die Reste der Pfähle lagen verkohlt am Boden.

Komlaar und der Gefangene schlossen zu ihr auf. Lisaan wandte sich an den Trijan. „Was hat das zu bedeuten?“

Er zuckte mit den Schultern und grinste sie an.

„Verdammter Bastard. Hat dein Haufen räudiger Hunde Tamai überfallen?“

Komlaar stach ihm mit der Spitze des Bogens in den Rücken. „Antworte, wenn die Priesterin dich etwas fragt.“

Träge wandte der Fremde den Kopf zu Komlaar und spuckte aus. „Es war eine gute Gelegenheit.“

Ein Schlag mit dem Bogen traf ihn im Gesicht.

Er hob die gefesselten Hände zur Schläfe. Seine Haut war aufgesprungen, Blut lief die Wange hinunter und benetzte seine Finger. Er betrachtete das Rot auf seiner Hand und lachte. „Erledigst du immer die Drecksarbeit für deine Geliebte?“

„Schweig!“ Komlaar hob drohend den Bogen.

„Lass das!“ Lisaan ritt weiter. „Dafür haben wir jetzt keine Zeit, Komlaar. Ich muss zuerst wissen, wie schlimm die Trijan in Tamai gewütet haben.“

Im Tempel der Kriegsgöttin

Tareq hatte nicht gedacht, dieses schäbige Dorf schon so bald wiederzusehen. Ein flüchtiger Regenschauer weichte den Boden des Tempelvorplatzes von Tamai auf; der Geruch nassen Lehms und kalten Rauchs stach in seine Nase.

Der Anblick war noch armseliger als in seiner Erinnerung. Matsch spritzte unter den Hufen der Pferde hoch und besudelte seine Hose. Er seufzte. Noch mehr Dreck. Was für ein trauriges Land, das nur aus Schmutz und Kälte besteht. Auch die Kreedan, die neben ihm und seinen Bewachern herliefen, waren voller Schlamm.

Vor vier Tagen hatte er noch über diesen Haufen von dreckigen Bauern, einem halben Dutzend Kriegern und widerspenstigen Frauen gesiegt. Aber er sollte sich nicht beschweren, dass die wankelmütige Schicksalsgöttin Am’Dara ihn auserwählt hatte, um ihre Launen zu befriedigen und er sich jetzt auf der dunklen Seite ihrer Aufmerksamkeit befand. Da er nun einmal das Leben eines Kriegers führte, war es nur gerecht, wenn er auch so sterben sollte.

Seine Bewacher hielten auf dem weitläufigen Platz, der von gedrungenen Holzhäusern gesäumt war und auf den gewundene Gassen mündeten.

Während des Überfalls hatte hinter jeder Hausecke ein Bogenschütze gelauert. Sogar Frauen und Bauern konnten mit dem Bogen umgehen, aber im Nahkampf waren sie keine ernst zu nehmenden Gegner. Wäre nicht der Großteil der Krieger Tamais auf Beutezug gewesen, hätten sie schwerlich das befestigte Dorf so leicht plündern können. Mit der Handvoll alter Kämpfer, die sie zur Bewachung zurückgelassen hatten, waren seine Männer, Ikash’Kasan sei Dank, schnell fertig geworden. Ha, nennen ihr schmutziges Dorf Stadt, dabei stehen hier nur ein paar Holzhäuser und der Tempel. Wenigstens hat sich die Beute gelohnt.

Die Bewohner des jämmerlichen Kaffs umringten ihre heimgekehrten Krieger, begrüßten sie und hoben gleich darauf die Fäuste in seine Richtung. Er blickte über ihre Köpfe hinweg und achtete nicht auf die Beschimpfungen, die sie ihm zuriefen. Vor dem Tempelportal brannten jetzt neue Fackeln, als Ersatz für die, mit denen seine Männer, als Strafe für den Widerstand der Kreedan, den Turm angezündet hatten. Sie können ihrer Göttin danken, dass ich ihre Häuser nicht niederbrennen ließ … Der Turm hat nicht viel abbekommen. Er sah nach oben. Das hölzerne Dach der Turmspitze war verbrannt und nur ein paar Steine waren durch die Hitze geplatzt und heruntergestürzt.

Im Tempeleingang erschien nun eine Priesterin und hielt direkt auf ihn zu. Er erkannte die ältere Frau. Gemeinsam mit drei Mädchen hatte sie den Tempel verteidigt. Er hatte sie bewusstlos schlagen müssen, weil sie sich nicht ergeben wollte. Auf ihrer Stirn prangte noch immer ein Bluterguss. Tareq schmunzelte. Eine würdige Gegnerin, wenn auch keine Herausforderung. Wie alt mochte sie sein? Fünfzig?Vor zwanzig Sommern hätte ich sie wahrscheinlich nicht so leicht besiegt.Und die Mädchen? Die waren verdammt hübsch. Blonde, junge Sklavinnen brachten hohe Gewinne ein und die drei erbeuteten Mädchen versprachen einen besonders einträglichen Profit. Alles in allem ein lohnender Überfall, auch wenn er jetzt mit seinem Leben den Preis für die Plünderung zu zahlen hatte. Und für die Dummheit, sich auf den Kampf mit den Kreedan eingelassen zu haben. Pech für ihn, dass er den heimkehrenden Kriegern direkt in die Arme gelaufen war. Aber es hatte ihn gelangweilt, mit Kadash und der langsamen Karawane zu ziehen, wenn es anderswo noch mehr zu erbeuten gab.

Er schnalzte mit der Zunge. Ikash’Kasan wird mich willkommen heißen, wenn sie mich töten. Er hatte gut gelebt und ehrenvoll gekämpft. Was sollte er noch mehr erwarten? Außer vielleicht der Rache an diesem Komlaar - ein Name, den er nicht so schnell vergessen würde -, der ihn hinterrücks angeschossen hatte. Oder eine Nacht mit der jungen Priesterin. Ein Schmunzeln huschte über sein Gesicht bei der verlockenden Vorstellung. Möglicherweise gibt es doch noch etwas, für das es sich zu leben lohnt.

„Lisaan!“ Die alte Priesterin eilte vorüber und er erwiderte lächelnd den vernichtenden Blick, den sie ihm zuwarf. Sie sieht aus wie eine zwanzig Sommer ältere Ausgabe der anderen. Lisaan. Auch deinen Namen werde ich nicht vergessen, meine Schöne.

Die Angerufene sprang vom Pferd und umarmte die Ältere. „Mutter.“ Sie küssten einander auf die Wange.

Ah, das erklärt die Ähnlichkeit.

Die Priesterin schob ihre Tochter eine Armlänge von sich und betrachtete sie von Kopf bis Fuß „Du bist unverletzt, der Göttin sei Dank.“ Ihr Blick schweifte über die Krieger und blieb an den Pferden hängen, über deren Rücken die beiden Toten lagen. „O nein. Wer …?“

„Narla und Tamat.“ Lisaan legte den Arm um ihre Mutter. „Sie fielen im Kampf.“ Mit einem kurzen Seitenblick lenkte sie die Aufmerksamkeit ihrer Mutter auf Tareq.

„Sehr gut.“ Die alte Priesterin nickte in seine Richtung. „Ihr habt einen Trijan gefangen. Bringt ihn zu Adgar. Wir haben einiges zu besprechen.“

Komlaar zerrte ihn vom Pferd. Er schlang einen Strick derart kurz um seine Knöchel, dass er nur kleine Schritte machen konnte. An eine Flucht war sowieso nicht zu denken, denn die Krieger nahmen ihn in die Mitte.

In die Hausgiebel waren Köpfe des Schlangenvolkes geschnitzt und sahen mit ihren schmalen Augen auf Tareq herunter, während grobe Hände an seinem Hemd rissen, das ohnehin schon in Fetzen an ihm hing. Unter Zerren und Schubsen stolperte er über den Platz, bis sie ihn in ein Haus schoben, das größer als die umliegenden war.

Ich schätze mal, jetzt werde ich erfahren, wie sie mich töten wollen. Eine Kreedan stieß ihn in den Rücken. Er strauchelte und fing sich mit den gefesselten Händen am Türrahmen ab. Ein anderer Krieger drängte ihn in den Raum.

Im Inneren brannten Wachskerzen, deren honigfarbener Schein die Holzwände beleuchtete. Über einer offenen Feuerstelle hing ein Kessel, von dem der verführerische Duft von Wein und Nelken ausging.

Die Wärme hieß seinen durchgefrorenen Körper willkommen und er war fast versucht, ein wohliges Seufzen von sich zu geben. Er musste zugeben, dass die letzten Tage ihren Tribut gefordert hatten. Doch bald schon wäre das nicht mehr von Belang. Wenn sie mich in das siebte Haradscha schicken, werde ich mehr Ruhe bekommen, als ich brauche. Aber bis es so weit war, wollte er diesen - Taggalt soll sie holen! - Kreedan kein Zeichen der Schwäche zu erkennen geben.

Seine Bewacher drückten ihn gegen eine Wand. Er hob das Kinn noch ein kleines bisschen höher und sein Blick schweifte aufmerksam über die Anwesenden.

Ein rothaariger, rundlicher Mann winkte die Krieger, die er schon kannte, in die gemütliche Stube und bot der jungen Priesterin den besten Platz in unmittelbarer Nähe des Feuers an. Die älteren Kämpfer, die Tamai verteidigt hatten, warteten bereits. Frauen und Männer verteilten sich zwischen ihnen auf die Bänke, die ringsum entlang der Wände standen. Während eine Frau jedem außer ihm einen Becher mit einer dampfenden Flüssigkeit reichte, schürte der Rothaarige nach.