Schwesternband - Wiebke Tillenburg - E-Book

Schwesternband E-Book

Wiebke Tillenburg

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Beschreibung

Magdas Leben ist geprägt von Schicksalsschlägen. Die früh verstorbe Mutter, der melancholische, kontrollbessene Vater und die Ausgrenzung in einem tugendgeplagten Dorf. Als sie endlich bereit ist, all dem zu entfliehen, kommt sie einem Geheimnis auf die Spur. Es liegt in ihrer Kindheit verborgen. Überschattet wird ihre Erinnerung jedoch von einem Apfel ... "Schwesternband" lüftet Geheimnisse, die in "Eselmädchen" verborgen blieben.

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Seitenzahl: 35

Veröffentlichungsjahr: 2019

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***

Meine älteste Erinnerung ist ein Apfel. Ich muss fünf oder sechs Jahre alt gewesen sein, als ich ihn aß. Er war prall und saftig, die Schale an einigen Stellen rau. Er schmeckte sauer, mit der richtigen Süße, die ihn daran hinderte, ungenießbar zu sein. Die Erinnerung zaubert mir auch jetzt das pelzig-saure Gefühl auf die Zunge.

Aus dem Nichts drängen sich die Bilder auf. Es muss an diesem Zimmer liegen. Schon in meiner Kindheit hatte ich hier gewohnt. Hier aß ich den Apfel. Ich saß auf dem Bett. Das war damals kleiner und stand seitlich an der Wand. Auf der anderen Seite des Zimmers stand auch etwas. Was war es? Ich sehe mich um und suche nach den Erinnerungen.

Übelkeit. Wieder verdrängt der aufkommende Brechreiz die Bilder. Kopfschüttelnd sehe ich aus dem Fenster. Es ist unsinnig, in der Vergangenheit zu wühlen. Der Apfel und die Zeit, die daran hängt, sind längst vergangen. Übrig sind nur das Haus, die Esel und ich.

Johann gehört nicht in das Ensemble aus alten Zeiten. Mein Sohn ist die Gegenwart und damit das Einzige, was noch zählt.

Und dann ist da noch dieses seltsame Mädchen, mit dem sich Johann angefreundet hat. Das Eselmädchen. Sie ist jünger als Johann und muss in den Jahren meiner Abwesenheit geboren worden sein. Sie wohnt in der kleinen Hütte am Waldrand. Es ist bezeichnend für dieses Dorf und die Menschen, die hier leben, dass sich niemand um das Mädchen sorgt. Immerhin lebt sie allein auf dieser Wiese. Mit den Eseln. Schon oft habe ich daran gedacht, sie bei uns aufzunehmen, wenigstens im Winter. Doch es war immer etwas dazwischen gekommen. Nur was?

Die Wiese wird heute von einem grauen Herbsthimmel überdacht. In meiner Apfelerinnerung ist der Himmel wolkenlos, und die Wiese erstreckt sich in saftigem Grün. Woher hatte ich im Frühjahr einen pflückfrischen Apfel?

Ich weiß es nicht mehr. Wie so vieles aus meiner Kindheit. Dieser Apfel ist die erste richtige Erinnerung, die ich an damals habe, und zugleich wirkt sie falsch. Ich stolpere jedes Mal darüber. Sie ist überzeichnet. Viel zu bunt, um Teil meiner Geschichte zu sein, die kurz nach diesem Apfel in Grautöne verschwimmt.

***

Der Arzt trug einen fleckigen Kittel. Er zog abwechselnd Mutters Augenlider hoch.

„Sie ist tot, das habe ich doch gesagt“, meckerte ich ungeduldig. Es konnte doch nicht sein, dass der Arzt nicht wusste, dass ein Mensch tot ist, wenn sein Brustkorb sich nicht mehr hebt und senkt.

„Ja, das sagtest du, mein Kind. Und du hattest recht damit. Dennoch ist es meine Aufgabe, ihren Tod offiziell festzustellen.“

„Was macht das schon für einen Unterschied? Tot ist tot.“ Ich war nicht bereit, einfach nachzugeben.

„Magda, geh in dein Zimmer. Du kannst wiederkommen, wenn der Doktor fertig ist.“ Vater hatte nie Geduld für meine Fragen. Und er war der Einzige, der mich zum Schweigen brachte. Ich folgte auch diesmal. Wie betäubt nahm ich das Bild vom Nachttisch, drückte es gegen die Brust und rannte in mein Zimmer. Ich schlug die Tür zu und starrte sie eine Weile an.

„Und tot ist sie doch“, flüsterte ich. Ich hatte mich schon vor Wochen mit ihrem Tod abgefunden, da atmete sie noch. Schwer und rasselnd, unterbrochen von Husten, der ihr die Kraft raubte. Mutter spuckte Blut und Galle, ihr Essen nahm sie nicht. Man musste kein Arzt sein, um das zu verstehen. Jeden Abend weinte ich allein in mein Kissen, aber auch das half nichts. Meine Mutter war fort.

Ich betrachtete das Bild in dem abgegriffenen Rahmen. Es war das Hochzeitsbild meiner Eltern. Mutter lächelte, Vater sah ernst drein, wie immer. Aber das abgebildete Paar strahlte Verbundenheit aus, die sie in den vergangenen Jahren verloren haben mussten. Als habe jemand das unsichtbare Band zwischen ihnen getrennt.

„Das war bestimmt der Husten“, sagte ich mir und ging zu meinem Geheimversteck. Man musste nur mit der Hand leicht auf das Ende einer der Bodendielen am Fenster drücken, dann klappte die andere Seite hoch und man konnte sie herausnehmen. Darunter befand sich ein kleiner Hohlraum, in dem ich meine Schätze verbarg.



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