Scones zum Frühstück - Alexandra Zöbeli - E-Book + Hörbuch
NEUHEIT

Scones zum Frühstück E-Book und Hörbuch

Alexandra Zöbeli

4,5

Der Titel, der als Synchrobook® erhältlich ist, ermöglicht es Ihnen, jederzeit zwischen den Formaten E-Book und Hörbuch zu wechseln.
Beschreibung

Starkoch Max lernt auf die harte Tour, dass Michelin-Sterne wenig nützen, wenn das Leben in Schieflage gerät. Nach einem Herzinfarkt steht er ohne Freundin und Restaurant da, dafür mit einem liebenswerten aber übergewichtigen Hund. Max braucht dringend Abstand! Also nimmt er ein Jobangebot auf der wild-romantischen Isle of Skye an. Statt der High-Society bekocht er nun Teenager, die sein Essen mit großem Argwohn betrachten. Und dann ist da noch Robyn, seine geheimnisvolle und abweisende Vermieterin. Sie scheint Selbstgespräche zu führen. Und obwohl sie allein und zurückgezogen lebt, deckt sie den Tisch immer für zwei. Was es damit wohl auf sich hat? Scone um Scone versucht Max, Robyns Vetrauen zu gewinnen. Bis eine einzige Nacht alles zwischen ihnen ändert ...-

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 523

Das Hörbuch können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS

Zeit:11 Std. 34 min

Sprecher:Hannah Baus

Bewertungen
4,5 (2 Bewertungen)
1
1
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.
Sortieren nach:
B1257

Gut verbrachte Zeit

hat mir gut gefallen. Danke
00

Beliebtheit




Alexandra Zöbeli

Scones zum Frühstück

 

Saga

Scones zum Frühstück

 

Coverbild/Illustration: Shutterstock

 

Copyright © 2022 by Alexandra Zöbeli und SAGA Egmont

 

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN: 9788728134795

 

1. E-Book-Ausgabe

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

 

www.sagaegmont.com

Saga ist Teil der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt.

Prolog

Portree, drei Jahre zuvor

„Robyn? Robyn, bist du da?“ Die helle Stimme ihrer Freundin Sam drang durch das geschlossene Schlafzimmerfenster. Nachdem Sam es zuvor vergeblich an der Haustür versucht hatte, klopfte sie nun energisch gegen die Scheibe. Robyn drückte sich noch enger an die Wand neben dem Fenster, damit man sie von draußen nicht sehen konnte. Sie traute sich kaum, zu atmen, und hielt die Augen fest geschlossen. Nein, sie konnte und wollte mit niemandem reden. Nicht jetzt. Nicht, wo sie sich so zerbrechlich fühlte und ein Wort, vielleicht auch nur ein mitleidiger Blick, sie in diese schreckliche Nacht zurückkatapultieren würde. Nicht mal Sam wollte sie sehen, obwohl sie sich seit Jahren kannten und zusammen als Freiwillige bei der Seenotrettung im Einsatz waren.

„Komm, Sam“, sagte nun eine tiefere Stimme, die zu Mitch gehörte, wie Robyn wusste. „Das hat doch keinen Sinn. Vermutlich ist sie gar nicht zu Hause.“

„Natürlich ist sie das, ihr Wagen steht doch da drüben. Robyn, mach endlich auf! Ich weiß, dass du da bist.“ Wieder klopfte es, dieses Mal energischer.

„Aber vielleicht will sie grad nicht mit uns reden“, entgegnete Mitch.

„So ein Unsinn, wenn mein Mann mich in so einer Situation verlassen würde, dann bräuchte ich meine Familie um mich. Und wir sind so was wie Robyns Familie!“

„Wir wissen nicht mit Sicherheit, dass Ed abgehauen ist.“

„Jo hat aber von ihrer Nachbarin Linda gehört …“

„Du weißt so gut wie ich, dass Linda eine üble Klatschtante ist“, unterbrach Mitch sie. Kurz darauf gab er einen mürrischen Laut von sich. „Okay, okay, ich gehe mal ums Haus herum, vielleicht sehe ich von der Terrasse aus mehr.“

Einen Moment herrschte Stille.

„Siehst du sie irgendwo?“, rief Sam ungeduldig.

„Nein, aber in der Küche ist der Tisch für zwei Personen gedeckt.“ Mitchs Stimme wurde wieder lauter. Offenbar war er auf dem Rückweg. „Siehst du, Linda hat bloß Unsinn erzählt. Ed ist nicht abgehauen, und vermutlich sind die beiden mit seinem Wagen unterwegs. Komm, lass uns gehen. Robyn braucht uns hier nicht. Sie kommt schon auf uns zu, wenn sie so weit ist.“

„Ich mache mir einfach Sorgen um sie. Sie hat sich schon so lange nicht mehr gemeldet.“ Sams Stimme klang, als ob sie sich endlich vom Schlafzimmerfenster entfernte.

„Nach allem, was passiert ist, hättest du vermutlich auch keine Lust, uns wiederzusehen“, hörte Robyn noch. Dann entfernten sich Schritte, Autotüren schlugen zu, und ein Motor startete.

„Sie sind weg, Mum. Du kannst die Augen wieder öffnen“, hörte sie Livie kichern.

Robyn atmete erleichtert aus und stieß sich von der Wand ab. Ihr Körper schmerzte vor Müdigkeit. Sie würde sich später noch etwas hinlegen, auch wenn ihr klar war, dass sie erneut keinen Schlaf finden würde. Aus dem Kinderzimmer trällerte ihre Tochter ein Shanty vor sich hin. Ein altes Seemannslied, das Livie letztes Jahr in der Schule gelernt hatte und das Robyn schon bald nicht mehr hören konnte. Dennoch stimmte sie leise mit ein, während sie ihr Bett machte. Nach der letzten Strophe des Lieds wurde es still im Haus.

„Wollen wir nachher noch an den Strand runter?“, schlug Robyn vor. Sie wusste, wie sehr Livie es liebte, nach Muscheln und Strandglas zu suchen. Eigentlich hätte sie ein freudiges Ja erwartet, aber sie erhielt keine Antwort. „Livie? Hast du keine Lust?“ Wieder blieb es still. „Livie?“ Robyn streckte den Kopf ins Kinderzimmer. Doch lediglich ihr weißer Kater Moses blinzelte ihr verschlafen vom Kindersessel neben dem Heizkörper entgegen. Ansonsten war niemand im Raum. Sie spürte, wie Beklemmung in ihr aufstieg. Irgendwas stimmte hier nicht.

„Livie? Schatz! Wo steckst du?“

Fröhliches Glucksen drang an ihr Ohr. Das kam doch aus der Küche? Mit klopfendem Herzen eilte Robyn dem schwindenden Lachen hinterher, nur um kurz darauf die Küche ebenfalls verwaist vorzufinden. Von Raum zu Raum hetzend, suchte sie im ganzen Haus nach ihrer Tochter. Nichts, sie war wie vom Erdboden verschluckt.

Nein, nein, nein, das durfte einfach nicht wahr sein! Konzentriere dich, Robyn! Der Verzweiflung nahe, schloss sie die Augen, um die Tränen zurückzudrängen. „Livie … bitte!“, wisperte sie leise.

1. Kapitel

Colchester, heute

„Max, im Gastraum gibt es Ärger. Kannst du mal rüberkommen?“

Mist, das hatte ihm gerade noch gefehlt. Sie waren heute in der Küche total unterbesetzt, und das Restaurant war wie jeden Abend bis auf den letzten Platz ausgebucht. Zudem hatte ihm ein Vögelchen gezwitschert, dass ein renommierter Gastrokritiker hereinschauen werde.

„Ich komme gleich“, rief er Patty nichtsdestotrotz zu. Patty arbeitete schon mehrere Jahre im Max. Daher war ihm klar: Wenn sie ihn aus der Küche rief, musste es sich um einen echten Notfall handeln. Rasch wendete er den Fisch in der Bratpfanne und zog diese danach vom Herd unter die Wärmevorrichtung. Mehr aus Routine als aus Notwendigkeit wusch er sich die Hände und trocknete sie an einem sauberen Tuch ab, bevor er zügig Richtung Gastraum ging. Schon während er durch die Schwingtüre trat, hörte er, wie ein Gast die neue Kellnerin Jenny anpflaumte. Die junge Mutter von zwei Kindern hatte heute ihren ersten Tag im Max. Wie ein begossener Pudel stand sie neben dem Tisch und ließ die Schimpftirade über sich ergehen. Die anderen Gäste verfolgten das Geschehen mit unverhohlener Neugierde.

„Das ist doch die Höhe! Man sollte meinen, bei den Preisen hier könnte man erwarten, von gut geschultem Personal bedient zu werden. Weiß Ihr Chef eigentlich, wie unfähig Sie sind?“

Jenny stand mit hochrotem Kopf neben dem Gast und wollte vermutlich gerade zu einer Entschuldigung ansetzen, da trat Max neben sie. „Sir, ich bin Max Buchanan, der Restaurantchef. Gibt es hier ein Problem?“

„Ja, in der Tat, das gibt es. Sie verlangen von den Gästen ungeheure Summen für ein schlichtes Menü, und man muss Tage im Voraus einen Tisch reservieren, nur um dann von einer Anfängerin bedient zu werden. Sie weiß noch nicht mal, woher das Fleisch stammt und weshalb es so teuer ist. Beim Eingießen des Weins zittert sie, als hätte sie Parkinson, und schauen Sie nur, wie sie schwitzt! Das ist einfach widerlich!“

Max sog scharf die Luft ein: „Sir, mir ist bewusst, dass unser Fleisch nicht günstig ist. Denn es hat eine hohe Qualität und wurde nachhaltig produziert. Der Preis beinhaltet aber nicht, dass Sie mein Personal zusammenstauchen können, wie es Ihnen beliebt. Im Max pflegen wir einen freundlichen Umgangston.“ Während Max sprach, zog er seine Geldbörse aus der Gesäßtasche und entnahm ihr zwei Fünfzig-Pfund-Scheine, die er vor dem Gast auf den Tisch legte. „Hier. Gehen Sie damit irgendwo essen. Bei uns werden Sie nicht mehr bedient werden. Jenny, du kannst den Tisch abräumen, der Herr wird mit seiner Begleitung aufbrechen.“

„Was für eine bodenlose Frechheit!“, wetterte der Gast. „Das lasse ich mir nicht bieten. Wundern Sie sich nicht, wenn Sie demnächst negative Kritiken im Netz finden.“

„Tun Sie, was Sie nicht lassen können, aber verlassen Sie nun bitte mein Lokal, Sir.“

Wutschnaubend knallte der Mann seine Serviette auf den Tisch. „Komm, Liz, hier bleiben wir keine Sekunde länger.“

Max wartete, bis er sicher sein konnte, dass die beiden sein Restaurant verlassen hatten.

„Das haben Sie ganz wunderbar gemacht, Max“, ereiferte sich eine ältere Dame am Tisch nebenan. „So ein Benehmen geht gar nicht. Dieser ungehobelte Kerl hat Ihre nette Bedienung von Anfang an gepiesackt. Da wird man verständlicherweise etwas nervös.“

„Danke, Mildred. Schmeckt es Ihnen beiden?“ Mildred war Stammkundin und erschien mindestens ein Mal pro Woche mit ihrem Mann oder – so wie heute – mit einer ihrer Freundinnen.

„Oh, ganz vorzüglich. Sie sind einfach ein wahrer Künstler, Max.“

Er deutete eine Verbeugung an. Auf dem Weg zurück in die Küche begrüßte er einige Gäste an ihren Tischen und erkundigte sich nach ihrem Befinden. Immer mit einem Lächeln im Gesicht, obwohl ihm heute überhaupt nicht danach zumute war.

Der ganze Tag war schon die Hölle gewesen. Zuerst am Morgen der Streit mit seiner Freundin Naomi, die sauer war, weil er sie am Samstag nicht zu einer Party bei irgendeinem Lord begleiten konnte. Sie begriff einfach nicht, dass er unmöglich an einem Samstagabend frei nehmen konnte. Besonders jetzt, wo einer seiner Köche sich beim Joggen den Knöchel gebrochen hatte und für mehrere Wochen ausfiel. Da konnte Max nicht einfach sein Team im Stich lassen, um zu feiern, zumal er auch gar keine Lust auf solche Events hatte. Frustriert hatte Naomi ihm ein Kissen hinterhergeschleudert, als er morgens um fünf Uhr das Schlafzimmer ihrer Wohnung in der Innenstadt von Colchester verlassen hatte, um auf den Großmarkt zu gehen. Kaum war er nach dem Einkauf im Restaurant angekommen, hatte die nächste Katastrophe auf ihn gewartet: Der Geschirrspüler war defekt. Wie immer hatten sie ihn über Nacht laufen lassen, und dabei hatte er den Küchenboden unter Wasser gesetzt. Obwohl Max den restlichen Morgen am Telefon verbrachte, um einen Techniker aufzutreiben, wurde er auf Montagmorgen vertröstet. Zwangsläufig würden sie nun alles von Hand spülen müssen. Es war zum Haareraufen, denn nach dieser Hiobsbotschaft hatte er wieder herumtelefonieren müssen, um zusätzliches Personal für diese Aufgabe aufzutreiben. Als er das geschafft hatte, hatte Patty ihm die neue Bedienung Jenny vorgestellt, die eine Schwester einer ihrer Kolleginnen war. Es war auch Patty gewesen, die ihn gebeten hatte, Jenny eine Chance zu geben. Die junge Familie war auf das Geld angewiesen, da Jennys Mann erst gerade seinen Job verloren hatte.

„Werde ich nun gefeuert?“, fragte Jenny ängstlich, die ihm in die Küche gefolgt war.

„Ach, Unsinn. Der Gast war ein Idiot. Der hat gemerkt, dass du dich noch unsicher fühlst, und hat es ausgenutzt, um sich aufzuspielen. Wenn sich noch mal jemand danebenbenimmt, wende dich gleich an Patty. Sie hat ein paar gute Tricks drauf, wie man mit solchen Leuten umgeht.“

„Danke, es wird nicht wieder vorkommen.“

„Schon gut. Dein früherer Chef hat dich sehr gelobt. Du hast also keinen Grund, nervös zu sein. Und jetzt raus, die Gäste wollen nicht warten“, sagte er mit einem Schmunzeln, damit Jenny verstand, dass das nicht böse gemeint war. Er griff bereits wieder zur Pfanne mit dem Fisch, um ihn fertig zu braten. Verflixt, war das heute heiß in der Küche. Wenn er mit diesem Teller fertig war, würde er eine kurze Pause einlegen, um etwas frische Luft zu schnappen.

„Geht’s dir nicht gut, Max?“, fragte Fred, sein Sous-Chef. „Du siehst irgendwie krank aus.“

„Alles okay, ist nur ein bisschen warm hier drinnen.“

„Max, der Adler ist an Tisch vier gelandet.“ Obwohl das nicht der erste Gastrokritiker war, den sie bewirteten, klang Patty ziemlich aufgeregt.

„Schön, dann lasst uns Vollgas geben.“ Gekonnt richtete er den fertigen Fisch mit Safran-Risotto und einem Artischockenragout an. Danach stellt er den Teller unter die Wärmevorrichtung, von wo ihn die Bedienung gleich für den Gast holen würde.

Schon wenige Minuten später kehrte Patty mit der Bestellung des Kritikers zurück. Nun galt es, die Iberico-Bäckchen an einer Portweinsauce mit getrüffeltem Kartoffelgratin und grünen Bohnen so rasch wie möglich, aber auch so elegant wie möglich auf den Teller zu bringen. Max war gerade dabei, den Trüffel ganz fein über das Gratin zu hobeln, als ein heftiger Schmerz hinter seinem Brustbein ihn um Atem ringen ließ. Scheiße, was war das denn?! Es fühlte sich an, als würde sein Brustkorb von einer überdimensionalen Schraubzwinge zusammengepresst werden. Er versuchte, ruhig zu bleiben und tief durchzuatmen, aber es tat so verdammt weh. Um besser Luft zu bekommen, beugte er sich nach vorne, so wie er das früher mal bei der Seenotrettung gelernt hatte. Aber auch das half nicht. Kalter Schweiß rann ihm über den Rücken, und ihm wurde speiübel. Der Trüffelraspel fiel scheppernd zu Boden, während er die Knolle weiterhin umklammert hielt. Um ihn herum begann sich alles zu drehen, bis er schließlich zu Boden sank.

„Max! Du meine Güte!“ Fred war als Erster bei ihm. „Patty, frag im Restaurant nach, ob sich ein Arzt unter den Gästen befindet. Schnell!“ Gleich darauf spürte Max, wie die obersten Knöpfe seiner Kochjacke geöffnet wurden. „Atme, Max, Herrgott noch mal, atme!“, befahl Fred.

Leichter gesagt als getan. Jeder Atemzug tat verteufelt weh, und trotzdem gelang es ihm kaum, Luft in seine Lungen zu bekommen. Das war es nun also: sein Ende. Hier auf dem Küchenboden seines Restaurants. Er hatte früher oft Witze darüber gemacht, irgendwann inmitten seiner Küche den Löffel abzugeben. Aber das hatte er doch nie ernst gemeint. Für den letzten Atemzug gab es definitiv würdevollere Orte als einen mit Wasser bespritzten Fußboden, umringt von ein paar verirrten Gemüseschnipseln und Kartoffelschalen. Apropos Atemzug: Er brauchte Luft! Verzweifelt versuchte er, Sauerstoff durch den engen Brustkorb in die Lungen zu quetschen. Doch er kam sich wie ein Fisch vor, der außerhalb des Wassers auf dem Boden herumzappelte.

„Gleich hast du’s geschafft, mein Junge.“ Das war sein Vater, was machte der denn hier? Er war doch schon seit fünfzehn Jahren tot! „Wehr dich nicht dagegen, es liegt sowieso nicht in deiner Hand.“

„Es tut so weh, Dad.“

„Ich weiß, es ist gleich vorbei.“

Aber Max wollte nicht, dass es vorbei war. Sein Team brauchte ihn, er konnte sich nicht einfach davonmachen. Und Naomi? Er hatte sie heute Morgen im Streit verlassen, das ging doch nicht! Zudem wollte er noch so viel erleben, er wollte eine Familie gründen, sich einen Hund anschaffen, noch mal im Meer schwimmen.

„Das ist jetzt nicht mehr wichtig. Komm!“ Sein Vater streckte die Hand nach ihm aus. Um Max herum war es mit einem Mal zappenduster, und er sah nur noch seinen Dad, der ihn ungeduldig anschaute.

Wie ein Amboss hieb irgendwas auf seine Brust und ließ ihn buchstäblich nach Luft schnappen.

„Wir haben einen Rhythmus.“

Max kannte die Stimme nicht, aber sie klang ruhig und sympathisch. Ein helles Licht leuchtete in seine Augen. Es blendete fürchterlich. Wo war sein Vater, er war doch eben noch da gewesen? Suchend streckte Max die Hand nach ihm aus, aber sein Griff ging ins Leere.

„Gut so, Max, atmen Sie schön in die Maske, die sorgt dafür, dass Sie genügend Sauerstoff erhalten. Wir fahren Sie gleich ins General Hospital.“ Max wollte aufstehen, um der freundlichen Stimme ins Krankenhaus zu folgen. Aber eine kräftige Hand drückte ihn zurück auf den Boden. „Das lassen Sie mal schön bleiben. Sie hatten gerade einen Herzinfarkt. Wir erledigen jetzt alles für Sie, Sie müssen nur liegen- und am Leben bleiben.“

„Mach dir keine Sorgen, ich kümmere mich hier um den Laden.“ Fred drückte seine Schulter, als man Max auf einer Trage zum Krankenwagen hinausbrachte. „Werde gesund, ja?“

Er nickte, obwohl er nicht verstand, was los war. Er sollte einen Herzinfarkt gehabt haben? Er?! Dazu war er mit seinen zweiundvierzig Jahren doch noch viel zu jung. Aber so geschockt und verheult, wie Patty aussah, musste er seinen Leuten wirklich einen gehörigen Schrecken eingejagt haben.

Stunden später erfuhr er im Krankenhaus, dass er tatsächlich einen Infarkt erlitten hatte. Zum Glück hatte sich an diesem Abend ein Arzt unter den Gästen befunden. Dieser hatte sofort mit Herzmassage und Beatmung begonnen, bis der Rettungsdienst eingetroffen war und seinem Herzen mit dem Defibrillator einen zünftigen Schubs zurück ins Leben verabreicht hatte. Der behandelnde Herzspezialist legte ihm nahe, sich jetzt zu erholen und alles etwas langsamer anzugehen.

Wie ernst das gemeint war, wurde Max erst bewusst, als er am nächsten Tag von der Intensivstation in ein normales Krankenzimmer verlegt wurde. Die Krankenschwester hatte kaum das Zimmer verlassen, da wollte er die Gelegenheit nutzen, selbst aufs Klo zu gehen. Eine ziemlich dumme Idee, wie sich gleich darauf herausstellte. Nach nur wenigen Schritten wurde ihm im Badezimmer schwindelig, und er wäre beinahe umgekippt.

„Sie sind so ein Sturkopf!“, schimpfte die Krankenschwester mit ihm, als sie zurückkehrte, weil er den Notruf neben dem Lichtschalter gedrückt hatte. Schwer atmend half die beleibte Frau ihm, sich zurück aufs Bett zu setzen. „Es sind noch keine vierundzwanzig Stunden her seit Ihrem Herzinfarkt, da können Sie nicht gleich wieder herumrennen.“

„Hat irgendwer meine Freundin verständigt?“, fragte er matt und ließ sich zurücksinken. Eigentlich hatte er gedacht, Naomi würde nach der Verlegung von der Intensivstation hier im Zimmer auf ihn warten.

„Ja, soweit ich weiß, hat Dr. Miller heute Morgen mit ihr gesprochen. Wollen Sie sie anrufen? Ich kann Ihnen gerne das Telefon reichen.“

Max schielte auf ihr Namensschild, das an ihrer hellblauen Schwesternjacke angebracht war. „Ja, danke, Dawn. Es tut mir leid, wenn ich etwas schwierig bin. Ich bin es nicht gewohnt, nutzlos herumzuliegen.“

„Und genau deswegen hat Ihr Körper Ihnen gezeigt, dass es jetzt Zeit für eine Pause ist. Wenn Sie nicht frühzeitig unter der Erde landen wollen, müssen Sie besser auf sich achtgeben. Das sagt Ihre Freundin Ihnen bestimmt auch ständig.“ Dawn stellte den Telefonapparat auf den Nachttisch neben seinem Bett.

Er nickte, obwohl er sich nicht daran erinnern konnte, Naomi jemals etwas in diese Richtung sagen gehört zu haben. Warum auch, er liebte seinen Job und hatte ihn nie wirklich als Belastung empfunden. Na schön, bis spät am Abend zu arbeiten war manchmal anstrengend, gerade wenn er früh am nächsten Morgen wieder rausmusste, um auf den Markt zu gehen. Aber so war das Leben eines Restaurantchefs nun mal. Kaum hatte Dawn die Tür hinter sich zugezogen, griff Max nach dem Telefon und rief Naomi an.

„Wie schön, dass du dich meldest, Liebling“, flötete sie ins Telefon. Es klang fast so, als befände er sich auf einer Urlaubsreise und nicht nach einem Herzinfarkt im Krankenhaus. „Ich habe dir ein paar Sachen zusammengepackt, die Patty dir ins Krankenhaus bringen sollte. Hast du sie erhalten?“

„Ähm, ich glaube schon, danke. Naomi, ich wollte mich noch bei dir entschuldigen wegen unseres dummen Streits gestern. Ich hätte nicht so aus dem Haus gehen dürfen.“

„Ja, das war wirklich nicht besonders nett von dir. Ich habe manchmal das Gefühl, dass dir dein Job viel wichtiger ist als ich.“ Das klang fast schon schmollend.

„Naomi, es ist nicht nur ein Job. Es ist mein Restaurant! Ich bin verantwortlich, dass der Laden läuft und die Gehälter meiner Leute bezahlt werden können. Diese Verantwortung nehme ich sehr ernst.“

„Tja und man sieht ja, wo es dich hingebracht hat. Ich hoffe, du erwartest nicht, dass ich dir im Krankenhaus das Händchen halte. Auch mein Job ist wichtig, nicht nur deiner. Ein neuer Kunde hat uns gerade einen großen Auftrag erteilt, und meine Chefs zählen auf mich. Ich habe schlichtweg nicht die Zeit, an deinem Bett zu sitzen. Zudem kann ich diesen Geruch nach Krankheit und Tod nicht ertragen.“ Ohne auf eine Antwort von ihm zu warten, fuhr sie etwas versöhnlicher fort. „Hat der Arzt schon gesagt, wann du nach Hause kannst?“

Max war bereits früher aufgefallen, dass Naomi kein besonders einfühlsamer Mensch war. Dennoch hätte er ein bisschen mehr Mitgefühl erwartet. Andererseits hatte er sich in den letzten Monaten auch nicht allzu viel Zeit für sie genommen. „Das wird noch ein Weilchen dauern. Anscheinend war ein Herzkranzgefäß verstopft. Das wurde gestern Nacht mit einem Ballonkatheter …“

„Oh bitte, Max! Keine Details“, unterbrach sie ihn vehement. „Mir wird allein schon bei dem Gedanken übel. Wirst du am nächsten Wochenende zurück sein?“

Wäre es nicht so traurig gewesen, hätte er lachen müssen, aber danach war ihm im Moment echt nicht zumute. „Nein, die schicken mich noch in die Reha, um wieder zu Kräften zu kommen. Naomi, entschuldige, ich muss Schluss machen, der Arzt ist gerade hereingekommen.“ Das war glatt gelogen, doch Max war erschöpft, und ihr Verhalten enttäuschte ihn maßlos.

Später am Tag schauten Patty und Fred bei ihm vorbei. „Du siehst echt bescheiden aus, Chef“, meinte Patty bedrückt und stellte eine Vase mit ein paar Sonnenblumen aufs Fensterbrett.

„Mir ging’s schon mal besser“, gab Max zu. „Wir müssen noch einen Ersatz für mich auftreiben. Die Küche ist ohnehin schon unterbesetzt …“

„Lass das mal unsere Sorge sein, Max“, bremste ihn Fred. „Du kümmerst dich jetzt ums Gesundwerden. Alles andere haben wir im Griff. Ich bräuchte nur noch dein Passwort für den Computer, damit ich die Zahlungen erledigen kann.“

Max schrieb es auf den Zettel, den Fred ihm hinhielt. „Am Montagmorgen kommt der Techniker für den Geschirrspüler, und der Fischlieferant bringt uns Lachs, vom Parmigiano ist kaum noch was übrig und …“

„Max!“ Patty stemmte ihre Hände in die Seite und sah ihn tadelnd an. „Du hast keine Vollidioten in deinem Team. Wir wissen, was wir tun müssen. Wir kriegen das schon hin.“

„Entschuldigt“, grinste er. „Ja, ich weiß, ihr schafft das schon. Ist nur die Macht der Gewohnheit.“

„Wir sollen dich noch lieb grüßen von Mildred. Sie hat heute extra noch mal angerufen, um zu fragen, wie es dir geht.“

„Haben die Gäste das mitbekommen?!“, fragte er entsetzt.

„Na, wenn Patty in den Gastraum hinausstürmt und nach einem Arzt brüllt, ist das schlecht zu ignorieren“, grinste Fred.

„Es war der schnellste Weg, Hilfe zu erhalten“, rechtfertigte sich Patty. „Immerhin lagst du nach Luft ringend am Boden. Ich dachte echt, das war’s.“

„Tut mir leid, dass ich euch so einen Schrecken eingejagt habe. Konntet ihr die Gäste danach wieder beruhigen? Es war doch noch ein Kritiker unter ihnen.“

„Stimmungsfördernd war dein Zusammenbruch nicht gerade. Aber der Kritiker meinte, er werde nichts darüber schreiben und wiederkommen, sobald du gesund bist“, beruhigte ihn Fred und versuchte dann, vom Thema Restaurant abzulenken: „Wo steckt eigentlich deine bezaubernde Freundin? Aua!“ Patty hatte ihm anscheinend einen Tritt verpasst. Entgeistert blickte Fred zu Patty und rieb sich dabei über das schmerzende Schienbein. „Was?! Man wird doch wohl noch fragen dürfen?“

„Schon gut, Patty.“ Max tat, als mache ihm die Frage nichts aus. „Naomi hat gerade selbst viel um die Ohren.“

„Pah!“, schnaubte Patty. „Wenn du mich fragst, solltest du diese Tussi in den Wind schießen. Immerhin liegst du nicht hier, weil du dir in den Finger geschnitten hast. Du hättest ebenso gut tot sein können. Da kann man seine Termine auch mal ein bisschen umorganisieren.“

„Ihre Firma hat gerade einen wichtigen Auftrag erhalten …“, begann Max seine Freundin in Schutz zu nehmen.

„Na und?!“, unterbrach ihn Patty missbilligend. „Wenn mein Nick mit einem Herzinfarkt im Krankenhaus läge, würden keine zehn Pferde mich von ihm fernhalten, und umgekehrt wäre das bestimmt auch so. Echt! Ich könnte nur kotzen über so viel Egoismus. Die ist doch einfach das Hinterletzte!“ Erst jetzt bemerkte Patty, dass Max ihren Ausbruch nicht besonders lustig fand. „Tut mir leid, Chef, ich bin ja schon ruhig. Du musst selbst wissen, was dir guttut.“ Doch irgendwie schien sie noch nicht alles losgeworden zu sein, was ihr auf dem Herzen lag. Zumindest fuhr sie in etwas gemäßigterem Ton fort: „Ich meine ja nur, von zugegeben tollen Kurven und üppigen …“ Patty machte eine eindeutige Geste vor ihren Brüsten, die verdeutlichte, was sie meinte und ihn nun doch zum Grinsen brachte. „Davon hast du nicht viel, wenn es da nicht stimmt.“ Jetzt legte sie ihre Hand aufs Herz. „Aber okay … jetzt halte ich meine Klappe. Brauchst du noch irgendwas zu lesen, oder können wir dir sonst was Gutes tun?“

„Du hast nicht zufälligerweise einen Ledaig dabei?“, fragte Max hoffnungsvoll.

„Whisky? Bist du irre?! Und womöglich gleich noch eine Havanna?“ Pure Missbilligung sprach aus Pattys Gesicht.

Er zuckte mit den Schultern. Gegen eine gute Zigarre hatte er noch nie was einzuwenden gehabt. Vermutlich würde er auch darauf in nächster Zeit verzichten müssen. Mist! Herzinfarkt, warum musste ausgerechnet ihm das passieren? Die Ärzte würden ihm nun garantiert auch noch das letzte bisschen Genuss am Leben verbieten.

 

Während der Reha blieb Max viel Zeit zum Nachdenken. Er unternahm lange Spaziergänge an der Küste von Suffolk und führte intensive Gespräche mit seinem behandelnden Arzt und einem Psychologen. Beide rieten ihm dringend, kürzerzutreten.

„Wie stellen Sie sich das vor? Ich führe ein Restaurant?“, fragte er den Psychologen bei einem dieser Gespräche.

„Und das ist so grandios, dass es wert ist, einen zweiten Infarkt zu riskieren?“, entgegnete der junge Mann mit Nickelbrille, die er sich gerade wieder den Nasenrücken hochschob. Darauf fand Max keine Antwort. Nein, natürlich wollte er so etwas nie wieder erleben. Definitiv nicht! Aber was wusste dieser junge Schnösel schon von der Führung eines Restaurants, dachte Max bockig. Der saß doch bloß da und hörte sich die Probleme anderer Leute an. Es war einfach, Ratschläge zu geben, die man selbst nicht umsetzen musste.

„Sie könnten ja etwas von Ihrer Verantwortung abgeben“, schlug der Psychologe erwartungsgemäß vor.

„Sie meinen einen Teilhaber? Ich weiß nicht, so was gibt meistens nur Ärger.“

„Nur wenn Sie nicht loslassen können. Aber das müssen Sie ja alles nicht hier und heute entscheiden. Sie sollten lediglich einen Weg finden, wie Sie Ihrem Körper mehr Ruhe verschaffen.“

Diese Worte hallten in Max nach, als er sich am nächsten Morgen im Spiegel betrachtete. Auch wenn er jetzt schon ein paar Tage in der Reha war, sah er noch immer abgekämpft aus. Unter den Augen lagen tiefe Schatten, und die Haut wirkte fahl, weshalb er sich einen Bart hatte stehen lassen. Er mochte den Bart eigentlich nicht, aber auf diese Weise musste er sich nicht mehr täglich mit dem Thema Rasur beschäftigen. Dazu hatte er nicht die Energie. Er fuhr sich durch die kurzen hellbraunen Haare, die an den Schläfen langsam ergrauten. Himmel, er war gerade mal zweiundvierzig! Hatte man da echt schon so viele graue Haare und erste Falten im Gesicht? Unzufrieden schaute er an sich herab. Verflixt, auch da war einiges außer Form geraten. Wo war sein Waschbrettbauch geblieben, auf den er mal so stolz gewesen war? Klar, er war Koch und musste sein Essen ständig verkosten, und dann waren da noch die kleinen, aber feinen Feierabendbierchen, die er sich mit seinem Team am Ende eines langen Arbeitstages gönnte. Missbilligend wanderte seine Hand über die Wölbung, die sich unter seinem hellgrauen T-Shirt abzeichnete. Er würde wieder Sport treiben müssen. In den letzten Jahren war das viel zu kurz gekommen. Wann hätte er denn noch ins Fitnesscenter oder zum Joggen gehen sollen? Am Ende seines Arbeitstags war es bereits dunkel, und am Morgen mochte er deswegen nicht noch früher aufstehen. Die Worte des Arztes hallten in seinen Ohren nach: „Ich kann Ihnen nur dringend raten, sich sportlich zu betätigen. Es muss nicht zwingend Krafttraining sein. Gehen Sie spazieren, machen Sie Yoga, oder fahren Sie Rad. Tun Sie etwas für Ihren Körper, Sie wollen ihn ja bestimmt noch ein Weilchen behalten.“

Tja, dachte Max, vielleicht sollte er Fred und Patty doch mehr Verantwortung übertragen. Immerhin scheint der Laden jetzt auch ohne ihn zu laufen. Er könnte Patty den Papierkram übertragen und sich mit Fred beim Einkauf auf dem Großmarkt abwechseln. So könnte er sich wieder mehr aufs Kochen konzentrieren, was ihm sowieso am meisten Spaß machte. Okay, Sport nicht vergessen, ermahnte er sich selbst mit einem Grinsen und schlüpfte in seine Sportklamotten, um eine Runde am Strand walken zu gehen. Er kam sich mit diesen Stöcken ziemlich dämlich vor, aber der Arzt hatte ihm noch nicht die Erlaubnis gegeben, wieder joggen zu gehen. Mit Walken und Übungen an den Fitnessgeräten soll er seine Kondition erst langsam wieder aufbauen. Es beschämte ihn immer noch, wie er sich so hatte gehen lassen können. Vor etwas mehr als vierzehn Jahren war er ein aktives Mitglied der Seenotrettung gewesen. Nur gut, dass ihn seine damaligen Kollegen heute nicht sehen konnten. Sie hätten sich kaputtgelacht, wenn sie ihm walkend am Strand begegnet wären. Damit würde aber bald Schluss sein.

Mit dem Ziel vor Augen, möglichst schnell seine alte Kondition zurückzuerlangen, marschierte er los. Der Vorteil am Walken war, dass er dabei gut nachdenken konnte. Einmal mehr wanderten seine Gedanken zu Naomi. Bis heute hatte sie ihn nicht besucht, und er glaubte auch nicht daran, dass sie noch auftauchen würde. Während der wenigen kurzen Telefonaten, die sie miteinander geführt hatten, hatte sie ihn kein einziges Mal gefragt, wie es ihm ging und wie es nach der Reha weitergehen sollte. Sie hatten bloß über belangloses Zeug geredet. Nicht nur Pattys deutliche Worte im Krankenhaus hatten ihm klargemacht, dass er sich von einer Beziehung mehr wünschte als nur Partys und guten Sex. Vermutlich war er einer jener Menschen, denen es erst richtig schlecht gehen musste, bevor sie verstanden, was im Leben wirklich zählte. Vielleicht hätte er im umgekehrten Fall nicht anders gehandelt als Naomi. Dieser Gedanke verursachte ihm leichte Übelkeit. Nein, so war er doch nicht. Oder doch? Er wusste, für sein Team hätte er jederzeit alles stehen und liegen gelassen. Warum kamen ihm dann bei Naomi Zweifel? War es verletzte Eitelkeit oder doch eher, weil er merkte, dass zwischen ihnen etwas Grundlegendes fehlte?

Max setzte sich an den Strand und schaute gedankenverloren den Wellen zu. Er würde mit Naomi reden müssen, sobald er wieder zu Hause war. Denn in einer solch lieblosen Beziehung wollte er nicht länger bleiben. Der Infarkt hatte ihm mit aller Deutlichkeit aufgezeigt, wo er im Leben stand, und es fühlte sich gerade verdammt einsam an. Er wollte eine Frau an seiner Seite, mit der er ebenso gut herumblödeln wie tiefgründige Gespräche führen konnte, die mit ihm lachte und dennoch seine Ängste verstand. Eine Frau, die für ihn da war – genau wie er für sie da sein wollte. Gab es so jemanden überhaupt, oder war das eher Wunschdenken?

In diesem Augenblick bemerkte er einen jungen Mann, der mit einem Golden Retriever spielte. Unwillkürlich musste Max schmunzeln. Vielleicht war dieser Jemand, nach dem er suchte, gar keine Frau, sondern ein Hund. Nur der Teil mit den tiefgründigen Gesprächen wäre in diesem Fall wohl etwas einseitig. Immer noch in sich hineingrinsend über den albernen Gedanken, stand er auf und klopfte sich den Sand von den Hosen, bevor er zur Klinik zurückkehrte.

2. Kapitel

Nach vier Wochen Reha war es so weit: Max durfte endlich nach Hause. Allerdings ermahnte man ihn, es langsam anzugehen und sich nicht gleich wieder ganz in die Arbeit zu stürzen. Eigentlich hatte er nicht vorgehabt, sofort in seinem Restaurant vorbeizuschauen. Aber als das Taxi nur noch zwei Straßen entfernt war, konnte er der Versuchung nicht länger widerstehen. „Bitte halten Sie da vorne an“, bat er den Fahrer.

Heute war Dienstag, Ruhetag im Max. Er würde sich nur kurz einen Überblick verschaffen und danach mit seinem Jaguar-Sport-Coupé, das noch immer hinter dem Restaurant stand, nach Hause fahren. Max bezahlte den Taxifahrer und ging mit gemischten Gefühlen Richtung Hintereingang. Das letzte Mal, als er hier herausgekommen war, hatte er auf einer Bahre gelegen. Vielleicht war es ganz gut, dass er sich alldem stellte, solange sonst niemand von seinen Mitarbeitenden da war. So würde es zumindest nicht allzu peinlich werden, sollte er in der Küche plötzlich einen Panikanfall bekommen, wie in der ersten Woche in der Rehaklinik. Da war er mitten in der Nacht wach geworden, weil er glaubte, sein Herz streike erneut. Was es aber in Wahrheit nicht getan hatte. Der Arzt hatte gemeint, das sei völlig normal. Er müsse lernen, seinem Körper wieder zu vertrauen. Dazu waren ihm ein paar Entspannungsübungen gezeigt worden, die er nun regelmäßig befolgte.

Max steckte den Schlüssel ins Schloss und trat in die Küche. Seine empfindliche Nase nahm sofort den Geruch von Essensresten und Fett wahr. Eine saubere Küche roch definitiv anders. Missbilligend betrachtete er den Herd, dessen Chromstahl-Oberfläche von Fettspritzern übersät war. Auch der Boden war nicht ordentlich gereinigt worden. Gemüsehülsen, die beim Schnippeln schon mal durch die Gegend fliegen konnten, eingetrocknete Saucenspritzer und Brotkrümel verunzierten die schwarzen Bodenfliesen. Was war hier los? Fred konnte sich auf eine Standpauke gefasst machen, so viel war klar.

Gleich darauf hörte er ein Geräusch aus dem Büro. Es klang, als würde jemand einen Papierstapel durchblättern. Fred musste an seinem freien Tag hergekommen sein, um den Schreibkram zu erledigen. Mit großen Schritten durchquerte Max die Küche und blieb überrascht vor der offenen Bürotür stehen. „Patty?!“

Erschrocken schrie Patty auf. „Mein Gott, Max! Musst du mich so erschrecken?!“

„Entschuldige, aber was machst du hier? Fred müsste sich doch um den Papierkram kümmern.“

Sie ignorierte die Frage und versuchte sich an einem Lächeln, das ihre Augen aber Lügen straften. „Es ist so schön, dich zu sehen, Max“, sagte sie und stand von seinem Bürosessel auf, um ihn in die Arme zu schließen. „Hast du dich selbst aus der Reha entlassen, oder bist du wirklich wieder gesund?“ Sie musterte ihn skeptisch.

„Mir geht’s gut. Raus mit der Sprache, Patty! Was ist hier los? Ich sehe doch, dass irgendwas nicht stimmt. Warum ist die Küche in diesem Zustand, und was machst du an deinem freien Tag in meinem Büro?“

Sie wirkte noch immer unschlüssig und steckte ihre Hände in die Hosentaschen, während sie auf ihrer Unterlippe kaute. „Okay, aber versprich mir, dass du nicht gleich wieder einen Herzinfarkt kriegst“, lenkte sie am Ende ein.

Max grinste widerstrebend. „Ich gebe mir Mühe. Soll ich mich setzen, wäre dir das lieber?“

„Wesentlich.“ Sie trat zur Seite, damit er auf seinem ledernen Bürosessel Platz nehmen konnte. „Gestern tauchten Fred und der zweite Koch, den er angeheuert hat, nicht zur Arbeit auf. Ich habe versucht, die beiden auf ihren Handys zu erreichen, aber keiner ging ran. Die Küche war übrigens gestern schon in diesem Zustand. Als ich Jenny bei Fred zu Hause vorbeigeschickt habe, hat niemand die Tür geöffnet. Inzwischen bekam ich einen Anruf von unserem Fleischlieferanten. Er behauptete, dass wir die letzten Rechnungen nicht bezahlt hätten. Und als ich gerade die Rechnungen durchsehen wollte, stand da plötzlich ein Typ vom Gesundheitsamt vor mir. Er hätte Informationen erhalten, dass im Max Verstöße gegen die Hygienevorschriften vorlägen.“ Patty redete wie ein Wasserfall, und Max sah ihr an, was der gestrige Tag ihr abverlangt hatte. „Er bestand darauf, unsere Küche und die Vorratsräume zu sehen. Es war fürchterlich, Max. Wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, hätte ich nie geglaubt, dass so etwas in unserem Restaurant möglich wäre. Im Kühlraum lagerten verschimmelte Essensreste, und im Vorratsraum lag unter einem Gestell eine tote Ratte! Eine Ratte bei uns! Kannst du dir das vorstellen?! Kurz und gut, das Gesundheitsamt hat uns sofort dichtgemacht, bis die Mängel behoben sind.“ Wütend wischte sich Patty eine Träne aus dem Gesicht und fuhr dann leise fort. „Ich habe alle nach Hause geschickt und den Gästen, die einen Tisch reserviert hatten, abgesagt. Als das Telefon erneut klingelte, dachte ich, es wäre ein Gast, aber es war der Vermieter. Er behauptete, die letzte Monatsmiete nicht erhalten zu haben, was für dich untypisch wäre. Daher bat er mich, die Sache zu überprüfen. Ich habe Fred zig Nachrichten auf dem Handy hinterlassen, aber er ruft noch nicht mal zurück.“ Sie sah ihn hilflos an. „Deshalb bin ich hier. Weil ich schauen wollte, ob ich bei dir im Büro irgendwas finde, was weiterhelfen könnte.“

Max blickte auf seinen Bürotisch, auf dem drei Stapel Rechnungen lagen.

„Ich habe sie nach Dringlichkeit sortiert“, erklärte Patty leise. „Die auf dem ersten Stapel hätten schon vor drei Wochen bezahlt werden müssen, die auf dem mittleren Stapel letzte Woche, und für den letzten Stapel haben wir noch etwas Zeit. Ich verstehe nicht, warum Fred das nicht erledigt hat. Er ist dein Stellvertreter, und du hattest ihm doch im Krankenhaus das Passwort gegeben. War es vielleicht das falsche?“

„Mit Sicherheit nicht“, knurrte Max. „Nach dem, was du hier erzählst, fürchte ich etwas ganz anderes.“ Er drehte sich zu seinem Computer herum. Es dauerte nicht lange, bis er traurige Gewissheit hatte. Unbändige Wut kroch in ihm hoch, und gleichzeitig wurde ihm speiübel. „Dieser verdammte Mistkerl!“

„Was? Was ist los?“

Max drehte den Bildschirm Richtung Patty, damit sie das Desaster selbst sehen konnte. Inzwischen klaubte er sein Handy hervor, um noch einmal Freds Nummer zu wählen, obwohl er wusste, dass es aussichtslos sein würde.

„Der Teilnehmer ist zurzeit nicht erreichbar“, säuselte eine monotone Stimme in sein Ohr. Passender wäre gewesen: „Leider hat sich der Mistkerl, dem dieser Anschluss gehört, mitsamt Ihrer Kohle aus dem Staub gemacht.“

„Du meine Güte!“, stieß Patty aus. „Denkst du, das war Fred?“

„Na, der Heilige Geist wird das Konto nicht leergeräumt haben.“ Erneut griff Max zum Handy. Diesmal wählte er die Nummer des Filialleiters seiner Bank.

„Ah, wie schön, dass Sie sich doch noch persönlich melden, Mr Buchanan. Wir bedauern wirklich sehr, dass Sie mit unseren Leistungen nicht mehr zufrieden waren. Aber was viel wichtiger ist: Wie geht es Ihnen denn? Konnten Sie sich gut erholen?“

„Mr Edwards, ich verstehe gerade nicht, was hier los ist. Da komme ich aus der Rehaklinik zurück und finde plötzlich ein leergeräumtes Bankkonto vor. Wie ist das möglich?“

„Aber … aber“, stotterte Mr Edwards. „Sie haben uns doch durch Ihren Stellvertreter ausrichten lassen, dass Sie mit unseren Konditionen nicht mehr zufrieden sind und daher die Bank wechseln. Mr Hackford ist extra vorbeigekommen, um zu klären, wie er vorgehen müsse. Er hat mir auch die erforderliche Vollmacht gezeigt.“

„Haben Sie eine Kopie davon gemacht?“

„Selbstverständlich.“

„Gut, dann komme ich jetzt vorbei und hole diese, bevor ich Anzeige bei der Polizei erstatte.“ Max’ Stimme klang fest, obwohl Panik in ihm tobte. Wie sollte er seine Leute und Lieferanten bezahlen? Für den laufenden Monat konnte er dies von seinem Privatguthaben begleichen, aber wie sollte es danach weitergehen? Dass das Gesundheitsamt sein Restaurant geschlossen hatte, war nicht gerade hilfreich, um finanziell wieder auf die Beine zu kommen.

 

Völlig erledigt verließ Max zwei Stunden später die Polizeistation. Er hatte Anzeige gegen seinen früheren Sous-Chef erstattet. Bei der Vollmacht, die Fred der Bank vorgelegt hatte, handelte es sich selbstredend um eine Fälschung. Wie sich herausstellte, war das Geld nicht einfach auf ein neues Firmenkonto bei einer anderen Bank transferiert worden, sondern von da gleich wieder an eine Bank auf den Bahamas, wo sich dann die Spur verlor. Die Polizei würde nun aber die Ermittlungen aufnehmen.

Max schloss seine Wohnungstür auf. Die abgestandene Luft ließ ihn angewidert durch den Mund atmen. Missmutig stellte er seine Tasche im Korridor ab und ging zuerst ins Wohnzimmer, um die Fenster zu öffnen. Der Papyrus auf dem Fensterbrett war vertrocknet. Eigentlich hatte er gehofft, dass Naomi hin und wieder vorbeischauen würde, um nach dem Rechten zu sehen. Immerhin hatte sie einen Wohnungsschlüssel. Vermutlich war sie zu beschäftigt gewesen. Was erwartete er auch von ihr? Sie hatte ihm in den letzten Wochen deutlich genug gezeigt, wie wenig ihr an ihm lag. Er würde diese Beziehung beenden. Aber nicht heute Abend, erstmal brauchte er etwas Ruhe. Er nahm die vertrocknete Pflanze und entsorgte sie in der Küche in einem Abfallsack. Sein Magen knurrte und erinnerte ihn daran, dass er seit dem Frühstück nichts mehr gegessen hatte. Ihm graute davor, den Kühlschrank aus gebürstetem Edelstahl zu öffnen, denn dessen Inhalt würde wohl nicht sehr appetitlich aussehen. Egal, dachte Max. Irgendwann musste er sich sowieso den Tatsachen stellen, da konnte er es ebenso gut jetzt erledigen.

Erneut vermied er es, durch die Nase zu atmen, als er die Kühlschranktür öffnete. Mit spitzen Fingern beförderte er den angegrauten Gruyère-Käse zum Papyrus in den Abfalleimer. Abgelaufener Joghurt, ranzige Butter, angegrautes Fleisch und mittlerweile schier unkenntliches Gemüse leisteten den beiden kurz darauf Gesellschaft. Max brachte den Müll zum Container vor dem Haus, bevor er den Kühlschrank gründlich reinigte. Im Vorratsschrank seiner ultramodernen Küche lagerten bestimmt noch ein paar Gemüse-Konserven, und er erinnerte sich an ein Steak, das im Gefrierschrank auf seinen Einsatz wartete. Aber am Kochen war ihm gerade jegliche Lust vergangen. Er schnappte sich seine Jacke und beschloss, beim Pub an der Ecke eine Portion Fish and Chips zu kaufen und damit in den nahegelegenen Castle Park zu gehen. In der Wohnung würde ihm sowieso nur die Decke auf den Kopf fallen. Wenig später saß er mit seiner zwar nicht so gesunden, aber total leckeren Mahlzeit auf einer Parkbank. Neben ihm hatte jemand die Zeitung liegen lassen. Um sich von trüben Gedanken abzulenken, überflog er die Schlagzeilen und blätterte die erste Seite um, wo ihm prompt sein eigenes Gesicht entgegengrinste. Es war ein altes Foto, das bei der Michelin-Stern-Verleihung aufgenommen worden war. Darunter prangte der Titel: Gesundheitsamt schließt Schmuddelrestaurant von Starkoch! Na super! Das war der endgültige Todesstoß für das Max.

Vergessen waren Fish and Chips, während die Gedanken wild durch seinen Kopf rasten. Wie hatte er sich in Fred nur so täuschen können? Sie hatten doch super zusammengearbeitet. Nicht ein einziges Mal hatte er seinen Sous-Chef bei einem Verstoß gegen die Hygienevorschriften ertappt. Als sein Stellvertreter wäre es Freds Aufgabe gewesen, die Küche als Letzter zu verlassen und sicherzustellen, dass sich alles in gutem Zustand befand. Hatte es Fred nicht gereicht, ihn zu beklauen? Wollte er ihn ganz am Boden sehen? Aber warum?

Ein leises Winseln ließ Max aufblicken. Vor ihm saß plötzlich ein ziemlich gut genährter schokoladenbrauner Labrador und sah ihn erwartungsvoll an. Zwischendurch wanderte sein hoffnungsvoller Blick zu der Tüte mit Fish and Chips, damit Max verstand, nach was ihm gelüstete.

„Bradley! Bradley, wo steckst du, verdammt noch mal!“ Eine schrille Frauenstimme durchdrang die Ruhe im Park. Doch falls der Hund damit gemeint war, ließ er sich nichts anmerken. Stattdessen legte er seinen Kopf auf Max’ Knie und schaute ihn so treuherzig an, dass Max nicht anders konnte, als zu lachen. „Na, du bist mir vielleicht ein gewiefter Kerl.“ Amüsiert kraulte er den Hund mit der freien Hand hinter den Ohren, dabei achtete er aber gut darauf, dass die Fish-and-Chips-Tüte außer Reichweite blieb.

„Herrgott noch mal, Bradley, du kostest mich den letzten Nerv!“ Eine dunkelhaarige, etwa fünfzigjährige Frau in hellgrauem Businesskostüm packte den Hund am Halsband und leinte ihn wieder an. „Entschuldigen Sie. Ich hoffe, Bradley hat Sie nicht belästigt. Aber wenn er Futter riecht, ist er nicht mehr zu bremsen.“

„Er hat mich nicht gestört“, versicherte Max der außer Atem geratenen Frau. „Ihr Hund ist ein ganz schön stattlicher Kerl.“

„Na ja, ein paar Pfunde weniger würden ihm nicht schaden. Bradley war der Hund meines Vaters, und der hat ihn viel zu sehr verwöhnt. Vor ein paar Wochen ist mein Dad leider gestorben, und nun muss ich mich um dieses Monster kümmern.“

„Das tut mir leid. Also das mit Ihrem Vater“, verbesserte sich Max. Während er mit der Frau sprach, ließ Bradley die Fish and Chips nicht aus den Augen.

„Danke, es war wirklich heftig, zumal alles so plötzlich und unerwartet kam. Sagen Sie, Sie kennen nicht zufälligerweise eine gute Hundesitterin oder einen Hundesitter?“

„Nein, tut mir leid.“

Die Dame zuckte mit den Schultern. „Wäre ja auch zu schön gewesen. Es ist im Moment wie verhext, alle, die ich angerufen haben, waren bereits ausgebucht. Im Moment kann ich Bradley noch mit ins Büro nehmen, aber wenn er sich weiterhin benimmt, als wäre er am Verhungern, und jeden anbettelt, wird mein Chef irgendwann genug davon haben. Na ja, ist nicht Ihr Problem. Entschuldigen Sie, wenn ich Sie so zuquatsche. Wir lassen Sie nun in Ruhe. Haben Sie noch einen schönen Abend. Komm, Bradley! Nein, du kriegst diese Fish and Chips nicht, du verfressenes Monster!“

Grinsend blickte Max den beiden hinterher. Was für ein seltsames Gespann! Die Frau in ihren Pumps, die alles andere als tauglich für einen Hundespaziergang waren, und der etwas pummelige Labrador. Zumindest hatten es die beiden geschafft, ihn für einen Moment von seinen Problemen abzulenken.

3. Kapitel

Die nächsten beiden Tage verbrachte Max mehrheitlich am Telefon, bei der Polizei, auf der Bank und vor dem Computer. Man riet ihm, sich einen Anwalt zu nehmen. Doch wozu? Fred hatte sich aus dem Staub gemacht, er konnte ihn nicht verklagen. Zudem hatte er kein Geld übrig für einen Anwalt. Das Max stand vor dem Aus, so viel war klar. Nur wie zum Teufel sollte er seinen Angestellten sagen, dass sie nun keinen Job mehr hatten? Hier ging es um mehrere Existenzen, nicht nur um seine. Weil ihm genau das keine Ruhe ließ, griff Max erneut zum Telefon. Er musste für seine Leute eine Lösung finden, das war er ihnen schuldig.

Nach einer weiteren sehr kurzen Nacht traf Max sich gegen Mittag mit seinem gesamten Team im Restaurant. Besorgte Gesichter sahen ihm entgegen, als er sich räusperte und um Ruhe bat. „Als Erstes muss ich mich bei euch aufrichtig entschuldigen“, begann Max. „Es tut mir leid, dass ich nicht bemerkt habe, was Fred im Schilde führte. Er hat nicht nur das Max in Verruf gebracht, sondern während meiner Abwesenheit sämtliche Konten unseres Betriebs leergeräumt. Es ist nichts mehr da. Mir bleibt so keine andere Wahl, als das Max für immer zu schließen.“ Max hörte, wie einige nach Luft schnappten und empörte Laute von sich gaben. Beschwichtigend hob er die Hände. „Eure nächsten Gehälter werdet ihr selbstverständlich noch bekommen.“

„Glaubst du nicht, du gibst zu schnell auf? Du könntest doch die Banken um einen Kredit bitten, und dann fangen wir einfach wieder von vorne an. Du bist ein fantastischer Koch und hast einen guten Ruf …“, meinte Patty enthusiastisch.

„Das war mal, Patty. Fred … falls das überhaupt sein richtiger Name war, hat ganze Arbeit geleistet.“ Max hielt die Zeitung hoch, die er vom Park mitgenommen hatte. „Einige von euch haben das hier bestimmt auch gelesen. Ich denke nicht, dass wir nach der Schließung durch das Gesundheitsamt noch eine Chance auf dem Markt hätten. Der Ruf des Max ist mit mir als Besitzer nicht mehr zu retten.“

„Aber du warst doch noch nicht mal da!“, empörte sich Jenny.

„Das interessiert leider niemanden. Ich trage die Verantwortung. Aber …“, unterbrach er das aufgebrachte Stimmengewirr. „Aber ich habe inzwischen ein paar Telefonate geführt, und die umliegenden Betriebe sind bereit, eure Bewerbungen wohlwollend zu prüfen. Dort auf dem Tisch liegen Listen mit den zuständigen Kontaktadressen für euch aus. Die Personalverantwortlichen wissen, dass ihr an dem Schlamassel keine Schuld tragt.“

„Ganz so unschuldig sind wir nicht“, meinte Dan, einer der Hilfsköche, zerknirscht. „Am letzten Sonntag nach der Schicht wollten wir wie gewohnt klar Schiff machen, aber Fred meinte, wir sollten gehen. Es wäre ein harter Tag gewesen. Die Küche könnten wir uns auch noch am nächsten Morgen vorknöpfen. Hätte ich bloß nicht auf ihn gehört …“

„Mach dir keinen Vorwurf, Dan. Fred wollte uns in die Pfanne hauen, und selbst wenn ihr an diesem Abend die Küche blitzblank zurückgelassen hättet, hätte er einen Weg gefunden, uns in die Bredouille zu bringen.“

„Und was hast du nun vor?“, fragte Patty.

„Zuerst richtig gesund werden.“ Ihm war klar, dass er in dieser Gegend kein eigenes Restaurant mehr eröffnen konnte. Sein Ruf war im Eimer, und ob ihn nach diesem Verriss in der Presse noch jemand einstellen wollte, stand ebenfalls in den Sternen.

Max ließ seine Leute die Listen studieren und zog sich in sein Büro zurück, um das Kündigungsschreiben an den Vermieter aufzusetzen. Gemäß Vertrag bestand eine Frist von sechs Monaten, aber der Vermieter war bereit, ihn früher aus dem Vertrag zu entlassen, wenn er einen geeigneten Nachmieter fand. Gelang ihm das nicht, würde er die nächsten Mieten von seinem Ersparten bezahlen müssen. Von was er dann leben sollte, wagte er sich gar nicht erst zu überlegen. Müde schloss er einen Moment die Augen. War es wirklich so gut, dass er diesen verfluchten Herzinfarkt überlebt hatte? Sein Leben war im Moment eine einzige Baustelle. Entsetzt über sich selbst schüttelte er den Kopf. Du bist so ein Idiot, Max! Das sind alles Dinge, die sich regeln lassen. Es wird Zeit, Ordnung in das Chaos zu bringen. Er kehrte in seine Küche zurück und stellte erstaunt fest, dass seine Leute nicht einfach gegangen waren, wie er angenommen hatte. Nein, sie hatten zu Putzzeug gegriffen und waren dabei, die völlig verdreckte Küche und die Vorratsräume wieder auf Hochglanz zu bringen.

„Danke, aber ihr müsst das nicht tun.“ Eigentlich hatte er das schon die letzten beiden Tage angehen wollen, aber er hatte einen Moment gebraucht, um die Ereignisse sacken zu lassen.

„Das ist das Mindeste, was wir tun können“, entgegnete Dan, der sich den Fettspritzern am Herd widmete. Patty öffnete demonstrativ die Hintertür. „Du gehst jetzt nach Hause, Max, und ruhst dich aus. Wenn du morgen wiederkommst, ist alles picobello.“

„Das geht doch nicht …“

„Und ob das geht!“ Dan und Jenny packten ihn je an einem Arm und zogen ihn Richtung Ausgang.

Verblüfft schaute Max zu, wie hinter ihm die Tür ins Schloss fiel. Hatten die ihn tatsächlich aus seinem eigenen Restaurant geworfen? Nachdenklich blickte er zur Tür. Das Max war bisher das Wichtigste in seinem Leben gewesen. Er hatte seine ganze Energie in den Betrieb gesteckt, aber er hatte es geliebt. Ja, es mochte manchmal kräftezehrend gewesen sein, doch er erinnerte sich an keinen einzigen Tag, an dem er sich hätte überwinden müssen, die Kochschürze umzubinden. Dennoch war es nicht die Arbeit, die er am meisten vermissen würde - kochen konnte er fast überall -, sondern die Menschen. Nicht nur sein Team, auch die Stammgäste, an deren Tische er oft für einen kurzen Schwatz haltgemacht hatte. Bald würden hier andere Menschen ein- und ausgehen. Allein der Gedanke daran schien ihm unvorstellbar. Grundsätzlich war Max ein friedliebender Mensch, aber wenn er an Fred dachte, könnte er diesem hinterhältigen Mistkerl glatt den Hals umdrehen.

Der Nieselregen von heute früh hatte sich verzogen, und die Sonne linste scheu hinter einer Wolke hervor. Mit seinem Arzt im Ohr, der ihm eingebläut hatte, etwas mehr Bewegung in sein Leben zu bringen, beschloss Max, einen Spaziergang durch den Castle Park zu unternehmen. Danach sollte er sich endlich bei Naomi melden. Während er forsch dahinschritt, ließ er sich durch den Kopf gehen, wie er ihr sagen wollte, dass die Beziehung für ihn keinen Sinn mehr ergab. So wenig, wie er in den letzten Wochen von Naomi gehört hatte, war sie ja vielleicht zum selben Schluss gekommen. Sie beide lebten nur noch nebeneinanderher. Und wenn er eines gelernt hatte, dann dieses: Das Leben war zu kurz, um es mit einem Menschen zu teilen, der einen nur in guten Zeiten begleitete. Lieber keine Beziehung als eine, die auf falschen Werten aufgebaut war.

Ein Bellen durchdrang Max’ Grübeleien und lenkte seine Aufmerksamkeit zum See. Dort war ein dicker schokoladenbrauner Labrador gerade dabei, ein paar Enten aufzuscheuchen. War das nicht derselbe Hund wie neulich? Max schaute sich nach der Halterin um. Aber außer einem älteren Herrn mit Pudel und einer jungen Frau, die einen Kinderwagen vor sich herschob, konnte er niemanden entdecken. Seltsam.

„Bradley?“, rief Max zögerlich. Prompt drehte der Hund den Kopf in seine Richtung, wobei ihm das Wasser von der Schnauze tropfte. Nach einem kurzen Blick zurück zu den Enten entschied Bradley, zu Max zu kommen. Kaum aus dem Wasser, schüttelte er sich und ließ abertausende Tropfen durch die Gegend fliegen. Dann kam er mit einem Hundelächeln im Gesicht gemütlich auf Max zugetrottet.

„Bradley, du Ausgeburt der Hölle!“, hörte Max hinter sich eine schrille Frauenstimme. Kein Wunder, dass der Hund erneut die Flucht antreten wollte. Aber Max war schneller und griff geistesgegenwärtig nach der Leine, die noch am Halsband befestigt war.

„Hier geblieben, mein Guter. Wer Blödsinn anstellt, muss diesen auch ausbaden“, sagte er streng, bevor er sich nach Bradleys Halterin umdrehte. Der Anblick ließ ihn unwillkürlich lächeln. Das Businesskostüm der Frau war über und über mit Schlammspritzern versehen, und die Pumps konnte sie vermutlich in die Tonne werfen.

„Das ist nicht lustig!“, empörte sie sich aufgebracht. „Ich habe in einer halben Stunde ein wichtiges Meeting. So kann ich da unmöglich auftauchen.“

„Entschuldigung“, sagte Max und versuchte, sein Grinsen zu verstecken, was ihm kläglich misslang. „Wie ist das denn passiert?“

„Ich wollte mit Bradley nur eine kurze Runde drehen, damit er noch mal rauskommt, bevor das Meeting losgeht. Aber dieses undankbare Vieh hat sich so ruckartig losgerissen, dass ich gestolpert und hingefallen bin.“

„Direkt in eine Pfütze, wie es aussieht.“

Die Frau knurrte und nahm Bradleys Leine an sich. „Jetzt muss ich nach Hause, mich umziehen, den Hund irgendwie sauber bekommen … Mist, Mist, Mist!“ Sie stieß einen verzweifelten Seufzer aus. „Das schaffe ich nie rechtzeitig! Mein Chef wird toben. Er ist ohnehin sauer, weil Bradley heute schon wieder auf der Couch in seinem Büro gelegen hat. Ich habe keine Ahnung, wie er da reingekommen ist. Jetzt komm, du Monster!“ Sie wollte ihn mit sich zerren, aber Bradley hatte inzwischen seinen Hintern auf der Erde verankert und war nicht gewillt, auch nur einen Schritt mit der aufgebrachten Schlamm-Lady mitzugehen.

„Warum lassen Sie Bradley nicht einfach bei mir? Ich kann auf ihn aufpassen, während Sie in aller Ruhe zu Ihrem Meeting gehen.“

Ihr Kopf schnellte zu ihm hoch. „Das würden Sie machen?“

„Klar. Ein wenig frische Luft und Bewegung werden mir guttun.“ Er griff in seine Gesäßtasche, um daraus seine Geldbörse hervorzuklauben, in der er immer ein oder zwei Visitenkarten aufbewahrte. „Hier“, er reichte ihr eine der edlen schwarzen Karten, auf der das silberne Restaurant-Logo glänzte, „Sie können ihn später bei mir abholen.“

Die Frau warf einen kurzen Blick auf die Visitenkarte. „Natürlich! Dass ich Sie nicht gleich erkannt habe?! Dabei habe ich schon bei Ihnen gegessen.“

„Ich hoffe, es hat geschmeckt“, sagte er und nahm ihr die Hundeleine aus der Hand, was Bradley mit einem zufriedenen Grummeln kommentierte.

„Und wie. Es tut mir so leid. Ich habe gestern von einer Kollegin erfahren, dass Ihr Restaurant in Schwierigkeiten geraten ist. Hören Sie …“ Jetzt kramte sie ihrerseits eine Visitenkarte aus der Handtasche hervor und streckte sie ihm entgegen. „Ich bin Anwältin. Wenn Sie rechtlichen Beistand brauchen, stehe ich Ihnen gerne zur Seite.“

Er nahm die Visitenkarte an sich. Victoria Morgan, Rechtsanwältin bei Fisher & Carter. „Danke, Ms Morgan. Vermutlich wird es nicht nötig sein. Ich habe beschlossen, das Restaurant zu schließen.“

„Was?! Aber doch nicht wegen so einer an den Haaren herbeigezogenen Geschichte?! Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Spitzenkoch wie Sie die Hygiene-Vorschriften missachtet. Wenn Sie mir die Fakten nennen, kann ich Ihnen bestimmt helfen.“

„Hatten Sie nicht gleich einen Termin?“, fragte Max schmunzelnd.

Ihr Blick flog zu ihrer Uhr. „Oh, verflixt, schon so spät … Aber dann erzählen Sie mir heute Abend alles, wenn ich Bradley abholen komme.“

„Gerne.“

Zu Max’ Erstaunen benahm sich Bradley vorbildlich. Sie machten einen ausgedehnten Spaziergang, setzten sich etwas in die Sonne und kehrten am Ende doch zum Max zurück.

„Ich bin sicher, da findet sich auch ein Würstchen für dich“, versicherte er dem Hund. So ein kleiner Happen konnte bestimmt nicht schaden, nachdem sie so lange unterwegs gewesen waren.

„Wollest du nicht erst morgen wiederkommen?“, fragte Patty, kaum dass er das Restaurant betreten hatte. Erst dann bemerkte sie, dass Max nicht allein war. „Wo hast du den denn aufgegabelt?“

„Lange Geschichte. Aber ich passe nur heute Nachmittag auf ihn auf. Er heißt Bradley. Sag mal, haben wir noch welche von den Würstchen, die wir für die Hunde der Gäste besorgt haben?“

„Aber sicher doch. Ich hole sie.“

Max ging mit Bradley in sein Büro. „Warte kurz hier. Bin gleich zurück.“ Sicherheitshalber zog er die Tür trotzdem hinter sich zu. Er wollte Bradley nicht in der Küche haben, selbst jetzt, wo diese in nächster Zeit geschlossen bliebe. Sein Team hatte ganze Arbeit geleistet, während er im Park gewesen war. Der Boden war blitzblank gewischt, auf dem Herd war kein Spritzer mehr zu sehen, und auch die Dampfabzüge waren sauber. Die fleißigen Helfer schlüpften gerade in ihre Jacken, um sich auf den Heimweg zu machen. „Hört mal“, lenkte er ihre Aufmerksamkeit auf sich. „In den Lagerräumen gibt es noch Vorräte und Wein. Nehmt mit, was ihr brauchen könnt.“

Bei der Verabschiedung nahm er ihnen das Versprechen ab, Bescheid zu geben, sobald sie eine neue Arbeitsstelle hatten. Er schloss gerade die Tür hinter ihnen, als Patty mit dem Würstchenglas neben ihm auftauchte. „Hier, Chef, oder soll ich sie ihm geben?“

„Nein, das mache ich nachher selbst. Danke, auch dir Patty, für alles. Ich konnte mich immer voll und ganz auf dich verlassen.“

„Hör auf, Max, sonst fange ich gleich an zu heulen. Und wehe, du meldest dich nicht bei mir, wenn du wieder irgendwo Leute brauchst.“

„Ich verspreche hoch und heilig, du wärst die Erste, die ich anrufen würde. Aber vorerst suchst du dir besser was Neues.“ Er nahm ihr das Würstchenglas ab und drückte sie kurz an sich. „Mach’s gut, und schnapp dir noch ein paar Flaschen Champagner für dich und Nick.“

Am Ende stand Max allein in seiner Küche. Das war’s also. Aus und vorbei. Schon verrückt: Er hatte so viele Jahre kämpfen müssen, bis der Erfolg sich einstellte. Und dann machte ein einziger Fehler bei der Mitarbeiterauswahl innerhalb weniger Tage alles zunichte. Vielleicht hatte es aber auch so kommen müssen? Vielleicht war sein Herzinfarkt ein Fingerzeig gewesen, sein Leben zu verändern. Nur wie? Von irgendwas musste er ja leben, und Kochen war alles, was er konnte. Hinzu kam, dass die Arbeit in einer Küche nun mal stressig war, das würde sich auch nicht ändern, wenn er in irgendeinem Restaurant angestellt wäre.

Ein lautes Jaulen durchbrach seine Gedanken. Bradley! Den hätte er fast vergessen. Zügig kehrte er mit dem Würstchenglas in sein Büro zurück. Kaum hatte er die Tür geöffnet, begrüßte ihn der behäbige Labrador, als hätte er ihn schon seit Tagen nicht mehr gesehen. Okay, möglicherweise wurde die Freude eher durch die Würstchen ausgelöst.

„Sitz“, sagte Max bestimmt, aber in ruhigem Ton. Eigentlich hatte er nicht damit gerechnet, dass Bradley gleich der ersten Aufforderung nachkäme, doch der schlaue Kerl tat es. Dabei ließ er das Glas nicht aus den Augen und leckte sich voller Vorfreude über die Lefzen. Max klaubte ein Würstchen aus dem Glas. „Ja, das ist was Feines, nicht wahr? Aber es gibt nur eines. Ich will ja nicht, dass dein Frauchen mich später verklagt, weil ich dich gemästet habe.“

Anschließend rief er von seinem Büro aus ein paar Kollegen an, um zu hören, ob sie jemanden kannten, der womöglich das Max übernehmen wollte. Viele waren überrascht und schockiert, als er ihnen berichtete, was passiert war, und sie versprachen ihm, sich umzuhören. Dann erledigte er noch einigen Papierkram, während Bradley zu seinen Füßen schlief und leise Schnarchgeräusche von sich gab. Es tat gut, den Hund bei sich zu haben. Irgendwie strahlte er eine Ruhe aus, die Max’ Wut auf Fred und die ganze Situation dämpfte. Kurz vor halb sechs Uhr abends hinterließ Max bei Victoria eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter, dass er Bradley mit sich nach Hause nehmen würde, wo sie ihn später abholen konnte. Es schien, als würde ihr Meeting etwas länger dauern als geplant, aber das störte ihn nicht. Bevor er die Tür des Restaurants hinter sich zuzog, holte er sich eine der letzten Flaschen Chateau Petrus aus dem Lager. Die würde hier nicht mehr gebraucht werden, und warum sollte er sich nicht auch mal etwas gönnen?

In seiner Wohnung bugsierte Max Bradley gleich unter die Dusche. Der Schmutz vom Ententeich musste aus seinem Fell rausgewaschen werden, was der Hund etwas anders sah. Bradley war wenig begeistert, als Max das Wasser andrehte, und quittierte es mit kläglichem Gejaule. Seine Augen nahmen einen so flehenden Ausdruck an, dass Max einfach lachen musste. „Jetzt stell dich nicht so an, Kumpel.“ Mangels Hundeshampoo griff Max zur Seife, um den Labrador damit gründlich zu waschen. Zwischendurch schüttelte sich Bradley immer mal wieder kräftig, sodass am Ende auch Max pitschnass war. Er wollte Bradley gerade mit einem großen Badetuch abtrocknen, als es an der Tür klingelte. Den Überraschungseffekt nutzte Bradley gnadenlos aus. Mit einem großen Satz sprang er aus der Duschwanne. „Bradley!“, rief Max ihm noch nach, aber der Hund rannte bereits bellend Richtung Wohnungstür und hinterließ dabei auf den Fliesen deutliche Spuren. Als Max ihn schließlich einholte, schüttelte Bradley sich so heftig, dass das Wasser quer durch den Korridor spritzte. Das erneute Klingeln quittierte Bradley mit einem lauten „Wuff“.

„Max?“, hörte er Naomis genervte Stimme durch die Tür. Max sog die Luft scharf ein. Eigentlich hatte er gehofft, die Begegnung auf die nächsten Tage verschieben zu können. Aber, na schön, er konnte es auch heute Abend hinter sich bringen. Was spielte es jetzt noch für eine Rolle, sein Leben war ohnehin ein einziger Scherbenhaufen. Er schnappte sich Bradley am Halsband, bevor er die Tür öffnete und Naomi hereinließ.

„Seit wann hast du einen Hund?“, fragte sie. Die Missbilligung triefte nur so aus ihrer Stimme. „Und wie siehst du überhaupt aus?“