Sechs physikalische Fingerübungen • Physikalische Fingerübungen für Fortgeschrittene - Richard P. Feynman - E-Book
SONDERANGEBOT

Sechs physikalische Fingerübungen • Physikalische Fingerübungen für Fortgeschrittene E-Book

Richard P. Feynman

0,0
14,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 3,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Einen besseren Lehrer als den Physiknobelpreisträger Richard P. Feynman kann man sich nicht wünschen. In seiner unnachahmlichen Weise erklärt er locker und witzig die großen Themen: Atome in Bewegung, Energie, Gravitation, Einsteins spezielle Relativitätstheorie oder Symmetrie, Energie und Impuls. »Sechs physikalische Fingerübungen« sowie weitere sechs Kapitel aus den berühmten »Vorlesungen über Physik« im Doppelband. Hilfreich und aufregend für alle, die sich für Physik interessieren.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Mehr über unsere Autoren und Bücher:

www.piper.de

Die Veröffentlichung der Fotos von Richard P. Feynman erfolge mit freundlicher Genehmigung des Archivs des California Institute of Technology, Pasadena (© Melanie Jackson Agency, New York)

Für die Erstveröffentlichung von “Physikalische Fingerübungen für Fortgeschrittene” (1963) wurden die Texte von Robert B. Leighton und Matthew Sands eingerichtet.

Aus dem Amerikanischen von Inge Leipold und Helmut Reuter

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Piper Verlag erschienenen Taschenbuchsonderausgabe

4. Auflage Juni 2011

ISBN 978-3-492-95771-7

© 1963, 1989, 1995, 1997 California Institute of Technology

© der Einführung: Roger Penrose

Titel der amerikanischen Originalausgaben:

“Six Easy Pieces” und “Six Not-so-easy Pieces”, Helix Books / Perseus Books, Reading, Massachusetts

© der deutschsprachigen Ausgabe:

2002 und 2004 Piper Verlag GmbH, München

Umschlaggestaltung: semper smile, München

Umschlagabbildung: California Institute of Technology / Institute Archives used by permission of the Melanie Jackson Agency, LLC

Datenkonvertierung: CPI ­ Clausen & Bosse, Leck

Erstes Buch: Sechs physikalische Fingerübungen

Vorbemerkung des Originalverlags

Die Veröffentlichung der »Six Easy Pieces« (»Sechs physikalischen Fingerübungen«) erwuchs aus dem Wunsch, eine Art elementare, doch nicht allzu theoretische Fibel der Physik auf der Grundlage von Richard Feynmans wissenschaftlichen Vorstellungen einem möglichst breiten Publikum zugänglich zu machen. Wir haben uns für die sechs einfachsten Kapitel aus Feynmans berühmtem Werk Lectures on Physics (erschienen 1963), einem Meilenstein dieser Wissenschaft und nach wie vor seine bekannteste Veröffentlichung, entschieden. Interessierte Laien können von Glück reden, daß Feynman bestimmte Schlüsselthemen weitgehend inhaltlich und ohne formale Mathematik darstellte; ebendiese haben wir in vorliegendem Band zusammengefaßt.

Die Addison-Wesley Publishing Company dankt Paul Davies für seine aufschlußreiche Einführung in diese neue Zusammenstellung. Im Anschluß daran folgen zwei Vorreden aus den Lectures on Physics, eine von Feynman selber, die andere von zwei seiner Kollegen: Sie liefern den allgemeinen Rahmen für die folgenden Kapitel und eröffnen den Zugang zu Richard Feynman wie auch zu seiner Wissenschaft.

Schließlich gilt unser Dank den Mitarbeitern des Fachbereichs Physik am California Institute of Technology sowie des Institutsarchivs, insbesondere Dr. Judith Goldstein, sowie Dr. Brian Hatfield für seine ungemein wertvollen Ratschläge und Empfehlungen bei der Durchführung unseres Projekts.

Einführung

Laut einem weitverbreiteten Mißverständnis ist Wissenschaft ein unpersönliches, leidenschaftsloses und durch und durch objektives Unternehmen. Während die meisten Betätigungsgebiete Moden und Marotten unterliegen und von Interesse und Vorlieben der jeweiligen Persönlichkeit abhängig sind, muß Wissenschaft sich vermeintlich an allgemein anerkannte Verfahrensregeln halten und sich strengen Überprüfungen unterziehen lassen. Die Ergebnisse zählen, nicht jedoch die Personen, die sie erzielen.

Das ist natürlich Unsinn. Wissenschaft wird – wie jegliche menschliche Beschäftigung – von Personen betrieben und unterliegt ebenfalls Moden und Launen. In diesem Fall hängt, was jeweils in Mode ist, nicht so sehr von der Wahl des Gegenstands ab, sondern von den Gedanken, die Wissenschaftler sich über diese unsere Welt machen. Jede Epoche wählt einen eigenen, besonderen Ansatz, wissenschaftliche Probleme anzugehen; dabei folgt man normalerweise dem von gewissen überragenden Persönlichkeiten gewiesenen Weg – sie bestimmen, was untersucht werden soll, und legen die besten Methoden fest, wie man dabei vorgehen soll. Gelegentlich haben Wissenschaftler genügend Format, um auch von der Allgemeinheit wahrgenommen zu werden; verfügt ein Wissenschaftler zudem über eine besondere Ausstrahlung, kann er durchaus zu einer Kultfigur der gesamten wissenschaftlichen Gemeinschaft werden. In früheren Jahrhunderten war dies Isaac Newton – die Verkörperung des Gentleman-Wissenschaftlers: er hatte gute Beziehungen, war zutiefst religiös, gesetzt und ging bei seiner Arbeit äußerst methodisch vor. Sein wissenschaftlicher Stil setzte zwei Jahrhunderte lang die Maßstäbe, an denen alle gemessen wurden. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verdrängte Albert Einstein ihn als populäre wissenschaftliche Kultfigur: exzentrisch, chaotisch, zerstreut, ging er, ein Deutscher und ein archetypischer abstrakter Denker, völlig in seiner Arbeit auf. Er veränderte die Art und Weise, wie Wissenschaft betrieben wird, indem er die Begriffe und Vorstellungen, die das Fachgebiet definieren, in Frage stellte.

Für das ausgehende 20. Jahrhundert wurde Richard Feynman zur Leitfigur in der Physik – der erste Amerikaner, der einen solchen Rang einnahm. 1918 in New York geboren und an der Ostküste Amerikas aufgewachsen, wo er auch studierte, war er zu spät dran, um das goldene Zeitalter der Physik noch mitzuerleben: jene ersten drei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts, in denen die Zwillingsrevolutionen: Relativitätstheorie und Quantenmechanik unsere Weltsicht gründlich umkrempelten. Diese Umwälzungen legten den Grundstein zu dem Gebäude, das wir mittlerweile als die Neue Physik bezeichnen. Feynman baute auf diesem Fundament auf und half bei der Fertigstellung des Erdgeschosses. Seine Beiträge leuchteten in fast alle Ecken und Winkel dieses Wissenschaftsbereichs und wirkten sich ebenso tiefgreifend wie nachhaltig auf die Physiker und ihre Betrachtungsweise des physikalischen Universums aus.

Feynman war ein theoretischer Physiker par excellence. Newton war sowohl Experimentator als auch Theoretiker gewesen; Einstein hatte Experimentieren schlichtweg verächtlich abgetan und sich ganz dem reinen Denken verschrieben. Feynman strebte nach einem tiefreichenden theoretischen Verständnis der Natur, doch er blieb immer nahe an der sehr realen Welt der Ergebnisse von Experimenten, in der es oft recht schlampig zugeht. Wer gesehen hat, wie Feynman in fortgeschrittenem Alter die Ursache der Challenger-Katastrophe erklärte, indem er ein Gummiband in Eiswasser tauchte, konnte schwerlich noch einen Zweifel daran hegen, daß hier ein Schauspieler und ungemein praktischer Denker in einer Person am Werk waren.

Ursprünglich machte Feynman sich mit seinen Arbeiten zur Theorie der subatomaren Teilchen, insbesondere der Quantenelektrodynamik (QED), einen Namen. Genaugenommen stand dieses Problem am Beginn der Quantentheorie. 1900 hatte Max Planck die Hypothese zur Diskussion gestellt, Licht wie auch andere elektromagnetische Strahlung, die man bislang als Wellen aufgefaßt hatte, verhielten sich paradoxerweise wie winzige Energiebündel oder »Quanten«, sobald sie mit Materie in Wechselwirkung träten. Später bezeichnete man diese speziellen Quanten als Photonen. Anfang der dreißiger Jahre war es den Architekten der neuen Quantenmechanik gelungen, ein mathematisches System auszuarbeiten, um die Emission und Absorption von Photonen durch elektrisch geladene Teilchen wie Elektronen zu beschreiben. Zwar erfreute diese frühe Formulierung der QED sich eines gewissen – begrenzten – Erfolgs, doch die Theorie war eindeutig fehlerhaft. In vielen Fällen ergaben Berechnungen widersprüchliche und sogar unendliche Antworten auf durchaus klar formulierte physikalische Fragen. Und ebendiesem Problem: eine widerspruchsfreie, logische Theorie der QED zu entwickeln, wandte der junge Feynman sich Ende der vierziger Jahre zu.

Um die QED auf eine tragfähige Grundlage zu stellen, mußte man die Theorie nicht nur mit den Grundsätzen der Quantenmechanik, sondern auch mit den Prinzipien der speziellen Relativitätstheorie in Einklang bringen. Diese beiden Theorien arbeiten mit einem je eigenen, unverwechselbaren mathematischen Formelapparat, komplizierten Systemen von Gleichungen, die man jedoch miteinander verbinden und in Einklang bringen kann, um eine zufriedenstellende Darstellung der QED zu erhalten. Allerdings war dies ein ungemein schwieriges Unternehmen, das großes mathematisches Geschick erforderte; diesen Ansatz verfolgten Feynmans Zeitgenossen. Feynman selber schlug einen radikal anderen Weg ein – so radikal anders, daß er mehr oder weniger in der Lage war, die Lösungen schlicht hinzuschreiben, ohne sich dazu irgendwelcher Mathematik zu bedienen!

Als Hilfsmittel für diese außergewöhnliche intuitive Bravourleistung erfand Feynman ein einfaches System später nach ihm benannter Diagramme. Die Feynman-Diagramme stellen eine symbolische, doch ungemein erkenntnisfördernde Form einer Beschreibung dessen dar, was geschieht, wenn Elektronen, Photonen und andere Teilchen miteinander wechselwirken. Mittlerweile sind Feynman-Diagramme ein gängiges Hilfsmittel bei Berechnungen, doch Anfang der fünfziger Jahre stellten sie eine sensationelle Abweichung von den traditionellen Verfahrensweisen der theoretischen Physik dar.

Das spezielle Problem der Ausformulierung einer in sich stimmigen Theorie der Quantenelektrodynamik war zwar ein Meilenstein in der Geschichte der Physik, doch es war nur der Anfang. Es legte den Grundstein zu einem unverkennbaren Feynman-Stil, einer Vorgehensweise, die noch zu einer ganzen Reihe wichtiger Antworten auf ein breites Spektrum von Fragen der Physik führen sollte. Am ehesten läßt dieser Feynman-Stil sich wohl als eine Mischung aus Ehrfurcht und Respektlosigkeit vor verbürgtem Wissen beschreiben.

Die Physik ist eine exakte Wissenschaft, und man kann den gegebenen Wissensschatz, auch wenn er immer unvollständig ist, nicht einfach achselzuckend beseite schieben. Bereits in jungen Jahren entwickelte Feynman ein beeindruckendes Verständnis der allgemein anerkannten Grundsätze der Physik und beschäftigte sich nahezu ausschließlich mit konventionellen Problemen. Er war nicht die Art Genie, die in einem völlig abgelegenen Bereich dieser Disziplin vor sich hin werkelt und dann über etwas tiefgreifend Neues stolpert. Seine besondere Begabung bestand darin, durchaus gängige Fragen auf sehr eigenwillige Weise anzugehen. Das bedeutete, er verzichtete auf vorgegebene Formalisierungen und entwickelte einen eigenen, höchst intuitiven Ansatz. Die Mehrzahl der theoretischen Physiker verläßt sich auf sorgfältige mathematische Berechnungen, die ihnen als Richtschnur und Krücke dienen, wenn sie sich auf unbekanntes Terrain wagen; Feynman hingegen ging dabei eher unbekümmert vor. Dennoch hat man den Eindruck, daß er in der Natur wie in einem Buch lesen konnte und dann einfach berichtete, was er dort vorgefunden hatte, ohne sich mit einer langwierig-langweiligen umfassenden Analyse herumzuschlagen.

In der Tat legte Feynman, indem er auf diese Weise seine Interessen verfolgte, eine gesunde Geringschätzung für strenge Formalismen an den Tag. Eine Vorstellung von der Genialität, deren es bedarf, um so zu arbeiten, ist kaum zu vermitteln. Die theoretische Physik ist eine der schwierigsten intellektuellen Beschäftigungen, da sie abstrakte Begriffe, die sich einer Veranschaulichung entziehen, mit ungeheurer mathematischer Differenziertheit und Vielschichtigkeit verbindet. Die meisten Physiker können nur mit einem Höchstmaß an geistiger Disziplin irgendwelche Fortschritte erzielen. Feynman hingegen setzte sich anscheinend rücksichtslos über diesen strengen Verfahrenskodex hinweg und pflückte vom Baum des Wissens neue Erkenntnisse wie reife Früchte.

In hohem Maße prägte Feynmans Persönlichkeit seinen besonderen Stil. Im beruflichen wie auch im Privatleben schien er die Welt als ein einziges ungemein unterhaltsames Spiel zu betrachten. Das physikalische Universum stellte ihn vor faszinierende Rätsel und Herausforderungen, und das gleiche galt für sein gesellschaftliches Umfeld. Sein Leben lang war er zu Scherzen aufgelegt und behandelte Behörden und das akademische Establishment mit der gleichen Respektlosigkeit, die er öden mathematischen Formalismen gegenüber an den Tag legte. Dummköpfe konnte er nicht ausstehen, und er verstieß gegen sämtliche Regeln, die er als willkürlich oder widersinnig empfand. Seine autobiographischen Schriften enthalten höchst vergnügliche Geschichten, wie Feynman während des Krieges bei der Entwicklung der Atombombe die Sicherheitsdienste austrickste, wie Feynman Safes knackte, wie Feynman Frauen mit haarsträubend dreistem Verhalten schlicht entwaffnete. Nicht einmal aus dem Nobelpreis, der ihm für seine Arbeit zur QED verliehen wurde, machte er sich besonders viel.

Während er gegen jede Art von Förmlichkeit einen ausgesprochenen Widerwillen hatte, faszinierte ihn alles Schrullige und Absonderliche. Wahrscheinlich erinnern sich viele daran, wie er schier besessen war von dem lange verschwunden geglaubten Land Tuwa in Zentralasien1, das er kurz vor seinem Tod in einem Dokumentarfilm so bezaubernd einfing. Zu seinen anderen Leidenschaften zählten Bongospielen, Malen und häufige Besuche in Stripteaseclubs sowie das Entziffern von Texten der Mayas.

Feynman trug selber viel zum Kult um seine einzigartige Persönlichkeit bei. Zwar griff er nur widerwillig zur Feder, doch in Gesprächen zeigte er sich ungemein redegewandt und liebte es, seine Ideen und Eskapaden zum besten zu geben. Diese im Lauf der Jahre angesammelten Anekdoten trugen zu seinem geheimnisvollen Nimbus bei und machten ihn noch zu Lebzeiten zu einer sprichwörtlichen Legende. Aufgrund seines einnehmenden Wesens war er bei den Studenten, vor allem bei den jüngeren, von denen viele ihn regelrecht vergötterten, äußerst beliebt. Als Feynman 1988 an Krebs starb, entrollten die Studenten des Caltech, an dem er fast sein ganzes Berufsleben hindurch gearbeitet hatte, eine Fahne mit der schlichten Aufschrift: »Wir lieben Dich, Dick.«

Vor allem Feynmans unbekümmerte Art, das Leben im allgemeinen und die Physik im besonderen zu betrachten, machten ihn zu einem so großartigen Gesprächspartner. Für offizielle Vorlesungen oder auch nur dafür, Doktoranden zu betreuen, hatte er wenig Zeit. Dennoch hielt er, wenn er Lust dazu hatte, brillante Vorträge, in denen er einen sprühenden Witz spielen ließ und die durchdringende Einsicht wie auch die Respektlosigkeit an den Tag legte, die auch in seiner Forschertätigkeit zum Tragen kamen.

Anfang der sechziger Jahre ließ Feyman sich überreden, am Caltech für Erst- und Zweitsemester einen Einführungskurs in Physik abzuhalten, und tat dies mit dem ihm eigenen Elan und seiner unnachahmbaren Mischung aus Zwanglosigkeit, Begeisterung und abgründigem Humor. Glücklicherweise sind diese unschätzbaren Vorlesungen der Nachwelt in Buchform erhalten geblieben. Obwohl sie hinsichtlich Stil und Darstellungsweise alles andere als ein konventionelles Lehrbuch sind, wurden die Feynman Lectures ein ungeheurer Erfolg und regten weltweit eine ganze Studentengeneration an. Drei Jahrzehnte später haben die drei Bände nichts von ihrer Brillanz und Anschaulichkeit eingebüßt. In der Absicht, interessierten Laien eine anschauliche Vorstellung von Feynman als Pädagogen zu vermitteln, wurden die Sechs physikalischen Fingerübungen unmittelbar aus den Lectures on Physics übernommen2. Zu diesem Zweck haben wir auf die ersten, nichttechnischen Kapitel in diesem Werk, einem Meilenstein in der Physik, zurückgegriffen. Das Ergebnis ist ein wunderbares Buch – eine Art Fibel für Nichtphysiker, die zugleich Einblick in Feynmans Persönlichkeit gibt.

Am beeindruckendsten an Feynmans sorgfältig ausgearbeiteten Darlegungen ist die Art und Weise, wie er mit einem äußerst geringen Aufwand an systematischen Konzepten und einem Mindestmaß an mathematischer und technischer Fachsprache weitreichende physikalische Begriffe entwickelt. Er beherrscht die Kunst, genau die treffende Analogie oder alltägliche Veranschaulichung zu finden, um das Wesentliche eines grundlegenden Prinzips herauszuschälen, ohne es mit Nebensächlichem oder unwichtigen Einzelheiten zu verdunkeln.

Die Auswahl der in diesen Band aufgenommenen Themen versteht sich nicht als umfassender Überblick zum Stand der modernen Physik, sondern als verführerische Kostprobe der Vorgehensweise Feynmans. Wir werden schnell entdecken, wie er selbst so banale Themen wie Kraft und Bewegung durch neue Einsichten zu erhellen versteht. Schlüsselbegriffe veranschaulicht er mit Beispielen aus dem Alltagsleben oder der Antike. Und beständig wird die Physik zu anderen Wissenschaften in Beziehung gesetzt, ohne jedoch den Leser je darüber im unklaren zu lassen, welche die grundlegende Disziplin ist.

Gleich zu Beginn erfahren wir, die gesamte Physik wurzelt in der Vorstellung einer Gesetzmäßigkeit – in der Existenz eines geordneten Universums, das sich rationalem Denken erschließt. Durch eine unmittelbare Beobachtung der Natur lassen die physikalischen Gesetze sich allerdings nicht enträtseln. Sie sind auf vertrackte Weise in den Phänomen, die wir untersuchen, verschlüsselt. Um der zugrundeliegenden gesetzmäßigen Wirklichkeit auf die Schliche zu kommen, bedarf es der undurchschaubaren Verfahren der Physiker – einer Mischung aus sorgfältig geplanten Experimenten und mathematischem Theoretisieren.

Das bekannteste physikalische Gesetz ist wohl Newtons quadratisches Abstandsgesetz der Gravitation, das in Kapitel fünf behandelt wird. Aufgegriffen wird dieses Thema im Zusammenhang mit dem Sonnensystem und den Keplerschen Gesetzen der Planetenbewegung. Gravitation ist jedoch universal, gilt für den gesamten Kosmos. Und so kann Feynman seine Darlegung mit Beispielen aus der Astronomie und Kosmologie würzen. Beim Kommentieren der Abbildung eines Kugelsternhaufens, der irgendwie von unsichtbaren Kräften zusammengehalten wird, gerät er regelrecht ins Schwärmen: »Wer nicht erkennt, daß hier die Gravitation am Werk ist, der hat keine Seele.«

Man kennt andere Gesetze, die sich auf die verschiedenen Naturkräfte beziehen und die nichts mit Gravitation zu tun haben; sie beschreiben, wie Materieteilchen miteinander in Wechselwirkung treten. Es handelt sich dabei nur um eine geringe Anzahl von Kräften, und Feynman kann das beträchtliche Verdienst für sich beanspruchen, einer der wenigen Wissenschaftler in der Geschichte zu sein, der ein neues Gesetz der Physik entdeckte, nämlich wie eine schwache Kernkraft das Verhalten bestimmter subatomarer Teilchen beeinflußt.

Elementarteilchen- (oder Hochenergieteilchen-)physik war der kostbarste Edelstein in der Krone der Nachkriegsphysik, ehrfurchtgebietend und glanzvoll zugleich mit ihren riesigen Beschleunigern und der schier endlosen Liste neu entdeckter subatomarer Teilchen. Feynmans Forschungen zielten vorrangig darauf ab, die Ergebnisse dieses Unternehmens sinnvoll zu deuten. Ein großes, für alle Teilchenphysiker gleichermaßen interessantes Problem war, welche Rolle die Symmetrie und die Erhaltungsgesetze spielen, um so etwas wie Ordnung in diesen subatomaren Zoo zu bringen.

Zufällig waren viele der Symmetrien, wie die Elementarteilchenphysiker sie kennen, schon der klassischen Physik vertraut. An ersten Stelle sind hier jene Symmetrien zu nennen, die sich aus der Homogenität von Raum und Zeit ergeben. Nehmen Sie nur die Zeit: Abgesehen von der Kosmologie, in der der Big Bang den Beginn der Zeit bezeichnet, hat man in der Physik keinerlei Möglichkeit, einen Augenblick vom anderen zu unterscheiden. Physiker drücken dies so aus: »Im Hinblick auf Zeittranslationen ist die Welt invariant«; das bedeutet: ob Sie bei Ihren Messungen nun Mittag oder Mitternacht als zeitlichen Nullpunkt annehmen, macht für die Beschreibung physikalischer Phänomene keinerlei Unterschied. Wie sich herausstellt, liegt diese Symmetrie unter Zeitverschiebungen unmittelbar einem der grundlegendsten und zudem ungemein nützlichen physikalischen Gesetz zugrunde: dem Gesetz von der Erhaltung der Energie. Es besagt, daß man Energie verschieben und ihre Form verändern, sie jedoch weder schaffen noch zerstören kann. Feynman läßt einem dieses Gesetz anhand seiner amüsanten Geschichte von Dennis, dem Lausbuben, der, boshaft wie er ist, vor seiner Mutter immer seine Bauklötze versteckt, völlig einleuchtend erscheinen (Kapitel vier).

Die anspruchsvollste Vorlesung in diesem Band ist die letzte, ein Kommentar zur Quantenphysik. Die Aussage, die Quantenmechanik habe die Physik des 20. Jahrhunderts beherrscht und sei die bei weitem erfolgreichste wissenschaftliche Theorie, die es gibt, ist keine Übertreibung. Für das Verständnis von subatomaren Teilchen, Atomen, Molekülen sowie der chemischen Bindung, der Struktur von Festkörpern, Supraleitern und Supraflüssigkeiten, der elektrischen und thermischen Leitfähigkeit von Metallen und Halbleitern, der Sternenstruktur und vieler anderer Dinge ist sie unerläßlich. Ihre praktischen Anwendungen reichen vom Laserstrahl bis hin zum Mikrochip. Und all dies beruht auf einer Theorie, die einem auf den ersten – und den zweiten – Blick völlig verrückt vorkommt! Niels Bohr, einer der Begründer der Quantenmechanik, bemerkte einmal, jeder, der von dieser Theorie nicht völlig schockiert sei, habe sie nicht begriffen.

Das Problem ist, Quantenmechanik erschüttert das, was wir die Wirklichkeit, so wie der gesunde Menschenverstand sie versteht, nennen könnten, im innersten Kern. Insbesondere die Vorstellung, daß physikalische Objekte wie Elektronen oder Atome unabhängig von einem Beobachter existieren und jederzeit über einen vollständigen Satz physikalischer Eigenschaften verfügen, wird in Frage gestellt. Beispielsweise kann ein Elektron nicht eine bestimmte Position im Raum und gleichzeitig eine genau definierte Geschwindigkeit haben. Will man die Position eines Elektrons bestimmen, findet man es an einer Stelle; mißt man seine Geschwindigkeit, erhält man ebenfalls eine eindeutige Antwort, doch es ist nicht möglich, beide Beobachtungen gleichzeitig anzustellen. Und es hat auch keinen Sinn, einem Elektron eindeutige, jedoch unbekannte Werte für seine Position und seine Geschwindigkeit zuzuschreiben, wenn man nicht über einen kompletten Satz an Beobachtungen verfügen kann.

Heisenberg formulierte diese Unbestimmtheit der eigentlichen Natur atomarer Teilchen in seiner berühmten Unschärferelation. Sie setzt der Genauigkeit, mit der man Eigenschaften wie Ort und Geschwindigkeit gleichzeitig bestimmen kann, enge Grenzen. Ein eindeutiger Wert für den Ort verwischt die Variationsbreite möglicher Werte für die Geschwindigkeit und umgekehrt. Diese Ungenauigkeit zeigt sich an der Art und Weise, wie Elektronen, Photonen und andere Teilchen sich bewegen. Gewisse Experimente zeigen, daß sie einen bestimmten Weg durch den Raum nehmen, etwa so, wie Kugeln sich auf einer festgelegten Flugbahn auf ein Ziel zubewegen. Andere experimentelle Anordnungen lassen jedoch erkennen, daß diese eigenständigen Gebilde sich auch wie Wellen verhalten und charakteristische Muster der Beugung und Überlagerung aufweisen können.

Feynmans meisterhafte Analyse des berühmten »Doppelspalt«Experiments, das den »schockierenden« Dualismus Welle–Teilchen in seiner krassesten Form herausdestilliert, wurde zu einem klassischen Beispiel in der Geschichte wissenschaftlicher Darlegungen. Es gelingt ihm, anhand einiger sehr einfacher Vorstellungen dem Leser das eigentliche Geheimnis der Quanten zu enthüllen, das uns angesichts des paradoxen Wesens der Wirklichkeit, die auf diese Weise sichtbar wird, regelrecht verzaubert.

Wiewohl die Quantenmechanik im Mittelpunkt aller Lehrbücher der frühen dreißiger Jahre stand, zog Feynman es als junger Mann bezeichnenderweise vor, diese Theorie für sich selber in völlig anderer Form neu zu formulieren. Die Feynman-Methode hat den Vorteil, uns ein anschauliches Bild zu vermitteln, wie trickreich Quantenmechanik funktioniert. Laut der zugrundeliegenden Idee ist in der Quantenmechanik der Weg eines Teilchens durch den Raum im allgemeinen nicht genau definiert. Wir können uns ein Elektron vorstellen, das sich frei bewegt und beispielsweise nicht einfach geradewegs von A nach B fliegt, wie der gesunde Menschenverstand dies nahelegt, sondern vielfältige sich dahinschlängelnde Wege einschlägt. Feynman fordert uns auf, uns vorzustellen, irgendwie erkunde das Elektron alle denkbaren Pfade, und da man nicht beobachten kann, welchen Weg genau es nimmt, müssen wir davon ausgehen, daß diese alternativen Pfade irgendwie in ihrer Gesamtheit die Wirklichkeit darstellen. Trifft also ein Elektron an einem Punkt im Raum ein – beispielsweise auf einem Zielschirm –, müssen viele verschiedene Abläufe zusammenwirken, damit es zu diesem einen Ereignis kommt.

Feynmans Zugang zur Quantenmechanik mittels seines sogenannten Pfadintegrals, auch als »Summe über (mögliche) Historien« bezeichnet, verwandelte dieses bemerkenswerte Konzept in ein mathematisches Verfahren. Viele Jahre hindurch wurde es mehr oder weniger als Kuriosität betrachtet, doch als die Physiker die Quantenmechanik bis an ihre Grenzen vorantrieben – sie auf Gravitation und sogar Kosmologie anwandten –, stellte der Feynmansche Ansatz sich als das beste Berechnungsverfahren zur Beschreibung eines Quantenuniversums heraus. Die Geschichte könnte durchaus erweisen, daß die Formulierung des Pfadintegrals für die Quantenmechanik den bedeutendsten seiner vielen herausragenden Beiträge zur Physik darstellt.

Viele der in diesem Band dargelegten Vorstellungen sind zutiefst philosophisch. Dennoch war Feynman Philosophen gegenüber ungemein skeptisch. Ich hatte einmal Gelegenheit, ihn auf das Wesen der Mathematik und physikalischer Gesetze sowie auf die Frage anzusprechen, ob man von einer unabhängigen platonischen Existenz abstrakter mathematischer Gesetze ausgehen könne. Er antwortete mit einer geistvoll-gewandten Darlegung, warum dies in der Tat so zu sein scheine, wich jedoch sofort aus, als ich ihn drängte, eine eindeutige philosophische Position zu beziehen. Ähnlich argwöhnisch reagierte er, als ich versuchte, ihn bei dem Thema Reduktionismus aus der Reserve zu locken. Im nachhinein glaube ich, Feynman betrachtete philosophische Probleme keineswegs mit Geringschätzung. Doch auf ähnliche Weise, wie er meisterlich mathematische Physik betrieb, ohne sich systematischer Mathematik zu bedienen, formulierte er ohne Rückgriff auf eine systematische Philosophie etliche ungemein ansprechende philosophische Einsichten. Gegen Formalisierungen hatte er eine Abneigung, nicht jedoch gegen Inhalte.

Einen zweiten Feynman wird die Welt wahrscheinlich nie erblicken. Er war in hohem Maße ein Mensch seiner Zeit. Der Feynman-Stil eignete sich hervorragend für ein Gebiet, das gerade eine Revolution festschrieb und die weitreichende Erforschung der Schlußfolgerungen, die sich daraus ergaben, in Angriff nahm. Die Nachkriegsphysik ruhte auf einer sicheren Grundlage; ihr theoretischer Rahmen war ausgereift, doch weit offen für detektivische Durchforstung. Feynman betrat ein Wunderland abstrakter Vorstellungen und prägte vielen von ihnen seinen ganz persönlichen Stil auf. Vorliegendes Buch vermittelt einen Einblick in das Denken eines wahrhaft bemerkenswerten Menschen.

September 1994

Paul Davies

Vorwort zur Neuausgabe der »Feynman Lectures on Physics«

Gegen Ende seines Lebens genoß Richard Feynman weit über die Grenzen der wissenschaftlichen Gemeinschaft hinaus großes Ansehen. Seine erfolgreiche Tätigkeit als Mitglied der mit der Untersuchung der Challenger-Katastrophe beauftragten Kommission machte ihn einer breiten Öffentlichkeit bekannt; zudem wurde er durch einen Bestseller, in dem er von seinen Schelmenabenteuern berichtete, zu einer Art Volksheld, beinahe so bekannt wie der schrullige Einstein. Doch schon 1961, noch ehe er den Nobelpreis erhielt, der ihn auch in der breiten Öffentlichkeit bekannt machte, war Feynman in der wissenschaftlichen Gemeinschaft mehr als nur berühmt – er war eine Legende. Zweifellos trug seine außergewöhnliche Begabung als Lehrer dazu bei, die Legende von Richard Feynman zu verbreiten und zunehmend auszuschmücken.

Er war ein wahrhaft großer Lehrer, vielleicht der größte seiner und unserer Zeit. Für Feynman war der Hörsaal eine Bühne, der Vortragende ein Schauspieler, der seinem Publikum einen geistsprühenden Auftritt darbot, aber auch Fakten und Zahlen lieferte. Mit weit ausholenden Gesten marschierte er vor seinen Zuhörern hin und her, »eine unmögliche Kreuzung aus theoretischem Physiker und Marktschreier, nichts als Körpersprache und Toneffekte«, wie The New York Times schrieb. Ob er sich nun an die Studenten, an Kollegen oder an irgendein ganz beliebiges Publikum wandte, für alle, die das Glück hatten, bei einer von Feynmans Vorlesungen dabeizusein, war es, wie der Mensch selbst, ein aus dem Rahmen des Üblichen fallendes, unvergeßliches Erlebnis.

Er war ein Meister der Dramatik und beherrschte die Kunst, sein Publikum zu fesseln. Vor vielen Jahren hielt er vor einer ziemlich großen Zuhörerschaft – ein paar eingeschriebenen Doktoranden und den meisten Mitgliedern des physikalischen Fachbereichs am Caltech – einen Kurs in Quantenmechanik für Fortgeschrittene ab. Im Verlauf einer der Vorlesungen erklärte Feynman, wie man bestimmte komplizierte Integrale in Form eines Diagramms darstellen kann: Zeit auf dieser Achse, Raum auf jener, eine Wellenlinie für diese Gerade und so weiter. Nachdem er an die Tafel geschrieben hatte, was man in der Welt der Physik mittlerweile als Feynman-Diagramm bezeichnet, drehte er sich um und grinste die Zuhörer verschmitzt an: »Und das ist DAS DIAGRAMM!« Dies war die Pointe des Ganzen, und das begeisterte Publikum brach spontan in Beifall aus.

Noch viele Jahre nach den Vorlesungen, die in vorliegendem Buch zusammengestellt sind, hielt Feynman Gastvorlesungen für Erstsemester im Fach Physik am Caltech. Fast versteht es sich von selbst, daß man seine Auftritte geheimhalten mußte, damit auch Studenten Platz im Hörsaal fanden. Bei einer dieser Vorlesungen war das Thema die Raumzeitkrümmung, und wie immer war Feynman brillant. Doch das wirklich Unvergeßliche war, wie er die Vorlesung begann. Eben erst war die Supernova des Jahres 1987 entdeckt worden; Feynman war ganz aufgeregt wegen dieses Ereignisses. Er erklärte: »Tycho Brahe hatte seine Supernova und Kepler die seine. Dann kam vierhundert Jahre lang keine mehr. Und jetzt habe ich meine.« Die Zuhörer verstummten, und Feynman fuhr fort: »Die Milchstraße besteht aus 1011 Sternen, eine ungeheure Zahl, haben wir immer geglaubt. Aber das sind nur hundert Milliarden – weniger als das Haushaltsdefizit unseres Landes! Wir haben das immer als astronomische Zahl bezeichnet – in Zukunft sollten wir sie besser eine wirtschaftswissenschaftliche Zahl nennen.« Schallendes Gelächter – Feynman hatte sein Publikum erobert und machte mit seiner Vorlesung weiter.

Ganz abgesehen von seiner Art, eine Vorlesung wie ein Theaterstück zu inszenieren, war Feynmans pädagogische Methode im Grunde recht einfach. Bei seinen Unterlagen im Caltech-Archiv fand man eine Notiz, in der er sie während eines Aufenthalts in Brasilien 1952 skizziert hatte – eine Zusammenfassung seiner Philosophie des Lehrens:

»Überleg dir als erstes, warum du möchtest, daß die Studenten etwas über dieses Thema erfahren und was sie deiner Meinung nach darüber wissen sollten – dann ergibt die Methode sich mehr oder weniger von selber aus dem gesunden Menschenverstand.«

Was der »gesunde Menschenverstand« Feynman eingab, waren oft ungemein geistvolle Wendungen, die das Wesentliche seiner Darlegungen genau trafen. Als er einmal während einer öffentlichen Vorlesung erklären wollte, weshalb man eine bestimmte Vorstellung nicht anhand der Daten verifizieren sollte, die einen überhaupt erst auf die Idee gebracht hatten, redete er plötzlich von Nummernschildern und schien so vom Thema abzuschweifen: »Sehen Sie, heute abend ist mir etwas wirklich Erstaunliches passiert. Auf dem Weg zu dieser Vorlesung bin ich über den Parkplatz spaziert, und – Sie werden es nicht glauben: ich entdeckte ein Auto mit dem Kennzeichen ARW 357. Stellen Sie sich das einmal vor! Wie groß war die Wahrscheinlichkeit, von den Millionen Nummernschildern in diesem Staat ausgerechnet dieses zu sehen? Wirklich, höchst erstaunlich!« Feynman hatte etwas, das selbst manche Wissenschaftler nicht ganz verstehen, mittels seines bemerkenswerten »gesunden Menschenverstandes« erklärt.

In den fünfunddreißig Jahren (1952 bis 1987), in denen er am Caltech arbeitete, hielt Feynman offiziell vierunddreißig Vorlesungsreihen und Kurse ab. Bei fünfundzwanzig handelte es sich um ausschließlich für Doktoranden bestimmte Fortgeschrittenenkurse; Studenten, die daran teilnehmen wollten, aber noch keinen akademischen Abschluß hatten, brauchten dafür eine Genehmigung (die sie oft beantragten und die fast immer bewilligt wurde). Die restlichen Veranstaltungen waren großteils Einführungskurse für höhere Semester. Ein einziges Mal hielt Feynman eine ausdrücklich auf Anfangssemester zugeschnittene Lehrveranstaltung ab: jene berühmten Vorlesungen in den Semestern 1961 bis 1963 – einschließlich einer kurzen Wiederholung 1964 –, die zu den Feynman Lectures on Physics werden sollten.

Am Caltech war man sich damals darüber einig, daß die zwei Jahre Pflichtstudium in Physik Erst- und Zweitsemester eher abschreckten als anspornten. Dagegen wollte man etwas unternehmen, folglich bat man Feynman, eine Vorlesungsreihe für diesen zweijährigen Kurs auszuarbeiten, und zwar für ein und dieselbe Gruppe Studenten auch im zweiten Studienjahr. Er erklärte sich dazu bereit, und sofort beschloß man, die Vorlesungen für eine spätere Veröffentlichung mitschreiben zu lassen. Allerdings erwies sich dies als weit schwieriger, als man es sich vorgestellt hatte. Aus den Vorlesungen für eine Publikation geeignete Bücher zu machen bedeutete ungeheuer viel Arbeit sowohl für Feynmans Kollegen wie auch für ihn selber; er redigierte die endgültige Fassung jedes einzelnen Kapitels.

Außerdem mußte man sich um die praktische Durchführung kümmern. Einfach war das nicht, da Feynman lediglich einen ziemlich allgemein gehaltenen Entwurf dessen, was er alles abhandeln wollte, skizziert hatte. Das bedeutete, niemand wußte wirklich, was Feynman erzählen würde, solange er nicht vor den Studenten stand und es tatsächlich darlegte. Die Dozenten am Caltech, die ihm assistierten, mußten sich also, so gut sie konnten, bemühen, die eher profanen Dinge zu erledigen, zum Beispiel Fragen für die Hausaufgaben auszuarbeiten.

Warum verwandte Feynman mehr als zwei Jahre darauf, die Vorgehensweise, Anfängern Physik nahezubringen, radikal zu ändern? Darüber kann man nur Mutmaßungen anstellen; vermutlich bewog ihn dreierlei dazu. Zum einen machte es ihm Spaß, zu einem Publikum zu sprechen, und hier bot sich ihm eine größere Bühne als normalerweise bei Doktorandenkursen. Zweitens lagen ihm die Studenten wirklich am Herzen, und er hielt es einfach für wichtig, Erstsemester zu unterrichten. Der dritte und vielleicht ausschlaggebende Grund war die schiere Herausforderung, Physik, wie er sie verstand, so umzuformulieren, daß er sie auch Studienanfängern zumuten konnte. Das war seine Spezialität und sein Maßstab dafür, ob man etwas wirklich begriffen hatte. Einmal wurde Feynman von einem anderen Fakultätsmitglied gefragt, warum Teilchen mit dem Spin 1/2 der Fermi-Dirac-Statistik genügen. Er schätzte sein Gegenüber völlig richtig ein und erklärte: »Ich werde darüber eine Vorlesung für Studienanfänger ausarbeiten.« Ein paar Tage später kam er jedoch noch einmal darauf zurück und gestand: »Na ja, ich habe es nicht geschafft. So einfach, daß auch ein Erstsemester es kapiert, konnte ich es nicht darstellen. Das heißt, wir verstehen es nicht wirklich.«

Diese besondere Begabung, tiefschürfende Gedanken auf einfache, verständliche Aussagen zu reduzieren, zeichnet sämtliche Feynman Lectures on Physics aus, doch nirgends wird sie deutlicher erkennbar als in der Art, wie er die Quantenmechanik darstellte. Physikern aus Leidenschaft ist klar, welches Bravourstück ihm damit gelang: Er erklärte Erstsemestern die Pfadintegral-Methode, jenes von ihm entwickelte Verfahren, mit dessen Hilfe er einige der grundlegenden Probleme der Physik lösen konnte. Es war unter anderem seine Arbeit mit Pfadintegralen, die ihm 1965 den Nobelpreis einbrachte, den er sich mit Julian Schwinger und Sin-Itero Tomonaga teilte.

Obwohl sich bereits der Schleier der Erinnerung darüber gebreitet hat, erklärten viele Studenten und Fakultätsangehörige, die die Vorlesungen gehört hatten, zwei Jahre Unterricht bei Feynman seien eine Erfahrung fürs Leben gewesen. Damals sah dies allerdings nicht ganz so aus. Viele Studenten hatten regelrecht Angst vor den einzelnen Vorträgen, und mit der Zeit sprangen erschreckend viele ab. Gleichzeitig kamen jedoch immer mehr Fakultätsmitglieder und Doktoranden zu den Vorlesungen. Der Saal war immer voll, und möglicherweise erfuhr Feynman selber nie, daß ihm ein Teil seines Publikums abhanden gekommen war, und zwar ausgerechnet der, den er eigentlich vor Augen gehabt hatte. Aber selbst Feynman war der Ansicht, er habe mit seinen pädagogischen Bemühungen keinen Erfolg gehabt. 1963 schrieb er in seinem Vorwort zu den Lectures: »Ich glaube nicht, daß ich es aus der Sicht der Studenten besonders gut gemacht habe.« Bei erneuter Lektüre der Bücher hat man indes den Eindruck, Feynman gelegentlich dabei zu ertappen, wie er über die Schulter hinweg nicht zu seinen jungen Zuhörern, sondern unmittelbar an seine Kollegen gewandt sagt: »Schaut mal! Seht her, hab ich diesen Punkt nicht prima herausgearbeitet! Ziemlich raffiniert, was?« Doch selbst wenn er überzeugt war, den Erst- und Zweitsemestern etwas wirklich anschaulich zu erläutern, profitierten in Wirklichkeit nicht sie am meisten davon. Seine Kollegen – Naturwissenschaftler, Physiker, Professoren – zogen den größten Nutzen aus seiner überragenden Leistung, sie die Physik in der unverbrauchten, dynamischen Sichtweise Richard Feynmans erleben zu lassen.

Feynman war mehr als ein großartiger Lehrer. Seine eigentliche Begabung war es, ein außergewöhnlicher Lehrer für andere Lehrer zu sein. Falls es Sinn und Zweck der Lectures war, einen Hörsaal voller Studenten darauf vorzubereiten, Prüfungsaufgaben im Fach Physik zu lösen, kann man nicht behaupten, daß er besonders erfolgreich war. Und falls sie als Lehrbuch zur Einführung für Collegestudenten gedacht waren, kann man ebensowenig sagen, er habe sein Ziel erreicht. Dennoch wurden sie in zehn Sprachen übersetzt und liegen zudem in vier zweisprachigen Ausgaben vor. Feynman selbst war der Ansicht, weder die QED noch die Theorie supraflüssigen Heliums, noch die der Polaronen und Partonen seien sein wichtigster Beitrag zur Physik gewesen. Sein herausragendster Beitrag sollten diese drei roten Bücher werden: The Feynman Lectures on Physics. Und diese Überzeugung rechtfertigt die vorliegende Gedenkausgabe jenes berühmten Werks.

April 1989

David L. GoodsteinGerry Neugebauer

California Institute of Technology

Zu Richard Feynman

Richard P. Feynman wurde 1918 in Brooklyn geboren; seinen Ph. D. erhielt er 1942 an der Universität Princeton. Trotz seines jugendlichen Alters spielte er während des Zweiten Weltkriegs eine maßgebliche Rolle beim Manhattan-Projekt in Los Alamos. In der Folgezeit lehrte er in Cornell und am California Institute of Technology. 1965 erhielt er für seine Arbeiten zur Quantenelektrodynamik zusammen mit Sin-Itero Tomonaga und Julian Schwinger den Nobelpreis für Physik.

Diese Auszeichnung wurde ihm für seine Beiträge zur Lösung von Problemen der Theorie der Quantenelektrodynamik verliehen. Darüber hinaus entwickelte er eine mathematische Theorie zur Erklärung des Phänomens der Suprafluidität in flüssigem Helium. Anschließend leistete er zusammen mit Murray Gell-Mann grundlegende Arbeit auf dem Gebiet der schwachen Wechselwirkungen, etwa dem Betazerfall. Später spielte Feynman eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung der Theorie der Quarks, als er sein Partonenmodell hochenergetischer Kollisionsprozesse bei Protonen vorlegte.

Überdies führte Feynman grundlegende neue Rechenverfahren und -schreibweisen in die Physik ein – insbesondere die allgegenwärtigen Feynman-Diagramme, die in vielleicht höherem Maße als alle anderen Formalisierungen in der jüngeren Geschichte der Naturwissenschaft die Art und Weise veränderten, wie man grundlegende physikalische Prozesse in Begriffe faßt und berechnet.

Feynman war ein erstaunlich erfolgreicher Pädagoge. Besonders stolz war er persönlich auf die Oersted Medal for Teaching, die ihm 1972 zusätzlich zu seinen zahlreichen anderen Auszeichnungen verliehen wurde. Im Scientific American beschrieb ein Kritiker The Feynman Lectures on Physics (California Institute of Technology, 1963 ff.; dt.: Richard P. Feynman, Vorlesungen über Physik. München: Oldenbourg, 1991 ff.) als »schwere, aber nahrhafte und äußerst wohlschmeckende Kost. Nach 25 Jahren sind sie das Handbuch für Dozenten und die Elite der Studienanfänger.« Um das Verständnis für Physik in der Öffentlichkeit zu fördern, veröffentlichte Feynman The Character of Physical Law (Cambridge, Mass.: M. I. T. Press, 1967; dt.: Vom Wesen physikalischer Gesetze. München: Piper, 1990) und Q. E. D.: – The Strange Theory of Light and Matter (Princeton: Princeton University Press, 1985; dt.: QED – Die seltsame Theorie des Lichts und der Materie. München: Piper, 1988). Darüber hinaus war er Mitverfasser zahlreicher anspruchsvoller Veröffentlichungen, die zu klassischen Nachschlagewerken und Lehrbüchern für Forscher und Studenten wurden.

Richard Feynman war zudem eine führende Persönlichkeit des öffentlichen Lebens. Seine Mitarbeit in der Challenger-Kommission ist allgemein bekannt, insbesondere sein berühmter Nachweis der Anfälligkeit von Dichtungsringen mit rundem Querschnitt für Kälte, ein elegantes Experiment, für das er nichts weiter als ein Glas eisgekühltes Wasser brauchte. Seine Tätigkeit im California State Curriculum Committee in den sechziger Jahren, in deren Verlauf er massive Einwände gegen die Mittelmäßigkeit von Lehrbüchern vorbrachte, ist nicht so bekannt.

Eine Aufzählung Richard Feynmans zahlloser wissenschaftlicher Leistungen und erzieherischer Erfolge kann jedoch das Wesen dieses Menschen nicht annähernd erfassen. Jeder Leser selbst seiner technischsten Veröffentlichungen weiß, wie sehr Feynmans lebhafte, vielseitige Persönlichkeit sein ganzes Wirken prägte. Er war nicht nur Physiker, sondern reparierte zeitweise Radios, knackte Schlösser, war Künstler, Tänzer, Bongospieler und entzifferte sogar Hieroglyphen der Mayas. Seine Neugierde auf die Welt, in der wir leben, in der er lebte, war unerschöpflich, und er war der Empiriker par excellence.

Richard Feynman starb am 15. Februar 1988 in Los Angeles.

Vorwort

Die hier vorliegenden Physikvorlesungen3 hielt ich im letzten und vorletzten Jahr für Erstsemester und Studenten im zweiten Studienjahr am Caltech. Natürlich entsprechen sie nicht wortgetreu dem damaligen mündlichen Vortrag – sie wurden, manchmal mehr, manchmal weniger gründlich, redaktionell überarbeitet. Zudem stellten die Vorlesungen nur einen Teil des gesamten Kurses dar. Zweimal pro Woche versammelten sich die hundertachtzig Studenten in einem großen Hörsaal, um sich die Vorlesungen selbst anzuhören. Anschließend teilten sie sich zur Nachbereitung in kleine Gruppen zu fünfzehn oder zwanzig auf, die jeweils von einem Assistenten betreut wurden. Außerdem stand einmal wöchentlich ein Laborpraktikum auf dem Plan.

Mit diesen Vorlesungen versuchten wir einem ganz besonderen Problem beizukommen: Wir wollten das Interesse der wirklich begeisterten, außerdem auch ziemlich schlauen Studenten wachhalten, die von den High-Schools ans Caltech gekommen waren. Sie hatten eine Menge darüber gehört, wie interessant und aufregend Physik sei – Relativitätstheorie, Quantenmechanik und andere ziemlich neue theoretische Konzepte. Der vorangegangene zweijährige Kurs hatte viele ziemlich entmutigt, denn in Wirklichkeit hatte man ihnen nur sehr wenige großartige, neue und wirklich moderne Ideen präsentiert. Statt dessen hatte man sie schiefe Ebenen, elektrostatische Phänomene und so weiter untersuchen lassen, und im Lauf von zwei Jahren war das ziemlich langweilig geworden. Das eigentliche Problem war also, ob es uns gelänge, einen Kurs abzuhalten, bei dem ein fortgeschrittener und nach wie vor begeisterter Student seinen Enthusiasmus nicht einbüßt.

Die Vorlesungen sind keineswegs als bloßer Überblick gedacht

– sie reichen viel tiefer. Mit ihnen wollte ich mich an die intelligentesten Kursteilnehmer wenden und die jeweiligen Themen möglichst auf eine Weise darstellen, daß selbst der begabteste Student nicht in der Lage wäre, alle Vorlesungen wirklich voll und ganz zu begreifen – aus dem Grund wartete ich meist mit Vorschlägen auf, wie man die jeweiligen Ideen und Konzepte abseits der gängigen Praxis umsetzen könnte. Allerdings gab ich mir auch wirklich Mühe, sämtliche Aussagen so exakt wie möglich zu formulieren und in jedem einzelnen Fall zu zeigen, wie die Gleichungen und die ihnen zugrundeliegenden Ideen sich in die Physik im ganzen einfügen und wie das alles sich – je mehr man dazulernt – ändern könnte. Außerdem hatte ich das Gefühl, solche Studenten müßte man darauf hinweisen, was sie – falls sie klug genug wären – mittels eigener Schlußfolgerungen aus dem Dargelegten von sich aus zu verstehen in der Lage sein sollten und was wirklich neu hinzukommt. Sobald es um neue Ideen ging, versuchte ich entweder, sie abzuleiten – soweit dies möglich war –, oder aber ich erklärte, daß es sich in der Tat um eine neue Vorstellung handelte, die in keiner Weise auf dem aufbaute, was sie bereits gelernt hatten, und die nicht beweisbar war, sondern einfach eingefügt wurde.

Anfangs ging ich davon aus, die Studenten verfügten bereits über ein bestimmtes Grundwissen, wenn sie von der High-School kamen – hinsichtlich Themen wie optischer Geometrie, Grundbegriffen der Chemie und so weiter. Außerdem sah ich keinerlei Anlaß, mich bei den Vorlesungen an eine bestimmte Reihenfolge zu halten, also nichts erwähnen zu dürfen, ehe ich es nicht in allen Einzelheiten darlegen konnte. Vieles, das erst später an die Reihe käme, wurde bereits vorher angesprochen, ohne es ausführlich zu behandeln. Die umfassenderen Erörterungen sparte ich für später auf, wenn die Studenten fortgeschrittener wären. Das galt beispielsweise für die Erläuterungen zur Induktion sowie der Energieniveaus, die ich zunächst nur auf sehr qualitative Weise vorstellte und erst an späterer Stelle umfassender ausführte.

Während ich mich einerseits an den wirklich Interessierten wandte, wollte ich andererseits auch denjenigen nicht verprellen, den zusätzliche Gedankenblitze und Abschweifungen bloß aus der Fassung bringen und der womöglich das, was in den Vorlesungen zur Sprache kommt, überhaupt nicht versteht. Diesen Studenten wollte ich zumindest einen Grundstock, eine Art Rückgrat des Stoffes bieten, das, was sie eben begreifen konnten. Selbst wenn sie in einer Vorlesung nicht alles verstanden, würde sie das, so hoffte ich, nicht verunsichern. Ich erwartete nicht, daß sie alles begriffen, nur die wirklich und unmittelbar wichtigen Aussagen sollten sie verstehen. Selbst das setzt natürlich eine gewisse Intelligenz voraus, um zu erkennen, welches die zentralen Theoreme und Vorstellungen sind und in welchen Fällen es sich um Nebenthemen und Anwendungen für weiter Fortgeschrittene handelt, die sie vielleicht erst in etlichen Jahren verstünden.

In einer Hinsicht hatte ich bei diesen Vorlesungen wirklich ein Problem: Bei dieser Art von Kurs bekommt der Vortragende keinerlei Rückmeldung, wie gut er den Inhalt der Vorlesungen vermitteln konnte. Ein in der Tat schwerwiegendes Problem, und ich habe keine Ahnung, wie gut die Vorlesungen wirklich sind. Im Grunde genommen war die ganze Veranstaltung ein Experiment. Und wenn ich nochmals eine solche Vorlesungsreihe halten müßte, würde ich es wahrscheinlich ganz anders angehen – ich hoffe nur, ich muß das nicht ein zweites Mal machen! Dennoch glaube ich, das Ganze ist – soweit es die Physik betrifft – im ersten Jahr recht zufriedenstellend gelaufen.

Mit dem zweiten Jahr war ich nicht so zufrieden. Im ersten Teil des Kurses, bei dem es um Elektrizität und Magnetismus ging, fiel mir um alles in der Welt nicht ein, wie ich das Thema spektakulärer und origineller abhandeln und anregender darstellen könnte. Vermutlich habe ich mich also bei den Vorlesungen über diese Themen nicht besonders gut gehalten. Ursprünglich hatte ich nach dem ersten Jahr, nach Elektrizität und Magnetismus weitere Vorlesungen über die Eigenschaften von Materie eingeplant; allerdings wollte ich hauptsächlich Themen wie Grundschwingungen, Lösungen der Diffusionsgleichung, Schwingungssysteme, Orthogonalfunktionen und so weiter ansprechen und allmählich die Grundzüge dessen darlegen, was man im allgemeinen als »die mathematischen Methoden in der Physik« bezeichnet. Rückblickend glaube ich, wenn ich derlei noch einmal machen müßte, würde ich diese ursprüngliche Idee wiederaufgreifen. Da jedoch eine Wiederholung der Vorlesungen nicht vorgesehen war, hielt man es für vertretbar, eine Einführung in die Quantenmechanik zu versuchen – die Sie in Band III finden.

Mir ist vollkommen klar, daß Studenten im Hauptfach Physik mit der Quantenmechanik bis zum dritten Studienjahr warten können. Hiergegen wandte man ein, viele Studenten besuchten unseren Kurs hauptsächlich, um sich eine Art physikalisches Hintergrundwissen für ihr eigentliches Interessengebiet anzueignen. Und die Art, wie man Quantenmechanik normalerweise abhandelt, hindert einen Großteil der Studenten geradezu daran, sich eingehend mit dem Thema zu befassen, da sie dafür ungeheuer viel Zeit aufwenden müßten. Und das, obwohl man für die Anwendungen – insbesondere die komplexen Anwendungen wie in der Elektrotechnik und der Chemie – das umfassende Instrumentarium der Differentialgleichungen eigentlich gar nicht braucht. Ich versuchte also, die Grundlagen der Quantenmechanik so darzustellen, daß man nicht erst die Mathematik partieller Differentialgleichungen beherrschen muß. Selbst für einen Physiker ist dies – die Quantenmechanik sozusagen von hinten aufzuzäumen – meiner Ansicht nach eine interessante Herausforderung, und zwar aus mehreren Gründen, die vermutlich aus den Vorlesungen selber ersichtlich werden. Allerdings scheint mir das Experiment mit der Quantenmechanik kein voller Erfolg gewesen zu sein – in erster Linie wohl, weil ich gegen Ende einfach nicht mehr genügend Zeit hatte (beispielsweise hätte ich noch drei, vier zusätzliche Vorlesungen gebraucht, um Themen wie Energiebänder oder die räumliche Abhängigkeit der Amplituden umfassender abzuhandeln). Außerdem hatte ich Quantenmechanik noch nie auf diese Weise dargelegt und vermißte daher eine entsprechende Rückmeldung besonders. Mittlerweile glaube ich, Quantenmechanik sollte man zu einem späteren Zeitpunkt erklären. Vielleicht bietet sich mir später einmal die Möglichkeit, es erneut zu probieren. Dann werde ich es richtig angehen.

Da es eine eigene Veranstaltung zur Aufarbeitung des Stoffes gab, wurden keine Vorlesungen zur Lösung bestimmter Aufgaben eingeplant. Zwar hielt ich im ersten Jahr drei zusätzliche Vorlesungen darüber, wie man Probleme löst, doch die wurden hier nicht mit aufgenommen. Außerdem fehlt eine Vorlesung zur Trägheitssteuerung, die eigentlich auf die über rotierende Systeme folgen sollte. Und die fünfte und sechste Vorlesung wurden von Matthew Sands gehalten, da ich in der Zeit verreist war.

Natürlich stellt sich die Frage, wie erfolgreich unser Experiment war. Ich persönlich bin da eher pessimistisch – auch wenn diese Ansicht von den meisten Leuten, die mit den Studenten gearbeitet haben, offenbar nicht geteilt wird. Ich glaube nicht, daß es mir aus der Sicht der Studenten besonders gut gelungen ist. Wenn ich mir überlege, wie die Mehrzahl der Studenten die Prüfungsaufgaben gelöst – oder zu lösen versucht – hat, komme ich zu dem Schluß, daß es so nicht funktioniert. Wohl wahr, meine Freunde weisen mich darauf hin, ein, zwei Dutzend Studenten haben – überraschenderweise – in allen Vorlesungen so gut wie alles verstanden und sind recht geschickt mit dem Stoff umgegangen, haben sich begeistert und ungemein interessiert mit den vielen verschiedenen Themen befaßt. Sie verfügen jetzt, so glaube ich, über ein hervorragendes physikalisches Grundwissen. Allerdings gilt auch: »Die Macht der Unterweisung kommt selten zur Wirkung, außer unter jenen glückhaften Voraussetzungen, wenn sie nahezu überflüssig ist.« (Gibbon)

Zudem wollte ich keinen der Studenten ganz »abhängen«, obwohl das möglicherweise trotzdem passiert ist. Eine Möglichkeit, den Studenten wirklich zu helfen, wäre es meiner Meinung nach, mehr Mühe auf die Zusammenstellung von Themen und Problemen zu verwenden, anhand der man die in den Vorlesungen dargelegten Vorstellungen erläutern könnte. Problem- und Aufgabenstellungen bieten die Möglichkeit, den Vorlesungsstoff zu vervollständigen, ihn realistischer, umfassender und damit eingängiger zu gestalten.

Dennoch glaube ich, dieses Problem der Ausbildung läßt sich nur lösen, wenn einem klar ist, daß ein wirklich guter Unterricht nur dann stattfinden kann, wenn der Student und ein guter Lehrer eine persönliche Beziehung zueinander entwickeln, wenn man mit dem Studenten die jeweiligen Ideen erörtert, der Student sich über die verschiedenen Themen seine eigenen Gedanken macht und über diese spricht. Es ist schlicht nicht möglich, viel zu lernen, wenn man lediglich in einem Vorlesungssaal sitzt oder auch nur irgendwelche Aufgaben löst, die einem vorgelegt werden. Doch heutzutage müssen wir derart viele Studenten unterrichten, daß wir uns etwas ausdenken müssen, das diese Idealvorstellung einigermaßen ersetzt. Vielleicht können meine Vorlesungen ein wenig dazu beitragen. Vielleicht gibt es irgendwo einen kleinen Ort, wo Lehrer und Studenten einander persönlich kennen – ihnen liefern meine Vorlesungen vielleicht einige Anregungen oder neue Gedanken. Vielleicht macht es ihnen sogar Spaß, über sie nachzudenken – oder weiterzumachen und einige von ihnen auszubauen.

Juni 1963

Richard P. Feynman

EINSATOME: UND SIE BEWEGEN SICH …

Einführung

Diesen Zweijahreskurs in Physik biete ich Ihnen in der Annahme an, daß Sie, der Leser, Physiker werden wollen. Durchaus möglich, daß dies nicht der Fall ist, doch genau das glaubt jeder Professor, wenn es um sein Fach geht! Wenn Sie also Physiker werden wollen, bekommen Sie es mit einer ungeheuren Menge Stoff zu tun, den es zu lernen gilt: zweihundert Jahre des am raschesten sich weiterentwickelnden Wissensgebiets. Soviel Wissen, ehrlich gesagt, daß Sie vielleicht glauben, das alles in vier Jahren nie und nimmer zu schaffen, und damit haben Sie völlig recht: anschließend geht das Studium weiter!

Da überrascht es schon, daß es trotz der Unmenge Arbeit, die in diesem Zeitraum auf dem Gebiet geleistet wurde, möglich ist, die Fülle von Ergebnissen weitgehend zu verdichten – das heißt, Gesetze zu entdecken, die unser gesamtes Wissen zusammenfassen. Allerdings ist es so schwierig, diese Gesetze zu begreifen, daß es unfair Ihnen gegenüber wäre, sich an die Erforschung dieses gewaltigen Wissensgebiet heranzuwagen, ohne Ihnen eine Art allgemeiner oder Umrißkarte für die Beziehung zwischen einem Teilgebiet der Wissenschaft und einem anderen an die Hand zu geben. Nach diesen einleitenden Bemerkungen werde ich daher in den ersten drei Kapiteln das Verhältnis der Physik zu den anderen Wissenschaften, das Verhältnis dieser Wissenschaften zueinander sowie die Bedeutung von Wissenschaft skizzieren; das wird uns helfen, ein »Gefühl« für das Thema zu entwickeln.

Vielleicht fragen Sie jetzt, warum man Physik nicht einfach auf die Weise lehrt, daß man auf der ersten Seite die grundlegenden Gesetze darlegt und dann zeigt, wie sie unter allen nur denkbaren Umständen zum Tragen kommen. Bei der euklidischen Geometrie gehen wir ja schließlich auch so vor: Wir stellen fest, welche Axiome es gibt, um daraus dann alle möglichen Schlußfolgerungen abzuleiten. (Sie geben sich also nicht zufrieden damit, Physik innerhalb von vier Jahren zu lernen – Sie wollen sie in vier Minuten begreifen?) Das geht aber nicht, und zwar aus zwei Gründen. Erstens kennen wir noch nicht alle Naturgesetze: die Grenze des Nichtwissens schiebt sich immer weiter nach vorne, entfernt sich immer weiter von uns. Zweitens muß man sich bei der korrekten Formulierung physikalischer Gesetze einiger uns äußerst ungewohnter Vorstellungen bedienen, für deren Erklärung man höhere Mathematik heranziehen muß. Daher braucht man eine umfassende vorbereitende Grundausbildung, um erst einmal zu lernen, was die einzelnen Worte bedeuten. Nein, so geht es nicht. Wir können das Ganze nur nach und nach, Schritt für Schritt angehen.

Jedes Stück, jeder Teilbereich der Natur als Ganzes stellt immer nur eine Annäherung an die vollständige Wahrheit dar, zumindest an die vollständige Wahrheit, soweit wir sie kennen. Genaugenommen ist all unser Wissen nur eine Art Annäherung, denn wir wissen, daß wir noch nicht alle Gesetze kennen. Deshalb muß man alles mögliche lernen, nur um es wieder zu vergessen oder, was wahrscheinlicher ist, zu korrigieren.

Das Grundprinzip von Wissenschaft, ja, geradezu ihre Definition lautet: Der Prüfstein jeglichen Wissens ist das Experiment. Experimentieren ist der alleinige Maßstab für wissenschaftliche »Wahrheit«. Was aber ist die Quelle des Wissens? Woher kommen die Gesetze, die dieser Überprüfung unterzogen werden sollen? Insofern sie uns Hinweise liefern, tragen die Experimente selber dazu bei, diese Gesetze zu formulieren. Doch es bedarf auch der Vorstellungskraft, um von diesen Hinweisen zu den großen Verallgemeinerungen zu kommen – um die wundervollen, einfachen, allerdings wahrhaft seltsamen Muster zu erraten, die ihnen allen zugrunde liegen; anschließend müssen wir weitere Experimente durchführen, um zu überprüfen, ob wir richtig geraten haben. Dieser Prozeß, bei dem Phantasie und Vorstellungskraft die Hauptrolle spielen, ist so kompliziert, daß wir in der Physik eine Arbeitsteilung eingeführt haben: da sind einerseits die theoretischen Physiker, die sich etwas vorstellen, deduzieren und neue Gesetze erraten, jedoch keine Experimente durchführen; und auf der anderen Seite haben wir die experimentellen Physiker – sie experimentieren, lassen ebenfalls ihre Vorstellungskraft spielen, ziehen Schlußfolgerungen und raten.

Wir haben gesagt, die Naturgesetze seien Näherungen: zuerst finden wir die »falschen«, dann die »richtigen«. Aber inwiefern kann ein Experiment »falsch« sein? Erstens aus ganz banalen Gründen: wenn irgend etwas mit der Apparatur nicht stimmt, etwas, das einem nicht aufgefallen ist. Doch derlei läßt sich ohne weiteres in Ordnung bringen und immer wieder überprüfen. Wieso können also, wenn wir derlei Kleinigkeiten beiseite lassen, die Ergebnisse eines Experiments falsch sein? Nur insofern, als sie ungenau sind. Beispielsweise ändert die Masse von Gegenständen sich anscheinend nie: ein rotierender Kreisel wiegt genauso viel wie einer, der sich nicht dreht. Man hat also ein »Gesetz« gefunden: Masse ist, unabhängig von der Geschwindigkeit, konstant. Nun stellt man jedoch auf einmal fest, das »Gesetz« stimmt nicht. Man findet heraus, daß die Masse mit der Geschwindigkeit zunimmt: doch eine wahrnehmbare Zunahme erfordert Geschwindigkeiten, die sich der des Lichts annähern. Ein wahres Gesetz lautet also: Wenn ein Gegenstand sich mit einer Geschwindigkeit von weniger als 160 Kilometern pro Sekunde bewegt, bleibt die Masse auf ein Millionstel genau konstant. In Form einer solchen Näherung ist das Gesetz also richtig. Man möchte also meinen, in der Praxis mache das neue Gesetz keinen wesentlichen Unterschied. Hm – ja und nein. Bei »normalen« Geschwindigkeiten können wir es schlicht vergessen, das stimmt, und das einfache Gesetz der konstanten Masse als gute Näherung anwenden. Sobald es aber um höhere Geschwindigkeiten geht, liegen wir falsch, und zwar um so falscher, je höher die Geschwindigkeit ist.

Und schließlich – und das ist nun wirklich interessant –: vom Philosophischen her liegen wir mit einem annähernden Gesetz völlig falsch. Wir müssen das Bild, das wir uns von der Welt machen, von Grund auf umkrempeln, obwohl die Masse sich nur ein ganz klein wenig ändert. Insofern hat die Philosophie, haben die Ideen, die hinter den Gesetzen stehen, etwas ganz Merkwürdiges an sich: Selbst eine winzige Veränderung macht gelegentlich einen grundlegenden Wandel unserer Vorstellungen erforderlich.

Also, was sollen wir als erstes lehren? Sollen wir mit den korrekten, dafür aber nicht vertrauten Gesetzen mitsamt den seltsamen, nur schwer zu begreifenden Ideen, die dahinterstehen, beginnen, beispielsweise mit der Relativitätstheorie, dem vierdimensionalen Raum-Zeit-Begriff und so weiter? Oder sollen wir Ihnen als erstes das einfache Gesetz der »konstanten Masse« beibringen, das zwar nur eine Näherung darstellt, bei dem aber keine derart komplizierten Vorstellungen ins Spiel kommen? Ersteres ist aufregender, es ist wunderschön und macht mehr Spaß, das andere ist anfangs leichter zu verstehen und bedeutet zumindest einen ersten Schritt zu einem wirklichen Verständnis dieser Ideen. Vor dieser Frage stehen wir im Physikunterricht immer wieder. Und wir werden sie zu unterschiedlichen Zeitpunkten unterschiedlich beantworten müssen. Doch in jeder Phase ist es der Mühe wert herauszubekommen, was man derzeit weiß, wie genau dieses Wissen ist, wie es zu allem anderen paßt und wie es sich möglicherweise verändert, sobald wir etwas dazulernen.

Machen wir jetzt mit unserer Übersichts- oder Generalkarte für unser Verständnis der heutigen Naturwissenschaft (insbesondere der Physik, aber auch anderer Wissenschaften, die am Rande damit zu tun haben) weiter. Nur so haben wir später, wenn wir einen speziellen Punkt herausgreifen, eine gewisse Vorstellung davon, warum genau dieser Punkt interessant ist und wie er sich in das Gesamtbild einfügt. Alsdann: Was für eine Vorstellung machen wir uns von dieser Welt?

Materie besteht aus Atomen

Wenn durch eine Katastrophe sämtliche wissenschaftlichen Erkenntnisse vernichtet würden und der nächsten Generation nur ein einziger Lehrsatz bliebe, welcher Satz könnte in wenigen Worten die meisten Informationen vermitteln? Ich glaube, das wäre die Atomhypothese (oder das Atomgesetz oder wie auch immer Sie es nennen wollen): Alles besteht aus Atomen – kleinen Teilchen, die sich fortwährend bewegen, einander anziehen, wenn sie nur ein wenig voneinander entfernt sind, sich jedoch abstoßen, wenn man sie zu dicht zusammendrängt. Dieser eine Satz enthält, wie Sie sehen werden, eine ungeheure Menge Aussagen über die Welt, sofern man nur ein bißchen Vorstellungskraft und Nachdenken darauf verwendet.

Ende der Leseprobe