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Im dritten Band dieser Seefahrtserinnerungen bleibt der Autor seinem Stil treu und scheut sich nicht, brisante Themen anzusprechen. Offen wird über Tricksereien bei der Verschmutzung der Meere, über riskantes Berechnen der Schiffsstabilität oder über nicht korrekte Besetzung der Schiffe geredet. Ebenso deutlich wird das Thema Sex behandelt, wird ohne falsche Scham über eine andere Perspektive beim Blick auf Konventionen und gutbürgerliche Moral diskutiert. Der Autor nimmt uns beispielsweise mit in das Viertel 'La Pilota' im kolumbianischen Hafen Buenaventura, welches, im nüchternen Zustand betrachtet, ein von Laster, Verbrechen, Elend und Seuchen aufgedunsenes Geschwür war und von den Seeleuten nicht ohne Grund den wenig schmeichelhaften Spitznamen 'Schanker-Hill' bekommen hatte. Wir werden Zeuge, wie redliche Prinzipien über Bord geworfen werden, weil man plötzlich in einer von leidenschaftlichen Gefühlen vernebelten anderen Welt zu leben glaubt. Die Arbeit für einen, von einer jungen Chinesin auf den Philippinen geführten Schmugglerring ist so ein Thema. Der Sturz des Diktators Marcos wird hautnah erlebt, ebenso eine Reise zur Insel des Tyrannen Macias Nguema in Westafrika. Safariabenteuer, der Reiz wunderschöner Küstenstriche, der nüchterne Alltag an Bord oder die zärtlichen Momente eines komplizierten Familienlebens kommen zur Sprache. "Der Autor", so die Meinung eines Lesers, "hat den Mut zu einer ehrlichen Darstellung der Seefahrt, besonders hinter den Kulissen, gefunden. Alle Härten auf See, aber auch die Schönheiten der Welt sind in ausgezeichneter Weise dargestellt…" In den letzten Jahren hat sich die Seefahrt rasant gewandelt, fast so dramatisch wie einst, als die Großsegler von den Dampfschiffen, die Stückgutfrachter von den Containerschiffen abgelöst wurden.
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Seitenzahl: 347
Veröffentlichungsjahr: 2014
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Mario Covi
Seefahrt - Abenteuer oder Beruf? - Teil 3
Von Traumtrips, Rattendampfern, wilder Lebenslust und schmerzvollem Abschiednehmen . . .
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Inhaltsverzeichnis
Titel
1. AUCH DAS MEER IST UMWELT
2. KRIEGSGELÜSTE UND FATALES KAFFEEKOCHEN
3. SCHWANZPARADE
4. EIN VERHÄNGNIS
5. MIESE AUSSICHTEN
6. MARK KNOPFLER UND DIE NAVIGATION
7. BOOTSMANÖVER
8. SIMPATICO
9. FLASCHENPOST
10. DOCH NOCH EIN TRAUMTRIP
11. WÜRGER DER ARAFURA-SEE
12. SPURENSUCHE
13. SEESONNTAG UND FAMILIENLEBEN
14. ES WAR WIEDER SOWEIT
15. MANILA
16. BOMBAY-BUSINESS
17. RISIKO UND REVOLUTION
18. EIN BITTERER NACHGESCHMACK
19. SOUVENIRS
20. FETISCHE UND SKLAVENGELD
21. KRIBI
22. NACHBEBEN
23. AFRIKANISCHE MOMENTE
24. KAKAO VON DER TYRANNENINSEL
25. SAFARI
26. DURSTSTRECKE
27. NEUE HEUER - NEUE CHANCE
28. KIELWASSER
29. ZUGABE
Impressum neobooks
Ein halbes Jahr war ich nun auf der "Marlene-S". Nächste Reise sollten wir in die Karibik. Eventuell...
Wir lagen in Ellesmere, bei Liverpool, und eine Horde von Hafenmädchen tummelte sich an Bord. Arbeitslose junge Dinger, zum Teil ganz niedlich, zum Teil armselige, schlampenhafte Kreaturen.
Drei Tage später, am 22. April 1982, erfuhren wir, dass es nichts würde mit der Karibikreise. Wir fuhren erst mal nach Antwerpen. Da im Augenblick keine Charter aufzutreiben war, sollten wir anschließend nach Bremerhaven in die Werft gehen. Das war die große Gelegenheit, Frau und Kind wiederzusehen!
Als wir Vlissingen passierten, rief Kapitän Edeling (alle Namen meiner Kollegen sind auch in diesem Band geändert) von der Brücke: „Funker, komm mal schnell hoch: Da! Ihre Kollegen!“ – Und er wies auf ein ankerndes Greenpeace-Schiff, das, wie ich erfuhr, einem Säureverklapper auflauerte. Ich fühlte mich geehrt, mit den weitaus konsequenteren Regenbogenkriegern auf eine Stufe gestellt zu werden. Ich spürte aber auch die hämische Provokation. Denn der Alte machte keinen Hehl daraus, diese Typen alle für Spinner, das Problem der Umweltverseuchung für übertriebenes Gerede, die Proteste gegen eine Vergewaltigung unseres Planeten für inkompetente Behinderung wichtiger Industriezweige durch wirklichkeitsfremde Traumtänzer zu halten. Es ärgerte mich, dass sich derlei Scheuklappenperspektive mit dem Attribut realistischen Denkens zierte. So fragte ich die feixende Brückengarde, ob es denn keine traumtänzerische Beschränktheit sei, vor Tatsachen wie Giftmüllskandalen oder Ölpest die Augen zuzukneifen. Den Alten fragte ich, ob es ihm entgangen sei, dass beispielsweise Elb-Aal wegen Schwermetallrückständen und Blumenkohlkrankheit nicht mehr genießbar sei. Seine Antwort war wie eine Formel, die kaum deutlicher artikulierte, wo der Hund begraben lag: „Wieso, ich esse keinen Aal!“
Das war einer der Augenblicke, in denen es einem die Sprache verschlägt. Der absolute Sieg trivialer Binsenweisheit...
Es war schon erstaunlich, wie man vor jährlich 50 Millionen Tonnen Umweltgiften, die behördlich abgesegnet in der Nordsee verklappt und verbrannt wurden, die klugen Blauäugelein schließen konnte. Da schütteten Passagierschiffe, auch deutsche, täglich Tonnen von Abfällen ins Meer. Dieselben zu TV-Kitsch vermarkteten Luxus-Liner, die ihren Fahrgästen die heile Welt zu zeigen vorgaben. Ein Offizier berichtete mir, man habe peinlich darauf geachtet, dass – etwa in den malerischen Fjorden Norwegens – der Müll keine imagezerstörenden Gegenstände, auf denen der Schiffsname stand, enthalten habe.
Da wurden Tanks gewaschen und ohne mit der Wimper zu zucken in verbotenen Zonen Öl und Bilgenschlamm ins Meer gepumpt. Ins gleiche Bild passten die kleinkarierten Behördenmaßnahmen, um Öltagebuchfälschern das Handwerk zu legen. Wenn da ein sowieso schon morscher Supertanker auch noch tüchtig überladen Wilhelmshaven anlief und dies ruchbar wurde, konnte die Wasserschutzpolizei nur die Höchststrafe von 10.000 Mark verhängen. Vorausgesetzt, die Gesellschaft, deren Flagge die potentielle Ölpestbombe zierte, war überhaupt über irgendein Fürstentumpostfach oder einen bananenrepublikanischen Briefkasten zu erreichen. Dabei waren zehn Mille nur ein Trinkgeld im Vergleich zum Reibach, der durch die Überladung gemacht worden war. Das Geld ließ sich lächelnd, mit einem weltmännischen „Sorry!“ über den Kapitänsschreibtisch schieben. Im Zweikampf gegen das internationale Profitpiratentum zogen die Behörden dauernd den Kürzeren. Das erbitterte auch viele ehrenwerte Kapitäne, Reeder und Seeleute, die derartiges Verhalten als unfairen Wettbewerb und alles andere als erstrebenswert fanden.
Ich blättere in meinen Tagebuchblättern zurück und finde unter dem 20. Juni 1981 folgenden Eintrag: „Erreichen die Straße von Gibraltar. Abends stellen sich der Chief und der Zweite Ingenieur zu einem Tonbandgespräch zur Verfügung, dessen einleitendes Thema mir in den Sinn kommt, als wir die südspanische Sonnenküste entlang pflügen: Das Wasser ist voller Unrat und Dreck. Hier hatte ich mich vor etwa sechs Jahren mit einem Australier im Faltboot hinausgewagt, und in einem langgezogenen Strömungsband voller Abfälle waren wir zweimal einem Hai begegnet, der sich in dieser witterungsgesättigten Jauche sichtlich wohl fühlte. Wir hatten ihm mit leisen Paddelschlägen weiten Raum gegeben, was der haierfahrene australische Kanu-Surfer bei den Ausmaßen der Rückenfinne als Gebot der Vernunft erachtet hatte...“
Damals, Mitte der siebziger Jahre, war mir die Verschmutzung dieser Gewässer hautnah vorgeführt worden. Inzwischen war mir beim Schippern durch das Mittelmeer immer deutlicher geworden, welche Sauerei da stattfand. Im Bereich großer Küstenstädte wurde die See zur keimstrotzenden Kloake. Streckenweise konnte man im Mittelmeer alle paar Meter ein Stück Plastik schwimmen sehen: leuchtende Einkaufstüten, bunte Kunststoffkanister, weiße Styroporfetzen, die Farbenpracht sämtlicher Polyäthylen-Gebrauchsartikel, denen eine gedankenlose Wegwerfgesellschaft Lebewohl gesagt hatte. Und diese farbenprächtige Schweinerei war nur die augenfällige Oberfläche eines weitaus tiefer gehenden Problems, vor dem auch wir Seeleute gerne die Augen verschlossen.
So fragte ich also den Chief, was mit dem alten Öl gemacht werde.
„Normalerweise kommt das in den Schlammtank, und dann – irgendwie geben wir das dann an Land. Wenn die Möglichkeit besteht. Oder man pumpt es ab, in Ölzonen, wo das erlaubt ist.“
„Nun sind Sie aber in einem Fahrtgebiet, wo das nicht möglich ist. Was machen Sie dann?“
„Tja, was mach ich dann... Wenn’s dunkel ist, dann raus den Mist. Und hoffen, dass es keiner sieht!“
„Es ist nicht erlaubt. Aber, aus welchen Gründen machen Sie es trotzdem?“
„Um Schwierigkeiten mit der Reederei aus dem Wege zu gehen. Und weil ich keine Gelegenheit habe, das Zeug abzugeben. Wo soll ich damit hin?“
„Haben Sie das schon so praktiziert?“, fragte ich noch einmal. Des Chiefs Antwort war ehrlich: „Natürlich!“
Wir kamen auf das Öltagebuch zu sprechen. Chief und Zweiter waren sich einig, dass man eventuelle Falscheintragungen mit größter Vorsicht vornehmen sollte. Der Chief gab zu: „Ja, man muss es schon frisieren, mit der Menge, muss eben sagen, dass alle vier Wochen oder so gepumpt wurde. Oder mal richtig was aufschreiben: fünf, sechs, sieben Tonnen. Und da muss man mit hinkommen. Man darf da nicht zu oft was reinschreiben!“
Der Zweite meinte zu diesem Problem: „Wurst ist mir das auf gar keinen Fall! Und wenn ich Öl über Bord pumpe, dann ist das für mich, dass ich unter einem Zwang stehe, das zu machen. Weigere ich mich, dann kann ich damit rechnen, dass ich die längste Zeit, wenn ich Chief wäre, als Chief gefahren bin. Also ist das eine reine Überlegungssache, dass einem das Hemd näher ist als die Hose, und man dann das Öl doch in verbotenen Gebieten über Bord pumpt. Es bleibt einem ja gar keine andere Möglichkeit, wenn man Familie hat, wenn man Verpflichtungen hat...“
Die beiden Schiffsingenieure konnten noch ein markantes Beispiel für die Aggressivität des Mittelmeerwassers beisteuern. Sie erzählten, dass sie die Seewasserrohre im Mittelmeergebiet alle sechs Monate austauschen müssten. „Dann sind sie durchgefressen“, sagte der Chief. „Wenn wir aber im Atlantik, oder sonst wo herum schippern, dann halten die Dinger gut und gerne zwei Jahre!“
Über die Manipulationen, mit denen Kapitän und Chief eines Säureverklappungsschiffes die Umwelt betrogen hatten, berichtete mir ein ehemaliges Besatzungsmitglied: „Die bekamen pro Abfahrt eine extra Prämie. Also ließen sie beim Laden über die geöffneten Ventile den Dreck gleich in den Fluss fließen. Und wenn dann das Schiff offiziell voll war, hatten sie bereits einen Teil der Ladung abgelassen und Zeit für eine schnelle Tour gewonnen. Den Rest pumpten sie während der Fahrt aus den Tanks, also schon lange, bevor das Schiff die genehmigte Verklappungszone in der Nordsee erreichte. Die fuhren nur rein und raus, und kassierten Prämien...“
Als vor einigen Jahren das Öldesaster auf einer Bohrinsel von einem Mitglied der Crew eines Versorgers fotografiert wurde, was von einem Hubschrauber aus beobachtet worden war, sollte der Mann den belichteten Film herausrücken. Als er sich weigerte und nicht unter Druck setzen ließ, kaufte man sich sein Schweigen für angeblich zweieinhalbtausend Dollar.
Auch das Meer, vor allem das Meer ist Umwelt! Aber es wird weiter gemauschelt, beschissen und betrogen. Über die Leihgabe Erde können wir kleinen, einzelnen Menschlein längst nicht mehr bestimmen. Wir dürfen zwar kräftig mithelfen, den ollen Globus mit Überfluss voll zu müllen. Doch besitzen wir den Planeten Erde? Nein, den Anspruch haben längst Institutionen erhoben: Der weltweite Filz der Konzerne und Trusts, die Multis, die ‚Global Player‘...
Für eine ganze Woche hatte ich mich während der Werftzeit in Bremerhaven nach Hause absetzen können. Sieben rundum schöne Tage, obwohl sich unser Mädchen mit einem bösen Keuchhusten quälen musste. Sie war aber sichtlich glücklich, wieder einen Papa zu haben und deutete jede sichtbare Dreierkonstellation ihrer kindlichen Umwelt – etwa drei zufällige Sonnenkringel – mit anrührendem Plapperstimmchen: „Mama, Papa, Miriam!“
Mitte Mai 1982 lagen wir am Scheldekai Antwerpens. Die Beladung der "Marlene-S" mit einer kompletten, für den Irak bestimmten Fabrikanlage in Kisten und Kästen, dauerte gleich mehrere Tage. Es war tatsächlich wieder so wie einst in der Stückgutfahrt, und wir nutzten die Liegezeit zu ausgiebigen Stadtbesuchen.
Seit Bremerhaven hatte sich die Mannschaftsliste wieder stark geändert. Unten wie oben gab es neue Gesichter. Wir hatten einen neuen Chief, und Kapitän Ruhnau wirkte weitaus gemütlicher und gelassener als sein Vorgänger. Schließlich befand sich noch ein Gast an Bord: die Verlobte des Zweiten Steuermanns.
Im östlichen Mittelmeer herrschte endlich prachtvolles Sommerwetter. Abends saß ich meistens beim Chief Thiele, dessen Kammer zur ‚blauen Grotte‘ erkoren worden war, um mit ihm und dem Ersten Schlüter einen gemütlichen Plausch zu halten. Gelegentlich gesellten sich der Zweite Ing, der Zweite Offizier und seine Verlobte dazu, oder der Alte warf einen kurzen Blick in unsere fidele Korona und bedauerte es sichtlich, von 20 bis 24 Uhr auf Wache gehen zu müssen. Ja, die Stimmung war wieder harmonisch. Ganz eindeutig!
Zwei Dutzend Schiffe aus aller Welt hatten vor Mersin, im Osten der Türkei, Anker geworfen. Am Haken schwojend genossen wir die Tage der Ruhe, räkelten uns während der Freizeit in der Sonne und hielten abends kurzweilige Klönschnacks. Der neue Alte, Kapitän Ruhnau, schien noch einer von diesen gemütlichen Seebären zu sein, die in der Seefahrt einen befriedigenden Lebensinhalt sahen und dies in einer von genießerischer Lebensart geprägten Ruhe auf ihre Umwelt übertrugen. Er liebte ein anregendes Beisammensein mit Storys und Geschichten über die Dinge, die hinter der Kimm auf Entdeckung warteten. Er liebte die dazugehörenden Drinks und seinen stets qualmenden Tabaksknösel.
Die Weltgeschichte hatte wieder ein Schlagzeilenthema: Der Falklandkonflikt lieferte auch unserer täglichen Funkpresse aufwühlende Textblöcke. Da schlugen abermals sich zivilisiert bezeichnende Völker aufeinander ein. Nationalistische Leidenschaften wurden strapaziert. Und junge Männer ließen sich für den eitlen Wahnwitz geschniegelter Operettengeneräle und für eine im Britannia-rules-the-waves-Denken steckengebliebene Eiserne Lady die Gliedmaßen zerfetzen und die Gedärme zerfleischen. Und die beschränkten Mariner-Bräute jubelten auch noch! Sie hatten scheinbar ihr letztes Krümelchen Verstand vervögelt, denn keine plärrte Rotz und Wasser bei der Vorstellung, dass Krieg barbarisch in die Weichteile fetzt, dass sie ihren pimmelstrammen Kriegshelden querschnittsgelähmt, ohne Gesicht, mit abgeschossenen Eiern, als einen in seiner eigenen Kacke dampfenden Torso zurückbekommen könnte! Falls überhaupt. Wie phantasielos Säbelgerassel macht, wurde uns von neuem vor Augen geführt. Und wir nahmen es zur Kenntnis, und keiner kotzte! Nein, keiner kotzte!
Als wir dann im Hafen die unzähligen Kolli löschten, erinnerten wir uns, dass auch hier ein Gebiet mit Nachschub versorgt wurde, wo Krieg die Herzen höher schlagen ließ. Wir ahnten nicht, dass sich der Name Saddam Husseins noch lange nach dem Iran-Irak-Krieg in die blutbesudelten Seiten der Geschichtsschreibung brennen würde. Und wir alle waren daran beteiligt, den Kriegstreibern die georderten Güter zu liefern. Fracht, die in jeder nur möglichen Form der Verschleierung und Täuschung garantiert nichts weiter als Kriegsmaterial war.
Wieder einmal saßen wir vergnügt beisammen und hatten uns bis nach Mitternacht mit den verrücktesten Storys vollgelabert. Nach Wachschluss gesellte sich Kapitän Ruhnau zu uns und wusste einige Döntjes beizusteuern:
Man ankerte vor Barranquilla. Wegen der berüchtigten kolumbianischen Piraten wurden vier Mann zur Nachtwache eingeteilt. Ein Matrose vorn, ein Matrose achtern, der Zweite Offizier auf der Brücke und ein Assi (Ingenieursassistent) im Maschinenraum. Gegen Mitternacht verschwand der Matrose, der das Achterschiff bewachte, zum Kaffeekochen in die Aufbauten und ging in die Pantry. Auf diesen Augenblick hatten in der Finsternis der Tropennacht die Banditen in ihren Kanus gewartet. Behände enterten sie den Pott und legten sich auf die Lauer.
Als der Matrose vom Kaffeekochen zu einem Rundgang aufs Achterdeck zurückkehrte, wurde er von den Flusspiraten wahrgenommen. Ein kurzes Handgemenge, dann war er seine Uhr los, war geknebelt und an die Verschanzung gefesselt. Die Banditen hatten Nummer eins ausgeschaltet, und es dauerte nicht lange, da erschien der Assi an Deck. Er hatte in der Messe seinen mitternächtlichen Kaffeepartner vermisst und wollte nach ihm schauen. Nun ereilte ihn das gleiche Schicksal: aus dem Schatten der hinteren Aufbauten stürzten sich die braunhäutigen Desperados auf den Ahnungslosen. Nummer zwei wurde fachmännisch an das Schanzkleid des Schiffes gebunden. Mittlerweile hatte der Matrose auf dem Vorschiff auf die Meldung seines Kameraden gewartet, dass der Kaffee fertig sei und er für ein Weilchen verschwinden könne. Als sich nun sein Macker immer weiter verspätete, wurde er unruhig und entschloss sich, mal achtern nachzusehen: Auch Nummer drei lief in die Falle. Der Seemann musste seine Uhr hergeben und das Schanzkleid des Schiffes zieren.
Auf der Brücke wunderte sich der Zweite Offizier nach geraumer Weile, warum unten an Deck keiner der Wachleute mehr auf einem Rundgang zu sehen war. Sollten die Jungs solch ein lasches Pflichtbewusstsein haben? Er rief die Messe an. Keine Antwort. Auch aus dem Maschinenraum war weder über die Wechselsprechanlage noch über das Bordtelefon eine Antwort zu bekommen. Komisch... Hocken vielleicht in der Kammer und saufen, dachte sich der Zweite als er letztendlich nach unten ging, um nach dem Rechten zu sehen. Doch weder in der Messe, noch in einer der Kajüten saßen die drei. Als der Steuermann schließlich an Deck ging, stand das gewalttätige Empfangskomitee längst grinsend bereit.
Nun hatten die Piraten freie Hand. Alle an Bord schliefen, glaubten sie doch, dass vier Mann den Dampfer vor bösen Seeräubern bewachten. Mit seemännischer Sachkenntnis fanden diese indessen den Zollstore, knackten das Zollsiegel, brachen die Tür auf und schleppten die teure Beute in ihre Kanus. Mit Zigarettenkartons, Kisten voller Whisky, Gin und Rum sowie allerlei anderen zollfreien Waren beladen, paddelten die Banditen in die schwarze Nacht davon. Den vier Gefesselten gelang es erst im Morgengrauen, sich zu befreien und Alarm zu schlagen.
Unsere Plauderrunde kam auf das Thema ‚Style‘ und ‚Style-Reedereien‘ zu sprechen. Ausgiebig wurde mit kleinen Anekdoten belegt, wie das da und dort so war, wie man als Dritter grundsätzlich fertig gemacht wurde von dünkelhaften Vorgesetzten, die ihrerseits von hochmütigen Kapitänen zur Schnecke gemacht worden waren, denen wiederum einst im Mai der Stolz auf Flagge und Uniform und das dazugehörende elitäre Gebaren eingebläut worden waren. Verbiesterter Kastengeist uferte da manchmal grotesk aus, wenn beispielsweise einem Ingenieursassistenten verboten wurde, mit einem Matrosen nach Feierabend einen Klönschnack zu halten. Dass die beiden nahe Verwandte waren, tat nichts zur Sache, es war einfach unter der Würde eines Offiziersanwärters, mit einem popligen Polleraffen kameradschaftliche Nähe zu praktizieren. Die Disziplin, die Hierarchie, Zucht, Ordnung, Etikette und andere heilige Kühe verknöcherter Marinetradition wären in Frage gestellt worden!
Ein Koch, der unzählige Jahre lang beim Norddeutschen Lloyd gefahren war, kündigte entsetzt, als die traditionsreiche Bremer Reederei mit der verhassten Hamburger Konkurrenz Hapag fusionierte. Es war für ihn unzumutbar, so seine felsenfeste Überzeugung – mit der er absolut nicht allein stand -, unter einer durch die Hapag verfärbten Lloydflagge zu fahren. Undenkbar! Glatter Verrat! Dass der Mann nun unter den schäbigsten Trampflaggen und viel mieseren Bedingungen sein Brot verdiente, schien bei ihm als Argument nicht zu verfangen. Über diese Variante kleinkarierter lokalpatriotischer Verbohrtheit war ich doch leicht erschüttert...
Aber, so war es eben. Selbstverständlich war der eiserne Stolz ab und an auch heftig erschüttert worden. Kapitän Ruhnau erinnerte sich, wie während eines Ankermanövers im strömenden Regen der Dritte Offizier, schmuck uniformiert, mit einem Regenschirm auf die Back geeilt war. Als der Kapitän den Dritten mit modischem Schirm auf dem Vorschiff stehen sah, brach für den Mann eine Welt zusammen. „So etwas“, soll er entsetzt aufgestöhnt haben, „ist mir während meiner ganzen, langjährigen Lloydlaufbahn noch nicht untergekommen!“
Dass der Dritte für eine verbale Hinrichtung reif war und gehen musste, war die logische Folge seines unverzeihlichen, jeglicher seemännischer Würde hohnlachenden Handelns. Nun ja, ein bisschen seemännischer hätte der Kerl sich schon verhalten können, oder?
Und dann hatte der Alte noch eine letzte Episode zu erzählen, bevor sich die gutgelaunte Runde auflöste:
Auf einem Karibikfahrer, dessen Kommandant ein übler Zeitgenosse gewesen sein soll, war der Steward gesackt und zum Passagier umgemustert worden. Ein Zustand allerdings, dem, außer der Bezahlung der Passage, sämtliche Fahrgastprivilegien fehlten. So war dem Zwangspassagier auch der Landgang verwehrt. Der Steward aber schlich sich in einem der wüsten Hafenlöcher an Mittelamerikas Dschungelküste heimlich über die Gangway – und wurde vom verblüfften Kommandanten erspäht!
Nun begann eine Hatz besonderer Art. Der Steward, als eifriger Landgänger mit allen Wassern gewaschen, versuchte den verhassten Alten abzuschütteln. Dieser wiederum, die gerechte Sache zu hundert Prozent auf seiner Seite wissend, stürmte wütend hinterher: ein Racheengel, die Nemesis höchstpersönlich, ein von gerechtem Zorn gebeutelter Na-warte-du-Halunke-Sheriff. Der Steward schlug Haken, wuselte um die Schuppen, täuschte Richtungen vor, setzte zu Sprints an – und hielt nichts weiter als Abstand. Der Alte war wie ein Bluthund nicht von der Spur abzuschütteln.
Sie hatten das exotische Dörfchen erreicht. In diesem Geviert kannte sich der Steward bestens aus. Aber auch dem Kommandanten schienen die sündigen Pfade seiner Janmaaten zu den Kneipen und Kaschemmen nicht unbekannt zu sein. Der Verfolgte legte eine labyrinthische Fährte, lief durch Schlammlöcher, wo sich Schweine suhlten und Geier zankten, durchwatete Bäche voller Unrat und Krankheitskeime - es half nichts: der Alte klebte hartnäckig und vor Wut schier krepierend an den Fersen des Bösewichts.
Da hatte der um die Früchte seiner waghalsigen Flucht Betrogene einen Einfall. Er besann sich seiner Spanischkenntnisse und schrie: „Hilfe! Räuber! Ein Bandit verfolgt mich und will mich ausrauben! Da! Der Kerl da hinten!“
Das half. Sofort solidarisierte sich das Volk mit dem Verfolgten, alarmierte die Polizei, und der Rachefeldzug des Kapitäns endete unerwartet dort, wo er den Steward eigentlich hin wünschte: im Kalabus! Der Steward sah sich noch zufrieden den von wilden Protesten begleiteten Abtransport des Alten Richtung Knast an, und stürzte sich vergnügt in die liederliche Schwüle der nächstbesten Spelunke.
In der Zwischenzeit versuchte der Alte auf der Polizeiwache die Lage zu klären. Da er sich aber nicht ausweisen konnte, blieb er hinter Gittern. Seine Beteuerungen, Kapitän des deutschen Motorschiffs Soundso zu sein, wurden mit Hohn beantwortet: „Auf so dumme Sprüche fallen wir doch nicht rein, Señor!“ – Und weil er keine Ruhe gab, machte er schmerzhaft mit dem ‚Migränestab‘ Bekanntschaft.
Als am folgenden Morgen der Agent an Bord kam und nach dem Kommandanten fragte, waren die Offiziere bereit, das steife Image des Alten zu überdenken: „O lala! Sollte unser Master in den willigen Armen einer süßen Hafenbraut versumpft sein?“ – Als er gegen zehn Uhr immer noch nicht auftauchte, reuezerknirscht und verschwiemelt, machte man sich Sorgen, zumal: der gesackte Steward verschwunden, der Alte weg – da stimmte doch etwas nicht!
Der Agenturvertreter rief die Polizei an: „Der Capitano des deutschen Schiffes ist spurlos verschwunden... „
„Wie? Kapitän? Vom deutschen Motorschiff... Caramba! Wir haben da so einen Rabauken, der pöbelt hier rum und behauptet Capitano zu sein!“, kam es vom anderen Ende der Leitung.
„Mierda! Das muss er sein, claro que si! Wie ist es nur möglich, dass Sie diesen Caballero in den Kalabus werfen, Madre de Díos!“ – Und endlich klärte ein temperamentvolles Feuerwerk den peinlichen Zwischenfall. Der Kommandant wurde mit höflicher Zuvorkommenheit und unter theatralisch vorgetragenen Ausdrücken allertiefsten Bedauerns an Bord eskortiert. Dort ließen es sich die Janmaaten natürlich nicht nehmen, schadenfroh grinsend dem Empfang des ziemlich mitgenommen aussehenden Alten beizuwohnen.
„Den Steward aber“, beendete Kapitän Ruhnau seine Story, „brachten die Polizisten ein paar Stunden später. Sie hatten ihn bald in einem der Puffs aufgelesen und auf die Wache mitgenommen. Und dort hatten sie ihren verletzten Stolz, von dem Kerl so böse reingelegt worden zu sein, mit brutalen Schlägen gerächt. Mann, der sah übel zugerichtet aus!“
Time keeps on slippin‘... into the future ... Jaja, die Zeit verrinnt, die Jahre rauschen vorüber. Wehmütige Liedtexte kamen mir in den Sinn. Aber auch blöde Schnacks: Schnell ist nichts getan, packen wir’s an!
Damals, am 14. Juni 1982, zelebrierte ich Erinnerung: Zwanzig Jahre zuvor, also 1962, hatte ich vor der Oberpostdirektion in Hamburg meine Prüfung zum Erwerb des Seefunkzeugnisses zweiter Klasse abgelegt. Ein Grund zum Feiern? Na klar, zwanzig Jahre Funkenpusterei und noch immer nicht in der Klapsmühle. Damals war ich noch freudig dabei, die Morsetaste zu quälen, die Antennen zu heizen, ein Familienleben auf Sparflamme zu führen. Ich war weder Junggeselle noch Ehegatte, ein Urlaubsvater und Liebhaber auf Zeit, ein im naiven Glauben an das Abenteuer hinter den Horizonten schon ziemlich ergrauter Träumer.
Also feierten wir und klemmten uns in meine kleine Kajüte, die nicht geräumiger als ein Eisenbahnabteil war. Rasch fanden wir in eine gemütliche Plauderstimmung, kramten in Erinnerungen und erzählten wieder einmal Begebenheiten aus unseren Seefahrtsjahren.
Es war manchmal witzig, wie sich bei derlei Story-Abenden plötzlich ein Thema herauskristallisierte. Da berichtete zum Beispiel einer von einem dieser älteren Pötte ohne Klimaanlage, auf denen man wegen der Hitze immer sämtliche Kammertüren geöffnet ließ. Nach einer wüsten Geburtstagsparty schlichen sich im Mannschaftslogis ein paar Unentwegte von Koje zu Koje. Sie spannten dünne Schnüre, die sie dem einen schnarchenden Sailor ums Bein, dem nächsten röchelnden Matrosen um den großen Zeh, einem selig seinen Rausch ausratzenden Schmierer ums abstehende Segelohr und um jeden erreichbaren, in der Tropenschwüle ins Freie drängenden Janmaatenpimmel, um jedes freischaukelnde Beischlafsgeschirr knüpften. Ein hinterhältiges Spinnengewebe spannte sich von Kajüte zu Kajüte, von Koje zu Koje. Es dauerte nicht lange, da kamen die wie Spinnen in ihren Löchern lauernden Missetäter auf ihre Kosten. Als sich nämlich einer im Schlaf heftig umdrehte, ging in der Nachbarkammer ein stechender Schmerz durch die wohlig erigierte Wasserlatte einer wüst tätowierten Teerjacke. Der Aufschrei des an seinem Glied Gezupften ließ Beine sich strecken, Arme fuchteln, Oberkörper sich aufrichten und die ganze verzwackte Mechanik aus Schnüren und Hinterlist in Bewegung geraten. Geschrei, Worte, die ich meiner geliebten Frau versprochen habe, niemals – oder höchst selten – zu gebrauchen, aber auch herzhaftes Gelächter dröhnten durchs Logis. Alles in allem war es ein Heidenspaß! Keiner war entmannt worden, und alle schworen den Übeltätern bittere Rache – bei nächstbester Gelegenheit!
Wenn so eine, sich um männliche Weichteile rankende Geschichte erst einmal erzählt wurde, dann folgte garantiert eine Serie dieses Genres. Ergo kam ‚Die Rache der Franzosen‘ an die Reihe:
Lange Jahre war es eine entwürdigende Prozedur bei den Amis jenseits des Teichs, die Pillermänner der Seeleute inspizieren zu lassen. Sie hatten wohl entsetzliche Angst, in Gottes eigenes Land kämen lauter geschlechtskranke Hurenböcke eingereist, die den Yankees die Lustseuche ins Haus schleppen könnten. Dabei hatte einst die Syphilis ihren Ursprung auf dem amerikanischen Kontinent. Jedenfalls mussten die Seeleute, die zu ‚Uncle Sam‘ reisten, die verhasste ‚Schwanzparade‘ erdulden.
Dafür sollen sich eines Tages die Franzosen, erbost über diesen Griff an den Nationalstolz, bitter gerächt haben. Beim Einklarieren irgendeines berühmten amerikanischen Schiffes – die Gerüchteküche weiß so illustre Pötte wie die ‚United States‘, aber auch einen der riesigen Flugzeugträger zu nennen – muteten sie den amerikanischen Sailors die gleiche Behandlung zu. Diesmal hatten die Yankees ihre Bananen aus der Hose zu holen und den gestrengen Franzmännern vorzuführen. Ein von wohligen Rachegefühlen einerseits, von zorneskochendem Stillhalten andererseits begleiteter Akt der Völkerverständigung, der ganz im Sinne von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit auch diesseits des Atlantiks die ‚Schwanzparade‘ ins Begrüßungsprotokoll aufnahm. So wussten die stellvertretenden Väter des besuchten Gastgeberhafens immer gleich, auf was sich die Töchter des Landes einzulassen gedachten. Der Story zufolge soll nach diesem Vergeltungsschlag die Personenkontrolle in den USA wieder auf das Gesicht der Seeleute beschränkt worden sein.
Hinzuzufügen wäre, dass mir diese Begebenheit in vielerlei Versionen zu Ohren gekommen war und sie ebenso ‚Die Rache der Teutonen‘ oder ‚Griechenlands Revanche‘ betitelt werden könnte. Ich weiß also nicht, in welchem gastlichen Hafen den Amis das Schwanzgucken heimgezahlt worden ist.
Auf einem Schlorren, auf dem eine automatische Maschinensteuerung die Anwesenheit der Kellerkinder noch nicht unnötig gemacht hatte, war Manöverfahrt. Am Fahrstand hatten der Chief und ein Assi Wache. Sobald beispielsweise auf der Brücke der nostalgische Maschinentelegraf auf ‚Ganz langsam voraus‘ gelegt wurde, quittierte der Ingenieurs-Assistent das gewünschte Manöver, indem er seinerseits den Hebel des klingelnden und messingblinkenden Kommandoelements auf ‚Ganz langsam voraus‘ legte. Er trug Uhrzeit und gewünschte Fahrstufe ins Manöverbuch ein, während der Chief bereits am Handrad drehte und die Füllung zurücknahm. So drosselte er die röhrenden Pferdestärken dort unten im heißen Schiffsbauch. Man war also vollauf beschäftigt, die rasche Folge der Manöver durchzuführen, während ein weiterer Ing-Assi die Kompressoren, Hilfsdiesel und weitere Aggregate im Auge behielt.
Dieser dritte Mann im Fettkeller war ein abgebrühter Spaßvogel. Er beobachtete, wie der Chief nervös den Maschinentelegrafen belauerte, ganz in gespannter Erwartung des nächsten Manövers, und hierbei seine Hände hinter dem Rücken ununterbrochen öffnete und schloss. Kurzentschlossen schlich er sich hinter den Leitenden Ingenieur, feixte seinen Kollegen an, und legte sein rasch aus dem Overall gefummeltes Glied in die unruhigen Hände des Chiefs. Dieser stutzte, fühlte deutlicher nach und dachte wohl: verdammt, das kenn ich doch? Empört drehte er sich um, sah die obszöne Provokation, und rannte wutentbrannt dem davon stürzenden Spitzbuben hinterher.
„Und da stand der andere Assi nun allein am Fahrstand, musste den Telegrafen bedienen, das Manöverbuch schreiben und die Fahrkommandos fahren, während der Chief mal oben auf Zylinderstation, mal unten beim Fahrstand immer im Kreis den Assi verfolgte und schrie: ‚Wenn ich dich erwische, dann hau ich dich windelweich!‘ “, beschloss ich die Geschichte dieser fröhlichen Manöverwache, wie sie mir vor einiger Zeit ein Chief in Erinnerung an seine Assizeit erzählt hatte.
Wie gesagt, war der Zebedäus als Thema erst mal auf der Back, dann rankten sich die Döntjes endlos darum...
Ein Bordelektriker fragte mich einmal, indem er mit seiner Hand eine Drehbewegung in der Luft machte: „Sparks, rate mal, was ist das wohl?“ – Nun hatten Elektriker einen ähnlichen Ruf wie Funker: sie sollten allesamt ein bisschen spinnen. Ich antwortete ihm: „Nun ja, so drehste deine billigen Glühbirnen in die Fassungen...“ – Der Blitz aber lachte nur und wusste folgende Episode zu erzählen:
Da hatte der Zweite Ing eines größeren Wurstwagens (eine der vielen liebevollen Umschreibungen der Seeleute für ein Schiff) während irgendeiner Reparatur auf einem Podest gesessen. Auf einer Plattform einer dieser unzähligen Eisentreppen, die im Maschinenraum die verschiedenen Stationen und Decks verbinden. Er war so in seine Arbeit vertieft gewesen, dass er nicht merkte, wie sein Overall im Schritt zerriss und, da er in der Hitze keine Unterwäsche trug, sein vielleicht etwas zu entspannter Hodensack durch das weitmaschige Gitter der Podest-Gräting flutschte. (Eine Gräting ist ein begehbarer Gitterrost aus Metall oder Holz). Als er schließlich gewahr wurde, wo sich sein Skrotum befand, versuchte der Mann das vorwitzige Körperteil aus dem Gitterloch herauszuziehen. Doch so leicht das Maschinistengehänge in die heimtückische Falle gerutscht war, so unmöglich erwies sich jeder Befreiungsversuch. So blöde die Situation auch war, da half nur die Flucht nach vorne.
Der Zweite rief seinen Assi – im Lärm der auf vollen Touren tobenden Schiffsmotoren ein Geduldspiel – und bat ihn mit besagter Drehbewegung der Hand, auf einer Leiter von unten an das Gitter des Podests zu steigen und... Nun ja, es klappte nicht, nein, da half kein Drehen, kein Schieben, kein Drücken und kein Pressen. Das Ei saß fest!
Mittlerweile hatten sich weitere Helfer eingefunden, die sich sichtlich an der peinlichen Lage des Zweiten Ings weideten und mit derben Ratschlägen zur Hand waren. Jeder drehte mal probehalber am inzwischen schmerzgeschwollenen Hodensack, mal rechts rum, mal im technischen Sinne des Linksgewindes. Man versuchte es mit Seife und mit Öl. Man diskutierte. Man sprach feixend von Abschneiden, aber auch vom Steckenlassen, da der Gequälte von hier oben eigentlich alles recht gut im Blick habe. Vielleicht sollte man sogar Eintritt verlangen und der Decks-Crew auch etwas zum Lachen bieten.
Allen hartgesottenen Scherzen zum Trotz, es musste etwas geschehen! Werkzeug wurde herangeschafft, weitere Leitern aufgestellt und mit dem Schneidbrenner zunächst ein großes Stück aus dem Podest gebrannt. Eine knifflige Operation, während der das empfindliche und ach so erniedrigend eingeklemmte Stück Männlichkeit dauernd mit Wasser gekühlt wurde. Für eine männerfeindliche Damenriege aus dem Chauvifresser-Lager wäre dieses Schauspiel das Ziel aller Träume gewesen. Zumal dann, als der Zweite würdelos und breitbeinig tänzelnd das schwere Gitterstück festhielt, damit es nicht an seinem Sie-wissen-schon zu hängen kam. Er hätte das Gewicht nur loszulassen brauchen und wäre den ganzen Ärger mit den Lüsten und dem Hormonstau samt Gräting losgeworden. Schmerzhaft und barbarisch zwar, aber endgültig. Emaskulation – Entmännlichung, der wahre Weg zur Emanzipation des von seinem Hautbeutel Gebeutelten.
Indes, wie singt der spitzbübische Jürgen von der Lippe: „...manche hängen halt an kleinen Dingen!“ – Und das wörtlich! Folglich wurde der Akt der Befreiung bis zum erlösenden Ende durchgestanden. Eine gelungene Mischung aus markigem Kameradschaftsabend und der schweißtreibenden Schwerarbeit des Kolbenziehens. Sägen, Biegen und Brechen. Und dann: Aah!!! Der dämliche Maschinistensack baumelte wieder frei! Und machte fortan einer an Bord nur andeutungsweise eine Drehbewegung mit der Hand, dann wieherte der ganze Dampfer wie ein Haufen Irrer, und Außenstehende hatten es schwer, Verständnis zu heucheln.
Dem Eindruck, wir seien beim Feiern meines zwanzig Jahre alten Funkzeugnisses zu stumpfsinnigen Pintfetischisten verkommen, muss ich allerdings heftig entgegentreten. Ganz so schwanzbezogen ist die Männerwelt der Seeleute nun doch nicht, glauben Sie mir bitte! Nein, das Thema war irgendwann erschöpft, weil ein anderes und wieder ein anderes zu immer neuem Atemholen verführten.
Die Lieblingsbeschäftigung von Trampfahrern, wenn eine Reisecharter zu Ende gegangen war, bestand im Rätseln, Hoffen und Träumen. Die Hoffnung auf den Traumtrip, ach ja, man gab sie niemals auf!
Wir waren von Mersin kommend am Kap Anamur vorbei gen Westen gedampft. Ein Anschlusstörn vom Schwarzen Meer nach Bordeaux war im Gespräch. Dann würfelte man am ‚Traumtrip‘ Ravenna-Tripolis. Es herrschten schlechte Zeiten für die Reeder, zweifelsohne. Beim damaligen Frachtenverfall und Tonnage-Überangebot glaubten das sogar die Seeleute. Selbst die kürzesten Reisecharterverträge wurden angenommen, um wenigstens die Unkosten der Schiffe aufzufangen. Es hatte sich dann entschieden, dass wir Konstruktionsteile für Supermarkthallen nach Libyen bringen sollten, eine sperrige und schwere Ladung aus unzähligen Eisenträgern, Stahltraversen und Betonplatten.
Mitte Juni 1982 lag dann die "Marlene-S" an der Pier von Tripolis. Sämtlicher Alkohol war verschlossen worden, wir hatten nicht eine einzige Buddel Bier behalten dürfen. Jede Illustrierte, die nur im Entferntesten nacktes Weiberfleisch zeigte, war im Zollstore eingeschlossen worden. Da war so mancher Packen deftiger Pornohefte aufgetaucht. Ebenso waren sämtliche Devisen auf Heller und Pfennig anzugeben. Wer schlau war, hatte nicht alles gemeldet, denn in solchen Ländern gab es zwangsläufig einen schwarzen Markt für Devisen. Natürlich waren auch die Sender der Funkstation versiegelt worden. Ich hätte ja auf den Gedanken kommen können, den Israelis Länge und Breite von Tripolis durchzufunken!
Dann gab es endlich Landgangserlaubnis. Ich schaute mir Tripolis an, das ich vor vierzehn Jahren zum letzten Mal gesehen hatte. Im Hafen, wo Südkoreaner als Gastarbeiter ihren disziplinierten Dienst verrichteten, wirkte alles dem deutschen Gütesiegel ‚Sauber-und-Ordentlich‘ entsprechend. Für Freunde handfester Abstraktion ein klarer Beweis für die Unfähigkeit dieser Muftis und Kameltreiber. Entlang der Straße zum Hafentor standen auf Sockeln grüne Leuchttafeln. Darauf mahnten Sprüche aus Gaddafis grünem Buch der Revolution, dass „Repräsentation“ eine Verfälschung der Demokratie sei, dass man Partner und nicht Lohnarbeiter sei, dass die „El Fatah for ever“ leben möge. Einige der islamisch-grünen Kernsätze hätten auch unseren alternativ-grünen Hausbesetzern gefallen: „Land ist niemandes Eigentum“ und „Das Haus ist für seine Bewohner da – the house is for it’s occupant“, was sich sogar als Transparentparole mit „Das Haus gehört seinem Besetzer“ hätte übersetzen lassen können...
Die Altstadt war eine wehmütige Enttäuschung. Sicherlich, der Bogen des Marc Aurel, den fußballspielende Lausbuben als Tor benutzten, würde vielleicht noch Jahrtausende überdauern. Doch sonst kroch das Elend aus dem geschichtsträchtigen Gemäuer. Im Souk, den ich als brodelnden orientalischen Basar in Erinnerung hatte, waren fast sämtliche Geschäfte aufgegeben worden und verbarrikadiert. Der Basar war tot, bis auf die Gassen mit den hämmernden Kupferschmieden und den kabinenkleinen Läden der Silberhändler. Die bauchigen, innen verzinnten Kupferkessel waren Standardstücke eines jeden Haushalts, und Silberschmuck gehörte zur arabischen Welt wie die Oase zur Wüste. Hier existierte noch etwas von der Atmosphäre, derentwegen es einen in die Medina zog. Beduinenfrauen in weißen Überwürfen verscherbelten hier ihre massiven Armreifen, schweren Ohrgehänge und Amulette. Es war Not, die sie dazu zwang, denn Muammar al-Gaddafis verhängnisvolle Politik hatte den kleinen Leuten keinen Segen gebracht. Das Angebot auf den Lebensmittelmärkten war so dürftig, dass man an eine Hungersnot glauben mochte.
Ich traf einen Amerikaner, der draußen in der Wüste auf den Ölfeldern arbeitete.
„Für wen ich eigentlich tätig bin, weiß ich nicht“, sagte er. „Aber solange ich mein Geld bekomme...“ Und er bestätigte die Misere des Landes: „Wovon die Menschen hier leben, ist mir schleierhaft. Es gibt nichts zu essen, kein Obst, kein Gemüse, Grundnahrungsmittel in kleinsten Rationen. Die Leute hungern!“
Im Schaufenster eines Silberschmiedes, dem ich ein paar urige Beduinenamulette abgekauft hatte, entdeckte der Amerikaner ein altes amerikanisches Silber-5-Cent-Stück. Der junge Händler, der in London studiert hatte, schenkte es dem Fremden und spottete: „Wenn das Gaddafi wüsste!“ – Alle lachten, wohl wissend, wie verzerrt die Situation im Lande war, wo alles Amerikanische leichthin auch als Erzfeind-Jüdisches verfemt wurde. Der Genuss von Coca-Cola kam schon fast einem Landesverrat gleich.
Offiziell sollte der Dinar etwa acht Mark wert sein. Auf dem Schwarzmarkt – zugegebenermaßen ein risikoreiches Abenteuer – bekam man weitaus günstigere Kurse, die bis zur Basis von einem Dollar gleich einem Dinar rutschen konnten. Doch mehr als Silber für Sammler bot sich dem Käufer nicht, was mir allerdings die Enttäuschung über den toten Basar erträglicher machte.
Abends süffelten wir in gewohnter Runde heimlich heimliche Bestände. Wie Kinder, die geklaute Äpfel naschen, ließen wir uns kichernd die Drinks schmecken, die uns eine bevormundende Diktatur verweigern wollte. Gaddafi, du scheißt doch keinen Seemann an!
Das Rufzeichen unseres Frachters war in der ‚Traffic-List‘ von Norddeichradio, die ich über den nicht versiegelten Empfänger abhören konnte. Es lag demnach entweder ein Telegramm oder eine Funkgesprächsanmeldung bei Norddeichradio. Wir standen vor einem echten Problem. Unsere Charter ging hier zu Ende und wir lauerten auf einen Anschlussjob, dessen Einzelheiten uns nun allem Anschein nach mitgeteilt werden sollten. Indes, die Funkstation war versiegelt, jegliche Benutzung ein Verbrechen gegen die Sicherheit der „Sozialistischen Libysch-Arabischen Volksöffentlichkeit“, ein Vabanquespiel mit der Chance, in grausigen Verließen zu enden.
Aber, wir riskierten es! Der Chief und ich bastelten so lange an der Sendestation herum, bis wir sie trotz Versiegelung in Betrieb nehmen konnten. Einer stand Schmiere – falls sich plötzlich an der Pier Verdächtiges ereignen sollte – und dem Funkkontakt mit dem fernen Deutschland stand nichts mehr im Wege. Das Siegel war unverletzt geblieben: Jungfräulichkeit soll ja nicht immer ein Garant für Unberührtheit sein!
Die neue Order besagte, dass wir erst mal Richtung Gibraltar dampfen, und auf weitere Anordnungen lauern sollten.
Drei Tage später wussten wir weiter: Die "Marlene-S" war für eine Reise von Port Saint Louis du Rhône nach Mersin verchartert. Als wir am 20. Juni 1982, einem Sonntag, das kleine Nest an der Rhônemündung erreicht hatten, machte ich mit dem Chief eine Wanderung durch den sommerheißen Busch und das mückenschwirrende Marschland. Erinnerungen kamen hoch, denn vor etwa 22 Jahren war ich mit meinem Schulfreund Andreas im Faltboot den malerischen Fluss stromab bis ins Mittelmeer gepaddelt. In der Camargue hatten wir damals bei Strandzigeunerleben und Stierspielen unsere ersten jugendlichen Träume von Freiheit und Abenteuer verwirklichen können.
Wir sollten Röhren laden. Zum größten Teil zwei Tonnen schwere Stücke von 91 Zentimeter Durchmesser. Aber auch eine Reihe kleineren Durchmessers war darunter. Da es sich um eine Partie handelte, die vollzählig mitgenommen werden sollte, war der Erste Offizier dauernd mit Berechnungen beschäftigt. Da es geheißen hatte, es sei möglich, wollte er diesem theoretischen Diktat natürlich nachkommen. Zumal der Chartervertrag längst abgeschlossen worden war. Es war wieder einmal bezeichnend, wie Theorie und Praxis aufeinander stießen, wie die Männer an Bord bei der theoretischen Vorausberechnung erst gar nicht zu Rate gezogen wurden. Man hatte sie einfach vor vollendete Tatsachen gestellt.
Chief-Mate Schlüter, Chief Thiele und ich saßen am Abend des 22. Juni noch gemütlich bei einem Bierchen mit Kapitän Ruhnau zusammen, und wir ließen uns über ähnlich gelagerte Probleme aus. Schlüters spöttisches Fazit zu unserem Röhrenproblem: „Sobald diese verfluchten Dinger gestaut sind, lass ich mich schnellstens ablösen!“
Am folgenden Tag waren die Räume vollgeladen. Nun musste der Rest an Deck untergebracht werden. Die südfranzösischen Schauerleute klotzten ran wie die Verrückten, so, als arbeiteten sie auf Akkordbasis. Schließlich türmten sich die 91-Zentimeter-Röhren sieben Lagen hoch auf der Luke. Achtern waren die Arbeiter bereits fertig. Das Laschen der Ladung war, laut Chartervertrag, Aufgabe der Schiffsbesatzung.
Gegen halb zwölf Uhr nahm das Verhängnis seinen Lauf: Mit Donnergepolter brachen die trapezförmig übereinandergeschichteten Lagen zusammen. Uns erstarrte das Blut zu Eis. Das, was wir alle innerlich befürchtet hatten, war eingetreten. Ich rannte auf die Brücke und starrte auf die Katastrophe: Kreuz und quer lagen die Eisenröhren an der Pier, hatten sich zwischen Schiff und Kränen verkeilt und waren zum Teil weit über die Mole verstreut. Vor einer Viertelstunde noch hatte ich etwa zehn Mann auf den hochgetürmten Rohrlagen herumturnen sehen. Wo waren sie? Als ich mich über die Nock beugte, sah ich wie mehrere Männer einen Verletzten aus dem Wasser zwischen Pier und Schiff zogen. Unsere Crew war längst unten, ich überwand meinen Schrecken und rannte ebenfalls los, immer noch im Glauben, dass da mehr als zehn Menschen unter die Röhren gekommen sein mussten.
Doch an der Gangway wurde mir erklärt, dass die Schauerleute bereits vorne gearbeitet hatten als die Ladung achtern zusammengestürzt war. Der da unten an der Pier lag, mit grauenhaft abgewinkeltem, gebrochenem Bein, zerschlagen und Blut spuckend, war unser Erster, Schlüter!
Beim Laschen der Ladung war es passiert. Als die Röhren ins Rutschen kamen, konnte sich einer unserer spanischen Matrosen von ganz oben durch einen Sprung aufs Winschendeck retten. Unten, im Gangbord, arbeitete Armando, ein portugiesischer Matrose, neben Chief-Mate Schlüter. Armando rief noch: „Runter! Runter!“, und duckte sich unter das Lukensüll. Der Erste aber sprang zur nahen Treppe, die vom Hauptdeck auf das Achterdeck führte. Er musste sich bereits in Sicherheit gefühlt haben, als er sich auf dem oberen Absatz umdrehte. Wahrscheinlich hatte er sehen wollen, was da eigentlich passierte. In diesem verhängnisvollen Augenblick rutschte eine Röhre schräg heraus, drückte unseren Steuermann über das Treppengeländer und schleuderte ihn zwischen Pier und Schiff in die ölige Hafenbrühe. Ein Hafenarbeiter sprang spontan ins Wasser und erwischte den Ohnmächtigen noch rechtzeitig.
Der portugiesische Matrose kam aus dem tödlichen Röhrendurcheinander hervorgekrochen und brach in den Armen herbeieilender Kameraden zusammen: vom Schock gezeichnet – aber unversehrt!
Unser Erster jedoch starb, wenige Minuten nach der Einlieferung ins Krankenhaus von Arles, an inneren Blutungen.
Der Tod des Ersten Offiziers hatte uns tief erschüttert. Immer wieder musste ich auf die Stelle an der Pier starren, wo er sterbend gelegen hatte, sein Kopf im Schoss unseres Kapitäns gebettet: ein noch junger Seemann Ende dreißig, verheiratet, Vater zweier kleiner Kinder. Es war ja noch gar nicht lange her, dass er zum zweiten Mal Vater geworden war. Uns allen war wieder einmal gezeigt worden, wie zerbrechlich der Mensch ist und wie wahllos das Schicksal einen treffen und zerschmettern kann.
Natürlich war nach dem tragischen Unfall die Hölle los an Bord: Polizei, Presse, Versicherung, Gewerkschaft, die Interessenvertreter sämtlicher an Schiff und Ladung beteiligter Gruppen und und und.
Nun, nachdem das Verhängnis über uns hereingebrochen war, schienen alle schlauer zu sein. Die Gewerkschaft beispielsweise erließ rigorose Vorschriften über das Wie der Beladung, so, als ob sie das Wort ‚Sicherheit‘ gerade erst erfunden hätte. Aber auch von anderer Seite klingelte es mir selbstgerecht in den Ohren: „Safety first!“ - Ich fragte mich ganz allgemein, was wohl geschehen wäre, wenn ein verantwortlicher Schiffsoffizier die Beladung eines Frachters hätte unterbrechen lassen, weil er die Sicherheit nicht gewährleistet sah? Trotz der lächelnden Erklärungen der Stauerei, dass sie es – im tagtäglichen Umgang mit der Materie – schließlich besser wissen müsse.
Mir schien es allerdings auch ein Erfahrungswert zu sein, dass Fahrlässigkeit in 999 von 1000 Fällen gut ging – und folglich so lange ‚bewies‘ dass die Sicherheit gewährleistet war, solange nichts passierte!
Die gesamte Ladung mitzunehmen schafften wir natürlich nicht! Statt sieben Lagen hoch türmten sich letzten Endes die Röhren in fünf akkurat gestapelten Schichten, gut und sicher verkeilt, abgesichert und gelascht. Eine saubere Arbeit – doch für welchen Preis!
Schließlich erreichten wir Mersin. Die Röhren waren für den Irak bestimmt. Eine abenteuerliche Karawane bunt bemalter Lastwagen sammelte sich jeden Tag im Hafen, um im Konvoi die Fahrt in diese unruhige Region zu bewältigen. Auch im Libanon herrschte Krieg. Für die Vertreter des libanesischen Charterers, zwei junge Männer, vermittelte ich tagtäglich auf umständlichen Wegen Funkgespräche in das von Bomben, Granaten und Ideologien zerstörte Beirut.
An Land kam ich mit einem deutschen Ehepaar ins Gespräch, das zum ersten Mal in einem vom Islam geprägten Land Urlaub machte. Ihr Fazit über die Türkei: Es gibt hier kein Eisbein mit Sauerkraut, und überhaupt keine Bratwürste!
Und abermals hatte unsere Reederei ihr Überleben mit einer kurzen Charterreise aufrechterhalten. Die "Marlene-S" war zum Containereinsammeln nach Syrien, Ägypten, Italien und Frankreich abkommandiert worden.