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Auf einer Forschungsreise nach Ägypten wird Bernhard in der Wüste überfallen und erleidet eine schwere Kopfverletzung. Er rettet sich in eine Höhle und lernt dort ein außerirdisches Wesen, einen Seelenspiegler kennen, der im Gestein feststeckt. Dieser ist ein Telepath und begleitet nun Bernhard durch sein Leben. Als der Seelenspiegler frei kommt surfen sie gemeinsam auf einer Raumkrümmung durchs All. Auch über seinen Tod hinaus kann Bernhard in dem Seelenspiegler weiter existieren und auch seine engsten Freunde dürfen mitkommen. Viele Abenteuer gilt es zu bestehen.
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Seitenzahl: 285
Veröffentlichungsjahr: 2019
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W.B. Grossmann
Impressum:
Druck und Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de
Copyright: © 2019 Monika und W. Bernd Großmann,
22523 Hamburg, Elbgaustraße 3
https://barni-bigman.wixsite.com/barni-bigman
Seelenspiegler - Band 1
Vorwort
Der Sommereremit
Metamorphose
Der Tourist
Ein Licht geht auf
Nach dem Urlaub ist vor dem Urlaub
Es ist zum in die Luft gehen
Wieder auf der Insel
Wenn zwei sich streiten…
Zwei Anhänger
Erneute Aufbruchstimmung
Der Seelenspiegler
Heiße Spiegelungen
Die Lebensgeister sind geweckt
Eine Erholungsphase
Ein zweiter Anlauf
Gott und die Welt
Der Herr der Altertümer
Wärme in der kalten Heimat
Ein heimliches Wiedersehen
Der Doktor wieder in Aktion
Das Äffchen
Ein Ende in Sicht
Ein anderer Nachlass
Abschied und Ankunft
Realität und Wahnsinn
Ende oder Anfang?
Das große Treffen
Zellteilung
Der Auftrag
Spione
Freund oder Feind
Ruhigere Zeiten
Friede, Freude und…
Wundersame Gene
Das Spiegelbild
Der Herr der Krystalle
Zuwachs
Eins, zwei und drei
Seepferdchen
Menschenrechte
Krystalline Sozialstrukturen
Zeitenwenden
Neubeginn
Keine Zeit für den großen Knall
Die Rettung naht
Dieser Roman basiert auf der Science-Fiction Taschenbuch Reihe „Weltensichten“, die ich unter dem Pseudonym, Liesbeth Listig, herausgab. Da diese Taschenbücher reges Interesse bei meinen Leserinnen und Lesern weckten, habe ich mich entschlossen, eine Überarbeitung des Stoffes vorzunehmen und Ihnen nun eine korrigierte Fassung als Roman zu präsentieren. Die vorgenommenen Korrekturen umfassen dabei nur inhaltlich unwesentliche Bereiche, um Ihnen die Zusammenhänge besser darzustellen.
Viel Freude beim Lesen wünscht Ihnen Ihr
W.B. Grossmann
Es war einer dieser seltenen Hochsommertage, an denen sich weder auf der Landseite hinter dem Deich, noch auf der Seeseite ein Lüftchen regte. Selbst mit dem Einsetzen der Flut, war heute kein Windhauch zu spüren. Die Vormittagssonne brannte von einem strahlend blauen Himmel und die nicht unangenehme Wärme und die völlige Ruhe lagen bleiern über dem Küstenstreifen. Kein Laut durchdrang diese Stille. Jede Bewegung, die er sich zugestand erschien überflüssig, ja wie ein Sakrileg, das unweigerlich diese Ruhe zerstören würde. Auf der selbstgezimmerten Bank saß Rigo und hing bewegungslos seinen Gedanken nach. Das einzige Geräusch, was nach den vielen, ruhigen Minuten, welche ihm wie Stunden vorkamen, an sein Ohr gelangte, war der Gesang einer Lerche, die hoch oben im Azurblau der flimmernden Luft flatternd an einer Stelle stand. Der kleine Vogel zauberte ein Lächeln auf das zeitlos wirkende Gesicht.
Rigo Walder war ein sonnengegerbter, naturverbundener Mann, dessen Alter nur schwer einzuschätzen war. Von seiner Statur her eher schmächtig, hatte er jedoch eine ausgeprägte Muskulatur vorzuweisen, die er mit allerlei Naturprodukten, welche empfindliche Nasen mit Grausen unter anderem als Fischöl und Tran identifizieren würden, intensiv zu pflegen verstand. Unter dem zerzausten, von der Sonneneinstrahlung erblondeten Haar und der zerfurchten, braun gebrannten Stirn waren zwei stets unruhige, blaue, schalkhaft dreinblickende Augen zu finden, welche auch meistens einen freundlichen, zugewandten Kontakt versprachen. Sein Bekleidungsstil war nicht weiter erwähnenswert. Dieser bezog sich ausschließlich auf Rigos naturverbundenes Leben. Deshalb war er zwar praktisch, aber nicht sehr ansehnlich. Für Menschen die Rigo nicht näher kannten waren es skurrile Lumpen, getragen von einem skurrilen Penner, Waldschrat, Bekloppten oder bestenfalls Nichtsesshaften. Aber weit gefehlt, Rigo Walder war schon lange sesshaft geworden.
Als einziger Spross einer deutsch-lettischen Familie war er im zweiten Weltkrieg als Kommandant eines Unterseebootes für das Deutsche Reich unterwegs gewesen. Sein Boot dümpelte nach einem Angriff manövrierunfähig in der Nordsee. Hier ereilte ihn nun sein Schicksal. Als er, ein weißes Laken in der Rechten, aus der Luke des Bootsturmes stieg und über die Reling schaute, traf ihn eine englische Gewehrkugel am Kopf und riss ihm einen glücklicherweise kleinen Teil der Schädeldecke weg. Aber diese, dem Leben nicht sehr zuträgliche Verwundung bekam Kommandant Walder bewusst nicht mehr mit. Der weiße Lappen glitt ihm aus der Hand und er ging bewusstlos und kopfüber von Bord. Seine Schwimmweste rettete ihn vor dem Ertrinken und so wurde er mit der Flut an Land getrieben.
Von all diesem und den folgenden Torturen bekam Rigo nichts mit. Auch nicht, dass wohlwollende „Strandräuber“ ihn mit auf ihren Hof nahmen und, dass diese ihn zur weiteren Versorgung in ein Lazarett brachten, wo ihm nach mehreren Operationen eine Stahlplatte die zerschossene Schädeldecke ersetzte. Auch das Ende des Krieges und den Verlust aller seiner fragwürdigen Ideale verträumte Rigo Walder unter gravierenden Dosen von Morphium. Seine Rehabilitation verlebte er später in einem englischen Gefangenenlager; irgendwo im Norden des untergegangenen Reiches. Aber da er weder Papiere noch Uniform bei sich hatte und mit lettischem Akzent vorgab, aufgrund seiner Verletzung keine Erinnerung mehr an sein Vorleben zu haben, entließ man den unnützen Esser frühzeitig in eine ungewisse Freiheit. Alsbald fand er Unterschlupf bei einem Marschbauern, der ihn als Erntehelfer einsetzte. Nach der Ernte wusste der Bauer nichts mit ihm anzufangen. Er duldete es aber, dass Rigo in dem alten Schafstall, der direkt hinter dem Deich beim Sommerkog lag, sein Lager aufschlug. Das war weitab von allen Gehöften und dem nächsten Ort. Dort störte er niemanden. Wer weiß, wozu man diesen fleißigen Letten noch einmal brauchen konnte, mag der Bauer sich gedacht haben.
Nun, nachdem viele Jahre ins Land gegangen waren, lebte Rigo immer noch in dem zerfallenen Stall. Den Bauern gab es längst nicht mehr. Rigo saß vor seinem Domizil in der Sonne und dachte an diese vergangenen Zeiten zurück. Es hatte viel zu lange gedauert, bis er nicht mehr auf Bettelei und Tagelöhnerei angewiesen war. Aber irgendwann, als die junge Republik, welche er zu tolerieren gelernt hatte, sich etablierte, bekam er eine Kriegsversehrtenrente. Hiervon hätte er auch in einer Stadt ein gutes Leben führen können. Rigo zog es aber vor, seinen Lebensstil beizubehalten. Das Leben von und mit der Natur versprach ihm ein wenig Glück.
So brauchte er weiterhin wenig finanzielle Mittel und sein Vermögen stieg über die Jahre zu einem erkläglichen Reichtum an. Kein Außenstehender sah in Rigo Walder einen reichen Mann. Hinzu kam seine geschäftliche Tätigkeit. Außerhalb der Badesaison machte Rigo oft tagelange Wanderungen am Deich oder durch das Watt. Dann sammelte er Treibgut, welches er in dem fast zusammengebrochenen hinteren Teil seines Stalles stapelte. Muscheln, alte Netze, Schiffslaternen und Wrackteile, selbstgegerbte Robbenfelle, von denen man nicht wissen wollte, mit welchen Naturprodukten die Gerbung erfolgt war, waren dort unter viel anderem Kram zu finden. Bei schlechtem Wetter war Rigo dann emsig dabei, aus diesem Trödel mehr oder weniger schöne Souvenirs für die Urlauber zu fertigen. Die Sachen stellte er dann an schönen Tagen wie diesem vor seiner Tür auf dem Hof auf und verkaufte das ein oder andere Stück an vorbeikommende Touristen.
Umgeben von seinen Erzeugnissen saß Rigo gedankenverloren in der Sonne als ein junger Fußgänger in sein Blickfeld geriet. Ein junger Mann in kurzen Hosen, der nicht über die Straße, sondern den Sommerdeich auf die Verkaufsstelle zusteuerte. Rigo war hocherfreut, von einem potenziellen Käufer aus seinen nun immer trüber werdenden Erinnerungen gerissen zu werden. Tatsächlich kam dieser Mensch ohne Scheu schnurstracks auf ihn zu und begrüßte ihn wie man den Krämer von nebenan begrüßen würde. Umgehend zeigte Rigo geschäftig seine Waren und hatte zu jedem Gegenstand eine Geschichte zu erzählen.
Er erzählte von verschiedenen Schiffen, die bei Unwetter oder bereits in den Wirren des Krieges weit draußen in die Sände geraten und nicht mehr freigekommen waren. Dann war Rigo bei gutem Wetter und günstiger Tide hinaus ins Watt gewandert und hatte von einem dieser nicht ungefährlichen Ausflüge unter anderem Kram ein Ankerlicht mitgebracht, welches er von einem Havaristen abgebaut hatte. Dieses war noch komplett erhalten und Rigo hatte es mit Kupferfarbe noch ansehnlicher gemacht. Das Glas war nicht wie bei Positionslaternen rot oder grün, sondern klar und strahlte wie ein Leuchtturm, wenn er das Petroleumlicht darin entzündete. Sein Besucher wollte dieses Ankerlicht gern erwerben. So ging es nach vielem hin und her der Preisverhandlung für Hundertzwanzig Mark an den neuen, überaus zufriedenen Besitzer. Und dieser hinterließ einen noch zufriedeneren Rigo Walder.
Nachdem der Besucher sich verabschiedet hatte, war der Tag so weit fortgeschritten, dass die größte Mittagshitze überstanden und es Zeit für eine spartanische Mahlzeit war. Rigo begab sich in den einzig bewohnbaren Raum des baufälligen Gebäudes, in dem sich sowohl seine Schlafgelegenheit als auch die Küche befand. Seine Schlafstätte bestand aus einer alten Matratze, die auf dem blanken Boden lag. Darüber hing, wohl aus nostalgischen Gründen, ein gerahmtes, verblassendes Führerbild, welches Rigos verlorene Jugend widerspiegelte, jedoch bereits seit vielen Jahren seine Bedeutung für ihn verloren hatte. Es hing dort, wie es auch ein röhrender Hirsch oder Putten mit Sinnsprüchen getan hätten, sinnlos und hässlich an der Wand. Aber irgendwie konnte Rigo es nicht wegwerfen. Wie er auch alle anderen Sachen nicht einfach wegtun konnte. Eventuell konnte es in kalten Nächten noch nützlich sein, nicht mehr um das Herz zu erwärmen, aber eventuell den Körper. Die Feuerstelle war ja nicht weit. So hing das Bild und hing und hing…
Einmal in der Woche begab Rigo sich aus dem selbstgewählten Eremitendasein hinaus und unter Menschen. Aber nur, um zu erkunden, ob sein Geld gut verwahrt würde, und um etwas einzuzahlen, wollte er die Bank aufsuchen. Auf dem Rückweg dann noch rasch das Nötigste einkaufen, nach der ausgelegten Grundangel sehen, dann wieder nach Hause und nach der Hektik die nötige Ruhe tanken. Alle draußen aufgestellten Schätze wurden nun schnell in der abschließbaren Wohnstube verstaut. Danach wurde der Drahtesel aus seinem Unterstand geholt. Dieser machte seinem Namen alle Ehre. Das uralte Vehikel hatte Rigo vor Jahren irgendwo „weggefunden“ und notdürftig fahrtüchtig gemacht. Nun trat er in die abgewetzten Pedale. Bei jedem Tritt war ein „I“ und dann ein „A“ zu hören. Ich sollte das gute Fahrzeug mal wieder mit einem fettigen Fischlappen bearbeiten, dachte Rigo noch und machte unter viel I A Tempo.
Sein freundlichstes Gesicht setzte Rigo auf als er in die Kurzone einfuhr. Alle Menschen sahen ihn an und sahen ihm nach als er freundlich grüßend, unter viel I A durch die bereitwillig Platz machende Menge fuhr. Besonders freundlich grüßte Rigo seinen Kunden vom Mittag, der ihn verblüfft anschaute und trotz des „geringen“ Wiedererkennungswerts sofort wusste, wer dort sein Fahrrad quälte.
In der Bank wurde Rigo freundlich und zuvorkommend begrüßt und mit einer Tasse Kaffee bewirtet, welche er wie immer an und mit Genuss zu sich nahm. Man kannte ihn, sein Vermögen und seine gewinnende, freundliche Art. So nun noch schnell in den Supermarkt und alles für die kommende Woche besorgen. Dann bloß raus aus dem Trubel des Badeortes, dachte Rigo. Gedacht, getan. Rigo kaufte ausreichend von dem, was er für seine Grundnahrungsmittel hielt: Nudeln, Kartoffeln, Kaffee, gute Butter etc. Dann entschwand er wieder unter lautem I A durch die leicht schockierte Urlaubermenge.
Die Tage gingen ins Land und bevor die Gutwetterperiode zum Ende kam, hatte Rigo noch etwas Besonderes vor. Die Tide lag günstig, sodass er bereits am frühen Morgen mit dem ablaufenden Wasser ins Watt gehen konnte. Dies war wichtig, da Rigo vorhatte, der Sandbank Blauort weit draußen im Wattenmeer einen Besuch abzustatten. Rigo Walder kannte in dieser Gegend jeden Priel. Er kannte tatsächlich jeden dieser mal flachen und mal tiefen Wasserläufe in den Sänden, die die Ebbe zurückließ, und die bei auflaufendem Wasser schon manchem unkundigen Wattwanderer den Rückweg abgeschnitten hatten. Rigo suchte seine Sachen zusammen und packte abends noch seinen Rucksack. Nur den Kompass nicht vergessen. Wenn Nebel aufkommen würde, wäre er sonst im Watt verloren. Er würde im Kreis laufen, bis die Flut dem Herumirren ein Ende bereitete. Vier Liter Wasser in Plastikflaschen packte Rigo ein. Der Morgen kam und Rigo war schnell auf den Beinen, kochte Kaffee und frühstückte ausgiebig. Dann machte er sich auf den Weg. In weiter Ferne, gerade den Horizont überragend war verschwommen die Barke von Blauort zu erkennen. Rigo fasste sie ins Auge und marschierte los.
Nach vielen Stunden hatte er es geschafft. Die eiserne Leiter war ein willkommener Halt in der Einsamkeit des weiten Wattenmeeres. Rigo erklomm die wohl fünfzehn Meter bis zu der mit Riegeln gesicherten Tür des Rettungsraumes, öffnete diese und warf seinen Rucksack hinein. Dann rasch hinaus zur Schatzsuche. An der blauschimmernden, schlickigen Kante des Sandes setzte er seinen Spaten an. Große und kleine Stücke Bernstein verschwanden in seinem Beutel und um ihn herum holte sich die See langsam das vermeintliche Land zurück. Die Flut war da und mit ihr ein auffrischender Wind, der sich anschickte ein erster Herbststurm zu werden.
Im Schein der Notbeleuchtung breitete Rigo seine Beute zur Begutachtung aus. Neben den vielen kleineren Stücken, die feingeschliffen später Schmuckstücke bestücken würden, hatte er auch seltene, weißliche Bernsteine und einige große, goldschimmernde mit Einschlüssen, welche nicht nur als Schmucksteine einen Wert hatten, sondern auch naturhistorisch die Wissenschaft weiterbringen könnten. Aus einem Bernstein heraus schaute ihn ein garstig aussehendes Insekt an, welches vor Millionen Jahren im Hartz kleben geblieben und überdeckt worden war. Versonnen sah Rigo das Insekt an und es war als wenn das tote Tier zurückstarrte. Bei halbwegs klarer Sicht und Mondschein trat Rigo den Rückweg an. Nun aber kam der Nebel auf. Die Suppe war so dick, dass er ohne seinen Kompass sicher rettungslos verloren gewesen wäre. Endlich tauchte der Deich vor ihm auf. Er war zu Hause. Am folgenden Tag sah sich Rigo seine Beute noch einmal genau an und entschied die kleineren Bernsteine zu verkaufen. Das garstige Insekt wollte er aber fachkundig bearbeiten und fassen lassen. Was interessierte ihn die Wissenschaft und die eventuelle Bedeutung dieses Viehs. Es wäre ein schönes, gruseliges Geschenk für jemanden, den er kannte und schätzte.
Also ölte er nun endlich seinen Esel, bis dieser nur noch vereinzelt ein „I“ von sich gab und fuhr in den Ort zum Juwelier. Dieser alt eingesessene Geschäftsmann erschrak als er den verwahrlost wirkenden Menschen in seinem noblen Geschäft vorfand. Nachdem Rigo jedoch sein Anliegen vorgetragen hatte und das Geschäft bar abwickeln wollte zeigte der Juwelier sich professionell und diskutierte mit Rigo über die Fassung des Steines. Der Juwelier wollte, sich sogleich ans Werk machen und Rigo sollte in zwei Tagen wiederkommen, um dieses zu begutachten. Per Handschlag besiegelten sie das Geschäft. Beide waren sehr zufrieden, und der Juwelier wusch sich ausgiebig die Hände, um den leichten Fischduft zu vertreiben.
Das Jahr schritt voran und die Touristen wurden weniger. Die Souvenirs und auch viele Teile des Bernsteins waren verkauft. Das Bankkonto war prall gefüllt. Nicht so die Seele des Rigo Walder. Die langen Strandspaziergänge an den immer kürzer werdenden Tagen füllten ihn nicht mehr aus. Außerdem wurde es immer kälter und es versprach ein harter, langer Winter zu werden, der in einem Schafstall weit ab von der sogenannten Zivilisation nicht leicht zu ertragen sein würde. Die erste Kälte kam und das feuchte Strandgutholz reichte bei Weitem nicht aus, Rigos Heimstatt zu wärmen. So musste in diesem Spätherbst endlich das fatale Bild eines schrecklichen Unmenschen dem Feuer übergeben werden. Ohne Emotionen sah Rigo zu wie sich das Bildnis seines einst angebeteten Führers zu einem satanischen Lächeln krümmte und in den Flammen verging.
Neben der wohligen Wärme empfand Rigo auch ein Gefühl der Befreiung. In den letzten Jahren hatte er das Bild zwar nicht mehr bewusst wahrgenommen, aber es wurde höchste Zeit, die Vergangenheit aus seinem Leben zu verbannen. Zu vieles was gegen dieses unsägliche Menschenbild sprach, hatte er auf seinen Reisen erlebt. Ja was keiner wusste und keiner ihm zugetraut hätte, Rigo ging auf Reisen. Immer wenn es kalt wurde, mutierte der eingefleischte Eremit zu dem, was er in seinem Leben sonst verabscheute, zu einem Pauschaltouristen. Nicht etwa zum Rucksacktouristen, wie sein sonstiger Lebensstil es hätte vermuten lassen, nein, er wollte alles inklusive genießen und mochte auch gern einmal bedient werden.
Rigo Walder machte seinen Wohnbereich winterfest und verstaute alle noch halbwegs brauchbaren Sachen „einbruchsicher“ im baufälligen Bereich des alten Stalls welchen wie er hoffte kein normaler Einbrecher durchsuchen würde. Dann packte er seinen Seesack mit dem Nötigsten und vergaß auch nicht seinen Reisepass und die nappalederne Brieftasche mit seinen diversen Kreditkarten, dem Bargeld und, ganz wichtig, einem Blatt mit roten Klebepunkten. Er verschloss die alte Stalltür mit einem riesigen Vorhängeschloss und deponierte den Schlüssel unter einem Stein hinter dem Vorhof. Zu Fuß verließ Rigo seine Sommerresidenz. Niemand würde ihn vermissen und niemand nach ihm fragen. Nur die Angestellten seiner Hausbank hätten in der kommenden Zeit eine Ahnung davon wo er sich aufhielte, wenn sie seine Kreditkarten abrechnen würden.
Dann begab er sich zum Bahnhof, kaufte sich ein Billet erster Klasse nach Hamburg und bestieg den nächsten Schienenbus, der in die Kreisstadt fuhr. Von dort aus hatte er im Fernzug ein Abteil für sich. Da er weder duftmäßig noch aussehensmäßig dem Standard der Mitreisenden entsprach, suchten diese bei seinem Anblick das Weite und fanden dieses indem sie schnellstens ein anderes Abteil aufsuchten. Eigengeruch schafft Platz auf dem Weg, dachte Rigo. Auch der kritische Blick des Schaffners erheiterte ihn stark und er schmunzelte wissend in sich hinein.
In Hamburg angekommen, fuhr er in Richtung des Flughafens, in dessen Nähe er sich seit einigen Jahren bereits mit der stark heterogen veranlagten Stewardess Agnes Blaulicht und einem homosexuellen Steward Namens Paul Hinterseher eine Drei-Zimmer-Wohnung teilte. Die Wohnung lag direkt an einer Kreuzung zweier Hauptverkehrsstraßen in der vierten Etage ohne Fahrstuhl und war relativ kostengünstig zu haben. Außerdem wurde der Mietpreis ja noch durch drei geteilt. Auch wurde diese Wohnung von dem Dreierclub vorrangig nur als Sprungbrett in die Welt genutzt.
Vor seiner Wohnungstür angelangt, klingelte Rigo erst einmal höflich, um zu testen, ob jemand zu Hause war. Als niemand öffnete, kramte er seine Brieftasche hervor und entnahm einen roten Klebepunkt den er über dem Türschloss platzierte. Der Punkt zeigte allen, aber besonders Agnes an, dass Rigo im Lande sei. Diese Vorsichtsmaßnahme hatte Rigo eingeführt, da bei seinem vorletzten Besuch Agnes Blaulicht nicht mit seiner Anwesenheit gerechnet und angefangen hatte, wie eine Sirene loszuschreien. Nun passt zwar Blaulicht und Sirene ansonsten recht gut zusammen, muss in diesem Falle aber nicht unbedingt die Polizei auf den Plan rufen. Also wehret den Anfängen. Ein Anwesenheitszeichen musste gesetzt werden.
Erst einmal richtete Rigo sich häuslich ein. Seine Reiseanzüge und Wäsche mussten gelüftet werden und auch seine Person bedurfte dringend der Renovierung. Ein Bad, welches nicht nur den Trangeruch hinwegfegte, sondern auch durch Rosen-, Zitronen und Zedernholzdüfte ersetzen würde, war angezeigt. Und auch die struppigen, verfilzten Haare, deren naturbelassene Pomade die Ansiedlung unwillkommenen Getieres über die Sommermonate erfolgreich verhindert hatte sollten eine menschliche Frisur bekommen. So vollzog sich eine der seltsamsten Verwandlungen, welche selbst die Verpuppung einer Raupe und deren Entwicklung zum Schmetterling in den Schatten stellte. Siehe da, ein Mensch entstieg dem Bade.
Herr Walder war wiedergeboren. Er kämmte und bürstete sein üppiges Haupthaar und nachdem er sich rasiert und angekleidet hatte, verließ er die Wohnung, konsultierte einen Friseur und begab sich dann in den Brahmskeller, um zu speisen. So gestärkt, bummelte er durch die übervolle Großstadt. Zu seinem neuen Image welches eine Mischung aus Banker, Dandy, braun gebranntem Playopa und Weltreisendem hätte darstellen können, fehlte noch ein Spazierstock. Genau der, den er dort im Schaufenster sah, sollte es sein. Schwarzes Ebenholz mit einem geschwungenen, goldenen Knauf der in einen Schlangenkopf endete. Sehr schick fand Rigo und kaufte das Teil für einhundertdreiundachtzig deutsche Mark, also fast geschenkt.
So bewaffnet, schlenderte Rigo zurück in seine Winterresidenz, wo er sich vor den von Paul gesponserten Großbildfernseher setzte und sich berieseln ließ, während er über mögliche Reiseziele nachdachte. Schließgeräusche an der Wohnungstür ließen Rigo aus seinen Gedanken hochfahren. „Juhu!!! – Juhu!!!“ Tönte ein sirenengleiches Stimmchen aus dem Flur. Die Stubentür flog auf und herein stürmte Agnes und direkt in seine Arme. Eine noch herzlichere Begrüßung folgte, denn Agnes war Rigo gegenüber nie abgeneigt gewesen und hätte eine weitaus innigere Verbindung gern gesehen. Agnes war eine ausgesprochen ansehnliche Person mittleren „Jugendalters“. Ihre blonde Schönheit strafte jedoch jeden Blondinenwitz Lügen, da sie außerdem mit höherer Intelligenz gestraft war. Die geistige Unterforderung im Job wirkte sich positiv auf ein erhöhtes, privates Redebedürfnis aus und so wurden erst einmal die Erfahrungen der letzten Monate ausgiebig ausgetauscht, wobei Rigo peinlich genau darauf Acht gab, sein sommerliches „Raupendasein“ vor ihr zu verbergen. Bei dem Gespräch kamen sich die beiden körperlich recht nahe, was Rigo dann doch zu beunruhigen begann.
Nun war Rigo durchaus dem weiblichen Geschlecht zugetan, während er mit Männern nichts anzufangen wusste. Es gab nur ein Problem, was einer intensiveren Beziehung im Wege stand, seine alte Kriegsverletzung. Die Engländer hatten ihn nur am Kopf getroffen, insofern waren keine edleren Teile verletzt worden. Und Rigo hatte in seinem Leben das ein oder andere Mal auch sexuellen Kontakt gepflegt. Aber immer in den schönsten Sekunden hatte er das Gefühl, sein Kopf würde platzen und das Ersatzblech würde sich mit Lichtgeschwindigkeit verabschieden und dann um den Saturn kreisen. Diese Erwartung – Mir fliegt gleich das Blech weg! – war seiner Potenz nicht förderlich und so ließ er es lieber bleiben, zu innigen Kontakt zu pflegen. So vermied jedes mögliche Desaster.
Paul erlöste ihn aus den Fängen der aktiven, attraktiven Agnes. Er kam ziemlich erledigt zur Tür herein, als sei er die ganze Zeit selbst geflogen und alle Passagiere hätte dabei auf seinem Rücken Platz genommen. Die allgemeine Stimmung war plötzlich eine andere. Eine Zeitlang lamentierte, kokettierte und tuntete Paul herum, bis er sich mit einem Seufzer und einem Bierchen in den Sessel fläzte. Was für ein Tag. Paul wurde heute nicht alt, da er morgens bereits wieder Kurzstrecke fliegen sollte. Und so konnten Agnes und Rigo bald wieder ausgiebig klönen. Zu mehr reichte es sowieso nicht. Das hatte Agnes für heute begriffen. Ein wenig wurde ihre Frustration über den erneut misslungenen Angriff auf Rigo jedoch gemildert, als Rigo ihr einen wunderschön gefassten Bernstein an einer Silberkette schenkte, den er wie er ihr erklärte extra für sie unter Lebensgefahr ausgegraben hatte. Ein archaisches Insekt starrte nun jeden böse an, der es wagte einen Blick auf ihr Dekolleté zu werfen.
Rigo plante seinen Sommerurlaub und Agnes half ihm „uneigennützig“ dabei. Gern wäre sie mitgereist, konnte sich jedoch nicht so schnell beurlauben lassen. So sollte Rigo vorerst allein nach Ägypten reisen und eventuell wäre dann ja später auch noch ein gemeinsamer Kubaurlaub möglich?
Es war einer dieser seltenen Hochsommertage, an denen sich weder auf der Landseite hinterm Deich noch auf der Seeseite ein Lüftchen regte. Ein paar Kilometer vom Nordseeheilbad entfernt war der kleine „Grünstrand“ der Gemeinde Wesslingdeich zu finden. Hier am Deich zwischen einigen unvermeidlichen Strandkörben und ebenso unvermeidlichen Schafshinterlassenschaften hatte es sich Bernhard Gross bequem gemacht. Wie jedes Jahr, solange er denken konnte, verbrachte er hier den Sommerurlaub.
Ein kleiner Spaziergang würde ihm sicher guttun, dachte Bernhard. Einen Fuß vor den anderen setzend schlenderte er über den Seedeich zwischen dem Sommerkog und dem hoch eingedeichten Marschland, bis das große Entwässerungssiel in Sicht kam. Hinter dem Siel sollte die alte Kate eines eigenbrötlerischen Kauzes liegen, der Souvenirs aus gefundenen Gegenständen herstellte. Den hatten bereits die Kriegswirren hier stranden lassen. Nun schlenderte er weiter durch den lauen Sommertag, lauschte gedankenverloren dem Gesang einer Lerche hoch oben über ihm, bis er den Seedeich verlassen und das erreichte Siel auf der Straße umgehen musste. Aber dort war auch schon die Kate oder besser die Stallruine des merkwürdigen Mannes, der ihm von seiner Bank aus freundlich entgegenblickte.
Freundlich, mit einem leichten Akzent, der ihn an das Ostpreußische seiner väterlichen Sippe erinnerte, wurde Bernhard begrüßt und in die Geschichte einzelner Exponate, welche der Eremit auf dem Hof um sich versammelt hatte, eingeweiht. Es waren alles mit künstlerischem Verstand zusammengestellte und bearbeitete Gegenstände, die in einer zivilisierteren Gegend sicher einen noch höheren Preis erzielt hätten. Aber dieser alte Fuchs, der nicht nur gekonnt verhandeln konnte, sondern auch wie ein Fuchs duftete konnte, Bernhard für ein Ankerlicht eines untergegangenen Schiffes begeistern, welches er für einen angemessenen Preis erstand. Glücklich über den Kauf und Verkauf trennten sich beide und Bernhard zog mit seinem Licht von dannen. Der Rest des Urlaubs verlief ruhig und eintönig wie immer.
Bernhard dachte über die im Winter anstehende Studienreise nach. Er hatte eine Nil Fahrt geplant und wollte sich die Tempel und Relikte aus älteren Zeiten anschauen, um seine Studien sozialer Zusammenhänge zu vervollständigen. Bis dahin musste er noch etwas Geld beschaffen und seine Finanzen aufbessern. Wieder aus dem Urlaub zurück, begann Bernhard umgehend, seine geplante Studienreise finanziell auf sichere Füße zu stellen. Neben dem Studium, welches er versuchte nicht zu vernachlässigen, begann er einen Job als Fahrer für eine Firma die Bautenschutzmittel herstellte. Um seine Urlaubskasse auf erträglichere Art und Weise noch weiter aufzubessern, hatte Bernhard die ehrenvolle Aufgabe übernommen, bei einer Swing Band, welche regelmäßig den Cotton Club heimsuchte, an der Kasse zu sitzen. Das brachte zwar allen Beteiligten nicht viel ein, aber Kleinvieh macht bekanntlich ja auch Mist. Außerdem mochte Bernhard die Musik.
Nun saß er im Cotton Club und zählte das Kleingeld anderer. Alle hatten Spaß, der kleine Kornettist, der sich fast die Seele aus dem Leib blies, die Bandmitglieder und natürlich die Gäste, die immer noch hineinströmten und einen Platz im dichtverqualmten Raum suchten. Zwei weitere Gäste betraten den Club. Eine Dame von der Bernhard auf den ersten Blick nicht vermutet hätte, dass sie eine wäre. Also eine Frau, die recht kokett wirkte und die einen merkwürdigen Mann im Schlepptau hatte. Dieser Mann war nicht nur in diesem Club eine recht skurrile Erscheinung. gegeeltes Haar, braun gebranntes, markantes Gesicht, Anzug und ein Gehstock mit goldenem Knauf zierten diese Erscheinung. Er schaute Bernhard wissend an, lächelte, bezahlte seinen und ihren Obolus, und das Paar verschwand musikheischend im Qualm. Woher kannte Bernhard dieses markante Gesicht. Das Paar gehörte wohl nicht zu den Snobs aus Pöseldorf, einem Hamburger Stadtteil in dem es nach Bernhards Meinung hauptsächlich Snobs gab. Diese suchten in regelmäßigen Abständen die „verruchte“ Neustadt und den Cotton Club heim. Zu diesen Menschen gehörten die beiden wirklich nicht. Woher kannte Bernhard nur dieses Gesicht.
Auch in den folgenden Wochen musste Bernhard immer wieder an diesen merkwürdigen Mann denken konnte, ihn aber keiner Begebenheit zuordnen. Die Reise rückte näher und Bernhard dachte nicht weiter darüber nach. Die Urlaubskasse war ausreichend gefüllt und es konnte baldmöglichst losgehen.
Agnes hatte alles bis ins Detail geplant und organisiert. Der Ägyptenurlaub für Rigo war in Sack und Tüten und er war kostengünstig, da Agnes ihre Beziehungen hatte spielen lassen. Der Tag der großen Reise war endlich gekommen. Rigo hatte sich im Vorwege erneut, intensiv mit den Tempeln und Göttern der alten Ägypter auseinandergesetzt und fühlten sich für eine Pauschalreise ausreichend gewappnet. Der Urlauber wurde von Agnes zum Flughafen begleitet und dort überschwänglich verabschiedet, da sie zum Dienst auf einem anderen Flug eingeteilt worden war. Unter Küsschen und Tränen suchte sie das Weite und Rigo war froh als sie es dann endlich fand. Was für eine Frau! Aber fehlen würde sie ihm doch.
Bernhard stand mit seinem Koffer weit hinten in der Reihe zum Abfertigungsschalter, da er den Bus verpasst hatte. Er hasste es, so spät zu kommen, weil er dann sicher keinen guten Platz mehr bekommen konnte. Aber die paar Stunden würde er es selbst hinter den Toiletten aushalten. Weit vor ihm, am Schalter für die erste Klasse, sah er einen Kopf in der Menge, der ihm bekannt vorkam. Gegeeltes Haar, gebräuntes Gesicht. Der verfolgt mich nicht nur im Traum dachte Bernhard und hätte fast vor Schreck seinen Koffer nicht weitergeschoben. Die jammernde Freundin des Gegeelten entschwand gerade im Stewardessenkostüm durch die Mitarbeitertür, sodass deren Identität nun auch geklärt war.
Der so Verabschiedete war nach der Kofferabgabe längst in Richtung Sicherheitssperre entschwunden und Bernhard ging diese Gestalt wieder nicht mehr aus dem Sinn. Er kannte den Mann. Und er kannte ihn nicht nur aus dem Club. Es war zum Verrücktwerden. Nachdem Bernhard alle Vorflugschikanen durchlaufen hatte, pilgerte er noch bis zum Abflug durch die Duty-Free Shops und begab sich dann, nachdem sein Nummernbereich aufgerufen wurde, durch den Schnorchel ins Flugzeug. Er hatte doch noch einen Fensterplatz über den Tragflächen ergattert und der Flug verlief ruhig und ohne Probleme. Zwischen den mahlzeitlichen und verkaufstechnischen Unterbrechungen durch das Bordpersonal hatte Bernhard die Augen hauptsächlich geschlossen und dachte an den Gegeelten. Es war immer noch zum Verrücktwerden.
Das Niltal erschien unter ihnen und bald setzte der Flieger zur Landung in Luxor an. Auf dem Flughafen bei den Sicherheitskontrollen sah er ihn dann wieder. Der Gegeelte mit dem Stöckchen war bereits durch und begab sich schnellstens zu den weiterführenden Bussen. Den würde er wohl nicht mehr wiedersehen. Bernhard verbannte den Mann aus seinen Gedanken und wandte sich Naheliegenderem zu.
Also, selbst den Bus gesucht und ab zum Schiff, das für die kommenden Tage sein Hotel sein sollte. Schön geräumig und eigentlich für zwei Personen gedacht war seine Kabine, und Bernhard richtete sich häuslich ein. Dann, bei der Touristeneinweisung in der Lobby war der Kerl, den er schon fast vergessen hatte, wieder da und lächelte ihm freundlich zu. Penetranter Mensch, dachte Bernhard und wendete sich wieder den Ausführungen des gebrochen deutschsprechenden Reiseleiters zu.
Der Fünf-Uhr-Tee mit Gebäck führte dazu, dass der lächelnde Mensch wieder in Sicht kam. Dieses Mal kam er direkt an Bernhards Tisch und fragte höflich ob der Platz noch frei wäre. „Jetzt nicht mehr“, sagte Bernhard etwas patzig als Rigo sich setzte. Sollte das etwa ein Gespräch werden? Rigo schaute Bernhard lange an, dass es diesem schon peinlich wurde und fragte dann: „Na, geht dir ein Licht auf, wer dich hier nervt? Oder sogar ein Ankerlicht?“ Bernhard wäre vor Schreck und Erkenntnis fast umgefallen, hätte der Sessel keine Lehnen gehabt. Es war tatsächlich der Eremit von dem er das alte Ankerlicht erworben hatte. Niemals hätte er diesen hinter der Fassade dieses geschniegelten Menschen vermutet. Niemals hätte er diesen erkannt.
Nun begrüßten sie sich wie zwei alte Bekannte, fast freundschaftlich, und Bernhard erklärte Rigo welchen Eindruck er von diesem gewonnen hatte. „Ja, ja, sagte Rigo, „beurteile nie einen Menschen nach seinem Aussehen, oder nach einer Situation in der du ihn antriffst. Blicke hinter die Fassaden der Menschen.“ Leichter gesagt als getan. Aber diese beiden sollten auf dieser Reise so unzertrennlich werden, dass manche Herren vom Personal sich bedeutsame Blicke zuwarfen und die Augen verdrehten, wenn das ungleiche Paar auf der Bildfläche erschien.
Tea Time! Rigo und Bernhard trafen sich nach einer weiteren, für Bernhards Studium interessanten, Besichtigungstour auf dem Oberdeck zu Tee und Kuchen. „Bevor ich es vergesse, hier sind meine Adresse und Telefonnummer, damit wir uns nicht aus den Augen verlieren.“ sagte Bernhard und gab Rigo einen Zettel mit seinen Daten, welchen Rigo dann in seiner Westentasche verstaute. „Danke. Wo du mich im Sommer findest, weißt du ja. Aber ich schreib dir auch noch meine Winteranschrift auf. Sie nahmen Ihren Tee und bewunderten die Kulisse des beeindruckenden Luxor Tempels und das geschäftige Treiben auf der Uferstraße.
Nil aufwärts gen Süden ging am nächsten Tag die Fahrt. „Tempel, Tempel, Tempel. Alles sehr interessant,“ meine Bernhard. „Aber das Schönste ist doch, hier an Deck zu sitzen und die exotische Landschaft an sich vorbeiziehen zu lassen.“ Bernhard begab sich nach dem Essen in seine Kabine, um ein Mittagsschläfchen zu halten. Der Schreck durchfuhr ihn, als er seine Zimmertür nur angelehnt vorfand. Als er sie einen Spalt öffnete, sah er eine Frau am Boden sitzen. Sie hatte einen „Alibieimer“ mit Wasser und Schwamm neben sich stehen und war in eine Zeitschrift vertieft, die augenscheinlich nichts mit züchtigen ägyptischen Ausgaben zu tun hatte. Einige Zeit sah sich Bernhard die skurril wirkende Situation an. Er hatte hier an Bord bisher ausschließlich Männer gesehen, abgesehen von den reichlich vorhandenen Touristinnen. Hier saß nun ein rund zwanzig Jahre altes Mädchen in langem Kleid, mit züchtig, das Haar bedeckendem Kopftuch und bloßen Füßen am Boden und las in einer Zeitschrift. Augenscheinlich hatte sie sich mit ihren Säuberungsutensilien hierher zurückgezogen, um in Ruhe die neuesten, westlichen Moden bestaunen zu können. Der Hautfarbe nach ist sie sicherlich eine Nubierin, überlegte Bernhard. Da er von Rigo erfahren hatte, dass man in diesen Breiten nicht mit einer Frau allein in einem Raum sein durfte, ohne damit ihre Ehre zu verletzen, machte er sich durch ein Räuspern bemerkbar.
Völlig erschreckt sprang die junge Frau auf, griff nach ihrem Eimer und der Zeitschrift und lächelte ihn unter ihrem Kopftuch mit gerötetem Gesicht verschämt und ertappt an. Dann drängte sie sich an ihm vorbei auf den Gang, um aber sofort wieder umzudrehen, weil ein männliches Besatzungsmitglied um die Ecke des Ganges bog. Nun standen sie sich bei geschlossener Zimmertür nahe gegenüber. Bernhard wusste nicht so recht mit der durchaus verfänglichen Situation umzugehen und stand da wie ein begossener Pudel. Er hatte beide Arme zu den Seiten abgespreizt wie eine Vogelscheuche, nur um sie nicht berühren zu müssen. Außerdem ging ihm ein Gespräch mit Rigo durch den Kopf, welches die Strafen bei sexuellen Kontakten mit Einheimischen zum Thema hatte. Es war noch nicht das Geringste passiert außer, dass sich deutlich etwas in seiner Hose abzeichnete, was wohl durch diese Gedankenspiele hervorgerufen wurde. Alles war in wenigen Sekunden geschehen. Er stand da, direkt vor ihr, mit ausgestreckten Armen und hochrotem Kopf. Die junge Frau schaute ihn an und dann zur Seite. Sie fing an zu glucksen, bis sie ihr Lachen nicht mehr zurückhalten konnte. Ihr schallendes Gelächter hätte sicher die gesamte Mannschaft auf den Plan gerufen und so biss sie unter Tränen in das erstbeste was sie erreichen konnte, um nicht laut werden zu müssen.
Das war Bernhards Schulter. Einen Schmerzensschrei konnte er sich gerade noch verkneifen, aber er konnte es nicht verhindern, dass sie sich beide nun sehr nahegekommen waren, und sich in den nicht mehr ausgebreiteten Armen lagen. Nachdem die Augen von Lach- und Schmerzenstränen frei waren, sahen sich beide lange Zeit an. Alle Vorsicht war dahin und er schloss sie fest in seine Arme. Irgendwann, nach dem Unvermeidlichen was geschehen war, schlief der überanstrengte und übermüdete Bernhard ein. Als er nun doch noch zu seinem Mittagsschläfchen kam, verließ sie leise und ohne zurückzublicken mit ihren Utensilien das Zimmer und Bernhard sah sie auf dieser Reise nicht wieder.
Rigo saß immer noch an Deck in Erwartung der Abendessenzeit, als Bernhard verschlafen, aber mit einem verräterischen Grinsen im Gesicht wieder auf der Bildfläche erschien. „Na, gut geschlafen? – Hast du was geraucht? Du grinst ja wie ein Honigkuchenpferd“, meinte Rigo, als er den leicht dahinschwebenden, jungen Freund kommen sah. Bernhard lächelte verschämt in sich hinein, aber antworte nicht. Ein zweifelnder Blick von der Seite musterte Bernhard, aber sein Freund beließ es vorerst dabei.