Seelensucher 4 - Sophie Hilger - E-Book

Seelensucher 4 E-Book

Sophie Hilger

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Beschreibung

Loch Ness - kaum ein See birgt mehr finstere Geheimnisse. Aber ist "Nessie" tatsächlich der Grund für den verzweifelten Hilferuf, der Amber und Hailey dazu bewegt, wieder nach Schottland zu reisen? Lucy, die Tochter eines Fischers, wandelt jede Nacht hinunter zum Wasser, um verschwörerisch mit einem Wesen zu tuscheln, das nur sie wahrnimmt. Und auch sonst herrscht bei der Ankunft der Seelensucher eine düstere Stimmung. Das mysteriöse Verschwinden ihrer Auftraggeberin lässt nichts Gutes hoffen und die Seeleute im Ort raunen hinter vorgehaltener Hand morbide Geschichten über eine "dunkle Wiege" am Grund des Sees. Existiert das Monster von Loch Ness tatsächlich? Als ein übel zugerichteter Tierkadaver am Ufer angespült wird und eine sehr unbequeme Seele sich an Ambers Fersen heftet, wird eine alte Legende plötzlich zur realen Gefahr. In Teil 4 des Dark Fantasy-Serials "Seelensucher" erwacht eine alte schottische Überlieferung zum Leben. Was versteckt sich denn nun in den Tiefen des sagenumwobenen Loch Ness? Zeit, es herauszufinden ...

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Seitenzahl: 166

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Inhaltsverzeichnis

Peter Pan

Der König der Seen

Das Wiedersehen

Die dunkle Wiege

Bin ich tot?

Trauertag

Tante Amber

Lucy

Lass ihn nicht Weglaufen!

Die Festung

Klabautermann

Verwandlung

Fischfutter

Sie erwarten uns bereits

Meerjungfrau oder Schmetterling

Urquhart Castle Aufgenommen von der Autorin

Das Abenteuer geht 2021 Weiter

1. PETER PAN

L och Ness – kaum ein See trägt so viele Geschichten in seinem dunklen Bauch. Fast so tief wie der Eiffelturm hoch und lang wie 370 Fußballfelder, zieht er einen sauberen Schnitt mitten durch die Schottischen Highlands.

Von hier oben passte er einfach perfekt in die grünen Hügel hinein. Mit Wolkenschatten besprenkelt schmiegten sie sich an seinen glitzernden, schlangenartigen Leib wie liebende Eltern.

»Hailey«, meine Stimme klang belegt und ich räusperte mich eilig. Nicht, dass noch jemand mitbekam, wie viel Liebe ich für den Anblick dort unten verspürte, ohne es zu wollen. »Sieh dir das an und sag mir, was du fühlst.«

»Ich kann dir sagen, was ich fühle«, Hailey klammerte sich an die abgewetzte Lederschlaufe über ihrem Kopf und stöhnte. »Einen verfluchten Krieg fühle ich. Zwischen den Pancakes vom Frühstück und meinen Innereien.«

Das erklärte natürlich, warum sie schlagartig so still geworden war … und so blutleer. Kunststück bei ihrer Hautfarbe. Sie besaß alle Vorzüge, die man mit einer afrikanischen Mutter und einem schottischen Erzeuger besitzen konnte. Weder sie noch ich kannten ihre Eltern wirklich, aber sie mussten beide sehr schön gewesen sein.

Und ihre Hautfarbe war die perfekte Mischung aus beiden.

Hailey selbst nannte sich gern „leckere Milchschokolade“. Im Moment war sie eher ein fader Diät-Joghurt.

»Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich jetzt heimlich testen, ob du überhaupt noch ein Spiegelbild besitzt, Gräfin.«

»Ach, halt doch die Klappe, Amber! Ich höre einfach nie wieder auf dich, du schreckliche Person. Nie wieder. Erinnere mich daran! Nie wieder.« Sie kauerte sich in Embryonalstellung in ihrem Sitz zusammen und die letzten Töne, die sie noch verließen, waren ein kläglicher Mix aus jammern, würgen und schimpfen, dann verstummte sie vollständig. Ich ließ sie besser in Ruhe. Wenn sie schon nicht mehr imstande war, eine kreativere Beschimpfung als schreckliche Person für mich zu finden, war die Lage eindeutig ernst.

Okay, vielleicht war es nicht der beste Plan gewesen, Bill zu erzählen, dass wir uns schon wieder auf den Weg in das Land der Heiden und Proleten machten, wie er immer liebevoll zu sagen pflegte. Aber wer hätte sonst Ozzy in Zaum gehalten?

Und es war bestimmt auch nicht die tollste Idee, sein Angebot anzunehmen, was diesen Kollegen und seine Propellermaschine anging. Aber mit dem Zug wären wir wieder ein halbes Leben unterwegs gewesen. Außerdem saß mir unsere letzte muntere Eisenbahn-Fahrt noch in den Knochen.

Ich hatte ja auch nicht ahnen können, dass gerade heute die Luft über den Highlands durchlöchert sein musste wie die Inneneinrichtung dieses Flugzeuges. Falls man es überhaupt noch als Flugzeug bezeichnen konnte. Wohl eher als umfunktionierte Sardellenbüchse mit dem betörenden Duft eines defekten Dieselbusses. Das Ungetüm hatte seine besten Tage eindeutig hinter sich.

Keine Sorge, hatte Bill vor dem Start verlautet und der Klapperkiste aufmunternd auf die zerbeulte Seite gehauen wie einem alten Gaul auf seinem letzten Weg zum Schlachter. Das Ding fliegt wie ne Eins. Ich hab das selbst getestet.

Hailey hatte von mir zu Bill gestarrt, als könnte sie sich nicht entscheiden, wen sie zuerst würgen sollte, und ich war nicht umhin gekommen, den abgewetzten Schriftzug auf der Flanke des guten Stückes auf mich wirken zu lassen. Peter Pan.

Ob Peter Pan inzwischen auch so verdammt alt war wie dieser Blecheimer und nach Mottenkugeln und Gebiss-Reiniger müffelte, wenn er blind gegen die Fensterscheiben der schlafenden Kinder krachte?

Ach nein, Nimmerland! Ich Dummkopf. Peter Pan wurde ja gar nicht alt. Naja, Märchen waren noch nie mein Ding gewesen. Es war ernüchternd, immer wieder darauf gestoßen zu werden, dass die gruseligsten Dinge aus all diesen Geschichten tatsächlich existierten.

Gedankenverloren blickte ich hinunter zu dem See, der damals für mich die Welt bedeutet hatte, und konnte es kaum erwarten, wieder der Stille zu lauschen, die ihn umhüllte. Urquhart Castle hatte mir gefehlt. Manchmal, als ich noch klein war, hatte ich mich nachts davon gestohlen, um über die Absperrungen zu klettern, und mich auf das zerfallene Gelände zu schleichen. Die Energien hatten mich überwältigt, auch wenn ich in dem Alter noch nicht gewusst hatte, wie man mit Seelen kommunizierte. Als ich zurückkam, wurde ich jedes Mal in die dunkle Kammer gesperrt, aber das war es mir wert gewesen. Jedes einzelne Mal.

Und dieses Mädchen … Was ihm wohl fehlte … Ob es dort unten tatsächlich Nessie …

»Ladies, anschnallen, Rauchen einstellen und den ganzen Unsinn. Wir landen«, brüllte Bills Kollege monoton über den unerträglichen Lärm hinweg, den seine Maschine in der Luft fabrizierte. Bei mindestens der Hälfte der Geräusche konnte ich gut und gerne auf eine nähere Erläuterung verzichten.

»Hailey, wir landen!«, rief ich aufmunternd zu ihr herüber, aber sie streckte mir nur ihren Mittelfinger entgegen. Wahrscheinlich würde sie mich vermöbeln, wenn wir unten waren. Oder zumindest Bill, sobald wir zurück in Devon ankamen.

Der Pilot riss übertrieben abrupt das Steuer nach links und Peter Pan warf sich ächzend auf die Seite. Es knarrte, wie zu einem letzten Aufbäumen, Hailey jaulte und ich klammerte mich krampfhaft an den muffigen Sitz vor mir. Etwas direkt unter unseren Füßen surrte und krachte, dann steuerten wir geradewegs auf das dunkelblaue Wasser des Loch Ness zu – in einem Affenzahn.

»HALLO? Hey Mann, sind Sie weggeschlummert, oder was?«, rief ich zu Bills Kameraden nach vorn, der aus seinem Sekundenschlaf zu erwachen schien und das Fluggerät wieder gen Himmel riss, als wollte er einen Salto schlagen.

»Tschuldigung, die Damen. Das Steuer klemmt ab und zu. Ist eben nicht mehr der Jüngste, genau wie ich.«

»Bei dir klemmt auch gleich etwas. Nämlich mein Fuß in deiner Visage, du alter Zausel«, hatte Hailey offenbar neuen Lebensmut gefasst.

Auch mir wurde nach der zehnten Pirouette etwas mulmig zumute. Diese Show hier war eher eine Berg- und-Tal-Fahrt, als eine Landung und Tiefergehen war für unseren Piloten gleichbedeutend mit Freier Fall. Ich verlor endgültig den Glauben an seine Kompetenz und wäre ich mit einer Treue zu Gott gesegnet, ich hätte vorsichtshalber mein letztes Gebet gesprochen.

Hailey zeterte und hieb mit der Faust in die Luft, dann wurde sie wieder totenstill, es fiel der ein oder andere derbe Fluch und schließlich schlugen wir endlich unsanft auf dem Boden auf, wie ein Sack Kartoffeln, den jemand aus dem zehnten Stock geworfen hatte.

»Bitte bleiben Sie noch angeschnallt, bis wir stillstehen und … den kompletten Blödsinn halt«, murrte Bills Kumpel unbeeindruckt aus seinem Cockpit und ich öffnete den abgewetzten Gürtel, der ein Gurt sein sollte, um stöhnend den Rücken zu dehnen.

»Zu diesem Irren bekommen mich keine zehn Kelpies mehr an Bord, nur damit du gleich Bescheid weißt«, keuchte Hailey mit Schweißperlen auf der Stirn.

Ich war einfach nur glücklich und überrascht, dass wir beide noch am Leben und bei Bewusstsein waren.

»Macht hundert Mäuse«, brummte unser Pilot hinter einer Zigarette hervor und grinste über das komplette graue Gesicht, als wir zitternd aus Peter Pan kletterten.

Hailey verzog den Mund zu einer schaurigen Maske. »Dir werd ich …«

»Danke, dass Sie uns hergebracht haben.« Ich griff ihren Koffer und schob an ihrem zappelnden Körper. »Aber für den Rückweg haben wir schon eine andere Mitfahrgelegenheit. Viele Grüße an Bill.«

»Wie auch immer.« Er hob die Hand und zog sich mit den dürren Armen wieder in sein windschiefes Gefährt.

»Lass mich los, du Tyrannin!« Hailey schubste mich weg und strich ihren moosgrünen Mantel glatt. »Ich glaube, die Pancakes gewinnen den Kampf doch noch.«

Das Flugzeug holperte schon wieder über die unebene Startbahn, während Hailey, auf ihre Knie gestützt, zu überlegen schien, ob sie sich nun übergab oder nicht.

»Möchtest du vielleicht einen Schluck Wasser?« Ich kramte in meinem Koffer.

»Warte mal!« Sie hob den Arm und ich erstarrte.

»Ja?«

»Warte!« Sie schloss die Augen und schnupperte.

»Was denn? Was hast du?« Fragend blickte ich mich auf dem kleinen Flugplatz um. Nichts zu sehen.

»Ich … ich brauche …« Sie richtete sich auf und sah mich mit schief gelegtem Kopf an. »…brauche …«

»Was? Was brauchst du??«

»DEIN BLUUUT!«

Unvermittelt machte sie einen Satz auf mich zu.

»Ich will dein Bluuuuuut.« Sie klammerte sich an mir fest und versuchte, mir in den Hals zu beißen. Ich schob sie schimpfend von mir weg. »Hör auf, du Verrückte!«

Sie musterte mich klug. »Du hättest den Spiegelbildtest machen sollen. Tssss, als wäre ich jemals blass. Guck dich an, du Weißbrot!«

»Schon klar.« Kopfschüttelnd blickte ich dem Flugzeug nach, das sich mit stotterndem Motor im Zickzackkurs entfernte.

»Meinst du, er kommt je wieder lebendig in England an?«

2. DER KÖNIG DER SEEN

D er Fahrer, den Bond uns organisiert hatte, war sehr diskret. Er half uns mit den Koffern, lächelte höflich und hieß uns in Schottland Willkommen. Dabei blieb es. Sogar Haileys »Außer dass unser Pilot ein kettenrauchender Freak war, den seine Schlafkrankheit voll im Griff hatte, fühlen wir uns sehr Willkommen« ließ er unkommentiert. Keine schlüpfrigen Bemerkungen über lesbische Liebe oder Hasstiraden auf einheimische Tierrassen. Ungewohnt angenehm.

Selbst unser Land empfing uns ungewöhnlich zahm. Wir fuhren bedächtig durch ein Waldstück und die Sonnenfetzen, die sich mit den Baumschatten abwechselten, legten sich ganz sanft auf mein Gesicht. Kurz darauf erreichten wir Loch Ness. Wie ein gewaltiges schlafendes Tier lag der König der Seen in seinem Bett aus Hügeln. Das Wasser war so tief, dass es schwarz wirkte und glatt wie ein Spiegel. Verstohlen äugte ich hinüber zu Hailey, die verliebt nach draußen sah.

»Da sind wir wieder, was, Hailey?«

»Aye!« Sie drehte den Kopf und strahlte mich an wie ein Kind, das den Weihnachtsmann gesehen hat.

In diesem Moment, es war nur ein Augenblick, der Bruchteil einer Sekunde, ein Wimpernschlag, sah ich etwas dort draußen in dem dunklen Wasser. Es tauchte kurz zwischen den Wellen auf und verschwand sofort wieder. Ich hatte sehen können, wie die Sonne auf ihm glitzerte. Aber der See war zu glatt für Wellen, der Tag zu lieblich für Windböen.

»Amber, ist alles okay?«

»Ja … ja, ich dachte nur …« Angestrengt stierte ich hinüber zum See, an dessen Ufer wir uns direkt entlang tasteten. Die enge Straße bestand aus Serpentinen und immer wieder versperrten Bäume und Büsche mir die Sicht.

»Du dachtest was? Siehst du Nessie etwa schon, bevor wir überhaupt richtig da sind?«

»Wenn es Nessie wirklich gäbe, hätte ich ihn schon lange gefunden.«

»Sie«, korrigierte Hailey. »Man vermutet, Nessie sei ein Mädchen und im Begriff, dort unten im Schlick Nachkommen großzuziehen.«

»Ach niedlich, ein Ungeheuer-Mädchen mit süßen Ungeheuer-Babies«, stichelte ich, einfach nur, weil ich es liebte, sie zu ärgern.

»Mit wem rede ich hier eigentlich, gòrach*…« Mit verschränkten Armen drehte sie sich wieder zu ihrem Fenster, ihrem Schottland, ihrem Loch Ness.

Ich wusste, dass sie recht hatte. Am Grund des Loch Ness sah es aus wie in einem matschigen Gruselwald.

Algen, Schlamm und ein immer währender Unterwasser-Nebel machten jede Suchaktion nach Nessie zu einem nutzlosen Unterfangen. Vollkommen egal, wie gut organisiert sie war. Und ich war mir absolut sicher, dass dort unten etwas wohnte, aber gleichzeitig auch stinkwütend, dass ich es bisher noch nicht gefunden hatte. Blieb nur zu hoffen, dass es ein nettes Monster war. Anders als Macy …

»Dieses hässliche Kelpie«, las Hailey meine Gedanken und sah mich mit düsterem Blick an.

»Meinst du, es schlummert jetzt für immer dort unten in seiner Seepferdchen-Höhle?«

Ich blickte weiter starr an ihr vorbei. »Es hat keine Angst, aus der es zehren kann. Keinen Tod, der es hervor lockt. Das Böse wird nur durch Böses stark. Das Schlechte labt sich an Wut und Trauer. Und aktuell ist es schwach.«

»Aber dieses Mädchen.« War das etwa Sorge in ihren Augen? »Was, wenn dieses Ding da draußen wieder das Kelpie ist? Was, wenn es das ist, was sie immer wieder zum Loch Ness zieht?«

»Entspann dich! Das glaube ich kaum.« Gedankenverloren huschten meine Augen über die glatte Seefläche, in der sich die Hügel der Highlands noch einmal identisch wiederfanden, wie eine Parallelwelt, die man nur erkunden konnte, wenn man mitten hinein sprang. »Und falls doch, werden wir das sehr schnell merken. Das Kelpie liebt es, zu spielen.«

Wir luden unser Gepäck in einem Hotel unweit des Urquhart Castle ab. Natürlich hatte Bond uns ein Zimmer in Safe Haven angeboten, allerdings führte da für Hailey kein Weg hinein. Und ich fand es ebenfalls günstig, näher am Ort des Geschehens zu sein. Immerhin waren wir nicht nur zum Spaß hier.

»Hat diese Frau sich denn noch einmal bei dir gemeldet?«, fragte ich, während ich meinen Koffer durch den schmalen Gang in Richtung unserer Zimmernummer schleifte.

»Nein, gar nicht«, antwortete Hailey, als würde ihr das erst jetzt auffallen. »Und erreichen konnte ich sie auch nicht mehr. Kein Anschluss unter dieser Nummer.

Naja, ich dachte, wir kommen erstmal her. Leute wechseln ihre Handys heutzutage eben wie Socken. Da ein Sonderangebot. Zwei zum Preis von einem, dort ein Auto und ein Handy und hey, Gewinnen Sie dieses formschöne iPhone. Beantworten Sie dazu nur folgende Frage: Wie viele linke Arme haben Sie? a: grün b: Donald Trump oder c: einen. Uff … Sorry!« Sie wuchtete ihre Taschen geradewegs in meine Hacken.

»Ja, klar. Verstümmel mich nur wied…«, begann ich, da durchschoss mich jäh eine solche Eiseskälte, dass ich an den Stufen festfror.

Eine Präsenz. Ich hasste es, dass sie das mit mir taten, ohne dass ich Kontrolle darüber hatte. Mein Herz begann zu flattern. Etwas sickerte langsam und zäh durch die Kälte, das meinen Körper schwer werden ließ wie einen Sandsack. Zwei Stufen noch, dann bist du oben. Komm schon, nicht nach vorn sehen.

»Du musst sie töten«, wisperte eine keuchende Stimme zu nah bei mir, die das Gefühl noch an Heftigkeit übertraf.

Meine Lippen wurden taub, ich hatte Mühe, mich auf den Beinen zu halten.

»Deshalb bist du doch gekommen. Töte die Schlampe!«

Sie musste direkt über mir stehen, auf dem Treppenabsatz. Zögernd hob ich den Kopf.

»Töte sie, Amber Woods!« So viel Wut lag in diesen Worten. Hass, der mich ganz taumelig machte.

Weiße Füße mit dünner, durchscheinender Haut bespannt.

Noch ein Stück.

Nackte graue Beine, vollkommen zerkratzt und von schorfigen alten Wunden übersät, ein weißes Nachthemd. Es klebte an einem spindeldürren Körper. Hände mit langen Fingern und schmutzigen Nägeln, die zitternd unbekannte Worte in die Luft zeichneten. Die Arme, fast nur noch Knochen. Und über und über schwarze Hämatome. Sie bedeckten diesen untoten Körper wie eine kranke zweite Haut. Als sei sie gezeichnet von einem heftigen Kampf. Um einen war eine dicke Alge gewickelt. »Wirst du es tun?«

»Amber?«, fragte Hailey verunsichert hinter mir.

Sie konnte sie nicht sehen.

Der ausgezehrte Körper machte eine abrupte zuckende Bewegung in meine Richtung und ich wäre beinahe hintenüber gefallen, konnte mich aber gerade noch fangen.

Mit einem anhaltenden Röcheln aus toten Lungenflügeln beugte sie sich mühsam zu mir herunter. Unsere Nasenspitzen berührten sich fast. Weiße Augen, tief in die Höhlen gesunken, starrten direkt in meine hinein. Blondes Haar klebte nass an ihren Wangen. Langsam, ganz langsam, verzog sich ihr Gesicht zu einem fletschenden Grinsen. »Du bist meine Freundin. Du wirst mir helfen.«

Frostiger Atem wie fauliger Schlamm.

Ihre schmutzigen Finger näherten sich meiner Wange, malten weiter unlesbare Zeilen in die staubige Luft, tanzten hinüber zu meinem Haar, ohne es wirklich zu berühren.

Mein Herz raste. Ich kämpfte mit Macht gegen die Kälte an.

»Ich mag dich. Aber SIE werden dich nicht mögen. Pass besser auf.« Ihre Stimme rasselte und brach.

Ich nahm einen langen, tiefen Atemzug, ballte die Hände zu Fäusten und streckte die Brust heraus.

»Geh aus dem Weg!« Meine Stimme klang fester, als ich gehofft hatte, und ich lehnte mich ihr widerwillig entgegen.

Ihre trüben Augen weiteten sich und das Grinsen verschwand.

»Pass besser auf!«, zischte sie und riss ihre Hand von mir fort. »Pass auf, Amber Woods!«

Dann drehte sie sich um und ging in unwirklich ruckartigen Bewegungen den Gang in Richtung unseres Zimmers hinunter.

»Amber?«, fragte Hailey erneut. »Wer war da?«

Ich schwieg, solange ich die schweren, schleifenden Schritte und das Brodeln der kaputten Lunge noch hörte.

»Diese Frau«, sagte ich schließlich. »Kannst du noch einmal versuchen, sie zu erreichen?«

3. DAS WIEDERSEHEN

S tolz wie ein Schulkind, das sich eine Eins in Betragen verdient hatte, füllte Bond unsere Tassen.

»Apfel-Orange mit einem Hauch Zimt und sehen Sie hier …« Er hob zwei Stiele mit Kandiszuckerklumpen, die aussahen wie Pferde, in die Höhe und reichte sie uns. »Kinder lieben Pferde, richtig? Jeder bekommt beim Abendessen ein eigenes.«

Mir schnürte sich der Magen zusammen, aber ich zwang mich zu einem Lächeln und ließ das Ding blitzschnell in meinem heißen Tee verschwinden.

Stirb, Kandis-Wasserpferd!

»Fabelhaft«, gurrte Hailey, nachdem sie vorsichtig an ihrer Tasse geschlürft hatte. »Wie frisch gepflückt in Italien.«

»Tatsächlich?« Bond riss begeistert die Augen auf.

»Ja, wirklich. Die Kinder lieben ihn mit Sicherheit.«

»Was sagen Sie, Miss Woods?« Er neigte den Oberkörper in meine Richtung und strahlte mich an. Die Situation war skurril. Teekränzchen mit einem Ex-Navy-Admiral in einem uralten Haus voller dunkler Erinnerungen. »Ist mir noch zu heiß«, redete ich mich achselzuckend heraus.

»Sie ist die Eisprinzessin«, warf Hailey schmunzelnd ein.

Bond schnaubte amüsiert und ließ sich in seinem Stuhl zurücksinken. Sein Blick war wieder klar, die Haltung stark und aufrecht, sein Gesicht ganz und gar nicht mehr ausgezehrt. Das Haus gab Ruhe. Endlich.

Ich hatte es schon beim Eintreten gefühlt. Es war so neutral wie nach einer guten Reinigung. Böses nährte sich von Bösem. Und wurde es stärker, zog es mehr Böses nach sich. Ein Teufelskreis, den man durchbrechen musste, wenn man nicht mitgerissen werden wollte.

»Diese Macy«, Hailey betrachtete gedankenverloren ihr Kandiszuckerpferd. »Haben Sie die je wiedergesehen?«

»Nein.« Bond wirkte betrübt. »Sie ist das einzige Kind, das nie wieder auftauchte.«

»Kein Kind.« Ich richtete mich auf und ging zum Fenster hinüber, um der großen Linde dabei zuzusehen, wie sie ihre jungen Blätter in dem seichten Wind wiegte, der inzwischen aufgekommen war. »Sie war nicht das, was sie Ihnen vorgespielt hat. Und das Ding, das sie war, ist weit entfernt von einem Kind.«

Eine ganze Weile sagte niemand etwas. Ich lauschte dem Ticken der Uhr auf dem Kamin. Unten auf der Wiese malten zwei Mädchen etwas in ihre großen Blöcke. Eines der Bilder zeigte eine Sonne. Ich konnte es von hier oben erkennen.

»Kein Kind? Was war sie bitte dann, Woods? Und wo ist sie hin?« Bond klang, als würde er die Antwort nicht wirklich hören wollen, aber wer fragte, musste mit den Konsequenzen leben.

»Die Wahrheit?« In einem Zug drehte ich mich zu ihm um. Er saß an seinem Tisch wie vom Donner gerührt. Hailey biss ihrem Kandispferd mit einem Krachen den Kopf ab.

»Ja, sicher.« Er räusperte sich. »Ich habe in meinem Leben schon so einige Wahrheiten wegstecken müssen.«

»Aber die hier ist anders«, schmatzte Hailey unter ihrem zuckrigen Pferdekopf.

»Ich weiß, dass Sie beide nicht zum Renovieren hier waren. Sie sprechen mit Geistern, dafür werden Sie bezahlt. Ich bin kein Idiot. Aber ein Geist kann sie ja wohl schlecht gewesen sein. Wir alle haben sie gesehen. Die Kinder, ich. Und sie hat nie …«

»Ein böses, altes Wesen«, unterbrach ich ihn. »Sie ist ein Dämon, der in den Schottischen Lochs haust und sich von Angst und Tod ernährt.«

Er grunzte verunsichert. »Jetzt hauen Sie aber auf die Kacke, Woods.«

»Hören Sie ihr lieber zu.« Hailey biss dem Pferd die Brust vom Hinterteil.

»Sollten Sie ihr noch einmal begegnen, sollte Sie hier je wieder aufkreuzen, rufen Sie uns an und sein Sie auf der Hut. Sie wittert es, wenn Sie lügen.« Ich verschränkte die Arme vor der Brust und blickte wieder über die grüne Landschaft, deren Kante der Ozean küsste.