Seelensucher - Sophie Hilger - E-Book

Seelensucher E-Book

Sophie Hilger

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Beschreibung

Seelensucher - Ihre Experten für Übersinnliches Seit frühester Kindheit kann Amber Woods mit den Seelen Verstorbener sprechen - eine Gabe, die sie nach ihrer Zeit im Waisenhaus zum Beruf macht. Gemeinsam mit ihrer besten Freundin Hailey gründet sie "Die Seelensucher" und hilft anderen Menschen, mit ungebetenen, übersinnlichen Gästen fertig zu werden. Doch der Erfolg währt nicht lange. Während eines Einsatzes wird Amber von einer dämonischen Kreatur so brutal attackiert, dass sie nur knapp mit dem Leben davonkommt. Schockiert und gezeichnet gibt sie die Seelensuche auf und zieht sich in eine einsame Hütte an der malerischen Küste Südenglands zurück. Sie glaubt, dort draußen könne sie sich vor ihrem alten Leben verstecken. Aber die Seelen sehen das anders ... "Das schwarze Haus" ist Part 1 des Dark Fantasy-Serials Seelensucher. Spezialedition mit 12 echten übernatürlichen Erfahrungsberichten.

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Inhaltsverzeichnis

David Bowie

Weckruf

Altlasten

Ein Sturm Zieht Auf

Amber, The Strange

Pater Jonas

Das Schwarze Haus

Augen In Der Wand

Sie

Mademoiselle Pappilon

Die Nacht Ist Voller Stimmen

Das Geheimnis Von Stanson Mansion

Spuren Im Schlamm

Echte Übersinnliche Geschichten

Doreen

Nadine

Laura

Svenja

Viktoria

Vanessa

Julia

Ted

Kim

Anja

Sophie G

1. DAVID BOWIE

Dieser Ort war frei von jeder Energie.

Wie eine Kiste, in der sich nichts befand außer schwebender Leere, leicht wie Federn im Schnee.

Nichts … leer … ruhig.

Aus genau dem Grund hatte ich ihn ausgewählt. Weil dieses verdammte lackschuhrote amerikanische Diner ein stumpfer, energieloser Ort war und ich liebte es dafür.

Während ich mit einem abgewetzten Tuch ein paar Gläser polierte, glitt mein Blick über die Bilder von New York und den alten Cadillacs an den Wänden. Die Sofas aus Kunstleder waren genauso schreiend rot wie die Fassadenfarbe des Diners. Johnny Cash wehte zurückhaltend durch die Räumlichkeit. Das immer gleiche Best Of. Ich wippte gütig ein wenig im Takt und zwinkerte Bill auf der anderen Seite des Bartresens lächelnd zu. Jeden Nachmittag trank er seinen Kaffee bei uns und las die Times, bevor er sich zur Nachtschicht aufmachte. Sein dunkler Schnurrbart zuckte und er räusperte sich beherrscht. Ein Polizeichef lächelt niemals. Das war seine Überzeugung. Schon klar, Cowboy.

Dieser Ort verströmte einen herrlich-morbiden Charme wie ein trauriges Stück Big Apple, in dem der American Dream schon lange unter den lippenstiftfarbenen Sitzmöbeln erstickt war. Eine müde Kulisse, die sich verlaufen hatte. Ein amerikanisches Waisenkind mitten in England. Eine Waise, genau wie ich.

»Hey Easy Rider …« Tim winkte mich aufgeregt zu sich in die Küche. Ich rollte das Poliertuch zusammen und warf es mir seufzend über die Schulter. Was heckte dieses kleine Schlitzohr jetzt wieder aus? Tim war gerade achtzehn geworden und hatte nichts als Flausen im Kopf. Er war der Sohn des Chefs und zum Spüldienst verdonnert worden, seit er mit dem Pickup seines Vaters die Apotheke im Ort zu Schrott gefahren hatte.

»Was sagst du dazu?« Er kam aus der Küche heraus, als ich keine Anstalten machte, mich auf ihn zuzubewegen. Easy Rider … Er nannte mich so, weil ich Motorrad fuhr. Wirklich kreativ. Aufgeregte rote Flecken verteilten sich über seine sommersprossigen Wangen.

»Alter, das ist ein göttliches Zeichen.« Wer der andere Junge war, der sich in den Türrahmen lehnte, wusste ich nicht. Wahrscheinlich ein Kumpel aus der Schule, in der Tim wegen ein paar Nägeln in Kombination mit dem Bürostuhl seines Direktors gerade eine Ehrenrunde drehte.

»Hey Kleiner.« Ich verschränkte die Arme vor der Brust und musterte den Fremden mit zusammengekniffenen Augen. »Es gibt eine rote Zone in diesem Diner und die erstreckt sich von hier …« Ich zeigte auf die eine Seite der Bar. »Bis da hinten.« Mit einem Kopfnicken deutete ich auf das Ende des Tresens.

Der Junge gab sich betont lässig.

»Lungert etwas in dieser Zone herum, das nicht spült, kocht oder Kaffee macht, beiße ich es weg wie ein Wolf einen räudigen Köter. Tust du irgendetwas von diesen drei Dingen?«

Bill schnaubte hinter mir amüsiert und die Lockerheit meines jungen Gegenübers kam ins Wanken.

Der Halbwüchsige ließ zurückhaltend den Blick über meine verschränkten Arme wandern. »Coole Tattoos«, stammelte er.

»Hey, chill mal«, sagte Tim und seine schlaksige Gestalt hielt mir einen Teller mit einem verbrannten Sandwich unter die Nase. »Du wirst hier gerade Zeuge einer Offenbarung.«

»Welche Offenbarung soll das sein?« Ich verzog das Gesicht und beäugte das Missgeschick. »Um zu wissen, dass du dich in der Wildnis niemals allein ernähren könntest, brauche ich keine Offenbarung.«

»Alter, siehst du das nicht?«, mischte der andere sich wieder ein. »Ground control to major Tom …«

Die Jungs starrten mich erwartungsvoll an.

»Was hat David Bowie jetzt bitte damit zu tun?« Ich begann, die fertig bearbeiteten Gläser ins Regal zu sortieren und meinen Feierabend vorzubereiten. Es ging stramm auf siebzehn Uhr zu und außer Bill und einer älteren Dame mit drei lachenden Kids, die Pommes in sich hineinstopften, war niemand mehr da.

»Das IST David Bowie! Sieh doch mal genau hin!« Tim konnte offensichtlich nicht fassen, dass meine Augen verschlossen blieben für dieses Wunder der Natur.

Ich zog die Brauen nach oben und bedachte ihn mit einem bedauernden Seitenblick. »Tim, David Bowie ist von uns gegangen und er wird mit Sicherheit nicht über ein verkohltes Toast aus dem Jenseits zu uns sprechen. Sorry, Kleiner.«

»Aber hier.« Er tippte mit seinem dünnen Finger ungeduldig immer wieder auf eine Stelle, an der die Brotscheibe etwas heller war als ringsherum. »Mann! Du trägst echt nicht ein Fünkchen Gefühl für Übersinnliches in dir.« Seine grauen Augen musterten mich enttäuscht und er trottete kopfschüttelnd zurück in die Küche. Der andere wollte ihm ganz selbstverständlich folgen, aber ich griff nach seinem Arm und manövrierte ihn vor die Bar, wo er hingehörte.

»Wirklich coole Tattoos«, wiederholte er und zeigte zwei Daumen nach oben.

Nicht ein Fünkchen Gefühl für Übersinnliches … Wenn der Knabe wüsste … Wie oft hatte ich mir genau das gewünscht, meine Gabe verflucht. Als Kind hatte ich so gern wie alle anderen sein wollen – einfach normal. Erst hatten sie mich gehänselt, mich Amber, the Strange genannt und Scheiterhaufen für mich gebaut, auf denen sie Hexenverbrennung mit mir spielen wollten. Später bekamen sie Angst vor mir und ich wurde einsam. Aber so richtig allein war ich nie. Es gab ja immer noch sie. Sie waren zu jeder Zeit bei mir gewesen und sie hatten die anderen Kinder ebenso wenig gemocht wie ich …

»Bringst du Bengel mir das Sandwich noch, bevor ihr es mit Haarspray bearbeitet und auf Ebay vertickt? Ich hab Hunger und muss zur Nachtschicht.« Bill faltete die Zeitung zusammen und reckte umständlich den Hals, um in die Küche zu spähen. Man sah seinem Bauch an, dass er gern einmal ein Bier zu viel trank und sein dunkles Haar bekam inzwischen dünne graue Strähnen. Dass er nicht mehr so wendig war, wie noch vor ein paar Jahren bedauerte er oft und gern auch lautstark. Ein genervtes Stöhnen brachte seinen Oberlippenbart zum Beben.

»Auf keinen Fall werden Sie David Bowie verschlingen, Sie Banause«, schallte es aus der Küche zurück, gefolgt vom unaufhörlichen Klacken einer Smartphone-Kamera.

»Aaaaalter«, empörte sich der Knabe aus Tims Schule und sah Bill verurteilend an. Ich fragte mich, ob er auch noch andere Worte im Angebot hatte. Alteeeer …

»Schon gut. Ich mach dir schnell ein Neues, Bill. Eines, das nicht aussieht wie ein Stück Grillkohle … oder wie David Bowie nach einem furchtbaren Brandunfall. Ich muss sowieso warten, bis Nathalie für die Ablösung da ist.«

»Grillkohle?! Das ist David Bowie! We could be heroes, Mann”, kam Tims Stimme mir aus der Küche entgegen, als ich mich ans Werk machte.

We could be heroes … Die Zeit war vorbei.

2. WECKRUF

Immer wenn ich durch die Tür des Diners schritt, betrat ich eine andere Welt. In diesem Moment ließ ich die Slums von Amerika hinter mir und erreichte wieder England. Verrückt, wie vier einfache Wände eine ganze Atmosphäre verändern konnten.

Die grüne Hügelweide erstreckte sich bis zum Horizont, an dem eine goldene Sonne ihr mildes Abendlicht verteilte. Ich liebte diese Tageszeit. Meine beste Freundin Hailey hatte immer gesagt, das sei Feenlicht, als wir noch klein waren. Sie war schon damals der einzige Mensch auf Erden gewesen, der mich länger als ein paar Stunden ertrug und mich akzeptierte mit all meiner Dunkelheit. Sie war das Licht, ich die Finsternis.

Ein paar Schafe weideten auf dem saftigen Gras. Das war goldener Herbst, wie man ihn sich wünschte. Der verwöhnte uns hier unten im Süden mindestens jedes zweite Jahr. Oben in Schottland war mit Sicherheit bereits alles grau und der Sturm trieb die wütende See die Klippen hinauf. Ich lief quer über den knirschenden Kies des Parkplatzes und zog gerade die Schlüssel meines Motorrads aus der Tasche der Lederjacke, da fiel sie mir auf … Eine Frau. Sie drückte sich da drüben bei den Bäumen herum und senkte schnell den Blick, als ich in ihre Richtung kam. Die Art, wie sie es tat, verriet mir sofort, dass sie es auf mich abgesehen hatte. Sie wollte mit dem Blickkontakt warten, bis sie in Hörweite war.

Ich ging an ihr vorbei und machte unbeeindruckt meine Maschine startklar.

»Schönes Motorrad.« Sie näherte sich schüchtern. Ich sah ihren schlanken, kurzgewachsenen Körper im Augenwinkel. Sie trug einen Parka, wie man ihn eigentlich nur in der Großstadt trug, wo man etwas darstellen wollte. »Steht Ihnen«, fügte sie hinzu.

Ich sagte nichts. Ihre Ausstrahlung gefiel mir nicht, aber ich konnte noch nicht beurteilen, woran das lag.

»Was für eine ist es?« Ihre Stimme klang hell, aber gebrochen und als ich sie ansah, erkannte ich tiefe, dunkle Ringe unter ihren Augen. Ihre dünnen Finger strichen eine verirrte, blonde Haarsträhne aus dem blassen Gesicht.

»Vincent Black Shadow«, sagte ich. Plötzlich tat sie mir leid. Ich konnte fühlen, dass irgendetwas mit ihr nicht stimmte. Behutsam tätschelte ich das schwarze Metall, um zu verdeutlichen, wie sehr ich dieses Baby liebte. »Von jemandem geerbt, der mir viel bedeutet hat.«

»Von Ihrem Vater?«, fragte sie.

»Oh nein … Nein!« Ich presste ein freudloses Lachen hervor. »Mein Vater war ein saufender Bastard. Hat mir in unserer kurzen gemeinsamen Zeit nie etwas geschenkt, außer ab und zu ein Veilchen.« Und dann hatte er mich vor dem Waisenhaus abgeworfen wie einen ungewollten Hund an einem Tierheim, aber ich hatte schon zu viel gesagt.

»Das tut mir leid.« Sie schlang unbehaglich die Arme um ihren zierlichen Körper, wirkte, als hätte sie seit Ewigkeiten nicht mehr geschlafen. Ausgelaugt und transparent.

Für einen Moment lag ein unangenehmes Schweigen zwischen uns, dann hielt sie mir ihre Hand hin. »Sally. Ich bin Sally Stanson. Amber Woods, richtig?«

Jetzt hatte sie mich. Ihre Finger fühlten sich zerbrechlich und kalt an. »Ja, erwischt.« Ich zuckte grinsend mit den Schultern.

»Okay … es ist nur … Ich hab Sie mir anders vorgestellt.« Sallys eisblaue Augen musterten mich schüchtern.

»Wer bin ich denn Ihrer Meinung nach?«, fragte ich.

Ein paar Augenblicke starrte sie leer an mir vorbei, dann schlug ihr Blick fest in meinen hinein.

»Meine letzte Rettung!«

Ein böses Gefühl sickerte mir zäh in die Glieder wie schwarzer, stinkender Rauch. Nein, nein, nein. Oh nein. Ich hatte es befürchtet. Aber das war nicht drin.

»Tut mir leid!« Meine Stimme klang fest, als ich das Motorrad an ihr vorbei schob und ein Bein darüber schwang.

»Miss Woods, ich flehe Sie an! Meine Kinder sind in Gefahr. Mein Mädchen ist noch ganz klein. Lucas und Maja, das hier sind sie.« Mit zitternden Fingern fummelte sie ein Foto aus ihrer Tasche und hielt es mir hin. »Sie ist erst acht.«

Mein Blick streifte es, ich konnte es nicht vermeiden. Süße Kinder. Der Junge grinste verschmitzt in die Kamera und stützte seine kleine Schwester auf einem Kinderfahrrad. Sie trug blonde Engelslöckchen und lachte unbeschwert. Eine große Zahnlücke verlieh ihrer Ausstrahlung noch mehr Unschuld, als ein junges Mädchen sie ohnehin schon besaß.

Ich schüttelte den Kopf. »Ich tue diese Art von Dingen nicht mehr.«

»Ich habe von dem Vorfall gelesen. Und genau deshalb sind Sie die Einzige, die mir helfen kann. Sie haben da draußen etwas so Mächtiges besiegt, ich …«

»Es geht nicht um’s Besiegen.« Ich sah ihr fest in die Augen und erkannte Tränen darin. »Es geht um Kommunikation und ich werde mich nicht mehr öffnen, um so etwas zu tun.«

Sie hatte ja keine Ahnung. Wenn man sich darauf einließ, kehrte man sein Innerstes nach außen, machte sich verletzlich und angreifbar. Ich hatte es einmal unterschätzt und würde es ganz sicher nicht noch einmal tun. Nie wieder. Gerade wollte ich die Maschine starten, da griff sie nach meinen Armen und umklammerte sie. Es war wie ein Stromschlag. Der verzweifelte Griff einer Mutter, die für ihre Kinder kämpft. »Sie verstehen nicht! Da ist etwas in meinem Haus. Und es wird uns alle drei töten, wenn Sie uns nicht helfen.«

Etwas in mir bäumte sich auf, wollte ihre Berührung loswerden, so schnell wie möglich. Sofort!

»Ich verstehe Sie sehr gut. Aber wir sind hier nicht bei den Ghostbusters. Ich habe keinen Kasten dabei, der Ihre Geister in einer grünen Wolke verpuffen lässt. So einfach ist es nicht. Nichts im Leben ist so einfach.«

Ein Raunen ging durch den Korpus meiner Vincent, als ich sie startete.

Sally steckte einen weißen Schnipsel in die Brusttasche meiner Jacke. »Hier ist meine Karte. Überlegen Sie es sich, ich beschwöre Sie!«

»Sally.« Ein letzter Blick in ihre nassen Augen. »Ich kann Ihnen nur einen Rat geben – nehmen Sie Ihre Kinder und verlassen Sie dieses Haus! Dann wird es mit Sicherheit besser.«

»Nein … nein, das wird so nicht funktionieren. Miss Woods, bitte …«, hörte ich sie noch rufen, als ich mein Motorrad vom Parkplatz lenkte und beschleunigte.

Mein ganzer Körper zitterte, das realisierte ich jetzt erst. Verdammter Mist! Natürlich wusste ich, dass das Unsinn war. Nicht immer, in einigen Fällen funktionierte es, das Haus zu verlassen. Aber die Energie, die diese Frau umgab, hatte mir sofort gezeigt, dass sich die Dunkelheit, vor der sie floh, bereits in ihr eingenistet hatte. Das Wesen, um was auch immer es sich handelte, würde ihr folgen – so lange bis es hatte, was es wollte.

Aber ich würde mich nicht wieder mit der Zwischenwelt anlegen. Ich war mittlerweile einfach die Falsche für diese Art von Job. Ihre letzte Rettung … Sie irrte sich, genauso wie ich mich damals geirrt hatte.

Das Motorrad bretterte den schmalen Feldweg zwischen den Weiden entlang. Der Wind riss an meinem Haar. Dieses klamme Gefühl, das da in mir hinaufkroch, hatte ich sehr lange nicht mehr gespürt.

Ich wollte es einfach nur loswerden. Bisher war ich noch alles losgeworden, wenn ich ihm nur schnell genug davonfuhr.

Weg, weg, weg, Amber! Nur schnell weg!

Ein paar fluffige Schafe hoben die Köpfe und sahen mir kauend nach. Bevor ich die Klippen erreichte, bog ich in einen Feldweg ein und stoppte die Motoren. Nachdem ich dreimal tief durchgeatmet hatte, stieg ich ab und suchte nach meinen Zigaretten. Das Zittern war noch immer nicht vorbei. Was war nur aus mir geworden? Sobald jemand Casper, der Geist sagte, hatte ich die Hosen voll. Meine Finger bekamen die Visitenkarte zu fassen und ich warf einen zögerlichen Blick darauf.

Stanson Mansion, Thirsty Oaks.

Mansion … Das klang luxuriös. Also doch gut betucht. Diese Frau könnte mit Sicherheit jeden bezahlen, um ihr Haus zu reinigen, und wenn es Ed Warren höchstpersönlich war.

Ich warf die Karte in die lockere Erde zu meinen Füßen und trat mit dem Stiefel darauf. Sie würde das schon schaffen.

Als die Flamme des Feuerzeuges sich gerade in den Tabak meiner Zigarette fraß, bog Bills zerbeulte Polizeikarosse um die Ecke und klapperte gemächlich auf mich zu. Er stoppte den Wagen direkt vor mir und ließ bedeutungsschwer die Sirene aufheulen, bevor er die Tür öffnete, um sich herauszuschälen.

Ich blickte ihm seufzend entgegen und nahm einen tiefen Zug meiner Zigarette. Er räusperte sich, stemmte die Hände in die Hüften und umrundete mein Motorrad. Dann lüftete er seine breite Sonnenbrille, wie sie eigentlich nur Sheriffs in texanischen Vororten trugen und sah mich tadelnd an. »Amber Woods …«

Ja, ich wusste, wie ich hieß.

»Geschwindigkeitsüberschreitung auf privatem Boden und das nicht zum ersten Mal. Was hast du vor? Die Schafe von Barney mit deiner Druckwelle scheren? Dafür sollte er dich bezahlen, dieser geizige Bastard.«

»Tut mir leid, Bill.« Ich hielt ihm eine Zigarette hin und gab ihm Feuer.

»Weißt du …« Er stieß einen schmalen Strom Rauch aus. »Zu meiner Zeit waren die Frauen noch keine wandelnden Stickeralben oder düsten auf Höllenmaschinen in zwielichtigen Gegenden herum. Wie willst du so je einen Kerl finden?«

Ich betrachtete den schmalen Schriftzug, der sich um mein Handgelenk hinunter bis zum Zeigefinger zog. Der Schutzspruch einer Zigeunerin. »Sehe ich etwa aus, als würde ich suchen?«

»Jeder sucht irgendetwas. Ist aber nicht leicht, herauszufinden, was das ist. Vor allem für einen selbst nicht.«

»Ach ja? Was ist es denn bei dir?«

»Oh, so einiges. Den Feierabend, meine Jugend.«

»Ach Bill.« Ich grinste.

Ein paar Minuten rauchten wir nebeneinander vor uns hin und blickten über die endlosen Weiden hinunter zu der Senke, die ans Meer führte.

»Sagt dir Thirsty Oaks etwas?«, fragte ich schließlich und erschrak dabei vor mir selbst. Wieso, verflucht nochmal wollte ich das wissen? War das Thema nicht bereits beendet? Du neugierige Idiotin!

Bill zog die Brauen nach oben und musterte mich durch seine getönten Gläser hindurch. Er kannte mich lange genug, um zu wissen, dass er nicht fragen musste, was ich dort wollte. »Meine Jungs mögen die Einsätze dort oben nicht.« Er trat seine Zigarette aus. »Komische Typen da. Verrückte.« Er hatte öfter die Angewohnheit, in zusammenhangslosen Fetzen zu sprechen, murmelte gern vor sich hin und machte ein wichtiges Gesicht dabei. Polizeichef durch und durch.

»Ich würde dir ja raten, dich von da fernzuhalten.« Er fuhr sich durchs Haar und drehte sich wieder in die Richtung seines Wagens. »Aber was soll ich einem schottischen Sturkopf schon erzählen?«

»Verfluchter Auld Enemy«, erwiderte ich und drückte meinen Filter auf der Erde aus.

»Verdammte Wilde«, sagte er und hob die Hand, während er zu dem alten Blecheimer zurückging. »Und pass gefälligst auf dich auf! Ich habe wenig Lust, dich irgendwann von einem Baum zu kratzen.« Er stieg in den Wagen und startete den Motor. Während er sich entfernte, winkte ich betont lässig. Ich hatte ihn wirklich gern, diesen alten Trampel.

3. ALTLASTEN

Mein Zuhause lag ein Stück abseits der Klippen in einem Wäldchen. Eine kleine Hütte fernab von allem und jedem. Im Winter war das Dach undicht und ich musste ständig irgendetwas flicken, trotzdem war dieser Ort meine Festung. Als ich vor drei Jahren von Schottland in den Süden floh, war das Haus zu mir gekommen, nicht umgekehrt. Es hatte mich gefunden und ich hatte mich schon immer gern finden lassen. Dass ich seinem Ruf gefolgt war, hatte ich bisher nicht einen Tag lang bereut.

Ich parkte meine Vincent unter dem Vordach und ging eilig durch das Tor auf die Veranda zu. An Tagen wie diesem flüchtete ich regelrecht in meine vier Wände, bildete mir ein, sie seien das einzige, das mich schützen konnte. Insbesondere vor falschen Entscheidungen.

Die Traumfänger unter dem Vordach wurden von einem Lufthauch in Bewegung gebracht. Ich sammelte sie seit der Kindheit und hatte inzwischen gut fünfundneunzig Stück von ihnen zusammengetragen.

Durch meine Veranda wuchs eine alte Kiefer, die sich mehr und mehr in mein Wohnzimmer tastete. Die Zweige, die in den Wohnbereich ragten, waren ebenfalls mit Traumfängern behangen. Sie war so riesig und friedlich, dass ich es nie übers Herz gebracht hatte, sie zu fällen. Sie gehörte zu diesem Ort, genau wie ihr Bewohner.

»Hallo Ozzy.« Ich pellte mich aus meiner Jacke, huschte durch die Kerzenhalter am Boden und warf das schwere Leder auf den Kleiderhaken. Der Steinkauz betrachtete mich entspannt aus seinem Baumloch heraus. Er schlief die meiste Zeit, nur wenn die Nacht hereinbrach, flog er mit ein paar kurzen, hellen Schreien aus, um auf Jagd zu gehen. Ab und zu brachte er mir eine tote Maus mit und warf sie lieblos auf den Holzboden neben dem Sofa. Er war offensichtlich fest davon überzeugt, dass ich nicht imstande war, mich selbst zu ernähren. Wie eine Katze. Nur ohne Fell und Streicheleinheiten. Aber das war okay. Ich mochte Katzen nicht. Sie konnten die Zwischenwelt sehen.

Ich zog das Tuch von dem großen Spiegel und blickte mir tief in die grünen Augen. Das war nötig, um meine Mitte nicht zu verlieren. Die ausgebreiteten Schwingen des dunklen Engels auf meinem Rücken rankten bis hoch zum Hals. Es wirkte, als lägen ihre Spitzen auf meinen Schultern. Das große Pentagramm auf meinem Brustbein stand in Flammen, die mir bis zu den Ohren hinauf schlugen. Ich hatte es mir genau so stechen lassen, um immer wieder neu zu realisieren, dass einen kein Symbol oder Ritual je nachhaltig vor dem Bösen schützte. Das konnte man nur selbst, indem man stark genug war. Es sollte mir jeden Tag wieder vor Augen führen, wie verdammt wichtig es war, stark zu sein. Stark genug, um nicht zu ihrem Spielball zu werden. Da draußen gab es weitaus gemeinere Dinge als eine Steuererklärung.