Mission Roadtrip - Sophie Hilger - E-Book

Mission Roadtrip E-Book

Sophie Hilger

4,6

Beschreibung

Trifft man im Inneren eines Steinkreises einen Kobold? Was haben diese Kamikaze-Schafe mit unserem Hund vor? Muss man auf der Autobahn am Sherwood Forest auf kreuzende Bruder Tucks achten? Wo kommen plötzlich all diese feiernden Menschen her? Und warum hat dieser murmelnde Mann einen zweiten Schlüssel für unser Zimmer? 4600km in zwei Wochen, zwei Autos, fünf Leute und ein Rhodesian Ridgeback. Mission Roadtrip erzählt mit farbenfrohen Bildern und lustigen Anekdoten von einer irrwitzigen Odyssee auf den Straßen Großbritanniens und ist dabei spaßige Unterhaltung und Reiseführer zugleich. Kommt mit auf eine ereignisreiche Tour durch England, Cornwall und Schottland in einem bunten Mix aus Hostels, Bed and Breakfasts, "Auld Enemies" und Ziegenbock-Cider. Inklusive: Mit dem Hausboot auf dem Caledonian Canal - Meuterei auf dem Loch Ness Außerdem enthalten: 10 gute Gründe für eine Hausboottour und eine praktische Checkliste für den Urlaub mit Hund. "Dieses Buch entführt euch mit zahlreichen lebhaften Designs und Bildern in seinem lockeren, beschwingten Ton direkt nach Großbritannien - eine bunte Reiseschatztruhe für jedermann."

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INHALT

PART 1

M

ISSION

R

OADTRIP

V

ORWORT

1. V

OR BEREITET ES SICH BESSER ALS NACH

2. A

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UGUSTUS

OB SCHORNSTEIN-BIER GLÜCK BRINGT?

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5 –

NESSIE UND DIE POLIZEI IM HAUS

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6 – E

DINBURGH – „HMMMMM

…“

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7 – L

AKE DISTRICT

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ILLERSCHAF UND GAUMENSCHMAUS

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8 – K

ESWICK – DER STUBENFLIEGENHULK ODER

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9 – C

OTSWOLDS – GUITING POWER – EIN PUB WIRD KULT

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10 – C

ORNWALL – POLPERRO -- HITCHCOCK AUF VANILLE-EIS

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11 – O

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EEFRAU

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12 – C

ANTERBURY – GUESS, WHO’S BACK

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13 – B

YE BYE, BRITAIN

!

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14 – W

IR SIND KEINE NOMADEN

PART 2

Mit dem Hausboot auf dem Caledonian Canal

Intro

Station 1: Drumnadrochit – Anlegemanöver Deluxe

Station 2: Fort Augustus – Lieblingsort und Schneckenglück

Station 3: Laggan Locks – Schleusenchaos und Geisterbegegnung

Station 4: Fort William – Castle-Fund und Weltumseglung

Station 5+6: Fort Augustus – Sturmtief und Mauerfisch

Station 7: Zurück zum Hafen – Seeschlacht und Fahrerflucht

Outro

VORWORT

Was sagt das Navi da?

Markkleeberg – Folkestone: Zehn Stunden mit dem Auto?

Wenn wir radeln würden, wären das zwei Tage und zu Fuß ganze sieben. Und dass auch ein Navigationssystem gern einmal gnadenlos untertreibt, sollt ihr auf den nächsten Seiten noch zur Genüge erfahren.

Insgesamt 4600 km durch die Niederlande, Belgien, Frankreich, rüber nach England, von dort durch Wales in den Lake District, hoch nach Schottland und wieder runter nach Cornwall.

Also ehrlich jetzt? Wollen wir das wirklich durchziehen?

Meine Familie nickt nur begeistert. An meinen Eltern sind zwei nomadische Hippies verloren gegangen, die mit ihrem kleinen Camping-Bus sowieso genüsslich und regelmäßig die Welt umrunden, für sie sollte das kein Problem darstellen.

Ich schiele eher skeptisch nach unserer Rhodesian Ridgeback-Hündin Emma, die sich wohlweislich schon einmal hinter Papas Beinen versteckt und die Stirn in Trauerfalten legt. Bei der ersten Tour, die sie und ihre tapsigen Geschwister im Auto erlebt haben, war sie die einzige, die ausnahmslos alles mit ihrem Mageninhalt dekoriert hat, alle anderen kullerten freudig johlend durcheinander und genossen die Fahrt.

Emma hasst Autofahren. Für sie ist jede noch so kleine Bodenwelle ein apokalyptisches Desaster. Andererseits will sie auch immer überall mit dabei sein und Urlaub an der Ostsee hat sie schon mehrfach überstanden.

Mein Blick wandert zu meinem Bruder hinüber. Er wäre der zweite Fahrer und sieht nicht aus, als würden ihn diese präzise ausgearbeiteten Zahlen in große Hochstimmung versetzen.

„Loch Ness“, locke ich ihn. „London! Edinburgh! Die Highlands! Kleine Fischerorte in Cornwall! Cider! Pale Ale!“

Er kann das Grinsen nicht mehr zurückhalten. „Ja, dann müssen wir da wohl durch, was?“

Ich könnte schreien. Mein erster Schottland-Urlaub vor zwölf Jahren war eine zweiwöchige Tour mit einem riesigen, alten Mercedes-Bus durch das ganze Land, auf dessen Dach man Zelte aufklappen konnte und der das klapprige Highlight auf jedem Camping-Platz darstellte. Zu diesem Zeitpunkt verlor ich mein Herz an Schottland. Es folgte eine Hosteltour mit dem Auto an der Küste entlang und eine Hausboottour durch die Schottischen Highlands, von der ich euch in diesem Buch ebenfalls erzählen möchte. Ich war auch schon in London und Oxford, aber jeder einzelne dieser Urlaube hatte mit meinen Mädels stattgefunden.

Kein Mitglied meiner Familie war jemals zuvor in England oder Schottland und da dieser Insel da draußen zwischen Atlantik und Nordsee ein großes Stück meines Herzens gehört, war es mir schon immer ein Bedürfnis, der Family irgendwann einmal zu zeigen, was ich da drüben so sehr liebe und warum ich es tue.

Dann ist es also beschlossen.

Es geht nach Great Britain mit Sack und Pack und Kind und Kegel und natürlich mit Hund.

„London is a very big town …”, singt sich meine Schwester schon einmal warm und wir legen ein Tänzchen im Wohnzimmer meiner Eltern dazu hin.

Ich kann die endlose, grüne Hügellandschaft Schottlands schon vor meinem inneren Auge sehen, kann den pulsierenden Herzschlag Londons spüren und die Möwen an den Klippen Cornwalls schreien hören. Gänsehaut!

Am liebsten würde ich mich nahtlos aufs Rad schwingen und die Sache mit den zwei Tagen testen, allerdings fällt mir plötzlich das Meer dazwischen wieder ein. Und ich kann auch jetzt noch nicht wissen, dass zwei Tage im Navi fünf Tage in der Realität darstellen. Also bleibt der Drahtesel im Schuppen und ich werfe mich stattdessen begeistert in einen Berg aus Buchungsbestätigungen, Reiseführern und Straßenkarten, um mich darin zu tummeln wie Dagobert Duck in seinem Bad aus Münzen.

Es geht los!

Great Britain, wir kommen!

1. VOR BEREITET ES SICH BESSER ALS NACH

Mal ganz davon abgesehen, dass ich mich bei der Buchung der einzelnen Hotels, B&Bs und Appartements gefühlt habe wie ein alter Trapper auf Goldsuche („Oh, dieses Cottage – zauberhaft – Hunde nicht erlaubt, Oh, dieses Hotel – das ist ja gar nicht von dieser Welt, wow, und der Preis passt auch – nur noch vier freie Plätze …“), gab es auch noch viele andere Überlegungen, die im Vorfeld geklärt werden mussten.

Emma, das zarte Pflänzchen, die Elfe, gefangen im Körper eines kräftigen afrikanischen Jagdhundes kann ja wohl schlecht im dröhnenden Bauch eines Flugzeuges oder im schaukelnden, dunklen Metallkeller einer Fähre reisen, wo doch schon eine Autofahrt einem Sodom und Gomorra gleich kommt.

„Dann wird es der Tunnel“, fällt mir ein. „Der Tunnel. Der Eurotunnel.“

Mama wirft mir einen unbehaglichen Blick zu. „Der unter dem Ozean?“

„Genau der!“

Ich mache mich nahtlos an die Recherche. Der Eurotunnel ist 50km lang, laut World Wide Web taucht man in Calais in Frankreich unter und sieht ungefähr 35 Minuten später in Folkestone wieder das Tageslicht. Britisches Tageslicht. Unnötige Einzelheiten wie Hochgeschwindigkeit oder 40m unter dem Meer behalte ich lieber für mich. Natürlich bin ich selbst nervös. Man fährt immerhin nicht alle Tage mit dem Zug unter dem Meer herum …

„Vielleicht sehen wir ja einen Wal“, witzle ich, um meine blasse Familie aufzumuntern. Clara verdreht nur die Augen. „Klar!“

Ich mache mich also an die Buchung und da Papa und ich genauso gern Wetten abschließen wie John Cleese in Rat Race, finden wir gleich wieder eine Gelegenheit.

„Ein schottisches Souvenir darauf, dass Emmas Chip vor der Tunnel-Durchfahrt nicht gescannt wird“, sagt er. Ich schlage ein.

Bei der Tunnel-Buchung gibt es wieder viele Dinge zu beachten, langsam komme ich mir vor wie Rain Man. Die Höhe und Breite des Fahrzeuges, der Fahrzeugtyp, haben wir Gastanks dabei, wenn ja, wie groß, möchten wir Flexiplus-Tickets, bei denen wir die Möglichkeit haben, eher oder später „überzusetzen“, die aber gleich das Doppelte kosten, oder wollen wir feste Tickets, bei denen wir auf die fixen Zeiten angewiesen sind. Emma ist mit 25 Euro ein Schnäppchen und ich überlege, ob ich vielleicht als Deutsche Dogge durchgehen könnte, wenn ich mir einfach ein Kuh-Fell überwerfe und kurz besitzergreifend knurre, sobald jemand durchs Fenster lunzt.

Wir lamentieren darüber, wie es wohl sein wird, wie er wohl aussehen wird, so ein „Unterwasser-Zug“ und wie es ist da unten, ob man Druck auf die Ohren bekommt, der Tunnel schmal oder breit, hell oder dunkel ist und ob Emma die „Unterfahrt“ übersteht, ohne komplett zu eskalieren. Andererseits … 35 Minuten … das sind doch gerade mal ein Kaffee und ein Stück Kuchen. Ein Wimpernschlag quasi. Und so wie es aussieht, kann man in dem Zug sogar herumlaufen. Den Hund bekomme ich schon abgelenkt. Und die nervöse Mama sowieso.

Nach ewiger Grübelei, auf was wir uns da eigentlich einlassen, befruchtet schließlich folgender Dialog mit meiner Freundin Cati an unserem sommerlichen Lieblingssee die familieninternen Überlegungen:

Ich: „Öhm, warte mal, wir waren doch in der 10. Klasse schon mal in London.“

Cati: „Ja, und?“

Ich: „Naja, wir sind dort mit unserem Erzgebirge-Aue-Bus herumgedümpelt und haben von einem liebreizenden Opi sogar einen Hitler-Gruß dafür kassiert.“

Cati: „Stimmt, der Aue-Bus … warte! Wie kam der da rüber?“

Ich: „Na ganz sicher nicht mit dem Flugzeug und auch bestimmt nicht mit der Fähre, daran würde ich mich erinnern.“

So stellen wir also fest, dass wir schon einmal durch den Eurotunnel gefahren sein müssen und es offenbar so unspektakulär war, dass wir es einfach vergessen haben. Auch gut.

Ich überbringe den Reisewilligen also die frohe Kunde: „Ich kann mich zwar nicht erinnern, aber ich hab es wohl schon einmal getan. Heureka!“

Vier Gesichter blicken mich ungerührt an und Emma gähnt lautstark. Naja, stimmt schon. Weiter bringt uns das jetzt auch nicht unbedingt.

Egal, die Reise rückt näher. Wir besorgen uns eine Wagenladung Reisetabletten, Anti-Durchfallmittel für unser haarigstes und zugleich sensibelstes Familienmitglied – und damit meine ich nicht meinen Bruder, Kekse für unterwegs und eine Armada an Dudelsack-CDs.

Hinzu Flexi-Tickets, rückzu fix und dann der Gang zum Tierarzt.

Die weiterführende Recherche hat bereits ergeben, dass man bei der Einreise mit Hund nach Großbritannien ein ganzes Telefonbuch beachten muss. Er muss eine nachgewiesene Tollwutimpfung mit Antikörpernachweis im Blut haben (mindestens 21 Tage vor Antritt der Reise durchgeführt), einen gültigen Heimtierausweis vom Tierarzt besitzen, eine Bandwurmbehandlung erfahren haben, und das 1-5 Tage vor der Einreise (diese muss unbedingt im Reisedokument vermerkt sein), er muss natürlich einen Mikrochip oder eine Tätowierung besitzen und bestenfalls auch noch einen Cambridge-Abschluss.

Ich sehe meine Felle als Deutsche Dogge davon schwimmen. Wo soll ich denn auf die Schnelle noch einen Heimtierausweis herbekommen?

Jedenfalls sind alle anderen Horror-Geschichten, die man euch weismachen will komplett veraltet. Lasst euch nicht ins Bockshorn jagen von wegen „Der Hund muss erst mal 30 Tage in Quarantäne vor Einreise“, oder: „Habt ihr nicht einen Listenhund? Die Listen da drüben sehen anders aus, den nehmen sie euch an der Grenze gleich weg.“ Jeder gibt seinen Senf dazu und am liebsten diejenigen, die am wenigsten Ahnung haben.

Die eigentliche Einreise mit Hund in Großbritannien ist ein Sonntagsspaziergang, glaubt es mir!

Wir gehen also zum Tierarzt für die letzten Vorbereitungen und Emma guckt zu dem Zeitpunkt schon regelmäßig ganz verzweifelt drein, als wüsste sie ganz genau, was ihr blüht.

Allerdings bestärkt unsere Ärztin uns in der Meinung, dass niemand sich an Dinge gewöhnen kann, die er nicht tut, und dass wir Madame bloß nicht in ihrer übertriebenen Sensibilität bestärken sollen. Zwei Wochen Hundepension wären hier wohl ganz eindeutig das größere Übel, als ein paar Bodenwellen auf der Autobahn.

Püppi bekommt also ein paar Reisetabletten für Hunde mit und dann geht es wohl oder übel ab auf große Fahrt, Milady Emma!

LEKTION 1: MAN GEWÖHNT SICH NICHT AN DINGE, DIE MAN NICHT TUT.

2. AUF GROßER FAHRT (DER WEG IST DAS ZIEL)

Die Sonne geht gerade erst auf, als wir unsere bunte Sammlung an Gepäckstücken in die Autos verladen und gut gelaunt in den Tag starten. Ein Tag, der sich durch fünf Länder zieht und der uns mit sämtlichen Raststätten und Straßenbelägen der gefühlten nördlichen Hemisphäre bekannt macht.

Ein kurzer schottischer Ringelreigen mit Folk-Gesanges-Einlage motiviert schlussendlich auch die verquollene Emma, ihren müden Körper ins Auto zu hieven. Das ist ja mal so gar nicht ihre Zeit. Madame lehnt es normalerweise mit viel Nachdruck ab, wenn sich vor neun Uhr früh jemand erdreistet, ihren Schönheitsschlaf zu stören. Misstrauisch beäugt sie unser Tänzchen auf der morgendlichen Gasse aus dem Bus heraus. Was auch immer die wieder vorhaben, ich hoffe, dieses Auto spielt keine allzu große Rolle dabei …

Sorry, Emma! Wir sind sicher erst am Ziel, wenn die Sonne wieder rot wird.

Wir checken die Navis, machen Uhrenvergleich wie James Bond in Casino Royale und schon grölen aus beiden Autos die Dudelsäcke, während wir vorfreudig in den Morgen rollen.

Frank Schätzing bespaßt uns ausdauernd mit der epischen Hörbuch-Version seines Meisterwerkes Der Schwarm und Emma übertreibt es wieder einmal maßlos. Bei jeder winzigen Kurve starrt sie mich endgültig aus riesigen Augen an, als wären wir ein kleines Fischerboot und vor uns würde sich gerade eine 30 Meter-Welle auftürmen. Ich bin ein Schatten meiner Selbst, da auch ich langes Herumfahren nicht allzu sehr liebe und mich mit diversen Mittelchen ruhig gestellt habe. Allerdings – wenn schon ein Schatten, dann ein glücklicher! In Gedanken hasche ich bereits mit ausgebreiteten Armen und randvoller Liebe eine Meute flauschiger Schafe über saftig grüne Wiesen. Vielleicht hätte ich doch eine Tablette weniger nehmen sollen …

Welcome to the Netherlands

Welcome to Belgique

Welcome to France

Zig Kaffees, Pipi-Pausen, Kekssorten, Tote in Schätzings Hörbuch, Nahtoterlebnisse von Emma, Selfies vor Rastplatzschildern und Schlaglöcher später haben wir die letzte Tankstelle vor dem Tunnel sous la manche erreicht und sind wahr und wahrhaftig fast am Ziel. Ich möchte wieder einmal freudig das Tanzbein schwingen, aber die Unmengen an Reisetabletten und das lange Sitzen im Auto lassen mich eher aussehen wie einen hilfsbedürftigen Taugenichts, der wieder einmal einen über den Durst getrunken hat. Meine Geschwister machen sich leicht angewidert davon und steigen lieber wieder in ihren Flitzer. Ich beschließe in meinem Delirium noch einmal, die Reiseunterlagen zu checken und zupple verquollen den Ordner heraus.

Hmmm, warum steht hier eigentlich Samstag? Ist heute nicht Freitag?

Heute ist doch aber tatsächlich …

Wie ich es auch drehe und wende, da steht eindeutig Samstag – das darf doch nicht wahr sein!

Ich bekomme nahtlos so viel Kammerflimmern wie das Betäubungsmittel der Vomex-Batterie noch zulässt. FREITAG, SOPHIE! HEUTE IST FREITAG!

Und das Auto meines Bruders ist eindeutig auf Samstag gebucht.

Gerade bin ich kurz davor, vollends zu hyperventilieren, da kommt Paul an die Scheibe und sagt ganz entspannt: „Wir sind doch jetzt sowieso gleich dort, da können wir das ja direkt klären.“

Ich muss ihm Recht geben, obwohl mir trotz allem weiterhin speiübel ist. Wie kann man nur so doof sein … Vor ein paar Stunden haben wir das Votum für den Brexit erfahren und ich bin mir gerade nicht sicher, ob sie unsere Autos an der Grenze nicht lieber in Flammen stecken, als das verfluchte Ticket umzubuchen, aber Hey! Die Hoffnung stirbt immer zuletzt.

Wir kommen am Tunnel an, meine Nervosität steigert sich ins Bodenlose. Im schlimmsten Fall kann es passieren, dass meine Geschwister erst morgen über die Grenze dürfen. Emma wird auf Herz und Nieren geprüft, trägt es nach einem missglückten Fluchtversuch vor der ominösen fremden Frau mit misstrauischer Fassung und ich gewinne nebenbei mein schottisches Souvenir, denn ihr Chip wird gescannt, allerdings kann ich mich gerade nicht gebührend genug darüber freuen.

Nachdem Mama, Paul und ich ein paar Mal auf der Schnellstraßen-Zufahrt hin und her gehoppelt sind, an allen „Betreten strengstens untersagt“-Schildern vorbei, und bereits eine Gefolgschaft Security-Leute auf uns aufmerksam gemacht haben, erbarmt sich dann schließlich tatsächlich noch jemand, unser Ticket umzubuchen. Erleichterung in ihrer reinsten Form!

Auch am Zoll haben wir wieder Spaß. Der Lautsprecher neben uns verlangt unsere Pet-License und wir halten voller Enthusiasmus und zu dritt den geforderten Wisch direkt an die Sprechmuschel, bis ein mitleidig lächelnder Mann aus seinem Häuschen kommt und sich unserem Dilemma annimmt.

Meine Geschwister wedeln im Auto hinter uns fröhlich mit Bargeld, obwohl die Umbuchungsgebühr nur mit Kreditkarte zahlbar ist und wir machen eine Arschbombe in einfach jedes Fettnäpfchen, das man mitnehmen kann. Naja, es war ein langer Tag mit viel Aufregung und die Zoll-Mitarbeiter sind wirklich alle sehr nett. Mama und ich traktieren jeden, der sich uns annimmt mit einem farbenfrohen Kauderwelsch aus Französisch und Englisch und schließlich sind wir durch die Schranken und reihen uns in die Schlange aus anderen Tunnel-Kumpels ein. Paul ist fast ein bisschen enttäuscht. So ein lauschiges, französisches Hotel hätte er auch nicht verschmäht, wenn das mit der Umbuchung nicht funktioniert hätte. Gerade verdauen wir noch die Aufregung und Emma freut sich, dass die Kiste unter unseren vier Buchstaben endlich steht, da rollen die ersten Züge ein. Riesige, klobige Container-Würmer in metallischem Silber schieben sich knarrend voran. Ich komme mir vor wie in einem skurrilen neuen Teil von Mad Max. Am Horizont kann man ihn schon sehen, den Schlund in die Tiefe, der uns verschlucken wird wie das Maul eines gewaltigen Wals, um uns mit sich in die Tiefe zu reißen.

Mir bleibt der Mund offen stehen. „Woooow, seht euch das an – das ist so was von spannend!“

Mama wird ganz weiß um die Nase und noch dazu immer wortkarger.

Nacheinander werden wir in den bereitstehenden Raketenwurm gewunken. Er glänzt metallisch in der Sonne. Okay, ich hatte mir die ganze Sache etwas anders vorgestellt. Ich dachte, der Zug wäre breit genug für ein paar Autoreihen nebeneinander und man könnte darin herumlaufen wie auf einer Fähre und einen Milchshake an der Zug-Bar trinken.

In der Realität ist es eng. Und zwar so eng, dass ich mir nicht sicher bin, ob jemand mit Platzangst diese Sache packen könnte. Man soll sich zwar seinen Ängsten stellen, aber man muss ja nicht gleich mit dem Endgegner anfangen. Links und rechts neben unserem Camping-Bus ist genau noch so viel Platz, dass eine kleine Frau mit wilder Lockenmähne sich unauffällig vorbeischieben kann, um dann urplötzlich breit grinsend direkt neben der Fahrertür zu erscheinen und mit den Armen zu wedeln. Ich muss kurz an The Shining denken, erschrecke mich halb zu Tode und wäre Emma nicht inzwischen zu einer hechelnden Litfaßsäule erstarrt, sie hätte der wildfremden Dame ganz sicher ordentlich die Leviten gelesen. Schnell stellen wir fest, dass die überglückliche Frau zum Tunnel-Personal gehört und uns die Sicherheitsvorkehrungen erklären möchte. Motor aus, Fenster ein kleines Stück öffnen und während der Fahrt das Fahrzeug nicht unbedingt verlassen und vor allem nicht zwischen den Autos herumlaufen. Außerdem sollen wir das Autoradio ausschalten wegen der Durchsagen während der Fahrt.

Sie erzählt es wie die Verkündung eines Sechsers im Lotto. Der unglaubliche Enthusiasmus dieser netten Frau lässt auch meine Sorge etwas schrumpfen, der Tunnel könne in der Mitte einfach über uns zusammenstürzen. Auf jeden Fall geht es mir besser, als sie singend und lachend das „Weite“ sucht.

Es ist trotz allem eng und düster. Trotz der strahlenden Sommersonne draußen, haben wir nur winzige, schmale Luken zur Verfügung, um zu sehen, ob wir noch über, oder schon unter Wasser sind. Emma findet das Ganze so uncool, dass ich mich mit ihr ans Fußende setze und versuche, sie ein bisschen zu beruhigen. Ich hoffe nur, dass das sensible Seelchen nicht hyperventiliert.

Eine bange Spannung macht sich unter uns breit. Es geht los. Der Zug rollt an und schunkelt uns schwerfällig hinunter in die Dunkelheit. Das können wir nur an den kleinen Schießscharten über uns erkennen, im Zug selbst flackert ein dumpfes Licht. Es ist ziemlich warm, um nicht zu sagen heiß, aber wir versuchen, gute Stimmung zu verbreiten. Für Emma, die sich an mich drückt und ängstlich meinen Arm besabbert.

Hinter uns steht ein weißes Wohnmobil und ich stelle mit Schrecken fest, wie fünf Leute hinaus gekrabbelt kommen und zwischen unseren Autos ihre Camping-Garnitur aufstellen, um eine lustige, kleine Tunnelparty zu feiern. Schnittchen und Thermoskannen, alles haben sie dabei. Ich bin kurz davor, zum Moralapostel zu mutieren, aber ich muss mein unter Schock stehendes Hundemädchen betreuen. Es schaukelt ganz schön, ich erinnere mich an unsere Kreuzfahrt bei Windstärke 5. Kurz vorm Ende des Mini-Rodeos unter Tage entdeckt unsere fröhliche Belehrungs-Freundin die illustere Truppe und gebietet dem illegalen Treiben ein Ende, ohne ihr Strahlen einzubüßen.

Und dann ist es so weit: Wir verlassen den Tunnel auf britischem Hoheitsgebiet.

Welcome to England!

Die „Unterfahrt“ geht wirklich schnell, insbesondere, wenn man von Regel brechenden Rowdys, hyperventilierenden Hundeprinzessinnen und beschwingten Scheibenspringern abgelenkt wird.

Draußen schreien die Möwen, durch die Luken sehen wir Strand, Meer und Klippen. Es ist, als seien wir innerhalb von 30 Minuten in eine Parallelwelt gesaugt worden.

Da sind wir also. Unsere Freude scheint anzustecken, denn auch Emma wird wieder aktiv und will unbedingt sehen, was da vor dem Zug los ist. Draußen direkt an der Ausfahrt hat sie sogar einen großen eingezäunten Auslauf mit Wiese und Wassernäpfen.

Wir lassen uns den britischen Wind um die Nase wehen und beobachten die kreischenden Sturmmöwen, während Emma die Glieder streckt, sich austobt und langsam wieder sie selbst wird.

Na dann – nächster Halt: Canterbury!

LEKTION 2: MANCHMAL MUSS MAN ERST EINEN LANGEN, DUNKLEN TUNNEL DURCHQUEREN, UM EINE SCHÖNE NEUE WELT ZU FINDEN.

TAG 1
CANTERBURY
„DER GHOST WAR ABER AUS CANTERVILLE“

Emma ist nicht unbedingt die Glückseligkeit in Person, als wir sie ihrer Wiese entreißen und wieder ins Auto schieben. Sie guckt ganz bedröppelt und stemmt sich mit jedem Einzelnen ihrer 36 kg gegen meine drängenden Arme. Ein unfairer Kampf, aus dem ich natürlich als Gewinner hervorgehe, und kurz darauf hockt Emma wieder in ihrem Auto-Hundebett hinter den Vordersitzen wie ein Häuflein Elend.

Papa buddelt sich mit roten Adern in den Augen durch den Linksverkehr über ein paar südenglische Hügel und Straßen, die einer Zwergenwelt entsprungen zu sein scheinen, und nur vierzig Minuten später haben wir auch schon Canterbury erreicht. Bereits auf dem Weg nerve ich alle mit nicht endenden Schwärmereien. „Oh, seht mal, das Haus – Oh, seht mal, die Hügel – Oh, seht mal, das Grün …“

Emma starrt teilnahmslos vor sich hin und die Family kann es nicht erwarten, den nächstbesten Pub zu stürmen.

Nach einem kurzen Schlagabtausch über den „Ghost of Canterbury“ stellt sich heraus, dass wir den Ghost in der falschen Stadt verankert haben. Das war dann ja wohl der „Ghost of Canterville“, ist aber gar nicht schlimm, denn auch Canterbury hat beachtenswerte Geister vorzuweisen.

WISSENSWERTES UND LEGENDÄRES ZU CANTERBURY

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