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Helene Elis

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Beschreibung

Keine Angst vor Hartz4 - warum eigentlich nicht? Sonja Meining, studierte Hauptschullehrerin, erfährt am eigenen Leibe, was geschieht, wenn Menschlichkeit auf Hartz4 prallt - und beschließt, ihren Weg unbürokratischer und trotziger zu beschreiten, als es das System ihr abverlangen will: Sie schreibt direkt an die Kanzlerin - und zwar in anschaulichen kleinen Briefen. Sie beginnt, sich zu wehren, doch ihre Chancen stehen schlecht ...

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Helene Elis

Sehr geehrte Frau Merkel!

Briefe einer Bürgerin

Dem deutschen Volke und seinen Politikern. BookRix GmbH & Co. KG80331 München

Widmung

 Dieses Buch widme ich dem deutschen Volkeund seinen Politikern.

Vorwort

„Jeder ] ... [ hat die Pflicht, in seinem Leben den Platz zu suchen, von dem aus er seiner Generation am besten dienen kann.“

 

Alexander von Humboldt

Bitte kommen Sie wieder!

 Nun war Sonja Meining also schon bald zwei Jahre lang krank: Das hätte sie sich nie träumen lassen! Sie fühlte sich zunehmend unsicher, während sie auf das Gebäude mit den zwei großen "A" zu lief. Der dicke Stapel Unterlagen unter ihrem Arm rutschte unbehaglich am Stoff ihrer Jacke entlang. Außerdem machte sie sich Sorgen: Wie würde sie sich verständlich machen? Auf Ämtern hatte sie nicht so gute Erfahrungen gemacht. Es fehlte Sachbearbeitern offenbar an Kommunikationsfähigkeiten, die einen Blickkontakt notwendig machten!

 

Der Verkehr war unfassbar laut, für acht Uhr morgens eindeutig zu viel! Gerade hatte der Sommer begonnen. Kurz vor den Ferien schien jeder in eine Art Wahn zu verfallen, der in einem Auto am Steuer saß ...

Als die Fußgänger-Ampel auf grün schaltete, bremste ein kleiner weißer Polo gerade noch vor ihr ab. Sonja erschrak und wollte rufen:

"Idiot!"

Doch aus ihrem Hals kam kein Ton. Seit zwei Jahren nun, und weil ihr ein Arzt attestiert hatte, dass die Stimme noch eine Weile so bleiben könne, machte sich die studierte Lehrerin nun langsam wirklich Sorgen um ihren Job!

 

Seufzend lief sie auf das Gebäude zu, das wenig einladend aussah: hohe kahle Wände, Neonlampen, der Boden in wenig liebevollem Grau. Bereits jetzt war dort eine Schlange vor dem Schalter - Sonja war also Nummer fünf. Na, immerhin. Die Tür zu diesem Zimmer stand weit offen. An der hohen Theke redete eine Frau mit Akzent sehr laut darüber, dass sie dringend ein Formular benötige, während eine Stimme hinter der Rezeption laut dagegen argumentierte:

"Das habe ich verstanden. Hören Sie? Hier ist nur die Annahme. An - nah - mööö!  Das machen wir hier gar nicht!"

"Bin ich geschickt worrden hierr, Sie mussen das machen jetzt!"

Vier Leute machten lange Gesichter, als eine kleine, rundliche Frau hinter der Theke hervorkam und mit einem Bündel Papier aus dem Zimmer stapfte. Sie verschwand im Nachbarzimmer.

 

"Es dauert nur fünf Minuten", hatte man Sonja über die Anmeldung für ALG1 - also Arbeitslosengeld für Ausgesteuerte - informiert: Sonja sah nun, wie diese fünf Minuten hinter verschlossener Tür verstrichen. Na schön; dann würde sie eben erst um zehn oder elf zum Arzt kommen. Was soll' s, dachte sie.

 

Um zehn Uhr war sie endlich dran. Die Frau an der Annahme lächelte:

"Ah, kommen Sie zur Abgabe? Wann war Ihr Termin?"

Sonja war irritiert. Sie zeigte als Erstes auf ihren Hals und machte eine Geste, die andeutete, dass es nicht klappen würde, sich mit ihrer Stimme verständlich zu machen.

"Ach, heiser? Ja, das ist ja blöd, ne? Können Sie denn flüstern?"

Sonja nickte, war aber genervt. Jedes mal dasselbe: Die Leute sprachen lauter, als sei sie auch taub!

"Nein, nein, ich komme zur Anmeldung", flüsterte sie angestrengt.

"Ach? Wozu dann so viel Papier?", fragte die Frau von ihrem Bürostuhl aus in die Höhe.

Sonja zuckte mit den Schultern und flüsterte mit Nachdruck:

"Ich dachte, das können Sie alles gebrauchen. Mein Formular von der Krankenkasse ... mein Rentenantrag ... meine Papiere zum Nachweis von Miete und ..."

"Nein, nein!" protestierte die kleine Frau und nahm entspannt die Brille von der Nase, um sie zu putzen. "Also, ich brauche eigentlich nur das Schreiben von Ihrer Krankenkasse ..."

Mit einem galanten Schwung landete das Papier vor der Nase der Sachbearbeiterin.

"Donnerwetter!", lobte sie und setzte die Brille wieder auf, "da ist ja mal jemand sortiert!"

Und mit einem Blick über ihre Brille hinweg, der verwegen aussehen sollte, vermutete Sonjs, fügte sie hinzu: "Sowas bin ich hier nicht gewöhnt!"

Sie lachte. Sonja war nicht danach zumute - sie linste auf ihre Uhr wegen des Arzt-Termins. 

Zwei weitere Schreiben schwebten zu der Dame hinunter, die nun abwehrte:

"Nein, nein, das brauche ich alles nicht. Hören Sie, das ist hier alles neu! Sie bekommen von mir nur drei Dinge: Erstens einen Termin! Nehmen Sie den nicht wahr, dann bekommen Sie kein Geld und müssen wieder hier zu der Anmeldung. Okay? Zweitens, eine gelbe Mappe. Da kommen Ihre Papiere hinein. Ich schreibe Ihnen auf, was ich alles brauche ..."

"Aber ich habe doch alles hier!", protestierte Sonja stimmlos.

Die Frau sah erneut auf den großen Schwung Papiere unter dem Arm der rothaarigen Frau:

"Na schön, lassen Sie mich mal sehen."

Und nach einiger Zeit merkte sie, dass Sonja mehr als "sortiert" war.

"Meine Güte, alles da. Ja, sogar ihr Einkommenssteuerbescheid ... toll! Wirklich toll ... Ah!"

Die Dame hob den Kopf: "Es fehlt doch etwas!"

Sonja sah sie fragend an.

"Es fehlt eine aktuelle Schulbescheinigung ihres Kindes! Tja, und damit müssen Sie wohl oder übel noch einmal kommen. Sie werden so oft kommen, bis Sie alle Unterlagen beisammen haben. Aber ich schreibe sie Ihnen alle auf, dann haben Sie nichts zu befürchten."

Sonja seufzte. Was für ein Theater!

"Sie müssen nämlich wissen: Erst wenn Sie alles beisammen haben, können Sie den Antrag stellen. Und erst wenn der Antrag gestellt ist, kann der bearbeitet werden."

"Wie lange? Bearbeitung?", versuchte Sonja, sich kurz zu fassen.

"Ja ja, das kann ein paar Wochen dauern. Deshalb sage ich das ja."

Als Sonja die Liste in den Händen hielt, verdrehte sie die Augen:

"Da ist nur eines. Wegen der Schulbescheinigung"

"Ja", nickte die Sachbearbeiterin. "Tut mir leid, die müssen wir haben. Ihr Kind könnte ja inzwischen arbeiten."

"Aber", sagte Sonja.

"Es könnte auch tot sein", konstatierte die Sachbearbeiterin.

Sonja versah die Frau mit einem entsetzten Blick, was diese allerdings offenbar gewöhnt war.

"Ich habe kein Kind", flüsterte Sonja.

"Ach? Aber es fehlt auch eine Lohnbescheinigung. So, und in der roten Mappe hier, da sammeln Sie alles über sich, was Ihre Einnahmen betrifft und Ausgaben. Diese Mappe ist sehr, sehr wichtig! Haben Sie das verstanden?"

Sonja nickte.

"Na, dann haben Sie ja beinahe alles! Jetzt stellen Sie sich bitte dort drüben in die Schlange! Denn dort bekommen Sie nun einen Termin zur Abgabe Ihrer Unterlagen."

"Die ich jetzt schon hier habe", flüsterte Sonja.

"Bis auf die Schulbescheinigung ... Die Lohnbescheinigung. Auf dem Zettel."

Hinter Sonja hustete eine etwa vierzig Jahre alte Matrone hingebungsvoll auffällig. Sonja verstand.

"Dort in die Schlange?", flüsterte sie.

"Ja", nickte die Frau.

 

 

***

 

 

Es war gegen viertel vor elf, als Sonja aus einem Sekundenschlaf hoch schreckte, weil sie ihren Namen hörte. Eine andere Frau war bereits aufgesprungen - doch Sonja begriff und hechtete mit einem Satz vom grauen, unbequemen Stuhl hoch und zwischen den Sachbearbeiter und die Vordränglerin. Gerade noch rechtzeitig!

Dieser Mann war wohl gut gelaunt, na immerhin!

"Frau Meining? Zur Terminvergabe?"

"Ja!", schrie sie fast und bereute es, denn sofort tat ihr der Hals schrecklich weh - zudem kam eher ein Röcheln aus ihrer Kehle.

"Oje", bemitleidete sie der Sachbearbeiter, "das klingt ja gar nicht gut. Na, dann setzen Sie sich doch bitte. So. Also, am ... 16. August könnte ich Ihnen dann einen Termin anbieten."

Sonja saß kaum, da schüttelte sie auch schon den Kopf und flüsterte:

"Dha hat mheine Mhutter Gheburtsthag!"

"Ja, gut", sagte der Sachbearbeiter, "dann nehmen wir den Termin eine Woche später."

"Heine Whoche sphäter?!", krächzte Sonja.

"Ja, wir sind schwer ausgebucht, Frau Meier."

"Mheining", verbesserte Sonja. "Dann nehme hich lhieber dhen handeren Thermin."

"Oh!", sagte der Sachbearbeiter. "Äh, naja, der ist gerade weggeschnappt worden! Ich trage Sie mal schnell ein für den 23. August, Frau Meier!"

"Mhei- ning!", hauchte Sonja.

"Mei-Ling?"

Nun sah der Sachbearbeiter erneut auf von seinem Bildschirm, wohl um zu sehen, wo das Asiatische an Frau Meier denn steckte, das ihm anscheinend bislang entgangen war.

"Hich heiße ..."

"Also hier steht ...", las der Mann nun vom Bildschirm ab, "Meining. Sie heißen Meining! Stimmt doch?"

Sonja nickte nun eifrig und bestätigend.

"Na also, bringen Sie mich hier nicht durcheinander! Sonst bekommt Frau Mai-Ling Ihren Termin am ... och!"

Enttäuschung breitete sich auf seinem Gesicht aus: "Jetzt ist der auch weg. Also, ich schau mal - am 25. August ist auch noch einer frei. Nehmen Sie den?"

Sonja nickte hastig.

"Gut - ich trage ein: 26. August - Frau Meier."

"Mhei-nink!", verbesserte Frau Meining.

"Ja, alles klar! Ich habe Sie, Frau Meier! Aber dann bringen Sie bitte auch alle Unterlagen mit, ja? Ich schreibe Ihnen den Termin sogar auf Ihre gelbe Mappe - Sie haben doch eine gelbe Mappe? Ah, ja danke! Frau, äh ... Meining!"

 Sonja schwieg und starrte an die Decke. Dort oben war eine hässliche und halb kaputte Halogenlampe von 1969. Flehentlich schickte sie ein Stoßgebet gen Himmel, dass der Termin noch diesen Sommer mit ihr, Sonja Meining, klappen würde. Tatsächlich überkamen sie Gedanken, warum sie nicht einfach wieder arbeiten gehen sollte!

"Ja, schön, dann also am 24. August, Frau Meining! Nicht wahr?"

Sonja lächelte: Genau, das war nicht wahr. Aber sie würde hier noch Wochen zubringen, wenn sie sich darauf konzentrierte, aus dem Kerl einen korrekten Satz zu bekommen ...

 

 

***

 

 

Am Abend schrieb Sonja in ihr Tagebuch einen Brief, und sie überlegte, ob sie ihn vielleicht tatsächlich abschicken sollte: 

 

"Sehr geehrte Frau Merkel!