Sei einzig, nicht artig! - Martin Wehrle - E-Book + Hörbuch
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Sei einzig, nicht artig! E-Book

Martin Wehrle

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  • Herausgeber: Mosaik
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2015
Beschreibung

Lebenscoaching vom Bestsellerautor.

Nie war die Gefahr so groß wie heute, die eigenen Wünsche und Träume zu verraten. Der moderne Mensch lebt für die Arbeit, für die Familie oder für den Facebook-Account, aber nicht mehr für sich selbst. Die Medien sagen uns, was wir denken sollen; die Modedesigner, wie wir uns zu kleiden haben; die Arbeitgeber, womit wir den Tag verbringen müssen. Oft sind Burnout und Depression die Folge dieser Angepasstheit.

Erfolgsautor Martin Wehrle fordert uns deshalb dazu auf, nichts mehr nur für andere zu tun, sondern alles für uns selbst. Gemäß dem Motto: Sei einzig, nicht artig!

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Seitenzahl: 426

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Buch

Nie war die Gefahr so groß wie heute, die eigenen Wünsche und Träume zu verraten. Der moderne Mensch lebt für die Arbeit, für die Familie oder für den Facebook-Account, aber nicht mehr für sich selbst. Die Medien sagen uns, was wir denken sollen; die Modedesigner, wie wir uns zu kleiden haben; die Arbeitgeber, womit wir den Tag verbringen müssen. Oft sind Burnout und Depression die Folge dieser Angepasstheit. Erfolgsautor Martin Wehrle fordert uns deshalb dazu auf, nichts mehr nur für andere zu tun, sondern alles für uns selbst. Gemäß dem Motto: Sei einzig, nicht artig!

Autor

Der Erfolgsautor Martin Wehrle ist Deutschlands bekanntester Karriere- und Lebenscoach. Seine Bücher haben rund um den Globus begeisterte Leser gefunden, zuletzt erschien der Spiegel-Bestseller »Der Klügere denkt nach«. An seiner Karriereberater-Akademie gibt er Erfahrungen weiter und bildet mit großem Erfolg Coachs aus. Firmen schätzen ihn als unterhaltsamen Redner und Podiumsteilnehmer.

Außerdem von Martin Wehrle im Programm:

Geheime Tricks für mehr Gehalt

Bin ich hier der Depp?

Viel Fleiß, kein Preis

Der Klügere denkt nach

Noch so ein Arbeitstag und ich dreh durch

Martin Wehrle

Sei einzig, nicht artig!

So sagen Sie nie mehr JA, wenn Sie NEIN sagen wollen

Alle Ratschläge in diesem Buch wurden vom Autor und vom Verlag sorgfältig erwogen und geprüft. Eine Garantie kann dennoch nicht übernommen werden. Eine Haftung des Autors beziehungsweise des Verlags und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist daher ausgeschlossen. Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

© 2019 Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Dieses Buch wurde vermittelt durch die Montasser Medienagentur, München Illustrationen: Dirk Meissner Gedichte 1 und 2 aus: Dr. Erich Kästners lyrische Hausapotheke © Atrium Verlag, Zürich, 1936 und Thomas Kästner Covergestaltung: Uno Werbeagentur, München Covermotiv: Shutterstock/T-Kot Redaktion: Dr. Christine Laudahn KW · Herstellung: IH ISBN 978-3-641-15459-2V005www.goldmann-verlag.de

Es ist besser, für das, was man ist, gehasst, als für das, was man nicht ist, geliebt zu werden.George Bernard Shaw

Inhalt

VorwortIch hab da was verloren: Mein Leben!

Teil 1 Artig leben: Warum Anpassung Ihr Unglück ist

1 Im falschen Film: Guten Tag, ich will mein Leben zurück!

Ein Leben wie Format-Radio

Die verschütteten Wünsche

Ich spare Zeit, doch habe keine

Prominent erlebt: Der Tod als guter Freund

Warum Sie nichts müssen, aber vieles dürfen

Vergessen Sie die Vorbilder!

2 Der Werbe-Wahn: Mein Haus, mein Auto, meine Not

Der Fremd-Körper in meinem Spiegel

Jung, reich, schön: Die heilige Dreifaltigkeit

Sie wollen in deinen Kopf!

Die Marionetten des Marketings

3 Die Erziehungs-Falle: »Wenn du brav bist, hat Mami dich wieder lieb!«

Als die Nachtigall verstummte

Von Entführern und Erziehern

»Wir lieben dich, wenn …«

Die Schule der Anpassung

Prominent erlebt: »Du schreibst Schund!«

»Was sollen die Kolleginnen denken?«

4 Der Ego-Shooter: Ich bin ja so ein Versager!

Die Sklaven des Anspruchs

Das Glück am Sankt-Nimmerleins-Tag

Nur wer schwitzt, kommt in den Himmel

Alles ist möglich, wenn du nur willst!

5 Einfach krank: Warum Anpassung zu Burnout und Depression führt

Die schwarze Spur der Seele

Im Würgegriff der Pflicht

Arbeit ohne Ende

Prominent erlebt: Pünktlich Feierabend im Top-Management

Die Hölle der Hilflosigkeit

Teil 2Einzig leben:

6 Der große Life-Check: Sitzen Sie noch am Steuer?

Der große Lebens-Test

Generelle Auswertung: Ihre allgemeine Selbstbestimmung

Auswertung im Detail: Ihr Leben im Überblick

7 Ich verlange Respekt: Warum es gut ist, wenn nicht jeder Sie liebt

Ich verbiege mich für keinen!

Raus aus der Nettigkeits-Falle!

Das Märchen von tausend und einem Freund

Prominent erlebt: Der Weltstar als Penner

Liebe dich selbst – sonst liebst du keinen

8 Der Preis ist heiß: Was kostet Sie die Veränderung?

Enttäuschen Sie andere – aber nicht sich selbst!

Der Weg vom Zaudern zum Handeln

So nutzen Sie die Entscheidungs-Ökologie

Ein Manager steht im Walde

9 Wunsch-Konzert: Was Ihre Sehnsüchte Ihnen flüstern

Warum ein zweiter Blick auf Ihre Wünsche lohnt

Das Lebensglas mit Sinn füllen

Weg mit Algebra – her mit Intuition!

Prominent erlebt: Ein Schüler vor Gericht

Freie Wahl: Welche neue Identität darf’s sein?

Holen Sie sich, was Ihnen fehlt!

10 Denken ist Glückssache:Warum Zufriedenheit im Kopf beginnt

Sind Ihre Gedanken frei – oder im Käfig?

Warum es glücklich macht, nach unten zu schauen

Die Etikettier-Maschine in Ihrem Kopf

Der ABC-Trick – wie Sie denken, was Sie wollen

Ein Nein zum Chef mit Anlauf

Finger weg vom Publikumsjoker!

11 Ein wohl-gefühltes Leben:Wie Emotionen Ihre Freunde werden

Manipulation durch Emotion

So nutzen Sie Ihre emotionale Intelligenz

Selbstmitleid ade: Kein Gesang an der Klagemauer

Prominent erlebt: Der Professor, der die DDR niederlachte

Folgen Sie Ihren Träumen – nicht Ihren Impulsen!

12 Arbeits-Sieg:Wie Ihr Beruf Ihnen wieder Erfüllung schenkt

Die Legende vom Aufstieg

Prominent erlebt: Der Konzernchef im alten Ford Focus

Flow: So arbeiten Sie sich glücklich!

Spiel mit Grenzen: Vergiss es, Chef!

Warum Ihr Leben vor Feierabend beginnt

13 Beziehungs-Weisheit:Von der Kunst, sich mit den richtigen Menschen zu umgeben

Warum Menschen der Himmel, aber auch die Hölle sind

Haben Sie die richtigen Freunde?

Prominent erlebt: Zwei Freunde vom Radio

Nicht ganz Mama, nicht ganz Papa – ganz ich selbst!

Wenn die Liebe Ihnen Mut macht

14 Anstiftung zum Nein-Sagen:Wie Sie sich mit einem Wort das Leben retten

Das große Ja im Nein

Der Strafraum der Individualität

Die 22 besten Tipps zum Nein-Sagen

Fünf Strategien für Ihre mentale Nein-Stärke

Fünf Strategien für Ihre Nein-Rhetorik

Prominent erlebt: Mein Weg zum Irrenhaus

Zwölf Strategien für Ihr praktisches Nein

Nachwort: Ich hab da was gefunden – mein Leben!

Weiterführende Literatur

Quellenverzeichnis

Sachregister

Vorwort

Ich hab da was verloren: Mein Leben!

»Was glauben Sie: Wie verlieren die meisten Deutschen ihr Leben?« Ich rief die Frage von der Bühne in den vollen Saal und wartete gespannt auf erste Reaktionen aus dem Publikum.

Ein junger Mann mit strohblonder Igelfrisur ließ seinen Arm nach oben schnellen. »Durch Herzleiden.«

»Nein«, sagte ich.

»Durch Krebs«, rief eine Frau mit schwarzem Zopf von weit hinten.

»Nein.«

»Unfälle?«, murmelte ein Herr mit Silberlocke.

»Nein.«

Ein nervöses Tuscheln lief durch die Reihen, ich schnappte auf: »Alkohol«, »Demenz«, »Selbstmord«. Und immer wieder rief ich: »Nein.«

»Sie wollen uns doch veralbern!«, maulte der junge Mann mit der Igelfrisur. »Wie denn sonst?«

Ich ließ meinen Blick langsam durch den Saal wandern, dann sagte ich: »Die meisten Menschen verlieren ihr Leben, weil sie es abtreten an andere. Weil sie Ja sagen, wenn sie Nein meinen. Weil sie mit dem Strom schwimmen, aber gegen ihre Sehnsüchte. Weil sie Berufe ausüben, die nicht ihre Berufung sind. Weil sie Beziehungen eingehen, in denen ihr Herz eingeht. Weil sie ihre Topfpflanzen jeden Tag gießen, aber sich um ihr inneres Wachstum nicht mehr kümmern.«

Im Saal war es ganz still geworden, und ich fügte hinzu: »Mit 18 verlieren sie ihr Leben – und mit 88 sinken sie ins Grab.«

Ich war genau 18 Jahre, als ich mein Leben verlor. Meine Eltern freuten sich an diesem Tag ein Loch in den Bauch. Die Verwandtschaft rief an, um zu gratulieren. Und meine Freunde forderten mich auf, in der Dorfkneipe eine Runde zu schmeißen. Ich galt als Glückspilz. Denn ich hatte mich als Beamtenanwärter bei einer Behörde beworben, mit Erfolg. Alle freuten sich, priesen den »sicheren Arbeitsplatz« und feixten: »Als Beamter arbeitest du dich nicht tot.« Sie irrten sich.

Zwei Jahre lang saß ich in einem Rathaus zwischen Aktenbergen, die genauso verstaubt waren wie die politischen Ansichten meines Ausbilders. Er ließ mich Artikel aus der Lokalzeitung ausschneiden (am liebsten solche, die er selbst über Gemeinderatssitzungen geschrieben hatte), Akten lochen, Kopien machen, Botengänge erledigen und mäkelte an meinem Schreibstil herum (dabei hatte ich in der Schule immer die besten Aufsätze geschrieben). Und wenn mal ein Bürger um 12.01 Uhr auftauchte, um seinen Personalausweis abzuholen, musste ich ihm die Tür vor der Nase zuschlagen mit dem Hinweis, die »Besuchszeit« sei leider schon seit einer Minute vorbei.

Ich war ein kreatives Kind gewesen, hatte Spiele und Geschichten erfunden. Jetzt langweilte ich mich zu Tode. Abends fühlte ich mich zu erschöpft, um noch Freunde zu treffen. Dabei hatte ich den ganzen Tag kaum etwas getan – außer 500 Mal auf die Uhr zu schauen, immer in der Hoffnung, es sei bald Mittagspause, bald Feierabend, bald Wochenende (doch die Uhr lief umso langsamer, je öfter ich schaute!).

Eine unglückliche Zeit war das für mich. Zwei Jahre. Ich wollte Gestalter sein, aber siechte als Verwalter vor mich hin. Ich hatte mein Leben verloren. Und warum? Ich hatte zu viel auf fremde Ratschläge gehört und zu wenig auf mein Herz.

Also: Legen Sie dieses Buch zur Seite, wenn Sie die unfehlbaren Tipps eines Gurus erwarten, der selbst immer alles richtig gemacht hat und Ihnen Ihr perfektes Leben in den Block diktiert; für diese Rolle tauge ich nicht, und gute Entscheidungen kommen immer aus Ihnen selbst heraus, nie von außen. Und legen Sie dieses Buch auch dann zur Seite, wenn Sie glauben, allein die Lektüre werde Ihr Leben verändern. Das wird sie nicht. Nicht allein.

Dies ist ein Weckruf, aber Sie entscheiden selbst, ob Sie das warme Bett der Gewohnheit verlassen oder sich aufs andere Ohr drehen. Nur wenn Sie aufstehen und sich gegen die fremden Erwartungen auflehnen, wenn Sie vom Lesen zum Handeln übergehen, können Sie Ihre Einzigartigkeit mit Leben füllen. Kein Lesebuch wollte ich schreiben, das Sie sich kopfnickend zu Gemüte führen, sondern ein Lebensbuch, das Ihr Denken, Ihr Handeln, Ihr Leben verändert. Und das funktioniert nur, wenn Sie aus vollem Herzen mitmachen.

Die wichtigste Voraussetzung, um in die Einzigartigkeit abzubiegen, ist der brennende Wunsch in Ihnen, sich und Ihr Leben wachsen zu lassen, äußere Erwartungen abzuschütteln und in ein selbstbestimmtes Leben durchzustarten, ein Leben, das perfekt zu Ihnen passt.

Erfüllen Sie diese Voraussetzung? Ich bin guter Dinge, denn warum hat Sie dieses Buch sonst angesprochen? Ich schätze, weil Sie ein Mensch sind, der über sein Leben nachdenkt und lieber einen Schritt auf sein Glück zugeht, als vergeblich zu warten, dass es an seiner Haustür klingelt. Und vielleicht haben Sie die Anpassung satt, weil Ihnen ebenso wie dem britischen Philosophen Bertrand Russell aufgefallen ist: »Menschen, die immer daran denken, was andere von ihnen halten, wären sehr überrascht, wenn sie wüssten, wie wenig die anderen über sie nachdenken.«

Wenn Sie schon so weit sind, gratuliere ich Ihnen; denn die meisten machen es umkehrt: Sie arrangieren sich mit ihrem Leben, statt ihr Leben für sich zu arrangieren. Sie fahren im letzten Waggon ihres eigenen Lebenszuges. Die Lok wird von anderen geführt, die Weichen werden von anderen gestellt. Und so rast der Zug an Lebenszielen vorbei und bleibt an Stellen stehen, wo sich das Leben schlecht anfühlt.

Mich hat mein Lebenszug in einem Rathaus abgesetzt. Ich meinte, frei zu handeln, doch war nur eine Marionette. Die gefährlichste Krankheit der Gegenwart hatte mich erwischt, ein Volksleiden, das immer mehr um sich greift: die heimliche Fremdbestimmung. Dadurch war mein Glück entgleist.

Was können Sie tun, um (vermeintliche) Zwänge abzuschütteln und in die Lok Ihres Lebenszuges zu klettern? Wie können Sie die Weichen so stellen, dass Sie die eingefahrenen Gleise verlassen und in Ihrer eigenen Mitte ankommen?

Dieses Buch wird Sie auf Ihrem Weg zum Selber-Leben begleiten, mit den Erlebnissen prominenter Zeitgenossen von Günther Jauch bis Stephen King, den Weisheiten großer Denker von Aristoteles bis Schopenhauer und vor allem den Geschichten ganz normaler Menschen, die bei mir in der Beratung ihren Lebens-Fahrplan neu festgelegt haben. Diese Erfahrungen, verbunden mit praktischen Coaching-Übungen, liefern Ihnen wertvolles Rüstzeug.

Der erste Teil des Buches deckt die Mechanismen der Fremdbestimmung auf. Sie erfahren, wie diese schon in der Erziehung einsetzen, weshalb wir sie im Zeitalter der Massenmedien und des Internets so leicht mit Eigensteuerung verwechseln und warum Sie auf alle Vorbilder pfeifen sollten, bis auf eines: sich selbst!

Der zweite Teil lädt Sie zu einem großen Life-Check ein, der Ihnen verrät, wie es um Ihre Selbstbestimmung steht und was Sie für Ihr Glück tun können. Praktische Beispiele und wissenschaftliche Studien zeigen Ihnen, wie Sie Ihre Gedanken und Emotionen steuern, die richtigen Freunde wählen und in der Liebe auf- statt untergehen. Am Ende können Sie den schwarzen Gürtel im Nein-Sagen erwerben: Ein Kapitel mit 22 Tipps macht Sie fit dafür, nie mehr Ja zu sagen, wenn Sie Nein sagen wollen. Damit dieses Buch ein Lebensbuch für Sie wird; damit Sie die Weichen so stellen können, dass Sie Ihrer Selbstbestimmung und Ihrem Lebensglück jeden Tag ein Stück näherkommen.

Noch stehen Sie auf dem Bahnsteig. Wollen Sie die Reise antreten? Dann heißt es jetzt: »Achtung, bitte einsteigen, Türen schließen selbsttätig.« Ich verspreche Ihnen: Es wird eine spannende Fahrt.

DER KLEINE NEUDENKER

Der Strenge fragte: »Wo kämen wir hin, wenn jeder nur noch täte, was er will?!«

Der Weise lächelte und sagte: »Ins Glück!«

Teil 1

Artig leben: Warum Anpassung Ihr Unglück ist

1Im falschen Film:

Guten Tag, ich will mein Leben zurück!

In diesem Kapitel erfahren Sie …

▶warum so viele Menschen in einem Film leben, dessen Drehbuch andere schreiben,

▶warum wir so gerne »Ich muss« sagen, statt selbst zu entscheiden,

▶wie Sie Ihren eigenen Tod als besten Lebensberater anheuern

▶und warum die viel gepriesenen Vorbilder Sie nur in die Irre führen.

Ein Leben wie Format-Radio

Der Mann, über den bald ganz Deutschland reden würde, war am 19. Juli 1999 früh auf den Beinen: Um 3 Uhr nachts huschte er durch das Gebäude in Hamburg, ein Schatten auf leisen Sohlen. Sein Blick schweifte nach links und rechts, sein Herz schlug bis zum Hals. Niemand sollte ihn entdecken. Nicht jetzt, ehe seine Tat vollbracht war.

Endlich hatte er den Raum erreicht, wo die vielen kleinen Lichtlein flackerten. Er schlich hinein, schob die schwere Tür zu und schloss ab. Den Schlüssel ließ er von innen stecken. Er wollte es seinen Gegnern möglichst schwer machen.

Und so begann Oliver Pscherer seinen ersten Arbeitstag als Moderator der neuen »Morning Show« des Radiosenders Mix 95.0 – aber ganz anders, als es gedacht war: Er unterbrach die Song-Automatik. Dafür legte er sein eigenes Programm auf, exakt zwei Titel: »Dancing Queen« von ABBA und »No Milk Today« von Herman’s Hermits. Nur diese beiden Lieder ließ er laufen. Wieder und wieder.

Um 3.30 Uhr hämmerten die ersten Fäuste gegen die Tür: »Aufmachen, sofort aufmachen!« Die Kollegen waren im Sender angekommen und wollten den musikalischen Wiederholungstäter stoppen. Doch die Tür des Studios war ebenso stark wie die Nerven des Moderators: Er spielte seine beiden Songs einfach weiter. In endloser Schleife.

Die Telefone klingelten sich heiß: »Was ist da los?«, fragten Hörer. Der Programmchef tobte vor der Studiotür, ein Krisenstab tagte, aber ABBA sang weiter »Dancing Queen«. Vier Stunden dauerte es, bis der Spuk ein Ende fand. »Der Programmchef stürmte herein und zog mich von den Fadern weg«, erinnert sich Oliver Pscherer. »Er sah ziemlich wütend aus.« Danach saß der Moderator »im Geschäftsführerzimmer wie auf einer Polizeistation« und wurde fürs Erste beurlaubt.1

Was hatte den Moderator zu seinem Alleingang getrieben? Frust über das Format-Radio! »Überall dudeln dieselben Songs rauf und runter«, so Pscherer. Die Moderatoren dürfen keine Lieder mehr aussuchen, das Programm wird ihnen diktiert. Darauf wollte er aufmerksam machen.

Fällt Ihnen die Parallele auf? Unser modernes Leben ist wie Format-Radio: Wir spulen ein Einheits-Programm ab, das andere für uns bestimmen. Bei der Erziehung geben die Eltern den Takt vor; bei der Arbeit haben die Chefs die Hosen an; und im Alltag richtet sich unser Kompass oft an den Freunden, Partnern und Nachbarn aus.

Wir lesen dieselben Bestseller, tragen dieselben Kleidermarken, lachen über dieselben Witze, pfeifen dieselben Hits, nutzen dieselbe Suchmaschine, tummeln uns im selben »sozialen Netzwerk« und leiden unter demselben Erreichbarkeitswahn, weshalb wir den eigenen Verstand grundsätzlich vor dem eigenen Handy ausschalten.

Und natürlich sehen wir im Fernsehen dieselbe Werbung, die Millionen Menschen individuelles Glück verspricht, sofern diese – aufgepasst! – alle das gleiche Duschgel, die gleiche Versicherung oder die gleiche Schlaftablette kaufen. Da weiß man, was man hat: ein Reihenleben im Reihenhaus.

Und doch weigert sich das Glück, bei uns einzuziehen. Denn tief innen fragen sich viele: »Was hat dieses Leben eigentlich mit mir zu tun?« Immer mehr Menschen fühlen sich im falschen Film. Vier von zehn Deutschen geben an, die Qualität ihres Lebens nehme ab.2 Hinter hektischer Aktivität, hinter lächelnden Gesichtern, hinter makellosen Fassaden gähnt ein Abgrund aus Sinnlosigkeit und kranken Seelen. Weltweit leiden 350 Millionen Menschen unter Depressionen, bis ins Jahr 2020 wird es die zweithäufigste Volkskrankheit sein, sagt die Weltgesundheitsorganisation voraus.3

Wir haben es verlernt, unser Lebensprogramm so zu gestalten, dass die eigene Sehnsuchts-Melodie noch erklingt. Äußere Erwartungen blasen uns schon früh den Marsch. Die Eltern hämmern uns ein, was wir zu tun haben, um ein braves Kind zu sein. Die Schule ist eine Schablone, durch die kleine Individuen gepresst werden, bis große Anpasser herauskommen. Wer ins Arbeitsleben wechselt, hat den Funkkontakt zu seinem Herzen oft schon verloren.

Als Berater habe ich häufig Menschen vor mir sitzen, die Lebensentscheidungen von einer einzigen Frage abhängig machen wollen: »Wie wirkt es sich auf meinen Lebenslauf aus?« Je nachdem, wie die Antwort ausfällt, heuern sie im Internet-Business oder in der Stahlbranche an, gehen sie nach China oder an den Chiemsee, fangen sie ein Zweitstudium in Wirtschaftsinformatik an oder lesen Omis im Altersheim Fontane vor (weil sich ein »soziales Engagement« im Lebenslauf angeblich gut macht).

Die Frage lautet nicht: Was wäre gut für mein Leben? Die Frage lautet: Was wäre gut für meinen Lebenslauf? Die Schere im Kopf schneidet die eigenen Wünsche ab und entwirft einen Schattenriss, der äußere Anforderungen vorwegnimmt.

Solche Entscheidungen fällen wir mit Vernunft, aber bezahlen sie mit Herzblut. Wir leben »das Leben der anderen«. Wir verpassen uns selbst. Wie ist es bei Ihnen: Haben Sie es manchmal satt, ein Programm zu leben, das Ihr Herz verbiegt? Haben Sie es satt …

▶Sätze zu sagen, die Sie so nicht meinen?

▶Dinge zu meinen, die Sie so nicht sagen?

▶Arbeiten zu verrichten, die Ihre Motivation hinrichten?

▶Überstunden zu machen, die Sie fertigmachen?

▶Diäten zu halten, von denen Sie nichts halten?

▶große Autos zu kaufen, nur damit der Nachbar große Augen macht?

▶billige Pullis überzubezahlen, nur damit ein Markenlabel darauf klebt?

▶sich mit Menschen zu umgeben, die Ihnen nichts mehr geben?

▶auf Leute zu hören, die alles besser wissen, obwohl sie gar nichts wissen?

▶Ihr Bett mit jemandem zu teilen, der Ihnen nichts mehr ins Ohr flüstert, sondern nur noch ins Ohr schnarcht?

»Eigentlich bin ich ganz anders, nur komme ich nicht dazu«, schrieb der österreichisch-ungarische Autor Ödön von Horváth.4 Ich möchte Sie ermutigen: Kommen Sie doch dazu, Sie selbst zu sein – je eher, je besser! Denn wer sich immer damit vertröstet, sein Glück warte hinter der nächsten Lebenskurve, als Schüler nach der Schulzeit, als Student nach dem Studium, als Berufstätiger nach dem Arbeitsleben – dem wird es mit seinem Glück wie mit dem Scheinriesen Tur Tur aus der Jim-Knopf-Geschichte gehen:5 Je näher man ihm kommt, desto kleiner wird es. Am Ende hat es sich aufgelöst.

Über dem Tempel der alten Griechen in Delphi stand: »Erkenne dich selbst!« Dieser Appell dient als Wegweiser für ein Leben, das perfekt zu Ihnen passt. Erst wenn Sie wissen, wer Sie sind und was Sie wirklich wollen, können Sie die Weichen für Ihren Lebenszug richtigstellen.

Doch Vorsicht, fragen Sie sich immer: »Ist dieser Wunsch tatsächlich mein eigener? Oder doch nur eine Einflüsterung?« Viele Erwartungen sind das Echo fremder Stimmen im eigenen Kopf. Wer sagt eigentlich, dass wir rund um die Uhr vor lauter Glück glucksen müssen? Dass jeder Misserfolg ein Unglück und jedes Scheitern eine Schande ist? Dass unser Partner mindestens ein »Traumpartner« sein muss, mit einem Hirn wie Stephen Hawking und einem Hintern wie Jennifer Lopez (und keinesfalls umgekehrt!)? Dass wir nur schlank sind, wenn eine Hose in Normalgröße an unseren Hüften schlottert? Und dass wir erst dann »Karriere« gemacht haben, wenn wir auf einem Chefsessel im 15. Stock sitzen und abends in Goldtalern baden?

Wie befreiend kann es sein, solche Wünsche als Einflüsterungen zu durchschauen und durch wahre Herzenswünsche zu ersetzen! Dann wechselt Ihr Lebenszug das Gleis, und die Lokomotive faucht auf einmal fröhlicher – auch wenn Sie manches Stoppsignal anderer überfahren müssen!

Apropos: Was geschah eigentlich mit Oliver Pscherer? Die Radiochefs waren stinksauer und wollten ihn feuern. Doch die Hörer protestierten. Sie hängten Transparente in Hamburg auf: »Olli soll bleiben!« und »Schluss mit dem Einheitsbrei!« Unter diesem Sperrfeuer knickten die Bosse ein. Sie holten den widerspenstigen Moderator zu »Mix 95.0« zurück, sogar mit Gehaltserhöhung; denn die Aktion hatte den kleinen Radiosender über Nacht bekannt gemacht.

Dieses Beispiel zeigt: Oft verbiegen wir uns, um anderen zu gefallen. Aber wer erntet Respekt? Nicht der Angepasste, den jeder übersieht – sondern der Mutige, der aus der Reihe tanzt und zu seinen Überzeugungen steht. Heimlich denken alle: »Hut ab, das hätte ich mich nicht getraut!«

Hätte Oliver Pscherer nur das Standard-Programm gespielt, wäre er ein Standard-Moderator geblieben. Heute ist er ein erfolgreicher TV-Produzent in London.

DER KLEINE NEUDENKER

Jeder weiß, was ihn seine Lebenshaltung kostet. Aber was kostet mangelnde Haltung im Leben? Diese Rechnung wäre interessanter!

Die verschütteten Wünsche

Leicht gebeugt saß die Touristikerin Rosa Steinbach6 (39) vor mir, ihre Augen wirkten leer wie die Fenster eines ausgebrannten Hauses. Mit emotionsloser Stimme sagte sie: »Mein Aufstieg ist mir wichtig.« Ihr Gesicht blieb starr wie eine Totenmaske. Dabei sprach sie doch über ihr Leben, über eine Vision für ihre Zukunft!

Ich wollte sie aus der Reserve locken: »Angenommen, die Welt würde in sechs Monaten dichtmachen, alles Leben wäre dann vorbei, auch Ihres – wie würden Sie Ihre letzte Zeit verbringen?«

Sie blinzelte und neigte sich ein Stück nach vorne. »Sie meinen im Beruf?«

»Nein, insgesamt.«

Rosa Steinbach stellte ihren rechten Ellbogen auf den Tisch und legte ihr Kinn in den Handteller. Ihr Blick wanderte nach oben, als wollte sie die Antwort von der Decke ablesen. Ihre zuckenden Gesichtsmuskeln verrieten, dass sie angestrengt nachdachte. Es war so still im Raum, dass die Wanduhr ihr Ticken zu hämmern schien.

Nach einer Weile sah Rosa Steinbach mich wieder an. »Ich würde wahrscheinlich meinen Job kündigen, meinen Freund verlassen, endlich die Weltreise machen – und das erste Mal mit dem Fallschirm springen, das will ich schon so lange.«

Auf einmal schien Licht aus ihren Augen! Beschwingt fuhr sie fort: »Ich würde keine Businesskleidung mehr tragen, sondern Jeans. Ich würde mal wieder eine große Party veranstalten, wie zuletzt an meinem 18. Geburtstag. Ich würde mich mit meinem Vater aussprechen, da steht noch viel zwischen uns im Raum. Und ich würde meinem Vermieter endlich sagen, dass ich ihn für ein Arschloch halte. Dann müsste ich ausziehen, aber egal: Für den Übergang ginge es auch in einem Hotel.«

Jetzt saß sie aufrecht. Ihre Hände flogen beim Sprechen, sie lachte, schürzte ihre Lippen und wirkte befreit. Fasziniert hörte ich zu. Aus der Leblosen war eine Lebendige geworden.

Das erlebe ich oft: Menschen leuchten, wenn sie über ihre Herzenswünsche sprechen; und sie erlöschen, wenn sie nur nachplappern, was die Gesellschaft ihnen einflüstert. Rosa Steinbachs Aufstiegswunsch, so kam heraus, ging auf ihren Vater zurück, der ihr eingeimpft hatte: »Du musst im Beruf nach oben kommen!« Ihr Freund, ein Betriebswirt mit MBA, hatte in dasselbe Horn gestoßen: Aufstieg um jeden Preis!

Ihre eigenen Wünsche lagen begraben unter einem Müllberg fremder Erwartungen, dessen Gift bis in ihr Unbewusstes gesickert war.

Dass der gesellschaftliche Zwang das Individuum vergiftet, hat der hellsichtige Philosoph Jean-Jacques Rousseau bereits zu einer Zeit kritisiert, als sein Geburtsort Genf noch nicht über Google Earth zu finden war, als es noch keine Massenmedien, keinen Massengeschmack, keine Fremdsteuerung im heutigen Ausmaß gab:

»Alle Geister scheinen in die gleiche Form gepresst. Ohne Unterlass fordert die Höflichkeit, befiehlt der Anstand bestimmte Dinge; immer folgt man dem Usus, nie dem Genius. Man wagt nicht mehr zu scheinen, was man ist; und in diesem ständigen Zwang tun die Menschen, die jene Herde bilden, die man Gesellschaft nennt, unter gleichen Umständen alle das Gleiche.«7

Wir leben im Zeitalter der Herde. 91 Prozent der Deutschen unterschreiben, dass Genuss ein Leben lebenswert macht. Aber nur 15 Prozent können von Momenten berichten, in denen sie alles um sich herum vergessen haben und wirklich glücklich waren.8 Selbstbestimmung heißt, dass Sie nicht »unter gleichen Umständen das Gleiche tun«, sondern das Eigene, das Stimmige, das für Sie Glücksbringende. Dabei weist Ihnen Ihr Herz den Weg, sobald Sie die gleiche Frage wie Rosa Steinbach beantworten:

Wie würden Sie Ihre restliche Zeit verbringen, wenn Sie wüssten, dass es mit der Welt und Ihrem Leben in sechs Monaten vorbei ist?

Nehmen Sie sich Zeit für diese Frage. Gehen Sie im Geist die einzelnen Felder Ihres Lebens durch. Was ist Ihnen wirklich wichtig? Hier einige Beispielfragen:

▶Welche Arbeiten würden Sie noch verrichten wollen?

▶Welche Liebe noch ausleben?

▶Welche Menschen noch sehen?

▶Welche Länder noch bereisen?

▶Welche Hobbys noch ausüben?

▶Welche Bücher noch lesen?

▶Welche Gedanken noch denken?

▶Welche Worte noch sagen?

▶Welche Pläne noch schmieden?

▶Welche Träume noch verwirklichen?

▶Welche Versäumnisse noch nachholen?

Ich wette, dass Sie nicht antworten werden: »Ich will unbedingt noch ein paar Überstunden machen, damit mein Chef zufrieden ist.« Nicht: »Ich will mehr Geld sparen, damit ich ein größeres Auto kaufen kann.« Und schon gar nicht: »Ich will mir noch die Nase operieren lassen, damit ich den Top-Models ähnlicher sehe.«

Solche Herdenwünsche, die an uns kleben wie der Hundekot am Schuh, weichen den echten Herzenswünschen, sobald Ihr eigenes Ende nah scheint. Dafür werden Sie den Scheinwerfer nach innen richten: auf Ihr Wollen, auf Ihr Sehnen, auf die Kraft Ihrer Intuition – nach dem Leitspruch Hermann Hesses: »Ich lebe in meinen Träumen. Die anderen Leute leben auch in Träumen, aber nicht in ihren eigenen, das ist der Unterschied.«9

Welche Bilder steigen in Ihrem Kopf auf? Welches Traumkarussell beginnt sich zu drehen? Welche Hoffnungen, die im Alltag schon verstummt waren, flüstern Ihnen jetzt wieder ins Ohr? Und wollen Sie wirklich auf den Weltuntergang warten, um vorher noch schnell der Mensch zu werden, der Sie wirklich sind? Oder wäre es stimmiger, damit heute schon zu beginnen – und zwar direkt, nachdem Sie dieses Buch aus der Hand gelegt haben?

Folgen Sie der Aufforderung des Philosophen Friedrich Nietzsche: »Es gibt in der Welt einen einzigen Weg, auf welchem niemand gehen kann außer dir: wohin er führt? Frage nicht, gehe ihn!«10

DER KLEINE NEUDENKER

Wer nur tut, was ihm sein Anstand befiehlt, beweist damit, dass er keinen hat – seinen eigenen Wünschen gegenüber!

Ich spare Zeit, doch habe keine

Wie kann es sein, dass unser Funkkontakt zum eigenen Herzen heute so schnell abreißt? Dass die Erwartungen der Gesellschaft in unseren Köpfen mehr Raum einnehmen als die eigenen Sehnsüchte? Dass so viele Menschen ihr Leben verlieren, obwohl sie noch nicht gestorben sind?

Hier liegt ein großer Widerspruch: Wir haben eine Armada technischer Geräte erfunden, um Zeit fürs Eigentliche zu gewinnen. Statt monatelang mit einer Postkutsche durchs Land zu hoppeln, zischen wir mit dem Flugzeug durch die Lüfte. Statt uns jeden Tag mit dem Abwasch herumzuschlagen, drücken wir den Knopf der Spülmaschine. Und wer seine Wohnung heizen will, muss vorher keine Bäume mehr fällen, kein Holz mehr hacken, kein Feuer mehr schüren – er muss nur noch am Regler seiner Heizung drehen.

Doch der scheinbare Fortschritt entpuppt sich bei näherer Betrachtung als ein Geiselnehmer, der uns dem stimmigen Leben entreißt – oder von dem wir uns allzu gern entreißen lassen.

Nicht die Technik dient uns, sondern wir dienen ihr. Wie Getriebene hetzen wir durchs moderne Leben, surfen gegen die Brandung der Informationsflut an, stürzen uns in Chats, twittern Banalitäten in Echtzeit um den Globus und skypen uns ans andere Ende der Welt (während wir unseren Nachbarn seit einem halben Jahr nicht mehr gesehen haben). Kein Wunder, dass der Terminkalender allmählich so voll ist wie unser Kopf, der vor lauter Gedankenschaum überkocht.

Die häufigste Klage, die Menschen in unserer Zeit äußern, ist die, dass sie keine Zeit haben.11 Keine Zeit für Entspannung. Keine Zeit für die Familie. Und vor allem: Keine Zeit für sich selbst!

Und doch würden viele in ihrem Bett eher auf den Liebespartner verzichten als auf Smartphone, Tablet oder Laptop. Und doch sitzt der durchschnittliche Deutsche jeden Tag vier Stunden und zwei Minuten vor seinem Fernseher, um sich eine Welt vorgaukeln zu lassen, die es so vor seinem Fenster gar nicht gibt!12 Gerade Fernsehkonsum wird von Forschern als Glücksbremse gesehen: Die Menschen sprechen weniger miteinander, treiben weniger Sport, überschätzen den Wohlstand der anderen und denken sich arm. Zudem wächst die Aggression: Noch zwei Tage, nachdem Schwergewichts-Boxkämpfe im US-Fernsehen übertragen wurden, liegt die Mordrate neun Prozent höher als sonst.13

Wir bringen unser Auto regelmäßig zur Inspektion, aber unser Leben bleibt ungepflegt. Sehnsüchte rosten, Träume springen nicht mehr an, der Lack des Individuellen platzt ab und wird ersetzt durch die Modefarben des Massengeschmacks.

Der Grund für diese Misere? Wir haben den Wegweiser zum selbstbestimmten Leben, das »Erkenne dich selbst!«, aus den Augen verloren. Kaum jemand hält noch inne und stellt sich Fragen, die keine Internet-Suchmaschine beantworten kann:

▶Ist die Meinung, die ich vertrete, wirklich meine eigene?

▶Ist der Beruf, den ich ausübe, wirklich meine Berufung?

▶Ist die Beziehung, in der ich lebe, wirklich meine Liebe?

▶Ist das Leben, das ich führe, wirklich von mir und für mich gemacht?

Alle Sinne zielen auf die Außenwelt. Statt auf die Chancen unseres eigenen Lebens zu blicken, sehen wir fern. Statt auf unsere Bedürfnisse zu hören, hören wir Format-Radio. Statt Erfüllung zu suchen, suchen wir bei Google heiße News aus aller Welt.

Gerade jene Zeit, die wir uns angeblich durch die moderne Technik sparen, die Zeit der langen Wege, die Zeit des Abwaschens, die Zeit des Holzhackens – gerade diese Zeit gab den Menschen früher Gelegenheit, ihr Leben zu reflektieren und auszusteuern. Solche Mußestunden bräuchten wir heute dringender als je zuvor.

Bei Rosa Steinbach, der Touristikerin, hatte die Hypothese des nahen Endes einen Denkprozess ausgelöst, ehe sie wieder zurück ins Hier und Jetzt kam und sagte: »Aber die Welt endet ja nicht in sechs Monaten. In Wirklichkeit habe ich noch viel Zeit.«

Ich fragte: »Woher wissen Sie eigentlich, dass Sie noch mehr als sechs Monate haben? Wer garantiert Ihnen das?«

Ihre Stirn schlug Falten, ihre Augenschlitze verkleinerten sich: »Stimmt, sicher ist das nicht.«

Sie erinnerte sich an ihren Onkel, der immer für die Rente gelebt hatte, aber ein halbes Jahr zuvor an einem Herzinfarkt verstorben war. Und so beschloss sie, nicht erst auf den Weltuntergang zu warten, sondern jetzt schon zu handeln.

Dabei nahm sie sich kleine Schritte vor: Erst den Sprung mit dem Fallschirm – sie wollte ihn noch am selben Tag buchen. Dann das klärende Gespräch mit ihrem Vater. Und schließlich wollte sie sich um die Beziehung zu ihrem Freund und um eine neue Wohnung kümmern.

Ihr ursprüngliches Anliegen, der Aufstieg im Job, stand plötzlich an letzter Stelle. Der Gedanke an das nahende Ende hatte ihre Wünsche umgewälzt: die eigenen nach oben, die fremden nach unten.

Wie haben sich Ihre Prioritäten durch das Gedankenspiel verschoben? Wie viel Zeit verwenden Sie pro Woche auf jene Wünsche, die Ihnen vor dem nahenden Tod die wichtigsten wären? Und wie viel Zeit auf jene, die Ihnen dann nichts mehr bedeuteten? Schreiben Sie es auf, zählen Sie es zusammen, schauen Sie es schwarz auf weiß an.

Sind Sie einverstanden mit diesem Verhältnis? Wenn nicht: Welcher Schritt könnte der erste sein, um Ihren Herzenswünschen mehr Raum zu geben? Was könnten Sie täglich tun, um diesen Kurs zu halten? Welches Zeitverhältnis soll nächste Woche auf Ihrem Zettel stehen? Und welches in einem Monat? Manchmal kann ein symbolischer Akt eine solche Lebenswende einleiten – bei Rosa Steinbach sollte es der Sprung mit dem Fallschirm sein, auf den sie sich schon spürbar freute.

Als ich ihr zum Abschied die Hand schüttelte, schien noch immer Licht aus ihren Augen.

DER KLEINE NEUDENKER

Der Weise fragte die Geschäftsfrau: »Nimmst du dir genug Zeit für die wichtigsten Menschen in deinem Leben?«

»Und ob«, antwortete sie und zückte ihren Terminkalender: »Sieh selbst: Familie, Freunde, Geschäftspartner – jeder bekommt seine Zeit.«

»Aber ein Name fehlt«, sagte der Weise und sah sie traurig an. »Wann bist du verabredet mit dir selbst?«

Prominent erlebt: Der Tod als guter Freund

Am 12. Juni 2005 sprach ein berühmter Mann vor den Studenten in Stanford. Als Gründer eines Weltunternehmens, als vielfacher Milliardär verkörperte er den amerikanischen Traum: uneheliches Kind eines syrischen Vaters, zur Adoption freigegeben, Studium abgebrochen – und doch den Olymp der Gesellschaft erstiegen.14

Die Studenten waren gefasst auf die typische Geschichte des Tellerwäschers, der seinen Kampf mit den Hindernissen, seinen ruhmreichen Aufstieg als Heldenmythos in Szene setzt, nach dem Motto: »Ich hab’s geschafft, also könnt ihr es auch!« Wobei »geschafft« immer meint: viel Erfolg, viel Geld, viel Ansehen.

Doch dieser Milliardär schlug andere Töne an. Nicht über Ruhm sprach er, nicht über Reichtum, sondern über die Kunst, dem eigenen Herzen zu folgen. Dazu empfahl er einen Freund und Berater, vor dem sonst alle zurückschrecken: den eigenen Tod. Hier ein Auszug seiner berühmt gewordenen Rede:

»Als ich 17 war, las ich ein Zitat, das ungefähr so klang: Wenn du jeden Tag so lebst, als wäre es dein letzter, wird es höchstwahrscheinlich irgendwann richtig sein. Das hat mich beeindruckt und seit damals, in den vergangenen 33 Jahren, habe ich jeden Morgen in den Spiegel geschaut und mich selbst gefragt: Wenn heute der letzte Tag in meinem Leben wäre, würde ich das tun, was ich mir heute vorgenommen habe zu tun? Und jedes Mal, wenn die Antwort nein war für mehrere Tage hintereinander, wusste ich, ich muss etwas verändern.

Mich zu erinnern, dass ich bald tot sein werde, war für mich das wichtigste Werkzeug, das mir geholfen hat, all diese großen Entscheidungen im Leben zu treffen. Denn fast alles – alle äußeren Erwartungen, der ganze Stolz, die ganze Angst vor dem Versagen und der Scham – diese Dinge fallen einfach weg angesichts des Todes und lassen nur übrig, was wirklich wichtig ist. Sich zu erinnern, dass man sterben wird, ist der beste Weg, den ich kenne, um der Falle zu entgehen und zu glauben, man hätte etwas zu verlieren. Du bist vollkommen nackt. Es gibt keinen Grund, um nicht seinem Herzen zu folgen.«15

Die schlechte Nachricht: Sechs Jahre nach diesen Worten, am 5. Oktober 2011, starb der Mann an den Folgen eines Krebsleidens. Die gute Nachricht: Vorher hat er, der Apple-Gründer Steve Jobs, wirklich gelebt. Denn er ist seinem Herzen gefolgt.

Ein gutes Leben – Tod sei Dank.

Warum Sie nichts müssen, aber vieles dürfen

Meinem Beraterkollegen wäre fast das Sektglas aus der Hand gefallen. »Das glaub ich jetzt nicht!«, rief er übertrieben laut. Die anderen Partygäste in dem alten Tanzsaal sahen zu uns herüber. Ungläubig wiederholte er: »Du hast kein Smartphone?«

»Nicht nur kein Smartphone«, präzisierte ich. »Kein Handy.«

Seine Augäpfel traten so weit nach vorne, als wollten sie ins Sektglas hüpfen. »Aber das geht doch nicht! Du bist doch ein gefragter Mann, ein bekannter Karriereberater und Autor! Du musst doch per Handy erreichbar sein.«

Ich nippte an meinem Sekt. »Wer sagt, dass ich muss?«

»Ich kenne keinen Geschäftsmann, der heute ohne Handy klarkommt!« Wie zum Beweis tippte er mit dem Zeigefinger sein iPhone an, das vor uns auf einem Stehtisch lag.

»Ich komme gut ohne Handy klar«, erwiderte ich.

»Aber du musst doch mit der Zeit gehen!«

»Muss ich das? Ich sehe die Zeit nicht als Diktator. Und mich nicht als ihren Untertan.«

Sein Kopf leuchtete röter, als es zwei Glas Sekt erfordert hätten. »Ich wette: Wenn du erst mal ein Smartphone hast, wirst du es nicht mehr missen wollen.«

»Darum hab ich keines.«

»Aber jeder Schüler hat doch heutzutage ein Handy.«

»Bin ich jeder? Bin ich Schüler? Weder noch.«

Er stürzte seinen Sekt hinab, als wäre es bittere Medizin.

»Ich versteh dich nicht!«, seufzte er.

»Es geht mir gut ohne Handy. So fühle ich mich am wohlsten. Was die anderen darüber denken, ist mir egal. Und außerdem …«

Da klingelte sein Handy. Unser Gespräch war damit beendet. Schade, denn ich hätte gerne noch geklärt, wer ihm das Märchen »Ohne Handy geht nichts!« in den Kopf gepflanzt hat.

Warum ich das erzähle? Weil ich Ihnen zeigen möchte: Immer wenn jemand sagt, dass Sie dieses oder jenes »müssen«, sollten Sie ein dickes Fragezeichen dahintersetzen. Auch (und gerade) dann, wenn dieser Standpunkt gesellschaftlich akzeptiert ist. Lassen Sie Ihre Individualität, lassen Sie Ihr Leben nicht in Zwangs-Haft nehmen! Lessing schrieb in seinem »Nathan« den standesgemäß weisen Satz: »Kein Mensch muss müssen.«

Prüfen Sie einmal Ihren Wortschatz: Wie viele »Muss«-Sätze springen Ihnen jeden Tag über die Lippen? Und aus welcher Quelle speisen sie sich? Wer hat Ihnen so oft gesagt, dass Sie müssen, bis Sie es selbst geglaubt und als Überzeugung übernommen haben? Ein paar Beispiele:

▶Müssen Sie immer ein offenes Ohr haben?

▶Müssen Sie auf Ihr Gewicht achten?

▶Müssen Sie stets ein Auge auf die Kinder haben?

▶Müssen Sie Ordnung halten?

▶Müssen Sie Ihren Rasen mähen?

▶Müssen Sie sich beherrschen?

▶Müssen Sie nach Feierabend für Ihren Chef erreichbar sein?

▶Müssen Sie sich heutzutage online bewerben?

▶Müssen Sie Ihre Dienstmails fortlaufend abrufen?

▶Müssen Sie Freunden beim Umzug helfen?

Nein, Sie müssen nicht – Sie können sich jedes Mal entscheiden: dafür oder dagegen. Nur wer wählt, kann abwählen. Ohne Wahl keine Freiheit.16

Wer Dinge tut, weil er sich dazu gezwungen fühlt, ist ein Sklave. Sein extrinsischer, also von außen gesteuerter Antrieb reicht immer nur so lange, wie die Peitsche der Zwänge hinter ihm knallt oder die Möhre der Motivierung vor seiner Nase baumelt. Danach bleibt er stehen. Wer dagegen aus intrinsischer Motivation handelt, wer von innen heraus etwas tun will, der lädt sich mit Energie auf, kommt dauerhaft vorwärts und kann ein stimmiges Leben entwickeln.

In jedem der genannten Fälle liegt die Entscheidung bei Ihnen. Aber sie hat auch ihren Preis, und den sollten Sie kennen.

Wahr ist: Sie müssen Ihre geschäftlichen Mails nicht im Minutentakt abrufen. Wenn Sie sich dafür entscheiden, es nur zweimal am Tag zu tun, wer sollte Sie daran hindern? Schließlich weist eine Studie nach, dass regelmäßiges Mailabrufen für den Verstand ungünstiger als Kiffen ist.17

Der Preis kann darin bestehen, dass Ihr Chef eine Todesanzeige für Sie aufgibt, wenn er nach fünf Minuten auf seine Mail noch keine Antwort hat. Oder dass er Ihre Motivation zur aussterbenden Gattung erklärt. Aber wer weiß, vielleicht hebt Sie der Mut zu dieser begründeten Entscheidung gerade aus der Reihe der allzeit Mailbereiten hervor und qualifiziert Sie für besondere Aufgaben.

Wahr ist: Sie müssen Ihren Freunden nicht beim Umzug helfen. Erst recht nicht, wenn Sie kurz vor einem Burnout stehen und sich am Wochenende erholen wollen. Oder wenn Sie Umzüge hassen. Dann wäre es geheuchelt, den fleißigen Helfer zu spielen. Und nichts macht unglücklicher, als »Ja« zu sagen, obwohl das Herz »Nein!« schreit. Solche kleinen Unstimmigkeiten im Alltag können sich zu einer großen Depression summieren.

Es ist Ihr gutes Recht, Ihre eigenen Bedürfnisse mindestens so wichtig wie die der anderen zu nehmen. Der Preis? Sie brauchen den Mut zum Nein-Sagen und die Souveränität, damit umzugehen, dass die anderen zunächst irritiert sind.

Oder nehmen Sie meine Entscheidung gegen ein Handy. Zwar bin ich schwerer erreichbar, werde vielleicht als altmodisch gesehen und erfahre immer als Letzter, dass mein Zug verspätet einfährt. Dafür kann ich mich ganz dem Augenblick widmen. Wenn ich trainiere, berate oder schreibe, dann trainiere, berate oder schreibe ich. Hundert Prozent meiner Konzentration gehören der Sache und den Menschen – und nicht nur 75 Prozent, weil der Rest von einem Smartphone aufgesaugt wird.

Es gibt kein Muss, auch nicht im Business. Das machte der Aldi-Gründer Theo Albrecht vor: Als 1993 die fünfstelligen Postleitzahlen kamen, ließ er keine neuen Briefumschläge für seine Korrespondenz drucken. Nein, der vielfache Milliardär strich die alte vierstellige Postleitzahl durch und kritzelte die neue darüber – diese Sitte behielt er 17 Jahre bei, bis zu seinem Tod.18 Kein anderer Großunternehmer, ja kaum ein Privatmann wagte das. »Wir müssen neues Briefpapier haben«, dachten alle. Niemand musste!

Dass ausgerechnet Theo Albrecht gegen den Strich bürstete, war kein Zufall. Ende der 1940er Jahre hatten die Einzelhändler in Deutschland gesagt: »Du musst deine Kunden gut bedienen! Und musst sie mit Rabattmarken locken!« Theo Albrecht jedoch entzog sich diesem Muss – und entwickelte zusammen mit seinem Bruder Karl aus dem kleinen Tante-Emma-Laden seiner Eltern eine Supermarktkette mit reduziertem Sortiment, bei der die Preise ohne die komplizierten Rabattmarken günstig waren und die Kunden sich selbst bedienten. Es wurde das Geschäftsmodell der jungen Bundesrepublik. Nur wer ein »Muss« überwindet, eine Norm bricht, kann enorm erfolgreich werden.

Umgehen Sie die Muss-Falle, bekennen Sie Farbe! Dadurch ziehen Sie die (für Sie) richtigen Menschen an – und stoßen die (für Sie) falschen ab. Wenn der Chef Sie nicht mehr kennt, nur weil Sie seine Mails nicht wie Bälle beim Tischtennis retournieren, dann ist es für Sie garantiert der falsche Chef – während einer, der dieses Verhalten schätzt, ein guter Sparringspartner wäre. Wer Ihnen die Freundschaft kündigt, nur weil Sie nicht beim Umzug helfen, war kein Freund – dagegen wird ein echter Freund Verständnis zeigen (und sich über Ihre Einladung zum Abendessen, nach all dem Umzugsstress, ganz besonders freuen!).

Je schärfer Ihre Konturen sind, desto weniger Missverständnisse entstehen. Das sehe ich an meinem Handy-Verzicht: Die einen zollen mir Respekt für meinen Eigen-Sinn. Solche Kunden passen gut zu mir, und ich genieße den Kontakt.

Andere aber pochen schon beim Erstkontakt auf meine Handynummer. Offenbar halten Sie mich für eine Beratungsfeuerwehr, die ihre Probleme zu jeder Tages- und Nachtzeit löscht. Solche Klienten passen nicht zu meiner Philosophie. Gut, dass wir’s rechtzeitig merken. Sie müssen nicht mit mir. Und ich muss nicht mit ihnen. Denn: »Kein Mensch muss müssen.«

DER KLEINE NEUDENKER

Für »Ich muss« gibt es Übersetzungen in alle Weltsprachen, am interessantesten ist die ins Deutsche: »Ich weigere mich, selbst zu entscheiden!«

Vergessen Sie die Vorbilder!

Ich fühlte mich, als sollte ich hingerichtet werden. Und das Fallbeil rückte näher. Unser Mathelehrer teilte die Klassenarbeiten aus. Es war in der siebten Klasse, ich hatte ein Abo auf Fünfer. Und auch diesmal war ich auf eine Niederlage gefasst.

Doch dann traute ich meinen Augen kaum: Unter der Arbeit stand eine 2,0! Freude durchzuckte mich. Was für ein unerwartetes Geschenk! Kurz danach sah ich neben der Note einen Kreis mit Querstrich. Der Notendurchschnitt lag bei 1,4! Meine Freude erlosch. Achtlos steckte ich die Arbeit in den Schulranzen.

Das Vergleichen ist unser Lieblingssport. Keiner wagt es mehr, sich zu beurteilen, ohne nach links und nach rechts zu schielen. Wir messen uns an Mitschülern, Kommilitonen, Arbeitskollegen, Nachbarn und als Wirtschaftsstandort natürlich an den Chinesen, solange die Außerirdischen noch nicht entdeckt sind.

Welchen Bildungsabschluss hat der andere im Vergleich zu mir? Was verdient er? Wie groß ist seine Wohnung oder sein Haus? Welche Marken trägt er? Wie viel Zoll hat sein Fernseher? Wie viel PS sein Auto? Wie teuer ist seine Urlaubsreise? Sieht er für sein Alter besser oder schlechter aus? Wie attraktiv ist sein Lebenspartner? Und welche Zahl an Facebook-Freunden kann er aufbieten?

Wir vermessen die anderen und vergessen uns selbst. Der dänische Philosoph Søren Kierkegaard schrieb: »Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit.«

Das Vergleichen gerät zum Leistungssport, bei dem wir vorzugsweise auf die Unerreichbaren schauen. Spätestens am Ende jeder Vergleichskette, wenn der Blick vom Nachbarhaus in die bunten Gazetten schweift, finden wir einen Bessergestellten:

▶Egal, wie prall Ihre Gehaltstüte gefüllt ist, verglichen mit dem Jahresgehalt des Fußballers Lionel Messi – 48 Millionen, pro Arbeitstag ca. 200000 Euro – fühlen Sie sich schmählich unterbezahlt!19

▶Egal, wie attraktiv Sie aussehen, neben dem Foto eines Top-Models wie Gisele Bündchen oder eines Hollywood-Stars wie Johnny Depp kommen Sie sich wie ein Mängelexemplar vor.

▶Egal, wie groß Ihr Haus ist, verglichen mit dem langjährigen Ferienwohnsitz des Finanzunternehmers Carsten Maschmeyer (1181 Quadratmeter mit Meeresblick) wird es Ihnen wie eine bessere Hundehütte erscheinen.20

▶Und egal, wie gut Sie ein Instrument spielen, verglichen mit einem Klavierkonzert des Chinesen Lang Lang werden Sie sich so musikalisch fühlen wie ein quietschendes Klapprad in einer Regennacht.

Vergleiche nützen nur dem, der Demut beweist und auf Menschen blickt, denen es schlechter geht. So belegen Studien, dass Krebspatienten am traurigsten sind, wenn sie sich mit Gesunden vergleichen – und deutlich heiterer, wenn sie an Patienten in noch schlechterer Verfassung denken (»So übel geht’s mir gar nicht – ich kann immerhin noch laufen.«)21

Doch wir leben in einer Leistungsgesellschaft und vergleichen uns stets mit den Besten, den Gesündesten, den Reichsten. Deshalb verkommt der Vergleich zu einer Streckbank, auf der unser Ego malträtiert wird.

Und damit das Folterwerkzeug seine maximale Wirkung erzielt, fühlen sich auch Mitmenschen bemüßigt, uns Vorbilder unter die Nase zu reiben. Wer sein Studium nach sechs Jahren abschließt, wird von seinen Eltern auf die strebsame Jutta verwiesen, die den Campus nach vier Jahren im Tempo einer Rennrodlerin verlassen hat. Der Chef ordnet Überstunden bevorzugt mit Hinweis auf den Kollegen Dieter an, der in der Firma zu übernachten pflegt und dem das angeblich gar nichts ausmacht (bis Dieter eines Nachts, angeregt durch einen Herzinfarkt, dann doch auf die Intensivstation umzieht). Und elf von zehn Ehekrächen entzünden sich an Aussagen wie: »Aber der Jan Fischer von nebenan bringt den Müll doch auch immer runter und pfeift auch noch fröhlich dabei!« Oder: »Bei meiner Mutter war der Braten immer saftiger, und die hatte keinen Herd für 2000 Euro!«

Der Vergleich ist der Versuch, aus einem Menschen zu machen, was er nicht ist: einen anderen. In jedem Karriere-Ratgeber heißt es: »Such dir Vorbilder!« Aber warum steht dort eigentlich nicht: »Such dich selbst!«?

Heimlich funktioniert die Rechnung mit dem Vorbild so: Wir schauen einen anderen an, im verklärten Licht. Und von der Summe seiner vermeintlichen Qualitäten, seines Charakters, seines Reichtums, seiner Schönheit, ziehen wir unsere Qualitäten ab. Die Differenz liegt als Soll auf unserer Seele: So unendlich viel fehlt uns noch, um so zu sein wie er oder sie! Wir fühlen uns nicht mehr als Originale, sondern als blasse Kopien.

Die Latte unserer Vorbilder hängt zu hoch. Wir werden es nie schaffen, so cool wie Madonna, so gebildet wie Peter Sloterdijk, so bescheiden wie Papst Franziskus oder so lustig wie Charlie Chaplin zu sein. Und das ist gut so! Denn Sie sind nicht Madonna, Sloterdijk, Franziskus oder Chaplin – Sie sind Sie. Und Ihr Stern kann nur von innen leuchten. Wie sagt Wilhelm Busch: »Wer in den Fußstapfen eines anderen wandelt, hinterlässt keine eigenen Spuren.«

Wenden Sie Ihren Blick von außen nach innen. Was Sie an anderen bewundern, steckt auch in Ihnen selbst; sonst fände es keine Resonanz. Wertvoll für Sie ist nur ein einziger Vergleich: der mit Ihnen selbst. Immer wird es Situationen und Zeiten geben, in denen Sie sich gefallen und vorbildlich handeln. Hier können Sie mit Fragen einhaken:

Wann habe ich mir im letzten Jahr am besten gefallen? Wann hat sich mein Leben am stimmigsten angefühlt? Was habe ich da anders gemacht als sonst? Und wie kann es mir gelingen, dieses Verhalten öfter ans Licht zu kitzeln und es auszubauen? Entwerfen Sie einen Plan, wie Sie an diese Momente anknüpfen können – wie der Mensch, der Sie meistens sind, dem Menschen ähnlicher wird, der Sie sein können in Ihren besten Momenten.

Hätte ich als Schüler meine 2,0 in Mathe mit den Noten meiner letzten Arbeiten verglichen: Ich wäre stolz und glücklich nach Hause gefahren. Doch ich tat, was in unserer Gesellschaft üblich ist, nahm den äußeren Maßstab wichtiger. Und schon fühlte sich mein Erfolg wie eine Niederlage an.

DER KLEINE NEUDENKER

Ein junger Maler schaffte es, ein Gemälde von Picasso perfekt nachzumalen. Er bot es einem alten Kunsthändler an, aber der meinte: »Kopien sind wertlos.«

»Ich kann auch Originale«, versicherte der junge Maler.

Der Händler sah ihn lange an. »Nicht, bevor du selber eines geworden bist!«

Die Selbstcoaching-Übung

Der Nachruf

Stellen Sie sich vor, Sie sind nach einem langen, erfüllten Leben gestorben. Ein Zeitungsartikel würdigt Sie. Was soll dort stehen? Lassen Sie Ihrer Fantasie beim Ausfüllen der Leerstellen freien Lauf – und fragen Sie sich im Nachgang, was Sie ab heute unternehmen können, um am Ende Ihres Lebens tatsächlich der hier beschriebene Mensch zu sein.

Großer Verlust: gestorben!

Gestern entschlief der/die bekannte (Beruf/Lebensaufgabe) sanft. Die letztes Jahr erschienene Autobiographie trug als Titel sein/ihr Lebensmotto:

Dort heißt es: »Die wichtigste Entscheidung für mein Lebensglück war

«.

Er/sie ging immer eigene Wege, das war erkennbar an:

Erstens:

.

Zweitens:

.

Drittens:

.

Sein/ihr großer Wunsch im Leben hat sich erfüllt, und zwar:

.

Dafür hat er/sie allerlei unternommen, unter anderem:

Erstens:

.

Zweitens:

.

Drittens:

.

Am Ende der Biographie heißt es:

Die Menschen sollen mir einmal nachsagen, dass ich

.

Ein Satz, den alle Freunde heute unterschreiben würden!

2Der Werbe-Wahn:

Mein H