Seitensprünge 2 - Mia Ming - E-Book

Seitensprünge 2 E-Book

Mia Ming

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Beschreibung

Frauen gehen fremd, Männer erst recht. In erfolgreichen Popsongs und in angeregten Frauengesprächen werden Letztere deshalb sogar als Schweine bezeichnet. Doch warum neigen sie zu Seitensprüngen - oder wird ihnen mit solchen Behauptungen unrecht getan? Bestsellerautorin Mia Ming hat 33 untreue Männer nach ihren Seitensprungmotiven und -erfahrungen gefragt. Ihre detaillierten Berichte bringen Licht ins Dunkel der männlichen Triebe. Humorvoll und unverfälscht erzählt Mia Ming von unwiderstehlichen Angeboten, folgenreichen Ausrutschern und minutiös geplanten Sex-Dates. So gnadenlos ehrlich erlebt man Männer selten!

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Mia Ming

Seitensprünge 2

33 Männer erzählen von aufregenden Affären, gefährlichen Liebschaften und haarsträubenden Eskapaden

Schwarzkopf & Schwarzkopf

INHALT

Für Floris und Christine

Versuchungen sollte man nachgeben. Wer weiß, ob sie wiederkommen! OSCAR WILDE

Frauen möchten in der Liebe Romane erleben, Männer Kurzgeschichten. DAPHNE DU MAURIER

Die Liebe besteht zu drei Vierteln aus Neugier. GIACOMO GIROLAMO CASANOVA

Liebe Leserinnen, liebe Leser!

Warum gehen Männer fremd? Das ist eine Frage, die sich Frauen immer wieder stellen und auf die Frauenzeitschriften unermüdlich eine Antwort suchen – mit immer neuen und doch unbefriedigenden Ergebnissen. Denn die simple Antwort »Weil sie immer Sex wollen« ist unzureichend und in vielen Fällen auch ungerecht. Natürlich gehen Männer nicht alle aus demselben Grund fremd. Natürlich dient ein Seitensprung erst einmal der Befriedigung sexueller Bedürfnisse. Aber er kann auch die Suche nach Liebe, ein Anzeichen für mangelndes Selbstbewusstsein oder eine Frustreaktion auf Beziehungsprobleme sein. Manche Männer haben Angst, etwas zu verpassen, und einige finden Fremdgehen einfach ganz normal.

Anstatt mir weiterhin über männliche Untreue den Kopf zu zerbrechen und fragwürdige Theorien aufzustellen, habe ich die Männer direkt und unter vier Augen nach ihren Seitensprungerfahrungen gefragt und die besten Geschichten aufgeschrieben. Die detaillierten Berichte sollen Licht ins Dunkel der männlichen Triebe bringen.

Und sie bestätigen: Viele Männer suchen gezielt nach einem Seitensprung, einige können einfach nicht Nein sagen, wenn sich die Gelegenheit bietet, und manche holen sich draußen, was sie zu Hause nicht bekommen. Doch während die einen ungeniert eine monatelange Affäre haben, leiden andere unter den Gewissensbissen nach einem heimlichen One-Night-Stand. Ein Seitensprung hat alle Zutaten für ein großes Geschlechterdrama, einen erotischen Psychokrimi oder auch eine skurrile Beziehungskomödie. Nur für das Happy End gibt es leider keine Garantie.

Mia Ming

1. SEITENSPRUNG

Andere Mütter haben auch schöne Söhne

Marlon (31), Journalist, Freiburg, über Juliane (34), Lehrerin, Freiburg

Die letzten fünf Nächte habe ich kaum geschlafen. Eifersucht hat mich gepackt und hält mich in brutalem Würgegriff. Immerzu stelle ich mir Max und Juliane vor, im Stehen, an die Sportmatte gelehnt …

Vier Jahre bin ich jetzt schon mit Juliane zusammen. Vier Jahre. Da ist es doch klar, dass es ab und an vielleicht ein wenig … na ja, ein wenig eintönig wird. Aber da erzähle ich Ihnen sicherlich nichts Neues. Es ist auch ganz normal, dass ich mir andere hübsche Frauen anschaue und mir vorstelle, wie es mit denen wohl so sein mag. Juliane und ich wohnen ja auch zusammen, da sieht man sich jeden Tag, und wenn man den anderen vier Jahre lang tagtäglich vor Augen hat, bleibt die Erotik immer mehr auf der Strecke.

Auch ohne Kinder, mit Kindern ist es natürlich noch mal ein anderes Thema, dann hat man keine Zeit mehr, nur noch Windeln und Babybrei. Aber auch so, wenn man eigentlich Zeit füreinander hätte, sind die heißen Liebesnächte doch rar gesät. Um es mal vorsichtig auszudrücken.

Bei uns ist nach vier Jahren sogar eine ziemliche Flaute eingetreten. Dabei liebe ich Juliane sehr, ich könnte mir nicht vorstellen, jemals ohne sie zu sein. Aber früher hätte ich mir auch nicht vorstellen können, jemals freiwillig ohne Sex ins Bett zu gehen. Wie müde oder abgespannt man sich auch fühlt, ein bisschen Liebe geht doch immer, dachte ich. Aber man wird faul und träge. Ich fühle mich wohl mit Juliane; wenn ich abends nach Hause komme, kochen wir und kuscheln auf dem Sofa, vor dem Fernseher. Das ist zwar schön, aber wenn ich mir vorstelle, dass es jetzt immer so weitergeht … Diese Entwicklung hat mir Sorgen gemacht, vor allem, da ich früher ganz anders war, Sex war immer eine enorm wichtige Komponente in meinem Leben.

Auch dass ich immer mehr nach anderen Frauen geschaut habe, gefiel mir nicht. Manchmal kam mir eine auf der Straße entgegen, lächelte mich an, ich sah es genau, verheißungsvoll und auffordernd nickte sie mir zu, und wie ferngesteuert drehte ich mich um, folgte ihr. Ich passte sie ab, am Ausgang oder wenn sie an einer Ampel stehen blieb, lächelte zurück – doch dann dieser irritierte Blick, als hätte sie mich nie gesehen, mich gar nicht wahrgenommen. Und das hatte sie auch nicht. Alles meine Einbildung! Peinlich berührt trollte ich mich dann, fühlte mich aufdringlich und verhaltensauffällig.

Dabei folgte dieses Verhalten keinem klaren Plan, im Gegenteil. Hätte sich die Frau mit dem vermeintlich auffordernden Lächeln tatsächlich umgedreht, Interesse an mir gezeigt, hätte ich nicht gewusst, wie ich reagieren sollte. Ein großer Aufreißer war ich nämlich auch nie. Vor allem, da ich in einer festen Beziehung lebe.

Ich bin kein guter Lügner und ich möchte auch gar kein Lügner sein. Hintergehen wollte ich Juliane nicht, sie auf keinen Fall verletzen. Sie hatte sich nie eifersüchtig gezeigt, doch hatte ich ihr bisher auch nie einen Grund dafür gegeben. Wie würde sie reagieren, wenn ich sie fragte, ob wir unsere Beziehung nicht ein wenig … na ja, offener gestalten könnten? Es fiel mir schwer zu beurteilen, wie sie die Sache sah.

»Die ist aber hübsch«, warf ich harmlos ein, als wir abends in einem Restaurant saßen und eine graziöse Blondine an unserem Tisch vorbeischwebte. »Findest du nicht auch?«

Juliane betrachtete mich entgeistert, lächelte dann und fragte: »Willst du mir irgendwas sagen? Soll ich mir die Haare blondieren? Auch ein leberwurstfarbenes Kleid tragen? Abnehmen? Sprich dich ruhig aus.«

Ein heikles Thema das Ganze. Juliane missversteht mich gern und behauptet, ich fände sie zu dick. Dabei ist das völliger Quatsch, sie ist höchstens ein wenig pummelig und das gefällt mir gut. Damit hat das alles überhaupt nichts zu tun. So würde das nichts werden. Ich musste klare Worte finden.

»Liebling, wir sind jetzt schon so lange zusammen und ich liebe dich wirklich sehr …«, begann ich.

»Aber?«, fragte meine Freundin mit hochgezogenen Brauen und pickte dabei Pizzakrümel vom Teller.

»Kein Aber«, fuhr ich fort, »… aber ich hab mich gefragt, ob du nicht auch findest, dass unser Liebesleben etwas eintönig geworden ist, was ja auch ganz normal ist nach vier Jahren. Du bist natürlich die einzige Frau, die ich liebe, aber …« So druckste ich noch eine Weile herum, ich bin nicht gut in solchen Sachen. Juliane hatte ihr Kinn aufgestützt und beobachtete mich aufmerksam.

»Da habe ich mich also gefragt«, schloss ich meine umständlichen Ausführungen schließlich, »was du von einer … na ja offenen Beziehung halten würdest?«

Jetzt war es raus: eine offene Beziehung! Gebannt wartete ich auf Julianes Reaktion.

»Hmm«, seufzte sie nachdenklich und schnipste einen Krümel von der Tischkante. »Offene Beziehung – was soll das denn genau sein? Was stellst du dir darunter vor?«

»Du weißt doch … also dass wir einander die Freiheit lassen, auch andere Partner, also Sexualpartner zu haben.«

»Und erzählen wir einander von diesen anderen Partnern?« Dieser sachliche Tonfall war typisch für Juliane.

»Natürlich. Wir erzählen uns weiterhin immer alles. Ich will ja auch nicht wild in der Gegend herumbumsen, ich wollte nur wissen, wie du generell dazu stehst, wenn ich meine Fühler ein bisschen ausfahre.«

»Iiih«, Juliane verzog das Gesicht. Schlechte Wortwahl.

»Ich meine, falls sich eines Tages etwas in dieser Richtung ergeben sollte.«

»Also hat sich bisher nichts ergeben?«, fragte sie.

»Nein«, antwortete ich ehrlich.

»Und wenn ich dagegen bin, würdest du das auch akzeptieren? Oder ist das hier nur eine rhetorische Befragung?«

»Nein, nein, auf keinen Fall, aber …«

»Hmm. Das klingt alles noch etwas unausgegoren«, unterbrach sie mich. »Darüber muss ich nachdenken, darüber, wie das überhaupt laufen soll. Und ob ich das möchte ... Ich glaube aber, ich möchte das nicht.« Jetzt sah sie ein wenig unglücklich aus. Ich nahm sie in die Arme, versicherte, dass es nur so ein Gedanke gewesen sei, und hoffte inständig, dass ich mit meiner Offenbarung keinen größeren Schaden angerichtet hatte. Auf einmal schien mir die Verlockung anderer Frauen hohl und leer angesichts der Vorstellung, Juliane zu verlieren. Meine Liebe war mir mehr wert, so viel war sicher.

Sechs Wochen ist dieses Gespräch jetzt her. Im Nachhinein erscheint es mir immer schwachsinniger. Was hab ich mir dabei nur wieder gedacht? Als ich meinem besten Freund davon erzählt habe, hat er schallend gelacht.

»O Mann, so was kann man seiner Freundin doch nicht ernsthaft erzählen!«, sagte er kopfschüttelnd. »Ich kann mir Julianes Gesicht genau vorstellen. Mann, Mann, Marlon, du bist echt unglaublich!« Er konnte keinerlei Verständnis für mich aufbringen.

»Offene Beziehung?! Freie Liebe, oder was? Das ist doch absolut nicht mehr zeitgemäß, das hat schon bei den Hippies nicht geklappt. Wenn sich die Gelegenheit für einen Seitensprung ergibt, dann greift man zu oder nicht!

Da muss man nicht groß planen und palavern und Diskussionsgruppen bilden. Und wenn es passiert ist, ist es eh zu spät, da scherst du dich dann auch nicht mehr groß ums schlechte Gewissen, bringt ja nichts!«

Ich grummelte, wusste aber insgeheim, dass er recht hatte. Also schwieg ich fortan über dieses Thema und hoffte, dass Juliane meine Schnapsidee vergessen hatte. Nach diesem Abend war ich auch zufriedener, wusste die Harmonie unserer Zweisamkeit zu schätzen, da ich nicht mehr ständig überlegte, ob sich etwas ändern müsse und wie ich diese Veränderungen angehen könnte.

Vor fünf Tagen kam ich abends aus dem Fitnessstudio. Juliane saß in der Küche, vor sich ein Glas Rotwein. Der Tisch war nicht gedeckt, wie ich mit knurrendem Magen zur Kenntnis nahm.

»Was ist denn mit dem Abendbrot?«, fragte ich quengelig. Da erst bemerkte ich, dass Juliane irgendwie merkwürdig aussah. Ihre Wangen waren gerötet, ihr Blick leicht entrückt.

»Ich hab keinen Hunger«, sagte sie versonnen.

»Wer sind Sie und was haben Sie mit Juliane gemacht? Die hat immer Hunger!«, versuchte ich zu scherzen, doch sie reagierte gar nicht. Dann gab sie sich einen Ruck, zog ihren Stuhl zurecht und sagte: »Marlon, ich hab über deinen Vorschlag nachgedacht!«

»V-Vorschlag?«, fragte ich alarmiert.

»Ja, und ich hab angefangen!« Sie klang hocherfreut.

»Womit?«

»Na, mit der offenen Beziehung!«, sagte sie fröhlich. Es herrschte einen Moment Stille.

»WAAS?!« War ich das, der da schrie? »Du kannst doch nicht einfach so ANFANGEN! Das geht doch nicht! Wir müssen das doch erst besprechen!«

»Wieso? Was ist denn los? Du sagtest doch, du fändest unsere Beziehung etwas eintönig und neue Erfahrungen könnten nicht schaden.«

»Spaß! Das ist ein Spaß, oder?«, rief ich. »Du willst mich ärgern, weil ich das vorgeschlagen habe.«

»Nein, wieso? Reg dich doch nicht so auf! Lass mich doch mal erzählen.«

Und dann erzählte mir Juliane von Max aus ihrem Lehrerkollegium. Ich hatte schon früher von ihm gehört, allerdings als einem von vielen Kollegen. Sie hätten sich schon immer prima verstanden, nachmittags zusammen die Unterrichtsvorbereitungen für den nächsten Tag getroffen, er sei aufmerksam, interessiert, sympathisch und – an dieser Stelle hätte ich mir am liebsten die Ohren zugehalten – Max hätte Juliane schon immer gemocht. Und sie ein wenig hofiert. Ganz harmlos, aber als sie Max von unserem Gespräch und meinem Vorschlag erzählt habe – »Mit Max kann man über alles reden« –, hätte sich das geändert und Max habe offen zugegeben, in Juliane verliebt zu sein. Juliane war zuerst ein wenig entrüstet, sie waren doch gute Freunde, sie wollte die Freundschaft nicht kaputt machen, außerdem konnte sie sich nicht vorstellen, mit jemand anders … Sie brach ab und kicherte. Übelkeit stieg in mir hoch. Meine Hoffnung, dass sie nur einen Spaß mit mir trieb, schwand zunehmend. Meine Freundin sah aus wie eine dicke, zufriedene Katze, gleich würde sie zu schnurren anfangen.

Aber heute dann, fuhr Juliane fort, waren die beiden in der Turnhalle nach dem Fortbildungsseminar noch zusammen ein paar Übungen durchgegangen und sich dabei … Mit einem Blick auf mein versteinertes Gesicht unterdrückte Juliane ein weiteres Kichern. Plötzlich seien sie sich … na ja näher gekommen. Dort sei ohnehin so eine besondere Atmosphäre, da in den Lagerräumen für die Sportgeräte, wo die Matten standen …

»Im Stehen?!«, rief ich empört. Juliane verdrehte die Augen.

»Ist ja auch egal«, unterbrach sie die eigenen Ausführungen, »jedenfalls war es abenteuerlich, wir hätten ja auch erwischt werden können … es war auch ganz schön prickelnd, ist einfach so über uns gekommen. Danach haben wir uns versprochen, dass sich nichts zwischen uns ändern wird, wir noch genauso gute Freunde sind wie zuvor.«

»Wie schön für euch«, würgte ich. Wollte sie mich quälen?

»Aber, Schatz, jetzt stört es dich doch? Auf einmal? Hätte ich dir nicht davon erzählen sollen?«

»Stören?«, japste ich verzweifelt. »Wie konntest du nur …?« Hilflos griff ich nach ihrem Rotweinglas und kippte es hinunter. Der Appetit war mir vergangen.

Die letzten fünf Nächte habe ich kaum geschlafen. Eifersucht hat mich gepackt und hält mich in brutalem Würgegriff. Immerzu stelle ich mir Max und Juliane vor, im Stehen, an die Sportmatte gelehnt … Jedes einzelne Turnutensil meiner Schulzeit erscheint vor meinem geistigen Auge, ungefragt, ich sehe die beiden miteinander auf dem Bock zugange, artistisch in den Ringen hängen, sich ungestüm zwischen den Bällen auf dem Boden rollen … das hält mich wach. Als ich Juliane davon erzählt habe, brach sie in lautes Gelächter aus und sagte dann beruhigend, so sei das Ganze nicht vonstatten gegangen. Eher eine ganz schnelle Nummer, die sich auch nicht wiederholen würde. Wenn sie gewusst hätte, dass es mich so stört, wäre es nie passiert!

Jetzt weiß sie es. Das versichert sie mir seither immer wieder, doch es hilft nicht.

»Ich wusste ja gar nicht, dass du so eifersüchtig bist«, sagt sie geschmeichelt, wenn ich sie nachmittags vom Unterricht abhole. Ich habe mir dafür extra Urlaub genommen, aber nächste Woche geht das nicht mehr. Da muss ich mich irgendwie wieder zusammenreißen und in die Redaktion. Das Leben muss ja weitergehen. Ich sehe mich schon Kontrollanrufe tätigen, jeweils im Abstand von fünf Minuten.

»Du musst dich wieder abregen«, sagt Juliane mit leichter Besorgnis, aber ein wenig genießt sie das Ganze auch. Ich möchte mich ja abregen, das ist aber nicht so leicht. Es ginge sicher besser, wenn ich diesen Max verprügeln dürfte, aber davon will Juliane nichts hören. Sie hat leider kein Verständnis für so etwas.

»Ich sag jetzt nicht, selbst schuld«, sagt Juliane, und ich beiße die Zähne zusammen. Sie hat ja recht. Aber das macht es nicht besser.

Ein Gutes aber hat das Ganze – die sexuelle Flaute ist vorbei. Nicht nur, weil ich nachts nicht mehr schlafen kann.

2. SEITENSPRUNG

Das Fenster zum Hinterhof

Pierre (26), Student, Dresden, über Kathleen (24), Kundenberaterin, Dresden

Ich hatte das Gefühl, dass ich sie schon ganz lange kenne. Vielleicht, weil ich sie schon seit Wochen beobachtet habe.

Alles fing damit an, dass ich immer an meinem Küchenfenster rauche. Ich kann von dort in die gegenüberliegenden Wohnungen schauen und die Nachbarn beobachten. Ich muss zugeben, dass ich meist kein oder nur wenig Licht anmache, damit es den Nachbarn nicht so auffällt. Es hat nichts mit Spannen zu tun, es ist eher wie Fernsehen, während ich eben eine rauche.

Eines Abends fiel mir auf, dass in der Wohnung gegenüber, die ein Stockwerk unter meiner liegt, jemand Neues einzog. Vier junge Männer haben renoviert und Kisten reingetragen. Am nächsten Tag sah ich eine wirklich hübsche Blondine die Kisten auspacken. Ich muss zugeben, dass ich mich immer so an mein Fenster gesetzt habe, dass sie mich möglichst nicht sehen konnte. Nach zwei Tagen war ihr Wohnzimmer fertig eingerichtet. In die anderen Zimmer konnte ich nicht sehen, da das Badezimmer ein Fenster mit einem Sichtschutz hatte und der Rest der Wohnung zur anderen Seite gelegen war.

Meine neue Nachbarin war so Mitte zwanzig. Sie schien sich keine Gedanken zu machen, ob man in ihre Wohnung sehen konnte, jedenfalls hängte sie keine Vorhänge auf. Es war Sommer und sehr heiß und sie lief die meiste Zeit nur in Tanga und Unterhemd durch die Wohnung. Besonders gefiel es mir zuzusehen, wie sie Bilder aufhängte oder nach vorn gebeugt Schubladen einräumte. Abends legte sie sich gern halbnackt aufs Sofa, telefonierte und trank Wein.

Meine damalige Freundin Danielle, eine Französin, wohnte dem Schauspiel eines Abends bei.

»Eine ganz schöne Schlampe, deine Nachbarin«, sagte sie entrüstet und ließ meine Jalousie runterschnappen. Jetzt war es ziemlich düster in meiner Küche.

»Wieso denn, sie ist doch in ihrer Wohnung, da kann sie doch machen, was sie will?«, verteidigte ich die Unbekannte.

»Aber sie weiß ganz genau, dass man sie sehen kann!« Danielle fand mein Fernsehprogramm gar nicht lustig.

»Na gut«, gab ich klein bei. Danielle war aufbrausend, auf einen Streit mit ihr wollte ich mich nicht einlassen, denn das war jedes Mal schrecklich anstrengend.

Weil es so warm war, habe ich angefangen, am offenen Fenster zu rauchen, und abends auch mal mehr Licht angemacht. Irgendwie hat es mich schon gereizt, die hübsche Nachbarin kennenzulernen. Es dauerte auch nur ein paar Tage, da lehnte sie sich aus ihrem Fenster und schaute mich ganz direkt an. Zum Gruß habe ich die Hand gehoben. Sie lächelte und verschwand wieder in ihrer Wohnung.

An diesem Abend fläzte sie sich derart lasziv auf ihrem Sofa, dass ich richtig nervös wurde. Tat sie das für mich? Bei diesem Gedanken wurde mir noch heißer. Sie fummelte an ihrer Fernbedienung herum, ließ sie zwischen ihren Beinen auf das Sofa gleiten, drehte sich auf den Bauch und streckte mir ihren knackigen Po entgegen. Ob sie wusste, mit was für einem Ständer ich sie beobachtete?

Zu dieser Zeit schrieb ich meine Examensarbeit, und ich merkte, dass ich oft an sie denken musste und es gar nicht abwarten konnte, bis sie endlich nach Hause kam. Eines Abends war ich mit meinen Freunden im Biergarten, und da war sie, mit einem älteren Mann. Ich hatte schon von meiner neuen sexy Nachbarin erzählt und die anderen haben sie sofort unter die Lupe genommen.

»Die Frau ist eine Ansage, keine Frage. Die nehme ich«, kam von Tobi.

»Das ist meine Nachbarin«, gab ich zurück.

»Ja, aber du hast doch Danielle. Ich dagegen bin frei und zu allem bereit.«

»Mensch, Tobi, die Alte steht auf ältere Herren.« Benni bedachte Tobi und mich mit einem mitleidigen Blick. »Euch sieht die gar nicht! Ihr seid der zu arm.«

Wir rissen noch ein paar Witze über meine Nachbarin und ihren grauhaarigen Begleiter, als sie plötzlich an unserem Tisch stand.

»Kennen wir uns nicht?«, fragte sie und sah mich an.

»J-ja, ich, ich wohne gegenüber«, stotterte ich aufgeregt wie ein kleiner Junge.

»Stimmt, ich hab dich am Fenster gesehen. Ich heiße Kathleen, aber alle nennen mich Kathi.«

Was für eine Stimme!

»Besuch Pierre doch mal, dann könnt ihr zusammen eine am Fenster rauchen!« Tobi musste sich ein Lachen verbeißen, die anderen kicherten. Ich hätte sie alle erwürgen können! Kathi sollte doch nicht wissen, dass ich meinen Freunden von unserer geheimen Beziehung erzählt hatte. Das ging doch nur uns beide etwas an. Ich schämte mich. Doch sie verstand den Scherz nicht oder tat zumindest so. Freundlich winkend ging sie zu ihrem Tisch zurück.

Wenige Wochen später traf ich sie im Supermarkt. Sie fragte mich, ob ich ihr beim Anbringen einer Lampe helfen könnte. Sofort! Also stand ich wenig später in ihrem Wohnzimmer auf einer Leiter und ließ mir viel Zeit beim Montieren der Lampe. Als wir danach auf ihrem Sofa saßen und bereits die zweite Flasche Wein leerten, konnte ich nicht anders und küsste sie. Sie hatte Lippen …, so etwas habe ich noch nie erlebt. Weich und warm, die waren selbst ungeschminkt ganz rot, als wären sie angemalt. Sie küsste mich zurück und ich umarmte sie. Das schüchterne Küssen wurde sehr schnell sehr wild und wir landeten auf dem Fußboden. Ich ließ meine Hand zwischen ihre Beine gleiten, Kathi stöhnte leise auf und bog ihren Oberkörper nach hinten. Vorsichtig nahm sie meinen Schwanz in die Hand und begann ihn langsam und dann immer schneller zu reiben.

Sex mit Kathi war das Beste, was ich je erlebt hatte. Den Rest des Abends lagen wir mal auf dem Sofa und mal auf dem Teppich und haben immer wieder miteinander geschlafen. Ich hatte das Gefühl, dass ich sie schon ganz lange kenne. Vielleicht, weil ich sie schon seit Wochen beobachtet habe.

Es war schon spät, als es einen lauten Knall gab und die Fensterscheibe ins Zimmer flog. Überall waren Scherben, vor Schreck sind wir fast vom Sofa gefallen. Nach ein paar Sekunden ertönte lautes Geschrei: »Du Asch, du Wichser, du bist das Allerletzte!«

Asch? Das war Danielles französischer Akzent, den ich sonst immer so gern hörte. Meine Freundin stand an meinem Fenster, schrie und trommelte temperamentvoll mit den Fäusten gegen die Wand.

»Ich asse dich!« Sie warf Geschirr und Besteck, und was sie so alles in meiner Küche fand, in unsere Richtung und schrie wüste Beschimpfungen. Kathi und ich gingen in Deckung, als mein Turnschuh angeflogen kam. Gott sei Dank konnte Danielle wie die meisten Mädchen nicht gut werfen, sodass das meiste im Hinterhof landete. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, also haben wir einfach das Licht gelöscht und sind in Kathis Schlafzimmer gegangen. Dort haben wir die Nacht verbracht. Danielles Geschrei klang noch eine Weile durch den Hof, dann war es ruhig.

Als ich am nächsten Tag in meine Wohnung kam, sah es aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Danielle hatte ganze Arbeit geleistet, das hätte ich ihr gar nicht zugetraut. Einige Küchensachen waren noch brauchbar, ich konnte sie im Hof einsammeln, aber ich musste mir ein neues Sofa kaufen, da Danielle meins mit Honig, Nutella und Haferflocken geteert und gefedert hatte. Was sie mit dem Bett gemacht hat, erzähle ich hier lieber nicht. Ich war heilfroh, als ich sah, dass mein Laptop wie durch ein Wunder unversehrt auf dem Schrank stand. Sie muss ihn in ihrer blinden Wut übersehen haben.

Seither bin ich vorsichtiger damit, wem ich meinen Wohnungsschlüssel anvertraue.

Kathi und ich waren nun ein Paar. Leider nur eine knappe Woche. Kathi war völlig schockiert, als sie zum ersten Mal aus meinem Fenster in ihr Wohnzimmer sah. Enttäuscht musste ich mir eingestehen, dass sie gar nicht gewusst hatte, was für ein Programm sie mir seit Wochen geboten hatte. Unsere Beziehung war also sehr einseitig gewesen. Nach fünf Tagen verließ Kathi mich ohne eine Erklärung und hängte Vorhänge vor ihre Fenster.

3. SEITENSPRUNG

Female Body Inspector

Mikael (27), Künstler, Dortmund, über Jana (26), Krankenschwester, Dortmund

Noch bevor ich die Tür aufschob, wusste ich, dass hier etwas nicht stimmte. Die Vorhänge waren zugezogen, die Luft im Zimmer roch schwer, süßlich … nach Schweiß und Sex.

Vor ein paar Wochen war ich mit meiner Freundin Jana im Urlaub in der Türkei. Sie kennt immer überall komische Typen, die sich hocherfreut zeigen, wenn sie ihr behilflich sein dürfen. So auch im Reisebüro. Eine selbstgefällige Kröte mit protzigen Klunkern an den Fingern tippte dort ein paar Angaben in die Tasten et voilà zehn Tage Türkische Riviera, Fünf-Sterne-Anlage, alles inklusive, zu einem wirklich erstaunlichen Preis. Jana gluckste freudig und klatschte in die Hände, der Typ wackelte geschmeichelt mit dem Kopf und sagte mehrmals: »Für dich doch gern.«

Dann verabschiedeten die beiden sich mit zehn Wangenküsschen. Mir fuchtelte er nur kurz zu, ohne mich dabei anzusehen. Aber ich wollte mich nicht beschweren, solche Kontakte sind natürlich höchst praktisch.

»Wer war denn das?«, fragte ich trotzdem nach, als Jana und ich wieder auf der Fußgängerzone standen.

»Das war der Kevin, ein Kumpel. Den kenn ich aus dem Beatwerk.«

»Ah! Von deinen Mädelsabenden!«, erwiderte ich freundlich. Das Beatwerk ist ein widerwärtiger Laden hier in Dortmund, ich würde lieber öffentlich masturbieren, als so einen Möchtegern-Schicki-Club zu betreten. Dass da so Kröten wie der Kevin gern hingingen, konnte ich mir allerdings bildlich vorstellen. Mal richtig die Sau rauslassen … bäh.

»Ziemliche Speichelproduktion, der Gute. Ist das krankhaft?«, setzte ich nach.

»Jetzt hör mal auf, Mika!«, antwortete meine Freundin ungehalten. »Du bist doch nur wieder eifersüchtig! Dabei hat der Kevin uns gerade Bombentarife klargemacht. So billig kommt man normalerweise nicht in die Fünf-Sterne-Anlagen!«

»Ich sowieso nicht«, nickte ich ergeben. Janas Behauptung, ich sei eifersüchtig, eifersüchtig auf die Kröte, empörte mich zwar, aber ich verkniff mir eine Entgegnung. Lieber keinen Streit provozieren, denn Eifersucht war ein heikles Thema. Sie warf mir das oft vor, ganz zu Unrecht, wie ich fand.

Mir gingen zwar ab und an Janas Verehrer auf die Nerven, wenn sie allzu schamlos um sie herumbalzten. Mir missfiel es, wenn Jana darauf einging, affektiert kicherte und mit den Augen klimperte, um noch mehr Komplimente und Bestätigung zu bekommen. Ich konnte ihr dann kaum zusehen, dabei gibt es sonst nichts, was ich lieber ansehe als sie.

Doch das war keine Eifersucht, nein, ich fand es einfach unangenehm und ihrer nicht würdig. Aber ich wusste, dass es eigentlich nichts bedeutete. Sie dachte sich nichts dabei, die Verehrer waren ihr nicht wichtig. Wenn ich ab und an mein Missfallen bekundete, ging es mir dabei mehr um sie als um mich.

Wäre ich eifersüchtig, würde ich ganz anders reagieren. Ein wirklicher Rivale, der Jana etwas bedeutete und unsere Liebe gefährdete, würde mich völlig aus der Fassung bringen. Ich würde mit allen Mitteln versuchen, der Bessere für sie zu sein, und ihr zu zeigen, dass sie mit mir glücklicher wäre. Glaube ich zumindest, vielleicht würde ich auch in blinder Panik alles noch schlimmer machen.

Aber dazu schwieg ich jetzt besser, griff nach Janas Hand und sagte: »Unser erster gemeinsamer Urlaub!«

»Siehst du! Beschwer dich nicht und freu dich lieber!«

Und wie ich mich freute. Auch wenn ich eigentlich einen Backpacker-Trip durch den Urwald bevorzugt hätte und Janas beste Freundin Kerstin plötzlich auch noch mitfahren sollte. Komplettiert von ihrem Freund Rainer, der sich Rainier nannte. Französisch ausgesprochen, er fand, das passe besser zu ihm. Ob Rainer oder Rainier, der Typ war eine halslose Hohlbirne, der sich den ganzen Tag aufplusterte und mit seinen Muskeln spielte. Mit Kerstin war ich schon in die Grundschule gegangen, später hatte ich durch sie Jana kennengelernt. Dafür war ich ihr sehr dankbar, sonst hielt sich meine Zuneigung aber auch für sie mittlerweile in Grenzen.

»Wie schön, dass Rainier auch mitkommt, zu unserem ersten gemeinsamen Urlaub«, seufzte ich, »der Typ ist wirklich ’ne Stimmungskanone. Da kann ja nichts mehr schiefgehen.«

»Ach komm, Mika«, tröstete mich Jana, »so schlimm ist er auch nicht. Und du wirst bestimmt eh nicht viel von den beiden mitbekommen!«

Von wegen. Bereits im Flugzeug saßen wir in Viererreihen, Rainer nahm mindestens das Doppelte der ihm zustehenden Sitzfläche ein, blätterte in einem Auto-Magazin und monologisierte ohne Unterlass über das, was er da las. Jana und Kerstin palaverten fröhlich miteinander auf der andern Seite. Ich tat, als würde ich schlafen, aber das nahm Rainer nicht zur Kenntnis, sondern boxte mir immer wieder seinen Ellenbogen in die Seite, um Aufmerksamkeit zu bekommen.

In Antalya angekommen, bezogen wir die Zimmer, deren geschmackloses Luxus-Ambiente den letzten Hauch von Urwald und Abenteuer im Keim erstickte. Als ich wenig später mit Jana am Pool lag und gerade die ersten All-inclusive-Cocktails orderte, gesellten sich Kerstin und Rainer liebevoll vorgebräunt und in knapper Badewäsche zu uns. Im Schlepptau hatten sie ein Animateurpärchen. Athletisch und dauerlächelnd – sonnige Gemüter, wie es sich gehörte. Beide trugen hässliche Basecaps mit dem Animationsschriftzug des Hotels und dazu bedruckte T-Shirts. Zugegeben, ich hege Vorurteile gegen Leute, die bedruckte T-Shirts tragen, und diese waren besonders abscheulich. Das Shirt der ungesund gebräunten Animateurin zierte ein überdimensionaler Dolce&Gabbana-Schriftzug. Auf dem Shirt ihres Partners prangte in großen Lettern FBI – und in Klammern darunter: Female Body Inspector.

FBI erinnerte mich an Dolph Lundgren und auch er selbst schien der Ansicht zu sein, er könne mit Rocky in den Ring steigen. Würg! Enthusiastisch brachten sie ihr Programm vor, Minigolf, Po-weg, Volleyball, Aquagym … Ich gähnte und versteckte mich hinter meinem Buch.

»Oh, gleich Beach-Volleyball?!«, rief Jana entzückt und wenig später verschwanden meine drei Reisebegleiter im Schlepptau des fröhlichen Pärchens. Ich blieb allein auf meiner Sonnenliege, trank Piña Colada und las lustlos über Verschwörungstheorien, bis der Abend kam.

Das Abendbuffet war verstörend opulent, das konnte doch niemand aufessen, nicht mal halbwegs. Was geschah wohl mit all den Resten, wurden sie in LKWs abtransportiert, ins Meer gepumpt oder kamen sie doch vielleicht bedürftigeren Teilen der Bevölkerung zugute? Ich hoffte es, nahm mir aber vor, bei Gelegenheit den Hotelmanager zu befragen. Doch dazu kam es nicht mehr, ich hatte dann andere Sorgen ... Ich aß, bis die Gier von Übelkeit abgelöst wurde. Aber ich war ja auch im Urlaub, jetzt einen schönen Verdauungswhisky, gediegen mit Jana auf dem Balkon und ab ins Bett! Traumhaft. Jana aber hatte andere Pläne. Disco, Disco in der Hotelanlage, mit Kerstin im kurzen Glitzerfummel … als könnte sie so was nicht auch zu Hause erledigen. Rainier ging erst mal »das Abendessen loswerden«. Ob er damit auskotzen oder trainieren meinte, weiß ich nicht, interessierte mich auch nicht. Resigniert legte ich mich ins Hotelbett, um auf Jana zu warten, und schmollte einsam und allein, bis ich eingeschlafen war.

Jana kam offenbar spät, denn den nächsten Tag verschlief sie halb, während ich Frühaufsteher alleine am Strand entlanglief. Schon wieder oder noch immer schmollend. Nachmittags lagen wir dann zu zweit auf Liegen am Strand, Jana döste mit geschlossenen Augen und schimpfte nur ab und an gequält auf die All-inclusive-Cocktails, von denen man einen schrecklichen Schädel bekam. Ja, schrecklich, das fand ich auch.

Sogar bleich und verkatert sah Jana hinreißend aus. Ein normaler Mensch wird hässlich, wenn er von Übelkeit gebeutelt das Gesicht verzieht, doch es gibt Menschen, vielleicht drei oder vier auf der Welt, bei denen einfach alles, was sie tun, schön aussieht. Jana gehört dazu … leider, muss ich heute sagen. Abends besuchte sie trotz ihres Zustandes noch einen Bauch-weg-Kurs vor dem Essen, dann saßen wir zu viert am Tisch und lauschten Rainer und Kerstin, die uns ungefragt ihre Beziehungsdramatik offenlegten. Ein Diskurs, der sich in zahllosen anklagenden »Der Rainer macht immer das« und »Die Kerstin macht dafür aber immer das« erschöpfte. Puh. So hatte ich mir den Urlaub nicht vorgestellt!

Die nächsten Tage verliefen ähnlich, ständig lief ich wie ein Vollidiot hinter Jana her oder wartete auf sie oder hatte Kumpel Rainer an der Backe, der mich mit öden Anekdoten, über die er selbst und nur er selbst lauthals lachen konnte, für sich gewinnen wollte. Er witterte meine Antipathie – das war ja auch nicht schwierig –, akzeptierte sie jedoch nicht, da er sich selbst für einen super Typen hielt.

Am dritten Tag schlief ich morgens am Strand ein und wachte erst nachmittags alleine wieder auf. Wenn dies mein Versuch gewesen war, Aufmerksamkeit zu erhalten, ein Hilfeschrei, so war ich kläglich gescheitert. Da meine Freundin nicht da gewesen war, um mein Einschlafen zu verhindern, mich zu wecken oder mir wenigstens zuvor den Rücken einzucremen, waren meine Rückseite und die rechte Gesichtshälfte krebsrot, einzelne Handabdrücke von unverteilter Sonnencreme zierten höhnisch die verbrannte Haut. Tag vier und fünf hütete ich daher das Bett, lag stöhnend im dunklen Zimmer und wartete, dass Jana mir Nahrung ans Bett brachte. Sie schimpfte über meine Unvernunft, statt auch nur den Ansatz eines schlechten Gewissens zu zeigen. Es war zum Verzweifeln, ein Hundeleben … und ich ahnte nicht, wie viel schlimmer es noch werden sollte.

Jana und Kerstin hatten sich mit den Animateuren angefreundet und nahmen neben den Fitnesskursen auch an manch kleiner Bühnenshow teil, »Miss Antalya«, »Miss Tanga« und ähnlich Abscheuliches, was ich von der Zuschauerbank gequält amüsiert beklatschen musste. Nebenbei zog ich mir die tote Haut, die sich in weißen, trockenen Schichten ablöste, in Streifen ab. Dann widmete ich mich wieder dem Geschehen auf der Bühne. Schön, dass sie Spaß hatten, versuchte ich mir einzureden. Doch wie konnten sich erwachsene Menschen bloß so benehmen? Trotz meiner Teilnahme vom Zuschauerrang aus musste ich mich hinterher von Jana als Spielverderber, ja sogar als »Spaßbremse« titulieren lassen. Mein Applaus hatte nicht überzeugend gewirkt. Die Animateurboys dagegen waren offenbar Sport- und Spaßkanonen und so verbrachte Jana zunehmend mehr Zeit in ihrer erlauchten Gesellschaft.

Für den neunten Tag hatte ich an der Rezeption für Jana und mich einen teuren Busausflug gebucht, der Museen und andere Sehenswürdigkeiten ansteuern sollte und den Abend in Pamukkale beschloss. Den letzten Tag wenigstens wollte ich allein mit meiner Freundin verbringen. Sie freute sich, ging jedoch am Abend wieder mit Kerstin in die Hoteldisco.

»Mach aber nicht so lange, morgen geht es ganz früh los«, warnte ich sie und klang dabei ein bisschen wie meine Mutter.

Am nächsten Morgen brauchte ich ewig, um Jana wachzurütteln.

»Lass mich schlafen«, jammerte sie mehrmals, stand dann aber endlich auf und wankte ins Badezimmer. Nach dem Frühstück verschwand sie wortlos und stand erst, als der Bus losfahren wollte, mit Rainer vor mir.

»Tut mir echt leid, Schatz, aber mir ist übel. Der Rainier fährt für mich mit! Macht euch einen schönen Tag, Jungs!« Damit drehte sie sich einfach um und ließ mich sprach- und fassungslos stehen. Rainer knuffte mich in meine geradeso verheilte Schulter und schubste mich in den Bus, wo er sofort mitleidlos zu palavern begann, während ich am liebsten losgebrüllt hätte. Die erste Station der Sehenswürdigkeiten war eine Teppichknüpferei, wo man uns aufdringlich Touriartikel zu Touripreisen andrehen wollte. Die zweite Station war eine Töpferei, wo dasselbe stattfand. »Alles halbe Preis, halbe Preis«, zischelte ein zahnloser Opa eindringlich und zupfte mich immer wieder fest an meinem T-Shirt, während Rainer auf der anderen Seite um eine Vase feilschte. Ich hielt es nicht mehr aus. Unbemerkt schlich ich mich aus dem Gebäude, auf Zehenspitzen an dem wartenden Bus vorbei und lief dann wie um mein Leben die Straße zurück, um den Tourifängern zu entkommen.

Halb verdurstet hielt ich nach einer halben Stunde ein Dolmus an, das mich nach einstündigem Geruckel, das alle zwei Minuten durch eine scharfe Klingel unterbrochen wurde, um anzuhalten und hordenweise Gäste ein- und aussteigen zu lassen, zu einem Busbahnhof brachte. Von hier nahm ich ein überteuertes Taxi zum Hotel zurück. Ich musste mit Jana sprechen, sie zur Rede stellen. Liebte sie mich überhaupt noch? Warum verhielt sie sich so? Ihr Benehmen war unerträglich, hatte unsere Liebe überhaupt noch eine Chance?

Verschwitzt und ausgedörrt lief ich an der Rezeption vorbei, den beblümten Parkweg entlang, zu unserem Bungalow. Ich steckte die Karte in den Türöffner. Noch bevor ich die Tür aufschob, wusste ich, dass hier etwas nicht stimmte. Die Vorhänge waren zugezogen, die Luft im Zimmer roch schwer, süßlich … nach Schweiß und Sex. Ich trat einen Schritt ins Halbdunkel und starrte auf Jana und den blonden Animateur, die mich mit aufgerissenen Augen entsetzt vom Bett aus anstarrten. Sie waren nackt, Janas Haare hingen strähnig und knotig in ihr Gesicht und sahen aus, als wäre sie lange mit dem Hinterkopf über die Matratze geschubbert. Meine Freundin zog das Laken hoch, bedeckte ihre nackten Brüste, als wäre ich ein Fremder, der da in ihr Zimmer eindrang. Dabei waren das mein Zimmer und meine Freundin, die da nackt mit einem Animateur – ausgerechnet – in unserem Bett lag.

Sprachlos stand ich im Raum, der sich um mich zu drehen begann.

Der blond gelockte Animateur in meinem Bett – Female Body Inspector – fasste sich als Erster, richtete sich auf und brachte so etwas wie ein schiefes Lächeln zustande. »Hey there«, sagte er aufgeräumt. Ein sonniges Gemüt eben.

Am nächsten Morgen flogen wir zurück nach Dortmund. Ich hatte allein sitzen wollen, doch Rainer hatte sich ein Herz gefasst und trotz meiner panischen Proteste seinen Platz neben Kerstin getauscht, um mich trösten zu können. Den ganzen Flug über drosch er Phrasen, »nicht so schwer nehmen«, »einfach drüberstehen«, »so wat passiert« … Selbst als ich mein Mittagessen in eine Kotztüte erbrach, hielt er nicht inne, sondern klopfte mir während des Kotzens so beherzt auf den Rücken, dass ich mich auch noch verschluckte und beinahe an meinem eigenen Erbrochenen erstickt wäre. So wie Jimi Hendrix, nur nicht so cool.

Jana und ich sind seither getrennt. Ich wollte gern mit ihr darüber reden, wissen, wie sie das tun konnte, warum sie mir das angetan hatte, doch sie bot es nicht an und ich war ihr lange genug hinterhergelaufen.

4. SEITENSPRUNG

In jedem Hafen eine Braut

Hanno (40), Bankkaufmann, Bingen, über Nadja (35), Floristin, Minden

Ich entschied mich für die Braunhaarige, da ich gestern Abend schon eine Blonde hatte – ein Mann braucht Abwechslung.

Die letzten Akkorde verklangen, die Lichter blitzten, das Publikum schrie, klatschte und sprang herum. In Momenten wie diesen wusste ich, warum ich alles auf mich nahm, die anstrengenden Proben in bierdunstgeschwängerten Kellern, das Feilschen um Engagements mit windigen Veranstaltern, die räudigen Auftritte auf Parteitreffen und Abi-Bällen, die so gar nicht zu unserer Bandphilosophie passten, aber nötig waren, um Geld reinzukriegen. Momente wie diese – ich auf der Bühne, die Leute tanzen und jubeln und die Frauen schütteln ihr Haar –, solche Momente machen das Leben lebenswert. Ich war ein Rockstar! Auch wenn ich am Montag wieder an meinem Sparkassenschalter stehen würde, im Kundengespräch, jetzt war jetzt und ich genoss den Augenblick.

Und nach dem Konzert war mein Abend nicht etwa vorbei – ich habe es mir zur festen Gewohnheit gemacht, mich nach Auftritten zu belohnen. Ich ließ meinen Blick über die erste Zuschauerreihe wandern, es gab nur acht Reihen, doch das war egal, Hauptsache Publikum. Hier vorn in der ersten Reihe tanzten die Mädchen. Immer direkt vor der Bühne.

Zwei sahen ganz passabel aus, blond und brünett, anscheinend waren sie zusammen da. Das war gut, dann gab es keinen lästigen Anhang. Ich entschied mich für die Braunhaarige, da ich gestern Abend schon eine Blonde hatte – ein Mann braucht Abwechslung. Außerdem war der Hintern der Dunkelhaarigen weniger ausladend.

Lässig steckte ich mir eine Kippe an und nahm Blickkontakt auf. Die Braunhaarige lächelte mich an, ich nickte ihr zu, lächelte ebenfalls, die Sache lief wie am Schnürchen.

Für einen Moment noch blieb ich auf der Bühne stehen, im Licht, atmete tief ein, genoss den Erfolg, dann sprang ich mit einem gewagten Satz ins Publikum, wie ich es schon hundertmal, na ja vielleicht nicht hundert, aber doch schon einige Male getan habe.

Die Frauen kreischten auf und stürmten dann auf mich zu – ach, ich liebe Frauen! Männer würden niemals so kreischen. Sie umringten mich, zogen an mir, riefen durcheinander, ich ließ mich tätscheln und mir Komplimente machen. So viele Frauen, die Qual der Wahl!

»Ein tolles Konzert! So schön war’s!«, quiekte ein rotgesichtiger Brummer in mein Ohr, ich quittierte das Kompliment mit einem charmanten Lächeln.

»Soll ich ein paar CDs signieren?«, fragte ich dann.

Zähneknirschend sahen einige Männer zu, wie ihre Frauen mich umlagerten. Doch die Fans lieben mich einfach und ich liebe meine Fans. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, nach jedem Konzert eine Frau mitzunehmen. Mindestens eine. Zum Glück ist das nicht allzu schwierig als Rockstar. Wenn man berühmt ist, läuft ohnehin alles von allein.