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Hans Joachim Schellnhuber

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Beschreibung

Alarmierender Report über die selbstzerstörerischen
Folgen einer ungebremsten Erderwärmung


»Um jedes Zehntelgrad zu kämpfen« lohne sich, davon ist Deutschlands wichtigster Klimaforscher mit internationaler Reputation überzeugt. Er streitet seit Jahrzehnten darum, dass Politik, Wirtschaft und Gesellschaft dem Klimawandel und seinen dramatischen Folgen endlich ins Auge sehen – und alles daran setzen, ihn aufzuhalten.

In einem brisanten Thesenbuch spitzt er seine Kritik noch einmal zu: Nach derzeitigem Wissensstand bewegt sich unsere Zivilisation nicht auf die oft genannte Zwei-Grad-Grenze, sondern viel dramatischer auf eine Erwärmung von 3 bis 4 Grad Celsius bis Ende des Jahrhunderts zu. Die fortgesetzte Verbrennung fossiler Energieträger droht zum kollektiven Suizid zu führen. Hans Joachim Schellnhuber fasst das aktuelle Wissen in aller Schärfe zusammen, damit die Politiker auf der »Schicksalskonferenz« in Paris im Spätherbst 2015 die letzte Chance zum Umsteuern ergreifen.

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Seitenzahl: 1358

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Hans Joachim Schellnhuber

Selbstverbrennung

Die fatale Dreiecksbeziehung zwischen Klima, Mensch und Kohlenstoff

C. Bertelsmann

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1. Auflage© 2015 by C. Bertelsmann Verlag, München,in der Verlagsgruppe Random House GmbHUmschlaggestaltung: buxdesign München Bildredaktion: Dietlinde OrendiSatz: Uhl + Massopust, AalenISBN 978-3-641-17526-9

www.cbertelsmann.de

Inhalt

Vorwort

Prolog

1. Abschied und Wiederkehr

Erster Grad: Die Haut

2. Wachstumsstörungen

3. Der beschränkte Planet

4. Entdeckungsreise zum Klimawandel

5. Klimapalaver

6. Der Faktor Mensch

7. Stühlerücken auf der »Titanic«

8. Warum eigentlich Klimaschutz?

9. Mohamed ohne Land

10. Einstein, Gödel, Drake

Zweiter Grad: Das Fleisch

11. Gottes Element

12. Zwei Große Transformationen

13. Klima als Geschichtsmacht

14. Ultrakurzgeschichte der Um-Welt

15. Vom Wetter zum Klima

16. Ins Feuer?

17. Merkel auf dem Philosophenweg

18. Klimafolgen: Leib und Leben

19. Klimafolgen: Brot und Spiele

20. Zwei Grad Celsius

21. Kippelemente im Erdgetriebe

Dritter Grad: Das Mark

22. Blendet die Seher!

23. Betäubt die Hörer!

24. Die Diktatur des Jetzt

25. Falsche Ausfahrt: Anpassung

26. Falscher Film: Klimamanipulation

27. Die Neuerfindung der Moderne

28. Klimaschutz als Weltbürgerbewegung

29. Flucht und Gewalt

30. Arm und Reich

Epiloge

31. Wissenschaft, Gewissenschaft

32. Geschenk an Michelangelo

Bibliographie

Register

Personenregister

Orts- und Sachregister

Bildnachweis

Bildteil

Vorwort

Dieses Buch

handelt von der größten Geschichte aller bisherigen Zeiten. Die drei Hauptrollen spielen die Menschheit, das Klimasystem und das Wunderelement Kohlenstoff, kurz C genannt. Letzteres ist Voraussetzung für alles irdische Leben, kann aber noch vieles mehr – je nachdem, welche Gestalt es annimmt oder welche Verbindung es eingeht. Als gasförmiges Kohlendioxid wärmt es die Erdoberfläche, als fossiler Brennstoff in der Erdkruste bewahrt es die Sonnenenergie über Jahrhundertmillionen auf.

Das Klimasystem ist zugleich Diener und Herr des Kohlenstoffs, wie zu erläutern sein wird. Zudem hat dieses System durch seine früheren Schwankungen eine intelligente Lebensform, den Homo sapiens, hervorgebracht und durch seine jüngste Stetigkeit die Landwirtschaft, jene Grundlage aller Kultur, ermöglicht. Der moderne Mensch zeigt sich dafür jedoch nicht dankbar, denn er ist einen historischen Pakt mit dem Kohlenstoff eingegangen, der sich gegen das Klima richtet: Wie ein freigesetzter Flaschengeist erfüllt C dem Homo sapiens jeden Energiewunsch und lässt die Überflussgesellschaft entstehen. Doch gleichzeitig erhitzt der rasend aufsteigende Luftkohlenstoff den Globus über alle zuträglichen Maße und wendet sich damit gegen seine Befreier. Ergo geht unsere Zivilisation den Weg in die Selbstverbrennung – aus Gier, aus Dummheit und vor allem aus Versehen.

So verhängnisvoll könnte sich jedenfalls diese schicksalhafte Dreiecksbeziehung entwickeln, deren faszinierendsten Aspekte ich schildern werde. Der Ausgang der Geschichte ist allerdings offen: Immer noch kann sich der Mensch von der fossilen Verführung lossagen und vor dem selbst errichteten Scheiterhaufen kehrtmachen. Wenn Wissen und Wollen umgehend zusammenfinden. Und wenn wir deutlich mehr Glück als Verstand haben …

Dieses Buch

sollte bereits vor mehr als fünf Jahren erscheinen, und zwar unter dem ironischen Titel »Stühlerücken auf der Titanic«. Autor und Verlag hatten dabei eine eher konventionelle Beschreibung des Klimaproblems auf knapp 300 Seiten im Sinn. Also gestrickt nach dem bewährten Muster »Führender Experte erläutert eine wichtige und komplizierte Thematik auf anschauliche Weise für ein breites Publikum und warnt vor den ernsten Folgen des sich abzeichnenden Politikversagens«. Durchaus lesenswerte Bücher dieser Art sind beispielsweise zur Griechenland-Krise verfasst und verkauft worden.

Das Thema Klimawandel sprengt jedoch ein solches Format; seine wissenschaftlichen, gesellschaftlichen und moralischen Dimensionen lassen sich nicht mehr durch Konvention und Ironie bändigen. Alleine in den besagten fünf Jahren sind ungeheuerliche Dinge geschehen, die uns ins Ohr brüllen, dass die vertraute Welt (und nicht nur eine marginale Volkswirtschaft in Südosteuropa) aus den Fugen gerät: Der Fast-Kollaps der nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen politischen Architektur des Multilaterismus auf dem Kopenhagener Klimagipfel von 2009; die Hexenjagd gegen die Klimawissenschaft im Nachgang zu jener unseligen Konferenz unter Missachtung aller Prinzipien der Aufklärung; die Dreifachkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011 und die dadurch ausgelöste Wende in der deutschen Energiepolitik mit ihren globalen Folgeerscheinungen; die entsetzlichen Verwüstungen weiter Teile der Philippinen durch den Supertaifun »Haiyan« im November 2013; die historische Dürre in Kalifornien, das durch den Klimawandel wohl seinen Status als Fruchtkorb Amerikas einbüßen wird; das Entstehen einer ebenso idealistischen wie aggressiven Bürgerbewegung, die Institutionen und Individuen auffordert, ihr Geld aus der Fossilwirtschaft abzuziehen; das Anschwellen der Flüchtlingswellen aus Afrika und dem Nahen Osten, welche gegen die Küsten und Grenzbefestigungen des saturierten Europa anrollen usw. usf. …

Manche dieser Entwicklungen hängen direkt mit der menschengemachten Erderwärmung zusammen, aber allesamt sind sie Speichen eines Schicksalsrades, das der Klimawandel immer schneller in eine ungewisse, fremdartige Zukunft treibt. Wird dieses Rad jemals wieder zum Stehen kommen, und wenn ja, wo? Die mit den entsprechenden Fragestellungen befasste Wissenschaft hat in letzter Zeit dramatische Fortschritte gemacht und gestattet dadurch Ausblicke ins späte 21. Jahrhundert (und darüber hinaus), die einen schaudern lassen: Die naiven Verheißungen der Moderne stehen in Flammen, die uns unbarmherzig miterfassen werden, wenn wir das Haus der Zivilisation nicht aus sicherem Material neu erbauen. Dies ist der eine Grund für den nun gewählten Titel »Selbstverbrennung«.

Dieses Buch

versucht die ganze Geschichte vom Klimawandel in seiner Dreiecksbeziehung zu Zivilisation und Kohlenstoff zu erzählen. Das ist ein unerhörter Anspruch, zumal das Buch trotzdem lesbar, ja spannend und unterhaltsam sein soll. Um diesem Anspruch wenigstens annähernd gerecht zu werden, habe ich einen ungewöhnlichen Ansatz gewählt: Wissenschaftliche Einsichten, persönliche Erinnerungen und politisch-moralische Wertungen sind zu einer Dreifachwurzel geflochten, die mit jedem Kapitel tiefer in den Gegenstand eindringt. Bis schließlich die Fundamente unseres kulturellen und spirituellen Selbstverständnisses erreicht werden, wo nach dem Wesen der Menschlichkeit (conditio humana) angesichts ihrer größten Bedrohung zu fragen ist. Entsprechend dringt mein Narrativ von der »Haut« zum »Fleisch« bis ins »Mark« vor – aber nicht linear oder disziplinär geordnet, sondern nach einer inneren Logik, die mir der Gegenstand selbst aufgezwungen hat. So gesehen bin ich nur ein Stenotypist im Dienste des eigentlichen Autors.

Dieses Buch

erscheint im selben Jahr wie die Enzyklika »Laudato si’«, mit der Papst Franziskus wort- und gedankengewaltig in die Umweltdebatte eingegriffen hat: »Wenn wir die Schöpfung zerstören, wird sie uns zerstören!« Ich hatte die besondere Ehre, dieses einzigartige Dokument zusammen mit zwei der höchsten Repräsentanten der katholischen beziehungsweise orthodoxen Kirche der Weltöffentlichkeit im Juni 2015 vorzustellen. Die Enzyklika ist ganz im Geiste des Franz von Assisi geschrieben, der vor 800 Jahren schon die Solidarität mit den Schwachen und die Harmonie mit der Natur beschwor. Diese beiden ethischen Gebote dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden, wie es vor allem die verantwortungslose Bereicherungsideologie in den zwei Dekaden nach dem Mauerfall von 1989 getan hat.

»Laudato si’« räumt diesen falschen Widerspruch beiseite und macht auf mitunter hochpoetische Weise geltend, dass soziale Gerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit nur gemeinsam zu realisieren sind. Ja, die Klimafrage wird in der Enzyklika auch angesprochen, und das auf bemerkenswert kundige und hellsichtige Weise. Aber diese Thematik steht nicht im Zentrum der Kirchenschrift, während sie zweifellos der Gegenstand ist, um den mein Buch kreist – auf abwechselnd engeren und weiteren Bahnen. Dabei bemühe ich mich, die Vernunft als Navigationsprinzip zu nutzen, während sich die Enzyklika selbstredend vom Glauben leiten lässt. Doch je tiefer man in die Klimaproblematik eindringt, desto deutlicher wird, dass diese beispiellose Zivilisationskrise nur durch die Verbindung von Glaube und Vernunft bewältigt werden kann. Wenn also Spiritualität und Intellektualität Hand in Hand gehen.

Insofern finden sich in »Laudato si’« und meinem Beitrag eine Reihe von Gemeinsamkeiten, obwohl die jeweiligen Befunde und Bewertungen das Ergebnis völlig unterschiedlicher Auseinandersetzungen mit Himmel und Erde sind. Wobei sich meine Kompetenzen zweifellos eher auf Letztere beziehen. Aber ganz gleich, ob sich das Paradies im Diesseits oder im Jenseits befindet: Es wird jeden Tag offenkundiger, dass wir dabei sind, es im Namen des »Fortschritts« zu verspielen.

Dieses Buch

spricht somit, ebenso wie die Enzyklika, nicht von einer fernen, mystischen Apokalypse, sondern von einem nahen, profanen Desaster, auf das unsere Zivilisation starrsinnig zusteuert. Der Begriff »Selbstverbrennung« erscheint für diese kollektive Torheit durchaus angemessen, zumal sie den Wärmetod unzähliger Kreaturen verursachen würde.

Der von mir gewählte Titel steht aber auch noch für andere, individuellere Bedeutungen. Nicht für die ebenso heroischen wie entsetzlichen Fanale, mit denen tibetische Mönche die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf die Unterdrückung ihrer Heimat und Kultur lenken wollen. Ich opfere mit dieser Veröffentlichung weder Leib noch Leben – allenfalls fordere ich den Spott von Literaturkritikern und Fachkollegen heraus, die übereinstimmend meinen könnten, dass der Schuster doch besser bei seinen naturwissenschaftlichen Leisten geblieben wäre. Dennoch ist der Schritt, den ich hier vollziehe, nicht belanglos:

Nach rund dreißig Jahren der Auseinandersetzung mit allen Aspekten des Klimawandels drängt es mich, umfassend Stellung zu beziehen. Die Befunde der Forschung sprechen inzwischen eine so eindeutige Sprache, dass wir die gelehrte Debatte über die saubere Trennung von Subjektivität und Objektivität hinter uns lassen können. Angesichts des Risikos eines selbst verschuldeten Weltenbrands steht fast jeder vor der Entscheidung, bestimmte Grenzlinien zu überschreiten.

Meine Entscheidung besteht darin, nunmehr endgültig Partei zu ergreifen – gegen eine gesellschaftliche Betriebsweise, welche die natürlichen Lebensgrundlagen unweigerlich zerstören wird. Dadurch beschädige ich womöglich meine Reputation als Experte, der im Normalbetrieb größtmöglichen Abstand von den moralischen Dimensionen seiner Thematik zu wahren hat. Doch nichts ist heute noch normal auf diesem Planeten. Insofern ist meine Entscheidung, weiß Gott, keine Heldentat, sondern eine Selbstverständlichkeit.

Somit lässt sich der bewusst dramatische Titel des Buches auch ganz unprätentiös interpretieren: Ich bringe meinen erweiterten Lebenslauf zu Papier und stecke das Dokument in Brand, um damit für kurze Zeit ein wenig zusätzliches Licht zu verbreiten. Dabei können gewisse Dinge vorübergehend deutlicher sichtbar werden als üblich – entweder, weil man ihnen mit der improvisierten Fackel ganz nahe kommt oder weil sich einzelne Worte auf dem brennenden Papier sekundenlang aufwölben und aufleuchten.

Dieses Buch

könnte selbst sein kleines Licht nicht werfen, wenn ich während des halben Jahrzehnts der Niederschrift nicht von zahlreichen Kollegen, Freunden und insbesondere meiner Familie unterstützt worden wäre. All diese Unterstützer namentlich zu würdigen ist mir hier nicht möglich, aber einige möchte ich doch explizit nennen:

Bei der Klärung wissenschaftlicher Sachverhalte und anderer inhaltlicher Fragestellungen waren mir Ottmar Edenhofer, Georg Feulner, Dieter Gerten, Daniel Klingenfeld, Elmar Kriegler, Jascha Lehmann, Anders Levermann, Wolfgang Lucht, Stefan Rahmstorf, Mareike Schodder, Kirsten Thonicke, Jonas Viering, Kira Vinke, Ricarda Winkelmann und viele andere eine große Hilfe.

Bei der technischen Realisierung des Manuskripts haben vor allem Carmen Begerock, Sabrina Dahlemann, Maria Knaus, Claudia Köhler, Simone Lehner, Eva Rahner, Alison Schlums, Susanne Stundner, Christiane Walter und Martin Wodinski außergewöhnliche Leistungen erbracht. Die größte Herausforderung dabei dürfte wohl die Entzifferung zahlreicher handschriftlicher Notizen gewesen sein, die ich in irgendwelchen Bahnhofshallen oder Hotellobbys angefertigt hatte.

Die Produktionsregie des Ganzen lag anfangs bei Veronika Huber und bald darauf bei meiner persönlichen wissenschaftlichen Assistentin Maria Martin. Frau Martin war mir in inhaltlicher, technischer und strategischer Hinsicht eine unschätzbare Hilfe. Ohne ihren freundlichen Scharfsinn und ihr geduldiges Perfektionsstreben wäre dieses Buch nicht zustande gekommen.

Größten Dank schulde ich dem Verlag C. Bertelsmann und seinem Verleger Johannes Jacob, der mit unendlicher Geduld und tiefstem Verständnis den überlangen Werdungsprozess dieses Titels begleitete. Zwischenzeitlich hatte ich schon mehrfach die Hoffnung aufgegeben, die selbstgesetzte Aufgabe angemessen bewältigen zu können. Er hingegen zweifelte offenbar nie daran, dass die Sache doch noch ein gutes Ende finden würde. Mit ähnlicher Langmut hat meine Literaturagentin Karin Graf die Wirren dieser Buch-Schwangerschaft begleitet. Unbedingt bedanken möchte ich mich auch beim Lektor Eckard Schuster, dessen Tätigkeit mir zunächst als lästige Besserwisserei erschien. Im Laufe der letzten Monate ist er mir jedoch zu einem hoch geschätzten intellektuellen Partner geworden, dessen Rat ich (fast) immer gefolgt bin.

Und da ist schließlich jemand, der diesen Kreationsprozess nicht nur ertragen und gefördert, sondern auch ganz wesentlich inspiriert hat: meine Frau Margret Boysen. Einige der tiefsten Gedanken meines Narrativs, die dem Leser vor allem im dritten Teil begegnen, sind im Dialog mit ihr entstanden.

Dieses Buch

ist nun für Sie aufgeschlagen …

Prolog

1. Abschied und Wiederkehr

Am 25. Februar 2010 starb meine Mutter. Ihr Name war Erika, und sie durfte (oder musste?) 82 Jahre alt werden. Kindheit und Jugend ihrer Generation waren geprägt von den großen europäischen Katastrophen und den unfassbaren deutschen Entgleisungen des 20. Jahrhunderts: Krieg, Ruin, Nazi-Wahn, Holocaust, Zerstörung. Es folgten Strafe und Scham. Und schließlich verstohlenes Zurückkriechen in die Menschheitsgemeinde – zu beachtlicher Freiheit und erstaunlichem Wohlstand unter dem noblen Schutzdach des Grundgesetzes. Mit 17 Jahren verlor Erika ihren Verlobten in einer der Kesselschlachten an der Ostfront; mit 18 wurde sie bei einem Bombenangriff der Westalliierten verschüttet; mit 19 erlebte sie ihre erste Schwangerschaft.

Die Begräbniskirche bei Ortenburg war wenige Tage nach ihrem Tod noch winterkalt, doch sanft von Frühlingslicht erfüllt, und die Sandwege über den Friedhof draußen atmeten sogar schon Sommerwärme. Am offenen Grab der Familie Schellnhuber wurden Reden wie an fast allen Gräbern gehalten, die sich vergeblich mühten, der Verstorbenen gerecht zu werden oder den Hinterbliebenen Trost zu spenden. Erikas Leben war entlang tiefer Bruchlinien verlaufen; als am schwierigsten erwies sich sogar das letzte Daseinsdrittel, unter scheinbar stabilen äußeren Bedingungen. Aber meine überwältigende Erinnerung an sie ist die einer hübschen, fröhlichen, zärtlich liebenden, jungen Mutter, die ich uneingeschränkt widerliebte. Nicht zuletzt deshalb waren die glücklichsten Jahre meines bisherigen Lebens die meiner Kindheit, also etwa die Zeit zwischen dem dritten und dem zehnten Geburtstag. Die Magie dieser Zeit begleitet mich noch heute, wenngleich sie nun tief im Bewusstseinshintergrund gelagert erscheint.

Und der Tod meiner Mutter hat diesen Hintergrund noch weiter weggestoßen, wohl über den Horizont der seelischen Rückrufbarkeit hinaus. Aber stimmt das wirklich, habe ich meine Kindheit nicht schon längst – Stück für Stück, in kleinen, unbarmherzigen Schritten – verloren? Ich kam im Haus meiner Eltern zur Welt, das seit zweihundert Jahren im Besitz unserer Familie ist und das vor vielen Jahrhunderten als erstes öffentliches Schulgebäude der reichsfreien evangelischen Grafschaft Ortenburg in Niederbayern aus Stein, Lehm und Holz errichtet wurde. In diesem Haus bin ich auch groß geworden. Es war unbestritten das schönste der ganzen Gemeinde, stattlich-heiter, auf einer ummauerten Anhöhe platziert, von wildem Wein umrankt und von riesenhaften Birnbäumen, Berberitzenhecken und Gemüserabatten umgeben. Der grüne Sommerduft der Tomaten, die meine Großmutter leidenschaftlich kultivierte, und der braune Winterduft des schweren Weihnachtsgebäcks, das ich fabrizieren half, durchzogen die Kinderzeit. Unvergesslich meine Ausritte als kleiner Junge auf dem ungesattelten Ochsenrücken zu unseren Weizen- und Roggenfeldern, durch Streuobstwiesen und sandige Hohlwege, in der flirrenden Augusthitze voller Lerchengesang. Unvergesslich das Abendläuten der Pfarrglocken im Herbst, das meinen Bruder und mich von den Anhöhen rings um Ortenburg nach Hause rief, wo meine Mutter bereitstand, um uns den Schmutz eines endlosen, beglückenden Nachmittags in der nur halb gezähmten Natur abzuschrubben. Das Leben war schön, auch wenn meine Mutter oft mit der Sorge schlafen ging, woher wohl am nächsten Tag das Essen für die Familie kommen würde.

Dann ereignete sich das »Wirtschaftswunder«. Seine Vorboten waren schon Ende der 1950er-Jahre im Rottal unterwegs; ab 1960 brach es dann unwiderstehlich und flächendeckend über meine Heimat herein. Die Leute hatten plötzlich Geld oder bekamen günstige Darlehen. Große Traktoren tauchten auf und ersetzten Zugochsen und Pferde. Autos begannen unregelmäßig die Straße vor unserem Haus zu befahren, die wir Kinder doch als ewiges Lehen zum Zweck des Murmelspielens im Juni und des Schlittenfahrens im Januar ansahen. Lagerhäuser für die Speicherung der Ernte und für die Verteilung von Kunstdünger und Pestiziden wurden errichtet; Telefonmasten und Trafohäuschen wuchsen aus dem Boden. Und da war vor allem die große bayerisch-vaterländische Flurbereinigung, welche die liebenswürdig verwinkelte, jahrtausendgereifte Bauernlandschaft in eine Industriebrache überzuführen begann – aufgeräumt, übersichtlich, rechteckig, reizlos.

Als Kind begriff ich nicht, was da vor sich ging. Ich wusste nichts vom »FlurbG« – dem am 14. 07. 1953 verabschiedeten Bundesflurbereinigungsgesetz – oder vom »AGFlurbG« – dem am 11. 08. 1954 verabschiedeten Bayerischen Gesetz zur Ausführung des Flurbereinigungsgesetzes. Und schon gar nichts von den Römischen Verträgen, worin die sechs Kernstaaten der EU im Jahr 1957 einen gemeinsamen Wirtschaftsmarkt und die »Modernisierung der Agrarstrukturen« beschlossen. Ich erlebte nur, wie Hecken und Baumgruppen gerodet, Dorfteiche zugeschüttet und Trampelpfade asphaltiert wurden. Mein Paradies zerbröckelte unter den dünnen, unermüdlich die Gegend durchstreifenden Kinderbeinen.

Der Übergang zur kleinindustriellen Landwirtschaft vor den Toren des Marktfleckens Ortenburg wurde widergespiegelt und begleitet von einem beschleunigten baukulturellen Erosionsprozess in seinem Innern: Mit den neuen Verdienstmöglichkeiten des »Wirtschaftswunders« – auch außerhalb des Agrarsektors – entstanden Anlagen und Infrastrukturen von zeitloser Hässlichkeit: Esso-Tankstellen, VW-Werkstätten, Sandgruben, Steinbrüche, Zementfabriken, Getreidesilos, lang gestreckte Molkereien, Buswendehämmer sowie Einkaufsläden, Gaststätten und Cafés im grotesken Pseudo-Bauhausstil. Mit dem wachsenden Wohlstand erfasste der Erneuerungsrausch alsbald auch – ja, vor allem – die private Wohnsubstanz: In den Jahren zwischen 1960 und 1990 schossen in den traditionellen Obstgärten der Ortenburger Bürger Ein- und Zweifamilienhäuser mit breiten Auffahrten, Doppelgaragen und Ölzentralheizungen aus dem Boden. Schließlich sollte jedes der Kinder seinen eigenen Hausstand gründen können, ein früher undenkbarer Luxus.

An so etwas wie Energieeffizienz verschwendete man nicht den flüchtigsten Gedanken – das spottbillige Erdöl schwappte ja aus den Wüstenbohrlöchern Arabiens bis nach Niederbayern. Und an das reiche Formenerbe des Rottals, wo sich immer noch baumeisterliche Juwelen in versteckten Winkeln wie Reisbach finden, erinnerten höchstens noch architektonische Demütigungen wie ausladende Balkone im pervertierten Voralpenstil. Auf den bisher freien Flächen innerhalb der Ortschaft – unsere Vorfahren wussten genau, warum sie diese offen gehalten hatten – entstanden Neubausiedlungen wie Fettklumpen im Herzgewebe eines kranken Menschen. Dafür begannen die alten, wetterdunklen, holzschindelverkleideten Wohnhäuser zu verfallen, wenn sie nicht abgerissen oder entstellend »renoviert« wurden. Einige dieser für die Grafschaft Ortenburg so charakteristischen Gebäude stehen noch heute, von wenigen Liebhabern erhalten und gepflegt. Ihr Anblick ist wie ein Stich in den Leib, weil vor Augen geführt wird, was einst war und was noch sein könnte.

Mit jedem Besuch in meinem Heimatort über die letzten vier Jahrzehnte wurde mir der Verlust meiner Kindheitsidentität durch den Verlust ihres Schauplatzes deutlicher: Mit meinem Vater – auch er ist nicht mehr am Leben – unternahm ich Wanderungen zu einst vertrauten Stätten, aber wir mussten uns immer weiter vom Ortskern entfernen, um noch fündig zu werden. Mein Geburtshaus selbst habe ich längst von meiner persönlichen Kulturerbeliste gestrichen, denn sein großzügig-umständlicher Charme ist inzwischen durch funktionalen Umbau ausradiert, seine wundervolle Baumentourage schon lange von Axt und Säge niedergestreckt.

Der Tod meiner Mutter erschien mir wie eine letzte und endgültige Verlustbestätigung für alles, was mir dort kostbar war. Nachdem vier kräftige Männer das Grab zugeschaufelt hatten, begab sich die verhältnismäßig große Trauergemeinde zum »Leichenschmaus« – wie habe ich diesen Begriff immer gehasst! – in einen nahe gelegenen Gasthof hoch über der Ortschaft. Anschließend stieg ich mit meiner Frau die Anhöhe ganz empor, um vor der langen Rückreise noch ein wenig frische Luft zu atmen, vor allem aber auch, um meine Gefühle zu ordnen. Bald lag das Wirtshaus, das sich vor vielen Jahren noch einer altertümlichen Kegelbahn im Schatten grandioser Walnussbäume rühmen konnte, tief unter uns. Die Dämmerung war nicht mehr fern, die Luft erstaunlich mild und von einer kristallenen Klarheit: Föhnwetter …

Wir wanderten immer weiter die steile Straße hinan, vorbei am Gefallenendenkmal im Zentrum eines kleinen Fliederhains, hinauf bis zum Kamm der Hügelkette. Ich vermied es bewusst, mich umzudrehen und zurückzublicken, denn irgendwie hoffte ich, ganz oben der Vergangenheit ein Bild zu entreißen, das ich seit vielen Jahrzehnten wie einen unhebbaren Schatz in mir trug. Endlich, am höchsten Punkt des Weges, wandte ich mich rasch um, für jede Enttäuschung gewappnet – doch wahrhaftig, da lag SIE: In einer zauberhaften Melange aus schwindendem Sonnenlicht und aufsteigendem Vollmondlicht erstreckte sich, vom Anfang bis zum Ende des südlichen Horizonts, die Kette der Bayerischen Alpen! Die Konturen waren so scharf, dass man jeden Felssturz zu erkennen meinte, die Farben so tief, dass man Zwiesprache mit den weiß-blauen Gletscherzungen halten wollte. In diesem Moment war ich ganz und gar heimgekehrt, instantan zurückversetzt an jenen heißen Sommernachmittag vor 55 Jahren, als ich an der Hand meiner Mutter an exakt derselben Stelle vom Anblick der Alpen überwältigt wurde …

Man muss wissen, dass das Gebirge rund hundert Kilometer Luftlinie von Ortenburg entfernt liegt und sich nur ganz selten aus dem Dunst Niederbayerns heraushebt. Ich habe dieses Schauspiel nur einige wenige Male in meiner Kindheit erlebt, aber nie so schön wie damals im Juli – und jetzt wieder. Ich wandte mich nach Norden, wo als behäbig-dunkelgrüne Gegenmasse die Höhen des Bayerischen Waldes aufragten. Was für ein erhabener Standort, was für ein erhabener Augenblick, was für eine erhabene Landschaft! Die Hügel des Rottals schwappten wie gutmütige Wellen zwischen den zwei Gebirgszügen hin und her, mit bezaubernden Schaumkrönchen aus Waldinseln, Dorfhaufen und zwiebelgekrönten Sakralbauten. Doch bei näherem Hinschauen gewann das Verlustempfinden wieder Oberhand über die Wiedererkennungseuphorie: Selbst im Dämmerlicht waren sie überall auszumachen – die Transformationsnarben der Flurbereinigungen; die Amputationsstümpfe der Wohlstandsoperationen; die offenen Wunden einer Landwirtschaft, welche sich irgendwo zwischen kleinteiliger Traditionskultur und hoch rationalisierter Maisproduktion verirrt hat; die überdimensionierten Schneisen von Umgehungsstraßen, die versuchen, uns den Anblick von allem zu ersparen, was an Kostbarem auf dem fruchtbaren Boden zwischen Donau und Inn steht.

Und dennoch ist das geographische Rückgrat dieser Landschaft ungebrochen, schlägt ihr biologisches Herz kräftig weiter, fällt noch immer der Seidenregen des Rottals im leuchtenden Juni und im edelgrauen November. Was für meine, in jenem besonderen Moment wiedergefundene Heimat gilt, lässt sich in ähnlicher Weise über die Heimat der Menschheit sagen – den Planeten Erde. Auch in diesem viel größeren Zusammenhang habe ich einmal persönlich einen magischen Augenblick erlebt: Im April 1974 stand ich – ebenfalls in der Abenddämmerung – auf einer Anhöhe in Zentralafrika, die einen geradezu unbeschreiblichen Rundblick über die Riesenlandschaft zu meinen Füßen gestattete. Nach Westen erstreckte sich das Kongobecken, ein dampfendes, schleimiges, grünes Urwaldgewoge, in das die Sonne zyklamrot hineinstürzte. Fast glaubte man, ein leises Zischen zu hören, einen Urton aus dem Geräuschkanon der juvenilen Welt. Nach Osten öffnete sich der Zentralafrikanische Graben, dessen Savannengrund mit den Leibern unzähliger Elefanten gesprenkelt war. Im Norden schimmerte die Fläche des Edward-Sees, und im Gegengebirge der Virunga-Vulkane brannte wie ein Drachenauge der Nyiragongo, der Feuer, Asche und Rauch geiferte und die ganze umgebende Kulisse in glutböses Licht tauchte. Wie ich damals dorthin gekommen bin, ins »dunkle Herz Afrikas«, tut hier nichts zur Sache, aber diesen Anblick trage ich seither in mir, und er wird mich bis ins Grab begleiten.

Denn in diesem Anblick offenbarte sich mir die Erde in einer geradezu beängstigenden Schönheit, welche alle menschlichen Maßstäbe sprengt und sich so unmittelbar nur wenige Male ertragen lässt. Wie groß ist doch die Schöpfung, wer und was immer sie vollbracht hat … Heute ist das Herz Afrikas, die Region zwischen den Oberläufen von Kongofluss und Nil, zwischen Ruwenzori-Gebirge und Tanganjika-See todkrank. Sie birgt immer noch unvergleichliche geologische, ökologische und kulturelle Ressourcen, aber die Namen der Staaten, deren Territorien sich dort begegnen – Sudan, Uganda, Ruanda, Burundi, Demokratische Republik Kongo –, sind im Bewusstsein der Weltöffentlichkeit Synonyme geworden für Völkermord, Krieg, Anarchie, Zerstörung, Armut und Krankheit. Innerhalb von Monaten im Jahr 1994 wurden im ruandischen Genozid zwischen 500 000 und einer Million Menschen getötet, davon etwa 75 Prozent der Tutsi-Minderheit des winzigen, dicht besiedelten Landes. Als die mordenden Hutu-Milizen schließlich besiegt und vertrieben wurden, flüchteten sie zu Hunderttausenden in die Urwälder des Ostkongo, was zu einer bis heute andauernden militanten Destabilisierung des gesamten Raumes mit abscheulichen Folgen für die Zivilbevölkerung führte. Auch im Südsudan und in Norduganda herrscht seit Jahrzehnten Bürgerkrieg zwischen bizarren Parteien und makabren Allianzen, denen schon längst Anliegen, Ziel und Begründung ihrer Kampfhandlungen abhandengekommen sind.

Die Gewalt nährt sich überall dort nur noch aus sich selbst – so muss man sich wohl die apokalyptische Endphase des Dreißigjährigen Krieges in Deutschland vorstellen. Nur eine Marginalie in diesem höllischen Szenario ist die achtlose Vernichtung einzigartiger Naturerbschaften der Menschheit, gipfelnd im Niedermetzeln von Nashörnern, Elefanten und Berggorillas im Virunga-Nationalpark durch Soldaten außer Rand und Band. Fauna, Flora und Ökosysteme der Region stehen überdies unter einem enormen Sekundärdruck durch eine verelendete Bevölkerung, die vielfach durch Plünderung der verbliebenen Naturressourcen ihre einzige Existenzchance zu wahren versucht. Das illegale Schlagen von Edelhölzern oder das Wildern bedrohter Tierarten sind dort selbstverständliche Akte einer geradezu rechtschaffenen Normalität, einer Überlebenswirtschaft im Schatten allgemeiner Anarchie.

Dennoch ist das, was entlang des Zentralafrikanischen Grabenbruchs mit der Natur geschieht, wie ein Tritt in den weichen Unterleib der mitteleuropäischen Nachhaltigkeitsidealisten. Bei einer meiner Reisen nach Ruanda im Jahr 1980 hatte ich das Glück, an den Hängen eines der Virunga-Vulkane stundenlang eine Sippe von Berggorillas beim spielerischen Zeitvertreib beobachten zu können. Das Ballett der großen schwarzen Pelzkugeln, die da in kindlicher Fröhlichkeit und wechselnden Gruppen über eine Waldlichtung tanzten, war überwältigend. Rechtfertigt irgendetwas, bis hin zur größten Not, das Töten dieses kostbaren Teils der Schöpfung? Das frage ich natürlich im vollen Bewusstsein der Tatsache, dass sich Europa auf dem Weg zur »Zivilisation« schon vor vielen Jahrhunderten fast aller Mitpassagiere in Noahs Arche entledigt hat.

Bei den wiederholten Aufenthalten in Ruanda vor dem Genozid konnte ich merkwürdigerweise keine direkten Anzeichen für das bevorstehende große Morden erkennen – das Land schien geradezu ein Modellbeispiel dafür darzustellen, wie man unterschiedlichste kulturelle und ökonomische Interessen auf knappstem Umweltraum ausbalanciert. Ob ungebremstes Bevölkerungswachstum und dadurch beschleunigte Ressourcenverknappung die totale humanitäre Katastrophe ausgelöst – oder zumindest bedingt – haben, kann niemand schlüssig belegen. Aber ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an die Behauptung eines Paters auf einer dschungelverlorenen Missionsstation östlich des Kongobogens bei Kisangani: Er meinte, dass die kleine Kivu-Provinz westlich des gleichnamigen Sees so fruchtbar sei, dass sie ganz Schwarzafrika allein ernähren könnte, wenn sie denn richtig bewirtschaftet würde.

Der heutige Blick auf diese Region, die so überreich an Wohlstandsquellen und so arm an entsprechenden Schöpfrädern ist, macht ratlos: Was hat der »Fortschritt« gebracht außer automatischen Sturmgewehren für Kindersoldaten? Werden die Überlebenskämpfe der dortigen Bevölkerung und die Ressourcenfeldzüge der ausländischen Rohstoffkonzerne schließlich mit der totalen Niederwerfung der Umwelt enden? Wohin gehen dann die Millionen Menschen, welche die zentralafrikanische Erde nicht mehr zu tragen vermag – in die Slums von Nairobi oder Kinshasa, wo das Leben schon heute ohne jede würdevolle Perspektive ist? Aber Beobachtungen dieser Art lassen sich für viele Gegenden der Welt anstellen, im Kern sogar für mein heimatliches Niederbayern, wenngleich dort Milizenkrieg oder Massenelend so fern erscheinen wie der Andromedanebel. Doch 9 Milliarden Menschen müssen spätestens 2050 irgendwie auf diesem kleinen Planeten Platz finden, ohne sich gegenseitig zu zertreten. Die letzten Jahrzehnte haben uns in dieser Hinsicht nicht entscheidend vorangebracht, ja wahrscheinlich global in die Irre geführt.

Aus vielen Begegnungen mit nachdenklichen Menschen bei öffentlichen Veranstaltungen weiß ich, dass in unserer Gesellschaft ein hartnäckig unausgesprochener Konsens gereift ist. Er besagt, dass es nicht immer weiter »aufwärts«-gehen kann, dass das Wohlstandsmodell der Nachweltkriegszeit – in Deutschland und erst recht anderswo – keine Zukunft hat.

Und dennoch – oder gerade deshalb – wird dieses Modell als quasiheiliger Referenzrahmen aller individuellen Lebensentwürfe für unantastbar erklärt, auch für die Nachkommen. Ja, natürlich, wir leben weit über unsere Verhältnisse, und dieser deprimierenden Einsicht kann nur mit einer Steigerung der Misswirtschaftsintensität begegnet werden. Je näher etwa die Erschöpfung der fossilen Ressourcen wie Erdöl rückt, desto hektischer müssen wir den Stoff aus der Erde kratzen! Diese ebenso absurde wie zwingende Logik treibt die Weltwirtschaft »vorwärts«. Dass ein solches Modell nicht zukunftsfähig ist, wissen eigentlich alle, und jeder wartet deshalb auch auf den großen Systemwandel – irgendwann jenseits des eigenen Lebenshorizonts, versteht sich.

Möglicherweise haben aber sogar diejenigen unrecht, die meinen, dass es uns heute so viel besser gehen würde als unseren Großeltern: Für die Menschen im Ostkongo trifft dies noch nicht einmal materiell zu, für die Menschen im Rottal sicherlich nicht kulturell. Und welcher Preis wurde dafür bezahlt, uns dorthin zu bringen, wo wir heute sind, welche Energie- und Materialschlachten wurden geschlagen für eine Nachkriegsgesellschaft, deren Errungenschaften darin gipfeln, dass Bau- und Medienmärkte rund um die Uhr geöffnet sind? Wie viele Gruppen, Schichten, Völker sind von der Globalisierung während der letzten fünfzig Jahre ins zivilisatorische und historische Niemandsland gedrängt worden? Abbildung 1 lässt die Antwort auf die letzte Frage zumindest erahnen.

In einem Satz zusammengefasst: Die Menschheit ist unter größten Mühen, Verlusten und Kollateralschäden in eine Stellung vorgerückt, welche möglicherweise all die Opfer nicht wert war, die sich vor allem aber nicht halten lässt. Mein Buch soll insbesondere den zweiten Aspekt dieser Doppelkrise ausleuchten, die mangelnde Zukunftsfähigkeit der Art, wie wir unseren Planeten – im Großen wie im Kleinen – betreiben. Natürlich wird bei dieser Zusammenschau der Klimawandel die entscheidende Rolle spielen, weil er ein Menschheitsproblem darstellt, das alle Maßstäbe traditioneller Lösungskompetenz sprengt. Ich möchte jedoch auch Pfade aufzeigen, auf denen wir unsere unhaltbare Position verlassen können, um zur Erde heimzukehren – nicht exakt zu der Welt, wie sie die Natur geschaffen hat und wie sie unsere Vorfahren über Jahrhunderte gestaltet haben. Aber zu einer, deren Schönheit und Größe wiedererkennbar sind, ob im Rottal oder im Ostkongo, und die uns alle durch dieses Jahrtausend tragen kann.

Erster Grad: Die Haut

2. Wachstumsstörungen

Dennis Meadows ist ein freundlicher, weißbärtiger Herr, der gute Geschichten und Witze erzählen kann. Außerdem hat er die nahezu geniale Fähigkeit, didaktische Spiele zu erfinden, mit denen er den Besuchern seiner Vorträge die Denkschablonen aus den Köpfen reißt. Wenn man ihm so zuhört und zuschaut, wird man nachhaltig verunsichert und fragt sich, ob nicht der allergrößte Teil unserer Ansichten und Handlungen durch nichts weiter begründet ist als Routine, Gewohnheit, Wiederholung.

Meadows wurde in den 1970er-Jahren als Leitautor der Studie Die Grenzen des Wachstums weltberühmt. In jenem Jahrzehnt begann man an verschiedenen Orten der Wissenschaftswelt Computer einzusetzen, um die Dynamik komplexer Systeme zu simulieren. Das Wort »komplex« signalisiert zunächst einmal nur, dass die betrachteten Forschungsgegenstände sich aus vielen Komponenten zusammensetzen, die auf vielfältige Weise miteinander wechselwirken. Eine besondere intellektuelle Herausforderung stellen solche Systeme dar, wenn die Bestandteile sehr unterschiedlich sind – also nicht wie beim idealen Gas, das nur aus einer Schar identischer Moleküle besteht. Und wenn die Kräfte zwischen diesen Bestandteilen nichtlinear sind – also nicht wie bei einer idealen Federmatratze, wo sich alle Verformungen und Schwingungen aus der Proportionalität von Belastung und Widerstand ergeben. Unsere Welt ist voller Systeme mit diesen verschärften Komplexitätseigenschaften; die Beispiele reichen von den selbst organisierten Mustern von Schleimpilzen bis hin zu den subtil strukturierten Ringen des Saturn. Und zu den komplexesten aller bekannten Systeme im Universum zählen ohne jeden Zweifel das planetarische Ökosystem, die Weltwirtschaft und das menschliche Gehirn (also Wesenheiten, die nicht ganz unabhängig voneinander existieren, was wir noch ausführlicher behandeln werden).

Komplexe Systeme sind überaus faszinierend (die Schönheit einer majestätischen Kumuluswolke, vom Flugzeugfenster aus betrachtet, ist kaum zu übertreffen), aber für den Menschen in mindestens dreierlei Hinsicht »schwierig«: erstens, schwierig zu verstehen; zweitens, schwierig vorherzusagen; drittens, schwierig zu beherrschen. Nehmen wir als Beispiel das Phänomen des tropischen Wirbelsturms, der je nach Weltregion des Auftretens als Hurrikan (Atlantik), Taifun (Pazifik) oder Zyklon (Indik) bezeichnet wird. Bei der Entstehung dieser gewaltigen Stürme, die in Böen Geschwindigkeiten von über 350 km/h erreichen, spielt eine Reihe von physikalischen Elementen und Prozessen eine Rolle – von der latenten Wärme, die beim Auskondensieren winziger Meerwassertröpfchen frei wird, bis hin zur sogenannten Corioliskraft, die für die berühmt-berüchtigte Spiralform der Hurrikane & Co. verantwortlich ist und ihren Ursprung in der Rotation der Erde selbst hat. Das Zusammenspiel der am Wirbelsturm beteiligten Kräfte ist schon kompliziert genug, um den Wissenschaftler verzweifeln zu lassen. Aber damit nicht genug: Im Herzen der komplexen Sturmdynamik sitzt ein kognitives Widerstandsnest, das bisher allen Belagerungsversuchen der brillantesten Forscher getrotzt hat: die Navier-Stokes-Gleichung, welche das Strömungsverhalten von einfachen Flüssigkeiten oder Gasen beschreibt. Diese Gleichung ist also beispielsweise für Wasser gültig, nicht aber für zähflüssiges Blut. Zur Erbauung der Physiker unter den Lesern und zum wohligen Gruseln aller übrigen sei die berühmte Gleichung hier explizit wiedergegeben:

(Gleichung 1)

Es ist unmöglich, dieses Gebilde in wenigen Sätzen zu erläutern, aber es sollte zumindest erwähnt werden, dass v das Strömungsfeld des betrachteten Mediums bezeichnet, ρ seine Dichte, p den inneren Druck und f die Intensität der von außen aufgeprägten Kräfte (wie etwa der Schwerkraft). Gleichung 1 ist so etwas wie der »heilige Gral der Komplexitätswissenschaft«, denn hinter der abstrakten Symbolkette verbergen sich so unterschiedliche und wichtige Effekte wie der Umschlag eines gemächlichen Flusses in eine wild-turbulente Wirbelstraße oder der Auftrieb unter den Tragflächen von stählernen Flugkolossen, die allen Todesängsten ihrer Passagiere zum Trotz nur äußerst selten vom Himmel stürzen.

Der vermutlich klügste Mensch des 20. Jahrhunderts war – trotz der geringeren Wirkmächtigkeit im Vergleich zu Albert Einstein – der Mathematiker John von Neumann (siehe dazu ausführlich Kapitel 15). Von ihm wird glaubhaft berichtet, dass er sich die für nur wenige Sekunden aufgeschlagenen Seiten eines beliebigen Telefonbuchs exakt merken und sie wiedergeben konnte. Aber er wird auch zitiert mit seinem brennenden Forscherwunsch, vor dem Ableben noch die Navier-Stokes-Gleichung im Kern zu begreifen, eine Hoffnung, die sich selbst für diesen Geistesriesen nicht erfüllte. Sollte es der Wissenschaft aber eines Tages doch noch gelingen, die Strömungsdynamik gewöhnlicher Flüssigkeiten zu enträtseln, dann dürfte es auch möglich sein, vereinfachte Gleichungen niederzuschreiben, die das Werden und Vergehen eines Wirbelsturms nachvollziehbar machen.

Aber selbst dann dürfte das Prognoseproblem hartnäckig weiterbestehen. Mithilfe von Supercomputern können die Bewegungen von Hurrikanen zwar heute schon einigermaßen zufriedenstellend vorhergesagt werden, etwa durch das amerikanische National Hurricane Center (NHC) in Miami. Eine besondere Tücke dieser nichtlinearen Objekte ist es allerdings, dass selbst kleinste Fehler in den von Satelliten, Schiffen oder Wetterstationen in die Simulationsrechnungen eingespeisten Werten – etwa die anfängliche Luftdruckverteilung in einer bestimmten Atmosphärenschicht – sich zu exponentiell wachsenden Kalkulationsfehlern auftürmen und damit die gesamte Prognose zerschmettern können: Es macht immerhin einen gewissen Unterschied, ob der Wirbelsturm über Kuba oder über Haiti hinwegbraust beziehungsweise ob er sich deutlich vor dem Aufprall auf die Südostküste der USA abschwächt oder nicht.

Die Problematik der galoppierenden Computerabweichung ist den Komplexitätsforschern schon seit einer legendären Arbeit von Stephen Smale aus dem Jahr 1967 (Smale 1967) bekannt. Dort wurde gezeigt, dass völlig harmlos erscheinende Gleichungen überaus verwirrende und praktisch nicht vorhersagbare Bewegungsabläufe in sich bergen. In anderen Worten: Diese simplen Gleichungen erzeugen eine chaotische Dynamik, die letztlich jeden Wundercomputer schlägt. Da die Navier-Stokes-Gleichung noch viel hinterhältiger ist, wird es auch in absehbarer Zeit keine verlässliche 14-Tage-Wettervorhersage geben. Grob vereinfacht müsste nämlich die Computerkapazität exponentiell mit der Anzahl der Prognosetage wachsen – was irgendwann zu einem Rechner in Planetengröße führen würde. Das bedeutet aber nicht, dass eine solide Klimavorhersage unmöglich wäre, wie weiter unten zu diskutieren ist.

Was schließlich die Beherrschbarkeit von tropischen Wirbelstürmen (im Sinne der direkten Beeinflussung) angeht, betreten wir endgültig das Terrain der Wissenschaftsfantasie. Allerdings gibt es bereits interessante Hinweise auf natürliche Faktoren, welche beispielsweise Hurrikane dämpfen könnten – unter anderem massive Staubwolken, die in bestimmten Jahren von der Sahara hinüber in die Karibik ziehen. Solche Wolken künstlich als Sturmtöter zu fabrizieren und gezielt einzusetzen, dürfte ein Ding der Unmöglichkeit sein. Dagegen wird in den USA unter anderem darüber spekuliert, wie man Wirbelstürme – vor allem die hochgefährlichen Tornados – eventuell per Laserstrahl »abschießen« könnte. Science-Fiction, zumindest vorerst. Ganz allgemein muss die Steuerung komplexer Systeme allerdings nicht notwendigerweise schwierig sein: Der Mensch als zweifellos hochkomplexes Gebilde ist bekanntlich mit den einfachsten psychologischen Tricks verführbar und lenkbar.

So weit der Ausflug in die Komplexitätswissenschaften, die in den letzten Dekaden atemberaubende Fortschritte erzielt haben. Kehren wir nun zu Dennis Meadows zurück, den ich häufig bei internationalen Konferenzen treffe. Bei einer dieser Gelegenheiten lud ich ihn zu einem Vortrag ans Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) ein, das ich 1992 gründete und seither leite. Dennis sagte sofort zu, und Anfang 2010 fand sich dann auch ein passender Termin für seine Vorlesung an unserem Institut. Beim Mittagessen vor der Veranstaltung erzählte er mir, wie ihn das Schicksal auf mehreren Zufallswellen in die Arbeitsgruppe von Jay Forrester am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge bei Boston spülte. Forrester selbst gilt als einer der Pioniere der Computersimulation verwickelter Vorgänge. Bereits 1956 gründet er die Systems Dynamics Group an der Sloan School of Managementam MIT und erfindet dort einen speziellen Formalismus zur mathematisch-elektronischen Nachahmung komplexer Systeme.

Meadows selber verlässt Massachusetts nach der Promotion Ende der 1960er-Jahre und begibt sich auf eine abenteuerliche Reise durch Südostasien, wo er zum ersten Mal in direkte Berührung mit der armen, schmutzigen und überbevölkerten Welt jenseits der nordamerikanischen Wohlstandszitadellen kommt. Ein weiterer Zufall führt ihn später ans MIT zurück, wo Forrester über einem Versprechen gegenüber dem Club of Rome brütet: Er soll die Verträglichkeit der exponentiellen Zivilisationsentwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Endlichkeit der planetarischen Ressourcen wissenschaftlich hinterfragen. Dafür möchte er zum ersten Mal in der Forschungsgeschichte nichts Geringeres zum Einsatz bringen als ein elektronisches Simulationsmodell der modernen Weltgesellschaft und ihrer Fortentwicklung im natürlichen Bett aus Ökosystemen und mineralischen Rohstoffen! Im Nachhinein erscheint dieses Projekt ziemlich größenwahnsinnig, aber die Technologieeuphorie der 1960er-Jahre kannte das Wort »unmöglich« nicht. Einmal zur Reise ins Unbekannte aufgebrochen, würde man auf alle Fälle faszinierendes Neuland entdecken – wie schon Kolumbus mithilfe des größten Navigationsfehlers des 2. Jahrtausends.

Und genau so kommt es: Unter Dennis Meadows’ Leitung wird in Massachusetts ein Weltpuppentheater erschaffen, wo elektronische Marionetten nach verschiedenen Melodien (»Szenarien«) Gruppentänze in die ferne Zukunft aufführen. Die Studien mit dem einzigartigen Spielzeug produzieren haufenweise interessante Ergebnisse. Bemerkenswert ist jedoch, dass die meisten Tänze, nach ekstatischen Phasen um die Wende zum 3. Jahrtausend, zwischen 2010 und 2050 ins Stocken geraten und in einigen Szenarien ganz kollabieren. In anderen Worten: Das Wachstum der globalen Industriegesellschaft schlägt aufgrund der Erschöpfung der Rohstoffquellen und der Umweltzerstörung in einen Schrumpfungsprozess um – zumindest im Computer.

Diese Ergebnisse trafen die wachstumsselige Weltöffentlichkeit der frühen 1970er-Jahre wie eine Gigatonnen-TNT-Bombe und verursachten einen ungeheuren medialen Trichter. Das Meadows-Team hatte gewissermaßen eine neue, bedrohliche Welt im Cyberspace entdeckt, aber die Expeditionsberichte waren wie damals bei Kolumbus gewagte Verallgemeinerungen von überaus bruchstückhafter, anekdotischer Information. Beim »Weitererzählen« der Story von den Grenzen des Wachstums im zufallsgetriebenen gesellschaftlichen Diskurs kam es dann – genau wie im historischen Vergleichsfall – zu zahlreichen Fehl- und Überinterpretationen. Interessanterweise sagte Dennis Meadows in einem aktuellen Interview, dass die öffentliche Debatte über seine Studie weitgehend ohne seine Beteiligung stattgefunden habe. »Denn die Leute wollten nicht meine Meinung wissen, sie hatten ihre eigene.« (Krohn 2010)

Im Nachhinein ist man meistens – aber nicht immer – klüger: Die MIT-Kristallkugel, welche unablässig Zahlen, Kurven und Tortendiagramme über mögliche Zukünfte ausspuckte, faszinierte jedermann. Gleichzeitig war das Modell aber sicherlich Lichtjahre vom eigenen Anspruch entfernt, die komplexe Mensch-Erde-Dynamik über hundert Jahre und mehr adäquat abzubilden. Und eine zentrale Annahme bei der Entwicklung der verschiedenen Szenarien, die mittelfristige Erschöpfung der damals wichtigsten Rohstoffquellen, erwies sich in ihrer simplen Form als falsch. Der menschliche Erfindungsreichtum beim Aufspüren wertvoller Ressourcen wird ja eigentlich immer unterschätzt. Dennoch ist die Roh- und Grundstoffproblematik selbst mit den kreativsten wissenschaftlichen und technologischen Ansätzen nicht für immer aus einer endlichen Welt zu schaffen. Ich werde später darauf zurückkommen und zeigen, dass die entsprechenden Herausforderungen im 21. Jahrhundert teilweise anderen Charakter haben als im 20. Jahrhundert noch vermutet, dass sie aber möglicherweise vielgestaltiger und verwickelter sind, als sich selbst die MIT-Eierköpfe jemals vorstellen konnten.

Im Rahmen seines Vortrags am Potsdam-Institut konnten wir in kritischer Offenheit mit Meadows über die vermuteten und tatsächlichen Schwachstellen der legendären Simulation von 1972 und ihrer diversen Nachfolger (1992 und 2004) diskutieren. Er wies wiederholt darauf hin, dass der Zeitraum, für den massive Zusammenbruchssymptome regionaler oder auch globaler Zivilisationsdynamiken vorhergesagt wurden, mit dem Jahr 2010 gerade erst begonnen habe – wir könnten ja längst schon auf einer schiefen Nachhaltigkeitsebene in Richtung tiefer Abgründe jenseits unseres beschränkten Horizonts rutschen. Am meisten beeindruckte mich allerdings eine damit zusammenhängende Behauptung von Meadows: Zivilisatorische Systeme neigten dazu, auf krisenhafte Erscheinungen mit der Verstärkung genau jener Strategien und Praktiken zu reagieren, welche die Krise überhaupt hervorgebracht haben! Wenn etwas schiefzulaufen droht, ist die Systemantwort in der Regel von der – einleuchtenden – Voreinstellung geprägt, dass man sich nicht etwa auf dem falschen Entwicklungspfad befinde, sondern dass man den richtigen Weg nicht entschlossen genug verfolgt habe. Dies führt in vielen Fällen zur fatalen Selbstverstärkung des Missmanagements: »If you are in a deep hole, stop digging!«, wie die Amerikaner solche Situationen treffend kommentieren. Ich komme auf diese ebenso einfache wie bedeutsame Einsicht weiter unten mehrfach zurück.

3. Der beschränkte Planet

Dass sich das historische Projekt »Globale Hochzivilisation« gegenwärtig immer tiefer in eine gefährliche Sackgasse hineinmanövriert, hat mit den galoppierenden Veränderungen der Umweltbedingungen zu tun, die der Mensch selbst zu verantworten hat – nicht so sehr mit der Endlichkeit der natürlichen Vorräte. Wer in einer Quecksilbermine arbeitet, läuft Gefahr, nach wenigen Jahren durch Vergiftung zugrunde zu gehen, lange bevor er möglicherweise durch die Erschöpfung der Erzvorkommen seinen Job verlöre und sich aus Verzweiflung darüber erschießen oder gar Hungers sterben würde. Oder anders gesagt: Gerade wenn der Brennstoffnachschub gesichert ist, kann die Betriebstemperatur im Maschinenraum eines schlecht konstruierten Schiffes unerträglich hoch und die Lage schließlich explosiv werden.

Nun, die Betriebstemperatur unseres Planeten steigt tatsächlich, und zwar aufgrund der ungeheuren Mengen an fossilen Energieträgern (vornehmlich Erdöl, Erdgas, Braun- und Steinkohle), welche die Industriegesellschaft seit Mitte des 18. Jahrhunderts verfeuert. Aktuell dürften allein aufgrund von energiewirtschaftlichen Aktivitäten weltweit circa 10 Milliarden Tonnen reiner Kohlenstoff pro Jahr in die Atmosphäre gelangen (Le Quéré u. a. 2015) – überwiegend chemisch gebunden in Treibhausgasen wie Kohlendioxid (CO2), Methan (CH4) und Lachgas (N2O). Das ist »jede Menge Kohle« – ich möchte darauf verzichten, den Lesern mit einem der beliebten volksdidaktischen Vergleiche vom Typus »Als Briketts aneinandergereiht würde diese Menge einer Riesenschlange von der Erde bis zum Saturn entsprechen« auf die Nerven zu gehen.

Leider haben Gase wie CO2 eine lange »Halbwertszeit« in der Lufthülle unseres Planeten: Sie werden durch natürliche Prozesse teilweise erst nach Hunderten Jahren wieder entsorgt. Bei ständigem Nachschub aus industriellen Quellen reichern sich diese Substanzen deshalb rapide in der Atmosphäre an und sorgen für eine immer stärkere Rückstreuung der vom Erdboden ins Weltall hinausgesandten Infrarotstrahlung. Resultat: Der Energiegehalt der Lufthülle wächst unaufhörlich, die globale Mitteltemperatur steigt. Es geht der Erde wie einem Menschen, dem man immer mehr wärmeisolierende Kleidungsschichten aufzwingt, bis er an seiner eigenen Hitze zu leiden beginnt. Die genaue Erläuterung der Ursachen, Folgen und Gestaltungsmöglichkeiten des – also der zivilisatorischen Störung des Klimasystems durch einen künstlichen Treibhauseffekt – wird der leitende Anspruch dieses Buches sein.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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