Semper Fidelis - Sandra Eckervogt - E-Book

Semper Fidelis E-Book

Sandra Eckervogt

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Beschreibung

Jamie Lee erhält ein überraschendes Angebot: Sie soll als Agentin für eine neue Einheit des MI6 ausgebildet werden. Ihr Codename lautet ab jetzt: Vanity Phoenix. Auf Hunter Island findet die dreizehnwöchige Ausbildung statt. Die sich als Horrorszenario entpuppt! Jamie Lee verliebt sich ausgerechnet in den Ausbildungsleiter Tom Fear. Und diese verbotenen Gefühle bringen das Monster, das in ihr tobt, zum Vorschein. Ständiges Nasenbluten und gesundheitliche Aussetzer, bringen sie immer öfter in brenzlige Situationen. Tom Fear hat sie deshalb auf dem Kieker und lässt keine Gelegenheit aus, Jamie Lee zu demütigen. Nach der bestandenen Abschlussprüfung fliegt Jamie Lee zu der neuen Einsatzzentrale, die sich in einem alten Schloss in Irland befindet. Als sie plötzlich vor ihrem neuen Vorgesetzten steht, traut sie ihren Augen nicht! Wie lang kann sie ihr ungezähmtes Monster noch verstecken? Kann sie die Liebe, die sie für Tom Fear empfindet, unterdrücken? Wie wird ihr Vater reagieren, wenn er erfährt, dass Jamie Lee eine Agentin ist? Und warum hat sie Visionen aus dem 19. Jahrhundert, seitdem sie auf dem Schloss ist?   Die Antworten auf all die Fragen erfahrt ihr im dritten Teil der Abenteuerreihe rund um Jamie Lee!   Bisher erschienen: - Gemma Civitas, Band 1 - Panacea, Band 2 - Semper Fidelis, Band 3 - Thanatos Ker, Band 4 - Tara 1818, Band 5 - Verlorene Engel, Band 6

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Sandra Eckervogt

Semper Fidelis

Das dritte Abenteuer

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Semper Fidelis

Semper Fidelis

 

Codename: Vanity Phoenix

 

 

Das dritte Abenteuer von Jamie Lee

 

 

Sandra Eckervogt

 

 

 

 

Seit ungefähr 1883 lautet das Motto der United States Marine Corps:

 

„Semper Fidelis“

(immer treu)

 

Umschlaggestaltung: Vivian TAN Ai Hua

 

 

Das Werk ist einschließlich aller seiner Teile geschützt. Jede Verwertung und Vervielfältigung des Werkes ist ohne Zustimmung des Autors/Verlages unzulässig und strafbar. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks und der Übersetzung, sind vorbehalten! Ohne ausdrückliche schriftliche Erlaubnis des Autors/Verlages darf das Werk, auch nicht Teile daraus, weder reproduziert, übertragen noch kopiert werden, wie zum Beispiel manuell oder mithilfe elektronischer und mechanischer Systeme inklusive Fotokopien, Bandaufzeichnungen und Datenspeicherung. Zuwiderhandlung verpflichtet zu Schadenersatz.

Alle im Buch enthaltenen Angaben, Ergebnisse usw. wurden vom Autor nach bestem Wissen erstellt.

© Sandra Eckervogt 2010/2016

Dieses Buch widme ich meiner durchgeknallten & lieben Kollegin Ina aus Hamburg. So schnell, wie sie die Abenteuer verschlingt, kann ich gar nicht schreiben!!! Vielen Dank, Ina, Du motivierst mich nicht aufzugeben!

 

Und in Gedenken an den amerikanischen Schauspieler

Paul Walker. Er kam am 30. November 2013 in Kalifornien bei einem tragischen Autounfall ums Leben.

Du hast mich in all meinen Büchern als Tom Fear begleitet.

Ich werde Dich vermissen…

 

Sandra

 

Prolog

 

„Vor wenigen Minuten erreichte uns eine erschreckende Nachricht“, begann die Nachrichtensprecherin in, News ofthe North, dem TV Sender Nummer Eins in Kanada. Ihr Gesichtsausdruck war merklich geschockt. Die Frau hielt einige Sekunden inne und räusperte sich. Ihre blauen Augen schimmerten feucht. „Entschuldigen Sie bitte.“ Eine weitere Pause folgte. „Bei einem Flugzeugabsturz über Alaska, kamen der angehende Bürgermeister von Toronto, Sebastian Mauvais, sowie seine erst vor Kurzem gewonnene Freundin, das Fotomodel Jamie Lee Carter, ums Leben. Mit an Bord war ebenfalls der jüngere Bruder Jean Pierre Mauvais, der Eishockey- Nationalspieler. Aus bis jetzt noch ungeklärter Ursache war der Privatjet von Mauvais vom Radar verschwunden. Experten vermuten zu stark vereiste Tragflächen, die zu diesem tragischen Unglück führten.“ Die Nachrichtensprecherin kämpfte erneut gegen die aufsteigenden Tränen an.

„Ein ganzes Land trauert …“

 

Jamie Lee saß bei Nelly Neat im Büro und sah sich mit ihr die Nachrichten an. Und Jamie Lee trauerte nicht. Sie hatte Sebastian zwar geliebt und Jean Pierre hatte sie wirklich gemocht. Er hatte sich für sie geopfert. Doch wie Parker ihr versichert hatte, würde jeder Schmerz irgendwann vergehen. Und man lernte mit diesem Verlust zu leben, ansonsten war man selber verloren. Irgendwie schmerzte der Tod von Sebastian gar nicht so sehr, wie sie es erwartet hatte. Vielleicht lag es daran, dass er sich sehr schnell als Bösewicht entpuppt hatte?

„Was für eine Organisation ist eigentlich WICK.ED, der Sebastian angehört hat?“, wollte Jamie Lee wissen.

„Genau wissen wir das, ehrlich gesagt, nicht. Nur, dass sehr mächtige und sehr viele Personen auf der Welt dort ihre Hände im Spiel haben. Die Organisation ist komplexer, als wir denken.“ Neat legte eine kurze Pause ein und sah Jamie Lee intensiv an. „Haben sie dir in dem Labor etwas angetan? Du weißt, du kannst mir alles erzählen, Jamie Lee.“

„Nein. Es ist alles in Ordnung“, log sie. „Ich war lediglich in einer Zelle eingesperrt. Sebastian wollte mich dort so lang gefangen halten, bis er Parker getötet hatte. Aber wissen Sie inzwischen, was für ein Mittel Jean Pierre erhalten hat?“

Neat verneinte die Frage mit einem Kopfschütteln und seufzte. „Nein, wir tappen völlig im Dunkeln. Die Proben waren alle verschwunden, als Parker und Sin mit Doktor Prophen die Krankenstation erreicht hatten. Wir wissen also nicht, was für ein Heilmittel es ist. Hat Jean Pierre dir irgendetwas darüber gesagt?“

Diesmal verneinte Jamie Lee durch ein Kopfschütteln. „Nein, nichts.“

„Tja, ich würde mal sagen: Auf ein Neues.“

Jamie Lee holte wehmütig Luft, sah Neat aus großen Augen an und wechselte das Thema. „Wann ist meine Beerdigung?“

„Morgen. Ich würde dir raten nicht hinzugehen.“

Jamie Lee schmollte. „Ach,…hat doch was, zur eigenen Beerdigung. Ich bin viel zu neugierig, wer alles kommen wird.“

„Nicht Viele, die Trauerfeier findet im kleinen, privaten Kreis statt. Außerdem sind es nur Statisten“, versicherte Neat ihr.

„Ach? Dann gibt es auch keinen Butterkuchen und Kaffee als Leichenschmaus?“ Sie zog beleidigt eine Braue hoch.

„Nein, wir müssen Kosten sparen. Die Statisten wollen auch ihre Gage bekommen“, scherzte Nelly trocken und stand auf. „Aber da du nun gestorben bist, müssen wir dich neu erfinden.“

„Und? In welches Internat darf ich jetzt für ein paar Wochen?“, fragte sie gelangweilt.

„In keins.“ Neat blieb vor ihr stehen.

„In keins?“, wiederholte Jamie Lee verwirrt.

Nelly lief weiter durch das Büro und verschränkte die Hände auf ihrem Rücken. „Du wirst in zwei Tagen nach Hunter Island fliegen und dort deine Ausbildung anfangen.“

„Ausbildung? Hunter Island?“, wiederholte sie und war sichtlich verwirrt. „Ich werde auf keinen Fall Ärztin, wie Parker sich das wünscht!“, bockte sie gleich.

Ein Lächeln huschte um die schmalen Lippen und sie sah Jamie Lee strahlend an. „Oh nein, nicht Ärztin, sondern Agentin.“ Sie war auf ihre Reaktion gespannt. „Das war doch dein Wunsch, oder?“

Jamie Lee sprang förmlich vom Sofa und starrte sie entgeistert an. „Wie? Was? Ich meine…Sie wollen mich verarsc…“ Sie hielt inne, als sie gerade das unschöne Wort aussprechen wollte.

„Verarschen? Nein, ich will dich nicht verarschen, Jamie Lee.“

Ihr Puls erhöhte sich und ein ängstliches Lächeln huschte durch ihr wunderschönes Gesicht. „Ist das Ihr Ernst? Ich meine, ich darf Agentin werden? Und Parker? Was wird er dazu sagen? Ihm wird das sicherlich nicht gefallen.“

„Ihm wird das ganz und gar nicht gefallen, aber nun? Ich finde, du bist eine hervorragende junge, wunderschöne Frau und genau das benötigen wir!“ Sie machte eine kurze Pause und blieb direkt vor ihr stehen. „Die Kriminellen werden immer jünger. Drogen, Sex, Waffen, Größenwahnsinn. Parker wäre auf der Party von Zwanzigjährigen fehl am Platz, aber nicht du. Wir haben eine neue Abteilung im MI6, und ich möchte, nein, ich wünsche mir, dass du ihr beitrittst, Jamie. Was meinst du?“ Neat sah sie eindringlich an.

„Oh Mann, ich bin, ehrlich gesagt, völlig überrascht und fühle mich geschmeichelt. Ich also, hm, mal überlegen? Immer schicke Kleidung, schnelle Autos, Luxus, heiße Kerle, um die Welt reisen und böse Buben in die Hölle schicken? Ob ich dazu Lust hätte?“ Sie tat so, als müsste sie überlegen, und lachte im nächsten Moment voller Freude los. Sie konnte nicht anders und fiel Neat um den Hals. „Aber klar, ich bin dabei! Was ist mein erster Auftrag?“

Nelly war sichtlich berührt von ihrer Umarmung und schob sie sachte von sich. „Nun mal langsam mit den jungen Pferden, Jamie Lee…Ach ja, den Namen gibt es nicht mehr. Du kannst dir einen Codenamen aussuchen.“

Jamie fuchtelte mit den Händen umher und stieß einen spitzen Freundschrei aus. „Entschuldigen Sie bitte,…ich freue mich so sehr. Und ich darf mir wirklich einen neuen Namen aussuchen?“

„Ja, darfst du. Und nun komm, ich weihe dich in deine neuen Aufgaben ein.“

 

 

Semper Fidelis

 

1. Kapitel

 

Der Himmel war mit dunklen Wolken bezogen, es regnete. Passend, es war immerhin ihre erste eigene Beerdigung, und wie Neat es ihr schon gestern versichert hatte, waren kaum Leute da. Eigentlich keine, nun keine, die sie persönlich kannte. Es waren Statisten, die am Grab standen, in ein weißes Stofftaschentuch schnieften und so taten, als würden sie eine gewisse Jamie Lee Carter vermissen.

Wenn sie darüber nachdachte, dass sie vor zwei Tagen noch blutend und mit starken Krämpfen im Bad der MI6- Wohnung gelegen und geglaubt hatte, dem Tod wirklich ins Auge zu sehen, fühlte sie sich nach dem gestrigen Treffen mit Neat besser denn je. Obwohl es immer noch ein mulmiges Gefühl in ihr hervorrief, warum sie diese Schmerzen hatte. Es musste mit dem Mittel zu tun haben, das man ihr in Alaska gespritzt hatte. Sie hatte zwar genau wie Jean Pierre Nasenbluten gehabt, aber irgendwie schien sie dieses Teufelszeug wesentlich besser zu vertragen. Hoffte sie jedenfalls. Sie schob die Gedanken beiseite, kam Zeit, kam Rat. Zu ihrer Erleichterung schmerzte der Verlust über Sebastian nicht so sehr, wie sie es eigentlich erwartet hatte. Und immerhin hatte sie Face mit ihren bloßen Händen den Kehlkopf geknackt. Brr…sie schüttelte sich bei dem Gedanken, aber er hatte es nicht anders verdient. Böse Jungs mussten halt sterben.

Jamie Lee stand in sicherer Entfernung unter einem großen, schwarzen Schirm und beobachtete die Beisetzung. Es war schon ein komisches Gefühl. Doch der Tod bedeutete ja nicht immer, dass man gehen musste. Im TAROT stand die Karte des Todes für einen Neubeginn. Etwas Altes wurde endlich begraben und man hatte die Chance auf einen Neuanfang. Und seit gestern hatte ihr Leben endlich einen Sinn. Ihr Berufswunsch würde sich erfüllen. Dreizehn Wochen harte Ausbildung bei der MI6- Spezialeinheit lagen vor ihr. Zur Sicherheit hatte sie sich die DVD „Die Akte Jane“ mit Demi Moore angesehen, aber ihre Haare würde sie sich nicht abrasieren, wie die Schauspielerin es in dem Film getan hatte.

Jemand reichte ihr von der Seite ein Taschentuch. Jamie Lee nahm es, ohne hinzusehen, schniefte und schreckte im nächsten Moment zusammen.

„Du heulst wegen dir?“ Seine strahlendblauen Augen wirkten unecht in dieser dunklen, traurigen Gegend.

„Hey, ich bin gestorben, da kann ich doch ein paar Tränen für mich vergießen, oder etwa nicht?“ Sie knüllte das Tuch zusammen. „Was machst du denn hier? Arbeitslos?“, teilte sie aus.

Parker schenkte ihr sein breites, weißes Lachen. Man konnte noch immer ein paar Schrammen auf seiner Wange erkennen. „Ich verpasse doch nicht die erste Beerdigung meiner Tochter.“ Seine Stimme klang hart und hatte so einen strafenden Vater Unterton.

„Wie viele muss ich denn noch überleben?“ Sie zog eine Braue hoch und blickte zu ihrem Grab. Die Personen blieben stehen und warfen eine Rose in das Erdloch.

„Wenn du nicht artig zurück zur Schule gehst, endlich deinen Abschluss machst und ein ordentliches Leben anstrebst, war das dein einziger unechter Tod.“ Er warf ihr einen strengen Blick zu.

„Keine Panik, ich werde ein Internat finden und artig meine Schule zu Ende bringen, okay?“, log sie und ihr Herz schlug dabei einen Takt schwerer. Sie fand es nicht gut, ihren Vater anschwindeln zu müssen.

Er grinste sie schief an. „Hm? Warum glaube ich dir nur nicht?“

Der Pastor nahm die Schaufel und schippte den ersten Spaten Sand in das Loch. „Oh, schau mal, jetzt geht es los!“, rief sie aufgebracht.

Die anderen Personen traten der Reihe nach, nach vorne und ließen ebenfalls Sand auf den Sarg fallen.

„Kann es sein, dass du nicht mehr alle Tassen im Schrank hast?“, brach Parker die Stille, als er sah, mit welchem Spaß seine Tochter ihre eigene Beerdigung verfolgte.

Jamie antwortete nicht, sondern drückte ihm ihren Schirm in die Hand. „Hier, halt mal!“

Nach einigen Sekunden kramte sie eine kleine Thermoskanne hervor und eine Tüte, in der sich Butterkuchen befand. „Möchtest du auch?“

Er starrte entsetzt zu ihr. „Ich fasse es ja nicht.“

Sie biss vergnügt in das Stück Kuchen, hatte Krümel am Mund und nuschelte: „Neat haht geschagt, schie müschen Kosten spharen, und dah dachte ich mir,…eine Beerdigung ohne Buhhtterkuchen ist irgendwie keine…“

Parker schnaufte aufgebracht, entriss seiner Tochter die Thermoskanne und drückte ihr den Schirm in die Hand. „Komm jetzt mit, wir gehen einen ordentlichen Kaffee trinken, aber nicht hier!“ Er reichte ihr die Kanne zurück.

Jamie steckte sie in die Tasche, doch die Tüte mit dem Butterkuchen fiel ihr aus der Hand und blieb auf dem Friedhofsboden liegen. Die schweren Regentropfen hatten das dünne Papier schnell aufgeweicht und der Butterkuchen war Geschichte.

Genau wie sie.

Der Pastor gab jedem der Trauergäste seine Hand, verkündete sein aufrichtiges Beileid und dann war Jamie Lee Carter, Jamie Lee Manson, geborene Shors, Tochter von John Parker und Anne Shors, Geschichte.

Ihr bisheriges Leben würde wie der Butterkuchen verrotten.

 

„Zwei Kaffee, bitte“, bestellte Parker und lehnte sich auf der Sitzbank zurück. Er betrachtete seine Tochter eingehend. Irgendetwas stimmte mit dem Mädel nicht. Seit einem Jahr war er stolzer Vater, und so langsam wusste er, wie ein Mädchen tickte. Wie sein Mädchen tickte, und das freche Ding vor ihm tickte eindeutig nicht richtig.

„Und? Was willst du nach deinem Tod so anstellen?“, fragte er sie direkt.

„Ich werde meine Schule endlich beenden, habe ich dir doch schon mehrmals gesagt.“

„Ärztin?“ Er zog eine Braue hoch.

„Nö.“

„Jamie!“, zischte er und schon wieder spürte er diese Wut in sich aufkommen.

„Was?“ Sie zuckte fragend mit den Schultern.

Parker strich sich über die Nase, schüttelte den Kopf und seine Augen funkelten streng. „Ich warne dich, was hast du vor? Du hast mich an dem Abend in der MI6-Wohnung schon verarscht, also? Was planst du?“

Sie beugte sich ihm auf dem Tisch entgegen und schenkte ihm ein gefährliches Grinsen. „Ich darf laut Neat erst ein paar Wochen ausspannen und dann werde ich in London eine Uni besuchen, das Fach ist medizinische Forschung. Ich kämpfe gegen den Krebs. Zufrieden? Das plane ich.“

Die Kellnerin servierte den Kaffee und zwinkerte Parker verführerisch zu, der darauf zurücklächelte.

Jamie haute mit der flachen Hand auf den Tisch, und tat erbost. „Na toll! Du verlangst von mir, ich soll Ärztin werden, und du baggerst jede Frau an, die auf dem Planeten Erde lebt!“

Er tat überrascht und zeigte mit dem Finger auf sich selbst. „Ich? Und überhaupt? Was geht es dich an? Ich bin dein Vater und darf das!“

„Genau, ich werde Frauenärztin und entferne allen Frauen auf der Welt den Uterus!“, giftete sie.

„Nun werde mal nicht ungerecht!“, hielt er dagegen.

„Lass mich einfach mein Ding machen, okay?“ Ihre Stimme klang plötzlich traurig.

Parker ergriff ihre Hand und blickte sie besorgt an. „Ich habe nur das dumme Gefühl, dass dein Ding nicht mein Ding sein wird. Du planst etwas, und traust dich nicht, es mir zu sagen, oder?“

Jamie Lee warf einen Blick zur großen Wanduhr. „Tut mir leid, der Leichenschmaus ist vorbei.“ Sie wollte abrupt aufstehen, doch sie spürte seine schlanken Finger um ihr Handgelenk und blickte zu ihm.

„Bitte, Jamie…So sehr wie dich habe ich noch nie einen Menschen geliebt. Du bist alles, was ich habe, aber du musst lernen, mir zu vertrauen. Ich bin als Agent vielleicht der Beste, doch als Vater habe ich noch viel zu lernen. Gib mir die Chance dazu.“

Sein gefühlvoller Blick tat ihr weh, doch sie richtete sich voller Stolz auf und löste sich aus seinem Griff.

„Und ich bin das erste Mal eine Tochter, die einen richtigen Vater hat, der jeden Tag am Limit lebt. Eiskalt Menschen erschießt und mir Vorschriften machen möchte, wie ich mein Leben zu führen habe. Wir müssen beide wohl noch lernen, damit umzugehen. Denn das Wort Familie ist für uns beide ein Fremdwort. Ich liebe dich und rufe dich an.“ Jamie Lee hob die Hand und war verschwunden.

Es tat weh, dass sie einfach ging. Er wünschte sich so sehr, ein guter Vater zu sein, doch es war schlicht zu viel Zeit zwischen den beiden vergangen. Er hatte nie die Erfahrung gemacht, genauso wenig wie sie. Eigentlich hatten beide dasselbe Schicksal: Er hatte die Kindheit seiner Tochter nicht miterlebt.

Allein der Gedanke an die letzten Wochen, die die beiden turbulent in Kanada erlebt hatten, dann den krönenden Abschluss in Alaska, wo er doch tatsächlich bewusstlos geworden und somit seine Tochter der tödlichen Gefahr ausgesetzt war, verursachte Herzkneifen. Er war nicht in der Lage, ihr Leben zu schützen.

Parker nippte an seinem Kaffee und plötzlich fühlte er sich, als hätte er seine Tochter heute wirklich zu Grabe getragen. Irgendetwas hatte sie vor und eins hatte er in dieser kurzen Zeit gelernt, sie war wie er und das hieß nichts Gutes …

 

***

 

Jamie öffnete ihre Wohnungstür und lehnte sich an sie. Ihr Blick huschte durch die Zimmer. Sie musste das hier alles aufgeben. Nichts, rein gar nichts, durfte mehr auf Jamie Lee Manson oder Jamie Lee Carter zurückzuführen sein. Aber wenn sie ehrlich war, hatte sie in den letzten Jahren kein wahres Zuhause mehr gehabt. Die schrecklichen Internate zählten definitiv nicht dazu. Die schönste Zeit, in der sie sich wirklich wohlgefühlte hatte, waren die Jahre, die sie bei ihrer Mutter verbringen durfte. Aber das gab es alles nicht mehr. Ihr Leben hatte sich komplett verändert. Ihr fiel plötzlich Jason Doc ein, er hatte sicherlich einen Herzinfarkt erlitten, als er die Nachricht von ihrem Tod erfahren hatte. Er war in den letzten zwei Jahren ihr wirklich wahrer Freund gewesen und sie hatte schon eine Idee, wie sie ihm mitteilen konnte, dass sie noch lebte. Ihm vertraute sie.

Am nächsten Tag ging sie in einen Computerladen und kaufte eins der neusten Playstation- Spiele. Sie verpackte es und schickte es an seine Adresse. Anbei einen Zettel.

 

„Irgendwann benötige ich bestimmt mal wieder Taschentücher von dir! Viel Spaß, und ich hoffe, du hast das Spiel noch nicht! Keine Angst, mir geht es gut, die schlechte Nachricht im TV war nur Show.

P.S. Ach ja, er regt sich immer noch auf, dass du seine Plasy hast.“

 

2. Kapitel

 

„Wie?“, fragte Neat.

„Vanity Phoenix“, wiederholte sie strahlend.

„Den Namen hast du dir ausgesucht?“ Sie wirkte im ersten Moment etwas überrascht.

„Ja. Vanity brauche ich ja nicht zu erklären. Und Phoenix, wie der Vogel aus der griechischen Mythologie, der aus seiner eigenen Asche auferstanden ist. Haben Sie denn nicht Harry Potter und die Kammer des Schreckens gelesen? Da kommt auch ein Phoenix drin vor.“

Neat starrte sie einige Sekundenlang an, dann lachte sie. „Einverstanden. Vanity Phoenix hört sich sehr gut an und es passt zu dir. Obwohl ich den Teil von Harry Potter noch nicht gelesen habe.“

Ihr fiel ein Stein vom Herzen. „Schön. Und? Wann geht es los?“

Neat legte ihre Hand auf Jamies Arm. „Jetzt, und ich muss mich leider von dir verabschieden. Deine Betreuung übernimmt die andere Abteilung.“ Ein Hauch von Traurigkeit schwang in ihrer Stimme mit.

„Was? Sie sind nicht mein Boss? Wer wird mir denn dann die Hosen strammziehen?“ Jamie Lee war sichtlich enttäuscht.

„Du bist in den besten Händen, vertrau mir. Außerdem heißt es nicht, nur weil ich nicht dein direkter Boss bin, dass ich dich nicht im Auge behalte. Und Parker muss auch kontrolliert werden.“ Sie begleitete Jamie Lee zur Tür. „Ich wünsche dir alles, alles Gute, und ich weiß, du wirst unsere beste Agentin. Vanity Phoenix.“

 

Hunter Island – eine Woche später

 

Vanity warf sich auf den Boden, hielt die Waffe hoch und drückte dreimal in Folge ab. Der Feind auf der digitalen Leinwand wurde soeben völlig zerfetzt. Sie sprang auf, rannte geduckt über den Flur, die Waffe im Anschlag, und wieder tauchte ein Feind auf. Schüsse fielen, und auch diese digitale Person war Geschichte. Sie versteckte sich hinter dem Schrank, lugte kurz um die Ecke, sah, dass der Gang frei war, und flitzte los. Wie aus dem Nichts stürmte eine Person von links in ihren Weg, doch auch dieses Hindernis war in Sekunden erledigt. Bevor der Feind zu sehen war, hatte sie ihn erschossen.

„Wie macht sie das nur?“, fragte Tasha und kaute auf ihrem Kaugummi.

Bonny zuckte mit den Schultern und starrte entgeistert auf den Bildschirm. „Boar, die Braut ist echt krass!“

Das Licht ging an und Vanity zog die schwarze Maske von ihrem Gesicht. Sie sicherte ihre Waffe, steckte sie in das Halfter zurück und wartete auf die Lautsprecherstimme.

„Sehr gut, Phoenix, Sie können gehen“, erklang die erotische Männerstimme über die Lautsprecher.

Seit einer Woche hörte sie diese verdammt attraktive Männerstimme über die Boxen, doch es gab bis jetzt weder ein Gesicht noch einen Namen dazu.

Diese Stimme hatte Vanity in den ersten Tagen verflucht, sie als eingebildet beschimpft, als Mannsweib beleidigt, sie fertiggemacht, wo es nur ging, und heute, welch ein Wunder, doch glatt gelobt.

Vanity lockerte ihr blondes, langes Haar und starrte direkt in die Kamera vor ihr. „Hey, das fiel Ihnen sicherlich schwer, oder?“

„Wie bitte?“, erklang die sagenhaft schöne Stimme.

„Nun ja, wie kommt es, dass Sie mich loben?“, provozierte Vanity die Person hinter dem Mikro.

„Ich verbiete mir diesen Ton, Phoenix!“ Die Stimme war plötzlich bitterernst.

Sie verbeugte sich. „Oh, entschuldigt mich bitte Mylord. Ich wollte Euch da oben hinter dem Mikro nicht beleidigen. Ich wünsche Euch einen schönen Tag.“ Sie drehte sich um und im Gehen rutschte ihr leise das Wort „Wichser“ über die Lippen.

„Das habe ich gehört, Phoenix! Zehn Strafrunden auf dem Sportplatz!“ Seine Stimme klang ruhig, sanft und schadenfroh.

Vanity hielt inne. „Bitte?“

„Sofort!!!“

 

„Warum macht sie das?“, fragte Tasha und ließ ihren inzwischen fast trockenen Kaugummi als kleine Blase zerplatzen.

„Weil die Braut einfach krass ist“, bestätigte Bonny. Beide sahen zu, wie Vanity bei strömendem Regen zehn Runden auf dem Sportplatz laufen musste.

 

Der Mann, der hinter dem Mikro stand und per Kamera seit einer Woche alles kontrollierte, tobte innerlich vor Wut. So eine freche, aufmüpfige Göre hatte er in all den Jahren hier auf Hunter Island noch nicht erlebt. Vanity Phoenix war so extrem, dass sie durch ihre provozierende Art den höllischen Kerl in ihm hervorlockte. Und das, obwohl sie gerade erst sieben Tage hier im Ausbildungscamp war. Wie sollte das nur enden? Und sie war die Beste.

 

Tasha warf Vanity ein Handtuch zu. „Oh Mann, du bist echt krank!“

Sie tupfte sich den Regen aus dem Gesicht und war leicht außer Atem. „Danke, Tasha.“

„Was hast du ihm denn um die Ohren gehauen?“, wollte Bonny wissen.

„Dass er…dass er ein Wichser ist.“ Sie grinste schief, und blickte zu den Kameras, die auf dem ganzen Camp verteilt waren. Und sie spürte förmlich die Blicke des Mannes. Wer auch immer er war.

„Oh? Na dann ist er wohl sauer auf dich.“

„Aber du warst echt der Hammer im Übungsraum“, lobte Tasha sie.

Vanity kletterte über die Absperrung. „Danke, Mädels. Jetzt brauche ich erst mal eine Dusche.“

 

Am nächsten Tag waren Theoriestunden angesagt. Vanity arbeitete schnell und aufmerksam mit. Sie hatte innerlich gehofft, endlich den geheimnisvollen Mann kennenzulernen, doch die erotische Stimme bekam noch immer kein Gesicht und keine Gestalt.

An diesem Abend trafen sich die Mädels in der Camp- Kneipe auf dem Stützpunkt. Morgen war der letzte

offiziell freie Tag, den sie hatten. Ab übermorgen begann die harte Ausbildung.

„Weißt du eigentlich, wer dich seit einer Woche fertigmacht?“, wollte Bonny von ihr wissen.

Vanity nahm einen kräftigen Schluck Rotwein und hickste, bevor sie antwortete: „Keine Ahnung. Ich weiß nur, der Typ muss super hässlich aussehen, deswegen versteckt er sich bestimmt, oder er ist schwul.“

Ihre Kameradinnen schwiegen einen Moment, starrten sie an, und prusteten los vor Lachen.

„Schwul?“, gackerte Tasha und kippte sich den neunten Wodka hinunter.

„Wie kommst du auf schwul?“ Bonny leerte ihr Glas ebenfalls und kicherte.

Vanity strich ihr Engelshaar aus dem Gesicht, und legte eine wichtige Miene auf. „Also, erstens: ist er ein Feigling. Denn warum versteckt er sich hinter einem Mikro? Zweitens: ist er neidisch auf uns Frauen, weil wir so gut sind. Das erklärt wiederum die Theorie der Hässlichkeit“, philosophierte Vanity sich einen Schwachsinn zusammen.

„Weil du so gut bist!“ Tasha hob anerkennend die Hand zum militärischen Gruß und rülpste laut.

Die Weiber lachten. Vanity fuhr in ihrer chaotischen Theorie fort. „Danke, ich hab euch auch lieb. Und drittens: mag er mich, und das gefällt ihm nicht.“

„Aber dann kann er auch nicht schwul sein, oder habe ich da gerade etwas nicht mitgekriegt?“, lallte Tasha mit einem großen Fragezeichen im Blick.

„Aber er kann total potthässlich sein!“, warf Bonny ein.

Vanity kratzte sich am Hinterkopf und überlegte selbst, was sie gerade für einen Mist von sich gegeben hatte. „Hm? Stimmt auch irgendwie, dann ist er halt bisexuell und potthässlich?“

Bonny hob ihr Glas. „Auf den schwulen oder bisexuellen Mann hinter dem Mikro, an der Kamera, der dich mag, und uns Frauen hasst! Und potthässlich ist!“

Die Mädels starrten sie einen Moment an, entgeistert wegen der Worte, die gerade wirr aus Bonnys Mund kamen. Dann hoben sie die Gläser und prosteten sich lachend zu.

Der angeblich schwule oder bisexuelle Typ hinter dem Mikro, an der Kamera fand das gar nicht witzig. Denn er hatte jedes einzelne Wort mitbekommen. Schwul? Pottenhässlich? Bisexuell?

„Phoenix weckst du um vier Uhr. Sie soll den Hindernisparcour überwinden“, befahl er seinem Major Fight.

„Aber Sir, die Mädchen haben morgen das letzte Mal frei“, widersprach dieser mit sanfter Stimme.

Seine grünen Augen funkelten böse. „Phoenix nicht.“

Major Fight grüßte militärisch und gab die Anweisungen vom Lieutnant direkt weiter.

Dich werde ich schon brechen, mein Fräulein, dachte der Lieutnant General bei sich und musste augenblicklich schmunzeln.

 

Der Rotwein floss schwer durch ihre Adern und sie wusste jetzt schon im Halbschlaf, dass sie morgen einen schönen Kater haben würde. Aber egal, morgen war ihr letzter freier Tag, und den begann sie halt mit einem Kater. Der Abend mit den Mädels war sehr schön gewesen. Es tat gut. Sie hatte wieder Freundinnen, die genau das gleiche Schicksal teilten. Sie alle wollten Agentinnen werden, und sie alle hatten keine Familie. Nun ja, sie hatte einen Vater, der irgendwie nicht ihr Vater sein durfte, konnte oder wollte?

Vanity kuschelte sich gerade in ihr Kissen, als lautstark die Tür zu ihrem Zimmer aufgerissen wurde, das Licht anging und eine grelle Männerstimme erklang.

„Rekrut Phoenix! Auf der Stelle anziehen und zum Training melden!“

„Was?“ Sie schreckte vom Bett hoch und blickte in ein Paar braune, böse Augen.

Der Mann beugte sich ihr entgegen. „Schönen Gruß vom Schwulen.“ Mehr sagte er nicht und begab sich zur Tür. „In fünf Minuten sind Sie bereit, Phoenix!“

Vanity warf einen Blick zur Uhr, es war vier Uhr. Sie war genau vor dreißig Minuten zu Bett gegangen. Und sie war besoffen. Na super, dieser Bastard…

„Was ist denn los, Vanity?“, brabbelte Bonny verschlafen von ihrem Bett aus.

„Ich muss nur aufs Klo“, schwindelte sie und griff sich ihre Uniform.

„Ach so, grüß schön“, murmelte Bonny ins Kissen.

„Den Kerl bringe ich eigenhändig um, das schwöre ich. Den werde ich nie wieder grüßen“, sagte sie leise zu sich selbst und hatte Schwierigkeiten, geradeaus zu laufen.

Der Wachoffizier wartete auf dem Flur. Er tadelte sie sofort, als er sah, dass ihre Kampfstiefel noch offen waren. „Zecke Phoenix! Wollen Sie etwa vor dem Feind wegen ein paar offener Schnürsenkel in die Knie gehen? Obwohl? Dann könnte dieser Ihnen gleich einen Tritt in den Arsch geben!“

Vanity zog eine Grimasse und bückte sich, dabei taumelte sie stark und kippte gegen die Wand. Ihre Augen sahen mehrere Schnürsenkel und sie fingerte die Kordeln wild durcheinander.

„Hallo? Wird das noch was!“, schrie er auf sie nieder.

Vanity strich provozierend ihr blondes Haar aus dem Gesicht und zog sich an der Wand hoch. „Weiß Ihr Boss eigentlich, dass ich besoffen bin?“

Der Offizier stemmte die Hände in die Hüften und grinste sie breit an. „Deswegen sollst du ja am Training teilnehmen! Und wenn du nicht bald in die Puschen kommst, nimmst du noch an etwas ganz Anderem teil!“

Sie hob die Hand zum militärischen Gruß und eierte neben ihm her.

Die kühle Nachtluft schlug ihr entgegen und sie fröstelte. Mit einem Geländewagen wurde sie zum Trainigsparcour gefahren.

„Los, raus … der Feind ist schon unterwegs!“ Er schubste sie, worauf Vanity zu Boden fiel. Da es in den letzten Tagen oft geregnet hatte, war die Erde voller Matsche und Modder. Und sie jetzt auch.

„Super …“, säuselte sie und lief zum Eingang der Übung.

Der Parcours begann damit, dass sie über Baumstämme laufen musste. Dabei fiel sie zweimal hin, und zu ihrer Matsche kam halt noch mehr Matsche.

Auf dem Übungsplatz trainierte gerade die höhere Klasse und es waren nur Männer, die sie alle überholten. Manche schubsten sie extra zur Seite und brachten sie zu Fall. Nach dem sie zwanzig Minuten besoffen durch die Dunkelheit gelaufen war, erreichte Vanity den Stacheldraht, unter dem sie durchrobben musste. War eh alles egal. Also schmiss sie sich zu Boden und krabbelte unter dem Draht entlang. Dabei wurde sie von schreienden, kampfgeilen Soldaten überholt.

 

Die Stimme hinter dem Mikro stieg aus seinem Wagen, und begab sich zu seinem ersten Offizier, der die Übung beobachtete. „Und? Wie macht sie sich?“

„Sie kackt völlig ab, Sir.“ Er lachte und gab ihm das Fernglas.

Ein triumphierendes Schmunzeln huschte um seine Mundwinkel. Der Lieutnant General nahm das Nachtsichtgerät und suchte sie. „Schön, das soll sie auch.“ Er entdeckte Vanity, wie sie gerade versuchte, über die drei Meter hohe Holzwand zu klettern. Als sie fast oben war, stürzte sie nach unten. Er lachte, und gab dem Offizier das Nachtsichtgerät zurück. „Ich werde sie dann mal am Ziel begrüßen, danke.“ Er hob die Hand zum Gruß, stieg in den Wagen, und fuhr zum Abschluss der Übung. Es wurde Zeit, dass sie ein Gesicht zu der Stimme bekam, die sie seit einer Woche zur Schnecke machte.

 

Vanity plumpste auf der anderen Seite der Holzwand wie ein nasser Sack zu Boden und schmeckte Matsche im Mund. „Bäh … ist ja ekelig.“ Sie spuckte den Dreck aus und versuchte sich mit dem Finger den Rest aus dem Mund zu holen. Außerdem war sie hart auf ihre rechte Rippenseite aufgeschlagen, die dabei ein knackendes Geräusch von sich gegeben hatte. Doch da sie noch betrunken war, war der Schmerz nicht allzu präsent.

Vanity stand wieder auf und stampfte durch den nassen, schlammartigen Boden. Das Ziel war schon in Sicht.

In der Ferne hörte sie, dass geschossen wurde. Vereinzelt erhellte eine Leuchtkugel die Nacht.

„Ich bringe diesen Arsch um! Ich erwürge ihn! Ich werde ihm seine hässliche Visage mit meinen eigenen Nägeln zerkratzen!“, fluchte sie laut vor sich hin und marschierte weiter.

Kurz vor dem Ziel musste sie noch ein Hindernis überwinden, das aus Tauen gefertigt war. Sie hangelte sich in den großen Schlingen nach oben. Als sie oben war, überkam sie schwallartige Übelkeit. Sie musste sich konzentrieren, den leckeren Rotwein bei sich zu behalten. „Ich sollte doch auf Parker hören und Ärztin werden“, brummelte sie und stöhnte, als sie das Gleichgewicht verlor und sich in letzter Sekunde an den Maschen festhalten konnte. „Nein, nein… Ich will Agentin werden, und ich schaffe das. Ich schaffe das, ja, ja.“

Vanity schloss kurz die Augen, holte tief Luft, packte die Taue und zog sich wieder hoch. Geschafft. Sie klopfte sich die Hände an der verschmierten Hose ab, und eierte zur Ziellinie. Sie hatte diese gerade erreicht, als eine Leuchtkugel in unmittelbarer Nähe die Umgebung erhellte und sie eine große Person vor sich stehen sah.

Die Person war komplett maskiert und schwarz gekleidet. Die Arme waren streng nach hinten gelegt.

„Phoenix meldet sich zurück, Sir!“ Sie taumelte und war leicht außer Atem. Und kotzübel war ihr auch.

Der schwarze Mann stand noch immer bedrohlich vor ihr. Die Leuchtkugel verblasste, die Person wirkte fast unsichtbar, wie ein Verbündeter der Nacht. Vanity konnte nur die Schlitze sehen, die seine Augen freigaben. Sie waren wunderschön grün. „Ach, du bist doch noch besoffen“, sagte sie zu sich selbst und musste augenblicklich anfangen zu lachen.

„Phoenix. Sie sind sturzbetrunken!“, erklang die sexy Stimme, die Vanity seit einer Woche hörte. Ihr Lachen erstarb. „Sie?“ Es klang wie ein grimmiges Flüstern.

„Wen meinen Sie, Phoenix?“, tat er unwissend und neigte den Kopf zur Seite.

Vanity stemmte die Hände in die Hüften und baute sich vor ihm auf. „Die Stimme aus dem Mikro! Los, zeigen Sie endlich Ihr Gesicht!“

„Ich verbitte mir Ihren frechen Ton, Phoenix! Ich glaube, Sie haben keine Ahnung, wer vor Ihnen steht!“ Seine Stimme war gefährlich streng, und das fand sie atemberaubend sexy.

Sie wagte sich einen Schritt vor und blickte zu dem Mann auf. Er musste mindestens einen Meter fünfundachtzig groß sein. Vanity tickte mit dem Zeigefinger gegen seine Brust. Ein hässlicher, großer Mann, der dazu sehr muskulös war. „Oh ja, diese Sorte kenne ich nur zu gut! Sie sind ein Feigling! Seit einer Woche machen Sie mich zur Schnecke und zeigen nicht Ihr Gesicht. Feigling!“, schimpfte sie wie ein Rohrspatz.

Er kämpfte mit seiner Beherrschung und stemmte die Hände in seine Hüfte. „Ich glaube, ich habe mich gerade verhört? Könnten Sie das bitte noch einmal wiederholen?“

Vanity grinste ihn aus ihrem schlammverschmierten Gesicht breit an und tänzelte vor ihm umher. „Feigling! Feigling! Feigling!“

Plötzlich schnellte seine Hand hervor und er zog die Maske ab. Ein sehr, sehr böses Gesicht kam im Dunklen zum Vorschein, und es war das schönste Gesicht, das Vanity je gesehen hatte. Sie taumelte einen Schritt zurück. „Oh? Sie sehen gar nicht schwul und hässlich aus“, sagte sie leise und hielt im nächsten Moment den Atem an. „Ich glaube, mir wird schlecht …“

Aus heiterem Himmel packte der Mann sie im Genick und drückte sie brutal zu Boden. „Was haben Sie gerade gesagt, Phoenix?“

Sie klebte mit ihrer rechten Wange im Matsch und schloss die Augen. „Es tut mir leid, Sir“, brachte sie kaum hörbar hervor, denn ihr Magen rebellierte. Der schwere Rotwein schlug seine harten, gefährlichen Wellen in ihrem zarten Magen.

Er drückte fester zu. „Sie können froh sein, dass wir niemanden schlagen dürfen. Glauben Sie mir, Sie wären die erste Person, und es wäre mir ein großes Vergnügen!“ Er ließ sie abrupt los, worauf sie zur Seite umkippte.

„Stehen Sie auf! Stehen Sie auf!“, schrie er auf sie nieder.

Vanity verspürte Schmerzen in ihrer Rippengegend, und der Alkohol tat sein Letzteres dazu, oder war es die unglaubliche Schönheit dieses Mistkerls?

Er riss sie brutal nach oben und ihre Gesichter waren nur Millimeter voneinander entfernt.

Seine Augen waren grün, es war das schönste Grün, das sie je gesehen hatte. Oh Mann, sah der Typ geil aus!

Ihr Gesicht war voller Matsch und ihre großen Kulleraugen hatten das schönste, strahlende Blau, in das er je geblickt hatte. „Nehmen Sie, verdammt noch mal, Haltung an, Phoenix!“, drohte er zischend und ließ sie schlagartig los.

Vanity verlor ihr Gleichgewicht und sackte direkt vor ihm zu Boden. Dann musste sie …

Er blickte völlig geschockt nach unten und sah, wie stinkende, rote Sauce über seine Kampfstiefel troff.

„Sie haben doch wohl nicht etwa?“ Er machte eine kurze Pause, um nicht zu explodieren. Dann rief er außer sich: „Auf meine Stiefel gekotzt!“

Vanity kniete sich hin und fühlte sich nun etwas besser.

„Sie machen das auf der Stelle sauber!“, gierte er außer sich vor Wut.

Vanity sah das Missgeschick und blickte entsetzt zu ihm nach oben. „Oh das … oh das tut mir leid, Sir!“, stammelte sie aufgeregt.

Er beugte sich ihr entgegen und zeigte drohend mit dem Zeigefinger auf sie.

„ICH SAGTE, MACHEN SIE DAS AUF DER STELLE SAUBER!“ Er schrie jedes Wort einzeln.

Vanity, nicht bange, zog ihre Jacke und ihr T-Shirt aus, worauf sie nur im Sport-BH vor ihm kniete und mit dem Shirt die Stiefel säuberte.

Er traute seinen Augen nicht! Was machte sie denn da?

Und dennoch war es schön anzusehen, sie hatte eine wunderbare, zarte, helle Haut, wie eine Puppe. Doch seine Wut nahm Überhand und er zerrte sie hart nach oben. „Wie können Sie es …“ Er verstummte, als er ihren Bauch sah. Sie musste eine starke Rippenprellung oder sogar einen Bruch haben, denn unter ihrer rechten Brust guckte ein Knochen spitz hervor. „Verdammt! Sie sind verletzt!“

Vanity folgte seinem Blick und entdeckte die Stelle.

„Oh … ja, es tut jetzt auch weh.“ Weiter kam sie nicht, denn sie verlor ihr Bewusstsein und sackte in seinen Armen zusammen.

3. Kapitel

 

„Wie geht es ihr?“, erkundigte Tom sich beim Truppenarzt.

„Ich vermute, dass sie eine starke Rippenprellung hat, aber genau kann ich das nicht sagen. Das Röntgengerät ist noch nicht wieder zurück. Ich kann also kein Bild davon machen. Es könnte auch ein Bruch sein.“

„Okay, dann soll sie eine Woche im Spital bleiben.“ Tom hob die Hand zum Gruß und ging in sein Büro. Sein Telefon klingelte. „Lieutnant General Fear.“

„Hallo Tom. Und? Wie macht sich unser Phoenix?“, erklang die Stimme von Nelly Neat am anderen Ende der Leitung.

„Ich würde mal sagen, sie befindet sich in der Mauser“, brachte er ironisch hervor.

Nelly lachte. „So schlimm?“

„So extrem“, verbesserte er ihre Worte.

„Also ist sie genau die Richtige?“, hakte sie nach.

Tom lehnte sich in seinem Stuhl zurück und seufzte schwer. „Ich glaube, sie braucht eine sehr strenge Hand.“

Neat strahlte in den Hörer. „Und genau deswegen habe ich dich ausgewählt.“ Sie machte eine kurze Pause. „Du schaffst das doch?“

Tom stand auf und ging zum Fenster. Er hatte direkten Blick auf das Sportfeld und er traute seinen Augen nicht!

„Tom? Bist du noch da?“, fragte sie in die Muschel, denn sie hatte keine Antwort erhalten.

Vanity joggte mit einer starken Rippenprellung? Sie lag vor fünf Minuten noch im Sani-Bereich?

„Ja, ich schaff das. Es ist alles in Ordnung. Nelly? Ich melde mich bei dir.“ Er legte auf, und unerklärliche Wut tobte in ihm. Warum brachte ihn dieses junge, freche Ding nur so zur Weißglut? Na warte! Er legte den Hörer weg und ging zu seinem Offizier. „In fünf Minuten ist Appell.“

„Aber, das ist zu früh, Sir?“, erwiderte Major Fight.

„Das ist mir völlig egal!“

„Sir, jawohl Sir!“

 

Die Rekruten standen in perfekter Uniform in Reih und Glied. Nur eine Person stand in Joggingsachen am Ende. Der Appell fand zehn Minuten zu früh statt, da wollte Vanity eigentlich schon wieder im Sani-Bereich liegen. Leider hatte der Major sie erwischt, als sie sich gerade zurück ins Gebäude schleichen wollte, und zerrte sie mit zum Platz.

Major Fight trat vor die Gruppe. „Stillgestanden!“

Es war mucksmäuschenstill. Alle Gesichter waren gerade nach vorne gerichtet, und alle bewahrten Haltung.

Vanity war noch leicht außer Atem vom Joggen und den Schmerzen, die ihre gebrochene Rippe hervorrief. Sie wollte dem Mistkerl von heute Nacht beweisen, dass sie kämpfen konnte. Ha, und sie wusste noch immer nicht, wem das hübsche Gesicht gehörte. Er hatte sich ihr nicht vorgestellt. Also, pottenhässlich war er definitiv nicht, das war schon mal so klar wie das Amen in der Kirche.

Dann kam wie aus dem Nichts der böse Engel.

Er blieb vor der Menge stehen und grüßte militärisch. „Guten Morgen!“, schrie er der Truppe entgegen.

„Guten Morgen, Lieutnant General Fear!“, kam es wie aus einem Mund zurück.

Vanity starrte ihn aus entsetzten Augen an und rang nach Luft. Oh nein, oh mein Gott! Es war die ganze Zeit der Lieutnant General gewesen, der sie zur Schnecke gemacht hatte? Und sie hatte ihn verbal angegriffen? Dem obersten, oberen Boss gestern Nacht auf die Schuhe gekotzt? Nun wusste sie, wem das hübsche Gesicht gehörte. Ihr wurde augenblicklich schlecht, und jetzt stand sie hier als Einzige in Sportkleidung mit einer gebrochenen Rippe. Sie ahnte Böses.