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Sie schwammen schon in den Ozeanen, bevor die Dinosaurier existierten, manche Arten bekommen im Laufe ihres Lebens bis zu 30.000 Zähne, und dieser eine berühmte Film hat unsere Sicht auf sie nachhaltig geprägt: Von Haien geht schon immer eine ganz besondere Faszination aus. Autor und Haibiologe Daniel C. Abel kombiniert biologisches, ökologisches, ethnografisches, historisches und zeitgenössisches Wissen und lässt uns in mehr als 100 Kurztexten in die Welt der Haie, Rochen und Seekatzen eintauchen. Von A bis Z hat er zu verschiedensten Themen Interessantes und Wissenswertes zusammengestellt, und es gibt viel zu entdecken: Von den Küsten bis in die Tiefsee lernen wir die unterschiedlichsten Arten und ihre ungewöhnlichen Lebensweisen und Fähigkeiten kennen, wie sie sich tarnen, wie sie springen, jagen und fressen, wie alt sie werden, was sie von anderen Meereslebewesen unterscheidet und ob sie für Menschen wirklich so gefährlich sind, wie es uns Medien und Mythen glauben lassen. Sharkpedia ist eine unterhaltsame Enzyklopädie — denn die erstaunliche Welt der Haie hält auch heute noch jede Menge Geheimnisse für uns bereit. "Es macht süchtig. Hat man einmal angefangen, muss man immer weiterlesen. Und dann will man es natürlich mit anderen Hai-Liebhabern teilen! Das perfekte Geschenk für jeden, der sich für den Ozean, das Meeresleben und natürlich für Haie interessiert." Nick und Caroline Robertson-Brown, Scubaverse
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Seitenzahl: 186
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Titel
Sharkpedia
Die erstaunliche Welt der Haie
Von Daniel C. Abel
Aus dem Englischen von Daniel Beskos
Vorwort
Haie – allein ihre Erwähnung kann ausreichen, um bei ansonsten völlig vernünftigen Menschen extreme Reaktionen auszulösen. Aber warum ist das so? Fällt Ihnen auch nur eine andere Tiergruppe ein, deren Fans ebenso zahlreich und leidenschaftlich sind wie ihre Gegner? Vielleicht Schlangen, könnte man denken, aber solange es im Fernsehen noch keine Snake Week gibt, die so populär ist wie die alljährliche Shark Week, glaube ich nicht daran, dass es ebenso viele Schlangen-Fans wie Hai-Anhänger gibt; wobei natürlich viele Menschen auf beide Tiere leider gleichermaßen negativ reagieren.
Interessanterweise ist es vermutlich ein und dieselbe Sache, die die Menschen in Hai-Liebhaber und Hai-Hasser teilt: Die Annahme, dass Haie riesige, mächtige Raubtiere sind. In Wahrheit trifft das aber nur auf wenige Haiarten zu. Zwar sind alle Haie tatsächlich Raubfische – selbst planktonfressende Arten wie der Riesenhai oder der Walhai –, aber überraschenderweise messen zwei Drittel der ungefähr 541 rezenten Haiarten weniger als einen Meter. Zudem leben mehr als die Hälfte aller Haiarten in der Tiefsee, also im Bereich unter 200 m.
So ist der typische Hai also nicht etwa ein großes, graues, stromlinienförmiges Tier, das an den Küsten oder in den Oberflächengewässern der Meere vorkommt, sondern vielmehr ein kleines, braunes Wesen, das in der Tiefsee lebt – dem größten Ökosystem des Planeten.
Die Menschen lieben (oder hassen, je nachdem) also offenbar die am wenigsten repräsentativen Haie, etwa den Weißen Hai, den Tigerhai oder den Bullenhai, während sie häufiger vorkommende Arten wie Schlinghai, Hornhai oder Kubanischen Dornhai oft gar nicht kennen.
Dieses verzerrte Bild hat zum Teil recht schwerwiegende Folgen. Wir interessieren uns am meisten für das, was wir kennen, und so führt unsere Unkenntnis über die weniger bekannten Haie der Tiefsee, auch wenn sie völlig nachvollziehbar ist, zu weniger Aufmerksamkeit in den Medien, weniger Artenschutz und weniger Forschungsgeldern.
Meinen ersten lebenden Hai, ein echtes Prachtexemplar, sah ich als Kind beim Angeln mit meinen älteren Brüdern in South Carolina. Nördlich von Charleston tauchte eine unverhältnismäßig große Rückenflosse aus den trüben, sedimentreichen Tiefen von Dewees Inlet auf und war der erste Hinweis darauf, dass wir tatsächlich einen Hai am Haken hatten. Wir nannten ihn fälschlicherweise Sandhai (eigentlich heißt er Sandbankhai), damals der in diesen Gewässern am häufigsten anzutreffende Hai. Ich erinnere mich, dass ich eine Mischung aus Angst, Aufregung, Ehrfurcht, Neugierde und Respekt verspürte. Diese Erfahrung als bewegend zu bezeichnen, wäre eine Untertreibung; es war der Beginn einer lebenslangen Faszination und meiner Karriere, in der ich die Natur schätze und respektiere, in der ich über sie lernen und lehren möchte und in der ich mich zuletzt auch für ihre Erhaltung einsetze. Und so begann meine Liebe zu den Haien. Ich vermute, ich teile dieses Gefühl mit den meisten Leserinnen und Lesern dieses Buchs.
Mehr als 50 Jahre später haben Sandbankhaie noch immer einen ganz besonderen Platz in meinem Herzen, und ich verspüre noch immer die gleichen Gefühle wie damals als Kind, wenn ich einen lebenden Hai sehe, vor allem beim Schnorcheln. Wenn es mir gelingt, mit Sharkpedia ein Buch zu schreiben, das die Essenz dieser Gefühle wiedergibt, dazu das Wissen aus der intensiven Forschung von Generationen von Haibiologen (und ein wenig meiner eigenen) zusammenfasst, zudem eine Wertschätzung für den Schutz der Haie im Besonderen und der Natur im Allgemeinen erzeugt, und das Ganze auch noch, ohne Ihre Intelligenz zu beleidigen oder zu akademisch zu werden, dann habe ich mein Ziel erreicht. Wenn dieses Buch Sie dazu motiviert, mehr über Haie (oder die Natur) zu lernen und dazu beizutragen, dass wir die biologische Vielfalt der Haie und der Natur insgesamt erhalten können, würde mich das freuen.
Eine Anmerkung zum Schluss zur Frage, wie ich die hier versammelten Stichworte ausgewählt habe: Nachdem ich zwei Bücher über Haie veröffentlicht habe (Shark Biology and Conservation und The Lives of Sharks), beide zusammen mit dem bekannten Haibiologen R. Dean Grubbs, sowie gemeinsam mit Robert Johnson und Sharon Gilman ein Kapitel über Haie in Tooth and Claw: Top Predators of the World geschrieben habe, dachte ich, ich hätte alles veröffentlicht, was ich über Haie wusste und was mir relevant erschien.
Aber weit gefehlt! Auf meiner anfänglichen Liste für Sharkpedia versammelte ich mehr als 300 Begriffe, von denen ich viele in meinen früheren Werken noch nicht erwähnt hatte. Mir kam schnell die Einsicht, dass es ein aussichtsloses Unterfangen sein würde, die perfekte Mischung aus Biologie, Naturschutz, Geschichte, Überlieferungen, bekannten und unbekannten Arten, naheliegenden Begriffen, zeitgenössischen Referenzen, bedeutenden historischen Persönlichkeiten sowie Kunst- und Literaturbezügen zu finden; es würde mir nicht gelingen, das Hai-Equivalent des Oxford English Dictionary (das Sharkford English Dictionary?) zu schreiben. Übrig blieb nun eine repräsentative Auswahl meiner ursprünglichen Liste, die den Leserinnen und Lesern eher als Ausgangspunkt für ihre eigene Neugier dienen soll und weniger als umfassende Sammlung von Hai-Begriffen. Es beginnt mit Adaption und endet damit, warum Haie wichtig sind – stellt also eine Art Chronologie meiner eigenen Interessenentwicklung als Haibiologe dar: Ich war zunächst beeindruckt von dem, was Haie so cool macht, und setze mich seitdem dafür ein, dass es in den Lebensräumen der Haie auch weiterhin Haie gibt.
Adaption
Die naheezu makellose Form eines Kurzflossen-Makos, die Ingenieure und Designer zum Schwärmen bringt. Die anmutigen, der Schwerkraft trotzenden Kunststücke eines Weißen Hais bei der wahnwitzigen Verfolgung eines Seebären. Die hochspezialisierten, bulligen Kiefer des seltsamen Port-Jackson-Stierkopfhais, die es ihm ermöglichen, hartschalige Beutetiere zu zermalmen. Der ungewöhnlich verlängerte obere Schwanzflossenlappen des Gemeinen Fuchshais, mit dem er Sardinenschwärme zusammentreibt und bewusstlos schlägt. Die Lorenzinischen Ampullen am Kopf des Kleingefleckten Katzenhais (und eigentlich aller Haie), die noch die geringsten elektrischen Signale wahrnehmen und mit denen Haie zu ihrer Beute finden. Dies sind nur einige Beispiele für die vielen evolutionären Anpassungen der Haie, die die Überlebenschancen dieser wundervollen Tiere verbessern und die sie an ihre Nachkommen weitergeben; ein genetisches Erbe, das die Grundlage für ihren Erfolg bildet. Diese Anpassungen gibt es in vielerlei Formen, darunter anatomische, verhaltensbezogene und physiologische.
Es passt sehr gut, dass der erste Eintrag dieses Buchs ebenjener Eigenschaft gewidmet ist, die für die meisten von uns der Inbegriff unserer Faszination für Haie ist und die sie zu ganz außergewöhnlichen Räubern macht: ihre Fähigkeit, sich anzupassen. Haie stellen uns vor die Aufgabe, zunächst herauszufinden, welche Merkmale wirkliche Anpassungen darstellen; dann zu verstehen, welche spezifischen Probleme diese Anpassungen lösen und mit welchen Mechanismen sie das tun – wie diese Anpassungen also konkret funktionieren. Und zuletzt, vielleicht das Wichtigste, sie zu bewundern. Sie werden alle oben genannten Anpassungen in diesem Buch finden, und dazu viele weitere.
Air Jaws
Air Jaws ist eine amerikanische Fernsehserie im Discovery Channel, die sich der majestätischen Luftakrobatik der Weißen Haie widmet. Ich muss zugeben, dass wir ziemlich gestaunt haben, als wir darin zum ersten Mal sahen, wie ein 1.000 kg schwerer Weißer Hai sich in der False Bay in Südafrika mit rasender Geschwindigkeit aus dem Wasser emporschwang und sich dabei in der Luft drehte, während er einem Seebären (oder einer Robbenattrappe) nachstellte. Waren Weiße Haie wirklich so viel prächtiger und kraftvoller, als wir es je vermutet hatten?
Sowohl junge als auch erwachsene Weiße Haie sind dafür bekannt, dass sie springen, und dieses Sprungverhalten ist überraschend komplex. Es läuft nach verschiedenen Mustern von Erst- und Folgeattacken ab, bei denen der Hai das Wasser nicht immer vollständig verlässt. Bei senkrechten Sprüngen jedoch katapultiert es den Hai zuweilen bis zu drei Metern oder mehr aus dem Wasser. Wenn ein Hai die angepeilte Robbe verfehlt, dreht er in der Luft seinen Kopf, um die Beute für einen möglichen erneuten Angriff im Auge zu behalten. Die meisten Angriffe in der False Bay ereignen sich in den ersten zwei Stunden nach Sonnenaufgang. Dann schränkt das noch dunkle Wasser die Fähigkeit der Beutetiere ein, den oben dunkel gefärbten Hai von der Oberfläche aus zu erkennen, hindert aber den Weißen Hai, der auch bei schwachem Licht sehen kann, nicht daran, seine potenzielle Beute von unten zu erspähen.
Air Jaws zeigt eine ganze Reihe von bemerkenswerten Verhaltensweisen. Voraussetzung dafür ist der hochspezialisierte und leistungsstarke Stoffwechsel dieser Spitzenräuber, der ihnen zusätzliche Muskelkraft verleiht und ihnen jene Geschwindigkeiten ermöglicht, die für Sprünge dieser Art notwendig sind. Auch andere Haie zeigen aufregende Kunststücke in der Luft; mehr dazu unter »Springende Haie«. Aber die Sprünge des Weißen Hais sind wahrlich der Stoff, aus dem Legenden sind.
Angriffe und Bisse
Lassen Sie mich zunächst zwischen diesen beiden unterscheiden: Es wäre nämlich falsch zu glauben, dass es zwischen Angriffen und Bissen keinen Unterschied gibt. Wenn Sie die Wahl hätten, sollten Sie sich lieber dafür entscheiden, gebissen zu werden, da Bisse in der Regel nur geringfügige Verletzungen verursachen und normalerweise auf einer Verwechslung beruhen.
Angriffe dagegen sollten nach Ansicht vieler Haibiologen lieber ernsthafter oder tödlicher Biss heißen. Angriffe führen meist zu schwereren Verletzungen, zumal dabei oft wiederholt zugebissen wird. Wenn Sie jedoch ein Weißer Hai mit einem Seelöwen verwechselt und Sie aus Versehen beißt – wobei er sofort erkennt, dass Sie nicht wie ein Seelöwe schmecken, und deshalb höchstwahrscheinlich umgehend wieder von Ihnen ablässt –, lässt sich nun natürlich darüber streiten, ob dieses traumatische Ereignis lediglich als harmloser Biss bezeichnet werden sollte.
Doch wieso erkennen die angreifenden Haie in so einem Verwechslungsfall, dass Menschen nicht auf ihrer Speisekarte stehen? Welcher evolutionäre Wert liegt in dieser sofortigen Einschätzung?
Haie haben eine ganze Reihe von Sinnen, um ihre Beute zu orten, und meistens funktionieren diese ganz hervorragend. Das ist nach einer Forschungs- und Entwicklungszeit von 450 Millionen Jahren auch nicht anders zu erwarten. Doch zuweilen lassen auch diese Sinne sich täuschen. In trüben Küstengewässern verwechseln Kleine Schwarzspitzenhaie, stromlinienförmige, schnellschwimmende Räuber, die kleinen Schwarmfischen nachstellen, zuweilen offenbar menschliche Hände und Füße mit diesen Fischen – und beißen zu. Augenblicklich melden die Geschmacksrezeptoren im Maul dem Gehirn die Verwechslung, welches mit einem Signal antwortet: Igitt! Spuck das sofort aus!Es ist nicht bekannt, wie oft es im Leben von Haien zu diesen Verwechslungen kommt, aber der evolutionäre Wert scheint klar: Es soll verhindert werden, dass Beute verschluckt wird, die möglicherweise giftig, von zu geringem Nährwert, zu hart oder anderweitig potenziell schädlich für den Hai ist.
Sowohl Bisse als auch Angriffe sind unwahrscheinliche Ereignisse, denen die Medien viel zu viel Aufmerksamkeit schenken. Wenn ein Zeitraum nur ausreichend groß ist, treten auch unwahrscheinliche Ereignisse irgendwann ein – ein Prinzip, an das etwa auch Glücksspieler glauben; ansonsten wäre die Stadt Las Vegas schon längst pleite. Doch selbst wenn man sich in den Lebensraum des Hais begibt – wie es Schwimmer an fast allen Stränden und in manchen Flüssen tun –, ist man in wadentiefem Wasser sicherer, als wenn man sich einen Toast zubereitet, eine Straße überquert, duscht, unser gegenwärtiges Essen isst, atmet und so weiter. In den USA sterben jährlich bis zu 200.000 Menschen aufgrund von Luftverschmutzung. Den Feinstaub einzuatmen, den Reifen und Laufschuhe produzieren, ist also ein größeres Gesundheitsrisiko als Haie. Ich persönlich kenne mehr Leute, die einen Blitzeinschlag unmittelbar miterlebt haben, als solche, die von einem Hai gebissen wurden (und ich habe mit vielen Menschen zu tun, die täglich mit Haien arbeiten).
Laut dem International Shark Attack File des Florida Museum of Natural History werden weltweit jährlich etwa 100 oder weniger unprovozierte Bisse oder Angriffe durch Haie gemeldet. Und es sieht auch nicht so aus, als würde diese Anzahl zunehmen, auch wenn die Berichterstattung in den Medien das einen manchmal vermuten lässt. Und selbst wenn die Zahl der Fälle zunehmen sollte, gäbe es verschiedene Erklärungen dafür, von denen allerdings keine bislang wirklich gründlich überprüft wurde: Sei es, dass solche Vorfälle jetzt leichter gemeldet werden können; seien es die durch den Klimawandel steigenden Meerestemperaturen, die zu einem veränderten Migrationsverhalten der Haie führen; sei es, dass mehr Menschen in Haigewässer eindringen; seien es die Auswirkungen, die die Überfischung und die Veränderung der Lebensräume auf die Beutetiere der Haie hat usw.
Als Feldforscher, der auf See und oft bei schlechtem Wetter arbeitet, weiß ich, dass die Wahrscheinlichkeit, vom Blitz getroffen zu werden, auf dem Meer höher ist als an Land. Ich versuche daher, Gewitter auf offener See zu vermeiden, auch weil ich schon die hämische Schlagzeile fürchte: Haiforscher bestätigt Sprichwort: Vom Blitz getroffen!
Vor einigen Jahren kursierte im Internet ein Meme, nach dem es in den Tropen wahrscheinlicher sei, von einer herabfallenden Kokosnuss getötet zu werden als durch einen Hai. Nun ist es aber ausgerechnet so, dass der Tod durch eine Kokosnuss eines der wenigen Ereignisse zu sein scheint, die tatsächlich noch unwahrscheinlicher sind als ein Haibiss (auch wenn es keine International Falling Coconut Database gibt, die so was bestätigen könnte).
Das beste Mittel, um nicht von einem Hai gebissen zu werden, ist der gesunde Menschenverstand (und etwas Glück). Wenn meine Studierenden und ich Haie sehen, schwimmen wir instinktiv zu ihnen hin. Das sollten Sie aber bitte nicht tun. Kehren Sie stattdessen ruhig zu Ihrem Boot oder ans Ufer zurück und verlassen Sie das Wasser. Vermeiden Sie auch Schwärme kleiner Fische (die man im Englischen nicht zu Unrecht auch bait ball nennt, quasi Köderhaufen) und andere Bereiche, die Haie anziehen, etwa in der Nähe eines Angelstegs.
Ich denke, kein Haibiologe wäre enttäuscht, wenn die Medien auf Geschichten über Haiangriffe verzichten und sich stattdessen auf den inhärenten und ökologischen Wert von Haien für ihren Lebensraum und somit auf den Schutz der Haie konzentrieren würden.
Angst vor Haien
Für die Angst vor Haien kursieren verschiedene Begriffe: Galeophobie, Selachophobie oder auch Squalophobie. Ich hatte nie Angst vor Haien, bis ich in den 1990er-Jahren beim Schnorcheln in den warmen, azurblauen Gewässern vor Bimini auf den Bahamas großen Karibischen Riffhaien auf der Suche nach Futter begegnete. Wenige Minuten zuvor hatte unser Tauchboot noch das Interesse einiger schlanker, harmlos wirkender Karibischer Scharfnasenhaie geweckt, das war kein Problem gewesen. Doch nun machte sich dieser Trupp von Riffhaien bemerkbar, und mein Körper tat reflexartig das, was er bei jedem Wirbeltier tut, das auf eine potenzielle Gefahr stößt: Der Sympathikus in meinem Nervensystem erzeugte einen Adrenalinstoß und löste eine Kampf-oder-Flucht-Reaktion aus – also erhöhte Alarmbereitschaft, Herzrasen, schnellerer Atem. Glücklicherweise geriet ich nicht in Panik, und nach ein paar ruhigen Atemzügen, als klar war, dass diese erstaunlichen Biester es nicht auf mich abgesehen hatten, entspannte ich mich gerade so weit, dass ich mich ganz der Bewunderung hingeben konnte.
Unsere Angst vor Haien (und vor anderen Raubtieren) ist wahrscheinlich sowohl angeboren als auch erlernt und war in früherer Zeit wichtig für unser Überleben. Viele Menschengenerationen lang stellten Haie und andere Tiere eine echte Gefahr dar, und die Evolution hat uns mit einer entsprechenden Schutzreaktion ausgestattet. Aber die meisten von uns sind heute nicht mehr unmittelbar durch Raubtiere bedroht. Unsere angeborene Reaktion ist uns dennoch geblieben, und sie wird noch dadurch verstärkt, dass Haie in den Medien und insbesondere im Fernsehen ständig negativ dargestellt werden. Diese stereotypen Bilder schleichen sich in unsere Psyche und verdrängen unser rationales Denken – viele von uns wissen eigentlich, dass das Risiko, von einem Hai gebissen zu werden, gering ist; dennoch haben wir davor unverhältnismäßig große Angst.
Menschen fürchten sich auch vor der Dunkelheit, vor Spinnen, Schlangen, großen Höhen, dem Sprechen in der Öffentlichkeit, einem Zahnarztbesuch, der verspäteten Rückgabe eines Buches in der Bibliothek (ich jedenfalls) und so weiter. Unser Gehirn denkt sich ständig Gründe dafür aus: Welches Übel könnte wohl in der Dunkelheit lauern? Was wäre, wenn ich von diesem schönen Aussichtspunkt herunterfiele? Was, wenn ich eine Gabunviper übersähe und draufträte? Was, wenn mich der Bibliothekar in Verlegenheit brächte? Und je mehr wir über diese unwahrscheinlichen Ereignisse nachdenken, desto mehr füttern wir damit unsere Angst. Es stimmt, Angst hat sich beim Menschen als Überlebensmechanismus entwickelt, und es gibt Situationen, in denen es vernünftig ist, Angst zu haben, aber viele unserer Ängste grenzen eher an Panik und haben nichts damit zu tun, wie wahrscheinlich eine bestimmte Gefahr tatsächlich eintritt.
Die Angst vor Haien ist am ehesten mit der Angst vor der Dunkelheit vergleichbar; im Grunde ist sie vor allem eine Angst vor dem Unbekannten. Und so können sich Strandbesucher*innen natürlich fantasiereich ausmalen, wie da draußen, vor allem bei trübem Wasser, schon Hunderte von hungrigen Haien gierig darauf lauern, dass sie endlich in die Fluten tauchen. Dazu haben sie natürlich die grauenhaften Beschreibungen und Bilder der Opfer von Haiangriffen im Kopf – und die Tatsache, dass ein Haiangriff eine besonders schreckliche Art und Weise wäre, zu sterben oder verstümmelt zu werden, ist dann das Tüpfelchen auf dem I.
Wollen Sie Ihre Angst vor Haien überwinden? Nehmen Sie sich Zeit, sie zu beobachten und mehr über sie zu erfahren, vielleicht haben Sie ja sogar die Gelegenheit, mit ihnen zu schwimmen, natürlich unter geschulter Aufsicht. Ich bin sicher, dann können Sie Ihre Galeophobie durch eine Galeophilie ersetzen – einer Liebe zu Haien.
Apfeltauchen
Das Apfeltauchen ist eine traditionelle Herbstaktivität, bei der man versucht, in einer mit Wasser gefüllten Wanne schwimmende Äpfel mit den Zähnen herauszufischen. Zahnärzte zucken jetzt vielleicht schon bei der bloßen Erwähnung zusammen, und Sie fragen sich sicher, wieso ich dieses Spiel hier jetzt erwähne und ob ich noch alle Tassen im Schrank habe.
Aber bleiben wir doch einmal kurz dabei: Sie hatten also das Glück, den Fuji- oder Opal-Apfel mit den Zähnen zu erwischen, was dann? Komplett reinzubeißen ist nicht gerade leicht. Und wenn Sie dann erfolgreich ein Stück herausgebissen haben, müssen Sie das Ganze für den nächsten Bissen von vorne beginnen.
Die Aufgabe ist für Sie deshalb so schwierig, weil Ihr Oberkiefer über seine gesamte Länge fest mit Ihrem Schädel verbunden ist und sich nicht unabhängig von diesem bewegen lässt. Außerdem müssen Sie sehr nahe am Apfel sein, da Sie Ihren Kiefer nicht herausschieben können. Und jetzt kommen wir zum Punkt: Wenn die Kiefer von Haien ähnlich konfiguriert wären wie unsere, gäbe es keine Sharkpedia, und der Eintrag für Haie im Buch Dinopedia würde lauten: »Unbedeutende Klasse, deren begrenzte Kieferbeweglichkeit zu ihrem Untergang führte.«
Aber Haie sind eine sehr erfolgreiche Tierklasse. Und ihr Erfolg ist zum Teil auf die Art und Weise zurückzuführen, wie ihr Oberkiefer aufgehängt ist, wie er also am stützenden Schädel befestigt ist. Diese evolutionären Fortschritte ermöglichten den Haien eine bessere Schädelkinese (Kieferbeweglichkeit) und ein weiter aufreißbares Maul. Insgesamt haben sich die Verbindungen zwischen dem Palatoquadratum (dem Oberkiefer) und dem Schädel gelockert, Kiefer und Schädel verbinden lediglich faserige Bänder, unterstützt durch Skelettelemente. Diese Lockerung des Kiefers erlaubt es dem Hai, den Kiefer vorzuschieben und somit aus größerer Entfernung zuzubeißen. Und er kann das Maul eben viel weiter öffnen, da sich der vorstehende Kiefer, von den Begrenzungen des Schädels befreit, sowohl vertikal als auch seitlich ausdehnen kann. Die verschiedenen Haigruppen haben unterschiedliche Arten der Kieferaufhängung und unterschiedliche Grade an Beweglichkeit entwickelt, aber am weitesten herausschieben können ihn die Rochen.
Wenn Sie sich das nächste Mal Videos von Haien anschauen, die einen Walkadaver fressen, werden Sie sowohl die anatomischen Grundlagen für ihren Erfolg erkennen als auch die Magie der Evolution.
Artenvielfalt bei Haien
In diesem Buch spreche ich wiederholt von 541 bekannten Haiarten. Wenn wir die nahen Verwandten, die Rochen und Seekatzen, hinzuziehen, erhöht sich diese Zahl auf etwa 1.250 Arten, das entspricht 1,7 Prozent aller bekannten lebenden Wirbeltierarten. Allerdings wissen die Hai-Taxonomen nicht, wie viele Arten von Knorpelfischen es genau gibt. Ihre Zahl nimmt jedenfalls zu, was den modernen genetischen Methoden, die eine Unterscheidung zwischen sehr ähnlichen Arten ermöglichen, sowie der vermehrten Probennahme in der Tiefsee und in abgelegenen Küstenregionen zu verdanken ist.
Haie sind eine ausgesprochen erfolgreiche Tiergruppe, aber bevor wir Haifreunde hier allzu überschwänglich werden, sollten wir bedenken, dass die dominierenden Wirbeltiere ja eigentlich die etwa 38.000 Arten von Knochenfischen sind. Allein von den Welsartigen gibt es mehr Arten als von allen Knorpelfischen zusammen, nämlich etwa 4.000.
Für diese Unterschiede in der Artenvielfalt gibt es mehrere Gründe. Die meisten betreffen die erhöhte Vagilität (oder Ausbreitung), also die Fähigkeit eines Lebewesens, die Grenzen des eigenen Biotops zu überschreiten; dies ist eine der wichtigsten Voraussetzungen zur Bildung neuer Arten. Knochenfische haben beispielsweise mehr Nachkommen als Haie (in einigen Fällen hundert, tausend oder gar Millionen Mal so viele), und eine größere Anzahl führt zu einer größeren Verbreitung. Die meisten erwachsenen Haie sind kleiner als einen Meter, und die meisten von ihnen leben in Bodennähe. In der Regel verbreiten sich kleine, benthische Haie nicht sehr weit und bilden daher keine neuen Arten. Aber auch wenn es weniger Haie als Knochenfische gibt, schmälert das in keiner Weise die unglaubliche Vielfalt an faszinierenden Formen, Größen, Färbungen und Verhaltensweisen, die sie an den Tag legen – und unsere damit einhergehende Begeisterung für sie!
Augen
Wenn ein 4,50 m langer Tigerhai an Ihnen vorbeischwimmt und dabei seine weiße Nickhaut schließt, wie es einem meiner Kollegen passiert ist, denkt der Hai entweder, dass Sie eine Gefahr für ihn sind, oder er erwägt Sie für die Aufnahme in sein Menü.
Nickhäute sind transparente, schuppenbedeckte Bindehautfalten, die als »drittes Augenlid« zum Schutz vor das Auge geklappt werden können. Sie kommen bei den Requiemhaien vor (außerdem auch bei einigen Vögeln, Eidechsen, Fröschen, Robben, Eisbären, Kamelen und Erdferkeln). Beim Hai kommen sie zum Einsatz, wenn er zu fressen beginnt oder sich bedroht fühlt.
Es gibt aber noch mindestens drei weitere Methoden, mit denen Haie ihre Augen schützen. Weiße Haie rollen ihre Augen in der Augenhöhle um 180°, wobei das Weiße freigelegt wird. Die Kammzähnerhaie (und viele ihrer Verwandten in der Überordnung Squalomorphii) ziehen ihre Augen in die Augenhöhlen zurück. Und bei Walhaien wurde kürzlich festgestellt, dass sie sogar auf der Oberfläche ihrer Augäpfel Hautzähnchen haben.
Bear Gulch
Bear Gulch klingt wie eine schlimme Bärenkrankheit (so in der Art: »Schau mal, das arme Tier hat Bear Gulch ...«). In Wirklichkeit bezieht sich der Begriff aber auf den Bear-Gulch-Kalkstein in Montana. Dort finden sich in Schichten aus anoxischen (also sauerstofffreien) Feinsedimenten, in denen die Zersetzung durch Bakterien begrenzt ist, hervorragend erhaltene Fossilien verschiedener Organismen aus dem Karbon, also von vor etwa 323 Millionen Jahren. Bear Gulch war damals eine Bucht, die nur ein Jahrtausend lang existierte. In den etwa 27 m tiefen Sedimenten wurden über 65 Haiarten entdeckt, die einen Großteil der Arten des damaligen Ökosystems repräsentieren. Unter ihnen war auch der Einhorn-Hai Falcatus, bei dem die Männchen einen großen Schulterstachel besaßen. Einer der spektakulärsten Fossilienfunde in Montana ist ein Paar dieser Einhorn-Haie, bei dem sich das Weibchen am Stachel des Männchens festhält. Heutige Haie besitzen diese Fortsätze nicht mehr, wohl aber die Seekatzen, Geisterhaie oder Chimären, eine kleine Gruppe von etwa 50 mit den Haien und Rochen verwandten Knorpelfischen, die vor allem in der Tiefsee leben.
Der Bear-Gulch-Kalkstein ist, ebenso wie der Cleveland Shale in Ohio, eine jener seltenen Entdeckungen, die den Paläontologen bei der Erforschung der Phylogenese